Skip to main content

Full text of "Fortschritte Der Medizin. Band 33.1915 16. Illinois"

See other formats





































Digitized by 


Original from 

UNIVER5ITY OF ILLINOIS AT 
ÜRBANA-CHAMPAIGN 








Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Fortschritte der Medizin 


Unter Mitwirkung hervorragender 
Fachmänner herausgegeben von 


L. Brauer, 

Hamburg 

L. Hauser, 

Darmstadt 


L. von Criegern, 

Hildesheim 


L. EÖinger, 

Frankfurt a. M. 


G. Köster, C. L. Rehn, 

Leipzig Frankfurt a. M. 

H. Vogt, 

Wiesbaden 


Schrittleitung: Dr. Rigler, Darmstadt 


1915/1916 

XXXtU. Jahrgang 


Berlin 

Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin XVF. 87. 


Digitized by 




Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



/ fj 


GlO 

FD 

\ I . * J . 

/ U J 


Register 


Seite 


Viiriaeeblet östcrr.-ungar. Können die 
V Kütten u. Jnseln desselben unseren 
~ Kranken einen notwendigen Ersatz bie¬ 
ten. liir die Kurorte, derital. und franz. 

Riviera ?.216 

A&orptlonstherapie chirurgisch gynäkolo¬ 
gischer Erkrankungen, zur Frage der¬ 
selben .31fi 

Aggl ui i na t ionsp rohe l>ei Typhusgeimpften 18 

Alkohol ltn Felde . . . 23 

Alkohol und Heer . 11 

—. und Mditärtauglichkeit .278 

—. b-i Tetanus ? 287 

Alkoholismus und Epilepsie über die here- 
ditä-en Beziehungen zwischen denselben 277 

Altern, Das.247 

Amboceptor und Komplemententwick¬ 
lung, Untersuchungen über den Me¬ 
chanismus derselben .328 

Anaphylaxie, die Bedeutung derselben 

fiir den prakt, Arzt .165 

Anatomie deskriptive des Menschen. At¬ 
las derselben . 337 

Anfall epileptischer, der Tod infolge 

eines solchen . 39 

—, epileptischer, der Tod infolge des¬ 
selben .307 

Angina, akute und meteorologische Ein¬ 
flüsse, besteht ein Zusammenhang da¬ 
zwischen ? 132 

—. pectoris, die Erklärung des plötz¬ 
lichen Todes hei derselben. 76 

Anstaltsarzt, leitender, ungerechtfertigte 

Entlassung eines solchen .198 

Aortenton diastolischer, die Bedeutung der 
Akzentuation desselben ...... 133 

Aphasien hysterische.245 

Aphasie und Unfallfolge.129 

Apyron, die rheumatischen Erkrankun¬ 
gen im Kriege und ihre Behandlung mit 

demselben.299 

Argyrose des Tränensacks.177 

Arsen-Hämatose.336 

Arthritis deformans als Allgemeincr- 

krankung.137 

Arzneimittel, die neuesten und ihre Do¬ 
sierung. einschliesslich Serum und 

Organ therapie.337 

Arzneimittel, einige neuere.314 

—, die Versorgung der Zivilbevölke¬ 
rung damit. 78 

Asepsis oder Antisepsis. 51 

Atropin bei Eklampsia infantum . . . 208 

Aufgaben, psychiatische nach dem Kriege 334 
Ausgehlutete, Beitrag zur Bekämpfung 
von Kollapsen bei denselben .... 167 

Ausfallerscheinungen zur Behandlung der¬ 
selben . 127 

Ausfallsymptome umschriebene, über die 
Behandlung derselben bei den Schuss¬ 
verletzungen des Gehirns .209 

Azetonalsuppositorien gegen Hämorrhoiden 14 

B. 

Balneotherapie im Kindesalter .... 281 

Bauchschussverletzung, die Behandlung 

derselben.. 97 

Beinprothesen, statische und mecha¬ 
nische Verhältnisse bei denselben . . 316 

Bergontö-Apparat. Uber die Beeinflus¬ 
sung von Erkrankungen des Nerven¬ 
systems durch denselben. 74 

Bestrebungen, therapeutische in der Me¬ 
dizin . 45 

Bevölkernngspolltlk, unetre Aulgabt n in 

derselben.295 

Bewusstseinsproblem. 298 

Bienenstichbehandlung und Rheumatis¬ 
mus . 15 


Digitized by Google 


Seite 


Biologische Grundprinzipien der Medizin 287 
„Biozyme’% Beiträge zur Hefetherapic 

mit demselben .182 

Bindegewebe, über Stoffe die dasselbe zum 

Wachstum an regen . 40 

Bindegewebswachstum über Stoffe, die 
dasselbe zu beeinflussen vermögen . . 70 

Bindeh&utdeckung im Kriege, der Wert 

derselben.97, 177 

ßissinger Auerquelle. 15 

Blutentnahme, diagnostische und intra¬ 
venöse Injektion beim Säugling, zur 

Technik derselben . 87 

ßolusal, mit Tierkohle. 15 

Bromural als Schlaf- und Beruhigungs¬ 
mittel im Gebirge . 15 

—, die Erfahrungen damit, in der Zihn- 

heil künde . 77 

Blutbild im allgemeinen und speziell bei 
Infektionskrankheiten .296 


Blutdruck arterieller, über den Einfluss 
normaler Seelcnvorgänge auf denselben 237 
Blutinfektion, die Behandlung derselben 76 
Blutkreislauf, über die Beziehungen der 
endokrinen Drüsen zu demselben . . 295 

ßlutkörper weisse, bei Fleckfieber, über die 
Zahl und die Formen derselben ... 48 

Buccosperin in der Urologie und Gynä¬ 
kologie .336 

c. 

Calcaneus, Kompressionsfraktur als 
typische Srekriegsverletzung .... 164 

Carbovent eine neue Tierkohle .... 188 

Chemie der Zelle .148 

Chirurgie und Orthopädie. Bericht über 
Neuerscheinungen auf den Gebiet der 

selben . 85, 146, 187 

Chirurgie und Orthopädie, Berichte über 
die Neuerscheinungen auf dem Gebiete 
derselben. Hand, ,,Sauerbruchs“ will¬ 
kürlich bewegliche .196 

Chirurgie, Ubersichtsreferate .... 240 

Chirurgenvereinigung, mittelrheinische 169, 179 

Chlorophyll u. Chiorosan.277 

Cholelithiasis, die Erfahrungen über die 

Behandlung desselben.166 

Cholerabekämpfiuig, die sicherste Art 

derselben . 50 

Choleval-Antigonorrhoikum, einige Er¬ 
fahrungen mit demselben.238 

Cholezystitis trphosa, nekrotisierende . . 215 

Cinol als Läusemittel . 98 

Cltobaryum ein neues Röntgen-Kon¬ 
trastmittel . 131 

Corpus Striatum, Beitrag zur Kenntnis der 


Pathologie desselben, nebst Bemer¬ 
kungen über die extrapyramidalen Be¬ 
wegungsstörungen .267 

D. 

Dämmerschlaf, eine neue ungefährliche 
Form desselben unter der Geburt . . 269 

Dammschutz, über erfolgreiches Vorge¬ 
hen bei demselben.176 

Darmflora des Säuglings, biologische Un¬ 
tersuchungen darüber. 87 

Darmheilmitte), ein neues und billiges . 30 

Darminvagination im Kindesalter ... 49 

Das liebe „Ich”.298 

Daumenersatz, plastische Operation des¬ 
selben . 164 

Davos, Beachtungen über operative Be¬ 
handlung der Kehlopftuberkulose da¬ 
selbst .246 

Demenz katatonische, zur forensen Be¬ 
urteilung derselben .335 

Dermatitis exfoliativa neonatorum, zur 


Frage der Ubertragb.irk.-it derselben 50, 87 



Seite 


Diabetes, Behandlung desselben mit Le- 

vurinose .112 

Diabetes mellitus die Therapie desselben 40 

Dickdarm, die Röntgen-Untersuchung 
desselben im Säuglings- u. späteren 

Kindesalter. 58 

Dienstfähigkeit und Rentenfrage, bei ner¬ 
venkranken Soldaten.177 


Digitallstherapie die kombinierte .... 336 

Dlhydromorphin und Dlacetyldihydro- 
morphin (Paralaupin), Morphinersatz- 
Präparate, Erfahrungen über dieselben 356 
Diphtherie und ihre Behandlung .... 306 

Diphtherie, Fortschritte in der Patho¬ 
logie und Therapie derselben.233 

—, über die lokale Behandlung mit Tri- 

bromss-Naphtol . 49 

Diphtherietoxin, Vciänderung an der Hy¬ 
pophyse dadurch.117 

Diphtherie- und Seharlachsterblichkcit 
über den Einfluss der Sommerferien 

auf dieselbe . 87 

Dipsomanie.237 

—, Archiv für Psychiatrie .335 

Dispargcn, ein neuers Silberkolloid . . 50 

Dysphagie und ihre Behandlung bei der 

Larynxtuberkulose .145 

Doppelfärbimg gute, für gewöhnliche 

und saure Kerne.214 

Druckschwankungen intraabdomlnale, die 
künstliche Erzeugung derselben als 

vielseitige Heilfaktoren .214 

Drucksteigerung im Cerebro-Spinalkanal 

nach Kopfverletzung .119 

Drüsen periphere, über die Palpation der¬ 
selben .317 


E. 

Eigenbluttransfusion bei Extrauteringravi¬ 
dität und Uterusruptur.134 

Eihaut und Plazentarreste retinierte dio 

Therapie derselben. 81 

Elsen- n. Arsentherapie die Indikation 

derselben bei Anämien .307 

Etsentherapie, Beitrag darüber .... 6 

EiwelSR, ein einfacher Apparat zur quan¬ 
titativen Bestimmung davor, selbst in 

den kleinsten Mengen. 76 

Elwelsskorper, neuere Arbeiten über die 
Chemie und Physiologie derselben . . 200 

Eiweissmilch, 2 1 /, jährige Erfahrung dar¬ 
über . 31 

—, und ihre Ersatzpräparate, die Erfah¬ 
rungen darüber.49, 87 

Eklampsiebehandlung aktive cd. ab¬ 
wartende . 197 

Elektrokardiographie und ihre Bedeutung 
für die heutige Diagnostik der Herz¬ 
krankheiten .133 

Elektrokollargolbehandlung.297 

Elektromedizin, die technischen Grund¬ 
lagen derselben . 188, 297 

Entlausungsverfahren, bisherige Unzuläng- 

zulängliclikeit desselben . 14 

Enuresis und Hypnose im Felde . . 177, 208 
Enzephaolyse bei traumatischer Epilepsie 

und Zcphalalgie.317 

Eptlepsiebehandliing eine neue Methode 

derselben. 71 

Epilepsie in der ärztlichen Praxis, zur 
Diagnose und Behandlung derselben 219 
Erbrechen im Kindesalter, kritische Stu¬ 
dien über das mit Azetonurie einher- 
gchonde periodische (cyclische, recur- 
rierende) nebst dem Versuch einer 
ätiologischen Erklärung der Krankheit 13 
Erkrankung tuberkulöse des Kniegelenkes, 
Verschlimmerung derselben durch einen 
Unfall. (Verdrehung des betreffenden 
Knies) . . . • GrrgiDaHrom• •• • 309 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 























































































4 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Register 


Seite 

Ernährung, die Physiologie und Hygiene 


derselben .248 

Ernährung künstliche, und Ernährungs¬ 
therapie beim Säugling, neue Methoden 

darüber . 3 

Ernährungsstörungen ex oorrelatione . . 197 

Eventrutlon des rechtsgelagerten Magens 
und Stauungsektasie der Speiseröhre, 

Situs viseerum inversus.200 

Extruktstoffe für die Ernährung, die Be¬ 
deutung derselben . 88 

F. 

Eeld-u. Heimatluzarett, die physikalische 

Therapie in denselben .178 

Fersenbein, Bericht über 146 Fälle von 

Brüchen desselben.133 

Fersonbelnbriiche als Seekriegsverlet¬ 
zungen . 269 

Fettpolster, die Dicke desselben bei ge¬ 
sunden und kranken Kindern .... 58 

Flecktyphus, zur Diagnose desselben . . 206 

Fleischbeschau bakteriologische, zur Frago 
der Verpackung der behufs Vornahme 
zur Versendung kommenden Fleisch 

waren. 75 

Fremdkörper in den unteren Luftwegen 

und ihre Entfernung.215 

Fremdkörpertelephon.127 

Frühgeburten, das Wachstum derselben 
in den ersten Lebensmonaten .... 58 

Funktionspriitung des Kreislaufes (spe¬ 
ziell bei Erschöpfung»- und Fieberzu¬ 
ständen .127 

Fuss- und Zehenverband.165 

G. 

Gallensäuren, Untersuchungen darüber 276 
Gasphlegmone, zwei Fälle davon .... 316 
Gaumenhochstand, und adenoide Vege¬ 
tationen .354 

Geisteskrankheiten und Krieg. 30 

Geisteskranke, Unfall derselben infolge 
mangelnder Aufsicht der Kranken¬ 
schwester . 106 

Geisteskrankheit und Invalidität . . . 239 

Gelenkentzündung deformierende . . . 214 

Gelenkrheumatismus, zur Behandlung 

desselben mit Apyron.140 

Gelenkschussverletzungen, schwere mit 
Dauerstauungen, die konservative Be¬ 
handlung derselben.236 

Gesundheit, zur Philosophie derselben . . 298 


Gicht, die Differenzialdiagnose derselben 306 
Glauduitrin-Tonogen, therapeutische Er¬ 
fahrungen damit unter besonderer Be¬ 
rücksichtigung bei Asthma bronchiale 168 
Glukosomethylpentnsurie Uber eine 


neue Art von Glukosurie.276 

Glycerinersatz bei Obstipationszustän¬ 
den .336 

Glyzerinersatz . 136 

Gonokokkenvakzine, der diagnostische 

Wert derselben.206 

Gonorrhoe, die Behandlung derselben 

mit Joddämpfen. 13 

Gonorrhoische Infektion der oberen Luft¬ 
wege beim Erwachsenen.246 


Granugenol, Erfahrungen damit . . . 356 

Granugenol Knoll; Holopan, Hexophan u. 
Hexophan-Natrium, Fonabisit, Trom- 
bosiu, Recvalysat, Polygalisat u. Rhino- 


valin, u. Diquitalis .288 

—, zur Verwendung desselben. Droserin 
Diator, Baldrianol-Tabletten, Foldran, 
neue Organpräparate, Cignolin . . . 278 


„Granulierendes Wundöl Knoll.” die Er¬ 
fahrungen bei der Wundbehand¬ 
lung mit einem auf das Bindegewebe 
einwirkenden Öles mineralischen 

Ursprungs . 69 

Gummlzugverband bei großen Hautwun¬ 
den, über die Anwendung eines solchi n 334 
Guttamyl, Lenicet Präparate, Jod-Prot- 
hämin, Trisalven, Enterosan .... 77 

Gynäkologie u. Geburtshilfe, Grenzverschie¬ 
bungen zwischen operativer u. 
nichtoperativer Therapie in derselben 255 

Digitized by Google 


Seite 

H. 

Hämatin als pathologischer Bestandteil 

des Blutes.277 

Hnmoglnbluurie paroxysmal, Beobach¬ 
tungen an einem Fall davon .125 

Handbuch der Unfallmedizin mit Beiück- 
sichtigung der deutschen, öster¬ 
reichischen, schweizerischen, franzö¬ 
sischen Arbeiter, der Privat- und Un¬ 


fallversicherung .337 

Hund- u. Armersatz der Kriegsbeschä¬ 
digten, die Aufgaben und Wege des- 


Hand und ihr Ersatz.. 136 

—, künstliche willkürlich bewegbare, zur 
Erzielung derselben .319 


Händedesinfektionsmethoden, neue ver¬ 
gleichende Untersuchungen über die 

Wirkung derselben. 

Harnblase und Harnröhre, Kiiegserfahr- 
rungen über Verletzungen derselben 297 
Harnorgane, über bakterielle Erkran¬ 
kungen derselben im Säuulingsalter. 49 
Hnutluppenplastik sekundäre, zur Technik 
derselben bei Kriegsamputierten . . . 282 

Heilbarkeit der entzogenen und trauma¬ 
tischen Meningitis.118 

Heilbehandlung, falsche durch einen Na¬ 
turheilkundigen. Rechtsfolgen der¬ 
selben .. 90, 267 

Heil- li. Schutzimpfung gegen <’ie Tuber¬ 
kulose bei Meerschweinchen und Ka¬ 
ninchen . 23 

Heilverfahren physikalisch-diätetisches . 287 

Heimstättengesetz für unsere Krieger . . 57 

Hernien der linea alba im Kriege . . . 215 

Herz und Gefässkrankheiten, zur Prognose 

derselben . 1 

Herzgeräusehe akzidentelle bei Kriegs¬ 
teilnehmern, zur Kenntnis derselben 48 
Herzgrenzen, neuer Anhaltspunkt zur Be¬ 
stimmung derselben, weiterer Beitrag 
zur Herzschwäche, ihre Behandlung 


und ihre Bedeutung für den Herzschlag 37 
Herzkrankheiten und Herzstörungen im 

Felde . 76 

Herzmuskiilatur, ein Infanteriegeschoß 

in derselben.316 

Herztätigkeit und Muskelarbeit .... 286 

Herztätigkeit, unregelmässige.137 

Herzschädigungen bei Kriegsteilnelimern, 
zur Kenntnis derselben .... 157, 175 

Herzschwäche bei Kriegsteilnehmern . . 175 

Herzstörungen, zur Beurteilung und zur 
Behandlung derselben bei Kriegsteil¬ 
nehmern .286 

Hirnabszess orbitogener.216 

Hirnsyphilis und Psychose.307 

Höhensonne, natürliche und künstliche 308 
Höllenstein, die Wirkung desselben . . . IS* - 
Hornerschcr Syrnptornenkomplex, zur 

Kenntnis desselben. 237, 297 

Hüftgelenktuberkulose, über die Behand¬ 
lung derselben .306 


Hungereippfindung ........... 

Hyperthyoreoidismus, einige Fälle da¬ 
von, darunter 3 von akutem Basedow 
bei Kriegsteilnehmern, zur Stütze der 
neurogenen Entstehung dieser Krank¬ 


heit .208 

Hypoplasie der Hoden kongenitaler, drei 
Fälle davon.•.109 

I. 

Ichthyosis congenita, kasuistischer Bei¬ 
trag zu derselben. 31 

Impfung von Schwangeren, Wöchnerin¬ 
nen und Neugeborenen. 176 

Infektion postoperative, zur Frage der Ver¬ 
hütung derselben .133 

Infektionskrankheiten, die unspezifische 


Inhalationstherapie.216 

Innervation periphere. 15 

Intensimeter Fiirstenau’s, praktische 

Erfahrungen mit demselben. 87 

Irisreposition, supraokulare.177 

Irrtümer bei Geisteskrankheiten .... 328 


Seite 


J- 

Jod, intern gereichtes, zur Wirkung des- 

sell>en auf die Hoden.225 

Jodmctuferrln, Jodostarin, Jodothysin, 
Judootopan und Jodtropan .... 178 

Jonenlehre, angewandte.148 

Jothion, Isatophan. Isopral.188 

Jugend, die militärische Vorbereitung der¬ 
selben .217 

K. 

Kachexie, hypophysären Ursprunges . . 244 

Kaiser- u. Kaiserin-Friedrich Kranken¬ 
haus in Berlin, der Bestand desselben 

zum 25. Jahrestag. 98 

Kalziumkompretten, ein geeignetes Calci- 
um-chloratum Ptäparat als Antihydro- 

ticum .217 

Kampferabszesse. 87 

Kassenärzte, zur rechtlichen Stellung der¬ 
selben .137 

Kastrationskomplex. 290, 301 

Kehlkopfdiphtherie und ihre Behandlung 25 
Keimdrüsen beim Menschen, über die 

Röemplantation derselben.244 

Keuehhuslenbazillus, (Boidet-Gengou’- 
sclien Bazillus) die Untersuchungen 

desselben. 87 

Keiirhhiistenbehandlung .126 

Knochen- u. Gelenktuberkulose trauma¬ 
tische, die Prüfung der Zusammenhangs- 

frage derselben. 64 

Kochbuch, praktisches.317 

Kohlensäure-Bäder natürliche, über ple¬ 
thysmographische Untersuchungen der¬ 
selben .217 

Kohlensäureschnee, die Behandlung da¬ 
mit . 31 

Kokainpräparate, die Ursachen des 
Schmerzes nach Lokalanästhesie durch 

dieselben .102 

Kollargolinjektion in kleinen Dosen, ei¬ 
nige Beobachtungen bei derselben . . 217 

Konditorerkrankung, ein Fall davon . . 295 
Kongress Deutscher für innere Medizin, 
Bericht über die ausserordentliche 

Tagung desselben.272 

Kontrakturenbehandlung, Beiträge hierzu 215 
Kopfstreifschuss. Motorisch-amnestische 
Aphasie. Trepanation. Heilung . . . 228 

Körpertemperatur, einseitige Steigerung 

derselben . 156 

Kosmetik.138 

Kosmetik ärztliche der Haut.107 

Kotphlegmone u. Kotabszess naoh Schuss¬ 
verletzungen des Bauches durch Schrap¬ 
nellfüllkugeln, zwei Fälle davon ... 24 

Krankheiten der Postbeamten .... 337 

Krebs, der.349 

Krebsbehandlung, neue Wege zu derselben 289 
Krampfadern, eine neue Auffassung über 

die Pathogenese derselben.306 

Krankheiten, die Kunst dieselben aus 
dem Gesicht zu erkennen und zu 

heilen .107 

—, innere, Differential-diagnostische 

Tabellen.228 

Kriegsaphorismen eines Dermatologen . 103 

—, eines Dermathologen.134 

Kriegsbeobachtungen pathologische und 

epidemiologische .207 

Kriegsgebrauch,eine Schiene fiirdenselbcn 166 
Krieg im Aberglauben und im Volks¬ 
glauben .238 

Kriegsneurologie, bisherige Ergebnisse 

derselben .312. 323 

Kriegsneurosen ..296 

—, und Neuralgien, besonders Ischias 

Demonstration davon . 24 

Kricgsseuehen, Erfahrungen über die 

Behandlung derselben.334 

Kriegsorthopädie in der Heimat .... 207 
Kriogspsychiatrisehc Begutachtungen . 58 

Kriegspsychoneuroscn, die Anamnese der¬ 
selben . 76 

—. sogenannt«, die Anamnesie derselben 102 
Krieg und Soldat in der Spruehweisheit 337 
Krieg und Verdauungskrankheiten . . . 236 

Original ffom 

NIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




























































































Register 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


5 


Seite 


Kriegsverletzungen des Auges.167 

—, und Erkrankungen, die Balneotherapie 
als Heilfaktor bei denselben.258 

Kriwrswochenhilfe. 58 


L. 

Libyrintherkrankungen und deren Bezie¬ 
hung zur Meningitis, experimentelle 


Untersuchungen über dieselben . . . 237 

Lähmungen, i>osUliphtheri8che, sensible 

Störungen bei derselben.197 

Läuseplage und ihre Bekämpfung . . . 103 

—, im Kriegsgefangenenlager in Rei¬ 
chenberg, .. 94 

—, die Volksbäder und die Bekämp¬ 
fung derselben .277 

—, ein sehr einfaches aber sehr wirksames 
Verfahren zur Bekämpfung derselben 

im Felde. 175 

Läuse und deren Vertilgung im Felde 14 

Lazarett-Laboratorien und praktische 
Arzte, Untersuchungsmethoden für 

dieselben. 137 

Lebens Vorgänge, erste, die Entstehung 

dersel ben . . .,.227 

Leberatrophie bei Syphilis, gelbe akute 38 
Levurlnose in der Frauenpraxis .... 134 

Leibesübungen, ihre Anatomie, Physiolo¬ 
gie und Hygiene, sowie erste Hilfe bei 

Unfällen . 32 

Levurlnose, zur Anwendung derselben 

bei Hautkrankheiten .136 

Lieht, Die Wirkung desselben auf die 

lel>ende Substanz.354 

Lichtbehandlung schwerer Phlegmonen 208 
L'*»b?sleben aller Zeiten und Völker . . . 288 

l ipior ccroprospinalis b?i Syphilis, über 

die Infektiosität dabei.355 

Literatur geburtshilfliche. Sammelbericht 

aus derselben.113 

Lösung mineralische, der Einfluss auf 
das Blutbild und die Phagozytose da¬ 
von . 31 

Lungenart-eriensklerose.102 

Lungenerkrank ungen, Fortschritte auf 
dem Gebiete derselben 142, 154, 161, 172. 184 
Lungenschüsse, Beurteilung und Nach¬ 
behandlung von denselben.307 

Lungentuberkulose die Behandlung der¬ 
selben, mit intensivem roten Licht . . 68 j 


—, Blutuntersuchungen bei derselben 24 
—. die operative Behandlung derselben 176 
Lungentuberkuloseformen, die Abgrenzung 
derselben nach klinischen, haupt¬ 
sächlich röntgenologischen Zeichen ► 258 
Lues congenita, die Behandlung derselben 139 


—, bei Frühgeburten . 58 

Lues hereditäre und Wassermannsche 

Reaktion derselben . 98 

Lymphadenopathien, zur Kenntnis der¬ 
selben, des kindlichen Alters und ihre 
Behandlung.287 

M. 

Magen, Warum verdaut sich derselbe 

nicht selbst. 66 

Magendarmkrankheiten, neue Arbeiten 
aus dem Gebiete derselben .... 7, 262 

Magenuntersuchungsmethoden, neue 331 

Magen- u. Darmkrankheiten Im Krieg, 

von militärärztlicher Beurteilung und 

Behandlung derselben.188 

Magenkranke, Ratgeber hierfür .... 248 

.Maium Rustii der obersten Halswirbel, 
zur Diagnose dei vortäuschenden Er¬ 
krankungen desselben .145 

Marienbader Kuren, die Regelung der 

Diät durch dieselben . 58 

Mastdannvorfall der Frau, eine neue Ope¬ 
rationsmethode davon . 199 

Mastoidoperationen, die an der Göttinger 
Ohrenklinik üblichen Verfahren der¬ 
selben. Erweiterte typische Aufmeisse- 

lung.216 

Maul- ii. Klauenseuche, der Erreger der¬ 
selben .107 

Mechanotherapie bei Verletzungen der 
oberen Extremität . 3081 


Digitized by Google 


Seite 

Med Ico-mechan Ische Einrichtungen, leicht 


und billig herstellbare. 80 

Medikamente bekannte, neue Beobach¬ 
tungen und Erfahrungen mit den- 

sellin .211 

Medikamentöse Therapie. Antiarthryl . 336 

Medikament* wichtige, neuere Mittei¬ 
lungen über dieselben .232 

Medizin gerichtliche, mit Einschluss der ge- 
gerichtlichen Psychiatrie und der ge¬ 
richtlichen Beurteilung von Versiche- 

rungs- und Unfallsachen.148 

Medizin-Geschichtliches Hilfsbuch mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Ent¬ 
deckungsgeschichte und der Biographie 308 
—, innere Sammelbericht aus derselben 229 


Meningitis cerebrospinalis epidemica, ex¬ 
perimentelle Untersuchungen zur Pa¬ 
thologie und Therapie derselbe n . . . 225 

Meningitis epidemica, Exanthem und Re¬ 
zidiv hierzu. 164 

Menstruation und Psychose. 39 

Mesothorium behänd! ung, Erfolge der¬ 
selben bei 100 Uteruskarzincroen ... 157 

Metchnlkoff v. Elias, Nachruf.298 

Metronom-Unterbrecher, elektrische Be¬ 
handlung mit demselben und lokale 
Diathermie bei Schuss Verletzungen in 

der ärztlichen Praxis .258 

Milchzähne die ersten, die Durchbruchs¬ 
zeit derselben.322 

Minderjährige, über die Geburt derselben 176 
Mineralsalztherapie, zur Literatur und 

Kasuistik derselben. 198 

Minerahvassertherapie, neue Grundlagen 

derselben.262 

Milzbrandsporen, die Abtötung derselben 
an Häuten und Fellen durch Natron¬ 
lauge . 75 

Milzruptur spontane bei Typhus ... 97 

Mittel ungezierertötende, vergleichende 

Versuche darüber. 70 

Mittelohrentzündung, die Beziehung der¬ 
selben zu den Krankheiten des Säug¬ 
lingsalters .30, 76 

Moro-Dogan off sehe Reaktion über eine 
neue Tropfenpflasterreaktion .... 23 

Morphium-Skopolamin und Trivalin, resp. 
Trivalin Hyoscin bei der Behandlung 
schwerer Erregungs- und Angstzustände, 


einige Erfahrungen damit .103 

Mundhöhle, chron. Infektion im Bereich 

derselben und der Krieg.254 

Muskelkraft, Einfluss der vegetarischen 

Ernährung auf dieselbe.277 

Myokardol .336 

N. 

Nabelschnurreste, cirurgische Versorgung 

derselben .296 

Nachbehandlung von Verwundeten und 
Unfallverletzten, Erfahrung darüber 156 
Naphthalinentlausung und ihre Methode 96 
Nasenrachenfibrome, zur Pathogenese und 

Therapie derselben. 13 

Naturphilosophie moderne .168 

Neisser Albert, Nachruf .318 

Nerven, die stärksten. 145 

Nervenstörungen funktionelle, bei Kriegs¬ 
teilnehmern. Bemerkungen zur trau¬ 
matischen Neurose derselben .... 176 

Nerven peripherische, klinische Beob¬ 
achtungen an Schussverletzungen der¬ 
sel ben .265 

Nephritis bei Kriegsteilnehmern . . . 249 

—, neuere, zur Klinik derselben ... 184 

Neumann, Lazarett-Gehilfe. Gedanken 

und Meinungen desselben. 50 

Nieren, die Funktionsprüfung derselben 
mit körperlichen Substanzen . . . 244 

Nierenkranke, Beiträge zur Behandlung 

derselben.196 

Ninhydrinreaktion, Untersuchung tuber- 
kulösmeningitiseher Punktionsflüssig¬ 
keiten mit Hilfe derselben. 49 

Noventerol, ein neues Darmadstringens . 32 

o. 

Oberurmfrukturen, der Gipsverband bei 


Seit« 


denselben.. . 215 

Ohrtrompete, die Massage derselben . . 246 

Operationszwang zur Erlangung derMili- 

tärtaugliehkeit.305 

Optochln (Aet kylhydrocuprein) spezifische 
Pneumoniebehandlung mit demselben 76 
—, 100 Fälle von Pneumonie mit dem¬ 
selben behandelt.280 

—, Pellidol, Kalzan, Hepin und Din¬ 
gen al . 88 

Oploehln bei Pneumonie.356 

Organentnlcklung und Arbeitsleistung 78 
Ösophaguskarzinom, Frühsymptome des 

sei ben. 97 

Osteomyelitis und Unfall. 91 

P. 

Pansiniiltus gangraenosa, ein Fall davon 216 
I Pappataei oder Phlebstomfieber .... 132 

| Paratyphus A im Felde.214 

Paralyse progressive, über den Wert, der 
I neueren Behandlungsarten derselben . 297 

| Patellarreflexe bei der traumatischen 

Neurose.134 

| Pepsin Verdauung und Acidität im Säug¬ 
lingsalter . 98 

I Peritonitistherapie, Beitrag hierzu . . 207 

Phlegmonen maligne, Erfahrungen bei 

denselben.215 

Pilzei weisse, Differenzierung verschie¬ 
dener mit Hilfe von Immunitätsreakti¬ 
onen und Tierversuchen.117 


Plasmazellen die Herkunft derselben . 156 

Plazenta , zur manuellen Lösung derselben 133 
Pneuinokokkeninfektionen bei tuberku- ku 
lösen Lungenkranken durch Optochin, 


die Kupierung davon .217 

Postdlphtheritische Lähmungen, sensible 

Störungen bei denselben .176 

Prostatitis motastatische .246 

Prostitution, ist es wirklich ganz unmöglich 
dieselbe gesundheitlich unschädlich zu 

machen ?.318 

Providoform bei Diphtheriebazillenträgern 188 
Prozessneurose und Unfallhaftung ... 89 

Pseudotetanus.317 

Psychotherapie. 12 

Psychosen nach Erysipel .335 

Puerperalfieber die Behandlung desselben 255 
Puls, die Beeinflussung desselben, durch 

die Atmung.306 

Pupillenstarre alkohologene,reflektorische 335 
Pyramidon-Bader-Therapie, kombinierte 236 
Pyclocystitis der Säuglinge, über den Weg 
der Infektion bei derselben .... 198 


Q. 

Quarzlampe, künstliche Höhensonne, An¬ 
leitung u. Indikationen für Bestrah¬ 
lung mit derselben.297 

R. 

Rassenhygiene und Krieg.308 

Rachitis, zur Therapie derselben . . 188, 1118 

Reetusruptur rechtsseitige, traumatische 167 
Rhodalcld und seine Anwendung .... 67 

—, Untersuchungen über die Beeinflus¬ 
sung des erhöhten Blutdrucks bei Arte- 
riosklerotikern durch dasselbe .... 31 

Romauxan, ein eisenhaltiges Nähr- und 

Kräftigungsmittel . 157 

Röntgenaufnahme u. Röntgendurchleuch¬ 
tung, Kompendium dersilben . . . 297 

Röntgendiagnostik gesamte. Grundriss 
selben bei inneren Krankheiten . . 247 

Röntgen-Taschenbuch . 99 

Röntgentherapieröhren, die Kühlung der¬ 
selben mit siedendem Wasser .... 57 

Röntgentherapie der Lungentuberkulose 259 

Röntgentiefentherapie .322 

Rousseau als Kinderarzt.242 

Roseola typhosa.279 

Ruhr, zur Diätetik derselben.245 

Rüekbildungsalter u. Senium, die Krank¬ 
heiten desselben.33.41 

Rückenmark, experimentelle u. patho¬ 
logisch-anatomische Untersuchungen 
ül)er die Kompression desselben . . 226 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






















































































6 


Register 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Rtickfallfieber. 

—, Beitrag zur Differentialdiagnose des¬ 
selben . 

—, die Beobachtungen darüber . . . 
—, die Mitbeteiligung der Nieron bei dem¬ 
selben . 

s. 

Snchvcrstandigkelt, psychiatrische und 

nervenärztliohe im Kriege. 

Salizylbeliandlung, über den Versuch der 
beschleunigten Herbeiführung der Kri¬ 
sis bei Pneumonie mittels derselben . 
S.ilvarsumnitrlum und die kombinierte 
Queeksilbersalvarsanbchandlung . . 

Salvarsan - Therapie endolumbale. bei 
syphilitischen Erkrankungen des Zen¬ 
tralnervensystems . 

Salvarsan u. Tabes dorsalls. 

Sapo viridis, ein Beispiel zur Wirkung des¬ 
selben . 

Sauerstoff orte und Reduktionsorte . . 

Siiuglingsalter die, Hypertonien in dem¬ 
selben . 

Siiiiglingsmagcn, die Acidität desselben 
Säuglingssterblichkeit in den Städten der 

Schweiz . 

—, und Wohlstand . 

Si'upolaillln-Morphium bei der Behand¬ 
lung akuter Erregungszustände Geistes¬ 
kran ker. 

Seekrankheit, eine akute Stoffweehsel- 
störung, und ihre Verhütung .... 

SeeleiLsltz. 

Sehnennaht, sekundäre und Sehnenplas- 
tik bei Schussverletzungen der Hand 
Sehzentrenen beide, Transversalschuss 

durch dieselben . 

Seidenbau in Deutschland. 

Silber kolloidales . 

—, die therapeuthische Verwendung des¬ 
selben . 

Sklerodermie und Unfall. 

Sulurson, ein wasserlösliches Arsenprä¬ 
parat aus der Elarsongruppe .... 
Soldaten geschlechtskranke, über die Be¬ 
handlung derselben in den Reserve¬ 
lazaretten und über die spätere Fürsorge 

für dieselben. 

Sonntagsruhe und soziale Hygiene . . . 
Spannungstuss, atavistischer als Ursache 
von Fussbeschwerden und Felddicnst- 

untüehtigkeit. 

Spasinus nutans, dieErklärung der Entste¬ 
hungsweise beim Kinde mit Hilfe des 

Bedingungsreflexes. 

Splmlelzellsarkom, generalisiertes der 

Lymphdrüsen . 

Suggestion. Beeinträchtigt die Sug¬ 
gestion die Freiheit des Urteils und des 

Willens. 

Syphilis angeborene, zur Therapie der¬ 
selben . 

Syphilisbehandlung zur Kriegszeit, und 
was soll nach Fricdensschlussgeschchen, 
die Zivilbevölkerung vor der Infektion 
durch venerisch krank Heimkehrende zu 

schützen. 

Syphilis und Arspnpräparate. 

—, hereditaria praecox et tarda .... 
—, die Abortivbehandlung derselben beim 

Militär. 

Syringomyelie — chirurgische Erkran¬ 
kungen. insbesondere das Mal perforant 
und die Knochen- und Gelenkaffektio- 
nen als Frühsymptome derselben . . 

st. 

Stimdesehre ärztliche, zum Kapitel der¬ 
selben . 

Stoffwechsel fer mente. 

Störungen geistige, Beitrag zur Kenntnis 
des Einflusses kriegerischer Ereignisse 
auf die Entstehung derselben in der 
Zivilbevölkerung und zu der psy¬ 
chischen Infektion. 

Störungen nervöse, ein neues Verfahren 
zur objektiven Feststellung derselben 

und ihre Beseitigung. 

Strahlen ultraviolette. Erweiterung des 
Anwendungsgebietes derselben . . . 


Digitized by Google 


241 

96 

85 

12 

316 

270 

78 


237 

105 

213 

158 

97 

58 

58 

177 


101 

266 

103 


Strophantlne, die Kumulation derselben 
bei den akuten und chronischen Ver¬ 
giftungen . 

Stühle blutige, ein Mittel zurBnkämpfung 
derselben. 


Sch. 

Schädelfistel und Gehirnabszeas nach 

Schussverletzungcn . 

Selmdclseliiissc. zur Krage dersellien - . 
Scharlach zur Ätiologie dessellien . . . 
—, Fortschritte in der Erforschung des¬ 
selben . 

— und Wundscharlach, kasuistischer 
Beitrag zur Aetiologie desselben . . . 
Schlenenverbände, Anleitung zur Anfer¬ 
tigung derselben. 

Schlaf, der Wille zu demselben. 

Schinicrscifebehandlung. 

Schreckneurose, deren Heilbarkeit nach 

Abfindung . 

Schussfraktur, die abschliessende Segues- 

trotomie nach demselben. 

Schussverletzung schwere, aus der Kiefer¬ 
station von Geh. Rat. Prof. Dr. War- 
nekros, die Behandlung derselben . . 
Schutzringe imprägnierte gegen Unge¬ 
ziefer, ein neues Mittel und Verfahren 
zur Bekämpfung der Eäuseplage . . 
Schwangerschaft, über die Zeitdauer der¬ 
selben und deren Schwankungen . . 
Schweiss- u. Talgsekretion, Storungen der¬ 
selben und ihre Behandlung .... 


105 

354 

215 

167 

31 

150 

98 

158 

188 

84 

49 

207 

149 

68 

255 

276 


12 

306 

127 

59 

96 

17 

188 


329 

30 

176 


58 


165 


335 

134 


355 

70 

58 

13 


245 


137 

158 


103 

187 

216 


T. 

Tabes u. Paralyse, neue Forschungser¬ 
gebnisse über die Entstehung derselben 236 
Tugung ausserordentliche, Bericht über 
den deutschen Kongress für innere Me¬ 
dizin .283 

Tarsorrhaphle .216 

Taschenkalender für Arzte.337 

Tclephonunfällp, die nervösen Störungen 

nach denselben.307 

Therapie medikamentöse, neues auf dem 

Gebiete derselben. 27, 128, 135 

Tetanus, zur Krage der prophylaktischen 

Impfung dagegen. 48 

Tlefenbestrahlung maligner Tumoren, 

über Blutveränderungen bei derselben 208 
Tierblutkohle, ihre Verwendung bei Ty¬ 
phus abdominalis und Paratyplius . . 38 

Tierkohle, Behandlung der Cholera da¬ 
mit . 12 

—, die Behandlung von Typhusbazillen¬ 
trägern mit derselben .316 

Togal, über die Anwendung desselljen bei 
Rheumatismus, Gicht und Erkältungs¬ 
krankheiten .193 

Tonvibrator.337 

Traumatische Entstehung innerer Krank¬ 
heiten .337 

Trinkwassersterilisation mit Chlorkalk 

im Felde. 70 

Tropfklistiere, zur Methodik derselben . 334 

Trypanosomenkrankhelten, über die sero¬ 
logischen Untersuehungsmethode als 
Hilfsmittel zum Nachweis derselben, im 
besondern der Beschälseuche .... 75 


Typhlltis ii. Perityphlitis echte in der 
Schwangerschaft, Erwägungen über 
den Beitrag zur Erkennung dessellten 72 
Typhusbazillen. über den Befund der¬ 
selben, im Blute von Kaninchen nach 


Verimpfung in die Gallenblase ... 69 

Typhus fiebprloser . 48 

Typhusschutzimpfungen, Beobachtungen 

dabei . 48 

—. die Unschädlichkeiten derselben . . 48 

Typhus u. Cholcraschutzimpfung, die 
praktische Bedeutung derselben . . 245 

Tuherkiilinhehandliing im Kindesalter . . 87 

Tuberkulinprobe (Moro), perkutaner diag¬ 
nostischer Wert desselben. 97 

Tiiberkelbazillen, zur Frage der Mobili¬ 
sierung derselben durch Tuberkulin . 245 

Tuberkiilosenantlkörper und Tuberku- 
losenüberempfindlichkeit, Untersuch¬ 
ungen darüber. 126 

Tuberkulosenbekämptung.106 


Tuberkulöse, Grundsätze derselben, mit 
besonderer Berücksichtigung der Kriegs¬ 
zeit. 

Tuberkulöser Mann, zwei Unfälle eines sol¬ 
chen, wovon der zweite mit dem Tode 
in Zusammenhang gebracht wird . . 
Tuberkulosepartlalantige Deycke-Much- 
schen’sche, erste Erfahrungen da¬ 
mit im Hochgebirge. 

Tuberkulose, planmäßige Bekämpfung 
derselben in einer stark verseuchten 

Landgemeinde . 

Tuberkulose, zur Behandlung der Misch¬ 
infektion . 


u. 

Ultrafiltrate, eine neue Arzneiform . . 

Ultra-Polysol-Liehtbad . 

C ii fall neu rose, die Prognose darüber . . 
Unterschenkelgeschwüre, zur Therapie und 
Pathologie derselben. Dymal in der 

Kriegschirurgie . 

Übungsichre, turnerische . 

V. 

Vademecum und die Verwendung der 
Röntgenstrahlen und des Distraktions¬ 
klammerverfahrens im Kriege .... 
Vakzlnetherttpie, ihre Theorie und prak¬ 
tische Anwendung . 

—, und Vakzinediagnostik. 

Vcrdauungskrankheiten, Einflüsse des 

Krieges auf dieselben. 

—, und Krieg. 

Veronacetin, ein Schlafmittel und Seda¬ 
tivum, neuere Mitteilungen darüber . . 
Versicherungspraxis, ärztliches Kompen¬ 
dium derselben . 

Verweigerung des Zeugnisses und des Gut¬ 
achtens, vom Rechte des Arztes dazu . 

ViaPs tonischer Wein. 

Volksküche. 

Vula-Karzinoms, Heilung eines solchen 
mit dem Zellerschen Verfahren . . . . 


w. 

Wassermannsche Reaktion, für die Er¬ 
kennung der syphilitischen Ansteckung 
in den breiteren Volksschichten . . . 
VVelchteil wunden infizierte, deren Behänd- 

Jung. 

Weissbrot oder Vollkornbrot. 

Welt, sinnliche und übersinnliche . . . 
Weitkrieg, die Geburtenabnahme durch 

denselben. 

Wie ernähre ich mich gut und billig f . . 
Wirbeltiiberkulose und Frühdiagnose 
einige thera|K*utische Bemerkungen . . 

Wundbehandlung, offene. 

Wunddcsinfektionsmlttel „Scobitost“ • • 
Wunden eiternde, über offene und kli¬ 
matische Behandlung derselben . . 

Wtindöl-Knoll . 

—, granulierendes, ein neues Wundheil¬ 
mittel . 

—. granulierendes und Pyrenol .... 
—, ein neues auf das Bindegewebe ein¬ 
wirkendes Mineralöl. 

z. 

Zahnelend, heutiges, der einzige Weg zu 

seiner Überwindung. 

Zentralinstitut, wissenschaftliches. Vor¬ 
schlag zur Begründung eines solchen für 

kulinarische Technologie. 

Zentralnervensystem, Beiträge zu den 
posttyphösen Erkrankungen desselben 
Zucker als antiseptisches und Wundheil- 

mittei. 

Zuckerinfusionen bei Cholera . 

Zuckerkranke, die Grundzüge für die Er¬ 
nährung dessellien, nebst praktischen 
Anweisungen für die Diabetesküche - 
Zwergwuchs und Idiotie, ein Fall davon 
nebst Bemerkungen über die Klassi¬ 
fikation der Zwerge. 

ZwlUingssehwangerschaft, zur Pathologie 
derselben. 


257 

74 

126 

258 

11 

356 

318 

53 


216 

98 

297 

69 

69 

214 

245 

13 

308 

159 

21 

70 

157 


48 

12 

257 

158 

202 

248 


57 

99 

125 


133 

238 

89 

106 

32 


23 


257 


227 


56 

166 

60 

355 

125 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 























































































Register. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


7 


Autoren * Register. 


Adler 206. < 

Albu 58, 60. 

Allen 69. 

Alter 328. 

Anders 318. 

Arnold 208. 

Arson 88. 

Auller u. Mosse 215. 
Axhausen 214. 

Bach 276, 297. 

Bachen 32. 

Baumeister 217. 
Baginsky 98,287. 

Baisch 157. 

Bakabau 216. 

Batkin 58. 

Baum 58. 

Baumgarten 165. 

Bauer 15 

Bela Purjesk 168. 
Bending 38. 

Benthin 81. 

Bernhard 87. 

Bessau 197. 

Beyer 129. 

Blumenthal 356. 
Bieling 12. 

Boas 116, 336. 
Bockhorn 1. 

Boehneke u. Koch 117. 
Boehnheim 109, 140. 
Bohlmann 68. 

Bonnet 136. 

Bernstein 226. 

Bessert 31. 

Brauer 14. 

Braun 139. 

Bremer 248. 

Bromberg 238. 

Buehner 148. 

Bucki 57. 

Bukowsky und Fi- 

ala 70. 

Burk 12. 

Bürgi 277. 

Blühdorn 87. 

Blümel 142, 154, 161, 
172, 184. 

Blumenau 23. 

Cathomas 248. 

Ciyet 96. 

( mach 228. 

Chlumsky 102. 

Coerper 317. 

Co Hatz 272, 283. 

Como 38. 

Conner und Downes 
97. 

Cords 177. 

Coros 97. 

Criegem 249. 

Cuno 25. 

Curschmann 14. 

Czerny 308. 

Dalmady, v. 334. 
Denker 117. 

Derganz 207. 

Dessauer—W iesner 
297. 

Dietrich 288. 

Dietz 106, 258. 


Disque 258. 

Dosquet 133. 

Dreuw 103. 

Dünner u. Eisner 286. 
Dutoit 58. 

Ebel 216. 

Ehret 48, 157, 175. 
Eichwald 200. 
Eisenmenger 214, 287. 
Eisenstadt 58, 337. 
Ekstein 72, 94, 322. 

El iß Esten-Moile 197. 
Ellermann 255. 
Elschnig 133, 167, 177, 
216. 

Enge 101, 219. 

Engel 296. 

Engel hör n 127. 

Erfurth 133. 

Erhard 50. 

Erlacher 215. 

Eunicke 240. 

Fassbender 188, 297. 
Fellmer 117. 

Fejes 245. 
Fischer-Defoy 349. 
Fiedler 106. 

Filenski 75. 

Fla tau u. Handelsmann 
225. 

Fleiner 206. 

Flesch 227 
Fraenkel 279. 

Franke 169, 179. 
Franken berge r 132. 
Frankenstein 113. 
Franz 132. 

Franz u. Kühner 176. 
Friedemann 165. 
Friderici 237, 335. 
Friedländer 103. 
Frühwald & Zaloziecki 
355 

Fuhrmann 255. 


Galewsky 329. 
Gellhaus 217. 
Gennerich 236. 
Gerhartz 68, 258. 

Gins bürg 182. 
Glanzmann 49, 87. 
Glax 216, 258. 

Gocht 158. 

Goldstein 209. 

Goliner 308. 

Grabley 198. 

Graul 40. 

Greif 145. 

Griesbach 248. 

Grimm 3. 

Groak 12. 

Grosskopf 127. 
Grumme 225. 

Hackenbiuch—Berger 

297. 

Hailer 75. 

Hans 282. 

Harnack 148. 

Hartleib 306. 
Hasebroeck 175, 176, 
306, 337. 


Haupt 23. 

Hebold 39, 307. 

Heller 316. 

Helly 206. 

Helwig 31. 

Hering 76. 

Hess 58, 76. 

Heveroeh 134. 

Hiller 238. 

Hillerbiand 89. 

Hilger 335. 

Hindhedo 317. 

Hirsch 317. 

Hirschfeld 31,196,307 
Hnätek 145. 
Hochammer 164. 
Hoffmann 78, 107. 286, 
308. 

Hohmann, F. Lange u. 

Schede 207. 

Holste 336. 
Holzknecht u. Wach¬ 
tel 127. 

Horn 49, 53, 312, 323. 
Hornstein 98. 

Hubert 48. 
Hudovering 297. 

Huet 198. 

Hug 216. 

Hüssg 296. 

Irk 24. 

Issel 259. 

Jakobsen und Mayer 

87. 

Janssen 57, 207. 

Jarno 12. 

Jessen 76, 176. 

Jolly 39, 177, 296. 
Jüngerichs 112. 

Kafka 49. 

Ka ppeser 84, 213. 
Karbowsky 237. 
Kätscher L. 50. 
Kaufmann 7, 45, 262, 
337. 

Kaufmann-Wolf 50, 87. 
Kehrer 306. 

Keiter 15. 

Kirschberg 307. 
Kirschen berger 167. 
Klehmet 17 7 . 

Klein 105. 

Klemperer 188. 

Klose 97. 

Knauer 237. 

Knudsen 98. 

Koch 87. 

Körte 297. 

Kolb 32, 57. 69. 
Kornfeld 238. 

Kowitz 49. 

Kraus 17, 239, 309. 
Kroenig 255. 
Krombach 51. 
Kromeyer 107. 

Krone 281. 

Kroneberg 98. 
Kronfeld 337. 
Kronthal 103. 
Krumbhaar u. Musser 
97. 


Külbs 78. 

Kunert 23, 257. 

Küster 133. 

Küster u. Günzler 70 

Lange u. Roos 69. 
Laguer 30, 48, 308. 
Laudenheimer 76. 102. 
Ledderhose 137. 
Lehmann 214. 

Lenz 96. 

Leppmann 316. 
Leschke 49, 334. 

Levy 85. 

Le wando wski 217. 
Lewis 137. 

Libensky 133. 
Lichtenstein 134. 
Lichtwitz 322. 

Lieske 159, 305. 

Lipp 137. 

Löffler 184. 

Löwy 74. 

Lubowski 299. 354. 

Magnus 164, 269. 
Maixner 102. 

Man 1 in, J. 356. 
Marquardt 316. 
Matthes 48. 

Mayer 335. 

Merian 295. 

Meyer 48, 78, 87, 97, 
103, 176, 217, 245. 
Mink 246. 

Möhring 167. 

Molineus 64. 

Möllers u. Oehler 245. 
Morgenstern 164. 
Moszkowski 354. 
Mühlhaus 85, 146, 187, 
100 

Müller 13. 32, 79. 126, 
134, 247, 286, 328. 
Münch 71. 

Munk 247. 

Nadel 208. 

Naegeli 237. 

Neisser 318. 
Neumeister 245. 
Nierstrass 296. 

Niessl v. Mayendorf 
33, 41. 

Novotny 31. 
Nowakowski 167. 

Odstreil 13. 

Offermann 75. 
Ollendorff 193. 
Oppenheimer 158,310. 
Orth 167, 215. 

Ost wald 168. 

Oswald 295. 

Otto 27, 67, 128, 135, 
21J, 232, 314. 

Pearson & G.A. Jaeder- 
holm 354. 

Pässler 254. 

Pelz 245, 296. 

Peperhove 217. 

Peteri 58. 

Pflugradt 319. 


Philippson 289. 

Plate u. Dethl eff sen 
178. 

Plönies 37. 

Poulsen 31. 

Pribram 125. 

Pudor 202, 242. 

Quantner 288. 

Raeke 335. 

Ratner 30, 56, 66, 

125, 145. 

Rascher 208. 

Rauscli 157. 

Reiche 58. 

Reichmann 265. 

Reiss 48, 356. 

Reiss u. Weihe 98. 
Resch 30. 

Riedel 74. 

Rieger 91. 

Rigler 131. 

Rinde rspacher 119. 
Ritsehl 80. 
Rosenbaum, N. 356. 
Rohm he ld 188. 
Rosenfeld 277. 

Rost 40. 

Roth 77, 306. 
Rothacker 208. 

Rubner 70. 

Rüedi 246. 

Rumpf 156, 215, 

Sadger 290, 301. 

Salus 176. 

Sandeck 138. 

Saneway 97. 

Sauer 177, 208. 

Seelig 14. 

Sehrt 236. 

Seubert 278. 

Shramlik 177. 
Simmonds 244. 

Sippel 199. 

Sobotta 337. 

Sommer 90. 

Specht 176. 

Spiegel 306. 

Stauf fache r 107. 
Steckei 188, 298. 
Steiner 215, 216. 
Steinert u. Flusser 98. 
Sternberg 257. 

Stern 337. 

Stertz 227. 

Stöcker 244. 

Stoll 316. 

Stoller 306. 

Strassner 206. 

Strauss 150, 166, 214. 
221, 233, 236, 245. 
334. 

Stuhlik 277. 

Schanz 354. 

Scheer, van der 355. 
Scheer u. Sturmann 
267. 

Scheffen 157. 

Scherer u. Kutvirt 30, 
76. 

Schilling 307. 


Schlemmer 328. 
Schleissner 31. 
Schlesinger 76. 

Schloss 188. 198, 
Schmincke 6. 

Schneider 262. 

Schön wald 11. 
Schopper 149. 

Schröder 257. 
Schwermann 24. 
Schwerdt 266. 

Schulz 298. 

Schul tze 165. 

Schümm 277. 

Schütz 127. 

Schütze 270. 

v. Tappeiner 215. 
Tereskin 287. 

Tesdarp 298. 

The Svedberg 158. 
Thomayer 133. 

Tobler 8 n . 

Topp 21. 

Trappe 175. 

Trebing 15, 134. 
Treupel 244. 

Turner, von Münzer 
188. 

Uffenorde 216. 
Ungermann 126. 

Unna 103, 134, 136, 
148, 156, 158, 214. 

Vas 58. 

Vierordt 308. 

Villinger 15. 

Vitek 105. 

Vogt 59, 87, 96. 
Vörner 136. 

Wagner 12. 

Walter 24, 125, 133, 
307. 

Weber 187. 

Weichardt 76. 
Weichbrodt 335. 
Weichert 85. 

Weiss 75. 

Welzel 156. 

Werner 70. 

Wesen berg 70. 

Wette 99. 

Weygandt 58, 334. 
Wieland u. Sorge 276. 
Wilde 237. 297. 
Wildholz 246. 

Winter 295. 

Wirgler 50. 
Wiszwianski 24. 

Witze 1 315. 317. 
Wohlgemuth 216. 

Wolf 48, 297. 

Wollin 49. 

Wolter 229. 

Wartmann, Hacksadt 
u. Quirin 236. 
Wund 158. 

Zade 13. 

Zange 246. 

Zeissl, von 355. 
Ziersch 48. 

Zlataroff 276. 

Zoltan 176. 

Zoltan Barabas 197. 


Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Digitizer! by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



33 Jahrgang 


1915/16. 


fomcbrim der Medizin. 


L. Brauer, 

Hamburg. 


Unter Iftitwirkung Hervorragender Tadimänner 


L. von Criegern, 

Hildesheim. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M. 


herausgegeben von 

L. Edinger, 

Frankfurt a/M. 


L. Hauser, 

Darmstadt 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 


Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


% <±JS 

G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 1 


Erscheint am IO., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr j 

Verlag Johndorff & Co., G m. b. H., Berlin NW. 87. 10. Oktober 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m b. H„ Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


An unsere Leser. 

Noch werden wir alle mehr oder weniger durch die Aufgaben, die der grosse Krieg uns stellt, in An¬ 
spruch genommen, und neben dem einen speziellen Zweig der Kriegsmedizin haben die anderen Gebiete unserer Wissen¬ 
schaft zurücktreten müssen. Aber, hoffentlich wird bald der siegreiche Frieden kommen und mit ihm neue 
grosse Aufgaben für unsere Wissenschaft und für die ärztliche Praxis. 

Die Aufgabe unserer „Fortschritte der Medizin“ wird es sein, ebenso wie früher möglichst aus allen 
Sondergebieten das für den praktischen Arzt Wichtige herauszuholen und ihn über alle Zweige 
unserer Wissenschaft durch Originalarbeiten, Sammelberichte und Referate zu orientieren. Zu diesem Zweck 
wird die Zeitschrift „Fortschritte der Medizin“ nach Beendigung des Krieges in erweiterter Form er¬ 
scheinen, und schon jetzt bringen wir unsern Lesern die alte Zeitschrift im neuen Gewand. Wir hoffen, dass 
sie auch in dieser Form bei unsern alten Freunden gern gesehen wird, und dass unser Bestreben — dem Praktiker 
möglichst viel zu bieten — ihr noch neue Leser reichlich zuführt. 

Darmstadt und Berlin, 1. Oktober 1915. Redaktion und Verlag 

der „Fortschritte der Medizin“. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Zur Prognose der Herz- und Getässkrankhelten. 

Von Dr. M. Bockhorn - Langeoog. 

Es gilt heute wieder die alte Konstitutionspathologie 
und die Therapie hat deshalb — in ihrem Bestreben die 
Lebensenergie des Menschen zu heben — wieder mehr 
eine physikalische Richtung eingeschlagen. 

Die glänzendsten physiologischen und pathologischen 
Erfahrungen hat in den letzten 10 Jahren die Erforschung 
der Herz- und Gefässkrankheiten gebracht. Der Krieg und 
unsere nervöse Zeit verursachen eine enorme Zunahme die- 
serKrankheiten, langlebige Amateuredes Lebens gibt es nur 
noch höchst selten; aber — obwohl wir im Zeitalter der 
I ürsorge stehen, gibt es keine Fürsorge für diese Kranken 
und Grassmann fragt mit Recht in einem er- 
fahrungs- und kenntnisreichen Artikel in der Münch. 
Med. Wochenschrift: Muss die Prognose der Herz- und 
Gefässerkrankungen auf dem toten Punkte bleiben? 
Grassmann beweist, dass die Mortalität an Herz- und 
Gefässerkrankungen kaum geringer ist als an Tuber¬ 
kulose, dass es aber „bis zur Stunde an allen Be¬ 
strebungen grossen Stils fehlt, die Prognose dieser 
Krankheiten zu bessern.“ Grassmann empfiehlt Früh- 

Digitlzed by Google 


|diagnose und Frühbehandlung, regelmässige Herz- und 
Gefässuntersuchungen in der Periode anscheinender 
voller Leistungsfähigkeit, Stätten zur Erforschung der 
Kreislauforgane. 

Der tote Punkt, auf den die Prognose der Herz- 
und Gefässerkrankungen gekommen ist, liegt m. E. an 
der Schwierigkeit der Prognosenstellung; sie ist deshalb 
so schwierig, weil es hierbei mehr als bei jeder anderen 
Krankheit darauf ankommt, das „ensemble des fonctions“ 
wie Bichat sagt, zu beurteilen, auf das sorgfältigste in 
der Anamnese Heredität, Arbeit und Arbeitsmilieu, 
frühere Arbeitsfähigkeit, toxische, psychische, nervöse, 
konstitutionelle Schädigungen zu beachten. Deshalb 
wäre es eben so wichtig regelmässige Herzuntersuchungen 
anzustellen — wie sie Grassmann empfiehlt. Diese 
wären aber nur möglich mit Hilfe der Versicherungs¬ 
träger und Militärbehörden. Gerade die letzteren sollten 
einen Herz- und Gefässkranken nicht einfach laufen 
lassen; in den meisten Fällen wird es möglich sein die 
Militärentlassenen — die doch längere Zeit klinisch be¬ 
obachtet sind — zu frühzeitigen Kuren oder Milieu¬ 
wechsel zu veranlassen. Ich erinnere nur an die ner¬ 
vösen Ilerzerkrankungen und an das thyreotoxische Herz. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 









2 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 1. 


Zu einer Frühbehandlung der Herz- und Gefäss- 
kratiken würde auch eine längere sorgfältige Kur der 
Nervösen und Neurastheniker gehören mit ihren mannig¬ 
faltigen Äusserungen gestörter Zirkulation ; sie müssten 
in längerer Kurzeit — ich denke da an Landkolonien, 
wie sie R i g 1 e r in der Nähe von Darmstadt einrichten 
will — lernen zu leben, müssten psychisch und diätetisch 
pädagogisch beeinflusst werden. Zu einer Verbesserung 
der Prognose gehört ferner, dass man diese Krankheiten 
nicht künstlich züchtet. Der Ausdruck „beginnender 
Herzfehler“ sollte bei anämischen Störungen und solchen 
in den Entwicklungsjahren nie fallen. 

Wie gern würde man solche jungen Leute, die 
immer wieder zum Arzt kommen aus staubiger Werk¬ 
statt — wie in alter Zeit — auf die Wanderschaft 
schicken, wenn sich das noch so leicht durchsetzen 
Hesse. Wenn unsere Wandervögel in ihren Bestrebungen 
nicht ausarten, werden sie die Prognose der Herz- und 
Gefässkrankheiten nur verbessern. 

Doch nicht nur die Neurastheniker brauchen metho¬ 
dische Kuren — alle Kreislaufgestörten, alle Rekonvales¬ 
zenten nach Infektionskrankheiten (Typhus, Fleckfieber, 
Diphtherie, Pneumonie), alle Rekonvaleszenten nach akuten 
Herz- und Gefässkrankheiten — ehe sie in das chronische 
Stadium kommen — alle Asthmatiker. Ein grosser 
Prozentsatz von Krankenhausinsassen, die Wochen-, 
monatelang in den Stadt- und Grossstadlkrankenhäusern 
vegetieren — möchte man sagen — nach Kreislauf¬ 
störungen gehörte frühzeitig in klimatische, physikalisch¬ 
diätetische Beeinflussung. Man sollte damit den Anfang 
machen und es würde wesentlich schneller gehen. Es 
ist aber falsch, solche Leute mit Digalentabletten in die 
Kurorte zu schicken. Dosierte klimatische, balneologische 
Behandlung wird die Leistungsfähigkeit und Elastizität 
des Kreislaufs wirksam schonend und übend beeinflussen. 
Die Arbeit des Praktikers hat zu beginnen, ehe ein 
völliges Versagen, eine Insuffizienz an einer Stelle der 
Zirkulation eingesetzt hat d. li. frühzeitig. Damit stimmt 
Hasebroeks Ansicht überein, der auseinandersetzte, 
wie eine Besserung Ilerz- und Gefässkranker nur so 
lange möglich ist, als der periphere Kreislauf noch 
leistungsfähig. 

Wenn ich nun entgegen althergebrachten Ansichten 
seeklimatischen Aufenthalt als einen ausgezeichneten Kur¬ 
platz zur Frühbehandlung Herz- und Gefässkranker be¬ 
zeichne und empfehle, muss ich notgedrungen auf die 
Wirkung des Seeklimas und seiner Heilfaktoren auf 
Herz- und Gefässsystem kurz eingehen. 

An anderem Orte habe ich ausgeführt, dass ich der 
Mehrarbeit des peripheren Herzens im Seeklima den be¬ 
sonders günstigen Einfluss auf den Gesamtorganismus 
zuschreibe, dass infolge der gesteigerten peripheren 
Aspiration — wie sie Ilasebroek und mit ihm O. 
Rosenbach behaupten— der Blutdruck sinkt. Der zu¬ 
nächst entstehenden Anämie folgt sehr bald reaktive 
Hyperämie der Peripherie, diese hebt die Funktions¬ 
schwäche der blutbereitenden Organe oder anders aus¬ 
gedrückt die Elastizität. Die neuesten Untersuchungen 
H ü r t h 1 e's und von G r ü t z n e r’s haben diese 
Anschauungsweise nur gefördert; ich empfehle Hase¬ 
broeks neuestes Buch „der extrakardiale Kreislauf“, 
welches Aufsehen unter Physiologen und Ärzten erregt. 
Buttersack sagt mit Recht in seinem Buch: La¬ 
tente Erkrankungen des Grundgewebes, einer Fundgrube 
für den physiologisch denkenden Arzt: „Wir rechnen 
darauf, dass die an der Peripherie eingeleiteten Vor¬ 
gänge in der Grundschicht sich auch ins Innere fort¬ 
pflanzen und das um so mehr, je grösser die Oberfläche 
ist, auf welche wir einzuwirken vermögen“. Das ist für 
die Therapie ausserordentlich wichtig. Krehl nimmt 
an, dass das kranke Herz sein Blut leichter abgibt als 
die noch gesunden Organe und sein Blut in die reaktiv 

Digitized by Google 


erweiterten Gefässe schickt und so entlastet wird. 
Leute bei denen infolge allgemeiner Asthenie keinerlei 
Reaktion auf klimatische Beinllussung zu erwarten ist, 
gehören nicht an die See; ebenso wenig Herzfehler mit 
häufig wiederkehrendenKompensationsstörungen, Ödemen, 
Nephritis, akuten Störungen, die Bettruhe und kli¬ 
nische Behandlung erfordern. Ich kann aber wieder¬ 
holen, dass ich schwere Herzfehler an der See be¬ 
obachtet habe und unter strengster Kontrolle erreicht 
habe, dass sie erholt — wie sonst nirgends — nach 
Hause reisten. Seeklimawirkung wäre mit passiver 
Gymnastik zu vergleichen wie sie für bettlägerige Herz¬ 
kranke seiner Zeit empfohlen ist. 

In der Hauptsache bin ich veranlasst, das Seeklima 
zur Frühbehandlung Herz- und Gefässkranker zu emp¬ 
fehlen, durch regelmässige Blutdruckmessungen nach 
dem Seebad, im Luftbad, im Seeklima und durch regel¬ 
mässige Beobachtung Herz- und Gefässkranker. Weiter 
bin ich dazu veranlasst durch die Beobachtung der nach¬ 
weislich im Gebiet des Seeklimas lebenden vielen hoch¬ 
betagten Leute. Auf dem Ostende Norderney’s leben 
z. B. 3 alte Damen, die zusammen 250 Jahre alt sind ; 
vor 3 Jahren behandelte ich eine 93 jährige an Pneumo¬ 
nie, sie lebt noch jetzt ziemlich rüstig mit ihren 9b Jahren. 
Ich glaube solche Fälle kommen unter Leuten, die im 
Erwerbsleben stehen, nicht häufig vor und ich schreibe 
das in der Hauptsache klimatischer Beeinflussung zu. 
Aus ähnlichen Erfahrungen halte ich die im Seeklima er¬ 
reichte sogenannte Abhärtung bei der bekannten Neigung 
Herz- und Gefässkranker zu Lungen- und Bronchial¬ 
erkrankungen für eine weitere Indikation zur Besserung 
der Prognose. Nicht erst die Dyspnoischen sollte man 
an die See schicken, sondern durch Besserung der peri¬ 
pheren Zirkulation die Dvspnoe d. h. die Schwäche und 
Insuffizienz des rechten Herzens verhindern. Eine 
Therapie, die wirklich die Prognose dieser Krankheiten 
verbessert, hat mit zirkulationsverbessernden von der 
Natur gegebenen und die physiologischen Anpassungs¬ 
bestrebungen unterstützenden Mitteln zu arbeiten. Damit 
wird ein chronisches Stadium vermieden oder doch hin¬ 
ausgeschoben. Ist das chronische Stadium eingetreten, 
so muss die regulative Tätigkeit der Peripherie ge¬ 
fördert werden, es muss schonend abgeleitet werden auf 
die Peripherie, wenn nötig auf den Darm. 

Die Mehrarbeit der Peripherie — richtig dosiert — 
fördert die Zirkulation, entlastet das Herz, fördert die 
Blutbildung und Ernährung der Gewebe und damit den 
Stoffwechsel, steigert die Diurese, vertieft die Atmung, 
reguliert die Herztätigkeit, beseitigt die Arhythmieen. 
Wird die Mehrarbeit der Peripherie zu gross, nicht 
richtig dosiert, so treten, wie mir W eichardt zuge¬ 
geben hat — Eiweissspaltprodukte von Ermüdungstoxin¬ 
charakter auf. Bei den klinischen Beobachtungen an 
der See kommt es m. E. nicht so sehr auf die Blut¬ 
körperchenzählung als auf eine exakte Hämoglobinbe¬ 
stimmung oder Bestimmung des Minutenvolumens an. 

Unter den Kurmitteln zur Frühbehandlung Herz- 
1 und Gefässkranker stelle ich die Luftbäder und 
den einfachen seeklimatischen Aufenthalt an die Spitze. 
Es ist nicht gleichgültig, ob die Luftbäder an der Watt¬ 
seite, am Strande oder in den Dünen genommen werden 
und es ist unverantwortlich sofort stundenlang Luft zu 
baden. Ist hinreichend vorbereitet, so kann je nach Art 
der Erkrankung oder beabsichtigter Wirkung mit einigen 
warmen CXXbädern oder einfachen Solbädern begonnen 
werden und in der Mehrzahl der Fälle kann man unter 
Berücksichtigung der Aussentemperatur zu kühlen CO-- 
bädern übergehen. Die schädliche Schockwirkung lässt 
sich durch Umgehung der Wellenberge vermeiden. Die 
Luftbewegung als therapeutisches Unterstützungsmittel 
wird nur in der kalten Jahreszeit Kontraindikation sein 
bei vorgeschrittener Arteriosklerose. Auf die Wichtig- 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 1. 


3 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


keit rationeller Tiefatmung, auf Atem- und Zwerchfell- 
gymnastik habe ich an anderem Orte aufmerksam ge¬ 
macht. Man kann an der See die äusseren Lebens- 
bedingungen so günstig wie möglich gestalten, die Be¬ 
schwerden dieser Kranken erleichtern; ich habe das an 
Arteriosklerotikern aller Stadien beobachtet. 

Deshalb frage ich: Warum baut man an der See 
keine grossen Rekonvaleszentenheime für die ver¬ 
schiedenen Herz-Gefässkreislaufstörungen, um das See¬ 
klima wirksamer auszunutzen? 

Herz- und Ciefässsystem sind eins, das ergibt sich 
schon aus der embryonalen Anlage und Entwicklung aus 
einem Gefässschlauch. Das Herz ist also nicht mehr 
allein der Mittel- und Angriffspunkt unserer thera¬ 
peutischen Bestrebungen. Roseubach's Reserve- 
kraft liegt sicher nicht im Herzen allein. L o e w y 
und seine Mitarbeiter auf Westerland erfuhren bei 
ihren Untersuchungen über die Wirkung von Seeklima 
und Seebad, dass der Einfluss dieser Faktoren auf die 
Zirkulationsverhältnisse vor allem die Blutdrucksenkung 
am wertvollsten war. Ich habe wiederholt beobachtet, 
dass der seeklimatische Aufenthalt allein, später nur vor¬ 
sichtige Spaziergänge und Luftbäder in ihrer schonenden 
dann leicht übenden Wirkung bei alten Myo¬ 
karderkrankungen, Herzerweiterungen unter Hinzunahme 
vorsichtiger Gymnastik Arbeitsunfähige wieder arbeits¬ 
fähig machte. 

Der Herzneurastheniker oder Herzneurotiker mit 
Arhythmieen und Extrasystolen ist frühzeitig peripher zu 
beeinflussen, um frühzeitig die Elastizität zu heben, die 
später leicht versagt. Aus solchen ätiologischen Gründen 
ist das Luftbad ein Frophylaktikum gegen Arterio¬ 
sklerose und Versagen der Herztätigkeit. 

Ich habe schon früher ausgeführt, dass der nachge¬ 
wiesene CO,gehalt (50 ccm. in 1 Liter) unserer Nord¬ 
seebäder neben dem 3‘/„ Proz. Soolegehalt für die 
Therapie und Prophylaxe eine ausserordentliche Rolle 
spielt. Die Nordseebäder sind nichts weiter als kühle 
C0 2 haltige Solbäder. Sie sind nach genügender Vor¬ 
bereitung ein wichtiges Hilfsmittel bei der Therapie der 
Neurasthenie, der von Binswanger als kon¬ 
stitutionell beschriebenen Erkrankung. 

Wichtig ist mehrmalige einwandfreie Messung des 
Blutdrucks vor dem kalten See- und Luftbad, für Herz- 
und Gefässkranke auch vor den warmen CO,Sol- 
bädern. 

Ich empfehle Seeklimaaufenthalt unter spezifischer 
Therapie für die Aortitis luica, langdauernde Sol¬ 
bäder für Venenentzündungen, Varizen und Hämor¬ 
rhoiden. 

Fettsüchtige, deren Herz das Fett nicht genügend 
verarbeiten kann, werden — ohne grosse Trinkkuren — 
ausserordentlich günstig beeinflusst. Die beschleunigte 
Herztätigkeit nimmt ab, die Herzarbeit wird entlastet 
und unterstützt. Ebenso ist es beim thyreotoxischen 
Herz. 

Bei operierten und nicht operierten Basedowkranken 
wird die Herztätigkeit ruhiger, die Struma kleiner. 

Ich hoffe dem Leser bewiesen zu haben, dass See¬ 
klimawirkung die Prognose der Herz- und Gefässer- 
krankungen verbessert, dass das Seeklima ein Kurplatz 
für die Frühbehandlung. 

Nachschrift: Inzwischen hatte Verfasser Gelegenheit auf der Abteilung 
des Herrn Professor Reiche im Barmbecker Krankenhause mit Herrn 
Professor Reiche eine grosse Zahl herzkranker Soldaten zu untersuchen 
und dabei die Wichtigkeit systematischer Herzuntersuchungen aber 
auch die ausserordentliche Schwierigkeit der Prognosenstellung nicht 
nur quoad Felddienstfähigkeit festzustellen. 


Digitized by Google 


Neuere Methoden der kGnstlichen Ernährung 
und Ernährungstherapie beim Säugling. 

Von K. Grimm*). 

Die Aufzucht eines Säuglings mit künstlicher Er¬ 
nährung ist auch heute immer noch ein Experiment, selbst 
wenn es sich hierbei um ein gesundes Kind handelt unter 
günstigen äusseren Bedingungen. 

Jede Ersatznahrung der arteigenen Muttermilch muss 
uns minderwertig erscheinen, wenn wir die Ergebnisse 
dieser beiden Ernährungsmethoden in Parallele stellen. 

Abgesehen von einem eventuellen Mangel an nütz¬ 
lichen Stoffen wurden alle Bestandteile der am häufigsten 
als Ersatznahrung in Anwendung kommenden Kuhmilch 
für diese Minderwertigkeit der Reihe nach sowohl in 
quantitativer w r ie in qualitativer Hinsicht beschuldigt und 
teils dem Eiweiss, teils dem Fett, dem Milchzucker, der 
Molke und den Molkensalzen sowie den Relationen dieser 
Stoffe zu einander die Schuld beigemessen, ohne dass 
eine allgemein anerkannte Ansicht hierüber bisher erzielt 
wurde. So kommt es, dass die verschiedenen heute ge¬ 
bräuchlichen, künstlichen Nahrungsgemenge für Säug¬ 
linge je nach der persönlichen Ansicht des einzelnen in 
ihrer Zusammensetzung infolge der nach vorheriger mehr 
oder weniger starken Verdünnung der Milch erfolgten 
späteren Anreicherung mit Kohlehydraten oder Rahm 
oder Eiweisspräparaten usw. stark von einander ab¬ 
weichen. Andererseits fehlt es aber auch nicht an ver¬ 
einzelten Stimmen, welche jede weitere Veränderung der 
Kuhmilch zwecks Säuglingsnahrung perhorreszieren und 
der Vollmilchernährung das Wort reden. 

Die in der letzten Zeit als Säuglings-Dauernahrungen 
vorgeschlagenen Methoden der künstlichen Ernährung 
suchen sich dem in den Durchschnittswerten der reifen 
Brustmilch gegebenen Vorbild wenigstens quantitativ in 
ihren Komponenten möglichst anzupassen, nicht nur in 
Bezug auf Eiweiss, Fett und Kohlehydrate, sondern auch 
bezüglich der Molkensalze. 

Am weitgehendsten sucht Friedenthal diesem 
Prinzip durch Zusatz von Rahm, Milchzucker, Salzen 
und Wasser zu Magermilch gerecht zu werden. 

Er gibt nach B a h r d t zu 330 ccm Magermilch 
660 ccm Wasser, 58 g Milchzucker und 1,8 g Molkerei¬ 
zusatzsalz, welches 2 Teile Chlorkalium, 1 Teil Dikalium- 
phosphat und 1 Teil Monokaliumphosphat enthält; ferner 
soviel Milchfett, dass der Fettgehalt der Mischung 
4,5 Proz. beträgt. 

Da nach Friedenthals Ansicht in Magermilch 
die Bakterien, speziell die Tuberkelbazillen, allein durch 
Zentrifugieren genügend entfernt werden können, wird 
die Magermilch mit ihren Zusätzen von Zucker, Salz 
und Wasser dreimal durch die Zentrifuge gesandt, dann 
der pasteurisierte Rahm zugesetzt. 

Die F riedenthal’sche Milch kommt durch 
die Milchkuranstalt Hellersdorf, Berlin in den 
Handel und kostet pro 1 1 75 Pfennige. Sie wird vor 
Verabreichung nicht mehr gekocht, sondern soll auf 40 C 
erwärmt, dem Säugling gereicht werden. 

Nach Angabe der Molkerei enthält diese Milch: 
Eiweiss 1,33 I’roz.; Fett 4,4 Proz.; Milchzucker 7 Proz.; 
Salze 0,3—0,39 Proz. 

B a h r d t hat diese Nahrung bei 81 Anstaltssäug¬ 
lingen des Kaiserin Augusta Viktoriahauses, gesunden 
und kranken, Neugeborenen und Frühgeburten, längere 
Zeit hindurch erprobt und kommt dabei zu dem Resultat, 
dass die Friedenthalsche Milch „geeignet ist zur Er¬ 
nährung von Säuglingen, wo Frauenmilch fehlt und dass 
sie, wenigstens für Kinder in Anstalten und für schwäch¬ 
liche, rekonvaleszente und häufigen Infektionen aus¬ 
gesetzte Kinder bessere Erfolge verspricht als die ein- 


*) Nach einem im allgem. ärztlichen Verein zu Cöln gehaltenen 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 1. 


fachen Milchverdünnungen init Kohlehydratzusätzen.“ 
Die Kinder zeigten gutes Gedeihen und gute Zunahmen 
trotz des häufig beobachteten Erbrechens und zerfahrene 
Stühle. 

Auf dem Prinzip der Molkenadaption fusst auch 
die von Schloss Vorgeschlagene Ernährungsmethode. 
Schloss geht hierbei von einer 2 /, Milch - Sahne- 
Mischung aus, der er ein Eiweisspräparat zufügt. Den 
Milchzucker dagegen ersetzt er auf Grund praktischer 
Erfahrungen durch ein anderes Kohlehydrat, durch Nähr¬ 
zucker und Mondamin. 

Seine Vorschrift für Zubereitung pro 10ÜÜ ccm dieser 
Nahrung lautet: 

Molkenadaptierte Milch No. I Molkenadaotierte Milch No II. 

(für jüngere Säuglinge) (meist für ältere Säuglinge) 

l / 7 1 Vollmilch, '/: 1 Vollmilch, 

'/, 1 20proz. Sahne, 1 20proz. Sahne, 

(25) 35 g Nährzucker, 50—70 g Nährzucker, 

(25) 15 g Mondamin, 5 g Nutrose oder Plas- 

5 g Nutrose od. Pias- mon, 

mon, (0,2 KCl.), 

(0,2 KCl.), ■'/, 1 Wasser. 

V, 1 Wasser. 

Auf den ersten Blick erscheint diese Zusammen¬ 
setzung etwas kompliziert, praktisch lässt sie sich aber, 
wie ich mich des öfteren überzeugen konnte, auch im 
Privathause ganz gut durchführen. Sollten sich aber 
doch Schwierigkeiten ergeben, so kann die Herstellung 
nach folgender, ebenfalls von Schloss angegebener 
Form erfolgen, bei welcher allerdings das Prinzip der 
Molkenadaption nicht mehr genau eingehalten ist. 

Man mischt dann: 

1 Teil Milch, 

1 Teil 15proz. Sahne, 

4 Teile Wasser 

und setzt 15 g Mondamin und 35 g Nährzucker pro 1 1 
zu. Der Zusatz eines Eiweisspräparates fällt hier fort. 
Bei älteren Säuglingen muss die Kohlehydratzulage 
eventuell etwas erhöht werden. 

Die Werte der Asche auf 1000 ccm berechnet, er¬ 
geben sich aus der folgenden Zusammenstellung. 



*/ 7 Milch-Sahne- 
Miscnung + 0,2 KCl 

Frauenmilch 

Friedenthals Milch 


(Schloss) 

(Edelstein und 


(Schloss) 

Durchschnitt 

Bamberg) Okt. 12. 

CaO 

0,4081 

0,3785 

0,845 

Mg O 

0,0656 

0,0857 

0,06 

Na 2 O 

0,2047 

0,1886 

0,954 

KO 

0,4701 

0,5291 

0,916 

p 2 o 5 

0,5677 

0,4046 

0,787 

CI 

0,2825 

0,3055 

1,35? 


Das praktische Ergebnis der Ernährung mit molken¬ 
adaptierter Milch muss man nach den Kurven und 
Krankengeschichten der Schloss sehen Arbeit zweifel¬ 
los als ein gutes bezeichnen und es fand auch durch Nach¬ 
prüfung von anderer Seite Bestätigung. Bei meinen 
Versuchen hat sich mir die molkenadaptierte Milch in 
der Anstalt besonders als Zwiemilchnahrung bei jungen 
Säuglingen bewährt, speziell aber in der ambulanten 
Tätigkeit sah ich bei ernährungsgesunden Säuglingen 
gute Dauererfolge, die den Resultaten mit den gebräuch¬ 
lichen Milch - Schleim - Mischungen überlegen schienen. 
Bei älteren Säuglingen bewährte sich ein Zusatz von 
Malzextrakt. Die Nahrung wurde von den Kindern 
durchwegs gerne genommen. 

Zwecks frühzeitiger Gemüsebeikost bei Säuglingen 
im zweiten Lebenshalbjahre empfiehlt sich das Gemüse¬ 
pulver nach Friedenthal. 

Durch Anreicherung mit Eiweiss kann die molken¬ 
adaptierte Milch auch als Heilnahrung bei dyspeptischen 
Zuständen Verwendung finden. Die Zusammenstellung 
ist dann pro 1 1 folgende (nach Schloss): 

Digitized by Google 


'/, 1 Milch, 

‘/, 1 20proz. Sahne, 

25 g Plasmon, 

30—70 g Nährzucker, 
s /, 1 Wasser. 

Ein Vorteil besteht darin, dass es nicht notwendig 
ist, bei diesen Gärungszuständen die bisherige Nahrung 
mit einer vollkommen neuen zu vertauschen, sondern es 
gelingt meist, durch Zusatz von Eiweiss und Reduktion 
der Kohlehydrate dieser Zustände Herr zu werden und 
nach Abklingen derselben durch einfache Abänderung 
des Zucker- und Eiweisszusatzes wieder zur Dauer- 
nahrung überzugehen. 

Auch Feer verwendet bei seiner Eiweiss- 
R a h m • M i 1 c h als Zusätze Sahne und Plasmon, ohne 
jedoch die Adaption der Molke, auf welche Schloss 
speziellen Wert legt, besonders zu berücksichtigen. 

Er bringt eine Drittelmilch, hauptsächlich aber eine 
Halbmilch in Anwendung, die sich nach folgender Vor¬ 
schrift herstellen lässt. 

Drittelmilch Halbmilch 

300 g Milch, 500 g Milch, 

75 g 20proz. Sahne, 50 g 20proz. Sahne, 

50 g Nährzucker, 10—50 g Nährzucker, 

15 g Plasmon, 15 g Plasmon, 

600 g Wasser. 600 g Wasser. 

Die Zusammensetzung ist, in Prozent ausgedrückt, 


folgende: 

Eiweiss 

Fett 

Zucker 

Salze 

Drittelmilch: 

2,5 

2,5 

6,6 

0,27 

Halbmilch: 

2,6 

2,3 

6,2 

0,44. 


Diese Nahrung findet nach Feer Anwendung so¬ 
wohl als Dauernahrung bei gesunden Kindern, wie auch, 
bei entsprechender Anwendungsweise, als Heilnahrung bei 
ernährungsgestörten Säuglingen. 

Meine eigenen Erfahrungen mit dieser Milch sind 
nicht zahlreich genug, um ein abschliessendes Urteil zu 
gestatten. Einen Misserfolg, welcher durch diese Nahrung 
verschuldet worden wäre, sah ich nicht. 

Die Gewinnung einer 20 prozentigen Sahne, deren 
Beschaffung vielleicht auf Schwierigkeiten stossen könnte, 
kann im Haushalt nach Feer auf folgende Weise ge¬ 
schehen: Man lässt */ 2 1 rohe Milch 4 — 6 Stunden in 
einer Tasse stehen und schöpft dann mit einem dünnen 
Kaffeelöffel 25 ccm Rahm ab in einen Messzylinder. 
Dieser Rahm hat durchschnittlich 20 Proz. Fett. 

Über eine weitere Möglichkeit der Anreicherung 
einer Säuglingsnahrung mit Fett berichtet Niemann 
auf Grund folgender Erwägung: 

Die schädigende Wirkung des Kuhmilchfettes kann 
sich äussern entweder in Gestalt von Durchfällen, ver¬ 
ursacht durch Säuren, die aus der Spaltung des Fettes 
hervorgehen, oder es kommt als chronische Wirkung 
zum Bilde des Milchnährschadens, wobei aber ebenfalls 
die Säuren das ursächliche Moment sind, indem durch 
Bindung der Alkalien im Darm es zu einer Alkalipenie 
oder auch Acidose kommen kann. Nun enthält das 
Kuhmilchfett 6—8 Proz. an flüchtigen Fettsäuren, während 
das Frauenmilchfett nur 1,8 Proz. enthält. Die niederen Fett¬ 
säuren sind wasserlöslich und können leicht entfernt 
werden, wenn man Butter mehrfach mit kaltem Wasser 
durchknetet und auswäscht; es ist hierbei eine etwa 8 
bis 10 malige Erneuerung des Wassers notwendig. Prüft 
man das Wasser dann mit Phenolphthalein, so reagieren 
die ersten Portionen sauer, die letzten nicht mehr. Die 
gewaschene Butter wird dem bis zum Kochen erhitzten 
Nahrungsgemenge zugesetzt und dann wird tüchtig durch¬ 
gequirlt, wobei sich die Butter in Form einer feinen 
Emulsion verteilt. 

N i e m a n n brachte nun diese gewaschene Butler 
in Anwendung auch ■ bei Kindern, welche vorher eine 

ürisii I f 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 1. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


geringe Toleranz gegen Kuhmilchfett gezeigt hatten. Es 
ergab sich eine Überlegenheit der gewaschenen Butter, 
welche in einer Menge bis zu 5 Proz der Gesamtnahrung 
in Verwendung kam, insofern, als sich bei den hiermit 
genährten Kindern nicht nur eine gute Zunahme, sondern 
auch, bei guter Entwicklung der statischen Funktionen 
und guter Stimmung, eine Besserung des Turgors, frische 
Hautfarbe und grössere Widerstandskraft gegen In¬ 
fektionen einstellte. Auch die exsudativen Erscheinungen 
wurden nicht verstärkt, es kam im Gegenteil in einem 
Falle zur Abheilung eines ausgebreiteten Ekzems unter 
dieser Ernährung. 

Als beispielsweise Zusammenstellung eines solchen 
Nahrungsgemenges gibt N i e m a n n folgendes Rezept, 
wobei natürlich je nach Beschaffenheit des vorliegenden 
Falles die einzelnen Komponenten in ihrer Menge ge¬ 
ändert werden können. 

500 g Magermilch, 

500 g 5 proz Mondaminabkochung, 

50 g gewaschene Butter, 

50 g Malzextrakt. 

Von den Kindern, welche ich bei dieser Ernährung 
beobachtete, reagierte keines mit Durchfällen; die Stühle 
waren stets trocken und alkalisch Auch bezüglich der 
exsudativen Diathese stimmen meine Beobachtungen mit 
denen N i e m a n n s überein. 

Unser ernährungstherapeutisches Vorgehen beim 
kranken, künstlich genährten Säugling wird jedoch be¬ 
herrscht von der durch Finkeistein und Meyer 
angegebenen Eiweissmilch. Es erübrigt sich, auf Einzel¬ 
heiten einzugehen, nur kurz sei hier ihre Anwendungs¬ 
form nach Finkeistein wiederholt, weil sie im all¬ 
gemeinen auch massgebend ist für die Anwendung der 
verschiedenen, später zu besprechenden Ersatzpräparate. 

Bei Dyspepsie, Dekomposition und 
parenteraler Infektion mit gleichzeitig 
bestehender Diarrhoe 1 und Gewichtsabsturz beginnt man 
nach östündigerTeediät (dünner Teeaufguss mit Saccharin 
gesüsst, 1 Saccharintablette auf '/, 1 Tee) und eventl. 
Verabreichung eines Abführmittels (Ol. ricini.) mit zirka 
300 g Eiw'eissmilch 3 Proz. Nährzuckerzusatz inner¬ 
halb der nächsten 24 Stunden; dann täglich rasches 
Steigern der Menge bis 180—200 g pro Kilo Körper¬ 
gewicht, auch bei Weiterbestehen schlechter Stühle. 
Wenn nach Erreichen dieser Menge sich keine Gewichts¬ 
zunahme einstellt, weiteres Steigern der Kohlehydrate 
auf 4- 5—7 Proz , eventl. Zusatz von 2 Kohlehydraten. 
(Mehl oder Seefeldners Kindergries neben Nährzucker.) 

Bei subtoxischen Zuständen und Intoxikationen ver¬ 
abreicht man 12—24 Stunden nur Tee mit Saccharin, 
dann den nächsten Tag 10x5 bis 10 g Eiweissmilch 
-t- 3 Proz. Nährzucker; nebenbei genügend Tee oder 
Ringersche Lösung. Dann Steigern der Menge anfangs 
um 50 g täglich, dann nach einigen Tagen um 100 g 
täglich bis zu 180—200 g pro Kilo. Die Gesamtmenge 
von 1000 g wird nicht überschritten. 

Wenn man bei einer Menge von 100 g Eiweissmilch 
pro Kilo angelangt ist, soll bei dieser Dosis die voll¬ 
kommene Entgiftung abgewartet werden, dann erst 
Steigern der Menge und später, wenn notwendig, auch 
der Kohlehydrate; daneben Herzmittel. 

Die Erfahrungen mit Eiweissmilch sind unbestritten 
gute. Wenn trotzdem eine Reihe anderer Herstellungs¬ 
methoden .und Ersatzpräparate existiert, und zum Teil 
auch schon vielfach in Verwendung stehen, so liegt der 
Grund nicht daran, dass diese Ersatzpräparate bessere 
Resultate liefern als die Eiweissmilch, sondern weil sie, 
teilweise wenigstens, leichter zu beschaffen, einfacher in 
ihrer Herstellungsart und billiger im Preise sind. 

Es ist praktisch schwer möglich, die Eiweissmilch 
nach der Vorschrift von Fin kelstein und Meyer 
im Haushalt einwandfrei selbst zu bereiten; infolgedessen 

Digitized by Google 


ist man angewiesen auf das Präparat der M. Töpfer 
Trockenmilchwerke, Böhlen. 

Von anderen nach dem Prinzip der Eiweissmilch 
bereiteten Nahrungsmengen sind zu nennen die von 
Heim und John und die von Engel angegebenen 
Methoden; ferner die Quarkfettmilch von Rietschel- 
Aschenheiin und die nach der Vorschrift von 
Erich Müller bereitete Eiweissmilch. 

Nach Heim und Johns Vorgehen wird ihre Ei¬ 
weissmilchersatznahrung in der Weise dargestellt, dass 
das durch Auslaben aus V, 1 Vollmilch bei 40’ C ge¬ 
wonnene Kasein-Fettgerinnsel nach feiner Verteilung in 
2 / 3 1 Wasser von 80 1 C 3 Minuten lang nicht über 88 ° C 
erhitzt, dann mit */, 1 Kuhmilch versetzt und Nährzucker 
zugegeben wird. Buttermilch kommt hierbei nicht in 
Anwendung. 

Die von Engel angegebene Herstellungsart ist 
folgende: 1 1 aufgekochte Milch wird auf 40—42° C ab¬ 
gekühlt, dann mit in Tablettenform dosiertem Lab zur 
Gerinnung gebracht,'/, Stunde stehen lassen, dann wieder 
erwärmt auf 40’ C, worauf die Gerinnung aufzutreten 
pflegt. Sodann wird der geronnenen Milch 1 1 abge¬ 
kochtes Wasser zugesetzt und gut gemischt. Nach zirka 
einer weiteren '/, Stunde haben sich die Kaseinflocken 
am Boden abgesetzt, worauf dann 1 1 der oben stehenden 
Flüssigkeit abgegossen wird. Der übrigbleibende 1 1 
stellt die Eiweissmilch dar, der dann noch Kohlehydrate 
nach Vorschrift zugesetzt werden müssen. 

Die Quarkfettmilch wird nach Aschenheim 
nach folgenden Vorschriften gewonnen : 

1. II. 

330 g Vollmilch, 500 g Vollmilch, 

100 g Quark, 100 g Quark, 

75 g Sahne, 10 Proz., 100 g Sahne 10 Proz., 

ca. 495 g Wasser (mit ca. 300 g Wasser (mit Mehl 

Mehl und Zucker). und Zucker). 

Man setzt entweder den rohen Quark zu der auf¬ 
gekochten Milch und Sahne oder es wird der Quark zur 
rohen Milch und Sahne gegeben und die fertige Mischung 
10 Minuten lang auf 80° C im Wasserbad erwärmt. 

Erich Müller bereitet eine Eiweissmilch nach 
folgender Angabe. Man mischt 1 1 Buttermilch mit 1 1 
Wasser, kocht dann 2—3 Minuten lang und lässt diese 
Mischung etwa ’/, Stunde im Zimmer stehen; während 
dieser Zeit hat sich der Käse zu Boden gesenkt und 
darüber steht die Molke. Von der Gesamtflüssigkeit 
werden nun vorsichtig etwa */, abgegossen, der Rest gut 
umgerührt, in das Mischgefäss von 1 1 gegossen und 
'/„ 1 Sahne, die vorher kurz aufgekocht, hinzugefügt. 
Dann werden 30—50 g Nährzucker dazugetan und das 
Ganze unter Umrühren mit einem Teil der vorher abge¬ 
gossenen Molke auf 1 1 aufgefüllt. 

Ferner bringen die Milchwerke Zwingenberg eine 
Dr. Sauers Eiweissmilch und eine Dr. Sauers 
Maltose-Eiweissmilch in den Handel, welche pro 1 I auf 
75 Pfg. bezw. 1 Mk. zu stehen kommt. Der Aschegehalt 
dieses Präparates ähnelt nicht dem der Finkei¬ 
stein sehen Eiweissmilch. Stöltzner macht darauf 
aufmerksam, dass insbesondere die zweckmässige An 
reicherung mit Kalzium durch die andere Art der Casein¬ 
gewinnung (Säurefällung) nicht zustande kommt. 

Zur allgemeinen praktischen Verwendbarkeit als 
Ersatz der Finkeistein sehen Eiweissmilch kommen 
2 Präparate in Betracht, welche bei einfachster An¬ 
wendungsweise es ermöglichen, eine brauchbare Eiweiss¬ 
milch zu gewinnen. Es sind dies das nach S t ö 1 t z- 
ners Angabe von der Firma La. Roche u. Co. in 
Grenzach hergestellte L a r o s a n und das T rical- 
col-Casein der Firma Dr. W. W o 1 f f u. Co. 
in Elberfeld. 

Das L a r o s a n ist ein Casetn-Kalziumpräparat in 
Pulverform, von welchem zwecks Herstellung einer Ei- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







6 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 1. 


weissmilch 20 g mit ungefähr dem dritten Teil eines 
*/ s I frischer Milch kalt angerührt wird, während in¬ 
zwischen die beiden anderen Drittel des ’/» 1 Milch zum 
Kochen gebracht werden. Dann wird beides gemischt 
und unter Umrühren 5—10 Minuten lang gekocht. Zum 
Schluss wird die gleiche Menge Verdünnungstlüssigkeit 
(Wasser mit Zusatz von Kohlehydraten je nach Lage 
des Falles) zugesetzt. 

Bei jungen Säuglingen der ersten 6—8 Lebens¬ 
wochen scheint sich der Zusatz von 2 Teilen Ver- 
dünnungsllüssigkeit zu 1 Teil Milch besser zu bewähren, 
jedoch möchte ich empfehlen, hierbei nicht allzulange 
auf eine Besserung zu warten, um nicht den rechtzeitigen 
Moment zu der eventuell doch noch notwendig werdenden 
Brustmilchtherapie zu versäumen. Im allgemeinen aber 
bessert sich das Stuhlbild nach Verabreichung von Larosan- 
milch auffallend rasch, und ebenso auch das Allgemein¬ 
befinden des Kindes, während sich, wenigstens nach 
meinen Erfahrungen bei Anstaltssäuglingen, eine Ge¬ 
wichtszunahme langsamer erzielen lässt als mit 
Finkeistein scher Eiweissmilch bei gleicher Er¬ 
nährungstechnik. Die Larosanmilch wird wegen ihres 
besseren Geschmackes von den Kindern lieber genommen 
als Eiweissmilch und weniger häufig erbrochen. 

Und schliesslich kommt zur einfachen Darstellung 
einer brauchbaren Eiweissmilch noch das T ricalcol- 
Casein in Frage. Die Zubereitung ist die gleiche 
wie die der Larosanmilch. Man benötigt zur Herstellung 
von 1 1 Tricalcol-Casein-Milch 20 g des Pulvers, ’/a 1 
Milch und 'j, 1 Wasser; als Kohlehydratzusatz wählt 
man am zweckmässigsten gleich von vornherein 1—3 
Prozent Nährzucker oder Nährmaltose. 

Auch hier kann man bei jungen Säuglingen mit '/, 
Milch und 2 /., Verdünnungsflüssigkeit beginnen. Meine 
Beobachtungen an klinischen und poliklinischem Material 
ergaben eine Gleichwertigkeit der Tricalcolcase'in-Milch 
mit der Larosanmilch. 

Die folgende Vergleichstabelle diene zur Orientierung 
über Zusammensetzung und Preis dieser Präparate. 

Eiweissmilch Larosanmilch Tricalcol-Casei'n-Milch 

(Finkelstein-Meyer) (nach Prof. Stöltzner) (nach Dr. Wolff.) 
pro 1 1 pro 1 1 pro 1 1 

Eiweiss: 30 34,5 30 

Fett: 25 17,5 17,5 

Zucker: 15 22,5 22,5 

P 2 O a : 1,35 1,22 1,62 

CaO: 1,44 1,36 1,86 

Preis: 1 Mk. 55 Pfg.*) 47 Pfg.') 

Während demnach die neueren Versuche einer 
künstlichen Ernährung des Säuglings zum Teil zurück¬ 
greifen auf das von Biedert schon angegebene, von 
vielen Seiten aber heftig angefeindete Prinzip einer mög¬ 
lichst vollkommenen Nachahmung der Frauenmilch — 
auch Biedert hatte eine Molkenreduktion und teil¬ 
weise auch eine Adaption erzielt, allerdings nicht mit 
dem Nachdruck betont, wie es heute geschieht, — domi¬ 
niert in der Therapie mit künstlichen Nährgemengen 
beim ernährungsgestörten Säugling das in der Eiweiss¬ 
milch in Anwendung kommende Prinzip der Eiweiss¬ 
und Kalkanreicherung bei Molkenreduktion nach 
Fink eistein und M eyer, das in der Larosan¬ 
milch und Tricalcolcaseinmilch eine auch in der Aussen- 
praxis leicht zu ermöglichende Anwendungsform gefunden 
hat. — 

Beitrag zur Eisentherapie. 

Von Dr. med. R. Schmincke, Bad Elster. 

Vor etwa 20 Jahren trat Bunge mit der Behaup¬ 
tung auf, dass die Wirkung des Eisens bei Bleichsucht 
und Blutarmut auf Suggestion beruhen müsse, da ja das 

*) Der */ s 1 Kuhmilch mit 15 Pfg. berechnet. 

Digitized by Google 


in den Magen aufgenommene Eisen gar nicht aufge¬ 
saugt würde. Scheinbar fand diese These einmal ihre 
Stütze darin, dass bei Aufnahme des Eisen durch die 
Verdauungsorgane sich fast alles Eisen im Kot wieder¬ 
fand, wälirend die im Urin ausgeschiedenen Eisenmengen 
sich gar nicht oder unwesentlich vermehrten. Eine 
weitere Stütze schien diese Annahme darin zu finden, 
dass bei der Aufnahme in den Magen weder akute noch 
chronische Eisen Vergiftungen beobachtet wurden, dass 
dagegen das in das Blut eingeführte Eisen sich als sehr 
giftig erwies. Obwohl der letztere Einwand sich leicht 
durch die Tatsachen ablehnen liess, dass auch andere 
Medikamente, wie die Kalisalze und das Kurare, zwar 
vom Darm aus in reichlicher Menge aufgenommen 
wurden ohne giftig zu wirken, während sie, in das 
Blut gebracht zu den stärksten Giften gehören, herrschten 
doch bezüglich der Eisenaufnahme durch den Magen- 
Darmkanal die widersprechendsten Meinungen. 

Erst die Untersuchungen von Kunkel, Gott¬ 
lieb, Quincke, Gaule und anderen brachten Licht 
in dieses Dunkel. Diese Forscher konnten durch Ver¬ 
suche zweifellos nachweisen, dass das Eisen vom Dünn¬ 
darm, besonders vom Zwölffingerdarm, aufgenommen 
wurde, zum Teil als Eisendepots in Leber und Milz 
aufgehäuft und nach seiner Wirkung weniger durch die 
Nieren als im D i c k d a r m ausgeschieden wurde. 

Bickel hat nun neuerdings Untersuchungen über 
die Resorption des Eisens im Dünndarm angestellt. Er 
legte bei einem grossen Jagdhunde eine permanente 
seitliche Darmfistel im oberen Dünndarm an. Nun ver¬ 
abreichte er dem Hunde nüchtern 200 ccm Pyrmonter 
Stahlcjuelle, die 11,2 mgr Fe enthielt. Die aus der 
Fistel gewonnene Flüssigkeit enthielt nur noch 1 mgr 
Fe. Er gab nun dem Hunde nach einer Stunde weitere 
200 ccm Eisenquelle, die jetzt wiedergewonnene Flüs¬ 
sigkeit enthielt nun 11,2 mgr Fe. Sie entsprach also 
hinsichtlich ihres Eisengehaltes dem Ausgangswert. Die 
nach 2 Ruhetagen verabreichte Eisenmenge wurde wieder 
vollständig resorbiert, so dass die Fistelflüssigkeit kein 
Fe mehr aufwies. Bickel schliesst aus dieser Beobach¬ 
tung, dass der Dünndarm der Eisenresorption gegen¬ 
über leicht ermüdet und sich dann weiterer Eisenzu¬ 
führung gegenüber refraktär verhält. 

Hiermit ist also die Aufsaugung der Eisensalze vom 
Magen-Darmkanal exakt erwiesen worden und somit 
die Grundlage für weitere Fragestellungen bezüglich der 
Eisenwirkung gegeben. 

Es lag nun nahe, anzunehmen, dass das medika¬ 
mentös eingeführte Eisen direkt zur Blutfarbstoffbildung 
verwandt würde. Nun ist aber in der täglichen Nahrung, 
wenn auch in organisch festgebundener Form, das Eisen 
in solcher Menge vorhanden, dass es bequem die zur 
Blutfarbstoffbildung nötigen Eisenmengen liefern könnte; 
es müsste also diese Nahrung die Blutarmut heilen 
oder aber wenigstens verhindern können. Tatsächlich 
ruft aber nicht der Eisenmangel der Nahrung die Bleich¬ 
sucht hervor, denn in der Nahrung bekommt das chlo- 
rotische Mädchen, welches an demselben Tisch sitzt 
wie ihr gesunder Bruder, dieselben Eisenmengen zuge¬ 
führt wie dieser. Es müssen also bei der Bleichsucht 
und manchen Anämien, wenn Blutverluste und Unler- 

O von Blutkörperchen ausgeschlossen werden können, 
tionsstörungen der blutbildenden Organe, der Milz 
und des Knochenmarkes vorhanden sein, welche eine 
normale Blutzusammensetzung und Blutfarbstoffbildung 
verhindern, zumal da ja bei der Chlorose und allen 
Anämien nicht nur ein Blutfarbstoffmangel, sondern auch 
eine Verminderung der Menge der roten Blutkörperchen 
besteht. 

Harnack und von Noorden haben deshalb 
angenommen, dass die Eisenpräparate direkt als Reiz 
auf die blutbildenden Organe, die Milz und das 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 1. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


7 


Knochenmark wirken und erst in zweiter Linie zum 
Aufbau von Farbstoff verwendet werden. 

Diese Annahme hat neuerdings ihre Stütze in ana¬ 
tomischen Untersuchungen von Ä. Hoff mann und 
Franz M ü Ile r gefunden, welche nach Eisendarreichung 
das Knochenmark von blutarm gemachten Tieren viel 
roter und reicher an Blutzellen fanden wie das der 
Koiitrolltiere, welche kein Eisen erhielten. Zur Klärung 
dieser Frage habe ich bei einer Reihe von Patienten (12) 
folgende Yersuchsanordnungen getroffen. 

Ich habe mittels der von mir konstruierten Häma¬ 
tokritröhrchen die Menge der roten Blutkörperchen vor, 
während und nach einer Trinkkur mit Eisenquellen be¬ 
stimmt. Gleichzeitig wurde mittels des Sahlischen Hämo¬ 
meters der Farbstoff des Blutes jedesmal festgestellt. 

Wirken die Eisenquellen nur oder wesentlich auf 
die Blutfarbstoffbildung, so muss bei ihrem Gebrauch 
sich die Blutkörperchenmenge gar nicht oder unwesent¬ 
lich vermehren, dagegen der Blutfarbstoff zunehmen. 
Wirken sie dagegen anregend auf die blutbildenden 
Organe, so muss zuerst die Menge der roten Blutkörper¬ 
chen und mit dieser auch der Farbstoff zunehmen. 

Die Untersuchungen wurden selbstverständlich mit 
allen Kautelen angestellt und stets Doppelbestimmungen 
gemacht. 

Diese Untersuchungen ergaben die Tatsache, dass 
nach Gebrauch der Eisenquellen zuerst die Menge der 
roten Blutkörperchen wuchs, dass damit aber die Blut¬ 
farbstoffzunahme nicht parallel ging, sondern geringer 
blieb, als nach der Menge der roten Blutkörperchen zu er¬ 
warten stand. Erst nachdem eine beträchtliche Vermeh¬ 
rung der roten Blutkörperchen stattgefunden hatte, stieg 
(in der 4. resp. 5. Woche) auch der Blutfarbstoff, 

Es geht also aus diesen Versuchen zweifellos her¬ 
vor, dass die Eisenquellen zuerst durch Reizung 
der blutbildenden Organe die Zellbe¬ 
standteile im Blute vermehren und erst 
später diese neugebildeten, noch blutstoff¬ 
armen Blutkörperchen an Farbstoff zu¬ 
nehmen. 

Die Untersuchungen zeigen uns ferner, dass wir 
mit der Eisendarreichung nicht zu frühe aufhören dürfen, 
sondern mit Rücksicht auf die meist erst spät eintreten¬ 
de Hämoglobinzunahme dieselbe mindestens 5—6 Wochen 
streng durchführen müssen. 


Neue Arbeiten aus dem Gebiete der Magen- und 
Darmkrankheiten. 

Von Dr. Martin Kaufmann in Mannheim. 

„Beiträge zur Untersuchung des 
Mageninhalts ohneSonde“ liefert Hugo 
Friedrich (Berlin-Steglitz). Er bespricht die An¬ 
wendung des von der Firma G. Pohl-Schönbaum nach 
seiner Anweisung hergestellten Gastrognost. (Cf. Berl. 
klin. Woch. Nr. 26, 1912.) Bei halbstündiger Verweil¬ 
dauer im Magen bedeutet ein brauner bis violetter 
Farbenton des Fadens unternormale, ein blauschwarzer 
übernormale Säurewerle; bei Zweifel, ob man normale 
oder übernormaleWerte annehmen soll, lässt man trocknen; 
ein reines Blau bedeutet Hyperchlorhvdrie. Die Länge 
der gefärbten Strecke hat mit der Menge des Magen¬ 
inhalts nichts zu tun. Dagegen bedeutet unregelmässige 
Fleckung des Fadens einen schlecht gemischten d. h. 
schlecht chymifizierten oder auch schleimdurchsetzten 
Mageninhalt, also meist einen Kartarrh. Ist der Faden 
am Metall rot, weiter oben blau, so ist anzunehmen, dass 
das vordere Stück schon im Darm war, dass also Hyper- 
tnotilität besteht, dies auch, wenn die rote Farbe erst 
nachdem Trocknen auftritt. Es ist also von Wichtigkeit, 
den Faden sowohl frisch ass auch nach dem Trocknen zu 

Digitized by Google 


betrachten. Zeigt der Gastrognost Fehler, die Aus¬ 
heberung Vorhandensein freier Säure an, so war der 
Faden gar nicht im Magen infolge eines Fehjers in der 
Technik des Arztes; im umgekehrten Fall hat der 
Gastrognost Recht. (Boas’ Archiv, Bd. 19 H. 5.) 

Zwei Arbeiten (Boas’ Archiv, Bd. 20, fl. 1) be¬ 
schäftigen sich mit der Boasschen Chlorophyllprobe: eine 
aus der innern Abteilung des Augustakrankenhauses in 
Düsseldorf - Rath von II. Kemmerling (Über 
die Boassche Chlorophyllprobe zur 
Bestimmung der Magenmotilität) und 
eine aus der Boaschen Privatklinik von B. Wartens¬ 
leben (Über Motilitätsbestimmung 
des Magens, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Boasschen Chloro¬ 
phyllmethode), Während Wartensleben fest¬ 
stellt, dass die Boassche Probe mit der Röntgenmethode 
in 78 Proz., mit der Leubeschen Methode in 76 Proz. 
übereinstimmt, und zu dem Resultate kommt, dass die 
Chlorophyllmethode sehr gute Resultate liefert, die in 
Zweifelsfällen unter Umständen höher zu bewerten sind 
als die der Kontrolluntersuchungen; „und auf denkbar 
einfache Weise eine annähernd quantitative Schätzung 
der Leistungsfähigkeit des Organs erlaubt“, kommt 
Kemmerling zu dem Resultat, dass die theoretisch gut 
erdachte und in vielen Fällen auch praktisch brauchbare 
Resultate gebende Probe wegen der ihr anhaftenden 
Fehlerquellen zur allgemeinen Einführung in die Praxis 
vorläufig noch nicht empfohlen werden kann; die Tat¬ 
sache, dass sie in der Mehrzajil der Fälle (62 Proz.) mit 
der Leubeschen und der Röntgenbeobachtung überein¬ 
stimmende Resultate ergeben hat, beweist aber, dass der 
Grundgedanke richtig ist, und dass es der Mühe wert 
ist, die noch vorhandenen Fehlerquellen auszuschalten. 

Aus der Wiener Klinik von Noordens berichtet 
(Boas’ Archiv, Bd. 19, FI. 6) S. B o n d i ausführlich 
über ,,D ie selbsttätige Drainage des 
Magens und Duodenums und ihre An¬ 
wendung für die klinische Diagnos e.“ 
Ein kurzes Referat über die Arbeit lässt sich nicht 
geben; sie muss im Original nachgelesen werden. Im 
ganzen wurden bei 153 Fällen 200 Untersuchungen vorge¬ 
nommen, deren Ergebnis Vf. dahin kennzeichnet, dass die 
Methode jetzt soweit ausgearbeitet ist, dass die Re¬ 
sultate mit Kritik verwertet werden können. Er hält 
die Methode bei gewissen Magenerkrankungen sogar 
den bisherigen Untersuchungen für überlegen, besonders 
bei Atonie und Hypersekretion; die Pankreasekretion 
lässt sich besser als auf jede andere Weise prüfen, ebenso 
die Gallensekretion; die Frage, ob kompletter oder in¬ 
kompletter Gallengangverschluss, lässt sich nur auf diese 
Weise lösen, ebenso die Prüfung der Galle auf Urobili- 
nogen nur so anstellen usw. 

Nach Seymour Basch (,,D i e Anwen¬ 
dung des Karmins zur Magendarm¬ 
diagnose“, Boas’ Archiv, Bd. 20, H. 1) besitzen 
wir in der Karminprobe ein einfaches, harmloses, ver¬ 
lässliches und handliches Prüfungsverfahren für die 
Trennung der Fäzes, die Bestimmung der Magendarm- 
motilität und -wegsamkeit, zur Feststellung von Fistel¬ 
kommunikationen zwischen dem Verdauungskanal und 
dem Körperäusseren oder anderen Eingeweiden, zum 
Nachweis des distalen Endes der Duodenalsonde im 
Duodenum schliesslich ein Hilfsmittel bei der Unter¬ 
scheidung zwischen Ösophagusdivertikel und -dilatation. 

Von I. M a t k o wird aus der Ortnerschen Klinik 
in Wien „E in Beitrag zur quantitativen 
Beurteilung der Pankreasfunktion“ 
geliefert. (Boas’ Archiv, Bd. 19, H. 6.) Er beanstandet 
bei den bisherigen Methoden der Trypsinbestimmung 
im Stuhl die Art der Stuhlgewinnung und der Be¬ 
rechnung. Er geht so vor: Die Patienten bekommen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





8 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 1. 


'/> Stunde nach einem flüssigen Nachtessen 15 g Karls¬ 
bader Salz in 300 ccm Wasser, 2 Stunden danach ein 
reichliches, hohes Seifenwasserklysma (evtl, um 1 Uhr 
nachts noch ein zweites). Um 7 Uhr früh wird ein ma¬ 
geres Schnitzel von 130—150 g mit 0,3 Karmin (ad 
caps. gel.) gereicht, genau 2 Stunden später nochmals 
15 g Salz in 200 ccm Wasser und nochmals 200 ccm 
Leitungswasser. Der Stuhl erfolgt dann fast regel¬ 
mässig flüssig 4—5 Stunden nach dem Schnitzel (evtl, 
gibt man nach 4 Stunden nochmals 10 g Salz). Alle Stuhl¬ 
portionen werden an. einem kühlen Ört gesammelt, die 
Karminstühle zusammengegossen, und ihre Menge genau 
gemessen. Dann filtriert man. Im Filtrat bestimmt Vf. 
dann das Trypsin nach der von Orlowski modifizierten 
Gross sehen Methode, berechnet aber das Trypsin nicht 
auf 1 ccm, sondern auf die Gesamtmenge des Stuhls, 
weil nur dadurch ein Vergleich der absoluten Trypsin - 
mengen in den einzelnen Fällen möglich ist. Normal 
scheinen absolute Trypsinmengen von 6000 bis über 
100000 Einheiten zu sein. Von den Befunden des Vfs, 
ist noch von Bedeutung, dass die Trypsinwerte im 
Stuhl und der Antitrypsingehalt des Blutes in einzelnen 
Fällen ein auffallendes Parallelgehen zeigt. 

Untersuchungen „Über den Diastase- 
gehalt der Fäzes“ hat auf der Prager medizi¬ 
nischen Klinik H. R o t k y angestellt. (Münch, med. 
Woch. Nr. 39, 1913.) Er tritt der Ansicht Starkensteins 
bei, dass die bisher meist verwendete Wohlgemuthsche 
Methode mit vielen Fehlerquellen behaftet ist, und dass 
es daher nötig ist, mit Organpulvern zu arbeiten, da 
man so unabhängig vom Wassergehalt der Stühle ist und 
zu quantitativen vergleichszahlen gelangen kann. Auch 
in den Fäzes ist die Aktivierung der Diastase von der 
Salzkonzentration abhängig; zur Bestimmung der 
diastatischen Kraft der Fäzes soll man stets von dialy- 
siertem Material ausgehen und durch Salzzusatz den 
optimalen Wert ermitteln. Zum Vergleich soll stets der 
optimale Wert herangezogen werden. Es zeigt sich 
schon aus der kurzen Versuchsreihe des Vfs, (9 Fälle), 
dass bei Verwendung von genau berechneten Suspen¬ 
sionen des Stuhlpulvers die Schwankungen für den 
diastatischen Fermentgehalt sich in nicht allzuweiten 
Grenzen bewegen. Durch grössere Untersuchungsreihen 
wird man nun versuchen müssen, einen Durchschnitts¬ 
normalwert zu ermitteln, und dann bei verschiedenen 
Erkrankungen eventuell Schwankungen desselben zu be¬ 
obachten und diagnostisch zu verwerten. 

Auf der medizinischen Klinik zu Halle a. S. hat 
(der inzwischen einer im Berufe akquirierten Diphtherie¬ 
infektion erlegene) Hermann Bertheau Unter¬ 
suchungen über die Frage angestellt: „W eichen 
Einfluss hat die Düngung, das Alter 
und die Frische des Gemüses auf 
seine Verdaulichkeit und den Zellu¬ 
losegehalt?“ Es ergeben sich zweifellos gewisse 
Einflüsse der genannten 3 Faktoren auf Zellulosegehalt 
und Verdaulichkeit, aber bei den einzelnen Gemüsen 
machen sich diese Einflüsse in sehr verschiedener Weise 
und Intensität geltend, so dass eine Verallgemeinerung 
nicht zulässig ist. Das auf mit Stallmist gedüngtem 
Boden gewachsene Gemüse ist im allgemeinen den Ver¬ 
dauungssäften am meisten zugänglich, nächstdem das 
auf künstlich gedüngtem Boden gewachsene; ja bei Voll¬ 
düngung sind die Resultate teilweise noch besser als bei 
Stalldüngung. Am schlechtesten sind sie bei auf unge- 
düngtem Boden gewachsenen Gemüse. Längere Lage¬ 
rung oder grösseres Alter erhöhen im allgemeinen die 
Widerstandskraft der Gemüse gegen die Verdauung. 
Ganz ähnlich wirken die verschiedenen Faktoren auf 
den Zellulosegehalt der Gemüse, und im allgemeinen 
gehen Höhe des Zellulosegehalts und Resistenz gegen 
die Verdauungssäfte einander parallel. Jedenfalls können 


Digitized by 



wir durch geeignete Behandlung des Bodens einen nicht 
geringen Einfluss auf Verdaulichkeit und Zellulosegehalt 
der Gemüse gewinnen. 

Eine Studie ,,U ber Gastroptose“ bringt 
W. Backman (Finska läkaresällsk. handl. Nr. 1 1, 
1913). Er hat 1135 Personen, nämlich 442 Männer und 
693 Frauen, auf das Vorkommen von Gastroptose unter¬ 
sucht. Er unterscheidet leichte Ptosen: kleine Kurvatur 
an oder unterhalb der Mitte zwischen Schwertfortsatz 
und Nabel, und hochgradige Ptosen: Kurvatur in oder 
unter Nabelhöhe, Als Untersuchungsmethode diente 
meist die Aufblähung durch mässige Mengen CO,, Von 
den Frauen hatten 66,7 Proz. eine leichte, 3,5 Proz. eine 
hochgradige Ptose, von den Männern 42,5 bezw. 0 Proz. 
Die Ptose kam in allen Altersperioden vor. Etwa die 
Hälfte der Fälle hatten keine dyspeptischen Beschwerden ; 
die gleichen Symptome wie bei Ptose kamen auch bei 
normaler Lage vor, so dass also die Ptose als solche in 
der Regel keine krankhaften Svmptome bedingt. Die 
Sekretion zeigte (untersucht an 130 Fällen) wechselnde 
Verhältnisse, eher Neigung zu Hypazidität. Die Motili¬ 
tät war bei 46,2 Proz. der Ptosen, bei 38 Proz. der 
Normalfälle herabgesetzt. — Da bei '/< der Fällen mit 
Ptose und schlaffen Bauchdecken kein Plätschern er¬ 
zeugt werden kann, so muss zu seiner Entstehung noch 
ein Drittes, die peristolische Atonie, hinzukommen. 
Ptose muss also, entgegen Stiller, aber conform mit den 
Durchleuchtungsresultaten, nicht mit Atonie kombi¬ 
niert sein. 

Über „Die verschiedenen F o r m e n 
der Achylia gastrica, ihre Pathoge¬ 
nese und Behandlung“ verbreitet sich A. 
A 1 b u (Therapie der Gegenwart Nr. 10, 1913). Er 
unterscheidet primäre und sekundäre Achylien: Zu 
letzteren rechnet er die senilen Formen („einer arterio¬ 
sklerotischen Schrumpfung anderer Organe vergleichbar“), 
die als Endstadium einer chronischen atrophierenden 
Gastritis eintretende Achylie (mit mehr oder minder 
reichlichen Schleimbeimengungen), die als Vorstadium 
oder Begleiterscheinung des Magenkarzinoms bestehende 
Achylie, die Achylie im Gefolge schwerer konsumierender 
Erkrankungen (Lungentuberkulose, chron. Nephritis, 
Arteriosklerose), bei Cholelithia3is, Pankreaserkrankungen, 
bei Konstitutionsanomalien (Asthenie, Chlorose usw.) Die 
primären Achylien können erworben oder angeboren 
sein. Die Entstehung der ersteren ist noch völlig dunkel; 
zu ihnen gehört auch die Achylie bei perniziöser Anämie 
(bei welcher Kombination die Achylie das primäre Leiden 
darstellt). Viel häufiger ist die angeborene Form, die 
Achylia gastrica aplastica; meist handelt es sich um 
Neurastheniker: „unter die Stigmata neuropathischer 
Konstitution ist auch die Achylia aplastica einzureihen“. 
Diese Form ist pathogenetisch wie prognostisch neben die 
orthotische Albuminurie zu stellen. Sie kommt übrigens 
auch akut und dann vorübergehend vor. 

Therapeutisch hat Vf. bei hartnäckigen Fällen seit 
langem rein vegetabilische Kost in feiner Breiform ver¬ 
sucht, mit gutem Erfolg, der wohl auf der starken Ver¬ 
minderung der Darmeiweissfäulnis beruht (Suppen, Breie, 
leichte Mehlspeisen, Fruchtsäfte, Gemüsepürees mit Butter, 
pürierte Kompotte, feine Gebäcke, Toast, Tee, Kakao, 
leichter Rotwein). Wo Yoghurt vertragen wird, wirkt es 
in ähnlichem Sinne. Bei Kombination mit Pankreasachylie 
ist neben derEiweiss auch Fettbeschränkung geboten; man 
gibt hier neben Kohlehydraten Hühner- und Kalbgelees, 
auch Milch und Heidelbeeren. Streng verboten sind rohes 
Fleisch, Räucherwaren, Gewürze, Alkohol, Schwarzbrot, 
Kaffee, rohes Obst, Salat. Medikamentös Salzsäure.! mal 
täglich 25—30 Tropfen vor, oder zur Hälfte vor und 
nach der Mahlzeit, statt dessen auch 3 mal 2—3 Azidol- 
(pepsin)-tabletten, ferner Pankreon oder Pankreatin, 3 mal 
täglich 1 Messerspitze während der Mahlzeit. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 1 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


W. L i e r und O. P o r g e s (Wien) suchen nach 
Beziehungen zwischen „D ermatosen und An¬ 
azid i t ä t“. Sie verfügen über 4 Fälle, in denen Pati¬ 
enten mit sehr hartnäckigen, juckenden Hautausschlägen 
nach Feststellung des Fehlens freier HCl durch blosse 
interne Darreichung von HCl definitiv geheilt wurden. 
Es handelte sich um eine schwere Urtikaria, um einen 
einfachen Pruritus, ferner um 2 Fälle von Neurodermitis 
chronica faciei. Offenbar kann die Sub- oder Anazidität 
bei manchen Fällen auf bisher noch unbekanntem Wege 
die Ursache hartnäckiger Hautleiden werden. (Wiener 
klin. Woch. 1913.) 

„Experimentelle Untersuchungen 
über die Ätiologie des Ulcus ventri- 
culi und theoretische Schlussfolge¬ 
rungen über die Pathogenese des 
Magen- und Zwölffingerdarmge¬ 
schwür s“ hat auf der III. med. Klinik zu Wien R. 
Latze! angestellt. (Boas' Archiv, Bd. 19, Ergänzungs¬ 
heft.) In Zusammenfassung seiner Versuchsergebnisse 
betont er, dass die Ursachen des experimentellen akuten 
lllkus der Magenschleimhaut wohl stets mehrere sind. 
Von diesen kennen wir: a) Vagusschädigung im Sinne 
der Reizung kontraktionsfördernder, aber auch kontrak¬ 
tionshemmender Fasern und Beeinflussung von vaso- 
konstriktorischen Fasern, b) Anämisierung der Schleim¬ 
haut, bewirkt durch übermässige Ausdehnung der Magen¬ 
wände, also rein mechanischer Natur, c) Bildung gastro- 
toxischer Substanzen, d) Unbekannte, durch den Flin- 
griff bedingte schädigende Einflüsse. — Die Pathogenese 
des menschlichen Ulcus ventriculi resp. duodeni ist noch 
weit schwerer zu beurteilen, beruht aber auch in jedem 
einzelnen Falle auf einer Mehrheit von Ursachen, wobei 
Vaguserkrankungen, Gastroptose und die anatomischen 
und embryonalen Verhältnisse des Duodenums eine Rolle 
spielen mögen. Die Chronizität des menschlichen Ulkus 
mag immerhin durch die Mitbeteiligung einer bakteriellen 
Noxe sowie besonders durch die Heilungsbehinderung 
durch gastrotoxische Substanzen bedingt sein. Auch 
einer Schädigung des chromaffinen Systems könnte nach 
Finzis (Pathologica 1912, IV) und des Vfs. Versuchen 
eine Bedeutung zukommen, besonders wenn man die re¬ 
lative Häufigkeit des Zusammentreffens von Gastroptose,! 
niederem Blutdruck und Ulzeration des Magens berück¬ 
sichtigt. 

Zur Frage derGastroenterostomie 
oder Resektion bei pylorusfernem Ulcus 
ventriculi liefert A. Brenner (Linz a. d. D.) 
einen interessanten Beitrag (Wiener klin. Wochenschr. 
Nr. 44, 1913). Er hat in 67 Fällen von pylorusfernem 
Geschwür die Gastroenterostomie, in 25 die Resektion 
ausgeführt. Davon starben im Anschluss an die Ope¬ 
ration von den gastroenterostomierten 10—15 ProzJ 
(von den resezierten 7 = 28 Proz.) Ohne Erfolg wurden 1 
operiert 5=7,4 Proz. (4= 16 Proz.), mit Erfolg 
45 = 67 Proz. (14=56 Proz.) Dazu kommen noch 7 
Gastroenterostomierte, von denen keine Nachricht zu er- j 
halten war. Lässt man aus der Statistik diese weg, so¬ 
wie in beiden Rubriken die an den Operationsfolgen Ge¬ 
storbenen so bleiben 50 Gastroenterostomierte (und 18 
Resezierte), welche dieDauerresultatezu beurteilen gestatten. 
Davon war die Operation ohne Erfolg bei 5=10 Proz. 
(4=22 Proz.), mit Erfolg bei 45 = 90 Proz. (14 = 77 
Proz.) und zwar mit Dauererfolg bei 33 = 64 Proz. 
(10=55 Proz.), mit schwankendem Erfolg bei 13 = 26 
Proz. (4 = 22 Proz.) Diese Zahlen zeigen jedenfalls, 
dass auch bei pylorusfernem Geschwür die Gastroentero¬ 
stomie gute und dauernde Resultate gibt, andererseits, 
dass auch die Resektion nicht vor Rezidiv und Karzinom 
schützt. 

Eine neue Therapie der Hyperazi¬ 
dität des Magens, insbesondere bei 

Digitized by Google 


ulzerösen Prozessen bespricht R. Glaess- 
n e r (Wiener klin. Woch. Nr. 39, 1913). Er betrachtet 
die Übersäuerung des Mageninhalts als eine Hauptur¬ 
sache des Magengeschwürs bezw. des Übergangs ein¬ 
facher Schleimhautulzera in kallöse Geschwüre. Ihrer 
Bekämpfung kommt daher grosse Wichtigkeit zu. 
Zweifellos beruht auch die Wirksamkeit der Gastro¬ 
enterostomie in vielen Fällen lediglich auf der neutrali¬ 
sierenden Wirkung des rückläufigen Duodenalinhalts. In 
letzterem muss, wie Vf. per exelusionem folgert, die 
Galle das in diesem Sinne wirksame Agens sein. Er 
konnte auch tatsächlich durch experimentelle und kli¬ 
nische Versuche feststellen, dass die Galle (und zwar als 
wirksamer Stoff in ihr die Cholsäure) in vitro den Pep¬ 
singehalt, in vivo ausserdem auch den Säuregehalt des 
Magensaftes herabsetzt. Die klinischen Beobachtungen 
ergaben in geeigneten Fällen eine dauernde Beeinflussung 
in diesem Sinne, ferner in vielen Fällen ein Schwinden 
der Ulkusbeschwerden. Man gibt am besten eine Emul¬ 
sion von cholsaurem Natron mit Öl ää 0,2 in Gelatine¬ 
kapseln, 2—5 Stück tägiieh. 

Th. von Openchowski liefert (Münch, 
med. Woch. Nr. 47, 1913) einen Beitrag „Zur Dia¬ 
gnostik der Lokalisation des Magen¬ 
geschwüres“. Nach ihm spricht intensiver Druck¬ 
schmerz auf dem 4. bis 7. Brustwirbel und deren Dorn¬ 
fortsätze für Sitz des Geschwürs an der kleinen Kurva¬ 
tur zwischen Kardia und Pylorus; zeigt sich die Schmerz¬ 
haftigkeit bis zum 10. Wirbel, so muss ein Geschwür in 
der Gegend des Magenkörpers angenommen werden; 
erstreckt sie sich vom 10. bis 12. Wirbel, so entspricht 
dies gewöhnlich der Lage des Geschwürs an der grossen 
Kurvatur ganz dicht am Pylorus. Die Intensität sowie 
die Irradiation der Schmerzen in die Wirbelsäule, in die 
rechte und linke Hälfte des hinteren Teils des Brust¬ 
korbs, hängen anscheinend von den Dimensionen des 
Geschwürs nach Breite und Tiefe ab. Die Lokalisation 
der Geschwüre auf Grund der subjektiven Empfindungen 
ist viel weniger zuverlässig. 

Eine relativ grosse Erfahrung ,,Ü ber das Ulcus 
duodeni“ besitzt E. Schütz (Wien). Seinem Be¬ 
richt (W. kl. W. 1914, Nr. 1, S. 1) ist zu entnehmen, 
dass er innerhalb 2 Jahre die Diagnose eines Duodenal¬ 
geschwürs in 137 Fällen gestellt hat; von den Fällen 
sind 19 durch Operation kontrolliert, und die Diagnose 
stimmte in 17 F’ällen. Die von Moynihan angegebenen 
Symptome kann er im allgemeinen bestätigen ; allerdings 
so typisch, wie sie dieser Autor schildert, ist die Anam¬ 
nese nur in einem Bruchteil der Fälle Der sogenannte 
Hungerschmerz bestand nur in 45 Proz. der Fälle. Vf. 
hält das Ulcus duodeni auch bei uns zu Lande für eine 
häufige Erkrankung. Wenn Moynihan auf 1 Magen¬ 
ulkus 5 Duodenalulzera findet, umgekehrt Ewald nur 
auf 6 Magenulzera 1 Duodenalulkus, so hat Vf. neben 
den 137 Duodenalulzera 274 Fälle von Magenulkus. 
Von den 137 Fällen sind 121 (=87 Proz.) Männer. Dem 
Alter nach standen 45 im 4., 44 im 3. Dezennium, 15 Fälle 
im 6., 25 im 5. Unter 20 und über 60 waren je 4. 
Meist bestand deutliche umschriebene Druck- und Klopf¬ 
empfindlichkeit, die meist einen mehrere cm nach rechts 
von der Mittellinie oberhalb des Nabels gelegenen Be¬ 
zirk betraf; sehr häufig bestand dort deutliche Muskel¬ 
spannung. In 50 Proz. der Fälle traten des Nachts 
Schmerzanfälle auf. In 106 Fällen bestand Hyper¬ 
azidität, in 26 normale Azidität, in 5 Subazidität; häufig 
bestand Hypersekretion. Über die Frage nach der 
Häufigkeit okkulter Blutungen kann Vf. bei seinem am¬ 
bulatorischen Material kein Urteil fällen. Der Röntgen¬ 
befund gibt keine charakteristischen Merkmale: be¬ 
schleunigte Austreibungszeit, gesteigerte Peristaltik, Druck¬ 
empfindlichkeit am Bulbus, ein persistierender,,Wismut¬ 
fleck kommen auch normal vor, können aber bei Ver- 

Origirtal from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







10 


Nr. 1. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


dacht auf Duodenalulkus die Diagnose stützen. — Das 
Ulcus duodeni ist nicht ohne weiteres Gegenstand 
chirurgischer Behandlung: es wird allerdings noch eines 
längeren Zeitraums bedürfen, um über den Erfolg der 
inneren Behandlung urteilen zu können. Das, was Vf. 
von der Gastroenterostomie gesehen hat, war nicht sehr 
günstig; die unilaterale Pylorusausschaltung scheint die 
Resultate zu verbessern, auch die Gefahr des Ulcus 
jejuni zu verringern; jedenfalls sollte man bald nach der 
Operation mit grossen Alkalidosen beginnen. Die in¬ 
terne Behandlung sollte nicht in den rigorosen Diätbe¬ 
schränkungen wie bei Ulcus ventriculi bestehen: man 
sollte eine leicht verdauliche, aber konsistente Kost in 
Zwischenräumen von 3 Stunden geben, auch für nachts 
Nahrung (Milch, Biskuit, Kakes) bereitstellen. Daneben 
muss man Alkalien und Belladonna geben. Die genannten 
Maßnahmen sind auch — ohne zu grosse Ängstlichkeit — 
in der anfallfreien Zeit zu beachten. Wichtig ist ferner 
körperliche und geistige Ruhe, Schutz vor Erkältung 
und Kälte. Eine Karlsbader Kur kann versucht werden. 
Nützt die Behandlung nichts, so ist eine typische Leube- 
kur zu versuchen. 

Über „W eitere Erfahrungen mit de in 
Duodenalgeschwür“ berichtet Einhorn-New- 
York (Boas’ Archiv, Bd. 19, Ergänzungsheft). 

Er verfügt über eine grössere Anzahl Fälle dieser 
Affektion. In 7 Fällen bestätigte die Operation die 
hauptsächlich auf Grund der positiven Fadenprobe ge¬ 
stellte Diagnose, in 2 F'ällen mit positiver F'adenprobe 
handelte es sich nicht um ein Duodenalulkus, sondern 
um eine Appendizitis und ein Magenulkus. Ein Fall 
mit negativer F'adenprobe ergab bei der Operation ein 
Duodenalulkus, ein weiterer Fall von wahrscheinlichem 
Duodenalulkus wurde nicht operiert, ln 3 Fällen sprachen 
die Beschwerden für Duodenum, die F'adenprobe für 
Magenulkus ; die Operation ergab letzteres. In weiteren 
3 F'ällen waren auch die Beschwerden des Duodenal¬ 
ulkus vorhanden, die F'adenprobe war negativ, die Opera¬ 
tion ergab Cholezystitis mit Pankreatitis bezw. Chole- 
lithiasis bezw. Pankreaskarzinom. Diese Erfahrungen 
zeigen, dass die subjektiven Symptome allein nicht für 
die Diagnose Duodenalulkus genügen, und dass die 
F'adenprobe ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel ist. 
Therapeutisch: in leichten Fällen 1—2 Wochen Bettruhe 
mit Wismuth und Magnesia, evtl, kann darauf verzichtet 
werden: in schwereren Fällen unbedingt Bettruhe, bei 
schweren Symptomen Rektal- bezw. Duodenalernährung. 
Die Operation ist indiziert: 1. bei Perforation, 2. bei 
wiederkehrenden starken Blutungen, 3. bei unbeeinfluss¬ 
baren kleinen Blutungen, 4. bei stetiger kontinuierlicher 
Hypersekretion, die von interkurrierender Ischochymie 
begleitet ist, 5. bei unstillbaren heftigen Schmerzen. 

Unter dem Titel „W eitere Erfahrungen 
über Polycythaemie bei chronischem 
unkompliziertem Duodenalgeschwür“ 
macht (Boas’ Archiv, Bd. 19, Ergänzungsheft) Fried¬ 
mann (New-York) darauf aufmerksam, dass man bei 
Moynihanschem Symptomenkomplex regelmässig hohe 
Erythrozytenwerte zwischen 5 1 / 2 und 8 Millionen findet, 
und regt an, diese Angabe nachzuprüfen; beim Magen¬ 
geschwür finde man stets sekundäre Anämie. 

„D ie Misserfolge der Gastroentero- 
anastomie bei Pylorusstenose infolge 
spastischen Verschlusses der Magen- 
f i s t e 1“ beschreibt W. Zweig- Wien (Boas’ Archiv, 
Bd. 19, H. f>). Er schildert 2 hierhergehörige Fälle aus¬ 
führlich und geht dann auf die Dauerresultate der Gastro¬ 
enterostomie wegen Pylorusstenose überhaupt ein. Er 
verfügt nur über 27 Fälle, die er aber schon seit Jahren 
in Beobachtung hat. Von ihnen blieben dauernd geheilt 
nur 10. Bei 7 kam es zu einem spastischen Verschluss 
der Gastroenterostomiefistel, und von diesen kamen 2 in- 

Digitized by Google 


folge unstillbaren Erbrechens zum Exitus. Ausserdem 
starben 2 an Collaps nach der Operation, 2 an Blutung 
nach der Operation, ln 6 weiteren F'ällen kam es zu 
einem Rezidiv des Ulkus mit Blutung. Der Optimismus 
bez. der Erfolge der Gastroenterostomie, den viele 
Chirurgen zur behau tragen, ist also nicht berechtigt. 
Gerade der spastische Verschluss der Gastroentero- 
anastomose kann zu schweren Schädigungen, ja, bei 
Hinzufügung einer Pylorusausschaltung, zu einer Kata¬ 
strophe führen. Die Ursachen dieses spastischen Ver¬ 
schlusses können sehr mannigfaltig sein. Meist ist eine 
ausgesprochene Vagotonie nachweisbar; derartige Mägen 
haben auch schon vor der Operation ohne schwere 
Pylorusstenose auffallend viel und oft erbrochen, wes¬ 
halb auch in solchen F'ällen die sonst stets eintretende 
Magenerweiterung nicht eintritt. In solchen Fällen soll 
man, wenn irgend möglich, die Gastroenterostomie ver¬ 
meiden ; sehr gute Dienste leistet bei ihnen, aber auch 
noch bei spastischem Verschluss einer Gastroentero- 
anastomose, das Papaverin, subkutan 2 mal täglich 0,05 
oder innerlich 3—4mal täglich 0,03, stets ’/<—V« Stunde 
vor der Mahlzeit. 

,.R öntge nologisch es undKlinisches 
zur Frage des Sanduhrmagens“ ist eine mit 
zahlreichen Abbildungen von Röntgenbildern aus¬ 
gestattete Studie von Reizenstein und Frei 
(Nürnberg) betitelt. Es werden 19 Fälle von Sanduhr¬ 
magen klinisch und röntgenologisch analysiert; 5 davon 
wurden operativ kontrolliert. Bemerkenswert ist bei 
den Befunden, dass die Enge der Stenose des Schirm¬ 
bildes meist stärker ausgeprägt ist, als die klinischen 
Erscheinungen vermuten lassen und die Operation er¬ 
gibt (infolge von hinzutretenden Spasmen), dass die An¬ 
nahme, Atropin lasse die spastischen und organischen 
Stenosen sicher unterscheiden, hinfällig ist, schliesslich 
dass man nicht nur an der grossen, sondern auch an der 
kleinen Kurvatur, wenn auch nur sehr selten, scharfe spitz¬ 
winklige Einziehungen finden kann, die auf ein Ulkus an 
der grossen Kurvatur schliessen lassen. 

,, Röntgenbild und Operationsbe¬ 
fund bei Pyloruskarzinomen“ hat H. 
Reichel (München) in 22 Fällen verglichen und be¬ 
schreibt die Ergebnisse unter Nebeneinanderstellung der 
beiden Befunde in Abbildungen (M. m. W. 1914, Nr. 2 
und 3, S. 64 und 137). Ohne wesentlich Neues zu 
bringen, bilden seine Darlegungen willkommenes Ma¬ 
terial, die Unentbehrlichkeit der Röntgenuntersuchung 
für die Diagnose des Magenkarzinoms darzutun. 

In einem Aufsatz ,.Znr Diagnose des 
Magenkarzinoms“ haben R. Raubitschelt 
und M. Weiser im Krankenhaus Dresden - Johann¬ 
stadt angestellte Untersuchungen mit der Wolff-Junghans- 
schen Probe niedergelegt (Boas’ Archiv, Bd. 19, Er¬ 
gänzungsheft). Diese Probe benutzt bekanntlich den bei 
Karzinom weiter als normal vor sich gehenden Eiweiss- 
abbau zur Diagnose (Cf. Berl. klin. Woch. 1911 p. 979). 
Zur Untersuchung kamen 13 F'älle von Achylie und 11 
von Karzinom. Sämtliche Patienten erhielten zunächst 
fleischfreie Kost und wurden täglich auf okkulte 
Blutungen untersucht. Der Magen wurde am Abend 
leergespült, und am nächsten Morgen das Probefrühstück 
nach 45 Minuten ausgehebert. Das Filtrat wird nun in 
steigender Weise verdünnt, und die Verdünnung mit 
Phosphorwolframsäure überschichtet, das Röhrchen dann 
in den Brutofen gestellt. Die Verdünnung, bei der keine 
Fällung mehr eintritt, ist der Fällungswert. Er betrug 
bei den 13 Achyliefällen l : 20—1 : 100; der Pepsinwert 
betrug dabei 1 : 10— 1 : 100 (mit der Jacobischen Ricin- 
probe). Es wäre also falsch, aus einem Fällungswerte 
von 1 : 100 auf Karzinom schliessen zu wollen, wie vor¬ 
geschlagen worden ist. (Einstein.) Bei den 11 Karzi¬ 
nomfällen betrug der Fällungswert 1:100 — 1:400, nur in 

Origiralfrom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


11 


Nr. 1. 


1 Fall 1:40, und hier handelte es sieh um einen Tumor 
des Pankreaskopfes. Der Pepsinwert schwankte zwischen 
1 : 10 und 1 : 100. Der Röntgenbefund stimmte in 6 
Fällen mit der chemischen Diagnose überein, in 3 war 
er zweifelhaft. Die Probe kommt für die Diagnose des 
beginnenden Karzinoms nicht in Betracht, da sie nur bei 
zerfallenden Karzinomen positiv ausfäilt. 

„Radiologische Anhaltspunkte 
zur Diagnose der chronisch enAppen- 
d i z i t i s“ liefern G. Singer und G. Holz- 
kn e c h t - Wien (Münch, med. Woch. Nr. 48, 1013). 
Sie suchen den von dem Kranken konstant angegebenen 
Schmerzpunkt durch Palpation zu fixieren und dann 
seine Organzugehörigkeit auf dem Leuchtschirm festzu¬ 
stellen. Die Füllung der in Betracht kommenden Darm¬ 
schlingen wird ziemlich sicher erreicht, wenn man (> 
Stunden vor der Untersuchung 40 g Bismut. earb. oder 
60 g Bar. sulfur. in Milchspeise verabreicht, noch besser, 
wenn man dies zweimal, nämlich 24—30 und 6 Stunden 
vor der Untersuchung gibt. Man wendet besser die 
Durchleuchtung als die Photographie an , am besten in 


liegender Stellung. Um aus dem Knäuel der in der 
Ileozoekalgegend sichtbaren Massen sich die einzelnen 
Darmschlingen kenntlich zu machen, verwendet man hier, 
statt des gewöhnlichen Ilolzknechtschen Löffeldistinktors 
eine Modifikation desselben, den Punktdistinktor — der 
am Ende statt eines Löffels ein fingerförmiges Ende und 
Metallrohr besitzt; letzteres sieht man auf dem Schirm 
und wenn man mit ihm eindrückt, kann man in dem 
durch den Druck des Instruments entwirrten Knäuel die 
am meisten druckempfindliche Stelle in ihrer Zugehörig¬ 
keit zu einer Darmschlinge feststellen. Im ganzen 
wurden bisher 25 Falle untersucht. Von ihnen gaben 0 
bei der Operation ein mit dem Röntgenbefund überein¬ 
stimmendes Ergebnis, 1 Fall ist auch ohne Operation 
eine sichere Appendizitis, in einem Fall handelte es sich 
um Appendizitis bei Situs inversus, in einem Fall konnte 
mit Sicherheit der Appendix als frei bezeichnet werden. 
Eine Reihe anderer Affektionen ist dabei allerdings stets 
in differentielle Erwägung zu stellen (Genitalien, spa¬ 
stische Obstipation, Ureter.) 


Referate und 


Allgemeines. 

Alkohol und Heer. In dem soeben zur Ausgabe gelangten 
„Taschenbuch des Feldarztes“, 2. Teil: Übertragbare Krank¬ 
heiten und innere Medizin (München, J. F. Lehmanns Verlagi, 
nimmt Geheimrat Professor von Gruber in einem Schlusswort 
Stellung zur Alkoholfrage. Dieses erscheint nicht nur für 
Militärärzte, sondern für unser gesamtes deutsches Volk von 
so grosser Bedeutung, dass sein wesentlicher Inhalt allgemein 
bekannt zu werden verdient. Der bekannte Hygieniker führt 
aus: „Das Deutsche Reich kämpft um sein Leben. Geht es in 
Trümmer, dann verlieren wir nicht allein die wirtschaftlichen 
Güter und Erwerbsgelegenheiten, die wir uns in mehr als vier 
.Jahrzehnten rastloser, friedlicher Arbeit errangen, sondern weit 
mehr! . . . Noch auf lange hinaus werden wir unsere Kräfte 
restlos einsetzen müssen, um so weit zu kommen, wie wir 
kommen müssen ... In solcher Lage ist jede Vergeudung von 
Kraft, jede Handlung, die unsere Widerstandsfähigkeit, die 
unsere Stosskraft vermindert, ein Verbrechen! Unsere Feinde 
sind stark, mutig und zähe, besser gerüstet und besser geführt, 
als es uns anfangs schien; England besonders — trotz aller 
Schwächen — ein furchtbarer Feind. Die neuen, verderben¬ 
sprühenden Waffen, die heutige Art der Kriegsführung stellen 
ebenso wie an die Heeresleitung, so an jeden einzelnen Offizier, 
ja an jeden Soldaten die höchsten Anforderungen . . . Daher 
muss alles geschehen, was geschehen kann, um jedem seine 
Vorräte an körperlicher und geistiger Kraft zu erhalten, um 
wenigsten s jede vermeidbare Auggabe, jede vermeidbare Schwächung j 
seiner Kräfte zu vermeiden. Das ist keine Zeit für Alkohol¬ 
genuss! Nicht allein Schwelgereien in alkoholischen Getränken 
müssen unbedingt vermieden und verhindert werden, auch schon 
der Gebrauch von geringen Mengen wird in der Regel vom 
Übel sein. „Das nüchternste Volk wird siegen“, hat unser 
Kaiser gesagt. Und er hat recht. Wenn etwas wissenschaftlich 
feststeht, so ist es die Tatsache, dass schon kleine Mengen von 
Alkohol schwächend und lähmend auf unsere Beobachtungs- 
fähigkeit, auf unser Gedächtnis, auf unser Urteilsvermögen, auf 
die Herrschaft unseres Intellekts über unseren Willen, unserer 
Vernunft über unsere Triebe, unseres Gehirns über unseren 
Körper einwirken, die Erfolge der Übung beeinträchtigen, unsere 
Ausdauer gegen Strapazen, unsere Widerstandsfähigkeit gegen 
äussere Schädlichkeiten vermindern. . . . Der ganz grosse und 
starke Geistesgewaltige mag auch dann noch genug Kräfte 

Digitized by Google 


Besprechungen. 


übrig behalten, um die Mittelmässigkeit überwinden zu können 
aber besser werden auch seine Leistungen durch Alkoliolgenuss 
nicht werden. Und wir Kleinen, die ohnehin nicht genug an 
körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit besitzen, wir handeln 
eiufach unverantwortlich, wenn wir auch das Wenige, das wir 
haben, noch verschwenden; besonders dort und dann, wenn 
Höchstleistungen von uns vollbracht werden müssen. Es mag 
zugegeben werden, dass im Kriege die Versuchung zum Alko¬ 
holgenuss sehr gross ist, ja dass es Fälle gibt, wo ein mässiger 
Gebrauch von alkoholischen Getränken das kleinere Übel ist, 
z. B. wenn einem nur typhusverdächtiges Wasser zur Verfügung 
stellt und keine ahgekochten Flüssigkeiten beschaffl werden 
können ; aber bei Voraussicht und gutem Willen werden solche 
Fälle Ausnahmen bleiben. Im übrigen aber weg mit den 
alkoholischen Getränken als ständige Nalmings- und Genuss- 
mittel, Einschränkung ihres Gebrauches auf das Allermindeste! 
Der Arzt, der in dieser Richtung nicht unablässig mahnt und 
warnt, der nicht alles vorkehrt, um Missbrauch zu verhindern 
und Zwangslagen vorzubeugen, der nicht vor allem seinen 
Pflegebefohlenen mit gutem Beispiel vorangeht, versäumt seine 
Pflicht!“ ' Neumann. 

Bakteriologie und Serologie. 

P h. Schönwald: Zur Behau illune der Misrhiiifcktion 
bei Tuberkulose. (Zeitschrift f. Tub. Bd. XXII, Heft 5.) 

Die bisherigen Erfahrungen des Verfassers lassen sich 
folgendermassen zusammen fassen : 

1. In Fällen von Lungen- und chirurgischen 
Tuberkulosen, in denen, wenn auch nur klinisch, die 
Diagnose auf Mischinfektion gestellt wird, versuche man durch 
Vakzinebehaudlung die Mischbakterieu zu bekämpfen und so 
die Prognose zu verbessern. 

2. Die polyvalente Wolff-Eisnersche Misch- 
\akzine kann in solchen Fällen gute Dienste leisten und die 
(zeitraubende und kostspielige) Herstellung einer Eigen- 
vukzine entbehrlich machen. 

3. Ist der Zweck der Vakzination erreicht, dann muss das 
Grundleiden entsprechend weiter behandelt werden (Tuberkulin, 
ev. Pneumothorax, bei chirurgischer Tuberkulose: Heliotherapie). 

4. Vollständiges refraktäres Verhalten gegen die Vakzi¬ 
nation ist meist ein Zeichen schlechter Prognose. 

Kant- Nervi. 

Origiralffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






12 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Innere Medizin. 

Dr. G r o a k. — Behandlung der Cholera mit Tierkolile. 
(Wien. klin. Wochenschrift No. 15, 1915.) 

Der Verfasser berichtet über seine günstigen Erfahrungen 
mit Tierkohle bei der Behandlung der Cholera. In der ersten 
Zeit seiner Tätigkeit im Choleranotspital in Wien wurde den 
Kranken noch Bolus alba gegeben, von 30 Kranken starben lt ; 
die restlichen 19, die später mit Tierkohle behandelt wurden, 
genasen sämtlich. Seit dieser Behandlung trat ein Umschwung 
in dem Verlaufe der an Cholera erkrankten Personen ein. Es 
wurde jedem Kranken, bei dem die bakteriologische Unter¬ 
suchung ein positives Resultat ergab, täglich 4 x je 5 g Tier¬ 
kohle in Lösung mit Zusatz von Kognak schluckweise gegeben. 
Die ganze Dosis auf einmal verabreicht ohne Kognakzusatz 
verursachte oft Erbrechen. Zugleich wurde die Behandlung 
durch subkutane physiologische Kochsalzinfusionen 1 — 2 1 pro 
Tag unterstützt. Die Mortalität sämtlicher so behandelter Fülle 
sank auf 12 Proz Nach eigener Erfahrung und Rücksprache 
mit vielen Kollegen, welche später Versuche mit Tierkohle an¬ 
stellten, hat sich das Mittel glänzend bei allen Arten von Gastro¬ 
enteritiden und Ruhr bewährt. J o li. W e i c k s e 1. 

Dr. Jarno. Die Mitbrteiligung der bileren bei ltiick- 
lalifieher. (Wien. klin. Wochenschr No. 16; 1915.) 

Bei der Untersuchung der Harne von Rekurrenskranken 
zeigte sich, dass der Harn, wenn auch in wechselnder Menge, 
Eiweiss enthält. Auffallend war aber der häufige Befund von 
granulierten Zylindern. Das erste Albumen konnte schon am 
ersten Tage der Erkrankung in Spuren nachgewiesen werden. 
Am zweiten Tage des Anfalls fand es sich in der Menge von 
0,5—1,5 •/„„ vor und gleichzeitig fand mau im Sediment 
massenhaft granulierte Zylinder. Nach dem Abklingen des 
Fieberanfalls, gewöhnlich am 3. fieberfreien Tage trat eine Ab¬ 
nahme der granulierten Zylinder und Hand in Hand damit 
eine Abnahme der Eiweissmenge auf. Noch einige Tage nach 
der Entfieberung wurde der Urin wieder vollkommen normal, 
es fand sich dann kein pathologischer Befund mehr im Urin. 
Der Befund im zweiten Anfall glich völlig dem des ersten 
In späteren Anfällen wurden die granulierten Zylinder und der 
Eiweissgehalt seltener. Eine dauernde Schädigung der Nieren 
blieb aber nur in ganz vereinzelten Fällen zurück. Viel 
günstiger gestaltete sich das Bild nach Neosalvarsanbehandlung. 1 
Es scheint, dass mit der Abtötung der Spirillen durch das 
Neosalvarsan auch gleichzeitig das ätiologisch schädigende 
Moment für die Nieren ausgeschaltet wird. Bei dieser Behand¬ 
lung blieb jede Nierenerscheinung aus. 

Job. W e i c k s e 1. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Dr. Wagner. Sekundäre Sehnennabt nnd Sehnenplastik 
bei SehuBrerletzungen der Hand. (Wiener klin. Wochenschrift 
No. 18; 1915). 

Die sekundäre Sehnennaht und Sehnenplastik ist möglichst 
dann auszuführen, wenn durch Schussverletzung die Streck¬ 
sehne verloren ist und durch die Kontraktur der Beuger all¬ 
mählich eine extreme Beugestellung herbeigeführt wird. Die 
Operation ist leicht in Lokalanästhesie auszuführen. Zunächst 
wird eine Blutleere der zu operierenden Hand bis hinauf zum 
Ellbogen durch die Esmarch-Binde herbeigeführt Nach Jod¬ 
anstrich wird das Operationsgebiet anästhesiert mit Novokain- 
Suprareninlösung. Dann werden die Sehnenstümpfe freipräpariert 
und angefrischt Man versucht sie unter mässigem Zug ein¬ 
ander zu nähern Gelingt dies ohne stärkere Spannung, so 
entfällt jede Plastik und es erfolgt die Naht der Sehnenendeu 
nach bekannten Methoden. Die Plastik kann man mit Narben¬ 
gewebe ausführen. Man präpariert die Haut rechts und links 
über den Sehnenstümpfen frei und sucht die Stümpfe auf. 
Daun präpariert man unter strenger Erhaltung der Kontinuität 
zwischen peripherem Sehnenende, Narbengewebe und zentralem 
Sehnenstumpfe ein entsprechend breites und starkes Band aus 
Narbengewebe frei. Nun mobilisiert man alle drei Bestandteile 
der neu zu bildenden Sehne von der Unterlage und Umgebung. 
Dann nähert man die Sehnenstümpfe einander soweit als mög¬ 
lich. Dann schneidet man das Narbenband derart aus, dass 


Digitized by 



Nr. 1. 


seine distale Schnittfläche der Grenze des peripheren Sehnen- 
8tumpfes entspricht und näht in der üblichen Weise. Um ein 
Wiederverwachsen der neugebildeten Sehne zu verhindern, kann 
man die Sehne mit in Ringer-Lösung konservierten Kalbs¬ 
arterien, oder mit frischen Kalbsarterien, die l /j Stunde in 
3 prozentiger Hyperollösung gelegen haben, umscheiden. Eine 
Umscheidung ist aber nicht unbedingt nötig, nur muss die neu- 
gebildele Sehne sehr bald vorsichtig in Funktiou gesetzt werden. 
Nach vollendeter Operation wird das Feld mit Jodtinktur gut 
ausgetupft, dann schüttet man 3 prozentige Hyperollösung darüber. 
Sodann Lösung des Esmarch, Versorgung der eventuellen Blutung 
und Hautnaht. J o h. W e i c k s e 1. 

Marine-Stabsarzt Dr. med. Burk, Kiel. —- I>le Behand¬ 
lung infizierter Weichteilwunden. — (Medizinische Klinik No. 12 
und 16, 1915.) 

Zur Verhütung von Sekretstauungen werden von Verf. auf¬ 
saugende Verbände, speziell bei starker Sekretion die Verwen¬ 
dung von Zellstoflwatte an Stelle der weissen Watte, ausgiebige 
Drainage der Wunde, Vermeidung der Tamponade mit nicht 
angefeuchteten Gazestreifen und, bei sehr grossen Weichteil- 
wundeu, eventl. ganz offene Wundbehandlung empfohlen. Bei 
Auftreten lokaler und allgemeiner Entzündungserscheiuungen 
treten an die Stelle des bis dahin angewandten trockanaseptischen 
Verbandes antiseptische Massnahmen. Hat der Jodanstrich der 
Umgebung der Wunde eine Infektion nicht zu verhüten ver¬ 
mocht, oder bestehen Zweifel darüber, ob eine solche vorliegt, 
so empfiehlt sich die Anwendung des Perubalsams und zwar 
bei trockenen und feuchten Verbänden. Billiger und ebenso 
wirksam ist P e r u g e n. Es verhindert das Verkleben der 
Verbandstoffe mit der Wundfläche und damit die Sekretstauuug. 
Ausserdem wirkt es stark chemotaktißcb und dadurch granu- 
lationsfördernd. Bei Anwendung des Perubalsams sind schwere 
Nephritiden beobachtet worden, weshalb es angezeigt ist, den 
Urin in solchen Fällen von Zeit zu Zeit zu untersuchen. 

N e u m a n n. 


Psychiatrie und Neurologie. 

B i e 1 i n g (Friedrichroda), Über Psychotherapie. Ztschr. 
f, Balneologie, Klimatologie und Kurorthygiene 1913. VI. 
No. 6. 

Der Arzt vom Sanatorium Tannenhof macht mit warmen 
Worten auf die Bedeutung einer psychischen Therapie, nament¬ 
lich in geschlossenen Anstalten, aufmerksam, und der Leser 
fühlt aus seinen Worten heraus, dass da ein Sachverständiger 
spricht. — 

Die Psychotherapie ist ein Schlagwort geworden, und ich 
vermute, die meisten halten sie für gar keine Kunst. Sie haben 
dabei so etwas wie die früheren Haustantchen im Sinne, nur 
dass der Trost jetzt in modernerer Fassung gespendet wird. 
Welch ein fundamentaler Irrtum liegt dem zu Grunde! Leichter 
wird man Chirurg oder Gynäkolog, als Psychotherapeut. Er 
braucht zwar keine besondere Handfertigkeit und detaillierte 
anatomische Kenntnisse, dafür aber eine grosse Anzahl ethischer 
und gemütlicher Eigenschaften, die selten beisammen sind. Er 
braucht zunächst ein grosses Quantum von Menschenliebe, denn 
nur sie bildet die Brücke, welche in die letzten Kammern der 
Persönlichkeit hineinführt und mit ihrer Analyse die Heilung 
ermöglicht. Er braucht zur Analyse Kenntnis der Menschen 
und ihr<r Verhältnisse, und er braucht zur Therapie Geduld, 
Ruhe, Zähigkeit, Freundlichkeit, Scharfsinn — und abermals 
Menschenliebe. Er muss — und das ist eine conditio sine qua 
non — selbst eine Persönlichkeit, ein Charakter sein, nicht ein 
Charakter mit vielen Ecken und Kanten, sondern eine in sich 
gefestigte Persönlichkeit mit einer abgeklärten Weltanschauung; 
denn nur so kann er dem gemütlich Zusammengebrochenen 
eine Stütze, ein Anker sein. Ein altes holländisches Sprich¬ 
wort fasste diese notwendigen Attribute eines guten Doktors in 
dem Satz zusammen : er muss ein Falkenauge, eine Jungfrauen¬ 
hand und ein Löwenherz haben. Wer möchte behaupten, dass 
derlei Persönlichkeiten heutzutage häufig seien? Und doch 
sind sie eine absolute Notwendigkeit angesichts der immer 
häufiger werdenden Fälle von innerlicher Insuffizienz, von 
moralischem Bankerott. Die Zukunft unseres Standes steht hier 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


13 


.Vr. I. 


auf dem Spiel, besondere wenn es sich bewahrheilet, wie 
D e j 6 r i n e und G a u c k 1 e r wahrscheinlich machten, 
dass ein grosser Teil der Lokal-System- oder Spezialisten-Leiden 
nervös-psychisch bedingt sind. 

Man hört häufig Kontroversen, welche psychische Methode 
die bessere oder die einzig richtige sei. Die Männer, die darob 
streiten, sind ohne Zweifel bedeutende Intelligenzen, aber keine 
Psychotherapeuten.' 

Die Psychotherapeuten sind Künstler, und Künstler dis¬ 
putieren nicht. Sie schaffen. Schaffen aber heisst: kompo¬ 
nieren, produzieren, synthetisch wirken, einem bestimmten Ziele 
zu, während der Zug der Zeit nach der Analyse hingerichtet ist. 

So haben wir denn die seltsame Situation vor uns, dass 
die Not der Zeit ganz anderes fordert, als das, was ihr die offi¬ 
zielle Wissenschaft bringen will. Sie liefert Verstand, und 
wir brauchen Herz Auch das grösste Quantum von Fertig¬ 
keiten, auch der schärfste Scharfsinn nützt dem nichts, welcher 
Verständnis, Freundschaft, Liebe braucht. Diese Diskrepanz 
zwischen den Bedürfnissen und ihren Befriedigen ermitteln lässt 
manche Erscheinungen unserer Tage im milden Licht des Ver¬ 
stehens erscheinen und deutet — nach Ausgleich suchend — 
über uns und unsere Zeit hinaus. 

Ärzte, die solch einem Ideal zustreben, werden aber nicht 
bloss in ihrem engeren oder weiteren Kreise segensreich wirken, 
sondern auch an sich selbst die Früchte der Selbsterziehung 
spüren. Sie werden dem Ideal des Glücklichen nahekommen, 
wie es Seneea zeichnete: Glücklich ist nicht der Mann, der 
Reichtümer aufgespeichert hat, sondern jener, der all sein Gut 
in sich selbst trägt. Aufrecht schreitet er einher und lächelt 
über die vergänglichen Nichtigkeiten. Mit niemand möchte 
er tauschen und schätzt seine Zeitgenossen nur so weit, als sie 
wahre Menschen sind. Er achtet die Natur als Meisterin, be¬ 
folgt ihre Gesetze und lebt so, wie sie es vorschreiht. Keine 
Macht auf Erden kann ihm seinen Wert rauben. Er wandelt 
Dbles in Gutes, ist sicher im Urteil, unerschrocken, uner¬ 
schütterlich. Vielleicht bewegt ihn eine Sache, aber nie bringt 
sie ihn in Aufregung; und wenn das Schicksal sein spitzigstes 
Geschoss auf ihn abschnellt, so verwundet ihn das nicht, ritzt 
ihn bloss; und auch das nur selten. — 

Diese Zeilen waren vor Ausbruch des Krieges geschrieben. 
Mittlerweile hat das Schicksal unser Volk einer harten Prüfung 
unterworfen. Unerhörte Erschütterungen sind über uns herein¬ 
gebrochen, und nicht wenige Konstitutionen haben in ihrem 
seelischen Gefüge versagt. Mit Medikamenten und Hydro¬ 
therapie ist diesen nicht zu helfen. Dass es aber in Deutsch¬ 
land Ärzte gab und gibt, welche den rechten Weg wissen, be¬ 
weist der Aufsatz von Bielin g. Buttersack. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Dr. HugoZade, Immigrath. Kritische Studie über 
das mit Aretonurie einhergehende periodische (cyclische, recur- 
rierende) Erbrechen im Kindesalter nebst dem Versuch einer ätio¬ 
logischen Erklärung der Krankheit. (Archiv für Kinderheil¬ 
kunde. 63. Band. 1. u. 2. Heft). 

Zusammenfassend präzisiert der Verfasser seine Ansicht 
über das Wesen des mit Aeetonurie einhergehenden periodischen 
Erbrechens folgenderen assen : Ein — vermutlich psychogener — 
Reiz kann nur an einem „periodischen* 1 Tage plötzlich destru- 
ierend wirken auf den Kohlenhydratstoffwechsel des kindlichen 
Körpere, wobei er gleichzeitig durch Erregung des Brechzentrums 
die Brechattacke auslöst. Wie dieser Reiz wirkt, und ob er 
materielle Veränderungen im Zentralnervensystem setzt, muss 
offen bleiben — genau bo wie z. B. bei der akut auf Sliock 
einsetzenden Form des Diabetes. — Möglicherweise sind mit 
diesen Vorgängen Veränderungen der „inneren Sekretion** der 
Thymusdrüse verknüpft. — Der Reiz klingt ab, und die 
Attacke ist vorbei. Die Schnelligkeit seines Abklingens scheint 
abhängig von der Reizstärke und von dem Grad der Labilität 
des psychischen Gleichgewichtes des betroffenen Kindes. Das 
Abklingen wird offenbar erleichtert, wenn es gelingt, die mit 
der Krankheit einhergehende Aeetonurie zu beseitigen, jenen 
deutlichen Ausdruck der Störung im Stoffwechsel der Kohlen¬ 
hydrate. R e i s s (München). 

Digitized by Google 


Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Berth. Müller. Zur Pathogenese und Therapie der 
Masenraehenflbrome. (Zeitschr. f. Ohrhlk. Bd. 70, S. 145). 

Müller ist ein Anhänger der Annahme, dass die Choanal- 
fibrome, vom Periost der Schädelknochen ausgehend, durch 
irregeleitete Wachstuinsvorgänge entstehen. So erklären sich 
die jeder Analogie entbehrenden Eigenheiten der Geschwulst, 
die fast ausschliessende Bevorzugung des männlichen Geschlechts, 
dessen Schädel in der Pubertät stärkere Veränderungen erleidet, 
und das Immunitätsalter. Therapeutisch verwirft M. alle Vor¬ 
operationen (höchstens lässt er für wenige Fälle die Denk er¬ 
sehe Methode gelten), und tritt für ein kombiniertes Vorgehen 
durch die natürlichen Wege, Nase und Mund, ein. Wenn auch 
in Stücken, ist so der Tumor am besten zu entfernen, und die 
Blutungsgefahr, die bete noire dieser Operationen, ist geringer 
als bei deu grossen präliminaren Eingriffen. 

Arth. Meyer (Berlin). 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten der 
Harn- und Geschlechtsorgane. 

J. O d s t r c i 1 : Oie Abortivhehiindliing der Syphilis beim 
Militär. (Caeopis lökafno öeskyrh. 1914, Nr. 31.) 

Zur Abortivbehandlung der Syphilis eignet sich das Sal- 
varsan viel besser als das Quecksilber; mit diesem allein er¬ 
zielte der Autor nur 0,5 1 Proz., mit jenem dagegen über 

36 Proz. Erfolge, d. h. die Patienten, die mit der Primärsklerose 
in Behandlung traten, blieben nach der Abortivkur mehr als 
12 Monate frei von luetischen Symptomen. Als beste Abortivkur 
empfiehlt der Autor folgende Behandlung: 1—2 Quecksilber- 
injektioneu und hierauf 1—2 intraglutäale Injektionen von 
0,5 — 0,6 g Salvarsau oder Neosalvarsan iu 2 cm 3 0,6 proz. 
NaCl-Lösung oder 3—4 intravenöse Injektionen von 0,3 bis 
0,4 g Salvarsan in einwöchigen Intervallen. 

G. Mühlstein (Prag). 

J. üdstreil: Behandlung der Gonorrhoe mit Jod- 
dämpren. (Casopis lekafüo öesk^ch. 1914, Nr. 34.) 

Das Jod wurde in statu nascendi (nach Jungengel dar¬ 
gestellt) in die Harnröhre und eventuell bis in die Blase ein- 
geblasen. Akute Fälle eignen sich für diese Behandlung erst 
dann, wenn die Sekretion spärlich und schleimig oder serös 
geworden ist; besser geeignet sind subakute und am besten 
geeignet chronische Fälle. Trotzdem erzielte der Autor auch 
bei diesen nur in der Minderzahl mit den Joddämpfen allein 
einen günstigen Erfolg; meistens musste diese Methode mit den 
alten Behandlungsmethoden der Gonorrhoe kombiniert werden; 
doch stellt dieselbe eine empfehlenswerte Ergänzung der alten 
Therapie dar. Jodtinktur reizt wegen des Lösungsmittels des 
Jods (Benzin, Alkohol, Aceton) die Mukosa und verschlimmert 
die Entzündung. G. Mühlstein (Prag). 


Medicamentöse Therapie. 

Neuere Mitteilungen über das Schlafmittel und Sedativum „Vero- 
nacetin“ (Nutriumdiaethylbarbitur-Phenacetin-Codein, Tabletten und 
Pulver.) 

Veronacetin verdankt seine Herstellung den Veröffent¬ 
lichungen der Professoren von Noorden, Emil Fischer und 
Robert (Therapie der Gegenwart, Apothekerzeitung 1911.) 

Durch planmässige Kombination, Ersatz des Veronals 
durch das leichtbekömmliche und besser lösliche Natrium- 
diaethylbarbitur und Potenzierung einer kleineren Dosis des 
letzteren mit dem nach gleicher Richtung hin wirkenden 
Phenacetin und Codein wurde ein sehr starkes und dabei völlig 
unschädliches Schlafmittel geschaffen, das frei ist von den be¬ 
klagten Nebenwirkungen des Veronals: Müdigkeit, Eingenommen¬ 
heit des Kopfes, Kopfweh usw. 1912 erschien in der Münchener 
Medizinischen Wochenschrift eine Arbeit von Bär, aus dem 
Städtischen Siechenhaus zu Frankfurt a. M. Professor Dr. Knob¬ 
lauch, worin die obigen, günstigen Wirkungen bestätigt sind. 
Der Autor fasst sein Urteil dahin zusammen, dass Veronacetin 
ein wirksames Hypnoticum und Sedativum ist, von relativ 
niedrigem Preis, ohne schädliche und unangenehme Neben¬ 
wirkungen. also ein Mittel, das berufen erscheint, weitere Vtr- 

Origiral from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. I. 


14 FORTSCHRITTE 


breitung als Schlaf- und Beruhigungsmittel zu linden (2 bis 4 
Tabletten je nach dem Grad der Schlaflosigkeit, der Schmerzen 
oder der motorischen Erregungen). 

Im Jahre 1913 veröffentlichte Oberarzt Dr. Möukenmöller 
in der psychiatrisch neurol, Wochenschrift eine Arbeit über 
Veronacetin als Hypnoticum und Sedativum in der psychiatrischen 
Praxis Nach diesem Autor verdient das Veronacetin in der 
Behandlung psychischer Leiden einen Platz als Hypnoticum 
und Sedativum; schädliche Erscheinungen gelangten nicht zur 
Beobachtung, es wurde niemals über unangenehme Begleit¬ 
erscheinungen geklagt. 

Im gleichen Jahre berichtet Professor Dr. Dannemann aus 
der Heil- und Pflegeanstalt „Philippshospital“ über Veronacetin 
und bezeichnet es tür ein recht gutes Schlafmittel. Insbesondere 
bei nervöser Schlaflosigkeit in Fällen des Unvermögens, nach 
vorzeitigem Erwachen in der Nacht wieder in den Schlaf zu 
kommen, leistet es sehr gute Dienste. Man erwacht morgens 
erquickt und ohne unangenehme Symptome. 

1914 bringt nun die Münchener med. Wochenschrift eine 
Mitteilung von Dr. Löwenstein über seine guten Erfahrungen 
mit Veronacetin gegen Seekrankheit. Dieser ausserordentlich 
leicht zur Seekrankheit geneigte Autor konnte wochenlange 
Seefahrt gut ertragen, wenn er abends vor dem Ileruntergehen 
in den Speisesaal eine Veronncetintablette in Wasser gelöst nahm 
und dann nur noch bei hoher See ein bis zwei weitere Tabletten. 
Durch Darreichung von ein bis zwei Tabletten bei schwer 
seekranken Reisenden konnte er promptes Aufhören des Aufalls 
erzielen und durch prophylaktisch gegebenes Veronacetin (eiu- 
bis zweimal täglich eine Tablette) Freibleiben von neuen Aus¬ 
brüchen der Erkrankung. Aus der Praxis mehrten sich nun 
im vorletzten und letzten Jahre die ärztlichen Mitteilungen über 
besonders gute Erfahrungen mit Veronacetin. Nicht nur bei 
nervöser Schlaflosigkeit, auch bei Schlaflosigkeit infolge körper¬ 
lichen Schmerzes haben zwei Veronacetin - Tabletten ver¬ 
abreicht sich bestbewährt auch in Ergänzung und Verstärkung 
einer beruhigenden Morphium-, Pantopon usw. -Injektion oder 
zur Abwechslung mit der „Spritze“ sehr häufig den gewünschten 
Erfolg gebracht (Weher.) 

Selbst der geburtshilfliche Dämmerschlaf wird in sehr be¬ 
friedigender Weise herbeigeführt durch interne Verabreichung 
von zwei Veronacetin - Tabletten zur drei- bis fünfstündigen 
Morphium-Pantopon oder Narcophininjektion. 

Schliesslich ist nach Gressmann und Körner Veronacetin 
besonders als Schlafmittel für Fieberkranke zu empfehlen und 
als sofortiges Linderungsmittel in der Sprechstunde (Cardialgien, 
Bronchitiden, Influenza, vor Operationen) usw. 

In den obigen Vorzügen ist die hervorragende Aufnahme 
und die grosse Beachtung begründet, die das Veronacetin als 
vortreffliches Hypnoticum und Sedativum bei der Ärzlewelt ge¬ 
funden hat (Hersteller; Dr. R. und Dr. O. Weil, Fabrik chem.- 
pharm. Präparate, Frankfurt a. M.) N e u m a n n. 

Dr. A. Brauer (Danzig), z. Zt. ordinierender Arzt am 
Kriegsgefangenenlazarett Czersk. — Über die Unzulänglichkeit 
der bisherigen Entlausimgsvertahren. — (Deutsche Medizinische 
Wochenschrift Nr. 19, 1915 ) 

Nach den Beobachtungen des Verfassers haben die meisten 
mit Kleiderläusen behafteten Personen nicht nur in der Wäsche, 
Bondern auch in den Schamhaaren Nissen oft in ungeheurer 
Zahl. Die nähere Untersuchung zeigte, dass viele auch Nissen 
in den Achselhaaren und an den perianal stehenden Haaren 
haben. Gleichfalls den bisherigen Anschauungen wider¬ 
sprechend, fand Verfasser an diesen Stellen auch Kleiderläuse. 
Dass es sich nicht um Filzläuse handelt, konnte nachgewiesen 
werden. Alle desinfektorischen Massnahmen sind demnach un¬ 
zureichend, wenn sie nicht durch Einreibungen der Scham-, 
After- und Achselgegend, am besten des ganzen Körpers, mit 
die Nissen tötenden Mitteln ergänzt werden. Als solche haben 
sich Verfasser mehrmalige Einreibungen mit Präzipitatsalbe, 
Perubalsam und Perugen gut bewährt. Die Einreibungen sind 
natürlich vor allen Dingen bei Fleckfieberkranken durchzu¬ 
führen, weil die Übertragung des Fleckfiebers auch durch die 
aus den Eiern infizierter Tiere ausgeschlüpften Läuse statt¬ 
finden kann. 

Zur Bekämpfung der Kopflaus ist das Kurzschneiden und 

Digitized by Google 


DER MEDIZIN. 


Abseifen unzureichend, weil die Läuse ihre Eier unmittelbar 
über der Kopfhaut an der Basis der Haare absetzen. Die 
Kopfhaare müssen durch Rasieren entfernt werden, oder der 
Haarboden ist. in gleicher Weise wie der ganze Körper mit den 
genannten Mitteln einzureiben. N e u m a n n. 

S e e 1 i g, Azetonalsuppositorten gegen Hämorrhoiden. 
(M. m. Wschr. 15. 15.) Die vorgenannten Suppositorien haben 
sich während einer ä jährigen Beobachtungszeit als recht brauch¬ 
bar zur Behandlung entzündeter und prolabierter Hämorrhoiden 
bewährt. Sie bestehen aus Ol. (Jacao mit Azetonchloroform¬ 
salizylsäureester und Alsol. Dem ersteren wird eine anäst¬ 
hesierende Wirkung zugeschrieben, die auch vorhanden ist, in¬ 
dem stets von den Patienten die kühlende und schmerzstillende 
Eigenschafthervorgehoben wird. Auch derTenesmusverschwindet. 
Der Alsolgehalt bewirkt als Tonerdeverbinduug, dass das ent¬ 
zündete Gewebe sich wieder zusammenzieht, Juckbeschwerden 
sich verlieren und vorhandene Rhagaden in Heilung übergehen. 
Mit diesen neuen Zäpfchen konnte S. die Disposition zu 
Hämorrhoiden zwar nicht überwinden, wohl aber die Intervalle 
erheblich verlängern, bis wieder ihre Anwendung erforderlich 
wurde. Morgens und abends 1 Zäpfchen während dreier Tage 
brachten dann wieder auflängere Zeit Ruhe. N e u m a n n. 

Curschmann, Zur Vertilgung der Läuse im Felde. 
(D. m. Wschr. 30. 15.) 

Dem Verfasser scheint Globol die Forderung, die man 
in erster Linie an ein Läusemittel stellen muss, nämlich bei 
der in Frage kommenden Auwendungsweise unschädlich zu 
sein, zu erfüllen. Es ist ferner als ein Produkt aus Benzol 
und Chlor in jeder erforderlichen Menge bei uns beschaffbar, 
ist überall und leicht anwendbar, sowohl am Körper selbst als 
auch in den Unterkunftsräumen. In kleinen Beuteln unter 
dem Hemd getragen, kommt es langsam zum Verdunsten und 
hüllt den Körper io eine Dampfzone ein, die auch die Kleider 
völlig durchdringt — Über die rasche und sichere, oft gerade¬ 
zu als Erlösung empfundene Wirkung, die durch das Tragen 
der Globolbeulel von den durch Läuse geplagten Mannschaften 
erzielt werden konnte, gaben ihm zahlreiche Mitteilungen aus 
Truppenteilen von Ost, West und Süd die praktische Betätigung 
der in vitro leicht zu beobachtenden Wirkung des Mittels auf 
die Läuse. — Neumann. 

In der Kriegsseuchen-Therapie nehmen zurzeit die Prä¬ 
parate „Bolusal“ und „Bolusal mit Tierkohle“ einen ersten Platz 
ein. Die erste Mitteilung über „Bolusal mit Tierkohle“ erfolgte 
von Professor Albu in einer Arbeit: „Zur Kenntnis der Colitis 
ulcerosa“ („Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und 
Chirurgie“ 1914). Dort beschreibt er zunächst einen sehr alten, 
rezidivierenden Fall von Colitis ulcerosa, indem er schliesslich 
„Bolusal mit Tierkohle“ als Klystier und innerlich mit über 
alle Massen überraschendem Erfolge angewandt hat. Das 
Gleiche bei vier weiteren Fällen. Albu gibt frühmorgens nach 
gründlicher Darmreinigung mittels warmer, leichter Sodalösung 
ein Schwemmklystier (1 Esslöffel Bolusal mit Tierkohle in 
l / 4 1 warmen Wassers), das der Kranke solange wie möglich 
zurückhalten soll, ausserdem täglich einen Esslöffel dieser 
Mischung in Wasser, l /i—1 Stunde vor den Hauptmahlzeiten. 
Prophylaktisch lässt er dies unschädliche Mittel, lediglich in¬ 
tern, in kleineren Dosen fortgesetzt nehmen. Rückfälle haben 
sich nicht mehr gezeigt. 

Professor Lennhofl bestätigt die prompte Wirkung dieses 
antitoxischen und antibakteriellen Agens auf Grund seiner Er¬ 
fahrungen als Leiter eines Feldlazaretts bei sehr schweren 
Fällen von Ruhr (Medizinische Reform Nr. 3, 1915). 

Oberarzt Dr. Leschke, von der II. Medizinischen Klinik 
der Charite, bat neuerdings in einem Vortrage in den Berliner 
Vereinigten ärztlichen Gesellschaften über „Erfahrungen bei der 
Behandlung der Kriegsseuchen“ (Berliner Klinische Wochen¬ 
schrift 1915, Nr. 24) gleichfalls die sehr günstigen Erfahrungen 
mit den Präparaten „Bolusal“ und „Bolusal mit Tierkohle“ er¬ 
wähnt. Auf seine Anregung wurde noch ein drittes Präparat 
geschaffen, das sogenannte „Bolusal mit Sauerstoff“. Leschke 
sagt, dass neben der absorbierenden Wirkung der Belus und 
der Tierkohle hei den erwähnten Präparaten die adstringierende 
und desinfizierende des Tonerdehydrats bezw. die des Sauer- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


15 


Nr. 1. 


Stoffs günstig in Erscheinung tritt. Patienten mit ruhrähulichen 
Erkrankungen gab er das Präparat „Bolusal mit Sauerstoff“ 
bei Bettruhe, flüsgig breiiger Kost und wannen Umschlägen. 

Hersteller der Präparate ist Dr Reiss, Rheumasmi- und 
Lenicet-Fabrik, Charlottenburg. N e u in a n n. 

B a u r, Dr. med., Berlin. Bromural als Scliluf- uinl Be¬ 
ruhigungmittel im Gebirge. (Zeitschrift d. Deutschen Touring- 
Club, Mai 1914). 

Bekanntlich pflegen viele Touristeu im Gebirge, von ge¬ 
wissen Höhen an, mangelhaft zu schlafen. Nach den Erfahrungen 
des Autors ist diese Erscheinung hauptsächlich abhängig von 
einer individuellen Sensibilität, bezw. von einer jeweiligen Re¬ 
aktionsfähigkeit auf Störungen im Zirkulationssystem. Zweifel¬ 
los erweitert sich das Gefässsystem hei zunehmender Höhe in¬ 
folge des verminderten Luftdruckes und es wird also das Ge- 
fässystem in seinem ganzen Volumen erweitert, die Blutmenge 
bleibt aber dieselbe, infolgedessen werden die einzelnen Körper- 
Organe nicht bloss durch die ihnen zugeführte geringere Menge 
Blut, sondern auch durch den herabgesetzten Blutdruck mangel¬ 
hafter ernährt; insbesondere dürfte dieser Vorgang im Gehirn 
stattßnden, hauptsächlich am Abend nach einem anstrengenden 
Aufstieg, wo dann eine allgemeine Muskelerschlaffüng eintritt 
und ausserdem eine gesteigerte Nervenerregbarkeit infolge der 
überstandenen Muskelanstrengung. Bekanntlich wird aber der 
Schlaf durch Blutarmut im Gehirn stark beeinträchtigt oder 
gar verhindert. Diese Störung im Zirkulationssystem, ins¬ 
besondere im Gehirn ist neben der gesteigerten Nervenerregbar¬ 
keit wiederum in seiner Wirkung auf die physiologische Funk¬ 
tion der einzelnen Körperorgane abhängig von der Sensibilität 
bezw. der Reaktionsfähigkeit des einzelnen Individuums auf 
diese Störungen. Ebenso wie auf hoher See durch die 
Schwankungen und Höhenunterschiede des Schiffes der Gleich¬ 
gewichtssinn des einzelnen Individuums verschieden reagiert und 
nur bei sensiblen Personen in Gestalt der sogenannten See¬ 
krankheit zum Ausdruck kommt, wird auch die Schlaffähigkeit 
int Hochgebirge vou der verschiedenen Sensibilität des Einzelnen 
abhängig gemacht. 

Es kommt also darauf an, eine solche ausgeprägte Sen¬ 
sibilität, die auf den verschiedenen Blutdruck und Blutmenge 
im Tale und auf Höhen stark reagiert, herabzusetzen und die 
Folgen, in diesem Falle also die Schlaflosigkeit einzuschränken 
bezw. zu verhindern. 

Nach den Erfahrungen des Verfassers hat sich das Bro¬ 
mural der chem. Fabrik Knoll & Co., Ludwigshafen a. Rh , 
ausgezeichnet bewährt. Bezüglich der Seekrankheit und bei 
aussergewöhnlichen Muskelanstrengungen zur naehherigen Be¬ 
ruhigung ist es von verschiedenen Seiten bereits empfohlen 
worden. Die gleiche gute Erfahrung konnte auch gegen die 
Schlaflosigkeit im Gebirge gemacht werden, hier kommt zweifel¬ 
los auch noch die oben erwähnte starke Muskelanstrengung bei 
grossen und schweren Touren hinzu, um die Sensibilität zu 
steigern; und dadurch wieder wird der veränderte Blutdruck 
und die darauf reagierende zerebrale Sensibilität gesteigert, was 
Bich dann in der Form von Schlaflosigkeit zum Ausdruck bringt. 

Das Bromural hat bei einer Menge von 0,3—0,9 also 
1—3 Tabletten am Abend 1 / 2 Stunde vor dem Schlafengehen 
zweimal wöchentlich genommen, keine schädlichen Begleit¬ 
erscheinungen, indem weder das Herz noch das Gehirn noch der 
Darmtraktus leidet. Auch eine Gewöhnung und damit das 
Bedürfnis nach höheren Dosen wurde nicht beobachtet. Bromural 
ist daher als ein unschädliches und wirksames Mittel gegen die 
Schlaflosigkeit im Gebirge warm zu empfehlen. In besonders 
schweren Fällen von Schlaflosigkeit im Gebirge dürfte eine bis- 
weilige Kombination mit Veronal angebracht sein. 

N e u m a n n. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

T r e b i n g : Bisslnger Am rqtiellr — Snarce Cachat zu 
Evian. Eine Gegenüberstellung. (Zeitschrift für Balneologie, 
Klimatologie usw. 1915. No. 5—6.) 

Verfasser weist auf die grosse und merkwürdige Ähnlich¬ 
keit der beiden Quellen — vou denen die erstere in Bayern 

Digitized by Google 


; 43 */ 2 m tief zu Tage tritt — hin. Sie wirken beide stark 
Harn treibend und ähneln sich auch bezüglich ihrer ehemaligen 
Zusammensetzung sehr - schwach alkalischer Charakter, reich 
an Stickstoff, Radium und Edelgasen. Das billigere deutsche 
Wasser ist also als vollgültiger Ersatz des teureren französischen 
anzusehen. Krebs- Aachen. 

Bücherschau. 

E. Villiger' Die periphere Innervation. Leipzig, 
W. Engelmann 1915. 2. Auflage. 152 Seiten mit 57 Text- 

figureu. Mk. 0.—. 

Die entsetzlichen Granatverletzungen dieses Krieges bringen 
ganz neue und ungewohnte Störungen mit sich. Wie sehr das 
Nervensystem dabei mitgelitten hat, wird die Zukunft noch 
mehr zeigen als die Gegenwart. Da kommt dieses Buch mit 
seiner klaren übersichtlichen Darstellung der Hirn- und Rücken¬ 
marksnerven und ihrer zahllosen Verästelungen und Anasto- 
mosen gerade recht. An seiner Hand wird manche unschein¬ 
bare Störung wichtige diagnostische Hinweise geben können. 
Drum sei es zu eingehendem Studium empfohlen. Vielleicht 
glückt es dabei dem einen oder anderen, einige Lichtstrahlen 
auf den Sympathieus zu werfen, der eben immer noch als grosses 
Rätsel vor uns steht. Buttersack. 

Keiter, Alfred (Graz), Rheumatismus und Kirnen- 
stlehbehandlung. Wien - Leipzig, Fr. Deuticke. 1914. — »7 
Seiten. Mk. 1,50. 

Die Heilkunde muss ihre Hilfsmittel nehmen, wo immer 
sie solche findet. Drum wäre es m. E. übel angebracht, der 
Behandlung rheumatischer Artektioneu mit Bienenstichen a priori 
ablehnend zu begegnen. Verf. tritt in warmer, schlichter Dar¬ 
stellung für diese Therapie ein und sucht durch eine Reihe von 
Erfahrungen in seiner Praxis ihre Wirksamkeit plausibel zu 
machen. Appliziert man einem Rheumatiker einige Probestiche, 
so reagiert er zunächst zumeist nicht 30 stark wie ein Gesunder. 
Man steigere dann die Stiche täglich um 2 bis 5 (auf die 
Extensorenseiten), bis eine normale Reaktion, vielleicht abnorm 
erhöht nach Art anaphylaktischer Zustände, auftritt. Besserung 
ist schon nach den ersten Stichen zu verspüren. 

Für die gewöhnlichen, akuten rheumatischen Beschwerden 
rät er, es zuerst mit der bewährten Salizylsäure zu versuchen. 
Die Bienenstichkur wird für länger dauernde, chronische bezw., 
rezidivierende Fälle reserviert bleiben, hilft dann aber sicher, 
namentlich hei „Herzfehlern“ (S. 57, 59, 61) und bei Arthritis 
deformanB, bei welch letzterer man allerdings 100 — 200 Stiche 
pro Tag, 6O(;0 —8000 im Jahr applizieren muss. 
Wiederholungen der Kur sind unumgänglich. 

Leider kauu man sie nur im Sommer exerzieren, weil die 
chemische Beschaffenheit des Sekret der Giftdrüse noch gänz¬ 
lich unbekannt ist. 

Auch differentialdiagnostisch ist die Methode zu verwerten; 
denn nur der richtig Rheumatismuskranke reagiert ohne merk¬ 
liche Anschwellung auf den Bienenstich, während gonorrhoische, 
tuberkulöse, gichtische Pat. sich wie Gesunde verhalten. 

Buttersack. 

Dohm, K., Hannover. Querriss der Aorta aszendens durch 
indirekte Gewalteinwirkung. Souderahdruck aus Heft 7, 
1914, der Zeitschrift für Medizinalbeamte 
G e i g e 1, R., Würzburg. Der Blitzschlag. Aus „Würzburger 
Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen 
Medizin“, XIV. Band, 5. Heft. Würzburg 1914, Verlag 
von Kurt Kabitzsch, Kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler. Preis 
0,85 M. Seitenzahl von 127—150. 

Hoff mann, G., Drosselt. Die Kunst, aus dem Gesiebt Krank¬ 
heiten zu erkennen und zu heilen. Zweite Auflage der neuen 
Ausgabe mit Vorwort von Dr. med. Will). Kühn, Leipzig. 
Leipzig, Verlag von Krüger & Co Seitenzahl 70. 
Lilienstein. Bad Nauheim. Psychoneurosen bei Herz¬ 
krankheiten. Sonderabdruck aus dem Archiv für Psychi¬ 
atrie und Nervenkrankheiten, Band 52, Heft 3. (Fest¬ 
schrift für Sioli.) 

Saenger, M., Magdeburg. Über unzweckmässige und 
zweckmässige Inhalationsnietboden. Aus „Berliner Klinik“, 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 1 


16 


März 1914, Heft 309. Berlin 1914, Verlag von Fischers 
medizinischer Buchhandlung. Seitenzahl 27. Preis 0,G0 M. 

Schröder, G. und A. v. Mülle r. Vergleichende Be¬ 
trachtung wichtiger Klimata für die Tuberkulosethernpie. 
(Mit 18 Tabellen und 6 Kurventafelu.) Separat-Abdruck 
aus der Zeitschrift für Tuberkulose. Band XXI, Heft 6, 
19 4. Leipzig, Verlag von Johann Ambrosius Barth. 
Seitenzahl von 513—528. 

T r ö m n e r, E., Hamburg. Das Stottern eine Zwangsneurose. 
Bemerkungen zur Pathogenese des Stotterns. Mit einer 
Kurve. Sonder - Abdruck aus „Medizinische Klinik“, 
Wochenschrift für praktische Ärzte, 1914, Nr. 10. Berlin, 
Verlag von Urban & Schwarzenberg. Seitenzahl 14. 

Becker, L., Gross-Berlin. Lehrbuch der ärztlichen Sach- 
verständigen-Tätigkeit für die Unfall-, Invaliden-, Hinter¬ 
bliebenen- und Angestellten-Versicherungs-Gesetzgebung. 
Siebente, umgearbeitete und vermehrte Auflage Berlin 
1914, Verlag von Richard Schoetz. Seitenzahl 623. 
Preis geh. Mk. 15.00, geb. Mk. 16.50. 

Bunge, von G., Basel. Die zunehmende Unfähigkeit der 
Frauen, ihre Kinder zu stillen. Die Ursachen dieser Un¬ 
fähigkeit, die Mittel zur Verhütung. Siebente, durch neues 
statistisches Material vermehrte Auflage mit einem pole¬ 
mischen Nachwort. München 1914. Verlag von Ernst 
Reinhardt. Seitenzahl 40. Preis Mk. 0.80. 

C a v i a, S. Programa del Curso Oficial de Medicina Legal. 
Buenos Aires 1912. „La Semana Mcdica“. Imp. Dr. 
Obras de E. Spinell. Seitenzahl 11. 

Harnack, E, Halle a. S. Die geiichtliche Medizin mit 
Einschluss der gerichtlichen Psychiatrie und der gericht¬ 
lichen Beurteilung von Versicherungs- und Unfallsachen. 
Für Mediziner und Juristen. In Gemeinschaft mit Prof. 
Dr. Fr. Haasler u. Prof. Dr. E Siefert, Privatdozenten zu 
Halle a. S., bearbeitet von E. Harnack, Dr. und Prof. d. 
Medizin zu Halle a. S., Geh. Med.-Rat, Leipzig 1914. 
Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. Seitenzahl 448. 
Preis brosch. 12.00 Mk, geb. 13.50 Mk. 

Kassowitz, M, Wien. Gesammelte Abhandlungen. Mit 
einem vollständigen Verzeichnis der Arbeiten des Ver¬ 
fassers, einem Porträt und 2 Figuren im Text. Seitenzahl 
534. Berlin 1914. Verlag von Julius Springer. Preis 
brosch. 12.00 Mk., geb. 14.00 Mk. 

Krez, Hofrat Dr., Bad Reichenhai 1-Gardone, Riviera. Ge¬ 
danken und Erfahrungen zur Aetiologie, Symptomatologie 
und Therapie des Asthmas. Aus „Würzburger Abhandlungen 
aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin, Heft 9.“ 
Würzburg 1914. Verlag von Gurt Kabitzsch. Preis 
0.85 Mk. 

K eit er, A., Graz. Rheumatismus und Bienenstichbehand¬ 
lung. Der heutige Stand derselben. (Mit einem Beitrage 
von Dr. Ph. Trec.) Wien u. Leipzig 1914, Verlag von 
Franz Deuticke. Seitenzahl 87. Preis Mk. 1.50._ 

Lohmar, P., Köln a. Rh. Das Verhältnis der Ärzte zu 
den Berufsgenossenschaften. Berlin 1914, Verlag von 
Carl Heymann. Seitenzahl 50. Preis 1.20 Mk. 


Mcaskey, G. W., Fort Wayne, Ind. A Case of Amebic 
Dysentery of Thirteen Years’ Duration Cured by Embetin 
Hydrochlorid. Repriuted front the Journal of the American 
Medical Association Feb. 14, 1914. Chicago 1914. Seiten¬ 
zahl 4. 

Mccaskey, G. W., Fort Wayne, Ind. A New Method 
for Estimating the Funktional Capacity of the Kidneys 
by Forced Elimination of Preformed Urea. Reprinted from 
the Medical Rekord March 21, 1914. William Wood 
& Company, Neuyork. Seitenzahl 24. 

Mauthner, O, Mähr.-Ostrau. Gehörorgan und Beruf. 
Mit 3 Abbildungen im Text. Aus „Würzburger Abhand¬ 
lungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin“, 
Heft 8. Würzburg 1914, Verlag von Curt Kabitzsch. 
Preis Mk 0.85. 

Oswald, W., Grossbothen. Moderne Naturphilosophie. 
I. Teil. Die Ordnungswissenschaften. Leipzig 1914. 
Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. Seitenzahl 410. 
Preis brosch. 12 00 Mk., geb. 13 70 Mk. 

Q u i r o g a, Atanasio. Programa de Quimica Aplicada a las 
Ciencias Mödicas. Parte Inorgänica General y Biolögica. 
Curso Teörico Practico y Curso Prdctico. Buenos Aires 
1909. Seitenzahl 6. 

R i t c h i e, W. Th., Auricular Flutter. Verlag W. M. Green 
& Sons. Seitenzahl 144. 

Svedberg, The., Upsala. Die Materie. Ein Forschungs¬ 
problem in Vergangenheit und Gegenwart. Deutsche 
Übersetzung von Dr. H. Finkeistein. Mit 15 Abbildungen. 
Leipzig 1914, Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. 
Seitenzahl 102. Preis brosch. 6.50 Mk., geb. 7.50 Mk. 

Steiner, W. Behandlung von Asthma bronchiale und 
Emphysem mit Lipojodin. Sonderabdruck aus der „Deut¬ 
schen medizinischen Wochenschrift, Nr. 51, 1913.“ Ver¬ 
lag von Georg Thieme-Leipzig. Seitenzahl 6. 

Seydel, Charlottenburg. Über Wohnungsämter, unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung des Charlottenburger Wohnungs¬ 
amtes. (Separatabdruck aus der Hygienischen Rund¬ 

schau 1914, Nr. 9.) Verhandlungen der Deutschen Ge¬ 
sellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin, Jahr¬ 
gang 1913, Nr. 3. Seitenzahl 27. 

Schmincke,R, Bad Elster. Die AVirkungen der Mineral¬ 
quellen von Bad Elster. Verlag der G. B. Leopolds 
Üniversitätsbuchhandlung, Rostock i. M. Seitenzahl 47. 

W u n d t, W., Leipzig. Sinnliche und übersinnliche Welt. 
Leipzig 1914. Verlag von Alfred Kröner. Seiten¬ 
zahl 423. Preis geh. 8.00 Mk., geb. 9.00 Mk. 


Notiz. 

Die „Fortschritte der Medizin“ werden von jetzt ab 
stets am 10., 20. und 30. jeden Monats zur Ausgabe 
gelangen. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

31 frc m 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








33. Jahrgang. 


1915/16. 


Tomcbritte der Medizin. 

Unter mitwirkuNg bervorragender Tatbmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 2 

Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise voa 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H., Berlin NW. 87. 

20, Oktober 


Alleinige Inseratenannahme durch Qelsdorf & Co., Q. m b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Sklerodermie und Unfall. 

1700 Ziff. 8 der R. V. O. (Ausschluss des Rekurses). 

Von Oberregierungsrat Krauss in Reutlingen. 

Der 47 Jahr alten Schuhmachers-Ehefrau Rosine B. 
in N., württ. Oberamts T., ist am 17. März 1896 beim 
Dungwerfen auf dem Feld ein Holzsplitter von der 
Dunggabel in den linken Kleinfinger eingedrungen. An 
die Verletzung hat sich eine Zeilgewebsvereiterung der 
linken Hand, des linken Vorderarms und des unteren 
Drittels des linken Oberarms angeschlossen, die zur Ent¬ 
leerung des Eiters Einschnitte in Hand und Arm nötig 
machte. Der Krankheitsprozess endigte mit der Ver¬ 
steifung sämtlicher Finger der linken Hand. Die ent¬ 
schädigungspflichtige Landwirtschaftliche Berufsgenossen¬ 
schaft für den Württ. Schwarzwaldkreis verwilligte der 
Frau B. zunächst mit Bescheid vom 27- Juli 1896 eine 
Teilrente von 50 Proz. Diese Rente wurde im März 
1897 auf 40 Proz., im November 1897 auf 20 Proz. und 
im Oktober 1898 auf 10 Proz. herabgesetzt, nachdem 
durch den von Anfang an behandelnden Arzt Oberamts¬ 
arzt Dr. Sch. in T. bei wiederholter Untersuchung fest¬ 
gestellt worden war, dass zwar die Steifheit des finken 
Daumens und Kleinfingers bestehen blieb, die der übri¬ 
gen Finger sich aber allmählich wieder fast ganz ver¬ 
loren hatte. Von einer Ernährungsstörung in Hand und 
Arm war in jener Zeit nicht das geringste zu bemerken. 

In der Folge ist Frau B. auf Veranlassung der Be¬ 
rufsgenossenschaft noch mehrmals untersucht worden. 
Eine wesentliche Änderung wurde nicht gefunden und 
es verblieb bei der 10 prozentigen Rente. Von irgend¬ 
welchen Erscheinungen einer Hauterkrankung war nir- 
ends die Rede. Verhandlungen über eine Kapitalab- 
ndung scheiterten daran, dass die Forderung der Ver¬ 
letzten der Berufsgenossenschaft zu hoch erschien. 

Am 26. März 1909 stellte der Schuhmacher B. bei 
der Berufsgenossenschaft Antrag auf Erhöhung der 
Rente seiner Frau, da sich die finke Hand derselben 
bedeutend verschlimmert habe und fast nicht mehr zur 
Arbeit zu gebrauchen sei. Die Berufsgenossenschaft 
ordnete darauf eine erneute Untersuchung der B. durch 
ihren Vertrauensarzt Medizinalrat R. in R. an, der die 
Frau schon frühereinmal — am 9. März 1906 — unter¬ 
sucht hatte. Der Sachverständige fand nun am 29. 
April 1909 die linke Hand im ganzen in demselben Zu¬ 
stand wie im Jahr 1906. An der Spitze des Mittelfingers 
anstossend an den freien Nagelrand sass jedoch eine 
von einem Panaritium (Fingergeschwür), das in 
charakteristischem Verlauf im März aufgetreten war, 
herrührende, nicht mehr empfindliche, härtliche Narbe. 
Medizinalrat R. äusserte sich hierüber wörtlich dahin: 

Digitized by Google 


„Das Auftreten eines Panaritiums an dem seinerzeit gar 
nicht verletzten und nicht in den Eiterungsprozess her¬ 
eingezogenen Mittelfinger 13 Jahre nach Ablauf des 
Krankheitsprozesses in der Hand lässt sich nicht in ur¬ 
sächlichen Zusammenhang mit dem Unfall bringen. Es 
handelt sich nicht um ein „Wiederaufbrechen“, sondern 
um Eiterung an einem früher nicht eiternden Finger. 
Von einer Verschlimmerung der Unfallfolgen ist keine 
Rede.“ Das frühere Württembergische Schiedsgericht III 
für Arbeiterversicherung in Reutlingen, welches gemäss 
§ 94 Absatz 3 des Unfallversicherungsgesetzes für Land- 
und Forstwirtschaft vom 30. Juni 1900 über den Renten¬ 
erhöhungsantrag zu entscheiden hatte, hat am 8. Juli 1909 
diesen Antrag als unbegründet abgewiesen, indem es 
der Ansicht des Medizinalrat R. völlig beitrat. 

Am 4. Juli 1913 fand eine allgemeine Revision der¬ 
jenigen Personen in N. statt, welche im Genuss von 
Unfallrenten von seiten der Landwirtschaftlichen Berufs¬ 
genossenschaft für den Württembergischen Schwarzwald¬ 
kreis standen, und zwar durch einen anderen Vertrauens¬ 
arzt der genannten Berufsgenossenschaft, Medizinalrat 
Dr. St. aus R. Bei diesem Anlass wurde auch Frau B. 
wieder untersucht. Sie gab an: Seit mehreren Jahren 
haben sich allmählich nicht nur sämtliche Finger der 
finken Hand, sondern auch die der rechten ver¬ 
schlimmert, dieselben seien immer steifeV geworden und 
schwächer, auch seien sie öfter aufgebrochen und haben 
oft stark geschmerzt. Sie habe deshalb immer weniger 
arbeiten können. Jetzt könne sie nur noch ganz einfache 
Geschäfte verrichten, oft auch gar nichts arbeiten. Nach 
ihrer Meinung rühre auch diese weitere Erkrankung 
beider Hände vom Unfall her. Im Anschluss Hess sich 
der untersuchende Arzt folgendermassen verlauten: „Die 
Frau ist blutarm, stark abgemagert, schlecht genährt. 
Sämtliche Finger beider Hände in Kontrakturstellung, 
starker Schwund der Weichteile an Fingern und Händen, 
die Haut derb und gespannt, glatt. Muskulatur starr. 
An den Fingerknöcheln Narben und Borken, von Ver¬ 
letzungen herrührend. Beide Hände zeigen Krallen¬ 
stellung. Sensibilität, bes. Schmerz- und Wärme¬ 

empfindung herabgesetzt, Handgelenke in gerader Rich¬ 
tung versteift. An den Fingern Risse und Schrunden. 
Hände fast völlig unbrauchbar. Masse beider Arme 
rechts zu links: Mittelhand 19,5 : 19,0 cm, Handgelenk 
16,0: 16,0 cm, Vorderarm 21,0:23,0 cm, Oberarm 
22,0 : 23,5 cm. Minderung der Erwerbsfähigkeit z. Zt. 
70 Prozent. Ob diese schwere Störung an beiden Händen, 
die sich im Verlauf mehrerer Jahre entwickelte, mit dem 
Unfall zusammenhängt, ist mir nicht ganz klar, es ist 
wohl möglich, aber nicht sicher. Es handelt sich dabei 
wohl um ein Nervenleiden, das zu schweren Ernährungs- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 










18 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 2. 


Störungen an den Oberextremitäten geführt hat (vielleicht 
Syringomyelie?). Ich rate die Frau zunächst zu 
genauerer Beobachtung und Begutachtung auf einige 
Tage in die Haut- oder Nervenklinik, oder in die medi¬ 
zinische Klinik in Tübingen einzuweisen. Es ist sehr 
auffallend, dass in den Gutachten aus den letzten Jahren 
nichts über den Verlauf und die Entwicklung dieser 
Krankheit berichtet ist. Es wäre dies jedenfalls für die 
Begutachtung von grosser Wichtigkeit gewesen.“ 

Die Berufsgenossenschaft ging, dem Rate ihres 
Vertrauensarztes folgend, die Medizinische Klinik und 
Nervenklinik in Tübingen um Erstattung eines Gut¬ 
achtens an. Am 3. November 1913 äusserte sich sodann 
der Assistenzarzt Dr. K. unter Zustimmung des Direk¬ 
tors der Klinik Professor O. M. dahin: „Die B. war 
vom 22. bis 29. Oktober 1913 in der Klinik auf¬ 
genommen. Sie schildert ihren Unfall vom 17- März 
1896, die direkten Unfallfolgen und den ganzen Verlauf 
ihrer jetzigen Krankheit, wie dies in den Akten und 
speziell in den vielen ärztlichen Gutachten niedergelegt 
ist. Über ihren derzeitigen Zustand sagt sie aus, dass 
sie vollkommen hilflos und absolut auf fremde Pflege 
und Wartung angewiesen sei, von irgend einer Arbeit 
sei keine Rede. Ihre Finger und ihre Hände seien voll¬ 
kommen steif; die geringste Berührung derselben mache 
ihr unerträglichen Schmerz, auch habe sie stets wunde 
und geschwürige Stellen an den Händen und den Beinen, 
die an jeder Bewegung hindern. Sie fühle sich im all¬ 
gemeinen müde und kraftlos, habe viel Kopfschmerzen 
und müsse sich oft wochenlang zu Bett legen. Die 
Haare gingen ihr aus, die Augen würden schlechter, das 
Gehen mache ihr je länger je mehr wegen Spannung in 
den Beinen Schmerzen, schlafen könne sie schon lange 
nicht mehr. Früher sei sie gar nicht krank gewesen, 
erst seit ihrem Unfall seien alle diese Erscheinungen 
aufgetreten. Irgend welche ähnliche Leiden in ihrer 
Familie sind ihr nicht bekannt. Der objektive Befund, 
den die Frau bei ihrer Aufnahme bot, ist folgender: 
Die Frau bietet ein schon dem Laien imponierendes 
Bild elender Schwäche und traurigen Verfalles. Der Ge¬ 
sichtsausdruck ist leidend und kummervoll, auch ihre 
Stimmung meist depressiv und zum Weinen geneigt, 
namentlich wenn sie alle ihre Leiden und Beschwerden 
schildert. Das Körpergewicht der Frau beträgt 52 kg 
bei einer Grösse von 1,69. Temperatur, Puls und At¬ 
mung zeigen keine Abweichungen von der Norm. Zu¬ 
nächst fällt bei der Frau die Beschaffenheit der Haut 
auf. Sie zeigt, besonders an den Händen und Unter¬ 
armen, eine symmetrische Verhärtung und dabei Ver¬ 
dünnung, die fest auf ihrer Unterlage fixiert ist und 
einen eigentümlichen speckigen Glanz gibt. Ausserdem 
ist sie besetzt mit massenhaften punktförmigen, sommer¬ 
sprossenähnlichen, gelben bis dunkelbraunen Flecken, die 
wiederum andere weisse, pigmentlose Partien zwischen 
sich lassen. Das Unterhautzellgewebe an den Händen 
und den Vorderarmen, das Fettgewebe, die Muskulatur 
ist atrophiert. An den Händen sind multiple, teils ober¬ 
flächliche, teils bis auf die Knochen gehende geschwürige 
Defekte zu sehen, desgleichen finden sich an beiden 
Schienbeinkanten symmetrisch alte, mit harten Krusten 
bedeckte Hautabschürfungen. Die Finger sind an beiden 
Händen in Beugestellung versteift, aktive Bewegungen 
in den Fingern können nicht ausgeführt werden, passive 
Bewegungen sind wegen der enormen Schmerzen, die 
schon die leiseste Berührung der Finger verursacht, un¬ 
möglich. Die Hände sind in halber Pronations- und 
Beugestellung fixiert. Die Muskulatur und das Unter¬ 
hautzellgewebe an den Beinen und am übrigen Körper 
ist dürftig entwickelt, zeigt jedoch keine typische Atro¬ 
phie. Das Gesicht jedoch ist in toto verkleinert, das 
Kinn tritt zurück, die Lippen sind verkürzt, die Nase 
ist verjüngt, alles Zeichen einer Atrophie der Gesichts- 

Digitized by 



muskulatur. Die Bewegung der Kiefer ist etwas be¬ 
hindert, die Lider sind nicht verkürzt, Lidschluss ist 
vollkommen möglich. Die Sensibilität ist bei der Frau 
wegen ihrer erschwerten und verlangsamten Auffassungs¬ 
gabe, vielleicht auch zum Teil wegen mangelnden guten 
Willens, nur äusserst schwer zu prüfen, ihre Angaben 
sind unsicher und nur bei energischem Zureden und 
öfterer Wiederholung lassen sich die Resultate der 
Prüfung verwerten. Es ist jedoch zu sagen, dass gröbere, 
objektiv nachweisbare Sensibilitätsstörungen bei der Frau 
fehlen. Die elektrische Erregbarkeit der Muskulatur ist 
normal, am Daumen- und Kleinfingerballen der linken 
Hand jedoch ist ein weniger promptes Ansprechen auf 

f alvanische Reize zu konstatieren. Die Sehnen- und 
eriostreflexe sind durchweg gesteigert. Abnorme Re¬ 
flexe sind nicht nachzuweisen. Der Gang ist leicht 
spastisch, die Sprache unbehindert, die Funktion der 
Hirnnerven intakt. Blasen-Mastdarmstörungen fehlen. 
Die vorgenommene Lumbalpunktion ergab ebenfalls nor¬ 
male Verhältnisse. Die Wassermann’sche Reaktion aus 
Blut- und Lumbalflüssigkeit war negativ. Was die 
Untersuchung der inneren Organe betrifft, so ergab die 
Perkussion der Lungen überall sonoren Schall, die 
Grenzen waren beiderseits gleich hoch und gut verschieb¬ 
lich, das Atemgeräusch vesikulär und rein. Das Herz 
zeigte keine Verbreiterung seiner Grenzen, die Töne 
waren rein, eine Akzentuation der 2. Töne an der Basis 
war nicht nachzuweisen, der Spitzenstoss nicht hebend. 
Der Leib war ziemlich schlaff, nirgends druckempfind¬ 
lich, abnorme Resistenzen waren nicht zu fühlen. Leber 
und Milz nicht vergrössert, der Urin frei von Eiweiss 
und Zucker, der Stuhl von normaler Farbe und Konsi¬ 
stenz. Es handelt sich bei Frau B. um eine selten vor¬ 
kommende, aber typische und leicht zu erkennende Er¬ 
krankung, die sogenannte Sklerodermie. Diese Krankheit 
geht einher mit jener charakteristischen Verhärtung und 
Verdünnung der Haut, die Haut zeigt daneben eine 
eigentümliche Pigmentation. Weiterhin atrophieren 
ausser der Haut auch das Unterhautzellgewebe, das 
Fett, die Muskulatur, ja sogar die Knochen. Es treten 
durch Ernährungsstörungen der Haut allerhand ge¬ 
schwürige Prozesse auf, die eine sehr geringe Heilungs¬ 
tendenz zeigen, endlich bilden sich durch die schrump¬ 
fenden und atrophischen Prozesse Kontrakturen, haupt¬ 
sächlich der Finger, aus. Der Allgemeinzustand dieser 
Patienten leidet, und sie verfallen allmählich elendem 
Siechtum. Wir haben dieses Krankheitsbild in typischer 
Ausbildung hier vor uns. Es ist nun bei unserer Patien¬ 
tin die Beurteilung der durch die vorliegende Krankheit 
verursachten Erwerbsbeschränkung wohl leicht und sicher 
zu geben, denn die schwer kranke Frau ist in ihrem 
desolaten Zustand eben absolut d. h. um 100 Prozent 
erwerbsbeschränkt. Weit schwieriger ist die Frage zu 
entscheiden, ob und inwieweit der Unfall vom Jahre 1896 
als die Ursache dieser schweren Erkrankung anzusehen 
ist. Dazu ist zu sagen, dass in der über diese Krank¬ 
heit bestehenden Literatur unter den möglichen Ursachen 
auch Verletzungen genannt sind; allerdings sind die Au¬ 
toren, die diese Ätiologie anerkennen, in der Minderzahl, 
die Mehrzahl der Autoren -- und ihrer Ansicht neigen 
auch wir zu — leugnen den ursächlichen Zusammenhang 
zwischen einer Verletzung und der vorliegenden Krank¬ 
heit. Immerhin aber gibt es, wie schon gesagt, Autoren, 
die einen solchen Zusammenhang annehmen. Es bleibt 
demgemäss der Berufsgenossenschaft Vorbehalten, welcher 
Ansicht sie sich anschliessen will.“ 

Medizinalrat Dr. St. in R., dem hierauf das klinische 
Gutachten von der Berufsgenossenschaft mitgeteitt wurde, 
bemerkte am 6. Dezember 1913: „Da ich selbst keine 
persönliche Erfahrung über diese seltene Erkrankung 
habe und auch in der mir zugänglichen Literatur nichts 
Bestimmtes über deren Entstehung, namentlich nach Un- 
Origii ain: m 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 2. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


19 


fallen, finden konnte, so dürfte wohl für die Berufsge¬ 
nossenschaft die Ansicht der Medizinischen Klinik mass¬ 
gebend sein und wäre demnach ein ursächlicher Zu¬ 
sammenhang zwischen dem Unfall vom März 1896 und 
dem erst in den letzten Jahren hervorgetretenen Leiden 
abzulehnen.“ 

Mit Bescheid vom 13. Dezember 1913 lehnte nun¬ 
mehr die Berufsgenossenschaft den Anspruch der Frau 
B. bezw. ihres Ehemannes auf Zahlung einer höheren 
Rente für den Unfall vom 17. März 1896 ab, weil nach 
dem Gutachten der Tübinger Universitätsklinik ein ur¬ 
sächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem 
in den letzten Jahren hervorgetretenen Leiden nicht an¬ 
genommen werden könne. 

Gegen diesen Bescheid hat Schuhmacher B. namens 
seiner Frau rechtzeitig Einspruch erhoben. Über den 
Einspruch verhandelte das verstärkte Kgl. Versicherungs¬ 
amt in T. Dasselbe gelangte einstimmig zu der Ansicht: 
»Die Frau ist vor dem Unfall immer gesund gewesen. 
Seit dem Unfall ist eine allmähliche Ausbreitung der 
Krankheit eingetreten, durch die sie jetzt eine voll¬ 
ständig sieche Person geworden ist. Da in der Land¬ 
wirtschaft alle möglichen künstlichen Dünger verwendet 
werden, ist es nicht ausgeschlossen, dass durch den 
Gabelspreissen ein Gift in die Hand eingedrungen ist, 
das schliesslich den ganzen Körper durchwühlt hat. Wir 
neigen deshalb zu der Auffassung, dass die jetzige 
dauernde Erkrankung auf den Unfall zurückzuführen 
sein wird.“ Zu dieser Auffassung des verstärkten Ver¬ 
sicherungsamts hörte die Berufsgenossenschaft nochmals 
den Medizinalrat Dr. St. Derselbe erwiderte am 24. 
Februar 1914; „Die Anschauung des Versicherungsamts, 
dass durch den Gabelstich ein Gift in die Wunde ein¬ 
gedrungen sei, welches die Krankheit verursacht habe, 
ist sehr unwahrscheinlich, und geht die Ansicht der 
Mehrzahl der Autoren dahin, dass Krankheiten, wie eine 
solche bei der Frau B. sich entwickelt hat, eben nicht 
durch Verletzungen herbeigeführt werden. Da aber 
immerhin einige der Autoren eine Verletzung als Ursache 
in einzelnen Fällen anerkannt haben, so könnte bei 
Anwendung besonderer Milde in der Beurteilung des ur¬ 
sächlichen Zusammenhangs ein solcher gerechtfertigt 
werden.“ 

Auf Antrag eines von der B. mit Wahrung ihrer 
Interessen betrauten Rechtsanwaltes liess die Berufs¬ 
genossenschaft durch die Ortsbehörde N. noch eine Reihe 
Zeugen über den Gesundheitszustand der B. vor ihrem 
Unfall einvernehmen. Dieselben bekundeten über¬ 
einstimmend mit der Ortsbehörde selbst, dass die B. vor 
ihrem Unfall stets gesund und rüstig, sowie von blühendem 
Aussehen gewesen sei. Seit dem Unfall sei sie plötzlich 
und immer mehr abgemagert und so nach und nach 
eine kränkliche Frau geworden. Dem gegenüber betonte 
die Medizinische Klinik und Nervenklinik in Tübingen 
am 25. März 1914, dass die seit Erstattung ihres Gut¬ 
achtens vom 3. November 1913 angefallenen Akten an 
ihrem bereits mitgeteilten Standpunkt nichts zu ändern 
vermögen. Ob der ursächliche Zusammenhang in dem 
Eindringen eines Giftes in den Körper oder anderweitig 
zu suchen sei, sei für die prinzipielle Entscheidung der 
Frage ohne Belang. Ein strikter ärztlicher Beweis für 
oder gegen die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen 
Unfall und Sklerodermie könne nicht gegeben werden; 
die Klinik lehne diese Möglichkeit ab, müsse aber nach 
wie vor die Entscheidung hierüber der Berufsgenossen¬ 
schaft überlassen. 

Die Berufsgenossenschaft legte angesichts des 
zweifelhaften Charakters des Falles schliesslich noch Wert 
darauf, die Meinung ihres weiteren, schon früher in der 
Unfallsache tätig gewordenen Vertrauensarztes Medizinal¬ 
rat R. in R. kennen zu lernen. Derselbe kam in einem 
Gutachten vom 2. Mai 1914 nach Wiedergabe des be- 

Digitized by Google 


reits bekannten Tatbestandes zu folgendem Schlüsse: 
„Ich muss raten, die Entscheidung in ablehnendem Sinn 
zu erlassen. Ich will mich zunächst einmal auf den 
Standpunkt des Versicherungsamts stellen und seine 
Hypothese zu Grund legen, es könne durch den Spreissen 
irgend ein „Giftstoff“ — von dem künstlichen Dünger will 
ich absehen — in den Körper gelangt sein und die rätsel¬ 
hafte Krankheit verursacht haben. Dabei ist mit Nach¬ 
druck hervorzuheben, dass die Behauptung des Ver¬ 
sicherungsamts, „seit dem Unfall sei eine allmähliche 
Ausbreitung der Krankheit eingetreten“ ein Irrtum ist, 
der in den Akten lediglich keine Stütze findet. Das ge¬ 
naue Gegenteil ist richtig. 13 Jahre lang ist die Frau 
nach dem Unfall gesund geblieben und verschiedene 
Untersucher haben in der verletzten Hand ausser den 
unmittelbaren Unfallfolgen lediglich keine Veränderungen 
vorgefunden; erst nach dem März 1909 kann die Krank¬ 
heit begonnen haben. Ist es aber denkbar, dass ein 
„Giftstoff“ oder überhaupt ein krankheitserregender Stoff, 
der imstande ist, solch schwere Wirkungen auszulösen und 
innerhalb 4 Jahren so eingreifende Veränderungen her¬ 
vorruft, dass ein solcher Stoff sollte 13 Jahre als harm¬ 
loser, unbemerkter Gast im Körper geweilt haben und 
erst nach 13 Jahren auf seine unheilvollen Fähigkeiten 
sich besinnt ? Das widerspricht allen physiologischen 
und pathologischen Erfahrungen. Wenn man an einen 
Giftstoff denken will, so liegt es viel näher, denjenigen 
„Giftstoff“ heranzuziehen, der im Februar 1909 das Pana- 
ritium verursacht hat; an dieses hat sich die Sklerodermie 
angeschlossen. Dieses Panaritium an einem seinerzeit 
nicht verletzten Finger kann aber unmöglich einem 13 
Jahre zuvor erlittenen Unfall in die Schuhe geschoben 
werden, und es hat auch das Schiedsgericht den Zu¬ 
sammenhang abgelehnt. Was von einem „Giftstoff" gilt, 
das gilt auch von jedem anderen, eine Krankheit ver¬ 
ursachenden „Anstoss“. Dass ein in einem Unfall liegen¬ 
der „Anstoss“ seine Wirkung erst nach 13 Jahren an¬ 
fangen sollte zu entfalten, ist abzulehnen, und so wieder¬ 
hole ich meinen Rat, eine höhere Rentengewährung abzu¬ 
lehnen." 

Mit Endbescheid vom 9. Mai 1914 beharrte jetzt die 
Berufsgenossenschaft darauf, einen Anspruch auf Zahlung 
einer höheren Rente aus dem Unfall vom 17- März 1896 
nicht anzuerkennen. 

Gegen den Endbescheid hat der von Frau B. be¬ 
vollmächtigte Rechtsanwalt fristzeitig Berufung eingelegt 
unter Bezugnahme auf das im Einspruchsverfahren Vor¬ 
getragene. 

Am 9. Juli 1914 fand mündliche Verhandlung der 
Streitsache vor dem Kgl. Württembergischen Ober¬ 
versicherungsamt, Spruchkammer Reutlingen, statt. Der 
zur Sitzung beigezogene Gerichtsarzt, Dr. K. in R., er¬ 
stattete auf Grund der Akten das nachstehende münd¬ 
liche Gutachten; „Auch ich habe zunächst hervor¬ 
zuheben, dass es sich im vorliegenden Falle um eine 
seltene Erkrankung handelt und dass noch Unklarheit 
über dieses Leiden und über die letzte Ursache der Ent¬ 
stehung desselben besteht. Immerhin ist es Tatsache, 
dass schon in einer Reihe von Fällen diese Erkrankung 
in ursächliche?: Zusammenhang mit einem Unfall gebracht 
worden ist, so dass von vornherein es nicht aus¬ 
geschlossen erscheint, das Leiden auch hier mit dem 
Unfall in Zusammenhang zu bringen. Erwähnenswert 
ist, dass der Unfall ernsthafter Natur war. Ein Zu¬ 
sammenhang wäre wahrscheinlich gemacht, wenn aus 
den vorliegenden Gutachten eine allmähliche Ver¬ 
schlimmerung, und sei es auch sprunghafter Natur, nach¬ 
zuweisen wäre. Nun ist allerdings aus der grossen 
Mehrzahl der Gutachten nicht zu ersehen, dass Er¬ 
nährungsstörungen oder Gefühlsstörungen an der Hand 
bestanden hätten. Dabei ist aber zu beachten, dass der 
Nachweis bestehender Gefühlsstörung ein nicht ganz ein- 

' origir al frcnr 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 





20 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 2. 


tacher ist. Aut das Bestehen trophischer Störungen 
könnte es doch hinweisen, dass z. B. im Gutachten vom 
9. März 1906 Medizinalrat R. in R. feststellte, dass die 
linke Hand rissig verarbeitet und dass der Vorderarm 
etwas aufgedunsen war. Weiterhin ist das Panaritium, 
das 1909 am linken Mittelfinger auftrat, in dieser Rich¬ 
tung verdächtig, weil erfahrungsgemäss beim Vorhanden¬ 
sein von Ernährungsstörungen derartige Eiterungen an 
den Fingern häufig entstehen. Wenn Medizinalrat R. 
bemerkt hat, es sei ausgeschlossen, dass ein Gift erst 
nach 14 Jahren eine Wirkung im menschlichen Körper 
ausübe, so möchte ich dagegen betonen, dass es doch 
Krankheiten gibt, bei welchen dies der Fall ist, z. B. sei 
nur an Syphilis erinnert, bei welcher erfahrungsgemäss 
oft erst Jahrzehnte nach erfolgter Infektion schwere Er¬ 
krankungen an den Zentralorganen sich einstellen können. 
Ich möchte bei der Unklarheit, welche über die Ent¬ 
stehung der Krankheit herrscht, es für richtig halten, 
eine milde Beurteilung im vorliegenden Fall walten zu 
lassen und einen Zusammenhang des jetzt bestehenden 
Nervenleidens mit dem Unfall vom 17. März 1896 als 
ausreichend wahrscheinlich anzunehmen.“ Der anwesende 
Ehemann der Klägerin hob nochmals hervor, dass an 
der linken Hand seiner Frau schon vor 1906 (Unter¬ 
suchung durch Medizinalral R.) Ernährungsstörungen 
bestanden haben, indem die Finger vielfach auf¬ 
geschwollen gewesen und dann aufgebrochen seien. Auf 
Vorhalt des Vorsitzenden gab er weiter an, aus Anlass 
der Untersuchung seiner Frau am 4. Juli 1913 durch 
Medizinalrat Dr. St. auf dem Rathaus in N. habe er im 
Beisein eines Beamten der Berufsgenossenschaft den An¬ 
trag auf Rentenerhöhung gestellt. Das Oberver¬ 
sicherungsamt hat darauf folgende Entscheidung getroffen 
(unter Weglassung des Kostenpunktes). 

„Nach der zuverlässigen und unbestrittenen Fest¬ 
stellung der Medizinischen Klinik und Nervenklinik in 
Tübingen leidet die Klägerin an Sklerodermie (Zell¬ 
gewebsverhärtung der Haut, zu vergl. C. Thiem, Hand¬ 
buch der Unfallerkrankungen 2. Auflage Bd. I S. 325 ff.), 
einer selten vorkommenden schweren Krankheit, und ist 
zweifellos völlig erwerbsunfähig. Über die Ürsachen 
der Entstehung dieser Krankheit herrscht in der medi¬ 
zinischen Wissenschaft anerkanntermassen noch wenig 
Klarheit und Sicherheit, und speziell auch darüber, ob 
das Leiden als Folge äusserlicher Verletzungen (von 
Unfällen) auftreten kann, gehen die Ansichten ausein¬ 
ander. Die Medizinische Klinik und Nervenklinik 
Tübingen hat wiederholt betont, ein strikter ärztlicher 
Beweis für oder gegen die Möglichkeit eines Zusammen¬ 
hangs zwischen Unfall und Sklerodermie könne nicht 
gegeben werden, sie stehe aber ihrerseits auf dem Stand¬ 
punkt, dass ein solcher Zusammenhang abzulehnen sei. 
Die weiteren Gutachter in der Instanz der Berufs¬ 
genossenschaft, Medizinalrat Dr. St. in R. und Medi¬ 
zinalrat R. in R., haben sich der Anschauung der 
Tübinger Universitätsklinik angeschlossen, doch hat 
ersterer darauf hingewiesen, dass, insofern einige Autoren 
in einzelnen Fällen eine Verletzung als Ursache der 
Sklerodermie anerkannt haben, bei Anwendung besonderer 
Milde in der Beurteilung die Frage des ursächlichen Zu¬ 
sammenhangs zwischen Leiden und Unfall bejaht werden 
könnte. Der Gerichtsarzt Dr. K. in R. hat nun heute 
entschieden die Auffassung vertreten, dass, gerade weil 
bezüglich der Entstehungsursachen der Sklerodermie 
noch so wenig Klarheit und Übereinstimmung herrsche, 
eine der Klägerin günstige Beurteilung Platz greifen 
müsse. Der Gerichtsarzt hat eine Reihe bemerkens¬ 
werter Punkte hervorgehoben, die für die Möglichkeit 
sprechen, dass die schwere Blutvergiftung, die die 
Klägerin im Anschluss an die Verletzung ihres linken 
Kleinfingers durch einen Holzsplitter von der Dunggabel 
betroffen und die die ganze linke Hand und den ganzen 



linken Arm ergriffen hatte, auch weiterhin, wenn schon 
langsam und schleichend und mit scheinbarem, lang¬ 
jährigem Stillstand, ihre Wirkung im Körper der Frau 
weiter äussern und schliesslich zu der jetzigen schweren 
Erkrankung führen konnte. Der Gerichtsarzt hat dann 
noch den weiteren Schritt getan und seiner Überzeugung 
dahin Ausdruck verliehen, dass ein ursächlicher Zu¬ 
sammenhang zwischen Lnfall und Leiden nicht bloss 
möglich, sondern sogar überwiegend wahrscheinlich sei. 
Das Oberversicherungsamt hat, ohne die entgegen¬ 
stehenden Bedenken zu verkennen, sich in dem vor¬ 
liegenden besonders gearteten Falle die von sozialem 
Verständnis zeugenden Ausführungen und die Schluss¬ 
folgerung seines Sachverständigen zu eigen gemacht und 
so hinreichenden Nachweis dafür als erbracht angesehen, 
dass bei der Klägerin eine wesentliche Verschlimmerung 
in den Unfallfolgen seit Feststellung der lOprozentigen 
Rente im Oktober 1898 eingetreten ist, die eine Er¬ 
höhung der Rente gerechtfertigt erscheinen lässt. Der 
angefochtene Bescheid unterlag daher der Aufhebung. 
Was das Mass der Rentenerhöhung anbelangt, so war, 
da die Klägerin, wie schon erwähnt, als gänzlich er¬ 
werbsunfähig zu gellen hat, auf die Vollrente (100%) zu 
erkennen. Nicht ganz einfach war es, zu entscheiden, 
von welchem Zeitpunkt ab die Rentenerhöhung in Wirk¬ 
samkeit zu treten hat. Nach § 611 der R. V. O. kann 
Erhöhung der Rente nur für die Zeit nach Anmeldung 
des höheren Anspruchs verlangt werden. Ausweislich 
der Akten ist aber ein förmlicher Antrag auf Erhöhung 
der Rente von seiten der Rosine B. bezw. ihres Ehe¬ 
manns neuerdings (im Gegensatz zu 1909) gar nicht ge¬ 
stellt worden, es scheint vielmehr, dass die Frage der 
Rentenerhöhung von der Beklagten von Amtswegen ge¬ 
prüft worden ist. Den Anstoss dazu hat jedenfalls das 
Ergebnis der Untersuchung durch Medizinalrat Dr. St. 
in R.. am 4. Juli 1913 gegeben, bei der zuerst die 
schweren krankhaften Störungen festgestellt wurden, die 
dann nachher in der Tübinger Klinik als Erscheinungen 
der Sklerodermie erkannt worden sind. Der Beginn der 
Rentenerhöhung war daher am besten auf den Tag nach 
dieser Untersuchung zu verlegen. Dies wäre auch für 
den Fall richtig, dass das heutige Vorbringen kläge¬ 
rischerseits, das Gesuch um Rentenerhöhung sei eben 
anlässlich der mehrgenannten Untersuchung bei dem an¬ 
wesenden Beamten der Berufsgenossenschaft mündlich 
angebracht worden, auf Wahrheit beruht.“ 

Vorstehender Entscheidung soll noch eine kurze 
grundsätzliche Erörterung hinsichtlich ihres endgültigen 
Charakters beigefügt werden. Nach § 1700 Ziff. 8 der 
R. V. O. ist der Rekurs ausgeschlossen, wenn es sich 
handelt um Neufeststellung von Dauerrenten wegen 
Änderung der Verhältnisse. Hiermit ist § 608 der R. 
V. O. zu vergleichen, wo es heisst: „Tritt in den Ver¬ 
hältnissen, die für die Feststellung der Entschädigung 
massgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung 
ein, so kann (richtiger: muss) eine neue Feststellung ge¬ 
troffen werden.“ Dies bezieht sich zweifellos auch auf 
die Rentenerhöhungen bei nachgewiesener wesentlicher 
Verschlimmerung des Unfallzustandes. Zu vergl. auch 
R. V. O. § 1584. Die Berufsgenossenschaft ist im vor¬ 
liegenden Falle davon ausgegangen, dass es sich 
um Änderung einer Dauerrente handle. Die Fest¬ 
setzung der Rente auf 10 Prozent im Oktober 1898 
bedeutete nämlich nach der herrschenden Rechtsaus¬ 
legung, da seit der Rechtskraft des ersten Bescheids 
zwei Jahre abgelaufen waren, die erstmalige Feststellung 
einer Dauerrente. Hiernach wurde wohl mit Recht die 
Entscheidung des Oberversicherungsamts als nicht rekurs- 
fähig bezeichnet. Es muss aber unverkennbar als be¬ 
denklich erscheinen, dass in derartigen wichtigen Streit- 
I fällen von einschneidender Bedeutung, wie sie sich häufig 
I wiederholen können, die oberste Instanz nicht zu Wort 

Origiral frcm 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 2. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


21 


kommen soll. Für die Anwendung des § 1693 der R. 
V. O. —■ Abgabe der Sache an das Reichsversicherungs¬ 
amt — war leider kein Raum gegeben, weil eine Ab¬ 
weichung von einer amtlich veröffentlichten grundsätz¬ 
lichen Entscheidung des Reichsversicherungsamts nicht 
in Frage stand (eine derartige Entscheidung liegt offen¬ 
bar noch nicht vor) und weil es sich weiterhin auch nicht 
um eine noch nicht festgestellte Auslegung gesetzlicher 
Vorschriften von grundsätzlicher Bedeutung (sondern 
vielmehr um eine medizinische Streitfrage) handelte. 


Aus der St. J o s e f s H e i 1 a n s t a 11, Berlin-Weißensee. 

Vial’s tonischer Wein. 

Von Nervenarzt Dr. Rud. Topp, dirigierender Arzt der Anstalt. 

Alles im Leben ist dem Wechsel unterworfen. Was 
gestern aufgetaucht, gepriesen, auf den Thron gehoben 
wurde, wird heute mißachtet, bekämpft, in den Staub 
gezogen, Modelaunen, Strömungen, die ihren Einfluß 
geltend machen auf allen Gebieten menschlicher Tätig¬ 
keit, den Dingen des alltäglichen Lebens sowohl, wie 
auch dem Streben und Forschen exakter Wissenschaft. 
Und auch die höchste und edelste der letzteren, sie, die 
sich befaßt mit den Studien des gesunden und kranken 
Körpers und Geistes, die nach der Erkenntnis strebt, 
Gesundheit zu erhalten, Krankheit zu heilen, ist dem¬ 
selben Wechsel von Meinung und Ansicht nicht minder 

unterworfen.Gewiß, ihre Grundlagen stehen fest 

und unerschütterlich von Jahrhundert zu Jahrhundert, die 
Resultate fortschreitender Erkenntnis bleiben anerkannt 
und gesichert für alle Zeit — aber die Wege und 
Bahnen, die sämtlich dem einen und selben Endziele 
zustreben, sind dem ewigen Gesetze des Wechsels unter¬ 
tan, wie alles hienieden. Viele Wege führen nach Rom; 
der eine wandelt diesen, der andere jenen, alle gelangen 

dahin-welcher Weg aber der „absolut“ sicherste 

und beste ist, wird stets eine Kontroverse bleiben, die 
sich nur von den jeweiligen individuellen Umständen 
aus betrachten, diskutieren und beurteilen läßt. Genau 
so verhält es sich mit vielen Fragen der praktischen 
Heilkunde. Unter diesen ist eine der wichtigsten und 
strittigsten die „Alkoholfrage!“ Ich will nicht auf die 
hochbedeutsame ethische und soziale Seite der Frage 
eingehen, das ist nicht Zweck und Aufgabe dieser 
Zeilen — nur als Arzt, als therapeutisch wirkender Arzt, 
als Nervenarzt insbesondere, will ich die Sache mög¬ 
lichst objektiv zu beurteilen suchen. Für und wider den 
Alkohol wird von Berufenen und Unberufenen leiden¬ 
schaftlich gekämpft, ernst und sachlich mit den Waffen 
der Wissenschaft sowohl, wie mit dem hohlen Rüstzeug 

des blinden, oder nicht sehen wollenden Fanatismus- 

und die Wahrheit? nun, wie bei allen derartigen strittigen 
Ansichten zumeist, in der Mitte! Absolut ist nichts 
schlecht und verwerflich, was die Natur geschaffen; ein 
jedes Ding am rechten Platze, zu rechter Zeit und in 
richtiger Weise benutzt und verwendet, wird das ihr 
eigene Gute zur Geltung und Wirkung bringen. Ganz 
analog ist, kurz präzisiert, mein Standpunkt zur Alkohol¬ 
frage in der Medizin. Von dem Standpunkte des ge¬ 
wissenhaft erwägenden, sorgfältig individualisierenden, 
mit den Erfahrungen der Physiologie und Pharmakologie 
vertrauten Arztes, möchte ich den Alkohol nicht missen. 
Als Medikament behandelt, wirkt er zweifelsohne sehr 
segensreich und ist in vielen Fällen, allen Gegenbehaup¬ 
tungen zu Trotz, bei objektiver Würdigung seiner Wir¬ 
kung tatsächlich durch Ersatzmittel einfach nicht zu er¬ 
setzen. Auf seine pharmakologischen und pharmakody- 
namischen Eigenschaften und Effekte einzugehen, er¬ 
übrigt sich, sie sind allbekannt. Er ist Heizmittel und 

Digitized by Google 


Nährmittel zugleich; beide Wirkungen kommen im ge¬ 
sunden und kranken Organismus zur Geltung, und gerade 
sie sind es, deren Vereinigung im gegebenen Falle so 
segensreiche und erfreuliche Resultate erzielt. Wer sehen 
will, kann sich dieser tagtäglichen ärztlichen Erfahrung 
nicht verschließen. Und mehr noch als der praktische 
Arzt haben wir Nerven- und Irren-Ärzte in der Anstalts¬ 
tätigkeit Gelegenheit, uns von der Wahrheit und Unum- 
stößlichkeit des Gesagten zu überzeugen. Mag man den 
Alkohol als Genußmittel verwerfen und bekämpfen, als 
erleichterndes, heilendes, ja mitunter lebensrettendes 
Medikament wird er alle Zeit seinen Platz im Rüstzeuge 
der Heilkunde behaupten. 

Zahllos wie seine Indikationen sind die Formen 
seiner medikamentösen Anwendung zum äußeren und 
inneren Gebrauche. Alle möglichen Kombinationen mit 
anderen Arzneistoffen hat man geschaffen und darge¬ 
stellt, um die Grundwirkungen des Alkohols selbst, oder 
die der angegliederten Komponenten zu erhöhter Wirk¬ 
samkeit zu bringen bezw. eine Mischwirkung beider zu 
erzielen. So sind eine ganze Reihe vorzüglicher und 
nutzbringender Medikamente und Nährmittel entstanden, 
die der Arzt von Fall zu Fall zum Heile seiner Pflege¬ 
befohlenen ordinieren kann. Eines dieser Präparate 
möchte ich heute herausgreifen und kurz darauf hin- 
weisen, weil es mir in einer ganzen Anzahl von Fällen 
sehr schätzenswerte Dienste als Stärkungs- und Kräf¬ 
tigungsmittel geleistet hat: „Vials tonischer Wein“. 

Der Chinawein der Pharmakopoe ist schon sehr 
lange als ein ausgezeichnet tonisierendes Mittel bekannt; 
leider verliert er, wie O. Liebreich nachgewiesen 
hat, bei längerem Konservieren und Lagern durch Ab¬ 
scheidung gerbsäurehaltigen Materials an Wirksamkeit, 
sodaß nur ein frisch zubereiteter und schnell verbrauch¬ 
ter Chinawein gewünschte Effekte zu erzielen vermag. 
Andere Chinaweine, hergestellt durch Auflösung der 
Chinaalkaloide in Wein, besitzen durchweg intensiv 
bitteren Geschmack, werden daher leicht auch weniger 
empfindlichen Patienten widerlich, ganz abgesehen da¬ 
von, daß größere Dosen alkoholischer Chininlösung vom 
Magen aus schlecht vertragen werden (O. Liebreich). 
Es ist daher zur Gewinnung eines von diesen Übel¬ 
ständen möglichst freien Präparates der Zusatz anderer 
geeigneter Tonica erforderlich. Die Lösung dieser Frage 
scheint mir in Vial’s tonischem Weine trefflich gelungen. 
Derselbe besteht aus Fleischextrakt, Chinarinde und 
Kalklaktophosphat, aufgelöst in altem spanischen Edel¬ 
weine; je 30 ccm davon enthalten die wirksamen Be¬ 
standteile von 30 g Fleisch, 2 g Chinarinde und 30 Centi- 
gramm Kalklaktophosphat. Der Geschmack ist, das sei 
hier schon vorausgeschickt, relativ angenehm, der eines 
guten Malagaweines mit leicht bitterem Nachgeschmack, 
so daß er auch von empfindlichen Personen, Damen, 
Kindern, nur ganz vereinzelt refüsiert wird. Ein Blick 
auf die Zusammensetzung allein läßt schon a priori er¬ 
kennen, daß wir es hier mit einer äußerst glücklichen 
Kombination energisch wirkender tonisierender Stoffe 
zu tun haben müssen, und diese theoretische Annahme 
hat die Erfahrung der Praxis vollauf bestätigt. Es würde 
zu weit führen, wollte ich auf die pharmakodynamischen 
Wirkungen jeder einzelnen Komponente des näheren 
eingehen, sie sind jedem Arzt bekannt; zusammengefaßt 
kann man mit A. M o e 1 1 e r sagen: „Vial’s Wein erfüllt 
gemäß seiner physiologischen Grundsätze die drei Postu- 
late als Tonikum, Roborans und Excitans.“ 

Daß er dieses wirklich ganz ausgezeichnet tut, davon 
habe ich mich in meiner Anstalt und privatärztlichen 
Tätigkeit als Nerven- und Irren-Arzt sehr häufig über¬ 
zeugen können. Bei Schwächezuständen und Er¬ 
schöpfungszuständen im Gefolge funktioneller und or¬ 
ganischer Nerven- und Geisteskrankheiten habe ich ihn 
vielfach angewendet und er hat mir bei objektivster ße- 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







22 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 2. 


urteilung so treffliche Dienste geleistet, daß ich ihn trotz 
seines einzigen Nachteiles, seines relativ hohen Preises, 
von M. 4.50 per Fl., wo es nur eben möglich, verordne. 
Dreimal täglich ein Likörgläschen voll, vor den Mahl¬ 
zeiten gereicht, ist die Dosis, die ich zu therapeutischen 
Zwecken niemals überschritten habe. Üble Neben- und 
Nachwirkungen habe ich bei Innehaltung dieser Dar¬ 
reichungsmenge in keinem Falle beobachtet, wenn auch 
Magen- und Darmfunktion subjektiv und objektiv patho¬ 
logisch alteriert war. Ganz im Gegenteile, gerade bei 
totaler Anorexie, hat Vial’s Wein sich als treffliches und 
appetitanregendes Stomachikum bewährt. Nur zur Kenn¬ 
zeichnung der Unschädlichkeit des Präparates will ich 
hier erwähnen, daß ich zu Versuchszwecken, allerdings 
bei gesunden Personen, viel größere Dosen, >/ 2 —1 Flasche 
pro die, habe nehmen lassen, ohne daß außer leichtem 
Magendrucke und hier und da etwas Übelkeitsgefühl 
besondere nachteilige Folgen des Genusses sich bemerk¬ 
bar gemacht hätten. Das Fundament jeder Medikation, 
„Primum nihil nocere“ ist bei diesem Mittel fest und 
sicher gegründet. 

Von den zahlreichen Fällen meiner Beobachtung 
will ich im folgenden nur einige wenige herausgreifen 
und kurz skizzieren. Alle sind sorgfältig beobachtet 
und vorurteilsfrei nach jeder Richtung hin beurteilt und 
bewertet. Ich darf wohl behaupten, daß bei allen der 
erzielte Erfolg in der Hauptsache dem Vial zuzu¬ 
schreiben war und nicht etwa anderen mitwirkenden 
Faktoren. 

1. F. S., 49 Jahre alt, Kaufmann. Tabes dorsalis. Ohne 
auf die nähere Symptomatologie des Leidens näher einzugehen, 
will ich nur hervorheben: Bei Aufnahme hochgradige Unter¬ 
ernährung und Erschöpfungszustand. Körpergewicht des 1,69 m 
grossen Patienten 52,7 kg. Haut trocken, welk, runzelig. 
Totale Anorexie. Häufige gastrische Krisen, nach denen die 
Nahrungsaufnahme tagelang völlig sistiert ist. Übliche sym¬ 
ptomatische Behandlung; daneben als einziges Stomachikum und 
Tonikum dreimal täglich 1 Likörgläschen Vial’s Wein. Der¬ 
selbe wird gern genommen, von Anfang an gut vertragen. 
Schon nach acht Tagen ist eine erhebliche Besserung des 
Appetits zu konstatieren: derselbe steigert sich im Verlaufe 
einiger Wochen immer mehr, lässt auch trotz der fortbestehen¬ 
den, allerdings etwas seltener, in zwei- bis dreiwöchigen Inter¬ 
vallen auftretenden gastrischen Krisen nicht mehr nennenswert 
nach. Das Körpergewicht hebt sich langsam, aber stetig, nur 
nach den Krisen ist jeweilig ein geringer Rückgang darin zu 
verzeichnen. Mit Besserung des Ernährungszustandes subjek¬ 
tive und objektive Besserung des Allgemeinbefindens, Schwinden 
der seelischen Depression. P. wird nach achtmonatiger Be¬ 
handlung sehr erheblich gebessert mit einem Plus an Körper¬ 
gewicht von 14,4 kg entlassen.' 

2. W. B., 32 Jahre alt, Gastwirt. Multiple Sklerose. 
Manifest und diagnostiziert besteht die Erkrankung seit drei 
Jahren. In dem letzten Vierteljahre erhebliche Magen- und 
Darmstörung, völlige Appetitlosigkeit. Rückgang des Körper¬ 
gewichtes innerhalb dieser Zeit von 79,1 kg auf 63,2 kg. Vial, 
gern genommen und gut vertragen, wirkt auffallend günstig; 
das häufige Erbrechen sistiert bald, Hungergefühl stellt sich 


ein; nach halbjähriger Behandlung ist das Körpergewicht wieder 
auf 77 kg gestiegen. Patient befindet sich noch in Behandlung. 

3. F, K., 18 Jahre alt, Kontoristin. Chorea minor 

(AuBsenpraxis). Anämisches, sehr schwächliches Mädchen. Ge¬ 
wicht bei 1,67 m Grösse nur 42,4 kg. Nahrungsaufnahme sehr 
schlecht, hat Ekel vor allen Speisen; oft Erbrechen. Mitral- 
insuffiezinz auf dem Boden eines vor vier Jahren durchgemachten 
Gelenkrheumatismus, sonst innere Organe gesund. Bettbehand¬ 
lung zu Hause, die von den einsichtigen Angehörigen streng 
durchgeführt wird. Als Stimulans und Roborans einzig Vial 
in üblicher DosiB. Nach zehnwöchiger Behandlung ist das 
Körpergewicht um 13,1 kg gestiegen, sinkt, nachdem Patientin 
das Bett verlassen darf, innerhalb der ersten vier Wochen trotz 
Vial und guter Nahrungsaufnahme wieder um 1,6 kg, steigt 
dann aber nochmals weiter an. Wurde Vial ausgesetzt, war 
jedesmal ein deutlicher Rückgang des Appetits unverkennbar. 
Nach im ganzen viermouatiger Behandlung beträgt das Körper¬ 
gewicht des blühend und frisch aussehenden Mädchens 63,1 kg. 
Geheilt entlassen. 

4. R. B, 62 Jahre alt. Oberlehrer. Morphinismus. Leiden 
besteht seit zirka 2 Jahren. Körperlich elend, verfallen, nur 
Haut und Knochen. Nahrungsaufnahme minimal, viel Er¬ 
brechen, oft Durchfälle profuser Art. Schnelle Entziehungskur, 
blande Diät, von Anfang an daneben Vial. Bezüglich Hebung 
von Appetit und Körperkräftiguug gewohnter Effekt. Patient 
wurde nach l l / s jähriger Behandlung in geschlossener Anstalt 
als „geheilt“ entlassen. Während der ganzen Kur wurde Vial 
beibehalten; vorübergehende Aussetzung war stets von Nachteil 
bezüglich Appetit und Kräftezustand. Körpergewicht bei der 
Aufnahme 54,3 — beim Ausscheiden 76,9 kg. 

5. J. R., 27 Jahre alt, cand. phil, Neurasthenie (speziell 
Beteiligung der sexuellen Sphäre: Impotentia coeundi). Früher 
exzessiv masturbiert und ab und an auch heute noch. Pollutiones 
nimiae nocturnae ac diurnae ohne Orgasmusgefühl. Psychische 
und somatische Erschöpfung. Appetitlos. Greisenhaftes Aus¬ 
sehen. Körpergewicht 53,9 kg. Äusserst depressive Stimmungs¬ 
lage; Suizidideen, die er nach eigener Angabe nur aus Mangel 
an Initiative und Energie nicht in die Tat urasetzen kann. 
Psychotherapie, Vial. Der Appetit hebt sich in wenigen Wochen 
mächtig; Gewicht steigt langsam, aber progredient an; die 
Körperkräfte nehmen subjektiv und objektiv erheblich zu. Die 
Gemütsdepression weicht und macht hoffnungsfroher Stimmung 
Platz Heute nach dreivierteljähriger Behandlung ist Patient 
als fast genesen zu bezeichnen. Sein Körpergewicht beträgt zur 
Zeit 71,9 kg. Vial will Patient nicht mehr missen. 

Auch in rein psychiatrischen Fällen habe ich unser 
Präparat mit grossem Erfolge häufig angewandt. Die 
besten Resultate habe ich mit ihm erzielt bei Kata- 
tonikern, Paranoikern mit Vergiftungsideen, Angst¬ 
psychosen, Zirkulären in der depressiven Phase, auch 
bei somatisch stark reduzierten Paralytikern — überall 
hat es mir bei Bekämpfung von Appetitlosigkeit, Er- 
schöpfungs- und Schwächezuständen für kürzere oder 
längere Zeit so treffliche Dienste geleistet, wie man sie 
bei optimistischer Auffassung kaum erhoffen durfte. Ich 
empfehle daher insbesondere den Fachkollegen Vials 
tonischen Wein als eines der besten und dankbarsten 
I Mittel zur Hebung von Appetit und Körperkraft. 


Digitized 


w Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 2. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


23 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeines. 

Über Alkohol Im Felde macht der Berliner Universitäts- 
Professor Dr. med. Schwalbe an leitender Stelle in der Frank¬ 
furter „Umschau“ (1914 Nr. 52) bemerkenswerte Ausführungen. 
Er nimmt darin auf die bekannte Stellung und das Beispiel 
des Kaisers in dieser Frage und den entschiedenen Standpunkt 
der deutschen Kriegs-Sanitatsordnung Bezug, ferner auf die 
tausendfältigen, wissenschaftlich bearbeiteten Erfahrungen. Als 
deren Ergebnis fasst er zusammen: „Immer wieder ist es fest¬ 
gestellt worden, dass die Anregung, die der Alkohol bei Stra¬ 
pazen, insbesondere bei Bergbesteigungen, starken Marsch¬ 
leistungen usw. gewährt, nur kurze Zeit dauert und meist von 
einer Herabsetzung der Kraft und der Willensenergie schnell 
abgelöst wird. Ebenso hat man bei Schülern, Arbeitern u. a. 
durch experimentelle Versuche den Nachweis geliefert, dass die 
Auffassungsfähigkeit durch Alkoholgenuss beeinträchtigt, die 
geistige Ausdauer und Leistung vermindert werden kann. Von 
weiteren Schädigungen des Alkoholgenusses, insbesondere der 
Alkoholexzesse, an dieser Stelle ganz zu geschweigen.“ Pro¬ 
fessor Schwalbe bezieht sich dann auf die Erklärung 
des preusBischen Kriegsministeriums, dass die Zusendung 
grösserer Alkoholmengen zum Feldheer in keiner Weise unter¬ 
stützt oder geduldet werden solle, und dass als freiwillige 
Gaben (Liebesgaben) ausser Rotwein alkoholhaltige Getränke 
nicht mehr genommen würden, und urteilt hierüber: „In der 
Tat muss es vom hygienischen Standpunkte als sehr erfreulich 
bezeichnet werden, dass an den bisherigen Vorschriften der 
Heeresleitung im Interesse der Gesundheit und der Schlagkraft 
unserer Armee nicht gerüttelt werden soll. Man kann allenfalls 
seine Bedenken dagegen unterdrücken, dass die Soldaten unter 
den in der Kriegssanitätsordnung vorgesehenen Umständen 
einen Schluck Alkohol zu sich nehmen, aber man soll anderer¬ 
seits berücksichtigen, dass bei den regelmässigen, auf Quantität 
und Qualität unkontrollierbaren Alkoholsendungen, die in Form 
von Liebesgaben direkt an unsere Soldaten geliefert werden, 
dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist und die Folgen 
sowohl für den Einzelnen, wie für einen ganzen Truppenteil 
recht unerfreulich sein können.“ Der Verfasser erinnert dabei 
an die Gefahren, die aus den Wirkungen und Nachwirkungen 
des Alkoholgenusses sich für die Kampffähigkeit der Soldaten, 
für ihren Widerstand gegen Kälte und Krankheiten, den Ver¬ 
lauf von Operationen (insbesondere Erschwerung der Narkose) 
und der Wund- und Krankheitsheilung ergeben, und bemerkt 
noch: „Mancher Erschöpfungszustand dürfte nicht nur auf die 
enormen Strapazen, sondern auch zum Teil wenigstens auf ein 
Cbermass von Alkohol zurückzuführen sein.“ Neumann. 

K u n e r t (Breslau). Das heutige Zahn elend und der 
einzige Weg zu seiner Überwindung. (Deutsche zahnärztliche 
Wochenschrift 1915. XVIII. No. 14). 

Der dermalige Weltkrieg ist nicht bloss ein Waffengang 
grössten Stils, sondern er bringt auch eine Umwälzung auf allen 
Gebieten mit sich. Mit grösserem Recht als von der französischen 
Revolution werden spätere Geschlechter vom Weltkrieg 1914/15 
eine neue Zeit datieren. Die ruhige Sicherheit, in welcher sich 
bis jetzt die herrschenden Anschauungen und ihre Vertreter 
wiegten, wird erheblich gestört werden, wenn gleich das Be¬ 
harrungsvermögen in der geschichtlichen Entwicklung allzu 
sprunghafte Neuerungen verhüten wird. Jedenfalls kehrt aber 
die Mehrzahl der denkenden Persönlichkeiten mit einer Fülle 
neuer Eindrücke aus dem Felde zurück, und je häufiger sie 
beobachteten, dass die Tateachen keineswegs immer mit den 
offiziellen Lehren übereinstimmten, um so eher werden sie zu 
deren kritischen Revision geneigt sein. Wir gehen da einer 
interessanten Zeit entgegen, in welcher die bisherigen Macht¬ 
haber sich gegen neue Ideen zu verteidigen haben werden. Der 
Ausgang kann nicht zweifelhaft sein. 

Derlei neue Ideen sind auch im weiten Gebiet der Medizin 

Digitized by Google 


zu erwarten, nicht zum wenigsten in der Ernährungslehre. 
Denn das Experiment ira grossen hat zum mindesten Zweifel 
an den Standartzahlen für Eiweiss usw. erweckt Die Labo¬ 
ratoriumsversuche an geduldigen Hunden und Menschen werden 
kaum noch überall als entscheidend angesehen werden. In 
dieses Kapitel gehören auch die Bemühungen von Zahnarzt 
Dr. K u n e r t um ein Vollkornbrot. Zu wiederholten Malen 
und auch im vorliegenden Aufsatz erklärt er das Streben nach 
möglichst feinem, möglichst weissem Brot für unzweckmässig. 
Denn einmal beraubt man sich durch die Entfernung der Ge¬ 
treidehülse höchst wichtiger Bestandteile, und zum zweiten er¬ 
kranken die Zähne mangels ausgiebiger Kau-Notwendigkeit. In 
Verfolgung C u v i e r’scher Ideen könnte man von der Er¬ 
krankung der Zähne auf anderweitige, korrelative Erkrankungen 
hinweisen. K u n e r t entwickelt Beine Anschauungen so klar 
und folgerichtig, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. 
Hoffentlich macht dieser Krieg, wie für so manche andere Ver¬ 
besserungen, auch für diese die Bahn frei. 

Buttersack. 


Bakteriologie und Serologie. 

B 1 u m e n a u , Über die Moro-Doganoftsche Reaktion 
und über eine neuo Tropfenptlasterreaktion. (Zeitschrift f. 
Tuberkulose, Bd XXII, Heft 2.) 

Auf Grund Beiner Beobachtungen kommt B. zu dem Schluss, 
dass die von Moro vorgeschlagene perkutaneReaktion 
durch die Modifikation der Tropfeupflasterreaktion 
äussert vereinfacht, absolut unschädlich ist, dem Kranken keine 
unangenehmen Empfindungen verursacht, einen minimalen Zeit¬ 
aufwand erfordert, so dass sie für Massenuntersuchungen in den 
Schulen und Lazaretten vollkommen geeignet ist, und dass sie, 
was die Hauptsache ist, hinsichtlich der Empfindlichkeit der 
v. Pirquetschen Reaktion fast nicht nachsteht. 

Die Technik der neuen Methode ist folgende: Auf die 
sorgfältig mit Benzin oder Äther abgeriebene Haut der Beuge¬ 
fläche des Vorderarms, in der Nähe der Ellenbogenfalte wird 
ein Tropfen unverdünnten Tuberkulins 
aufgetragen und darauf ein viereckiges Stück amerikanischen 
Heftpflasters geklebt, jedoch so, dass der Tropfen nicht über 
den Rand des Pflasters hinausfliesst. 

Die charakteristische Knötcheneruption tritt gewöhnlich 
innerhalb 24 Stunden, weit häufiger nach 48 Stunden auf. 

Kant- Nervi. 

H. Haupt: Beitrag zur Schutz- und Heilimpfung gegen 
die Tuberkulose bei Meerschweinchen und Kaninchen. (Zeit¬ 
schrift f. Tub. Bd. XXII, Heft 5.) 

Aus der sehr interessanten Arbeit möchte ich hier nur 
anführen, was der Verf. zusaramenfassend erwähnt, nämlich dass 
die Tuberkulose der Meerschweinchen und Kaninchen durch 
Tuberkulin, Tuberkuloseserum und Sero- 
vakzin „Höchst“, Siero-Vaccino-Bru- 
schettini, Tebean, Bovotebean, Tebe- 
s a p i n oder Milchsäuretuberkelbazillen 
nach Much, weder bezüglich des Lebensalters, noch der 
Tuberkuloseverbreitung, noch besonderer Heilbestrebungen des 
Organismus noch des Gesamtergebnisses in den einzelnen Ver¬ 
suchsreihen derartig beeinflusst wird, dass Schlüsse auf die 
günstige Wirkung irgend eines der Mittel gegenüber 
einem der einzelnen Beurteilungspunkte gezogen werden könnten. 
— Ungünstig scheint Bovotebean auf die Lungen- 
und Lebertuberkulose der Meerschweinchen gewirkt zu haben. 

Kant- Nervi. 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 2. 


24 


Innere Medizin. 

Prof. W a 1 k o. Über RückfallHebcr. (Wiener klinische 
Wochenschrift. No. 19; 1915.) 

Der Verfasser bespricht an der Hand von 190 Fällen 
seine Beobachtnngen über den Verlauf des Rückfallfiebers. Die 
Intervalle zwischen den einzelnen Fieberanfallen schwankten 
zwischen 8 Tagen und 4—6 Wochen. Die Anfälle wechselten 
auch in ihrer Intensität. Der Anfall beganu meist plötzlich 
im besten Wohlsein. Magen - Darmbeschwerden ähnelten sehr 
den Dysenterie-Katarrhen, Nasen- und Darmblutungen traten 
nicht selten auf. Zu Beginn des Anfalls trat fast stets eine 
schwere vorübergehende Anämie auf. Der Herzmuskel wurde 
durch das Rekurrensgift sehr oft stark geschädigt (Obduktion: 
fettige Degeneration des Myokards). Gelegentlich enthielt der 
Urin Eiweiss und Zylinder. Vielfach traten während der Fieber¬ 
periode Reizerscheinungen des Zentralnervensystems in den 
Vordergrund. Milzschwellung war häufig. Jedoch waren jene 
Fälle die schwersten, wo kein Milztumor bestand oder derselbe 
besonders lange unverändert bestehen blieb. Dagegen war das 
rasche An- und Abschwellen mit relativ günstigem Verlauf 
verbunden. MiBcbinfektionen verliefen stets schwer. Therapeutisch 
wirkte das Neosalvarsan intravenös stets prompt. Die wirk¬ 
samste Dosis war 0,6, Rezidive waren danach selten (20 Proz.) 
und stets sehr leicht. Das Neosalvarsan bewährte sich in allen 
Stadien, auch zur Zeit der Entfieberung. 

J o h. W e i c k s e 1. 

H. Sch wermann: Rlutiintcrsuchungen bei Lungen¬ 
tuberkulose. (Zeitschrift f. Tub- Bd. XXII, Heft 5.) 

An den Untersuchungen Schw.’s. geht hervor, dass das 
rote Blutbild durch die reine, unkomplizierte Lungen¬ 
tuberkulose in den ersten Stadien nur wenig verändert wird; 
man findet alle Werte von leicht anämischen bis zu normalen. 
— Mitunter findet man auch in fortgeschrittenen Fällen nor¬ 
male und übernormale Zahlen, Befunde, die oft in Widerspruch 
stehen mit der Blässe der äusseren Haut. 

Erst bei den schweren Fällen, sowie vor allem bei den 
schwersten fieberhaften Prozessen lässt sich regelmässig eine 
deutliche, oft recht erhebliche Abnahme der Zahlen für den 
Hämoglobingehalt und die Erythrozyten fest¬ 
stellen. Auch bei Darmtuberkulose sowie nach schweren Lungen¬ 
blutungen ist der Gehalt des BluteB sowohl an Farbstoff wie 
an roten Blutzellen oft stark herabgesetzt. — Die Pneumo¬ 
thoraxbehandlung übt nicht nur auf die tuberkulöse 
Erkrankuug einen günstigen Einfluss aus, sondern scheint, so¬ 
weit Schw. aus dem einen von ihm untersuchten Fall einen 
Schluss ziehen zu können glaubt, auch eine Besserung 
der Blutbeschaffenheit zu bewirken, indem sowohl der Hämo- 
g lobingehalt wie besonders die Zahl der Erythro¬ 
zyten eine deutliche Vermehrung zeigen. 

Kant- Nervi. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Dr. I r k. Über zwei Fälle von Kotphlegmone und Kotabszeß 
nach Schußverlctznng des Bauches durch Schrajmelltüllkugeln. 
(Wiener klinische Wochenschrift. No. 17; 1915 ) 

Der Verfasser berichtet eingehend über 2 günstig verlaufene 
Fälle von Bauchschüssen mit Komplikationen. In beiden Fällen 
handelte es sich um penetrierende Verletzungen des Abdomens. 
Beide Male lag der Einschuss in der linkeu Leistengegend. In 
beiden Fällen kam es zur Bildung eines ausgedehnten Kotabs¬ 
zesses von der Einschussöffnung ausgehend. Bei dem einen 
kam noch auf der dem Einschuss entsprechenden Rückenseite 
eine Kotphlegmone hinzu. Das infizierte Gebiet muss gründlich 
freigelegt werden. Der Kot muss durch Gummidrains abgeleitet 
werden. Dabei muss sehr vorsichtig verfahren werden. Ver¬ 
meidung das intakte Peritoneum zu öffnen und die rasch ge¬ 
bildeten noch zarten Verklebungen und Adhäsionen des Darmes 
einzureissen. Die gespaltene Phlegmone und die unterminierten 
Hauttaschen werden durch lockere Gazetamponade weit offen 
gehalten. In der Klinik kommen diese Patienten in ein per¬ 
manentes Wasserbad, welches eine ideale Reinhaltung der 


eiternden Wunden und vor allem auch das Auftreten von 
Dekubitus verhindert. Wenn dies nicht vorhanden, dann wird 
die ganze Wandfläche mit steriler Gaze und sterilen Kissen, die 
leicht gewechselt werden können, bedeckt. 

Joh. Weicksel. 


Psychiatrie und Neurologie. 

San-Rat D r. W i s z w i a n s k i : Demonstration von 
Krlrggnenrosen und -Neuralgien, besonders Isvhlas. (Demon- 
strationsabend d. Kriegsärztl. Abende, am 29. Juni 1915 i. d. 
Königl. Charitö-Poliklinik f. Nervenmassage.) 

Der Demonstration schickte der Vortragende einige einleitende 
Worte über die Bedeutung der Nervenmassage für die Diagnose 
und die Behandlung funktioneller Schmerzzustände voraus. Die 
Untersuchung auf N erven punkte setzt da ein, wo die andern 
Methoden aufhören, die bisher sich nur mit der Feststellung 
begnügten, ob das Leiden ein organisches oder ein funktionelles 
ohne anatomische Grundlagen wäre. Auf den locus doloris 
wurde weniger eingegangen, da man mit der Behandlung 
dfes Grundleidens schon genug getan zu haben glaubte. Ging 
man nun durch Anwendung physikalischer oder mechanischer 
Massnahmen mehr auf die lokale Behandlung der Schmerz¬ 
quellen ein, so klammerte man sich zu sehr an den anatomischen 
Verlauf der Nerven, während die Nervenmassage dank der ver¬ 
feinerten Technik die sensiblen Nervenpunkte aufsucht und be¬ 
handelt, unabhängig von dem Vorhandensein der sogenannten 
Valleix’schen Punkte. Aus diesen Gründen erklären sich auch 
die überraschenden Erfolge bei der Behandlung der Ischi as, die 
in den seltensten Fällen den Stamm des Nerven ergreift und 
mehr von den Seitenästen aus therapeutisch zu fassen ist. Die 
Erfahrung lehrt, dass diese so weit verbreitete Erkrankung in 
der Mehrzahl der Fälle auf einer allgemeinen neuralgischen 
Disposition des ganzen Körpers mit nur vorübergehender Lokali¬ 
sation an einem Beine beruht. Die Druckpunkte beginnen meist 
schon am Cucullaris, steigern sich im Verlaufe der Rücken¬ 
muskulatur, bis sie oft ihren Höhepunkt an der Crista oss. ilei 
erreichen. Andere sehr wichtige Punkte finden sich im N. 
cutaneus fern, lateralis, an der Bifurkationsstelle der Gastroknemii, 
an den Bauchdecken und in der Inguinalfalte der befallenen Seite. 
Die Dauer der Behandlung schwankt in der Regel zwischen 
10—30 Massagen. Die eventl. aufzuwerfende Frage, wie weit 
diese Behandlung vor Rezidiven schützt, kommt in unseren 
Fällen, wo es sich um He eres an gehörige handelt, nicht in Frage. 
Hier ist als erstes Ziel die rasche Heilung und Erreichung der 
Feld d i ens t f ä h ig k ei t zu betrachten. Auch auf einen anderen 
Vorteil, den die Nervenmassage bietet, weiBt der Vortragende 
hin. Bei guter Ausbildung und längerer Übung ist der Arzt 
bei der Untersuchung der Schmerzpunktc nicht auf die Angaben 
des Patienten angewiesen, da er selbst die Stellen fühlen und 
nachweisen kann. So ist denn die Nervenpunktuntersuchung 
in gewisser Beziehung als objektiver Nachweis subjek tiv er Be¬ 
schwerden zu betrachten und man ist in vielen Fällen imstande, 
den Nachweis zu führen, ob die Angaben des Patienten auf 
Wahrheit beruhen oder ob Simulation vorliegen könnte. Steht 
es ja doch fest, dass der Begriff der Kriegsneurose kein ima¬ 
ginärer ist. Meist handelt es sich um junge und kräftige Leute 
mit mehr oder weniger vorhandenen oder ererbten nervösen 
Grundlagen, von denen die Betreffenden ihrer oft ländlichen 
Herkunft gemäss keine Kenntnis haben und die nach anfangs 
gut überstandeuen Kriegsstrapazen denselben oft im weiteren 
Verlauf des Feldzuges erliegen. Solche Leute klagen eben über 
bestimmte Schmerzen und wissen nichts vom Lasögue’schen 
Symptom bei der Ischias, geschweige denn von Nervenpunkten. 
Es erfolgte sodann die Vorstellung einer grossen Reihe von 
Kriegsneurosen, allgemeinen Neuralgien des ganzen 
Körpersund besonders von Is c h i as - Fällen in allen Stadien 
der Behaudlung und Besserung, die sich nicht nur subjektiv 
durch die Angaben des Patienten, sondern auch durch Nach¬ 
lassen der Druckempfindlichkeit der in Frage kommenden 
Nervenpunkte, in vielen Fällen auch durch Herabsetzung der 
Muskelspannung bezüglich völligem Erlöschen des Lasöguö’schen 
Symptoms geltend machte. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 






33 Jahrgan g. 


1915/16. 


Tort$d>rittc der Medizin. 


(Inter milwirkung bercorragender Tacbmänner 


L. Brauer, 

Hamburg. 


herausgegeben von 

L. von Crlegem, L. Edinger, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M. 


L. Hauser, 

Darmstadt. 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 3 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. in b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


30. Oktober 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Kehlkopfdiphtherie und ihre Behandlung.') 

Von Dr. F. Cuno. 

(Aus Dr. Christ’s Kinderhospital zu Frankfurt am Main.) 

Wie die anderen epidemisch auftretenden Krank¬ 
heiten in ihren Symptomen und Lokalisationen manch¬ 
mal im Laufe der Zeiten wechseln, so können wir dies 
auch bei der Diphtherie beobachten. 

W r ährend in den Jahren 1885—93 die Diphtherie 
besonders häufig den Kehlkopf befiel, sehen wir seit 
1905 ein auffallend starkes Zurückgehen dieser Lokali¬ 
sation. 

Die folgende Zahlenreihe, in deren I. Reihe die 
Zahl der wegen Diphtherie aufgenommenen Kinder, in 
deren II. und III. Reihe, als prägnantestes Zeichen 
schwerster Kehlkopfdiphtherie, die Zahl der jedes Jahr 
operierten Fälle und ihre Mortalität, verzeichnet ist, 
veranschaulicht dies sehr deutlich. 

Jahrgang : 

l/lll IV 

1885 86 87 88 89 90 91 92 93 . 91 94’) 

Zahl der Diphtherie-Fälle 

Zahl der operierten Kinder 

Mortalität der operiert. Kinder 

55 | 88105 86121247 337301290 214! 87 

22 27 26 33 41 73 97 78 77 51 9 

! 1 

16 22 20 20 32 40 61 57 45 25 4 

Jahrgang: 

I ! 1 '1 

1895 96 97 98 99 1900 1 2 3 4 5 

Zahl der Dipbtherie-Fäile 

Zahl der operierten Kinder 

Mortalität der operiert. Kinder 

. 

295 170158152156 127 158174195139 84 

1 

23, 20 19 18 37 38 32 37 32 19 10 

4 9, 2 8 19* 9; 10 11 14 10' 2 

Jahrgang: 

1906 7 8 9 10 11 12 13 14 

Zahl der Diphtherie-Fälle 

Zahl der operierten Kinder 

Moitalität der operiert. Kinder 

Bei den wegen Ke 
Kindern können wir 

’) Vortrag, gehalten in 
Frankfurt am Main am 10. A 
Doktorjubiläums von Heinric 
■) Am 1. Oktober 1894 

04 67143 99123! 128 162210145' 

■ ! 1 1 i i “ ' 

8 10, 16 11 4 8 11 11 8 

2, 2 2! — 1 — 3 5 2 

llkopfdiphtherie aufgenommenen 
n der Regel drei verschiedene 

der Sitzung des ärztlichen Vereins zu [ 
ugust 1915 zur Feier des 60jährigen 
l Rehn. 

setzte die Heilserumbehandlung ein. 


Digitized by Google 


Typen unterscheiden. Wenn auch ein direktes Weiter¬ 
wandern der Rachendiphtherie auf den Kehlkopf dank 
der Heilserumbehandlung kaum noch beobachtet wird, 
so kommen doch auch heute noch zahlreiche, besonders 
ältere Kinder zur Aufnahme, deren Rachen, Schlund 
und Kehlkopfeingang mit dicken Membranen aus¬ 
tapeziert ist. Drückt man die Zunge herunter, so kann 
man manchmal den Kehlkopfdeckel, das sonst so zier¬ 
liche Organ, dickwulstig hervorragen sehen. Fühlt man 
mit dem Finger nach, so hat man das Gefühl, als ob 
der Kehlkopfeingang mit dickem Plüsch überzogen sei, 
und man kann nur mit Mühe die einzelnen Gebilde 
differenzieren. Schweres Daniederliegen des ganzen 
Organismus, Ödem der Kieferwinkel- und Unterkinn¬ 
drüsen, schlechte Herztätigkeit, Neigung zu Blutungen, 
Eiweiss im Urin, leichte Benommenheit und blassblaues 
Aussehen kennzeichnen diese Fälle, bei denen durch 
Übergreifen der Diphtherie auf den Kehlkopf zu der 
Diphtherievergiftung noch die Kohlensäure-Vergiftung 
hinzu getreten ist. 

So schlecht die Prognose in diesen Fällen ist, so¬ 
viel besser ist sie bei der anderen Form der Kehikopf- 
diphtherie. Auf den Mandeln haften nur noch kleine 
Beläge, der Kehlkopfeingang ist gering ödematös, auf 
der scharf geröteten Epiglottis sitzt, wie eine Krone, ein 
kleiner Belag auf. Das Gesicht ängstlich verzogen, mit 
blassblauen Lippen sitzen oder stehen die Kinder in 
einem Winkel des Betts. Der Husten ist bellend, die 
Stimme in der Regel heiser. Trotz der Luftnot folgen 
die Atemzüge langsam aufeinander. In- und Exspiration 
sind lang gedehnt. Das Kind „zieht“. Alle Atmungs¬ 
muskeln sind in Tätigkeit. Mit jeder Einatmung wird 
der Kehlkopf tief heruntergezogen, die Zwischenrippen¬ 
räume, die Herzgrube und der untere Teil des Brust¬ 
beins tief eingezogen, bezw. durch den äusseren Luft¬ 
druck eingedrückt. Dabei ist der Leib aufgetrieben, 
der Magen mit Luft überfüllt, der Puls sehr be¬ 
schleunigt, bei der Einatmung oft aussetzend. 

Mit dem geringen Luftquantum, das der verengerte 
Spalt noch durchlässt, können die Kinder einen vollen 
Tag, oft noch länger auskommen. 

Wird es nun versäumt, dem Kind, bevor seine Herz¬ 
kraft ganz erlahmt, Hilfe zu bringen, so melden 
sich auch bei ihm die Zeichen der Kohlensäurever- 
giftung. 

Das vorher so stürmische Krankheitsbild nimmt nun 
in trügerischer Weise ruhigere Formen an, die dem 
Nichtkenner Besserung des Zustands vortäuschen. Die 
grosse Unruhe hört auf, die vorher so tiefen Einziehungen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









26 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 3. 


lassen nach. Bald aber wird das Kind blass, die Nase 
spitz, die Gliedmassen kühl und der Puls nicht mehr 
fühlbar. Selten nur springt es nochmal auf. In einem 
Erstickungsanfall oder nach kurzem Trachealrasseln er¬ 
löst der Tod das Kind. 

Während bei den bisher beschriebenen Typen den 
stürmischen Symptomen doch eine gewisse Vorbereitung 
voraus geht, werden wir bei der Form, die H e u b n e r 
als „larvierte Form“ der Kehlkopfdiphtherie bezeichnet 
hat, durch das plötzliche Auftreten des Kehlkopfkroups 
überrascht. 

Diese Form illustriert am besten ein Fall aus der 
täglichen Praxis. Eines Tags wird in die Poliklinik ein 
einjähriges Kind gebracht, weil es, wie die Mutter sagt 
„schwer zahnt“. Die Untersuchung ergibt das Vor¬ 
handensein einer Rhinitis. Der rötlich gelbe Nasenfluss 
erweckt sofort den Verdacht auf Diphtherie, die auch 
bakteriologisch bestätigt wird. 

Die auf den nächsten Tag bestellte Mutter kommt 
nicht und ist auch nicht aufzufinden. Drei Inge später 
wird das Kind mit schwerer Asphyxie, die sofortigen 
Eingriff nötig macht, gebracht. Nach dem Bericht der 
Mutter sei das Kind erst in der letzten Nacht unruhig 
geworden. 

Um gegen solche Überraschungen gesichert zu 
sein, untersuche ich seit Jahren jeden Säugling mit 
Schnupfen bakteriologisch mit drei Abstrichen (2 Nase, 
1 Rachen). 

Wie gestaltet sich nun die Behandlung der Kehl¬ 
kopfdiphtherie in unserem Spital? Kommt ein Kind 
auch nur mit dem Verdacht auf Kehlkopfdiphtherie zur 
Aufnahme, so erhält es sofort Heilserum injiziert. Seit 
seiner Anwendung, Oktober 1894, ist die Mortalität der 
Diphtheriefälle, die früher 30—45 Proz. betrug, auf 10 
Proz. '), ja in manchen Jahren auf 6 Proz. herunter ge¬ 
gangen. 

Bei Kehlkopfdiphtherie gebe ich sofort mindestens 
3000 I. E. intramuskulär; bei der foudroyanten Form 
der Diphtherie, wie sie hier zuerst geschildert wurde, 
injiziere ich, wenn möglich intravenös. Das hat bei 
kleinen Kindern und Säuglingen, wenn die Herzkraft 
schon so daniederliegt, dass man kaum den Puls noch 
fühlen kann, oft grosse Schwierigkeiten. Aber ich habe 
die Überzeugung, mit der intravenösen Injektion schon 
manches sonst verlorene septische Kind erhalten zu 
haben. 

Bei Kindern, die schon einmal Heilserum erhalten 
haben, spritze ich nur subkutan und sehr langsam ein. 
Wie ich schon vor 2 Jahren auf Grund eines Materials 
von 207 mehrfach gespritzten Kindern auseinander 
setzen konnte, habe ich wegen des eventuellen Eintritts 
von Anaphylaxie nur sehr geringe Bedenken. 2 ) 

Von inneren Medikamenten erhalten die Kinder so¬ 
fort Apomorphinmixtur (0,02—0,03 auf 100,0 ein- bis 
zweistündlich einen Kaffeelöffel). Die Expektoration wird 
dadurch auffallend erleichtert, und durch seine geringe 
narkotische Wirkung der Hustenreiz günstig beeinflusst. 
Ist der Reiz sehr stark, so halte ich mit Opium, Pan- 
topon und Adrenalininhalant nicht zurück. 

Immer wieder ermuntern die Schwestern die Kinder 
zum Trinken. Durch jeden Schluckakt wird der aus¬ 
getrocknete Schlund angefeuchtet und die event. durch 
Auflagerungen verbackenen Aryknorpel bewegt. 

Mit Kaffee, Kognakwasser, Champagner, Kampfer- 
Koffein- und Adrenalininjektionen suche ich die sinkende 
Herzkraft hochzuhalten. Vom Inhalieren bin ich bei 
solchen Fällen ganz abgekommen, da ich fand, dass die 
Luftnot der Kinder dabei noch stieg. 

Unter dieser Behandlung sehe ich auch anfangs 


fl Mortalitälssatz von 4000 Diphtheriefällen 
fl D. m. W. 1914 Nr. 20. 

Digitized by Google 


schwer bedrohlich aussehende Zustände in 16—24 Stunden 
langsam vorübergehen. Lang andauernde Heiserkeit 
zeichnet in der Regel diese Fälle aus. Manchmal 
können die Stenoseerscheinungen sich auch tagelang 
hinziehen. Ich habe Kinder noch 5 Page nach der 
Aufnahme operieren müssen, bei denen die Stenose 
nicht mehr durch die diphtheritischen Auflagerungen 
und Schwellungen, sondern durch inspiratorische Lähmung 
bedingt war. 

Ober den Zeitpunkt, wann operiert werden soll, 
sind die Ansichten geteilt. Ich bin für das Abwarten 
und richte mich weniger nach den äusseren Zeichen der 
Atemnot, als nach dem Ergebnis der Auskultation. Aus¬ 
kultiert man solch ein stenotisches Kind, so hört man über 
dem 7. Halswirbel ein äusserst scharfes, pfeifendes Ge¬ 
räusch, wie die Luft durch den verengerten Kehlkopf¬ 
spalt hindurch gezogen wird. Über dem Oberlappen 
hört man in der Regel noch normales Atmungsgeräusch, 
während es über den Unterlappen, je tiefer man 
herunter geht, um so schwächer ward. Hört man nun 
beim schwer stenotischen Kind dieses pfeifende Ge¬ 
räusch über den 7. Halswürbel, über den Unterlappen 
gar keines, und hinten über den Oberlappen nur noch 
abgeschwächtes Atmungsgeräusch, so ist der Moment 
für den Eingriff gekommen. 

Dafür stehen uns Intubation und Tracheotomie zur 
Verfügung. Mein Vorgänger im Amt, Dr. A. Glöck¬ 
ler, übte nur die Tracheotomie aus. 1898 lernte ich 
bei Prof. R a n k e in München intubieren und konnte 
1901 über unsere Intubationsresultate berichten. 1 ) 
Nachdem ich mich aber überzeugt hatte, dass die Re¬ 
sultate der primären Tracheotomie bei uns wenigstens 
den Resultaten der Intubation gleich kamen, wenn nicht 
sogar übertrafen, so verliess ich 1905 die Methode der 
Dauerintubation. 

Der Beruf eines Intubators ist, wenn man nicht 
immer in der Nähe des intubierten Kindes ist, ein 
sehr aufreibender. Mit der Tracheotomie schwindet 
die Sorge, mit der Intubation fängt sie aber erst 
recht an. 

Die Dauerintubation gab ich auf, die temporäre In¬ 
tubation habe ich aber beibehalten. Daher intubiere ich 
jedes zu tracheotomierende Kind vor der Operation. 
Der Erfolg ist, dass das Kind die in der Luftröhre und 
Bronchen angesammelten Schleimmassen und Membranen 
aushustet und wieder Sauerstoff in die Lunge aufnehmen 
kann. Sofort verändert sich sein Aussehen. Die blass¬ 
blaugraue Farbe schwindet, die Lippen werden wieder 
rosig, der Puls kräftiger und regelmässig. Hustet ein 
Kind nach der Intubation nicht aus, so ist die Prognose 
als schlecht zu bezeichnen. Nach zirka 10 Minuten 
narkotisiere ich das Kind und mache in der Regel die 
untere Tracheotomie. Den Hautlängsschnitt habe ich 
beibehalten, da mir der Querschnitt die versprochenen 
Vorteile nicht gebracht hat. Dann geht es, genau in 
der Mittellinie, scharf in die Tiefe. Die Gewebe 
werden dabei beiderseits mit Pinzetten hochgezogen und 
wird dadurch jede Gefässverletzung zu vermeiden ge¬ 
sucht. 

Da das Kind intubiert und narkotisiert ist, so sind 
die vorher so prall gefüllten Venen zusammengefallen, 
und ist das Operationsfeld fast so ruhig, wie bei einer 
Operation an der Leiche. Die untere Faszie wird mit 
Dreikanthäkchen eingerissen und die Luftröhre breit 
freigelegt. Dann w'ird die Tube, die das Kind während 
des Eingriffs so ruhig hat atmen lassen und mich durch 
ihre harte Kante die bei Säuglingen oft so weiche Luft¬ 
röhre viel besser hat fühlen lassen, herausgezogen, die 
Luftröhre eingeschnitlen und die Kanüle herein geführt. 
Ist die Atmung nach Eröffnung der Luftröhre schlecht, 


fl M. m. W. 1901 Nr. 20. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 







FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


27 


Nr. 3. 


will das Kind nicht aushusten, weil die Bronchen mit 
Membranen gefüllt sind, so bougiere ich sie mit 
Rose r’schen Ringsonden. Hat auch dies keinen Er¬ 
folg, so ist der Fall aussichtslos. 

Sowie das Kind sich etw'as erholt hat, kommt es 
vor den grossen Dampfspray, dessen Vorlage mit Kalk¬ 
wasser gefüllt ist. Er wird dauernd angewandt, sowie 
der Husten des Kindes einen trockenen Charakter an¬ 
nimmt. 

Die Ernährung des Kindes macht uns keine 
Schwierigkeiten, da wir gleich mit der Magensonde, 
bezw. Katheter, durch Mund oder Nase füttern. 

Das innere Röhrchen der Kanüle wird, so oft es 
verstopft ist, gewechselt, das äussere bleibt ruhig i 
liegen. 

Das so häufig nach unterer Tracheotomie auf¬ 
tretende Hautemphysem macht mir keine Sorgen; nach 
2—3 Tagen ist es w'ieder zurückgegangen. Zeigen sich 
im ausgehusteten Schleim geringe Blutspuren, ein Zeichen, 
dass die Kanüle scheuert, so wird sofort eine kürzere, 
oder eine Schlitzkanüle eingeführt. 

Schon am III. Tag nach dem Eingriff wird ver¬ 
sucht, die Kanüle zu entfernen, und lasse ich mich auch 
von Fieber, das in der Regel durch Pneumonie bedingt 
ist, nicht davon abhalten. Durch dieses rasche Vor¬ 
gehen habe ich in den ietzten 10 Jahren keine De- 
kanülementsschwierigkeiten mehr gehabt. Sollte es ein-1 
mal nicht so programmässig gehen, so führt mich eine 
eventuell mehrtägige Dauerbehandlung mit fixierten 
Tuben') sicher zum erwünschten Ziel. Kanülards, die 
trüher zu den unerwünschten, fast unvermeidlichen In¬ 
sassen einer Diphtherieabteilung gehörten, habe ich seit 
dieser Zeit nicht mehr gehabt. 

Die Mortalitätszahl (s. Zahlenreihe) überrascht ein¬ 
mal durch den Wechsel in den einzelnen Jahren, dann 
aber auch durch die immer noch vorhandene Höhe. 

Sie wird bedingt durch das Alter der operierten 
Kinder, die Schwere der Diphtherieerkrankung, Croup 
des Bronchialbaums, Entzündungen der Lunge, des 
Rippenfells und des Herzbeutels. Auch habe ich in der 
langen Reihe der Jahre dreimal Arrosion der Anonyma 
erlebt. 

Aus meinen Darlegungen geht hervor, dass auch jetzt 
noch, trotz Heilserumbehandlung, Anwendung von In¬ 
tubation und Tracheotomie, Kehlkopfdiphtherie be¬ 
sonders bei jüngeren Kindern mit zu den gefährlichsten 
Krankheiten gehört. 


Neues auf dem Gebiete der medikamentösen 
Therapie. 

Von Apotheker Otto- Frankfurt a. M. 

Seit dem Beginne des gegenwärtigen Krieges ha 1 
die Therapie, insbesondere die medikamentöse Therapie, 
nicht aufgehört, ihren Weg weiter zu verfolgen. Wie 
auf fast allen Gebieten trat auch auf diesem durch den 
Krieg und seine Folgen keine Stockung ein. Das Er¬ 
gebnis ist allerdings ein bescheideneres als es in Friedens¬ 
zeiten gewesen; dies ist aber ohne weiteres erklärlich 
durch die Inanspruchnahme eines grossen Teiles der 
sonst auf diesem Gebiete Tätigen von seiten der Militär¬ 
behörde. Trotzdem kann man aus der folgenden Zu¬ 
sammenstellung ersehen, dass man es in Deutschland 
verstanden hat, während der Kriegszeit chemisch-phar¬ 
mazeutisch weiter zu arbeiten und auch auf diesem Ge¬ 
biete der Medizin Fortschritte zu machen. 

Der Massenverbrauch von Arznei- und Verband¬ 
mitteln durch die Sanitätsanstalten der Heeresverwaltung 

*) M. m. W, 1903 Nr. 18. 

Digitized by Google 


liess verschiedene neue Präparate entstehen, die Vor¬ 
handenes ergänzen, Anderes ersetzen sollten. 

In erster Linie kommt hier ein Ersatz des Kaut¬ 
schukpflasters in Betracht, da die im Reiche vor¬ 
handenen Gummibestände bei dem grossen Verbrauche 
zur Kraftwagenbereifung und vielem anderen knapp 
werden. Es entstanden nach dem Vorbilde des be¬ 
kannten Mastisol die verschiedensten Präparate, die dem 
gleichen Zwecke einer schnellen und sicheren Verband¬ 
fixierung dienen sollen. Am beachtenswertesten von 
diesen ist wohl die mit Vu Ino fix bezeichnete Harz¬ 
lösung. der chemischen Fabrik Helfenberg vorm. Eugen 
Dieterich. Dieselbe ist in der Hauptsache aus in¬ 
ländischen Harzen hergestellt, kommt in einfacher und 
konzentrierter Form in den Handel und hat den Vor¬ 
zug, eine sogenannte „abgestumpfte“ Harzlösung zu sein. 
Gleichem Zwecke dient der sogenannte Lvma Wund¬ 
firniss der chemischen Fabrik Franz Pilinay in Dres- 
den-N. und das holländische Präparat Colvesin. Die 
Nachteile der Fixation von Verbänden mit Harzen statt 
Kautschuckzubereitungen sind bekannt; in Ermangelung 
ausreichender Kautschuk-Vorräte muss man jedoch 
damit zufrieden sein, dass diese Methode ihren Zweck 
voll und ganz erfülit. 

Besonders gross war die Nachfrage nach Mitteln 
zur Vertreibung von Ungeziefer für unsere im Osten 
stehenden Truppen. Eine grosse Zahl neuer Präparate 
tauchte zu diesem Zwecke auf und auch heute noch 
werden neue Zusammensetzungen hierfür angeboten. 
Ihre Wirkung beruht durchweg auf den Eigenschaften 
des Phenols, nachdem die Praxis gelehrt hat, dass das 
vielgepriesene Fenchelöl und Anisol vorübergehend wohl 
den Träger schützen, dessen Kameraden aber um so mehr 
der Plage aussetzen. Unsere Heeresverwaltung hat durch 
Entlausungsanstalten und reichliche Lieferung zum Teil 
in eigenen Betrieben hergestellten Kresolpuders 
für unsere Truppen gesorgt. Es ist ihr auch gelungen, 
hierdurch das Auftreten von Infektionskrankheiten auf 
ein Mindestmass zu reduzieren. 

Infolge der Unterbrechung der Zufuhr von Japan¬ 
kampfer wurden die vorhandenen Bestände desselben 
von der Regierung beschlagnahmt. Sie werden je nach 
Bedarf für Injektionszwecke den Apotheken des Landes 
in geringer Menge überlassen; zum externen Gebrauche 
ist man auf künstlichen Kampfer angewiesen. 
Mängel haben sich bei seiner Verwendung extern, intern 
und auch subkutan nicht herausgestellt. 

Eine grössere Zahl neuer Präparate waren bestimmt 
zur Wundbehandlung. 

P e 1 1 i d o 1 und Pellidolsalbe der A. G. Kalle 
& Co. Biebrich a. Rh. hat sich zur raschen Epithelisie¬ 
rung granulierender Wundflächen, bei exsudativer Diathese 
bei Säuglingen, Dermatitis, juckenden und nässenden 
Ekzemen, Decubitus usw. vorzüglich bewährt. Die An¬ 
wendung erfolgt ausschliesslich zum äusserlichen Ge¬ 
brauch in Form von 2 prozentigen Salben und 5 pro- 
zentigem Puder. Es ist Diacetylamido-azotoluol, ein 
gelb- bis ziegelrotes Pulver, unlöslich in Wasser, leicht¬ 
löslich in Äther, Alkohol, Chloroform usw. sowie in 
Fetten und Ölen; mit wässerigen Säuren und Alkali¬ 
lösungen ist es infolge leichter Verseifung unverträglich. 

Unter dem Namen „Granulierendes Wundöl Knoll“ 
wird neuerdings ein gereinigtes Mineralöl von der Firma 
Knoll & Co. in Ludwigshafen a. Rh. in den Handel ge¬ 
bracht, welches die Eigenschaft besitzen soll, direkt auf 
das Bindegewebe einzuwirken. Es soll sich besonders 
auch zur Behandlung stark zerklüfteter Wunden eignen. 

Ein anderes ähnliches neues Wundheilmittel, Bene¬ 
gran genannt, stellt einen Kohlenwasserstoff von nied¬ 
rigem Schmelzpunkte dar, dem je nach der beabsich¬ 
tigten Wirkung entsprechende Arzneimittel beigemengt 
werden können. In gewöhnlichem Zustande eine wachs- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







28 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 3. 


artige Masse, wird es vor dem Gebrauche durch Er¬ 
wärmen im Wasserbad auf 90° geschmolzen und auf 
die Wunden aufgepinselt. Verbandmaterial soll dabei 
nur in ganz geringer Menge oder gar nicht nötig sein. 
Der Heilungsprozess soll sehr schnell vom Grunde und 
vom Rande der Wunde aus erfolgen. Es ruft starke 
Hyperämie hervor, die besonders bei Sehnenscheiden- 
und Gelenkentzündungen sowie bei Krampfadern einen 
raschen Erfolg herbeiführt. Noch deutlicher ist die Wir¬ 
kung bei Furunkeln und Karbunkeln. Ilergestellt wird 
es von der „Pharmazeutischen und chemischen Spezial¬ 
gesellschaft, Regensburger Str. 15 in Berlin.“ 

Das schon seit einiger Zeit im Gebrauche befindliche 
Leukozon, ein hochwertiges Calciumperborat, fand 
wegen seiner stark desodorierenden und desinfizierenden 
Wirkung in der Wundbehandlung starke Verwendung. 
Es wird mit Talkum als Streupulver und in Form von 
Wundstäbchen wegen seiner hohen Desinfektionskraft 
und der durch reichliche Sauerstoffabgabe bedingten 
raschen Wundheilung allgemein geschätzt. Seine Wir¬ 
kung kommt der neuerdings wieder mehr gebrauchten 
Wasserstoffsuperoxyd-Alkoholmischung gleich. 

Bei ausgedehnten Staphylodermien des Stammes, die 
bei Kriegsverletzten häufiger zu beobachten waren, emp¬ 
fiehlt Prof. Dr. C. B ruck eine Tetrachlorkohlenstoffseifen- 
lösung unter dem Namen Pelliform, das auch nach 
den bisherigen Erfahrungen bei der Behandlung gegen 
tierische Parasiten Gutes leistet. 

Ein reines verhältnismässig ungiftiges Desinfektions¬ 
mittel, das sich nach Schottelius dem Lysol um 
nahezu das Doppelt«, der Kresolseife um das Dreifache 
in der Wirkung als überlegen erwiesen haben soll, ist 
das Sag rot an. Dieses Chlorxylenol-Sapo-Kresol ist 
wasserlöslich und enthält ein molekulares Gemisch von 
Chlorxylenoi und Chlorkresol in Seife gelöst. 

Providoform oder Tribromnaphthol wird von 
Bechhold als ungiftiges in Alkohol leicht lösliches Des- 
infiziens von hervorragender bakterizider Eigenschaft 
empfohlen. 

Als Hilfsmittel bei der Behandlung von Mund- und 
Rachenerkrankungen findet Rhodaform oder Hexa- 
methylentetraminmethylrodanid innere Anwendung. Trotz 
eines Rhodanwasserstoffgehaltes von 27,7 % soll es g am 
unschädlich sein. Es ist ein färb- und geruchloses Pul¬ 
ver, das sich wenig in kaltem, besser in heissem Wasser 
ohne Zersetzung löst. 

In der Augenpraxis bei Diplobazillen-Konjunktivitis 
findet Fluorescein-Zink Verwendung. Es ist ein 
rotgelbes, schwer lösliches Pulver und wird als möglichst 
feiner Staub in den Konjunktivalsack eingeführt und 
dort verteilt. Eine, höchstens zwei Einpulverungen 
sollen genügen, den Patienten wieder herzustellen. 

Gegen septische Erscheinungen hat sich nach 
Rosenstein Argotoxal, atoxylsaures Silber, als 
wertvolles Hilfsmittel erwiesen. Es findet intramusculär 
und in Verbindung mit Piperazin auch intravenös An¬ 
wendung. 

Ähnlich ist Zweck und Wirkung einer auf dem 
Wege elektrischer Zerstäubung hergestellten kolloiden, 
sterilen Silberlösung namens El ectroco llarg o 1, 
Es ist eine im durchfallenden Lichte klare Flüssigkeit 
mit 0,2 pro Mille kolloidalem Silber, die durch ein 
Schutzkolloid haltbar gemacht ist. Der Fabrikant, che¬ 
mische Fabrik Heyden A.-G. in Radebeul, bringt es in 
Ampullen ä 5 ccm in den Handel. Es dient ebenso 
wie das von der chemischen Fabrik Reisholz bei Düssel¬ 
dorf hergestellte Dispargen als Ersatzmittel für die 
französische Spezialität Electrargol Clin. Dispargen wird 
auf chemischem Wege hergestellt und enthält als Schutz¬ 
kolloid ein Abbauprodukt des Glutins. In trockener 
Form enthält es 30 Prozent metallisches Silber und wird 
in 2 prozentiger Lösung zu 2—5 ccm injiziert. 

Digitized by Google 


Ein anderes Silberpräparat ist das A rgobol, eine 
gelblich-weisse in Wasser unlösliche Mischung von 
20 Teilen Silberphosphat mit 80 Teilen Bolus alba in 
der Form, dass jedes Bolusteilchen mit einer dünnen 
Schicht des Silbersalzes überzogen ist. P u p p e 1 ver¬ 
wendete es mit gutem Erfolge bei akuten und chronischen 
Gonorrhöen und anderen eitrigen Entzündungen der 
Scheide und Gebärmutter. 

Die Verwendung von Bolus als Träger oder in 
Verbindung mit anderen Arzneimitteln nimmt immer 
grösseren Umfang an. So stellt das Bolusal eine auf 
nassem Wege gewonnene Kombination von reinstem 
sterilisiertem Bolus mit frisch gefälltem Aluminium¬ 
hydroxyd dar, das bei Hyperacidität, Darmkatarrhen 
und gegen Flatus Anwendung finden soll. Unter dem 
Namen Carbolusal kommt es noch mit Tierkohle 
gemischt als kräftiges Absorptionsmittel in Anwendung. 
Hergestellt wird es von Dr. Rud. Reiss in Berlin-Char¬ 
lottenburg. 

Andere ähnliche kolloide Mischungsprodukte sind 
die unter dem Sammelnamen S a 1 u s i 1 von der Firma 
Krewel & Co. G. m. b. H. in Köln hergestellten Prä¬ 
parate. Sie bestehen im wesentlichen aus Kieselsäure 
oder kieselsäurehaltigen Körpern, denen nach einem 
besonderen Verfahren grosse Mengen Flüssigkeiten, Bal¬ 
same usw. zugesetzt sind, ohne dass der Träger seine 
Eigenschaft als trockenes, staubfreies Pulver verloren 
hat. Durch die Bindung der Kolloide an die chemischen 
Lösungen wird erreicht bei allen sezernierenden Flächen 
das Sekret durch das Kolloid selbst zur Aufsaugung zu 
bringen und gleichzeitig die Wirkung des heilenden 
Medikamentes zu ermöglichen. Dr. A. Roesen 
wandte Salusil mit 40 “/„ Ichthyol oder 50 °/„ Bals. 
peruvian. und anderem in der Augenheilkunde mit gutem 
Erfolge an. 

Die Salvarsantherapie fand eine Bereicherung durch 
die Herstellung des Salvarsan-Natriums von 
gleichen Eigenschaften, gleicher Dosierung und gleicher 
Wirkung wie Neo-Salvarsan. 

Dr. J. Fabry und Dr. J. Selig berichten über 
gute Erfolge mit Kupfer-Salvarsan. Man 
benötigt zur Anwendung Zuckerlösung, Natronlauge und 
den ganzen Apparat, den man im Anfangsstadium der 
Salvarsantherapie brauchte. Die letzten Arbeiten Ehr- 
lichs vor seinem Tode beschäftigten sich mit der Ein¬ 
wirkung dieses Präparates bei Trypanosomen - Er¬ 
krankungen. 

Arsalyt, salzsaures Bismethylaminotetramino- 
arsenobenzol, wurde von Werner und Mühlens 
bei Syphilis und Malaria am Menschen erprobt. 
G i e m s a empfiehlt es gegen die Einflüsse der Spiro¬ 
chäten bei Tieren. Seine chemische Zusammensetzung 
baut sich auf der Formel des Atoxyls auf und kommt 
dieser nahe. Einen wesentlichen Fortschritt diesem 
gegenüber kann man nicht feststellen. 

Das Gesagte bezieht sich ebenso auf das Phenyl- 
disulfaminotetraoxydiaminoarsenobenzol, das von Trois- 
fontaines unter dem Namen Ludyl gegen Syphilis 
verwandt wurde. Die Versuche hiermit sind noch nicht 
abgeschlossen. Sein hoher Arsengehalt von 33 % würde 
es allen vorgenannten Arsenpräparaten, deren Gehalt an 
Arsen nur 20% im Mittel beträgt, überlegen erscheinen 
lassen, wenn es nicht ebenso wie diese zur Lösung in 
Wasser den Zusatz von Alkalien erforderte. 

Gleichfalls gegen Lues findet nach Löhe Testi- 
jodyl, ein Jodeiseneiweisspräparat, Anwendung. Es 
soll den Vorzug besitzen, das Jod erst im Darme abzu¬ 
spalten und auch bei längerer Darreichung nicht die 
üblichen Jodreaktionen hervorzurufen. Im Handel er¬ 
scheint es in Tablettenform. 

Einige neue Gichtmittel sind zu verzeichnen. Agut- 
tan ist der geschützte Name für Oxychinolinsalicyl- 

Origirtal ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 3 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


29 


säureester der Firma Athenstaedt & Redecker in Heme¬ 
lingen bei Bremen. Man gibt es zu 1,0—1,5 pro die. 

Jriphan der chemischen Fabrik Dr. Walther 
Wolff & Co. G. m. b. H. Elberfeld ist das Strontium¬ 
salz der 2-Phenylcinchoninsäure. Es besitzt den Vor¬ 
zug, ohne Nebenwirkungen ein schnelles Nachlassen der 
Schmerzen, Abkürzung des Gichtanfalles und rasche 
Verkleinerung der Anschwellungen herbeizuführen. Die 
Ausscheidung der Harnsäure wird wesentlich vermehrt. 
Man gibt drei- bis viermal täglich 1—2 Tabletten in 
Wasser. 

Ohne Einwirkung auf die harnsaure Diathese, jedoch 
dem Atophan ähnlich, ist das S y n t h a 1 i n, der Methyl¬ 
ester der 2-Piperonylchinolin-4-Carbonsäure. Dasselbe 
ist ein in Wasser unlösliches, in Alkohol schwer, da¬ 
gegen in Chloroform leicht lösliches krystallinisches Pul¬ 
ver von gelblicher Farbe. Sein therapeutischer Wert 
bedarf erst noch genauerer Feststellung. 

Dagegen hat Lampe bei eingehender Beobachtung 
in seiner Klinik mit einer Kombination von 0,5 Acitrin, 
das ist Phenylcinchoninsäureäthylester, mit 0,0003 Colchi- 
cin hervorragende Erfolge erzielt. Die Verminderung 
der Colchicindosis wird durch das Acitrin zum minde- j 
sten ausgeglichen und der Gesamteffekt erhöht. 

Weitere Chininpräparate, die zum Teil neu zum 
Teil nach langer Vergessenheit wieder zur Anwendung 
kommen, sind das Chinidin als salzsaures Salz, 
das J n s i p i n und das Pyrochini n. Die beiden 
erstgenannten werden von Dr. Werner als prompt 
wirkende Mittel gegen Malaria warm empfohlen. Bei 
zweimal täglicher Gabe von 0,2 Chinidin, mur. gelang 
es stets, die Parasiten innerhalb dreier Tage, das Fieber 
noch schneller zum Verschwinden zu bringen. Jnsipin 
kommt in Schokoladetäfelchen mit je 0,25 pro Stück 
in den Handel und wird als Prophylacticum bevorzugt. 
Das Pyrochinin stellt ein Doppelsalz der Kampfersäure 
mit Chinin und Pyramidon dar und findet als Anti- 
pyreticum und Analgeticum Anwendung. 

Anschliessend sei auf das bereits bekannte Athyl- 
hydrocuprein hingewiesen, das als Optochin. basic. 
und hydrochloricum wegen seiner überraschend 
guten Wirkung gegen Pneumokokken und Malaria¬ 
parasiten zu zahlreichen Arbeiten anregte. Auch in der 
Augenheilkunde findet es Anwendung. Es wird her¬ 
gestellt von den vereinigten Chininfabriken Zimmer 
& Co. Frankfurt a. M. 

Eine grössere Anzahl neuer Schlaf- und Nerven¬ 
beruhigungsmittel sind inzwischen aufgetaucht. Nach 
v. F e i 1 i t s c h ist Calmonal oder Bromcalcium- 
urethan ein gern genommenes und von unangenehmen 
Nebenwirkungen freies ausgesprochenes Schlafmittel. 

D i a 1 oder Diallvlbarbitursäure, im Handel auch in 
Tablettenform unter dem Namen Dial-Ciba, ent¬ 
spricht der Wirkung des Veronals und ist nach Julius¬ 
berger ein wertvolles Sedativum und Hypnoticum, 
das sich bei allen möglichen nervösen Zuständen und 
ausgesprochenen Psychosen bewährt hat. 

Etwas altbekanntes, das Extract. Crataegi 
oxyacanthae findet mit Recht als Sedativum des 
Nervensystems, des Herzens und der Gefässe erneute 
Beachtung. Nach Ri non wird es zweckmässig mit 
Thiosinamin kombiniert dargereicht. Durch längeren 
(jebrauch erzielt man eine dauernde Blutdruckernied- 
rigung. 

Foligan, bestehend aus einem alkoholischen Ex¬ 
trakte von Orangenblättern, wirkt nach Epstein und 
^ alko in Dosen von 0,1 —1,0 als Sedativum, 1,0—1,5 
als Schlafmittel. Seine Harmlosigkeit und sein auch bei 
längerem Gebrauche unverminderter Wirkungswert emp¬ 
fehlen seine Anwendung, zumal posthypnotische Er- I 
scheinungen dabei nicht beobachtet wurden. 

M e k o n a 1 bezeichnet der Fabrikant Apotheker i 

Digitized by Google 


Schwick in Schildesche bei Bielefeld ein zusammen¬ 
gesetztes Schlafmittel in Tablettenform. Jede Tablette 
enthält neben Geschmackskorrigentien 0,003 Morph, mur. 
0,15 Natr. diaethvlbarbituric. und 0,3 Acid. acetylosali- 
cylic. 

Als wichtiges Morphinersatzpräparat empfiehlt Dr. 
K. Kolb das Paralaudin der Firma Knoll 
& Co. in Ludwigshafen a. Rh. Es ist Diacetyldihydro- 
morphin und soll, wde auch das Dihydromorphin vor 
dem Morphin den Vorzug besitzen, nicht oder nur in 
weit geringerem Maße zur Gewöhnung anzuregen. Es 
kann wie Morphin auf jede Art gereicht werden. Die 
Dosierung des Diacetyldihydromorphin. hydrochloric. 
erfordert die ein- bis zweifache, die des Dihydromorphin. 
hydrochloric. die zweifache Gabe im Vergleich zu Mor¬ 
phin. mur. 

Gleiche narkotische Wirkung wie dem Morphin 
wird dem Panchelidon zugeschrieben. Es ent¬ 
hält nach den Angaben des Herstellers, Adlerapotheke 
von B. Schumacher in Jüchen Rhld., sämtliche Alcaloide 
und Pllanzensäuren sowie ein Harz aus Chelidonium 
majus. Es soll als Specificum gegen Affektionen der 
inneren Lebersubstanz sowie als schmerzstillendes Mittel 
bei Magen- und Darmschmerzen usw. Anwendung finden. 
In den Handel kommt es in flüssiger Form; die Dosis 
ist drei- bis fünfmal täglich 20—50 Tropfen. Es ist an¬ 
zunehmen, dass die Anwendung des Panchelidons 
grösseren Umfang annehmen wird. 

Gegen Inanitiouszustände, Nervosität, allgemeine 
Schwäche, sowie bei Beri-Beri bew'ährte sich nach 
Hüssy ein aus Reiskleie hergestelltes Vitaminpräparat, 
ein schwach hygroskopisches Pulver, genannt Orypan. 

Ein wichtigeres Nährmittel stellt die Karamose 
dar, hergestellt von E. Merck, Darmstadt. Es besteht 
aus Polymerisationsprodukten des Zuckers, hat braunes 
Aussehen und stellt ausschliesslich chemisch reines 
Zuckerkaramel vor. Das Präparat zeigt wohl die che¬ 
mischen Eigenschaften des Traubenzuckers, vergärt 
jedoch nicht und hat einen bitterlichen aber nicht un¬ 
angenehmen Geschmack. Es wird von Prof. Dr. F. 
Umber als kalorisch wertvolle Bereicherung der Diätetik 
in leichten Fällen des Diabetes mellitus bezeichnet, so¬ 
fern dem Patienten etwas Kohlehydrat gegeben werden 
soll. Die Dosis beträgt 50,0—100,0 pro die. Auch in 
der Kinderpraxis findet es als Verdauungsmittel An¬ 
wendung, wozu es wiegen seines Nährwertes und der 
Unmöglichkeit, Gärungserscheiuungen im Darme hervor¬ 
zurufen, besonders empfohlen wird. 

Die mehrjährigen Arbeiten von Prof. Dr. Spiess, 
Frankfurt a. M , führten nach Beendigung der klinischen 
Versuche zur Herausgabe des Aurocantan, einer 
Verbindung von Cantharidin mit Gold zur intravenösen 
Behandlung der Tuberkulose. Es ist ein weisses, leicht¬ 
lösliches Pulver mit einem Goldgehalt von 38,94 
und ist Cantharidyläthylendiaminaurocyanid. 

Glycirenan wird ein Nebennierenpräparat 
genannt, das in besonderem Zerstäuber zu Nebel verteilt 
und eingeatmet bei Asthma bronchiale und chronischem 
Bronchialkatarrh empfohlen wird. 

Eine sterile Suspension von Calomel und mercurisali- 
cvlsulfosaurem Natrium in Paraffin, liquid, kommt unter 
dem Namen M e r c o i d in Fläschchen ä 12 ccm in 
den Handel. 1 ccm enthält je 0,04 der beiden Kompo¬ 
nenten. 

Die bisher üblichen Röntgenkontrastmittel setzten 
sicli im Körper, sobald sie in flüssiger Suspension ge¬ 
geben wurden, rasch zu Boden. Diesem Übelstande 
sucht die Firma E. Merck in Darmstadt abzuhelfen 
durch Herstellung eines Barium sulfuric, puriss., dessen 
einzelne Partikelchen an spezifisch leichte Körper fest 
angekettet sind. Dieses neue Citobarium ge¬ 
nannte Präparat wird flüssig genommen, besitzt ange- 

Original fforn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 






30 


Nr. 3. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


nehmen Geschmack, wird aber auch ohne Geschmacks- 
korrigens zum rektalen Gebrauch geliefert. 

Die fortgesetzten Arbeiten auf dem Gebiete der 
Digitalisforschung führten F. Wratschko zur Her¬ 
stellung des D i g o s i d, eines saponinfreien, nach be¬ 
sonderem Verfahren aus der Droge gewonnenen Digi¬ 
talispräparates. Es gibt sowohl die Digitoxin- wie 
Gitalinreaktion und präsentiert sich als ein weisses, 
amorphes Pulver von grosser Haltbarkeit und leichter 
Dosierbarkeit. Pharmakologische und klinische Versuche | 
damit sind noch im Gange. 

Nach den Angaben des Prof. Thoms stellt unter J 
dem Namen Purostrophan die chemische Fabrik 
Güstrow ein Strophantuspräparat her, das sich dadurch 
auszeichnet, dass es auch bei längerer Aufbewahrung 
unverändert bleibt, was neuerdings von den bisher 
üblichen Strophantuszubereitungen bestritten wird. 

Noventerol, ein neues Darmadstriugens, ist 
das Aluminiumsalz einer Tannin-Eiweissverbindung mit 
50 "/„ Tannin und 4 °/„ Aluminium. Der Fabrikant Dr. 
W. W o 1 f f in Elberfeld gibt die Dosis auf dreimal 
täglich 2 Tabletten ä 0,5 an. 

Zur rektalen Atiwendung als Spülmittel bei ver¬ 
schiedenen Darmerkrankungen dient das B e n i f o r m 
des chemischen Instituts Dr. Ludw. Oestreicher in Ber¬ 
lin W. Es ist ein Kupferoxydsaccharat. 

Bei Ulcus molle kommt neuerdings eine Lösung von 
Cuprum amidoaceticum in Gebrauch. 

Zur Behandlung chronischer Herz- und Nieren¬ 
krankheiten empfiehlt Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Hoff¬ 
man n, Düsseldorf, das Aethylsalizoyltheobromin, wel¬ 
ches unter dem Namen Theacylon von der Firma 
E. Merck in Darmstadt hergestellt wird. Es ist eine 
chemisch einheitliche Substanz, die erst durch die Al- 
kalizität des Darmes in ihre Komponenten zerspalten 
wird. Den anderen Theobrominpräparaten soll es in 
vielen Fällen überlegen sein. Einzeldosis 0,5—1,0, Tages¬ 
dosis 1,0—4,0. Es wird in kurzer Zeit im Handel zu 
haben sein. 


Die bekannten regelmässig erscheinenden Berichte 
unserer grossen Firmen, Gehes Codex, Riedels Mentor, 
die Berichte der Firmen E. Merck - Darmstadt, Zimmer 
& Co.-Frankfurt a. M. und Brückner, Lampe & Co.- 
Berlin boten neben den Veröffentlichungen der grossen 
medizinischen Zeitschriften die Unterlagen für obige 
Ausführungen. 


Ein neues und billiges Darm heil mittel 1 

Von Dr. med. Rainer, Wiesbaden. 

Der Knoblauch (allium sativum) soll, wie Dr. Marco- 
vici jüngst in der Wiener Klinisch. Wochenschrift mit¬ 
teilte, ein vorzügliches Mittel in Form von Infus oder 
Klysma sogar gegen infektiöse Darmkrankheiten, wie 
R u h r und Cholera sein! Zahlreiche Beobachtungen 
in dem jetzigen Weltkrieg liegen darüber vor. Es sind 
schon sogar findige Köpfe auf dem Plan, welche den 
Knoblauch mit Salol kombinieren und das Präparat 
Allphen nennen Aber die Hauptsache bleibt doch der 
Knoblauch! Ja die alten Knoblauch juden waren 
weise! Bei jeder Darmstörung, auch der Kinder, pflegten 
sie altbackenes Hausbrot mit Knoblauch und Salz festzu¬ 
reiben — und es zum Verzehren den Kranken zu reichen. 
Und es half meist! Schon der Talmud schrieb (Trae. 
Baba Kamah 82 R ) vor beinahe 2000 Jahren vom Knob¬ 
lauch, ') er mache das Gesicht strahlend und töte 
die Kleinwesen in den Därmen. Es gibt also nichts 
Neues unter der Sonne . . . ! 

Vielleicht ist auch darauf die Tatsache zurückzu¬ 
führen, dass bei Cholera- und Ruhrepidemien verhältnis¬ 
mässig viel weniger Juden erkranken und sterben. Weil 
sie eben Knoblauch reichlich gemessen! Wie dem auch sei, 
jedenfalls ist dieses Mittel billig und leicht zu beschaffen. 

*) Eine kurze Notiz hierüber ist unterdessen in der »frankfurter 
Zeitung", 2. Migbl. v. 28 August d. J. von mir erschienen. Diese 
Notiz hat das »Hamburger Israelitische Familienblatt" in Nr. 36 vom 
8. September d. J. wörtlich ohne Quellenangabe abgedruckt. 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeines. 

Laquer, Sonntagsruhe und soziale Hygiene. (Arch. f. 
soz. Hygiene, Bd. 8, H. 1). 

Schon frühzeitig hat man in England den Wert der 
Sonntagsruhe eines ganzen Volkes erkannt; wird doch bei 
richtiger Anwendung der Ruhe die für die arbeitsreiche Woche 
nötige Spannkraft auf diese Weise immer wieder erneuert. 

In Deutschland dagegen misst man der absoluten Sonntags¬ 
ruhe immer noch nicht die richtige Bedeutung bei, andererseits 
erfüllt sie bei uns nicht den richtigen Zweck. Schuld daran 
ist vor allem der Alkoholismus, wie mau unter anderem aus 
den Unfallstatistiken sieht. 

Der Sonntag dient eben nicht der Erholung, sondern wird 
von dem der vollen Freiheit ungewohnten Volke zu Exzessen 
aller Art benützt. Soll der richtige Erfolg einer Sonntagsruhe 
eintreten, so kommt es darauf an, den Alkoholismus einzu¬ 
dämmen und das Volk zu Genüssen edlerer Art heranzubilden. 

Schütz. 


Psychiatrie und Neurologie. 

R e s c h , Geisteskrankheiten und Krieg. (Allgemeine 
Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin. 
Band 72, Heft 2, 1915.y 

Verfasser bejaht den Einfluss eines Krieges auf die Er¬ 
krankungen an Geistesstörung und stützt sich teils auf die 
Statistiken früherer Kriege teils auf seine eigenen Beobachtungen 


in der Bayreuther Irrenanstalt und dem Reservelazarelt 
Bayreuth I. Es werdeu zunächst die einzelnen Krankheitsformel] 
nach ihrer Häufigkeit besprochen, wobei mit Recht ein Unter¬ 
schied gemacht wird zwischen solchen, die infolge der Mobil¬ 
machung oder während des Dienstes in der Garnison erkrankt 
sind oder auch während der Ausbildung als abnorm auffielen, 
und solchen, die am Feldzuge selbst teilgenommeu haben. Als¬ 
dann wird ausgeführt, wie für diese Armen gesorgt wird. Mit 
einigen Worten wird darauf auf die Prognose eingegangen und 
die Frage der Dienstbeschüdigung venLiliert. Zum Schluss die 
Bemerkung, dass wir nicht zu schwarz zu sehen brauchen bezgl. 
der Zahl der Geisteskranken im jetzigen Kriege. 

Wern. H. Becker, Herborn. 


Kinderheilkunde und Siuglingsernährung. 

F. Scherer und 0. K u t v i r t: Über die Beziehung 
der Mittelohrentzündung zu den Krankheiten des Säuglings- 
alters. Aus k. k. böhmischen Klinik für Krankheiten der Neu¬ 
geborenen, Säuglinge und Wöchnerinnen in der k. böhm. Landes- 
findelaustalt in Prag. Vorstand: Prof. Dr. Franz Scherer, 
Primärarzt. (Jahrb für Kinderheilkunde. Bd 32, Heft 3.) 

Die Verf. besprechen die Zusammenhänge zwischen Mittel- 
ohrenentzünduug und Pädatrophie, Eklampsie, Ekzem des Ge¬ 
sichtes, Vakzination, Furunkulosis, Pemphigus Simplex, sowie 
ihre Therapie. 

Die Mittelohrentzündung tritt um so leichter ein, wenn 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


Digitized bj 


Google 






Nr. 3. 


31 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


mechanische Insulte (z. B. häufiges Erbrechen bei Ernährungs¬ 
störungen, Niesen hei Rhinitis, Husten bei Pharyngitis, Bron¬ 
chitis und Pneumonie) eine Erkrankung begleiten. Bei Eklampsie 
kommt es sehr häufig zu einer eitrigen Mittelohrentzündung 
Verff. weisen dringend darauf hin, bei jeder Eklampsie oder 
bei meningealen Erscheinungen die Ohren zu untersuchen und 
schon bei geringsten Veränderungen des Trommelfells die Para¬ 
zentese vorzunehmen. Adolf H. Braun (München). 

F. S c h 1 e i s s n e r : Zur Ätiologie des Scharlachs. 
(Aus der pädiatrischen Klinik im Franz-Josef-Kinderhospilale. 
Direktor: Prof. Ganghofner, und dem hygienischen Institute. 
Vorstand: Prof. Bail der k. k. deutschen Universität in Prag.) 
(Jabrb. f. Kinderheilkunde. Bd. 32. H. 3.) 

Nach den Arbeiten von Grünbaum, Oantacuzöne, 
Bernhardt, Hectoen u. a. ist es möglich, bei höheren und 
niederen Affen durch Verimpfung von virulentem Scharlach¬ 
material ein Krankheitsbild zu erzeugen, das dem menschlichen 
Scharlach sehr ähnlich ist. Als Infektionsmodus wurde die 
Insufflation 24slündiger Bouillonkulturen in Rachen und Nase 
der Versuchstiere gewählt Subkutane Injektionen batten nach 
1 — 2 Tagen den Tod der Tiere ohne besondere klinische Er¬ 
scheinungen zur Folge In 12 von 27 Versuchen gelang durch 
die Insufflation eine Infektion, die sich in Fieber, Angina, 
Exanthem und Himbeerzunge äusserte und nach 10—12 Tagen 
eine grosslamellöse Abschuppung zur Folge hatte. Kein Tier 
starb. Durch Einpinselung des Rachensekrets konnten gesunde 
Tiere infiziert werden. Reinfektionen gelangen nicht. Verf. 
hält deu Scharlach-Streptococcus für den wahrscheinlichen Er¬ 
reger des Scharlachs. Braun. 

0. Bossert: Kasuistischer Beitrag zur Ichthyosis 
lomreoita, (Aus der Univ.-Kinder-Klinik zu Breslau. Direktor: 
Prof Dr. Tobler. (Jahrb. f. Kdhlke. Bd. 32. H. 3.) 

Da in der pädiatrischen Literatur noch keine Original¬ 
beschreibung des Krankheitsbildes der Ichthyosis congenita (nach 
der Klassifizierung Ri eck es) existiert, beschreibt Verf. dasselbe 
an Hand eines beobachteten typischen Falles. Es handelte sieh 
um ein lebensschwaches, nach 4 Tagen gestorbenes Kind, das 
neben Hemmungsbildungeil der äusseren Sinnesorgane eine 
lederartige Verdickung der Haut aufwies. Die Haut war be¬ 
sonders auf der Brust, am Bauch, auf dem Kopf, aber auch an 
andern Stellen gesprungen. Der Körper zeigte durch diese 
Hautbeschaffenheit eine gewisse Starrheit und Unbeweglichkeit. 

Braun. 

V. P o u 1 s e n. 2 l /,jährige Erfahrungen mit Eiweiß- 
milcli. (Aus dem Königin-Louise-Kinderhospital in Kopenhagen) 
Direktor: Prof. Monrad. (Jahrbuch f. Kdhlke. 32. Band. 
Heft 3.) 

Das Material des Verf. umfasst 124 Fälle und zwar 85 
Kinder unter, 38 Kinder über einem Jahr. Von deu im 1. 
Lebensjahr stehenden und mit Eiweissmilch behandelten Kindern 
litten 29 an Cholerine (Intoxikation), 7 an Gastroenteritis acuta, 
42 an Dyspepsia chronica und 8 an Atrophia infantum. 
Ausserdem wurde ein Teil der genannten Verdauungsstörungen 
durch andere Affektionen kompliziert. Nach seinen Erfahrungen 
kommt Verf. zum Schluss, dass Eiweissmilch bei Cholerine die 
ebensoguten andern Behandlungsmethoden nicht verdrängen 
kann, bei Gastroenteritis acuta nur dann indiziert ist-, wenn 
die Besserung bei der gewöhnlichen diätetischen Behandlung 
ausbleibt, bei Atrophie keine Vorteile bietet, aber bei Dyspepsia 
chronica schnelle und gute Resultate gibt und einen wesent¬ 
lichen Fortschritt in der Behandlung dieser Störung darstellt. 
Verf. beginnt mit kleinen Dosen Eiweissmilcb, steigert schnell 
und ersetzt nach vierwöchentlicher Behandlung die Eiweissmilch 
allmählich durch andere Kost. Nach seiner Ansicht verdient 
Nährzucker als Zusatz zur Eiweissmilch nur da den Vorzug, 
wo der Stuhl irritierend wirkt und wo mehr als 4 Proz. Zucker 
zugefügt werden soll. Manche Kinder bevorzugen Abkochungen 
der ßimeissmilch mit Gries. 

Bei den veidauungsgestörten 38 Kindern über 1 Jahr 
wurde zunächst der Versuch gemacht, mit anderer Behandlung 
fertig zu werden. Erst beim Versagen derselben wurde Eiweiss¬ 
milch herangezogen. Das Resultat der beobachteten, schweren 
Fälle war 29 mal (5 akute, 24 chrouiscbe Fälle) gut, 9 mal 
schlecht. Verf. rät den Versuch mit Eiweissmilch aufs dringendste 
hei Verdauungskrankheiten älterer Kinder an, wo die üblichen 
diätetischen Massnahmen die erwünschte Wirkung vermisseu lassen. 

Digitized by Google 


In einem theoretischen Anhang nimmt Verf. Stellung zur 
Theorie der Wirkung der Eiweissmilch und resümiert nach 
kritischer Berücksichtigung der Finkelsteinschen Anschauungen, 
dass bis jetzt noch keine befriedigende Erklärung für die gute 
Wirkung der Eiweissmilch gegeben worden ist. Braun. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

H e 1 w i g : Der Einfluß mineralischer Lösung auf das 
Blutbild und die Phagozytose. (Zeitschr. für Balueologie, Kli¬ 
matologie usw. 1915. No. 5—0). 

Der Einfluss der Glasjäger Mineralquelle — Kieselbrunnen 
und Siliziumheilquelle — geht dahin, dass eine explosive Neu¬ 
bildung und Reifung der leukozytären Elemente, und Zurück¬ 
treten der Lymphozyten ira Blute ein tritt. Ferner wird der 
opsonische Iudex — Zunahme der Fresslust der w Blk. deut¬ 
lich gesteigert Krebs- Aachen. 

J. Novotny: Behandlung mit Kohlensäuereschnee. 
(Casopis U'kaf-üo öeskyeh. 1914, Nr. 20.) 

Bei der Behandlung der verschiedenen Arten der Naevi, 
des Lupus erythematosus, Ulcus roden«, Lupus vulgaris wurden 
mit Kohlensäureschnee, der entweder komprimiert oder mit 
Äther sulfuricus gemengt zur Anwendung gelangte, gute Resul¬ 
tate erzielt. Er wirkt intensiver als Chloräthyl, ist billiger 
und sicherer als flüssige Luft und seine Applikation ist einfach 
und ungefährlich. G. Mühlstein (Prag). 


Medicamentöse Therapie. 

Dr. Arthur Hirschfeld. Aus der hydrothera- 
peut. Anstalt der Univers. Berlin (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
Brieger). Untersuchung über die Beeinflussung des erhöhten 
Blutdrucks bei Arteriosklerotikern durch Rliodalzid. — (Zentral- 
blau für die gesamte Therapie, Heft 11, 1914.) 

Patienten der Poliklinik, die einen erhöhten Blutdruck auf¬ 
wiesen, wurden auf ihren Rhodangehalt im Speichel untersucht 
und erhielten dann Rhodalzid, tilglich 3 Tabletten nach dem 
Essen. Der Behandlung unterzogen wurden Patienten mit Herz¬ 
hypertrophie, Arteriosklerose und chronischer Nephritis. Alle 
Patienten vertrugen das Mittel gut Herzschädigende Einflüsse 
machten sich niemals geltend. Die Resultate der einzelnen 
Untersuchungen wurden auf Kurven eingetragen. 

Aus den Versuchen geht eine deutliche Beeinflussung des 
Blutdrucks durch das Rhodanpräparat hervor. Man sieht, dass 
in einzelnen Fällen eine Herabsetzung des maximalen Druckes 
bis zu 00 mm Hg eintreten kann. 

Die Kurve I zeigt bei einem Arteriosklerotiker eine durch¬ 
schnittliche Herabsetzung des Druckes um 30 mm Hg, die auch 
4 Wochen nach dem Aufbören der Medikation noch fortbestand. 
Ähnliche Verhältnisse finden wir in Kurve II und III. Ein 
sehr unregelmässiger Verlauf ist in der Kurve IV zu beob¬ 
achten. Es tritt hier zuerst ein starker Abfall des Blutdruckes 
um 34 mm Hg ein, der einer vorübergehenden Steigung 
weichen muss. Hierauf fällt die Kurve wieder und zwar um 
60 mm Hg unterhalb des ersten Niveaus Aber auch diese 
Senkung bleibt nicht bestehen und ca. 7 Wochen nach der 
-Aussetzung des Mittels ist der Blutdruck wieder auf der alten 
Höhe. Gibt man nun von neuem Rliodalzid, so tritt wieder 
ein Fallen des Blutdrucks ein. 

Kann man so bei unseren Arteriosklerotikern im all¬ 
gemeinen nach Rhodalzid ein deutliches Sinken der Blutdruck¬ 
kurve beobachten, so ist dies nicht immer der Fall, wenn bei 
unsern Patienten als Ursache des erhöhten Blutdrucks eine 
Nephritis vorhanden ist. Zwar findet man auch hier eine 
Blutdruckseukung. Diese ist aber nicht so stark und lange 
dauernd, wie die bei den einfachen Arteriosklerotikern. 

Wenn man bei Patienten mit erhöhtem Blutdruck Rhod¬ 
alzid verabreicht, so muss man sich darüber klar werden, ob man 
nicht durch die Herabsetzung des Blutdrucks dem Patienten 
mehr schaden kaun als nützen. Eis gibt fraglos Arterio¬ 
sklerotiker, die so an ihren erhöhten Blutdruck adaptiert sind, 
dass sie auf eine Herabsetzung nur mit einem Kollaps ant¬ 
worten. Man muss daher mit der Anwendung recht vorsichtig 
sein. Vielleicht wird man erst versuchen müssen, durch kleinere 
Dosen zu ermitteln, wie der betreffende Patient auf kleinere 

Blutdruckherabsetzungeu reagiert. 

ö b j ri; i r s I ffe m 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







32 


Nr. 3. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Vielen Arleriosklerotikern ist aber ihr erhöhter Blutdruck 
lästig, und ihre Besehwerden sind mehr oder weniger auf diese 
Erhöhung zurückzuführen. In solchen Fidlen wird man nach 
unsern bisherigen Erfahrungen erwarten dürfen, den Blutdruck 
herabsetzen zu können. N e u m a n n 

Prof. IIr. C. Bachem, Assistent des Instituts. Nuv- 
enterol, ein neues Darinudstrlngens. (Aus dem Pharmakolo- 
giBchen Institut der Universität Bonn.) 

Noventerol ist das Aluminiumsalz einer Tanuineiweiss- 
verbindung mit einem Gehalt von ungefähr 50 Proz Tannin 
und 4 Proz. Aluminium und empfiehlt sich zur Verwendung 
als Dariuadstringens. Der Hauptvorteil des Präparates liegt 
darin, dass es vom Magensaft sehr wenig angegriffen wird. Die 
stopfende Wirkung wird durch die Aluminiumkomponente ge¬ 
steigert. Das Präparat ist völlig guuch- und geschmacklos 
Bachem zählt infolgedessen als Vorzüge des Präparats gegen¬ 
über den bisherigen Tuunineiweiss-Präparnten auf: 

1. Seine Resistenz gegenüber dem Magensaft ist wesentlich 
höher Hieraus ergibt sich eine besondere Bekömmlichkeit, 
da der Magen mehr geschont wird. 

2. Die Löslichkeit im Darm ist durch die erhöhte Resistenz 
gegenüber dem Magensaft nicht herabgesetzt, sodass sich ein 
wesentlich günstigeres Verhältnis zwischen Unlöslichkeit im 
Darm ergibt als bei den bisherigen Tannin-Eiweisspräparaten. 

3. Die adstringierende bezw. desinfizierende Wirkung wird 
durch die Aluminiumkomponente erhöht 

Das Noventerol kommt in leicht zerfallendeu Tabletten zu 
0,5 g (25 Stück = 1, — Mk.) in den Handel. (Herstellende 
Firma: Chemische Fabrik Dr. Walther Wolff & Co. G. m. b. G., 
Elberfeld.) N e u m a n n. 

Dr. K. Kolb, Direktor des städt. Krankenhauses (Ver¬ 
einslazarett) zu Schwenningen a. N. Ein Beitrag zu dem Kapitel 
der Wundbehandlung: Erlahrungen mit einem neuen, aut das 
Bindegewebe ein wirkenden Mineralöl (granulierendes Wundül- 
Knoll). (Württ. Mediz. Korrespondenz Blatt, 1915.) 

Autor stellte mit,.granulierendem Wundöl Knoll“ bei einem 
zahlreichen Kran kennt ateriale eingehende Versuche an, über 
deren Ergebnisse nachfolgend berichtet sei: 

Giesst man von dem Mineralöl in eine frische Wunde mit 
stark zerfetzten Wundflächen einige Tropfen und bedient sich 
heim Verbandwechsel ständig des Öles weiter, so kann man 
schon nach einigen Tagen die Beobachtung machen, dass sich 
die Wundbuchten mit starken, kräftigen Granulationen ausfüllen 
und der Grund der Wunde sieh mit solchen überzieht. Die 
Epithelialieierung der Granulationen ging auch meist sehr rasch 
von statten. Diese Beobachtungen hat Autor hei seinen ver¬ 
wundeten Soldaten so oft machen könneu, dass er sieb des 
Wundöls mit besonderer Vorliebe bei stark zerklüfteten Wunden 
bediente. Aber nicht nur bei sauberen, frischen Wunden, 
sondern auch bei stark eiternden, infizierten Wunden war der i 
Einfluss, den das öl auf die Heiluug der Wunde ausübt, äusserst 
günstig. Schon im Verlauf einiger Tage nahm die eiterige 
Sekretion der Wunde ab, und schon bald bemerkte man kräftige 
Granulationen an einzelnen Stellen des Wundbodens, die bald 
den ganzen Wundboden bedeckten. Besonders waren die Granu¬ 
lationen, die das Wundöl hervorrief, kräftig und straff. Man 
bemerkte nach der Anwendung desselben schlafle Granulationen 
nicht mehr, die mit Argentum hätten geätzt werden müssen. 
Die Überhäutung der Granulationen bot auch meist keine 
Schwierigkeit, sie ging wie bei der sonstigen Wundheilung vor 
sich. Eine Beeinflussung der Epithelbildung konnte bei der 
Anwendung des Öles nicht bemerkt werden. Die Narben der 
mit Öl behandelten Wunden erwiesen sich meist als sehr kräftig 

Die Anwendung des Öles kann besonders für Fälle emp¬ 
fohlen werden, bei denen es sich um grosse, stark zerklüftete 
und gebuchtete Wunden handelt. Autor erblickte für die 
Wundbehandlung in der Anwendung des Wundöls in mehr¬ 
facher Hinsicht Vorteile: 

1. Die Wuudheilung verlief bei Verwendung des Wundöls 
rascher wie sonst. 

2. Die Granulationen, die das Wundöl hervorrief, waren 
straff und kräftig. Glasige, schlaffe Granulationen be¬ 
merkte man nicht. 

3. Die Granulationsbildung setzte sehr rasch und reichlich 
ein. Der Granulatiouswall bot einen Schutz gegen In-1 


fcktion dem Körper gegenüber. In der hindegewebs- 
anregenden Wirkung des Öles muss zugleich seine Be¬ 
deutung für die Behandlung der Infektion einer Wunde 
gesucht werden. 

4. Das Wundöl hat auf Kpilhelialisierung der Granulationen 
keinen nachteiligen Einfluss Rusgeiibt. N e u m a n n. 

Bücherschau. 

Die Leibesübungen, ihre Anatomie, Physiologie und Hygiene 
sowie „Erste Hille“ bei Unfällen. Von Dr. med. Johannes 
Müller, Oberlehrer und Arzt an der Künigl. Preussisclieu 
Lamlesturnnnstalt Spamlau, Stabsarzt n. D , 378 S., 240 Ab¬ 
bildungen. Verlag von B. G Toubner in Leipzig und Berlin 1914. 

Von den zahlreichen populären Abhandlungen über die 
Leibesübungen unterscheidet sich das vorliegende Buch ganz 
erheblich Wenn es auch populär und leicht verständlich ge¬ 
schrieben ist, so ist doch die Grundlage, auf der sich das Buch 
aufbaut, strengste Wissenschaftlichkeit und Sachlichkeit. Es 
ist aus der Praxis eines Mannes hervorgegangen, der als Arzt 
und Lehrer an der Landesturnanstalt die Bedürfnisse derer 
kennt, welche die Leibesübungen besonders zu pflegen haben. 
Seine Entstehung verdankt es den Vorträgen, die Verf. amtlich 
zu halten hatte. Die Einteilung des Buches ist durchaus zweck¬ 
mässig. Nach allgemeinen Vorbemerkungen, die in populärer 
Form einen Überblick über die Gewerbelehre und allgemeine 
Anatomie geben, wird in dem ersten Teil der äussere Aufbau 
des menschlichen Körpers behandelt und zwar der Stamm, die 
unteren Gliedmassen und die oberen Gliedmassen, der normale 
Aufbau der Knochen, der Gelenke und Bänder sowie die 
Muskulatur und die häufigsten krankhaften Formveränderungen, 
die auch der Laie kennen und beachten soll, z. B. die Skoliose, 
die Hernien, X- und O-Beine, der Plattfuss usw. Bei der Be¬ 
schreibung der Muskulatur hat Verf. nicht die übliche Art, 
zuerst die oberflächlichere, dann die tiefere Muskulatur zu be¬ 
sprechen vorgezogen, sondern den wissenschaftlicheren Weg ge¬ 
wählt und statt der anatomischen Lage, die mechanischen Wir¬ 
kungen als Grundlage der Einteilung zu Grunde gelegt Da¬ 
mit kann man dem Laien einen schnelleren Überblick über die 
Bedeutung der einzelnen Muskelgruppeu und ihre physiologische 
Funktion vor Augen führen. 

Der zweite Teil beschäftigt sich mit inneren Organen, und 
zwar werden zusammenhängend die Anatomie und die Physio¬ 
logie der einzelnen Organe besprochen. Auch hier werden 
wiederum diejenigen pathologischen Veränderungen, welche das 
Publikum interessieren, zweckmässig zur Darstellung gebracht. 
Besonders wichtig sind die wertvollen Hinweise auf die Ursachen 
verschiedener Schädigungen, z. B. die Hervorhebung des Alko¬ 
holismus und seiner Folgen. 

Der dritte Teil behandelt die Physiologie und Hygiene der 
einzelnen Leibesübungen. Besonders eingehend wird der Ein¬ 
fluss der Leibesübungen auf die einzelnen Körperorgane ge¬ 
schildert, wodurch dem Sporttreibenden oder dem Turner wert¬ 
volle Richtlinien gegeben werden. 

Der vierte Teil besteht aus einem Abriss der „Ersten Hilfe“, 
der übrigens zu dem mässigen Preise von 75 Pfg. getrennt zu 
beziehen ist. Auch dieser Abschnitt reiht sich den anderen 
würdig an. Verf. hat es ausgezeichnet verstanden, das Wichtige 
vom Unwichtigen zu trennen, die wissenschaftlichsten Sachen 
möglichst klar darzustellen und sich von der in ähnlichen 
Werken leider oft zur Kurpfuscherei verlockenden genauen Dar- 
stellungsnrt der Therapie fernzuhalten. Die Angaben beziehen 
sich ganz richtig auf weiter nichts als auf die „Erste Hilfe“. 
Angenehm berührt in der Darstellung die recht zweckmässige 
deutsche Nomenklatur, die namentlich bei den Muskelgruppen 
vielfach vom Verf. herrührt. 

Das Buch, welches dem Generalstabsarzt der Armee Pro¬ 
fessor Dr. Schjerning gewidmet ißt, verfolgt den Zweck, 
ein Lehrbuch der medizinischen Hilfswissenschaft für Turnlehrer. 
Turner und Sportleute zu sein. Es dürfte sich aber auch ganz 
besonders als Grundlage für Samariterkurse, Ausbildung von 
Krankenpflegern, Feuerwehrleuten u. a. empfehlen. Ausstattung, 
Druck und Abbildungen sind, wie es bei dem Verlage Teubner 
nicht anders zu erwarten ist, ausgezeichnet. 

Hirsch (Bad Salzschlirf). 


Digitized by 


Go flle 


mir a i 




Druck von Julius Beltz, Hofbucbdrueker, Langensalza. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 

__ URBANA-CHAMPAIGN 



33. Jahrgang. 


1915/16. 


rort$(brim der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Tathmänner 


L Brauer, 

Hamburg. 


L. von Criegern, 

Hildesheim. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M 


herausgegeben von 

L. Edinger, 

Frankfurt a/M. 


L. Hauser, 

Darmstadt. 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt 


Nr. 4 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., 0. m. b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


10. November 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Krankheiten des Rückbildungsalters 
und des Seniums. 

Fortbildungsvortrag von Privatdozent Dr. Niessl von Mayendorf, 
Leipzig. 

M. H. 1 Sie wissen aus der Pathologie der Geistes¬ 
krankheiten, dass die Evolutions- und Involutionsphasen 
des menschlichen Organismus ganz besonders häufig 
zum Anlass des Auftretens von Geisteskrankheiten wer¬ 
den. Die Gefahr, beim Eintritt in die Reife, beim Ver¬ 
lassen derselben, geisteskrank zu werden, sei in der 
psychopathischen Anlage gegeben, welche entweder durch 
abnorm stürmische und intensive Veränderungen der 
Gewebe, insbesondere der Gefässe die Psyche endogen 
alteriere oder sehr plötzlich die Widerstandskraft gegen 
äussere Schädlichkeiten herabsetze, so dass eine An¬ 
passung an dieselben nicht mehr gelingt. Es erschöpft 
diese Einteilung durchaus nicht den Umkreis wirklicher 
Möglichkeiten, und tritt durch Einführung des inhalts¬ 
losen und subjektiv schwankenden Faktors der Dispo¬ 
sition aus dem Rahmen streng wissenschaftlicher Klassi¬ 
fizierung. Sie hat aber einen didaktischen Wert, indem 
sie vereinfacht, und das Programm unserer therapeu¬ 
tischen Bestrebungen nach zwei Richtungen ausschauen 
lässt, nach dem inneren und nach dem äusseren 
Feind. 

Der innere, das anscheinend ganz unbegründete 
vorzeitige und rasch eintretende oder abnorm hohe 
Grade der Rückbildung erreichende Altern, die Organ¬ 
erkrankungen, welche ausschliesslich oder mit Vorliebe 
die sich rückbildenden Gewebe heimsuchen, der äussere, 
bei welchem die Abnützung als ätiologisches Moment 
so greifbar zu Tage liegt, dass wir in ihm eine hin¬ 
reichende Erklärung für den Zusammenbruch der psy¬ 
chischen Existenz finden. 

Gegen prämature Senescenz, auf degenerativer 
Basis, in deren Gefolge Geisteskrankheiten auftreten 
können, wird man natürlich nur prophylaktische Mass¬ 
nahmen anempfehlen, d. h. bereits in der Reifezeit welke 
und widerstandsunfähige Individuen in Verhältnisse ver¬ 
setzen, welche nur bescheidene Ansprüche an die geringe 
Leistungsfähigkeit stellen, für eine geregelte, eher pedan¬ 
tische Lebensweise sorgen, Alkohol und Nikotin ver¬ 
bieten und schwere Gemütsbewegungen von den Ge¬ 
fährdeten ferne halten. Von diesen banalen Ratschlägen 
darf man sich jedoch nicht versprechen, dass ihre Be¬ 
folgung mit mathematischer Sicherheit die Jugend ver¬ 
längern werde. Es ist z. B. nichts weniger als bewiesen, 
dass der Säufer schnell altert. Andererseits findet man 
bei degenerierten Familien ein sich vererbendes vor¬ 


zeitiges Altern trotz peinlichster Lebensführung. Man 
kann dann, insbesondere, wenn ausser vererbter Anlage 
zu frühzeitiger seniler Involution, auch Disposition zur 
Geisteskrankheit besteht, — dieselbe braucht sich zuvor 
noch nicht bemerkbar gemacht zu haben — nur noch 
die Geisteskrankheit selbst behandeln. 

Anders verhält sich die Sache, wenn eine kräftige 
Persönlichkeit aus kerngesunder Familie in den Über¬ 
gangsjahren unter der Last einer aufreibenden Tätigkeit 
zusammenbricht und senile Symptome erkennen lässt. 
Hier kann der praktische Therapeut mit Erfolg ein- 
greifen. Ausspannen, Abschliessen von nahegehenden 
Geschäften, Ruhe, Schlaf soviel als möglich, desgleichen 
reichlichste Nahrungszufuhr, kurzum eine tonisierende 
Behandlung, wie wir sie weiter unten detaillierter be¬ 
sprechen werden. Es gelingt auf diese Weise, die be¬ 
obachteten Zeichen seniler Schwäche wieder zum Ver¬ 
schwinden zu bringen, dem Kranken seiner F'amilie und 
seinem Beruf wieder?ugeben, bei dessen Erfüllung ihm 
eine gewisse Schonung geboten wird. 

M. H.l Dieser erste Überblick gestattet uns die 
Behandlung der Psychosen des Rückbildungsalters und 
des Seniums in eine Therapie der Alterserscheinungen 
an sich und in eine solche der durch abnorme Zustände 
der Seniscenz hervorgerufenen Geisteskrankheiten ein¬ 
zuteilen. 

Wenn das Alter als solches „Krankheit“ genannt 
wird, so trifft dieser Name besonders für die alternde 
Psyche zu. An ihr gewahren wir tagtäglich Züge, welche 
wir utriert bei den Geisteskrankheiten des Greisenalters 
wieder finden. Rasche Ermüdbarkeit, Reizbarkeit, 
schlechte Merkfähigkeit, häufige Gedächtnislücken für 
die Jüngstvergangenheit, Rührseligkeit, gesteigerte ge¬ 
mütliche Labilität, Schlaflosigkeit, Kopfdruck, andauernde 
Ängstlichkeit, sind Symptome, welche, wie Ihnen bekannt, 
für das vorgeschrittene Lebensalter charakteristisch sind. 
Wir haben über einen ganz gleichen Komplex von Er¬ 
scheinungen bereits gesprochen, als wir das Vorläufer¬ 
stadium der progressiven Paralyse von der idiopathischen 
Neurasthenie differentialdiagnostisch trennten und die 
unterschiedlichen Behandlungsweisen beider erwogen. 

Ehe wir eine spezielle Therapie gegen die senile 
Neurasthenie vorschlagen, wird es angezeigt sein, auch 
für dieses Krankheitsbild die differentialdiagnostischen 
Kriterien in Hinblick auf die jugendliche Nerven¬ 
schwäche Veranlagter oder die erworbene Form der 
nervösen Erschöpfung im Mannesalter mit einigen 
Strichen anzudeuten. 

So wenig Sicheres wir heute noch über das patho- 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







34 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 4. 


logische Wesen der Neurasthenie wissen, so viel scheint 
festzustehen, dass der subjektiv empfundene, abnorm 
starke und schnelle Energieverbrauch auf einen unge¬ 
wöhnlichen Stoffwechselumsatz zurückführbar ist, wofür 
auch die Phosphaturie spricht. Es ist nun gerade durch 
die therapeutischen Erfolge bei der Neurasthenie be¬ 
wiesen, dass durch Ruhe, insbesondere durch reich¬ 
lichen Schlaf, ein Wiederaufbau der gespaltenen Stoff¬ 
wechselprodukte möglich ist, welcher dem Kranken in 
dem Gefühl wiedererlangter Kraft bewusst wird. Die 
krankhaft geänderten Vorgänge bei der Neurasthenie 
beruhen höchst wahrscheinlich nicht auf anatomischen 
Abnormitäten der Gewebe, sondern auf einem patho¬ 
logischen Chemismus des Nervensystems während des 
Lebens. 

Die präsenile Neurasthenie dürfte sich von der 
idiopathischen Form wohl hauptsächlich dadurch unter¬ 
scheiden, dass dieser pathologische Chemismus nicht die 
letzte Ursache der abnormen neurasthenischen Reaktions¬ 
weise des Nervensystems darstellt, sondern die Folge 
bestimmter Gewebsveränderungen ist, die sich im all¬ 
gemeinen mit der senilen Arteriosklerose decken. Es 
ist daher begründet, wenn sich die therapeutischen Vor¬ 
kehrungen bei der präsenilen, und der Nervenschwäche 
des Greisenalters mit dem gegen die aus kongenitaler 
Anlage hervorgegangene geringe nervöse Widerstands¬ 
fähigkeit im Gebrauch stehenden Heilmittelschatz keines¬ 
wegs decken. Die Therapie wird auf die senile Arterio¬ 
sklerose ebensowohl Rücksicht zu nehmen haben als auf 
die neurasthenischen Symptome. 

Da arterio-sklerotisch-neurasthenische Erscheinungen 
den meisten senilen Geistesstörungen vorangehen, ja zu¬ 
weilen diese aus jenen geradezu zu entspringen scheinen, 
so ist ein Überblick über die modernen Heilbestrebungen 
gegen die Arteriosklerose des Nervensystems unseren 
Ausführungen über die Therapie der senilen Geistes¬ 
störungen voranzuschicken. 

Wenn ich die Behandlung der Hirnarteriosklerose 
ins Auge fasse, so möchte ich Ihnen drei Richtungen 
nennen, in denen sich die Tendenzen Ihres Heilplanes 
zu bewegen haben werden. 1. Die Ruhigstellung des 
Zentralnervensystems. 2. Die Jodbehandlung. 3. Die 
Hydrotherapie. 

So selbstverständlich uns das erste Postulat der 
Therapie erscheinen mag, es bedarf gerade bei 
den in Rede stehenden Krankheitszuständen einer er¬ 
läuternden Einschränkung. Während Liegekuren bei 
jüngeren, körperlich herabgekommenen, nervösen Indi¬ 
viduen oft von den überraschendsten Erfolgen belohnt 
werden, sind sie nach meinen Erfahrungen, sobald sich an 
dem Kranken Zeichen von Senescenz vorfinden oder 
solche nach den Klagen desselben zu vermuten sind, 
bedenklich und kontraindiziert. Selbst wenn der Kranke 
nach der Bettruhe verlangt, wenn er vorgibt, so erschöpft 
zu sein, dass er nicht aufstehen könne, gebe man nicht 
nach, sondern lasse ihn zum mindesten im Lehnstuhl 
aufrecht sitzen und im Zimmer mehrmals am Tage ein 
Viertelstündchen auf und ab gehen. Wir wissen, dass 
sich an jugendlichen Organismen, so lange sie nicht 
kachektisch sind, infolge längeren Liegens im Bett keiner¬ 
lei Zirkulationsstörungen einstellen, bei älteren Menschen 
dagegen beobachten wir gar bald, dass die Extremi¬ 
täten, welche nicht bewegt werden, selbst wenn sie sich 
unter der Decke befinden, also die Beine, insbesondere 
deren distale Abschnitte, die Füsse und die Zehen kalt 
werden, und diese abnorme Teinperaturerniederung auch 
von dem Kranken sehr unangenehm empfunden wird. 
Wärmflaschen mögen oft eine subjektive Erleichterung 
der Kranken bedeuten, ich halte jedoch bei rigiden 
Arterien die lokale vehemente Wärmeeinwirkung für 
keineswegs irrelevant. 

Ausser der Zirkulation leidet an alten Leuten bei 

Digitized by Google 


längerer Bettruhe bekanntlich der Stuhlgang und mit 
diesem die ganze Verdauung, der Appetit. Obstipationen 
und Magenverstimmungen haben aber hartnäckige Schlaf¬ 
losigkeit zur Folge, die w'ieder zu Schwäche-, Reiz- und 
Depressionszuständen während des Tages führt. 

Die Ruhigstellung des alternden Zentralnerven¬ 
systems darf also nicht als allzugrosse Beschränkung 
der Bewegungsfreiheit verstanden, ja sie darf, und das 
ist für unser Gebiet besonders wichtig, auch den Kranken 
seiner gewohnten Tagesarbeit nicht völlig ent¬ 
ziehen, sie darf ihn nicht seiner Interessenkreise plötzlich 
berauben, sie darf keine psychische Ruhigstellung 
werden wollen. Wenn es sich auch empfiehlt, Persön¬ 
lichkeiten von der ihnen obliegenden Last schwerer 
Verantwortlichkeit zu befreien, so darf dies nur gleich¬ 
sam hinter dem Rücken des Kranken geschehen, er darf 
nicht merken, dass man ihn jetzt für weniger suffizient 
hält als früher. Die Rücksichtnahme auf diese Emp¬ 
findlichkeit ist vom therapeutischen Standpunkt sehr 
wichtig. 

Zweifellos bezieht sich Ziehens Mahnung bei 
ausgebrochener seniler Demenz, den Kranken in den 
gewohnten häuslichen Verhältnissen zu belassen, auf die 
eben berührte psychische Eigenart des Greisenalters 
oder der dem Greisenalter sich Nahenden. 

Die geistige Bewegung, welche man dem Kranken 
gestatte, sei pedantisch geregelt, der gewohnten Be¬ 
tätigung in Umfang und Inhalt verwandt, die körper¬ 
lichen Motionen rationell abwechselnd. 

Andauerndes Sitzen, selbst wenn es gewohnheits- 
mässig ist, untersage man. Das Betreiben eines Sportes 
gestatte man nur in engen Grenzen und nur wenn der 
Kranke denselben früher gepflegt hat. Alkohol und 
Tabak würde ich, wenn die Herztätigkeit intakt und 
der Kranke deren Genuss huldigt, nicht mit einem Male 
aufgeben, jedenfalls aber auf ein Minimum reduzieren 
lassen. 

Die grosse Rolle, m. H., welche die Jodpräparate 
in der Therapie der arteriosklerotischen Erkrankungen 
spielen, ist durch eine wissenschaftliche Erklärung bis 
heute noch nicht begründet. Man hat an eine Ver¬ 
minderung der Viscosität des Blutes, an eine blutdruck¬ 
erniedrigende Wirkung gedacht, durch Messungen 
aber festgestellt, dass wir nach Einnahme von Jodver¬ 
bindungen sowohl ein Steigen als ein Absinken des Blut¬ 
drucks sich einstellen kann. Früher wurden ausschliess¬ 
lich die Jodalkalien verordnet, wie Sie wissen in Gaben 
von 0,2—0,5—1,5, also in steigenden Dosen. Die Prä¬ 
parate werden in Milch oder Selterswasser genommen. 
Es ist Ihnen bekannt, dass oft sehr bald nach Einver¬ 
leibung von Jodverbindungen Erscheinungen hervortreten, 
welche sicher mit derselben in ursächlichem Zusammen¬ 
hang stehen. Die charakteristischesten sind der 
Schnupfen, die Magenbeschwerden, das Kopfweh, die 
Akne. Es bleibt dann nichts übrig, als mit der Jod¬ 
medikation vollständig auszusetzen. Gewöhnlich ver¬ 
schwinden die angeführten störenden Symptome gar 
bald. Es gibt Menschen, die eine besondere Idiosyn¬ 
krasie gegen die Jodalkalieu zeigen und man wird dann 
an ihrer Stelle mit den neueren und neuesten Jodprä¬ 
paraten, welche wegen langsamerer Resorption den 
Kranken weit weniger der Gefahr des Jodismus aus¬ 
setzen sollen, einen Versuch machen. Das Jodkalium 
wird von gewissen Internisten als direktes Herzgift und 
daher bei Arteriosklerose als kontraindiziert betrachtet. Zu 
neuen Präparaten gehören das Jodipin, eine dem Bromipin 
analoge Zusammensetzung des Jod mit Sesamöl, die Jod- 
glidine (10°/o Jod), Jodeiweissverbindungen und das 
Jodival sowie das Sajodin (10% Jod), Verbindungen des 
Jod mit Fettsäuren. Neuerdings ist man mit dem Jodo- 
sotopan wieder zu den anorganischen Jodverbindungen 
zurückgekehrt oder verordnet das Jodocitin, eine Kom- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 4. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


35 


bination des Jod mit dem Lezithin. Letztere beide in 
Tablettenform. 

Die Hydrotherapie beschränkt sich am besten auf 
die Bäderbehandlung. Kalte Packungen und Duschen 
sind selbst bei kongestiven Zuständen und kräftigem 
normalen Herzen für Arterioskeroiker seit langem be¬ 
rechtigter Weise in Misskredit gekommen. Die Kontrak¬ 
tionen der kleinen und kleinsten Arterien sind doch für 
die Herzarbeit ein zu jäh anschwellender Widerstand, 
als dass seine Bewältigung keine Übeln Konsequenzen 
für das Herz nach sich ziehen sollte. Ich möchte das¬ 
selbe für die kalten See- und Meerbäder behaupten. Zu¬ 
lässig wäre das Baden nur in solchen Seen, welche im 
Sommer eine durchschnittliche Wassertemperatur von 
18° besitzen. Von Kurorten, welche gegen die Arterio¬ 
sklerose in Frage kommen, nenne ich Marienbad, Kis- 
singen, Salzschlirf, Homburg v. d. H. 

Das einzige, was uns von der Heilkraft der Bäder 
physiologisch fassbar ist, ist die Regelung der Kreis¬ 
laufverhältnisse durch Beseitigung spastischer Zustände 
in den letzten Verzweigungen der Endarterien. Alles 
sonstige ursächliche Wissen von chemischen Einflüssen 
in den Badewässern gelöster Stoffe auf den Körper des 
Badenden ist uns verschlossen. Wenn wir z. B. einen 
alten Herrn nach Gastein schicken und er kehrt nach 
einer Badekur physisch und psychisch verjüngt wieder, 
so dürfen wir zwar behaupten, dass seine körperliche 
Regeneration mit dieser in einem kausalen Zusammen¬ 
hang stehen, — denn dies beweist die Erfahrung — wir 
können aber bei einiger Ehrlichkeit nicht sagen, welcher 
Bestandteil oder welche Beschaffenheit der Therme ein 
heilkräftiger Faktor gewesen ist, eben so wenig als wir 
irgend welche Anhaltspunkte dafür gewinnen können, 
warum in dem einen Falle die erhoffte Wirkung eintritt, 
in dem anderen aber ausbleibt. Dass suggestive Ein¬ 
flüsse bei einem Erfolg eine Rolle spielen, scheint mir 
unzweifelhaft. 

Ein Eingehen auf besondere Arten von Bädern 
(Sauerstoff-, Kohlensäure-, Sarrasonsche-, Ozet-, elek¬ 
trische Wechselstrombäder) erscheint mir in Anbetracht 
der heute nur sicher gestellten Wärmeregulierung der 
Haut durch das temperierte Wasser von dem Stand¬ 
punkt wissenschaftlicher Erörterungen belanglos. Hin¬ 
gegen wird vorsichtige Massage, etwa in Form des 
Zanderns von vielen Kranken als sehr wohltuend emp¬ 
funden und regt gleich den Bädern die Zirkulation 
kräftig an. 

Wenn man mir, m. H., den Vorwurf einer Oligo- 
pragmasie im Gegensatz zu dem verwirrenden Reichtum 
des heute gangbaren Heilmittelschatzes machen will, so 
bin ich mit diesem wohl zufrieden, denn er beweist meine 
Opposition zu jener gedankenlosen Richtung, welche 
mit dem Blendwerk neuer Namen und Kombinationen 
ein frisches, vielversprechendes Aufgebot gegen die 
hartnäckigen Feinde unserer Gesundheit vorgaukelt. 

Die Geisteskrankheiten des Rückbildungsalters und 
des Seniums können fast in alle Formen sich kleiden, 
welche den Psychosen des Mannesalters eigen sind. Wir 
wissen, dass sich Epilepsien und Hysterien erst im Senium 
entwickeln, wir wissen, dass das periodische, das zirku¬ 
läre Irresein, der Ausdruck „Irresein“ ist hier sehr 
unglücklich gewählt, und würde besser durch „patho¬ 
logische Stimmungsschwankungen“ zu ersetzen sein, — 
zuweilen im vorgerückten Alter erst ausbricht, welches 
gewissermassen in seinen physiologischen Abweichungen 
den Boden einer gewissen Disposition zu den krankhaft 
übertriebenen Exkursionen der Stimmungsschwankungen 
abgibt. Halluzinatorische Zustände mit Wahnbildungen 
oder solche ohne Sinnestäuschungen sind in den späteren 
Lebensaltern nichts Ungewöhnliches. Hingegen fehlen 
jene stabileren, chronischen Zustände, welche mit charak¬ 
teristischen Eigenheiten die jugendlichen Psychosen zu 

Digitized by Google 


einer Gesamtheit hervorheben und die systematisierten 
Wahnideen der chronischen Paranoia. Wenn wir im 
hohen und höchsten Alter stehende Paranoiker in den 
Anstalten antreffen, welche stets auffallend attent und 
scharfsinnig sind, so stammt deren Krankheit aus der 
Jugend oder dem Mannesalter und ragt in das Geistes¬ 
leben des Greises mit solcher Lebhaftigkeit hinein, dass 
die gesamte Persönlichkeit von einem Tonus strammer 
Intelligenz belebt wird. 

Die senile Demenz, als „die“ Krankheit des Greisen- 
alters zu bezeichnen, halte ich für eine Gewohnheitslüge 
eines atavistischen Schematismus. Die Demenz ist in 
allen Lebensaltern bereits ein Defektzustand, der Aus¬ 
gang einer Krankheit, nicht diese selbst. Wo sie schein¬ 
bar ohne das Zwischenglied jener Reaktionen des zere¬ 
bralen Organes, welche pathologisch veränderte, aber 
noch auslösbare Funktionen bekunden, zur klinischen 
Beobachtung gelangt (Dementia senilis simplex), da sind 
die Symptome der zum Untergang des Nervengewebes 
führenden Krankheit zu wenig für die laienhafte Um¬ 
gebung palpabel, weil nicht störend gewesen. 

Ungeachtet dieses Polymorphismus der in der Rück¬ 
bildung und im Senium auftretenden Geisteskrankheiten, 
sind doch alle Psychosen durch bestimmte wieder¬ 
kehrende Züge, die wir aus der klinischen Erfahrung 
als senile erkannt haben, ausgezeichnet. 

Meine Darstellung würde aus den ihr durch das 
Thema gezogenen Schranken heraustreten, wollte ich 
Ihnen diese Kriteria hier einzeln aufführen. Das gehört 
in das Gebiet der Symptomenlehre. 

Worauf ich aber bei dem Hinweis auf das Charak¬ 
teristisch-Senile Gewicht legen wollte, ist die Tatsache, 
dass die Therapie der Geisteskrankheiten nicht in einer 
Wiederholung der Therapie der Psychosen der Jugend 
und des Mannesalters aufgeht, sondern dass auf die 
senilen Eigentümlichkeiten in der Therapie besonders 
Rücksicht genommen werden muss. 

Ich beginne mit der Dementia senilis. Dieser geht 
ein Prodromal- und Initialstadium voraus, wie dies bei 
der Dementia paralvtica der Fall ist. Nirgends finde 
ich dasselbe so packend und lebenswahr gezeichnet als 
von unserem noch unerreichten Exquiral, seltsamer Weise 
von dem gründlichen, umfassenden, lange aus reicher 
eigener Erfahrung schöpfenden Ziehen fast ganz 
übersehen. 

Eine im Senium auftretende Neurasthenie erhält da¬ 
durch einen ominösen Anstrich, dass sie ohne genügende 
Ursache ausbricht und aller Therapie trotzt. Im übrigen 
muss auf den oben skizzierten besonderen Charakter der 
prodromalen, die progressive Paralyse einleitenden Neur¬ 
asthenie verwiesen werden. In beiden Fällen handelt 
es sich um eine aus tiefgreifenden Hirnrindenprozessen 
hervorgehende Konstitutionsanamolie im Gegensatz zu 
der auf dem Boden ererbter Anlage sich entwickelten. 
Ich möchte nicht, wie von Krafft-Ebing, das 
differentialdiagnostische Hauptgewicht auf das Vor¬ 
handensein oder Fehlen der Krankheitseinsicht legen, 
dieselbe fehlt erst in fortgeschritteneren Stadien der 
Verblödung, deren Anfänge dem nicht fachlich Ge¬ 
schulten allerdings oft unerkannt bleiben, sondern, wie 
gesagt, auf das subjektiv und objektiv Unmotivierte der 
über einen durchaus nicht Nervenschwachen herein¬ 
brechenden Nervenzerrüttung und auf die Unbeeinfluss- 
barkeit der sonst durch entsprechende hygienische Vor¬ 
kehrungen so leicht zu bessernden Neurasthenie. Sym- 
ptomatologisch wird die den Demenzzuständen voran¬ 
eilende Neurasthenie in ihrer gesamten Erscheinung 
kaum Bilder aufwerfen, die mit Wahrscheinlichkeit auf 
diese oder jene diagnostische und prognostische Fährte 
sicher zuleiten, man wird vielmehr einzelne zu ver¬ 
wertende Züge geradezu suchen müssen. Als solche 
würden gelten transitorisch-psychotische Zustände, Bilder 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A' 
URBANA-CHAMPAIGN 






36 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 4. 


von vorübergehender Desorientiertheit, welche der unkom¬ 
plizierten Nervenschwäche niemals eigen sind. Die Exi¬ 
stenz neurasthenischer Dämmerzustände (v. Krafft- 
Ebing) muss ich in Abrede stellen. Ferner ist der 
subjektive Standpunkt gegenüber Gedächtnislücken 
zwischen dem genuinen Neurastheniker und dem Kandi¬ 
daten einer senilen Demenz ein zuweilen grundverschie¬ 
dener. Ein kleiner Gedächtnisdefekt wird von dem Neur¬ 
astheniker ungemein peinlich empfunden, es wird ihm 
derselbe zum Anzeichen beginnender schwerer Er¬ 
krankung, so dass weit weniger der Gedächtnisdefekt 
als die Bestürzung über ihn und Furcht vor schwerer 
Erkrankung als pathologische Erscheinung anmutet. Die 
gemütliche Labilität ist bis in das explosiv Kindische 
gesteigert, urplötzliche, wild leidenschaftliche Ausbrüche, 
welche einzudämmen die Besonnenheit in gesunden Tagen 
vermochte, wechseln mit einem albernen rührseligen 
Wesen und mit Weinen ab. Differentialdiagnostisch 
wichtig ist die noch nirgends gewürdigte Gedächt¬ 
nisschwäche für Affekte, als Vorbote 
einer paralytischen oder senilen Demenz. Die Kranken 
vergessen stark affektbetonte Erlebnisse sehr schnell, 
während der vergesslichste Neurastheniker gerade diese 
nicht vergessen kann, weil bei dem Wiedererwachen ge¬ 
wisser Vorstellungen stets die mit ihnen verbundenen 
Affekte abnorm lebhaft werden. Neben dieser patho¬ 
logischen Reizbarkeit macht sich eine, dem Fachmann 
unschwer erkennbare, Einbusse des sonst zielbewussten 
Strebens sowie der normalen Willensfestigkeit bemerk¬ 
bar. Die Umgebung des Kranken meldet kurzum eine 
Charakterveränderung. Mit diesem sind nur einige 
Streiflichter auf das spezifische Gepräge der pro¬ 
dromalen Neurasthenie der senilen Demenz geworfen. 
Sie mögen hinreichen, um die Einleitung spezieller, für 
andere Formen der Neurasthenie nicht gebotener thera¬ 
peutischer Massnahmen zu rechtfertigen. 

Während ich in den meisten F'ällen genuiner Neur¬ 
asthenie die Behandlung dem Kranken ohne besondere 
Bedenken selbst in die Hand gebe, da die Störung 
intellektueller und gemütlicher Funktionen weit mehr 
subjektiv empfunden, als objektiv sich geltend macht, 
vor allem aber die Gefahr unvermuteten Auftauchens 
psychischer Alienationen nicht besteht, lege ich bei den 
prodromalen Neurasthenien Gewicht auf eine Behand¬ 
lung unter steter ärztlicher Aufsicht, sei es, 
dass häufige Besuche des Arztes im Hause bei ge¬ 
nügender Wachsamkeit der Familienmitglieder die Be¬ 
dingungen einer zuverlässigen Kontrolle bieten, sei es, 
und das wird wohl in den meisten Fällen das Tun¬ 
lichere sein, eine Anstalt, die erforderliche Garan¬ 
tien steter Beobachtung bietet. Ich meine natürlich 
keine geschlossene Anstalt, sondern eine offene, 
jedoch eine solche, deren Einrichtungen 
den in Geisteskrankheit ausbrechen¬ 
den Kranken zu beherbergen ge¬ 
statten, und ihn nicht, wie dies gar nicht so 
selten vorkommt, einfach an die Luft setzen, weil die 
Statuten des Sanatoriums die Aufnahme Geisteskranker 
aus8chliessen. Vorbedingung für das Gelingen einer 
Kur ist, dass der Kranke freiwillig oder durch Gründe 
überzeugt, die Anstalt aufsucht und die Ent¬ 
fernung aus der Familie gut verträgt. 

Es ist durchaus keine als Lückenbüsser dienende 
Phrase gewesen, wenn ich an das Kopfende meiner für 
den praktischen Arzt bestimmten Ratschläge bei der 
Behandlung von Geisteskrankheiten die persön¬ 
liche Eignung des Irrenarztes als das 
A und O der ganzen Therapie gewürdigt und ideal¬ 
altruistische Veranlagung sowie Bildung und praktische 
Menschenkenntnis als die bei Anstellungen allerdings 
kaum je in Betracht gezogenen, aber in Wahrheit un¬ 
erlässlichsten Postulate aufgesttllt habe. Die aus¬ 



gesprochenen Wahrheiten waren trivial genug und lagen 
so offen am Tage, dass sie sich selbst bewiesen. Wo 
sich getroffene Empfindlichkeit regte, und leider geschah 
dies auf gar mancher Seite, da sah ich die Not¬ 
wendigkeit und Schärfe meiner Kritik 
vollauf gerechtt'eitigt. 

M. II.1 Was mit dem prodromalen Neurastheniker 
zu geschehen habe, das ist so recht ein Problem des 
denkenden, des ethischen Irrenarztes. Sein Taktgefühl 
muss ihn davor bewahren, den Kranken merken zu 
lassen, dass er das Schlimmste befürchte, und doch 
darf er in den empfohlenen Massnahmen nichts ausser 
acht lassen, was nicht die Möglichkeit einer plötzlich 
hervorbrechenden Psychose im Auge hätte. 

Sie werden mich bei meinen Verordnungen der 
Monotonie zeihen, wenn Sie hören, dass ich Ihnen gegen 
das quälendste Symptom der prodromalen Neurasthenie 
die Agrypnie bei Nacht das Paraldehyd wieder 
empfehle. Ich kenne keinen Ersatz für dasselbe. Je 
mehr sich meine Erfahrungen mit diesem Medikament 
ausbreiten, um so fester wird mein Glaube an seine 
unumschränkte Anwendbarkeit, während wir bei 
allen anderen Hypnoticis gelegentlichen Überraschungen 
ausgesetzt sind. Man ordiniere von 4 Gramm aufwärts. 
Bei späteren Stadien der Arteriosklerose hat es über¬ 
dies den Vorteil, dass es die Herztätigkeit in keiner 
Weise alteriert. Man lasse den Schlaftrunk nie auf 
nüchternen Magen nehmen, weil sonst leicht heftiges 
Aufstossen, ja selbst Erbrechen die Folge sein kann. 
Man kombiniere das Paraldehyd stets mit einem sehr 
kräftigen Corrigens, welches den Übeln Geruch zu ver¬ 
decken geeignet ist (grössere Mengen von Syrupus 
corticis aurantii, Syrupus Rubi Idaei, ein Wein mit 
starkem Aroma). Starker Meteorismus infolge unver¬ 
dauter Ingesta kann zwar nach schnellem Einschlafen 
stundenlanges Wachliegen bewirken, dann tritt aber der 
Schlaf wieder ein und kann die normale Dauer weit 
überschreiten. Nach dem Erwachen erfreut sich der 
Kranke eines Gefühls der Frische, des Gestähltseins, er 
wird euphorisch, die gesteigerte Blutzufuhr zum Kopf 
infolge starker Arteriendilatationen macht sich durch 
Rötung des Antlitzes sichtbar, durch das Gefühl von 
Hitze und leichten Schwindel subjektiv wahrnehmbar. 

Das einverleibte Paraldehyd bleibt zweifellos einige 
Zeit, mindestens einen Tag im Körper, z. T. zweifellos 
im Magen zurück, da sich nach der Nahrungsaufnahme 
auch am nächsten Tage sehr bald Ermüdung und ein 
sehr kategorisches Schlafbedürfnis einstellt. Benommen¬ 
heit des Kopfes oder Kopfschmerzen belästigen den 
Kranken am Tage nach der Einnahme des Medikamentes 
zumeist nicht, nervöse Leute werden darnach auffallend 
ruhig, hingegen lässt die für geistige Arbeit notwendige 
Anspannung der Hirnfunktionen bald nach. 

Sicher beeinträchtigen grössere Paraldehyddosen die 
Verdauungstätigkeit des Magens am zweiten Tage, ja 
es kann direkt zu Magenschmerzen kommen. Ich habe 
Magenbeschwerden ähnlicher Art auch nach Bromural 
nachweisen können, ohne dass die prompte Herbei¬ 
führung des Schlafes wie durch das Paraldehyd gelungen 
wäre. Der üble Geruch, welchen der Atem des Kranken 
am folgenden Tage verbreitet, ist von mir wiederholt 
hier als Mangel dieses sonst vorzüglichsten und unge¬ 
fährlichsten Schlafmittels geklagt worden. Da sich aber 
der prodromale Neurastheniker meistenteils ohnehin in 
einer Anstalt befindet, ist eine Geruchsbelästigung wenig 
rücksichtsvoller Umgebung nicht zu befürchten. Von 
psychiatrischer Seite wird eine Kombination des Paral¬ 
dehyd mit einem lauwarmen Bad am Abend empfohlen. 

Dem notwendigen Erfordernis der Beruhigung des 
Nervensystems wird durch die Abgeschlossenheit der 
Anstalt gewährleistet. Man halte den Kranken nicht 
im Bett, versuche keine Mastkur, sondern 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 4 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


37 


lasse Ihn sich möglichst viel im Freien aufhalten und 
suche ihn zu regelmässigen, allerdings nicht zu langen 
Spaziergängen zu bewegen. Die Kost sei nahrhaft, im 
allgemeinen der Gewohnheit des Kranken entsprechend, 
jedoch nicht zu e i w e i s s r e i c h. Auch beschränke 
man die Flüssigkeitszufuhr zum Körper. 

Natürlich wird man bei schwereren arteriosklero¬ 
tischen Veränderungen des Herzens und der Gefässe 
die genannten Medikationen mit den bekannten Cardi- 
acis kombinieren. 

Eine spezifische Bäderbehandlung, wie von S trü¬ 
be 11 empfohlene elektrische Wechselstrombäder würde 
ich nur dann versuchen, wenn andauernde Spasmen 
kleinster Arterien, kalte Hände und Füsse den Kranken 
unausgesetzt belästigen, geregelte Bewegung, warme 
Wohnräume und Betten keinen Erfolg haben und der 
Kranke sich selbst von hydrotherapeutischen Mass¬ 
nahmen etwas verspricht. 

Dabei gehört es zu den wichtigsten Pflichten des 
Arztes, der Psyche des Kranken unausgesetzte Auf¬ 
merksamkeit zu schenken. Sobald zweifellos psycho¬ 
pathische Symptome, wenn auch nur sporadisch und 
ganz vereinzelt bemerkbar werden, ist eine Überführung 
in eine geschlossene Anstalt geboten. Der 
Wechsel einer offenen Anstalt mit einer geschlossenen 
ist immer leichter als eine Verbringung des Kranken 
aus seiner Häuslichkeit direkt in die geschlossene Anstalt. 

Das Initialstadium der Dementia senilis hat wie das 
der Dementia paralytica und zwar viel häufiger als das 
erstere einen ausgesprochen manikalischen 
Charakter. Die Manie erreicht selten die Grade der 
Tobsucht, welche schon das Laienauge als Geistes¬ 
störung anspricht. Sie macht sich vor allem sozial auf¬ 
fällig. Der Kranke wird unruhig, erregt, reizbar, gerät 
in Konflikte. Er schläft wenig, fühlt sich jedoch nach 
durchwachter Nacht nicht ermattet. Er täuscht sich 
über seine Jahre hinweg und sieht sich im kräftigsten 
Mannesalter und in der Jugend. Eine abnorm 
gesteigerte Sexualität tritt in den 
Vordergrund. Da wir in dem Wesen der Demenz 
einen Defekt der Gefühle erblicken, da die feineren 
Hemmungen erfahrungsgemäss zuerst verschwinden, ist 
es verständlich, dass die hervorbrechenden Triebe das 
Individuum willenlos beherrschen. Der Kranke wird so 
unvermeidlich kriminell. (Fortsetzung folgt.) 


Neuer Anhaltspunkt zur Bestimmung der Herz¬ 
grenzen, weiterer Beitrag zur Herzschwäche, 
ihrer Behandlung und ihrer Bedeutung für 
den Herzschlag. 

W. P1 ö n i e s, Hannover. 

Wendet man zur Bestimmung der Herzgrenzen die 
bereits bekannte Gleitpalpation an, deren Genauigkeit 
des Resultats ich nur rühmend bestätigen muss, so wird 
fast immer, mindestens in 99%, eine unangenehme bren¬ 
nende, selbst schmerzhafte Empfindung beim Untersuchten 
ausgelöst, sobald man den Herzrand erreicht, sodass uns 
derselbe genau die Herzgrenze angeben kann. Bedin¬ 
gung ist, dass er seine volle Aufmerksamkeit, am besten 
mit geschlossenen Augen, um seine Angabe nicht zu 
beeinflussen, auf diese auszulösende Empfindung richtet. 
Die Gleitpalpation macht man am besten mit dem Zeige¬ 
finger, selbstredend im Bereiche der Interkostalräume, 
indem man ausserhalb der zu erwartenden Herzgrenze 
aufsetzt und unter g i e i c h m ässigem, massigen 
Druck nach dem Herzen zu streicht. Zweckmässig ist 
es aber, mit der andern Hand durch massigen Druck 
die Haut vor Verschiebung zu schützen. Der Unter¬ 
sucher selbst hat, sobald er die Herzgrenze erreicht, 
das Gefühl eines Hindernisses, als sollte der Finger 

Digitized by Google 


über eine Erhöhung mit stärkerer Konsistenz gehen. 
Bei normalen Herzgrenzen, bei denen der rechte Herz¬ 
rand stets der Mittelinie entspricht, kann man selbst¬ 
redend nur den linken und linken oberen Herzrand in 
dieser Weise bestimmen, denn auch das nicht erweiterte 
Herz reagiert mit dieser Empfindung beim Untersuchten. 
Der rechte Sternalrand reagiert auf Druck bei der Gleit¬ 
palpation mit ähnlichen Empfindungen, und daher geben 
uns die relativ seltenen Fälle, in denen rechter Herz¬ 
rand und Sternalrand zufällig einmal zusammenfallen, 
die Herzerweiterung damit ganz geringfügig ist, keine 
Klarheit in der Grenzbestimmung mit dieser Methode. 
Da man nicht genug Beweise für die Genauigkeit 
der Grenzbestimmung des Herzens haben kann, so wende 
ich bei meinen Untersuchungen immer zuerst die Stäb¬ 
chenperkussion mit ihren nie trüglichen Resultaten, dann 
die Grenzbestimmung mit dem Bazzi-Bianchi’schen Pho¬ 
nendoskop, dann meine bereits veröffentlichte Methode 
der Auskultophonation und erst zuletzt die Gleitpalpa¬ 
tion an, um auch dem Kranken ausser dem hörbaren 
Beweise der Auskultophonation noch einen fühlbaren, 
weit mehr imponierenden Beweis zu geben. Bei ein- 
mal fehlendem Nachweise dieses Symptoms der brennen¬ 
den Empfindung versäume man nicht, in aufrechter 
Stellung nochmalige Prüfung vorzunehmen, wo es dann 
deutlich auftritt, da das Herz der Brustwand mehr an- 
lie gt- 

Auf die Wichtigkeit des Erkennens der Herzerweite¬ 
rung für die Diagnose gastrogener Gärungs- und Zerset¬ 
zungsprozesse, für die Herzfehler, für die kausale Behand¬ 
lung des Asthmas, für die mehr oder weniger bedenklichen 
Zustände der Herzschwäche, die bedenklich bei interkur¬ 
renten, fieberhaften Krankheiten, besonders Infektions¬ 
krankheiten ist und ihren Ausgang —- ob Tod oder 
Genesung — wesentlich mit beeinflusst, habe ich be¬ 
reits an anderen Stellen genügend hingewiesen. Und 
doch wird die Herzerweiterung nach vorliegenden 
langjährigen Erfahrungen mindestens in 90 auch 
von Autoritäten übersehen! Wegen der enormen 
Wichtigkeit der Herzerweiterung für Krankheitsbild 
und kausale Therapie beginne ich in jedem Falle 
mit der peinlichen Untersuchung des Herzens. Seine Er¬ 
weiterung gibt mir sofort die wichtigsten Schlüsse für 
die weiter zu erwartenden Resultate der Unter¬ 
suchung wegen der Gesetzmässigkeit des Verhaltens 
zwischen Herzerweiterung und Magenerweiterung und 
ihrer Ursache, der gastrogenen Gärungen und Zersetzun¬ 
gen und gibt mir ferner bei der Abhängigkeit der funk¬ 
tionellen Störungen des Zentralnervensystems von den 

f astrogenen genannten Prozessen sofort auch einen tiefen 
inblick in die zu erwartenden zerebralen Stö¬ 
rungen. 

Die Herzerweiterung bedingt fast immer Herz¬ 
schwäche. Die Fälle machen eben eine Ausnahme, 
in denen Herzerweiterung nicht erheblich ist und gleich¬ 
zeitig Arteriosklerose, Schrumpfniere, übertriebener Sport 
oder schweres Arbeiten u. a. Herzschwäche noch nicht 
aufkommen liessen. Es gibt aber auch eine Herzschwäche 
bei normalen Herzgrenzen, die sogar recht erheb¬ 
liche Grade, 8-9 Teilstriche des Sahli’schen Mano¬ 
meters (statt 14—15 bei Frauen, 15—16 bei Männern) 
erreichen kann. Ich wende mich — bewusst der grossen 
Wichtigkeit für die kausale Behandlung der Herz¬ 
schwäche — seit vielen Jahren der Ergründung der 
U rsachen dieser Herzschwäche zu. Ich fand diese 
Herzschwäche neben normalen Herzgrenzen vor allem 
bei Magenläsionen und Läsionen des Duodenums, die 
nicht von gastrogenen Gärungen und Zersetzungen be¬ 
gleitet waren. Unterernährung, Blutarmut oder starke 
Verminderung der Muskelleistungen mit ihrer physiolo¬ 
gischen Rückwirkung auf den Herzmuskel können es 
allein nicht sein und zwar deshalb, weil diese Herz- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




38 


Nr. 4. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


schwäche schon nach 8 Tagen der Behandlung von 
selbst mehr oder weniger völlig verschwand, wenn 
die richtige, die Läsionen nicht verletzende reizende 
Diät und völlige, strikte durchgeführte Ruhe befolgt 
waren. Es sind dies zwei Faktoren, die physiologisch 
eher eine Herabsetzung der Herzkraft herbeiführen 
sollten. Das Körpergewicht hatte in den meisten Fällen 
sich nicht verändert, vorhandene Blutarmut war selbst¬ 
redend sichtlich noch nicht gebessert. Die Kotunter¬ 
suchung gab hier den Aufschluss. In allen diesen 
Fällen war die Blutreaktion des Kots äusserst stark, 
mindestens stark positiv vor Einleitung der Behandlung, 
um bei der zweiten Untersuchung erheblich geringer 
oder ganz verschwunden zu sein. Es ist also die Ursache 
der Herzschwäche hier die latente Blutung aus den 
Magenläsionen, aus den sehr häufig gleichzeitig beste¬ 
henden Läsionen des Duodenums, während die Läsionen 
des Dickdarms bei dem Fehlen ihrer Ursache, der 
gastrogenen Gärungen und Zersetzungen, wenig hier in 
Betracht kommen, wenn sie nicht gerade aus früher 
bestandenen Gärungen und Zersetzungen als Residuen 
infolge ungeeigneter Diät noch vorhanden sind. Diese 
latenten Blutungen erklären uns die Anämie, die in 
der grössten Mehrzahl der Fälle nach dreissigjährigen 
Erfahrungen nur sekundär ist, was wieder äusserst 
wichtig für ihre allein erfolgreiche kausale Therapie ist. 
Sie erklären uns die Abmagerung trotz dem Fehlen 
von gastrogenen Gärungen und Zersetzungen, trotz 
unverändertem guten Appetit, damit unveränderter 
Nahrungszutuhr. Bei vorhandenen Gärungen und Zer¬ 
setzungen im Magendarmkanal wirken natürlich auch 
diese Prozesse neben den latenten Blutungen zur Stei¬ 
gerung der sekundären Anämie, der Unterernährung 
mit. Die dann gleichzeitig vorhandene Herzerweiterung 
erhöht als weiterer bedeutender Faktor die Herzschwäche, 
auf die selbstredend als Circulus vitiosus sekundäre 
Anämie und Lhiterernährung noch einwirken müssen. 
Hinsichtlich der Wertigkeit der einzelnen Faktoren bei 
der Auslösung der Herzschwäche dürften die latenten 
Blutverluste nach vorliegenden langjährigen Erfahrungen 
die grösste kausale Wichtigkeit beanspruchen. Bei 
der enormen Bedeutung der Bekämpfung der Herz¬ 
schwäche für das Leben, bei der Wichtigkeit ihrer Besei¬ 
tigung besonders bei gleichzeitigen Herzfehlern halte 
ich gerade wegen der enormen Häufigkeit der Magen-, 
Duodenumläsionen es in allen Fällen von Herzschwäche 
geboten, eine Kotuntersuchung vorzunehmen, um die 
Ursache der Herzschwäche zu ergründen und die 


kausale Therapie mit ihren Dauererfolgen 
danach einzurichten. 

Die Bekämpfung der Herzschwäche mit Herzmitteln, 
von denen Kampfer, Koffein die wichtigsten sind, bleibt 
stets gerechtfertigt im Falle der Not, um augenblicklich 
die Ilerzkraft zu heben, einer Katastrophe vorzubeugen, 
nicht aber ihre dauernde Anwendung für die weitere 
Behandlung, wo immer die allein berechtigte kausale 
Therapie einzusetzen, die symptomatische Behandlung 
aber mit ihren Augenblickserfolgen auszuscheiden hat. 
So hatte ich noch vor 6 Wochen den Fall einer drohen¬ 
den Ilerzlähmung bei einem 22 Jahre alten Fräulein K., 
die ich bewusstlos, pulslos mit kaum hörbaren, irregulä¬ 
ren Herztönen, dazu noch in sitzender Stellung (!) gestützt 
von der ratlosen Umgebung antraf. Sofort flache Lage 
des Körpers, Brust-Herzmassage bis zum Wiedereintritt 
der bereits erloschenen Atmung, dann erst 2 Kampfer¬ 
einspritzungen. Die Untersuchung des Körpers später 
ergab relativ geringe Herzerweiterung (RD = 4,1 D = 8 cm), 
latente Läsionen des Magens, Duodenums, die wie die 
Blutarmut, wegen der sie vergeblich behandelt worden 
war, nach dem Bestände der Symptome nach zu urteilen 
bis in die Schulzeit zurück reichten, sowie Colitis ulcerosa. 
Die Untersuchung des Kots am nächsten Tage ergab 
hochgradigst positive Blutreaktion, die Herzkraft betrug 
7—8 Teilstriche des Sahli'schen Manometers. Die Pa¬ 
tientin geht ihrer völligen Genesung entgegen. Die 
schweren Erscheinungen der drohenden Herzlähmung 
waren — wohl zufällig — bei einer oft schon ausgeführten 
Nasenspülung aufgetreten, die ein Nasenspezialist we¬ 
gen gleichzeitigen chronischen Nasenleidens verordnen 
musste. 

Die vielen Opfer des Herzschlags, die namentlich 
bei beginnender Badesaison, anderen sportlichen oder 
beruflichen Anstrengungen u. a. beobachtet werden, 
sind wahrscheinlichst solche Fälle mit oft ganz latenter, 
schon lange bestandener Herzschwäche, denen in der 
überwältigenden Mehrzahl latente Läsionen des Magen- 
darmkanals, meist noch mit Gärungen und Zersetzungen 
kompliziert, zu Grunde liegen dürften. Ein sehr verdienter 
Architekt W., bei dem ich starke Herzerweiterung und 
Herzschwäche, Magenläsion und sekundäre Anämie neben 
sekundären zerebralen Störungen funktionellen Charakters 
festgestellt hatte, fiel am nächsten Tage in einem Sana¬ 
torium bei Dresden, in das er ohne mein Wissen ge¬ 
gangen war, unter einer kalten Dusche einem Herzschlag 
zum Opfer. 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Akute gelbe Leberatrophie bei Syphilis. 

Ein weiterer Beitrag. Von Pr. B e n d i g 
Ausführlicher Bericht über einen Fall von akuter 
gelber Leberatrophie mit Sektionsbefund nebst allge¬ 
meinen Betrachtungen: Es steht allgemein fest, dass 
Syphilis allein die Ursache sein kann. Ob jedoch nicht 
noch andere Momente zu berücksichtigen sind — handelt 
es sich doch in der Mehrzahl der Fälle um Schwangere, 
deren Körperzellen vielleicht nicht genügende Wider¬ 
standskraft gegen Schädigungen haben und deshalb so¬ 
wohl durch die Lues als auch durch das Quecksilber 
und die im Salvarsan enthaltene, die Maximaldosis bei 
weitem überschreitende Arsenmenge in Mitleidenschaft 
gezogen werden könnten —, diese Gedanken werden 
zur Erwägung gestellt, zumal anscheinend nach Ein¬ 


führung des Salvarsans solche Fälle häufiger zur Beob¬ 
achtung gekommen sind. (M. m. Wschr. Nr. 34, 1915.) 

Autoreferat. 


Ueber Tierblutkohle und insbesondere ihre 
Verwendung bei Typhus abdominalis 
und Paratyphus. 

Von Assistenzarzt Dr Como. 

(Aus dem Brracken-Lazarett Zellerrasen Würzburg). 

Schon seit über einem halben Jahr arbeitet der Ver¬ 
fasser mit der Tierblutkohle von B o p p, chemische 
Fabrik Frei-Weinheim a. Rh. 

Mit dem Präparat wurden behandelt Typhus abdo¬ 
minalis, Paratyphus, Dvsenterie, zwei Endemien von 


Digitized by 


Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 4. 


4Ö 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Tage“ [Basisfraktur]. Mehrere Fälle folgen, die zeigen, dass 
man sich auch bei der Diagnose Schädelbruch täuschen kann. 
Zum Schluss geht Verfasser noch auf die Unfälle ein, denen 
der Epileptiker besonders ausgesetzt ist, und sucht daun die 
einzelnen Todesarten in ein Schema zu bringen, das im Original 
nachgelesen werden mag. VVern. H. Becker, Herborn. 

Medicamentöse Therapie. 

Priv.-Doz. Dr. F. Rost, Chirurg. Klinik d. Univ. Heidel¬ 
berg. Über Stoffe, die das Bindegewebe zum Wachstum »n- 
regen. (Feldärztliche Beilage zur Münch. Med. Wochenschrift 
1915, Nr. 25.) 

Bei der Behandlung von Wunden, die mit grösseren Sub¬ 
stanzverlusten verbunden sind, kommt, abgesehen von der nach 
den üblichen und bekannten Regeln der allgemeinen Chirurgie 
durchgeführten Bekämpfung der Infektion 1. die Ausfüllung 
der Defekte mit Granulationsgewebe und 2. die Überhäutung 
(Epithelialisierung) der Granulationen in Betracht. 

Bei der Heilung infizierter Wunden wird das Wachstum 
der Granulationen einmal erzeugt durch in den Bakterienleibern 
enthaltene Stoffe und zweitens durch Zufallsprodukte körper¬ 
eigener Zellen. Durch Begünstigung eines dieser beiden Faktoren 
kann das Granulationsgewebe indirekt zur stärkeren Wucherung 
veranlasst werden In dem Bestreben, einen solchen Stoff aus¬ 
findig zu machen, wurde nach eingehenden umfangreichen Ver¬ 
suchen festgestellt, dass vereinzelte Öle mineralischen Ursprungs 
am stärksten und typischsten bindegewebsanregend wirkten. 
Diese Wirkung ist jedoch nicht auf einen einzelnen, sondern 
auf mehrere chemische Körper zurückzuführen. Auf diese 
Weise lässt sich die klinische Beobachtung erklären, dass es 
nämlich bei der Anwendung chemisch reiner Stoffe zu einer 
weniger starken und besonders weniger konstanten Anregung 
des Bindegewebes kommt, als wenn man Gemische verschieden¬ 
artiger chemischer Körper gebrauchte. 

Ein derartiges, vom Verfasser regelmässig auf seine binde- 
gewebsanregende Fähigkeit hin tierexperimentell geprüftes öl 
bringt die Firma Knoll & Co., Ludwigshafen a. Rh., in den 
Handel. Autor stellte mit diesem Präparat über 2 Jahre bei 
den verschiedensten chirurgischen Patienten Versuche an, deren 
Ergebnis nachfolgend kurz zusammengefasst ist: 

Das Wundöl hat den Zweck, überall dort, wo Substanz¬ 
verluste bindegewebig ausgefüllt werden sollen, das Granulations¬ 
gewebe zum Wachstum anzuregen. Es wurde zu diesem Zwecke 
in genau gleicher Weise, wie es mit dem Perubalsam geschieht, 
jedesmal beim Verbandwechsel in die Wunde hineingegossen, 
wobei man nur dafür sorgeu muss, dass es möglichst mit allen 
Taschen und Buchten der Wunde in Berührung kommt. Man 
sah bei dieser Behandlung gerade auch z. B. bei den Schuss¬ 
verletzungen mit grossen und tiefen Weichteildefekten einen 
überraschend schnellen Wundschluss. Die entstehenden Granu¬ 
lationen waren straff, nicht weich und schwammig. Die Über¬ 
häutung der Granulationen mit Epithel ging schnell von 
statten. 

Wunden mit grossen Substanzverlusten gebrauchten zu 
ihrer Heilung Behr viel kürzere Zeit, wenn, wie das bei der 
Anwendung dieses Wundöles der Fall war, das Granulations¬ 
gewebe rasch den Defekt ausfüllt. Durch „granulierendes 
Wundöl Knoll“ wurde das bei grossen Wunden oft sehr un¬ 
angenehme Festkleben der trockenen Verbandstoffe verhindert, 
ohne dass es andererseits, wie bei Salben verbänden, zu einer 
Verminderung der Saugkraft der Gaze gekommen wäre. Die 
Behandlung von Wunden mit grossen Substanzverlusten wurde 
durch die Verwendung des genannten Präparates wesentlich 
gefördert. 

Auf anderen chirurgischen Gebieten wurde das Präparat 
in erster Linie zur Behandlung von Fisteln aller Art gebraucht. 
In den Fällen, wo die Eiterung aus der Fistel nicht durch 
irgend einen Fremdkörper, Sequester oder dergl. bedingt war, 
konnte man bei dieser Behandlung recht Gutes sehen, besonders 
wenn es sich um die Ausfüllung grosser Hohlräume, von denen 
die Fistel ausgeht, handelte. So konnte wiederholt der Schluss 
von grossen, gegen jede andere Behandlung sehr renitenten 


Empyemhöhlen und ebenso von grossen osteomyelitischen Höhlen 
beobachtet werden. In letztere Gruppe waren auch eine Anzahl 
von Fällen zu zählen, in denen sich eine solche Knocheuhöhle 
im Anschluss au Granatsteckschüsse entwickelt hatte. Autor 
empfiehlt also das „granulierende Wundöl Knoll“ überall dort, 
wo es in der Wundbehandlung darauf ankommt, das Granu¬ 
lationsgewebe zu einem energischen Wachstum lokal anzuregen. 

N e u m a n n. 

Bücherschau. 

H. Graul, Über die Therapie des Diabetes raellltns. 
24 S. Leipzig 1913. 75 Pfg. (Volkmanns Sammlung klinischer 
Vorträge Nr 681, Innere Medizin Nr. 220.) 

Der Aufsatz behandelt die symptomatische, auf die Be¬ 
seitigung oder Verminderung der Glykosurie gerichtete Therapie 
der Zuckerharnruhr beim Leicht- und Schwerdiabetiker in ihren 
wesentlichen Zügen, gibt auch übersichtliche Analysen erlaubter 
Speisen (unter 5 Proz. Kohlenhydrat), Diätzettel, namentlich 
solche für strengere Gemüsekost und schliesslich eine Noorden- 
sehe Äquivalenttabelle für Kohlenhydrate. Auch die gegen 
Azidose zu treffenden Massnahmen sind berücksichtigt. Zur 
Orientierung dürfte das Schriftchen wohl geeignet sein. 

H. V i e r o r d t , Tübingen. 

B resge n , M. Die Nasenheilkunde in den letzten fünfzig 
Jahren. Sonderabdruck aus dem Archiv für die Geschichte 
der Naturwissenschaften und der Technik. 6 Band. 
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel, 1913. Seiten¬ 
zahl 19. 

Böhm, M. Die chirurgisch - orthopädische Behandlung der 
Lähmungen. Sonderabdruck aus „Berliner Klinik“, Februar 
1914, Heft 308. Berlin W. 35, Fischer’s med. Buchhand¬ 
lung, H. Kornfeld Seitenzahl 15. Preis 0,60 Mark. 
Hirt, E. Wandlungen und Gegensätze in der Lehre von 
den nervösen und psychotischen Zuständen. Aus Würz¬ 
burger Abhandlungen. Bd. 19, Heft 3. Würzburg, Verlag 
von Curt Kabitzsch, 1914. Preis: Brosch. 1,70 Mark. 

I d e , Amrum. Die Nordseeluftkur, ihre Grundlagen, Wir¬ 
kungen, Methodik und Indikationen. Berlin, Allgemeine 
Medizinische Verlagsaustalt G. m. b. n., 1914. Seiten¬ 
zahl 92. 

L i s s m a n n , P., München. Geburtenrückgang und männ¬ 
liche sexuelle Impotenz. Würzburg, Verlag von Curt 
Kabitzsch, Kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler, 1914. Seiten¬ 
zahl 37. Preis 1,50 Mark. 

Michaelis, P. Das Impfgesetz für das Deutsche Reith 
vom 8. April 1874. Leipzig, Druck und Verlag von 
Philipp Reclam jun. Seitenzahl 68. 

Schweninger, E. Zur Krebsfrage. Berlin, Verlag von 
S. Fischer, 1914. Seitenzahl 47. Preis: geh. 1,00 Mark. 
V ö 1 p e 1 , O., Frankfurt a. M. Experimentelle Beiträge zur 
Lehre vom Ertrinkungstod. Mit einer Abbildung im Text. 
Sonderabdruek aus der Vierteljahrschrift f. gerichtl. Med. 
u. öffentl. Sanitätswesen. 3. Folge, Berlin, Verlag von 
August Hirschwald. Seitenzahl 39. 

Ziemke, E, Kiel. Der Ritualmord in Kiew und die ärzt¬ 
lichen Sachverständigen. Sonderabdruck aus der „Deutschen 
med. Wochenschrift“, No. 42, 1913. Leipzig, Verlag von 
Georg Thieme. Seitenzahl 13. 

Ziemke, E., Kiel. Weitere Untersuchungen über die 
forensische Bedeutung der Spektroskopie und Spektrophoto- 
graphie im violetten Teil des Spektrums. Sonderabdruck 
aus der Vierteljahrschr. f. gerichtl. Med. u. öffentl. Sanitäts¬ 
wesen, 3. Folge. Berlin, Verlag von August Hirschwald. 
Seitenzahl 20. 

Ziemke, E., Kiel. Zur Entstehung sexueller Perversitäten 
und ihre Beurteilung vor Gericht. Sonderabdruck aus dem 
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten Band 51 
Heft 2. Berlin, Verlag von August Hirschwald, Seiten¬ 
zahl 26. 

Ziemke, E , Kiel. Geisteskranke Verbrecher. Sonder- 
ahdruck aus „Medizinische Klinik“, No. 19. Berlin, Verlag 
von Urban & Schwarzenberg. Seitenzahl 15. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS j 
URBANA-CHAMPAIGN 


33. Jahrgang. 


1915/16. 


fortsdirim der Medizin. 

Unter mitwirkung hervorragender ?ad)männer 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 


Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 



Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zuni Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 


Nr. 5 

Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 

20. November 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Krankheiten des Rfickbildungsalters 
und des Seniums. 

Fortbildungsvortrag von Privatdozent Dr. Niessl von Mayendorf, 
Leipzig. 

(Schluss.) 

M. H.l Ich lese tagtäglich von schweren Ver¬ 
urteilungen kriminell gewordener, bis dahin aber un¬ 
bescholtener Greise. Ich weiss nicht, ob diese Justiz- 
irrtümer auf Beschränktheit und Oberflächlichkeit der 
Gerichte oder mangelhafter psychiatrischer Ausbildung 
der Gerichtsärzte beruhen. Will man einen solchen 
richtig beurteilen, dann darf man sich 
er Plauderei unter vier Augen zufrieden; 
geben und dabei den abgeschmackten Scherz einer so¬ 
genannten Intelligenzprüfung inszenieren. Es ist kindisch¬ 
albern, aus derartigen schematischen Beurteilungen des 
Gedankenablaufs Schlüsse auf den gesamten Geisteszu¬ 
stand zu ziehen. Der einzige Weg, welcher uns zum 
Ziele führen kann, ist eine möglichst vollständige Ana¬ 
lyse des gegenwärtigen psychischen Zustandsbildes, mit 
dem Charakter der Persönlichkeit zusammengehalten. 
Es möge doch endlich einmal Klarheit darüber werden, 
dass unser Handeln von unserem Fühlen, nicht 
von unserem Vorstellen abhängt und dass 
bei normalem Vorstellungsleben eine krankhafte Ände¬ 
rung der Gefühle allein hinreicht, den Menschen zu 
Taten zu zwingen, welche seinem Charakter aus ge¬ 
sunden Tagen schnurstracks zuwiderlaufen. 

In dieses manikalische Stadium ragen bereits aus 
der konsekutiven Demenz jene Gedächtnislücken herein, 
welche dieser ihr eigentümliches Gesicht verleihen. Es 
kommt bei der gesteigerten Produktivität an Vorstellungs¬ 
komplexen, der geringen Haftbarkeit derselben, der 
mangelnden Bereitschaft des Gedächtnisses, Gedanken¬ 
gänge aus seinem Schatze wiederzuleben, zu kontra- 
spektiven Konfabulationen, zu Selbsttäuschungen der 
Kranken, welche zu verhängnisvollen Irrtümern werden 
können, indem ein wirklicher Diebstahl ein dem un¬ 
kundigen Beurteiler allerdings vollständig unverständ¬ 
liches, aber tatsächliches Vergreifen sein kann. 

Die subjektive Verjüngung in der maniakalischen 
Erhebung gewinnt an Aktionsfähigkeit durch die Locke¬ 
rung jener hemmenden Kontinuität, welche die präsen¬ 
ten Vorstellungen als geschlossene Kette von Er¬ 
innerungen mit der Vergangenheit verbindet. Eine Un¬ 
gebundenheit dieser Art ist der luxurikanden Gedanken¬ 
flucht des vollkräftigen Gehirns nicht eigen. Denken 
und Handeln gewinnt in diesem durch die Richtung auf 
bestimmte Ziele eine verständlichere Motivierung. Daher 


Delinquenten 
nicht mit ei 


das unsinnig-lächerliche Gebahren des senilen Maniacus. 
Seine kindische Verliebtheit, welche, da im höheren Alter 
die Jugenderinnerungen in frischen Farben auferstehen, 
an die erste Liebe wieder anknüpft, wofür der grosse 
Hektor Berlioz ein ergreifendes Beispiel darbietet. Men¬ 
schen, welche an Selbstsucht in ihrem Lebensgang ge¬ 
wohnt waren, fallen der Romantik glühendster Liebes- 
leidenschaft zum Opfer. Die üppigste Phantasie gaukelt 
ihnen in ihren ungezügeltsten Äusserungen Erfolge ihrer 
riesenhaften Pläne vor, denen sie sich willenlos hingeben, 
um erst bei deren Scheitern, bei welchem wie bei ihrem 
Entwerfen die Gedächtnislücken grosse Schuld tragen, 
aus ihren Träumen zu erwachen. 

Hieraus erhellt, m. H., die Notwendigkeit raschen 
ärztlichen Eingreifens, die Unschädlichmachung des 
Kranken gegen sich und seine Umgebung. E s i s t 
wichtig, den senilen Maniacus so 
bald als möglich zu entmündigen. 
Die manischen Zustände anderer Lebensalter laufen bei 
weitem nicht so leicht Gefahr, antisozial zu werden als 
wie dieser. Ein Zuleichtnehmen von ärztlicher Seite 
in diesen Fällen ist ein zweifelloser Kunstfehler. Man 
kann hier auf keinen Einspruch des Kranken, auf keinen 
noch so heftigen Wutanfall desselben Rücksicht nehmen, 
sondern muss die Bestellung eines Pflegers schleunigst 
ins Werk setzen. Hat man den Kranken nicht im neur- 
asthenischen Vorstadium bereits in die Sicherheit einer 
Anstalt gebracht, so wird man jetzt hierzu geradezu 
genötigt. Es gibt Fälle, in denen das ganz leicht ge¬ 
lingt, wie bei der progressiven Paralyse, andere, in 
denen sich der Patient heftig sträubt. Es fragt sich, ob 
man hier mit einer Hyoscin-Morphiuminjektion (Hyoscini 
hydrobrom. 0,008 Morphini hydrochlor. 0,01) Vorgehen 
soll. Ziehen gestattet dieselbe bei den Erregungszu¬ 
ständen der senilen Demenz. Man versichert zwar, dass 
das Elyoscin keine Gefahren für die Herztätigkeit mit 
sich bringe, bei dem so stürmischen Kontraktionszwang 
ausgebreiteter Arterienbezirke erscheint mir jedoch eine 
plötzliche Steigerung der Ansprüche an die Herzkraft 
gewiss und die Ungefährlichkeit bei bestehender Arterio¬ 
sklerose will mir nicht einleuchten. Man versuche durch 
interne Darreichung Nachgiebigkeit zu erzielen, etwa 
durch folgende Dosierung: 

Rp. Hyoscini hydrobrornici 0,003 
Natrii bromati . . . 10,0 

Codeini phosph. . . 0,3 

Aquae destill. . . . 70,0 

Syrupi Cort. Aurantii 30,0 

M. Ds. Dreimal täglich einen Esslöffel in einem 
Glas Wasser nach der Mahlzeit und unterstütze die 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 










42 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 5. 


sedative Wirkung mit einem Dauerbad von 26—27 °. 
Der Kranke bleibe in demselben nur zwei Stunden, man 
kann jedoch dasselbe des Morgens und des Abends ein¬ 
mal verordnen. Als Ersatz für dieselben, falls die Ver¬ 
hältnisse des Kranken ein solches nicht gestatten, 
kann man nach Ziehen eine feuchtwarme Packung 
von 33 —36" C. geben und den Kranken in derselben 
vierzig Minuten bis zwei Stunden lassen. Man kontrol¬ 
liere nach Ziehens Mahnung des öfteren den Puls, 
packe nicht zu fest, lasse die Arme frei, gebe eine 
feuchte Kompresse (18° C.) auf das Haupt. 

Die Nahrung des Kranken im Interesse der näch¬ 
sten Angehörigen ist ferner in Hinblick auf die Be¬ 
deutung seines letzten Willens sehr wichtig. 
Der Maniacus, welcher einerseits unter dem Einfluss 
plötzlich aufflackender, übermächtiger Impulse handelt, 
andererseits durch schwere Gedächtnisstörungen, Er¬ 
innerungsfälschungen, Willensschwäche äusserst sug- 
gestibel ist, vermag durch ein Testament die Seinen 
weit leichter zu schädigen, als der stumpfe vollständig 
Demente, dessen offenkundiger Mangel an Selbst¬ 
bestimmbarkeit seinen Verfügungen jede gesetzlich 
wirkende Kraft, auch dem Laien in die Augen 
springend, ausschliesst. 

M. H.l Es ist mir nicht zweifelhaft, dass wir mit 
dem klinischen Begriff „Dementia senilis“ die ver¬ 
schiedenartigsten abnormen psychischen Zustände des 
Greisenalters zusammenfassen, da die Aufstellung an¬ 
geblich spezifischer Leichenfunde als Ausdruck an den 
Rindenganglien angreifender Krankheitsprozesse doch 
nur subjektivster Willkür und der Tendenz entsprang, 
ganz künstlichen Klassifikationen einen wissenschaft¬ 
lichen Firnis zu geben. Das Wesentlichste aller Formen 
der Verblödung ist aber eine Abstumpfung oder ein 
Verlust des Gefühllebens, die der senilen 
Demenz zukommenden Gedächtnisstörungen finden sich 
auch bei der Presbyophrenie W ernickes sowohl als 
bei der polyneuritischen Psychose der Trinker. Wir 
vermögen die schwere Erkrankung, den Defekt der 
Gefühle therapeutisch in keiner Weise zu beeinflussen 
und müssen, abgesehen von den später zu erwähnenden 
Komplikationen, uns lediglich auf die Abwendung der 
Gefahren beschränken, denen der Kranke durch seinen 
hilflosen Zustand ausgesetzt ist. Wie bei der progressiven 
Paralyse gibt es auch bei der senilen Demenz ver¬ 
schiedene Grade der sogenannten Verblödung, wenn auch 
im allgemeinen dieselben hier nicht jene Höhe erreichen 
wie dort. Es gibt Kranke, die zu den primitivsten Ver¬ 
richtungen des Lebens angehalten und bei ihnen unter¬ 
stützt werden müssen. Man muss die Kranken an und 
ausziehen, man muss sie füttern, auf den Nachtstuhl 
führen. Die sie betreuenden Personen sind von dem 
Arzt zu der grössten Geduld zu ermahnen. 
Jeder Versuch, auf den Kranken erzieherisch einwirken 
zu wollen, ist entschieden zu widerraten. Ganz ver¬ 
fehlt sind sogenannte methodische Gedächtnisübungen, 
um die Merkfähigkeit des Kranken zu heben oder 
ihm die verlorene Fähigkeit, rückläufige Assozia¬ 
tionen zu bilden, wieder beibringen zu wollen. Der 
Erfolg bei den Verblödeten ist derselbe wie bei den 
Idioten: Störrigkeit, Verbitterung, Wutausbrüche. 

Hat der Kranke das Glück einer liebevollen, sich 
aufopfernden Familie in die Obhut gegeben zu sein, ist 
es die Pflicht des behandelnden Arztes durch eine ein¬ 
leuchtende Klarlegung des psychischen Zustandes des 
Kranken derselben zu einer richtigen Beurteilung seiner 
Äusserungen und Handlungen zu verhelfen. Vor allem 
darf er nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass 
den scheinbar verständigen Reden eine durch Gedächt¬ 
nis- und Gefühlsstörungen irregeleitete Gedankenrichtung 
zugrunde liegt, dass man alles nicht in dem eigenen, 
sondern in einem ganz anderen Sinne nehmen muss. So 

Digitized by Google 


werden z. B. Erinnerungsdefekte im Verein mit den 
täuschenden Erinnerungsfälschungen zu Substraten von 
falschen Anschuldigungen, welche keineswegs Wahn¬ 
ideen, sondern normale Reaktionen eines noch funk¬ 
tionierenden Schlussapparates auf eine durch lücken¬ 
hafte Reproduktionsfähigkeit entstellte Wahrnehmungs¬ 
welt sind. Das Pathologische an diesen Denkvorgängen 
ist das nicht Bewusst« erden des Defektes. Man lasse 
daher den Kranken so lange ruhig gewähren, als er 
durch seinen Irrtum weder sich noch anderen schädlich 
wird. Jedes Überzeugen wird misslingen. Befindet sich 
der Kranke in einer Anstalt, so hat der Arzt das Warte¬ 
personal zu instruieren, welches in seiner Abwesenheit 
mit den Kranken nach bestimmt gehaltenen Vorschriften 
umzugehen hat. 

Die Dementia senilis soll von halluzinatorischen Zu¬ 
ständen, vornehmlich des Gehörs kompliziert werden. 
Wenn es an sich keineswegs so leicht ist, als sich der 
Laie oder der unkundige Irrenarzt einzubilden pflegt, 
das Vorhandensein einer Sinnestäuschung unter den 
Äusserungen eines noch denkfähigen Gehirns mit Zu¬ 
verlässigkeit zu entdecken, um wie viel ungewisser und 
vieldeutiger erscheinen solche, mit objektivlosen Gehör¬ 
wahrnehmungen beziehbare Reaktionen eines bereits 
Blödsinnigen. Dass überhaupt Sinnestäuschungen bei 
dementen Kranken Vorkommen, darüber liegen zu zahl¬ 
reiche positive Angaben von seiten derselben vor, um 
an ihrem Vorhandensein zweifeln zu können. Die 
Halluzinationen eines Verblödeten besitzen aber einen 
ganz anderen Charakter als diejenigen eines noch 
psychisch-reaktionsfähigen Geistesgestörten, sie sind 
ohne jede Affektbetonung. Sie sind oft 
die einzigen noch belebbaren Vorstellungstrümmer aus 
der untergegangenen Gedankenwelt des geistig völlig 
Verarmten. Dies erklärt sich psychologisch daraus, dass, 
nach dem Gesetze des Parallelismus der Festigkeit des 
Gedächtnisses und der Stärke der Gefühlsbetontheit 
eines Vorstellungskomplexes die erfahrungsgemäss am 
stärksten gefühlsbetonten Wahnideen und Halluzinationen 
die längste Nachdauer in dem zusammenschrumpfenden 
Bewusstseinsinhalt bewahren. Nun fehlt diese Basis, 
welche denselben nicht nur ihre Allgegenwart, sondern 
auch ihre Standfestigkeit verliehen. Für die Behandlung 
des dementen Halluzinanten ist diese Erkenntnis eine 
wertvolle Direktive. Während der affektvolle Hallu¬ 
zinant gegen sich und seine Umgebung äusserst gefähr¬ 
lich werden kann und einer dringenden Internierung 
und starker Sedativa bedarf, sind affektarme, demente 
Halluzinanten in der Regel ganz harmlos. Dasselbe gilt 
von den affektarmen und affektlosen Wahnbildungen der 
Dementen. Vielleicht wird späterhin die Barheit der Ge¬ 
fühlsbetonung ein diagnostisches Kriterium für Ver¬ 
blödungsprozesse in ihren Frühstadien. 

Die Apathie des Blödsinns wird von Stimmungs¬ 
schwankungen unterbrochen, von denen die traurigen vor¬ 
herrschen und persistierend sind. Das Gebahren des 
Kranken ist ein kindisch weinerliches, durch äussere 
Umstände kaum motiviertes, dabei macht sich eine grosse 
Monotonie bemerkbar, die wohl dem senilen Perse- 
verieren der Gedankengänge wesensverwandt ist. Da¬ 
bei besteht grosse Labilität, ein plötzliches grundloses 
Umschlagen in die konträre Gemütslage. Auch hierin 
dokumentiert sich jene Schwäche, die an den infantilen 
Gefühlstypus gemahnt, welcher Lachen und Weinen in 
demselben Sacke trägt. Der Inhalt des Jammerns und 
Klagens betrifft ein trübes Ereignis, oft der Längst¬ 
vergangenheit angehörend. Es wird Anlass zu Lebens¬ 
überdruss. Ein Suizid ist kaum zu befürchten. 

Die Therapie dieser für die Mitwelt sehr peinlichen 
Depressionszustände hat vor allem den reichlichsten Ge¬ 
brauch von den Opiaten zu machen. Sie drohen mit 
einer Gefahr für den gealterten Organismus. Hat man 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 5. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


43 


mit den genannten Präparaten kein Glück, dann ver¬ 
suche man das Pantopon, welches ja auch innerlich 
und zwar in der wohlschmeckenden Form des Pantopon- 
Sirup (2 mal täglich einen Esslöffel) verabreicht werden 
kann. Da sich mit den psychischen Erscheinungen 
spastische Zustände der kleinsten Arterien an den Ex¬ 
tremitäten einstellen, so werden aktive Bewegungen — 
bei schwachen Herzen mit Unterstützungen von Stiniu- 
lantien — rationale Massage, lauwarme Bäder, warme 
Betten, bezw. Wärmflaschen mit der internen Medika¬ 
tion, zweckmässig und individuell gehandhabt, zu ver¬ 
binden sein. 

Eine besondere Beachtung für den Therapeuten 
verdienen die für die senile Demenz sehr charakteristischen 
nächtlichen deliranten Zustände. Verlieren senil De¬ 
mente selbst bei klarem Bewusstsein infolge ihrer Er¬ 
innerungsdefekte, wohl aber auch infolge von Assozia- 
tionsstörungen den Faden einer sich im Gespräche ab¬ 
wickelnden Gedankenkette gar leicht, werden sie ver¬ 
wirrt und scheinen sie plötzlich irre zu reden, so werden 
sie des Nachts, schlaflos liegend im dunkeln Raume, 
beim Mange! herantretender Sinnesreize, wohl auch unter 
dem Einfluss innerer Beängstigungen örtlich vollkommen 
desorientiert. Die innere Unruhe treibt sie aus dem Bett, 
sie wandern traumhaft verloren im Zimmer umher, 
stossen Stühle und Tische um, räumen die Schränke 
aus, werfen alles durcheinander, streuen das Geld auf 
den Boden, stecken durch sinnlose unvorsichtige Ma¬ 
nipulationen das Haus in Brand. Dabei sind Ver¬ 
kennungen der Personen im feindlichen Sinne keine 
Seltenheit. Die Kranken werden aggressiv, wenn auch 
kaum gefährlich. Am Morgen ist der Kranke zu seiner 
früheren Beurteilung der Situation zurückgekehrt. All’ 
das zu wissen ist für den psychiatrischen Praktiker sehr 
wichtig. Befindet sich der Kranke in einer Anstalt, so 
gehört er auf die Wachabteilung, wird er zu Hause ge¬ 
pflegt, dann darf er nicht allein schlafen. Man ver¬ 
suche den stets erregten Kranken durch ein grösseres 
Quantum von Paraldehyd zu beruhigen ; bleibt die Wir¬ 
kung aus, injiziere man eine Ampulle des 2 prozentigen 
Pantopons „Roche“. Die Diät zu Delirien Neigender 
muss streng geregelt sein, vor allem muss man länger 
währenden Obstipationen, die bei senil Dementen gar 
nicht selten sind, durch konsequente, Magen und Darm 
nicht belästigende Purgantia (Bitterwasser, Extrakt. 
Rhamni Phorsiand, Purgen, Rheum) Vorbeugen. Auch 
eine vorsichtige Massage des Bauches befördert häufig 
den Stuhlgang. Natürlich hat die Zusammensetzung 
der solchen Kranken zu verabreichenden Kost auf die 
Neigung von Retardationen der Defäkation Rücksicht 
zu nehmen. 

M. H. ! Die Indolenz fortgeschrittener Stadien der 
V'erblödung ist die Ursache zweier Gefahren, welche 
nicht rechtzeitig abgewendet, das Leben des Kranken 
meistenteils vernichten. Es ist die Aufgabe des kundigen 
Arztes, dieselben zu kennen, nicht gering zu achten, 
ihnen rechtzeitig und mit aller Umsicht entgegen zu 
treten. 

Das Fehlen des Interesses für die Vorgänge seiner 
Umgebung, die Abwesenheit aller Willensimpulse machen, 
dass der Kranke träge auf einem und demselben Platze 
verharrt, am liebsten gar nicht das Bett verlässt, ein Ge- 
bahren, welchem die Bequemlichkeit des Wartepersonals 
meist ruhig zusieht. Es ist in meinen Augen ein Kunst¬ 
fehler, wenn der Verantwortung tragende Arzt ein 
solches Vorgehen der Pfleger billigt und den Kranken 
Tage, ja Wochen ununterbrochen im Bette liegen 
lässt. 

Die beiden verhängnisvollen Konsequenzen, welche 
sich aus dieser verkehrten Massnahme ergeben, sind der 
Druckbrand und die P n e u m o n i e. 

Ersterer kommt bei der senilen Demenz viel seltener 

Digitized by Gck gle 


I 


i 


vor als bei der progressiven Paralyse. Er ist fast 
immer durch Nichtbeachtung der gegen den Dekubitus 
seit langem bekannten und in Gebrauch stehenden 
Präventivmassregeln verschuldet. Die Ursache der lo¬ 
kalen Nekrosen am Körper des senil Dementen ist in 
der Regel nicht wie bei der progressiven Paralyse all¬ 
gemeine Kachexie, sondern eine ungenügende Durch¬ 
blutung der Haut an den gefährdeten Stellen infolge 
abnormer Wandveränderungen der Arterien oder un¬ 
genügender Herzkraft. Zur Verhütung desselben wird 
man daher, abgesehen von den bereits bei der pro¬ 
gressiven Paralyse aufgeführten Vorkehrungen weiche 
Unterlage, insbesondere an den Prädilektionsstellen des 
Druckbrandes, häufige Lageveränderung im Bett, Ver¬ 
hütung des Liegens in der Nässe, das Einreiben der, 
bei oftmaligen Besichtigungen des Körpers der Kranken 
wahrgenommenen roten Partien mit Essig oder Al¬ 
kohol, lauwarme Bäder, vorsichtige Massage, eine die 
Herzkraft regelnde und stählende Therapie einzuleiten 
haben, also Digitalis, in nicht zu hohen Dosen und bei 
nicht zu hohem Blutdruck Strophantus. Das natürlichste 
Prophylaktikum gegen den Druckbrand ergibt sich, wie 
oben angeführt, von selbst und zwar aus d e r Ver¬ 
meidung der Bettbehandlung nicht 
notwendig bettlägeriger Patienten. 
Selbst eine Abwechslung des Aufenthaltes im Bett mit 
dem Sitzen im Lehnstuhl hält die Entwicklung eines 
Dekubitus hintan. Allerdings ist ein sanfter, wenn auch 
energischer und unermüdlicher Zuspruch des Wärters 
dem torpiden, trägen Kranken gegenüber unbedingt von 
Nöten. Ebenso wichtig ist eine genaue Besichtigung 
der Analgegend durch den Wärter nach jeder Defäka¬ 
tion, respektive deren Reinigung und Abtrocknung. 
Häufig beobachtet man an senil Dementen, welche in¬ 
folge einer Prostatahypertrophie an beständigem Harn¬ 
träufeln leiden, hartnäckige Ekzeme an den inneren 
Seiten der Oberschenkel, ohne dass der Kranke hierüber 
Klage führt. Man muss es sich daher zur Pflicht machen, 
die betreffenden Stellen zu gewissen Tagesstunden 
regelmässig anzusehen und nach den üblichen Vor¬ 
schriften (Waschen, Einfetten, Einpudern) zu be¬ 
handeln. 

Ist ein Druckbrand einmal ausgebrochen, und hat 
er grössere Dimensionen in der Fläche und Tiefe er¬ 
reicht, dann ist es ebenso schwierig, seiner Herr zu 
werden, als bei der progressiven Paralyse, da die 
senile Involution ebensowenig eine Heilungstendenz auf¬ 
zubringen vermag als der fortschreitende Körperverfall 
des Paralytikers. Die Behandlung eines bereits ent¬ 
wickelten Druckgeschwürs am Körper des senil De¬ 
menten ist daher nach denselben Regeln zu versuchen, 
welche wir bei der Therapie der progressiven Paralyse 
kennen gelernt haben. 

Dass eine kruppöse Pneumonie im Greisenalter die 
Szene zumeist beschliesst, weil das Herz den plötzlich 
gesteigerten Widerständen nicht mehr gewachsen ist, 
wird Ihnen allen ja geläufig sein. Sie wissen ferner, dass 
oft andauernde Bettruhe, etwa durch einen Beinbruch 
diktiert, wohl wegen der gestörten Zirkulationsver¬ 
hältnisse in der Lunge hinreicht, die Bildung entzünd¬ 
licher Exsudate in derselben zu begünstigen. Wie ge¬ 
wissenlos ist es demnach, wenn der Anstaltsarzt, welchem 
das Leben des hilflos Verblödeten anvertraut ist, es 
unterlässt, durch aufmerksame Beachtung und Regelung 
der Lebensweise der Kranken die fast stets lokale 
Komplikation abzuwenden. 

Seltener als die kruppöse, ist es die herdförmige 
Pneumonie, welcher der blödsinnige Greis zum Opfer 
fällt. Es handelt sich da zweifellos nicht selten um 
echte Aspirationspneumonie, welche die Fütterung bei 
der senilen Demenz als eben so bedenklich erscheinen 
lassen als bei der Dementia paralytica. 

Origiral frem 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





44 


Nr. 5. 


FORTSCHRITTE 


Ist die Diagnose einer Pneumonie sichergestellt, so 
haben Sie das ausfliehende Leben mit dem Ihnen zur 
Verfügung stehenden Arsenal stärkender Herzmittel zu 
bannen. Ich kenne Fälle, in denen von innerer The¬ 
rapie unterstützt, die aufopfernde, in forlgesetzter, un¬ 
ermüdlicher Verabreichung von Injektionen und Sauer¬ 
stoffinhalationen sich betätigende Zähigkeit des Wärters, 
selbst bei schwachem Herzen, die anerkennendsten Er¬ 
folge zu verzeichnen gehabt hat. 

Der senilen Demenz nahe verwandt, mit fliessenden 
Übergängen in dieselbe, ist der oben berührte Sym- 
ptomenkomplex, welchen Wer nicke als ein für eine 
Krankheit hinreichendes Signalement erklärt hat, 
welches in allopsychischer Desorientiertheit, „Konfabu¬ 
lationen“, „mangelnder Merkfähigkeit“ „retroaktiver 
Amnesie“ ihre charakteristischen Seiten gewinnt. 
Ziehen erblickt das Wesentliche dieses pathologischen 
Syndroms in einem auffallenden Kontrast zwischen der 
sehr schweren Gedächtnisstörung und der über- 
1 aschenden Klarheit noch vorhandener vollkommen nor¬ 
maler Gedankengänge. Der springende Punkt scheint 
mir aber mit dieser differentialdiagnostischen Grenze 
nicht getroffen, denn die Entbindbarkeit und der Ab¬ 
lauf normaler Gedankenreihen ist von der Anwesenheit 
bestimmter Gefühle abhängig, ein Ersterben des 
Gefühlslebens ist das Wesentliche für die Diagnose der 
Demenz. Man kann sich das Zustandekommen des 
presbyophrenischen Symptomenkomplexes nun un¬ 
gezwungen dahin erklären, dass der der senilen De¬ 
menz zugrunde liegende Hirnvorgang in dem zirkum¬ 
skripten Bestehen der Gedächtnisdefekte seine voll¬ 
entwickelte Höhe noch nicht erreicht hat, woraus nicht 
verschiedene pathologischen Qualitäten, nur graduelle 
Unterschiede, etwa Entwickungsstufen einer und der¬ 
selben Krankheit zu erkennen sein würden. Wenn also 
eine scharf differentialdiagnostische Scheidung mit den 
Merkmalen klinischer Symptomatologie zwischen seniler 
Demenz und Presbyophrenie nicht möglich ist, wenn 
man sich bei vorurteilsloser Hingabe an die Er¬ 
scheinungen am Krankenbett reine Formen weder 
dieser und jener Spezies nachweisen kann, wie absurd 
muss ein Beginnen sein, das klinisch Schwankende und 
Fliessende anatomisch fundieren zu wollen ? Es ist 
schwer, an die bona fides eines Autors zu glauben, 
welcher vorgibt, über 200 reine Fälle mit Sektions¬ 
befund (1) untersucht und einen spezifischen Krank¬ 
heitserreger für die Presbyophrenie gefunden zu 
haben. 

M. H.! Unsere Auffassung von der Presbyophrenie 
als eines Stadiums der senilen Demenz will nicht auch 
eine Einheitlichkeit der Therapie befürworten. Fand 
ich doch im Gange dieser Ausführungen auf Schritt 
und Tritt Gelegenheit daraufhinzuweisen, dass wir aus¬ 
schliesslich Symptome, nicht Krankheiten 
zu bessern oder zu beseitigen vermögen, Wenn also 
ein senil Dementer trotz der Lücken seiner Mneme zeit¬ 
weise logisch denkt und richtig urteilt, so muss er natür¬ 
lich anders behandelt werden, als der stupid Blödsinnige, 
welcher teilnahmslos darniederliegt. Es ist klar, dass 
auch der Kranke der ersteren Kategorie wegen der ihn 
heimsuchenden Desorientiertheit, wegen seiner schweren 
Gedächtnisstörungen zu entmündigen sein wird, die Art 
und Weise aber, wie man die Bestellung eines Pflegers 
einleiten, man dem Kranken die Besorgung seiner An¬ 
gelegenheiten aus den Händen nehmen wird, darf keine, 
nach einem unwahren Diagnosenschema schablonenhaft 
zudiktierte, sondern dem psychischen Zustande des 
Kranken individuell angepasste sein. Die Kunst 
des behandelnden Arztes ist, es den Kranken während 
seiner lichten Phase von seiner Unfähigkeit, seine An¬ 
gelegenheiten selbst zu besorgen, zu überzeugen, ihn 
selbst zu einer gewissen Krankheitseinsicht zu bringen. 

Digitized by Google 


DER MEDIZIN. 


Selbstverständlich wäre es ganz verfehlt, den 
Kranken deshalb, weil er vorübergehend klar ist, für 
dispositionsfähig zu erklären. Her vorheben möchte ich, 
dass sich gerade bei solchen Kranken eine vernünftige 
Selbstbeurteilung oft sehr schwer erreichen lässt, da 
dieselben längeren Auseinandersetzungen wohl wegen 
ihrer leichten Ermüdbarkeit aus dem Wege gehen und 
ausserordentlich reizbar sind. Dass man auch bei der 
sogenannten Presbyophrenie mit Gedächtsnisübungeu 
nichts ausrichtet, dass auch die bei ihr auftretenden 
deliranten Zustände, deren Prävalieren sogar zur Auf¬ 
stellung einer eigenen Form geführt hat; der Umsicht 
des Arztes bedarf, dass man die so häufige Agrypnie 
mit den oben angegebenen Mitteln zu bekämpfen ver¬ 
suchen wird, möge hier kurz bemerkt werden. 

Unter den sonstigen psychischen Erkrankungen des 
Greisenalters ist eine, wegen ihrer Häufigkeit in prak¬ 
tisch-therapeutischer Beziehung sehr wichtig. Es handelt 
sich um eine, meist stürmisch einsetzende Angstpsychose, 
deren klinische Physiognomie sich als eine Mischung 
melancholischer, hypochondrischer, paranoischer Ele¬ 
mente darstellt. Bald tritt das eine, bald das andere in 
den Vordergrund. Halluzinationen des Gehörs fehlen 
wohl niemals. Die Orientierung ist im grossen und 
ganzen erhalten, nur vereinzelte Verkennungen oder 
vorübergehende Störungen desselben kommen vor. Den 
Mittelpunkt der Wahnbildungen bildet die Idee des 
körperlichen und sozialen Ruins der eigenen Persönlich¬ 
keit sowohl als der nächsten Angehörigen, Die längst 
bekannte Alterspsychose tendiert zum Selbstmord. Aber 
auch bei Verhütung desselben ist die Prognose sehr 
ernst zu stellen. Schon nach wenigen Wochen ver¬ 
läuft die Geistesstörung letal, ohne dass sich eine pal- 
pable Organerkrankung als Todesursache intra vitam 
oder in der Leiche feststellen Hesse. 

Die erste Indikation bei der Behandlung dieser 
Psychose ist die möglichst frühe In¬ 
ternierung des Kranken schon wegen der be¬ 
stehenden Selbstmordgefahr. Man wird alle jene Vor- 
sichtsmassregeln in Anwendung bringen, welche bei der 
Behandlung der Melancholie ausführlich geschildert 
wurden. In zweiter Linie hat man gegen den s t a r k e n 
Affekt und die Unruhe, welche den Kranken 
beherrschen, anzukämpfen. Selbst in hohem Alter wird 
man da mit Erfolg protrahierte Dauerbäder, natürlich 
mit den die geschwächte Herzkraft und das labile Ge- 
fässsystem berücksichtigenden Kautelen, verordnen, wenn 
sich die Erregung des Kranken zu tobsüchtiger Angst 
gesteigert hat. Es braucht wohl nicht besonders betont 
zu werden, dass auch im Bade der Kranke strengstens 
zu überwachen ist, dass man ihn, wenn er wegen seines 
störenden Gebahrens und zu eigener Beruhigung isoliert 
werden muss, nur einer geschulten und durchaus zu¬ 
verlässigen Wache, welche in nicht zu langen Zeit¬ 
räumen abzulösen ist, anvertraut werden darf. Um den 
Kranken im Bade zu halten und die unerträgliche Herz¬ 
angst zu lindern, habe ich mit Erfolg Morphiuminjek¬ 
tionen (Morphini hydrochl. 0,02, Aquae destill. 10,0, eine 
Spritze zu injizieren) angewendet, während mir die 
innere Opiumtberapie vielfachzu versagen schien. Unter 
Umständen wird man nicht umhin können, den Kranken 
auch über Nacht im Bade zu halten, eine Massnahme, 
bei welcher allerdings das Herz und der Blutdruck 
wiederholt zu kontrollieren ist. Drohtdas ersterezu erlahmen, 
der letztere zu sinken, ist der Kranke aus der Wanne zu 
entfernen und zu Bett zu bringen. Gleichzeitig stimu¬ 
liere man die Herztätigkeit mit Kampferinjektionen. 
Besondere Vorsicht ist auch bei j Personen geboten, 
welche zu Kopfkongestionen neigen. Man hat dann 
dafür Sorge zu tragen, dass der Raderaum nicht 4 zu 
heiss sei, und gebe dem Kranken eine kalte Kompresse 
auf das Haupt. Feuchte Packungen im Bett halte ich 

Origirril ffem 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 5 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


45 


bei den in Rede stehenden Zuständen für kontraindiziert, 
weil sie die Angst des Kranken steigern. 

Die Ernährung stösst auf grosse Schwierigkeiten, 
weil der Kranke an der Wahnidee leidet, er könne das 
ihm gereichte Essen nicht bezahlen. Trotzdem ist es 
mir stets gelungen, nachdem ich die Erregung des 
Kranken durch sedative Mittel im allgemeinen gedämpft, 
durch geduldigen Zuspruch und mit dem sanfteren Zwang 
der Darreichung und Nötigung zur Nahrungsaufnahme 
mit dem Löffel, denselben zum Essen zu bewegen. Die 
gewaltsame Sondenfütterung halte ich nicht nur für ent¬ 
behrlich, sondern in Anbetracht des im höchsten Grade 
beängstigenden Eindrucks, welchen die Prozedur auf den 
Kranken macht, und derUnmöglichkeit, bei demRingenmit 
demselben jedes Eindringen von Speiseteilchen in die 
Luftwege zu verhindern, für sehr bedenklich. 

M. H.! Es gibt ausser diesem „nihilistischen Ver- 
folgungswahn“ der Greise, wie ihn die Nomenklatur der 
älteren Psychiatrie getauft hat, noch sehr viele psycho- 
tische Zustände, aus deren eingehenderer Kenntnis 
schärfer umrissene Krankheitsbilder uns einmal entgegen¬ 
treten werden und für welche die Erfahrung vielleicht 
spezifisch wirkende Medikamente an die Hand geben 
wird. Heute sind wir vorläufig darauf angewiesen, 
therapeutisch-symptomatisch einzu¬ 
greifen. Bekannt sind uns bereits die akute Verworren¬ 
heit, im höchsten Alter fast stets mit letaler Prognose. 
Die Entwicklung von Cyklothvmien, Wahnbildungen 
im Kleide des präsenilen Verfolgungswahnes von 
Kräpelin. Ich habe die letzte Erkrankungsform 


schiedene verwirrte Ansichten korrigieren und eine ra¬ 
tionelle Methodik aufbauen möchte. 

Der Inhalt des Ruches ist folgender: „Der angehende 
Arzt“, sagt der Verfasser in der Einleitung, lernt zuerst 
die Methoden der Auskultation und Perkussion, der 
chemischen, bakteriologischen und mikroskopischen 
Untersuchung. Beginnt er klinischen Vorstellungen 
beizuwohnen, so werden ihm die Methoden der Kranken¬ 
untersuchung gezeigt .... Man schärft ihm die 
Lehren der Aetiologie und des Krankheitsverlaufes ein. 
Die Lehre von der Prognose wird ausführlich erörtert. 
In den Sektionssälen lernt er die Methoden der Au¬ 
topsie .... Überall begegnen wir einer zielbewussten, 
durch jahrelanges Ausprobieren festgelegten Methodik, 
die auch im späteren Leben für den Arzt, wie für den 
Forscher die gleiche Geltung behält und von der abzu¬ 
weichen als Fehler betrachtet wird.“ 

Anders steht es mit der Therapie. Der angehende 
Arzt lernt zwar die Mittel kennen, die bei einzelnen 
Kranken angewendet werden, hat aber nicht die Ge¬ 
legenheit die Reaktion des Organismus auf die Heil¬ 
methode, Komplikationen, Abweichungen und Neben¬ 
wirkungen kennen zu lernen, das Wie und Warum der 
Heilmittelwirkung bleibt ihm gänzlich verborgen. Er 
sieht wohl den Anfang, bisweilen auch das Ende, nicht 
aber das gesamte Krankheitsbild, wie es sich unter 
dem Einflüsse der angewandten Heilmethode gestaltet, 
er lernt mit einem Wort nicht die Methode in der 
Therapie und nicht die Therapie nach einer Methode. 
Wenn er in späteren Jahren die Wirkung neuer Mittel 


selbst im hohen Alter und darin gar nicht so selten an¬ 
getroffen, so dass ich das Attribut „präsenil“ nicht ge¬ 
nügendgerechtfertigt finde. Weil K r ä p e 1 i n Zeichen 
von Demenz an seinen Kranken vermisst hat, hält er 
sie für nicht senil. Es gibt aber auch senile und nicht 
demente Patienten. 


Die verschiedenen Geistesstörungen und psychischen 
Defektzustände, welche Herderkrankungen des Grosshirns 
(Blutungen, Erweichungen) begleiten, ihnen vorangehen 
oder denselben folgen, werden je nach ihrer Er¬ 


scheinungsform nach den gegebenen Regeln der Therapie 
zu behandeln sein. Dabei wird man stets die Natu r 


der Herderkrankung, ihre Ursache, ihren vermut- 
1 i c h e n V e r 1 auf als bestimmenden modifizierenden 


Faktor der gegen die komplizierende Geisteskrankheit 
einzuschlagende Richtung der Therapie einzuschützen 


Ueber neuere therapeutische Bestrebungen in der 
Medizin. 

Von Dr. M. Kaufmann. 

Die überwältigende Flut zum Teil minderwertiger 
Arbeiten in der medizinischen Literatur, die ins Un¬ 
endliche wachsende Anzahl so oft ganz kritikloser 
Aufsätze, kasuistischer Beiträge u. a. ruft von Zeit 
zu Zeit eine Reaktion in Form von verschiedenen 
Vorschlägen zur Verbesserung dieser Zustände hervor. 

Leider sind aber diese Projekte ebenfalls meist 
nicht stichhaltig, die beabsichtigten Reformen sind ober¬ 
flächlich und treffen gewöhnlich nicht den Kern der 
Sache. Zur Illustration dieser Frage will ich eine vor 
kurzem erschienene und dies Thema behandelnde Ar¬ 
beit, nämlich das Büchlein von Bou s: „Grundlinien 
der therapeutischen Methodik“ ') einer Analyse unter¬ 
werfen und einige Bemerkungen daran anknüpfen. 

Prof. Boas beschränkt sich in seinem Buche nur 
auf das Gebiet der Therapie, auf welchem er ver- 

') Grundlinien der therapeutischen Methodik in der inneren 
Medizin von Prof. Dr. S. Boas. Leipzig, Thieme. 


selbständig erproben will, so wird der Effekt wiederum 
der gleiche sein: das Experimentieren mit einem 
Mittel, aber ohne Kautelen, ohne System, ohne Me¬ 
thode. 

Um zu beweisen, wie schwer es ist über die Wir¬ 
kung verschiedener einzelner Faktoren bei der Behand¬ 
lung interner Krankheiten zu urteilen, macht der Ver¬ 
fasser auf die verschiedenen Fehlerquellen die bei der 
Beurteilung von Heilmethoden in Betracht kommen auf¬ 
merksam. 

Zuerst erinnert er an die Spontanheilungen zahl¬ 
reicher Krankheiten, die durch den Charakter der Krank¬ 
heit, den sog. Genius epidemicus und andere unbe¬ 
kannte Faktoren beeinflusst wird. Deshalb ist es sogar 
erfahrenen Ärzten schwer etwas über die Wirkung von 
Heilmitteln bei Krankheiten wie Lungenentzündung, 
Erysipelas, Masern, Scharlach auszusagen und die Wir¬ 
kung des Heilmittels von der Spontanheilung abzu¬ 
grenzen. 

Eine andere Fehlerquelle findet Boas darin, dass 
bei der Beschreibung von Resultaten nur die positiven 
Fälle berücksichtigt werden, während meistens die Zahl 
der Fälle, in welchen das Mittel überhaupt angewandt 
wurde und in welchem es fehlgeschlagen hat, gewöhn¬ 
lich gar nicht angegeben wird. 

Der Wert verschiedener Mitteilungen über die Wir¬ 
kung vieler Heilmittel ist auch deshalb sehr gering, 
weil neben dem Mittel noch ein ganzer therapeutischer 
Apparat z. B. entsprechende Diät, Wasserheilmethoden 
usw. angewandt werden. 

Ein Autor z. B., der seine Erfahrungen über Cho- 
logenbehandlungkundgibt, empfiehlt neben der Chologen- 
kur seinen Kranken zehn Gebote, die sich auf diä- 
jtetische Massregeln. Tiefatmen, Hautpflege, Turn¬ 
übungen beziehen. 

„Wer diese zehn Gebote“, sagt mit Recht Boas, 
lange genug befolgt, wird unbedingt eine günstige Wir¬ 
kung auf sein Gallensteinleiden bemerken müssen und 
zwar ganz ohne Chologen ja ohne jedes andere Mittel 
überhaupt. 

Genau dasselbe begegnet man in der stark rekla- 
| mierten Eunatroltherapie. 


Digitized by 


Google 


UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 5. 


Wieder werden neben dieser die gymnastischen ; 
Übungen, besonders das Tiefatmen, dazu noch heisse 
Bäder, Einpackungen der Lebergegend mit heissen 
Sandsäcken und sogar die Anwendung des Karlsbader 
Wassers empfohlen. „So hat der Kranke“ sagt Ewald 
„den lieben langen Tag unausgesetzt mit seiner Kur zu 
tun und man kann wohl sagen, dass wer dieselbe 
vvochen- ja monatelang durchführen kann, eine recht 
kräftige Konstitution haben muss.“ 

Einen grossen Fehler der therapeutischen Me¬ 
thode sieht Boas in der Verschweigung von Neben¬ 
wirkungen und in dem Suggerieren des erwünschten Er¬ 
folges. 

Boas glaubt sogar, dass es Kranke gibt, welche nur 
„um den guten Doktor, der sich so viel Mühe gibt nuri 
ja nicht zu betrüben“ einen guten Erfolg heucheln und j 
ihm von einer guten Wirkung erzählen. (! !) 

Die Kombination verschiedener Methoden und 
Mittel erschwert offenbar das Erkennen der Wirkung. 

Der berühmte französische Neurologe Brown- 
Sequard, der neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten 
Zeit fand um in London, Paris und New-York ärzt¬ 
liche Praxis auszuüben, verordnete Medikamente, die 
ein ganzes Dutzend der stärksten Alkaloide, wie Strych¬ 
nin, Morphin, Cominin, Aconitin, Atropin, Curare usw. 
enthielten. 

Ein ungarischer Arzt hat bei der Behandlung der 
Epilepsie eine Methode angegeben, die auf Bromdar¬ 
reichung und Chlorentziehung bestand. Er hat ein 
lakto vegetabilisches Regime angewandt und liess das 
Kochsalz im Graubrot durch 3 Gramm Brom er¬ 
setzen. 

Da hier mehrere verschiedene Faktoren mitwirken, 
so wäre es schwer bei einem eventuellen Erfolge zu 
entscheiden, was hier von grösserer Bedeutung ist: die 
Darreichung von Brom, die kochsalzarme Nahrung 
oder die vegetabilische Diät. 

In ähnlicher Weise äussert sich Boas über den 
zweifelhaften Wert verschiedener traditioneller Mittel 
wie Eisen, Gentiana, Tannin usw. 

Als ein Panacäum gegen alles Unheil der Thera¬ 
pie empfiehlt Boas die Gründung von speziellen thera¬ 
peutischen Kliniken. 

Sie hätten zur Aufgabe alte und neue therapeu¬ 
tische Methoden nachzuprüfen, die Wirkung einzelner 
Medikamente zu versuchen und Ärzte in die rationelle 
Therapie einzuleiten. Diese Unternehmungen sollten 
nach folgenden Prinzipien geleitet werden. Jedes neue 
Mittel sollte bei verschiedenen Kranken unter ver¬ 
schiedenen Umständen geprüft werden. 

Der Kranke sollte zuerst in einen Gleichgewichtszu¬ 
stand gebracht und es darf der Versuch nicht begonnen 
werden, wenn der Kranke z. B. wegen Schmerzen Mor¬ 
phium bekommt. 

Selbstverständlich muss das Präparat chemisch rein 
sein. Dieselbe Dosis wird allen Kranken verabreicht 
und es soll jedesmal kontrolliert werden, ob das Mittel 
tatsächlich eingenommen wurde. 

Täglich sollten die Wirkung und eventuelle Neben¬ 
wirkungen genau notiert werden. Wenn man über eine 
grössere Anzahl gleichartiger Kranke verfügt, ist es rat¬ 
sam nur der einen Hälfte des Krankenmaterials das 
Medikament zu verabreichen, bei der anderen aber die 
alleinige Wirkung der Ruhe, Ernährung usw. zu be¬ 
obachten. 

Jede suggestive Beeinflussung des Kranken ist zu 
vermeiden. Man darf ihm die erhoffte Wirkung des 
Mittels nicht im voraus ankündigen. Man soll manch¬ 
mal das Medikament durch ein indifferentes Mittel er¬ 
setzen, um die vorübergehende Wirkung von der dau- 
niden zu unterscheiden. 

Es ist notwendig sich durch längere Zeit Nach- 


Digitized bi 


Google 


[richten von dem Gesundheitszustand _ des Kranken zu 
verschaffen, 

Zu diesem Zwecke schlägt Boas vor, einen syste¬ 
matischen Nachforschungsdienst einzurichten. Die ein¬ 
zige Aufgabe eines sehr zuverlässigen Assistenten wäre, 
mit den Kranken nach ihrer Entlassung aus dem Hospi¬ 
tal in dauerndem Kontakte zu bleiben. 

Dies ist der Inhalt, der sich unter Weglassung ver¬ 
schiedener unnötiger Details und Wiederholungen, aus 
dem Büchlein Boas' zusammenstellen liess. 

Unter den von B. aufgezählten therapeutischen 
Sünden unterscheidet er nicht diejenigen, die als Folge 
der Unvollkommenheit unseres Wissens zu betrachten 
| von denen, welche durch falsche Beobachtungen, un¬ 
logische Konstruktionen und unrichtige Darstellung ent¬ 
standen sind. 

Der Stand des therapeutischen Könnens ist un¬ 
zweifelhaft von dem allgemeinen Niveau des medi¬ 
zinischen Wissens abhängig. Er verändert sich je nach 
den Fortschritten auf dem Gebiete der Physiologie, Pa¬ 
thologie, Chemie und der Naturwissenschaften im all- 
1 gemeinen. 

Unser Urteil über die Wirkung verschiedener Me- 
1 dikamente basiert tatsächlich manchmal auf ungenügender, 
kritikloser Beobachtung. Oft aber ist es deshalb 
lückenhaft, weil unsere Kenntnisse der Funktionen ver¬ 
schiedener Organe und deren Störungen sehr mangel¬ 
haft sind. Diejenigen Elaborate über die Wirkung 
des Chologens und Eunatrols, welche Boas kommen¬ 
tiert, haben in Wirklichkeit einen sehr kleinen Wert 
und dies aus zweierlei Gründen: erstens, weil die 
Verfasser die Wirkung der Mittel nicht genügend von 
der allgemeinen Diät abgegrenzt haben, zweitens auch 
deshalb, weil wir über die Bedeutung der Leber im 
Organismus, über ihre Funktionen und Mittel, welche 
diese Funktionen imstande sind zu beeinflussen, gar wenig 
wissen. 

Es sind uns nur einige Tatsachen genau bekannt 
und zwar, dass die Leber Galle ausscheidet und Gly¬ 
kogen bildet; dagegen gibt es eine ganze Reihe von 
Fragen, welche wir nicht beantworten können. 

Wir wissen z. B. weder von dem Zusammenhang 
der erwähnten Produkte noch von der Entstehung der 
Gallensäuren und des Cholestearins, noch von der Her¬ 
kunft der Gallenfarbstoffe usw. usw. 

Es ist deshalb kein Wunder, dass wenn wir thera¬ 
peutisch vorgehen und dieses oder jenes gallentreibendes 
Mittel empfehlen wollen, wir gleichfalls im Dunkeln 
herumtappen. 

Boas kritisiert die Anwendung , des Eisens bei der 
Behandlung der Chlorose. 

Diese Ansicht ist durchaus nicht neu. Schon Du- 
jardin-Beaumetz war der Meinung, dass die Bedeutung 
des Eisens bei der Behandlung der Blutarmut nicht 
mehr leistet als kaltes Wasser, Gymnastik und hy¬ 
gienische Massregeln im allgemeinen. 

„Es wäre ein Fehler“, sagt Eichhorst, „den Begriff 
der Chlorose im therapeutischen Sinne mit der Not¬ 
wendigkeit der Eisenbehandlung zu identifizieren“. 
Auch F. A. Hoffmann hat in seinem berühmten Hand¬ 
buch der allgemeinen Therapie die Einschränkung der 
Eisenbehandlung zu Gunsten der hygienischen Methoden, 
als einen grossen Fortschritt auf diesem Gebiete be¬ 
zeichnet. 

Die Ursache der ewigen Misserfolge bei der Be¬ 
handlung der Blutarmut ist unsere Unkenntnis sowohl 
des Wesens dieser Krankheit wie auch der Resorptions¬ 
bedingungen des Eisens im Organismus. 

Wir können also deshalb nicht diejenigen Fehl¬ 
griffe, welche durch allgemeine Insuffizienz unseres 
Wissens verursachtjsind, als Mängel der therapeutischen 
Methodik bezeichnen. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 5. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


47 


Anderseits unterliegt es keinem Zweifel, dass die 
medizinische Literatur durch eine Menge wertloser 
Arbeiten überschwemmt wird, die nicht nur die Wissen¬ 
schaft nicht vorwärts bringen, sondern als unnötiger 
Ballast ihren Fortschritt hemmen. Das geschieht aber 
nicht nur auf dem Gebiete der Therapie, sondern eben- 
so/n Bezug auf Aetiologie, Diagnostik usw. Es ist des¬ 
halb etwas einseitig wenn Prof. Boas nur in der The¬ 
rapie Lücken sieht und nur für den Bau der thera¬ 
peutischen Methodik sorgt, denn gerade eben so schlecht 
bestellt ist es mit der gesamten medizinischen Me¬ 
thodik. 

Zur Hebung der therapeutischen Methodik empfiehlt 
Boas die Gründung spezieller therapeutischer Kliniken, 
in denen man unter strenger Kontrolle die Anwendung 
verschiedener Methoden und neuer Mittel versuchen 
könnte. 

Obgleich die internen Kliniken auch jetzt die Ge¬ 
legenheit nicht unterlassen, um Versuche mit neuen 
Mitteln anzustellen, so kann man prinzipiell gegen 
die Gründung spezieller therapeutischer Kliniken 
nichts einwenden, es ist aber fraglich, ob dieses Mittel 
genügt. 

Was soll man jedoch mit der Kritiklosigkeit der 
Arzte anfangen, wenn sie sich auf anderen Gebieten der 
medizinischen Wissenschaft offenbart ? 

Es ist ohne weiteres klar, dass die Vorschläge 
Boas’ nicht genügen, dass man die Ursachen der 
Minderwertigkeit der medizinischen Arbeiten wo anders 
suchen muss und zwar in dem ganzen System des medi¬ 
zinischen Unterrichtes. 

Das medizinische Studium der Jetztzeit nimmt das 
Gedächtnis des Studenten viel zu sehr in Anspruch, 
überbürdet es mit tausenden von Namen, sorgt dagegen 
zu wenig dafür um die Fähigkeit logisch zu denken, 
systematisch zu pflegen und zu entwickeln. 

Der zukünftige Arzt müsste eigentlich so vorbereitet 
sein, dass er an jedes Problem, welchem er in der Praxis 
begegnen wird, näher herantreten und es methodisch 
auffassen kann. 

Man müsste der Ausbildung des Denkvermögens 
und des kritischen Scharfsinns des zukünftigen Arztes 
mehr Aufmerksamkeit schenken und ihn mit den Prin¬ 
zipien der wissenschaftlichen Untersuchung genau bekannt 
machen. 

ln das Programm des medizinischen Unterrichtes 
gehören unbedingt die Logik und die philosophische 
Propädeutik. 

Vom für alle Fakultäten obligatorischen Unterricht 
in der Logik sind einzig nur die Hörer der Medizin 
befreit. 

Wenn ein Chemiker bei Ausführung einer Analyse, 
ein Botaniker bei der Bestimmung einer Pflanze, der 
Physiker bei seinen Experimenten — mit den Grund¬ 
sätzen der Logik und besonders der induktiven Methode 
vertraut sein müssen, so ist die Kenntnis dieser Prin¬ 
zipien einem Biologen im allgemeinen und einem Arzte 
im speziellen geradezu unentbehrlich. Der Mediziner 
hat mit Erscheinungen zu tun, die viel mehr kompli¬ 
ziert sind als die der unorganischen Natur, er muss 
deshalb bei seinen Schlussfolgerungen und der Beur¬ 
teilung seiner Beobachtungen erst recht vorsichtig sein. 
Es müssen ihm alle Methoden der wissenschaftlichen 
Untersuchung geläufig sein, denn in den verschiedenen 
Disziplinen des Gesamtbaues der Medizin werden ver¬ 
schiedene Methoden angewandt. In der Physiologie, 
Pathologie, Pharmakologie usw. kommt hauptsächlich 
die induktive Methode d. h. das Experiment und die 
Beobachtung in Betracht. Deduktion und Syllogismus 
werden bei der Bestimmung der Prognose und der The¬ 
rapie, die statistische Methode bei Feststellung der 
Ätiologie gebraucht. 

Digitized by Google 


Indessen ist für den Durchschnittsarzt sowohl die 
Logik, wie die Elemente der Philosophie eine wahre „terra 
incognita“. 

Die meisten Ärzte werden w’ohl keine richtige Ant¬ 
wort geben, wenn man sie über die Methoden der medi¬ 
zinischen Wissenschaften, die Grenzen der induktiven 
und deduktiven Methode, über den Wert der statistischen 
Methode fragt. Von dem Bau des Syllogismus haben sie 
auch nur einen ganz dunklen Begriff. Allerdings machen 
die meisten Menschen ganz richtige Schlussfolgerungen, 
ohne die einzelnen Teile des Syllogismus zu kennen. 
Ebenso geht es vielen Ärzten, denen die Übung und 
der gesunde Menschenverstand die theoretische Vor¬ 
bildung ersetzen. Viele von ihnen stellen richtige Dia¬ 
gnosen, trotzdem sie von den logischen Grundlagen des 
Differenzierens nichts wissen. 

Es sollte aber anders sein. 

Der Gedankengang eines Arztes darf nicht eine 
instinktive unbewusste Gehirntätigkeit sein, er soll einen 
präzisen streng logischen Prozess darstellen. 

Der medizinischen Gedankenwelt haftet eine Un¬ 
menge von Vorurteilen und Sophismen an. Wenn wir 
auf die Geschichte der Medizin zurücksehen, so werden 
wir es leicht begreifen, warum diese Wissenschaft von 
unbewiesenen, rein empirischen Indikationen wimmelt, 
weshalb in ihr so viele Mittel angewandt werden, die 
nur das für sich haben, dass sie durch die Tradition 
geheiligt worden sind. 

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich der medi¬ 
zinischen Wissenschaften verschiedene falsche, sogar 
widersinnige Anschauungen einverleibt, mit denen nur der¬ 
jenige Arzt kämpfen kann, der mit den Waffen der 
Logik gut ausgerüstet ist. 

Es wäre interessant, alle Sophismen, welche in der 
Medizin Vorkommen zusammenzustellen. 

Der Satz „cessante causa cessat effectus“ wird als 
Gesetz betrachtet. Indessen hat schon Lotze bewiesen, 
dass die Ursache der Krankheit transitorisch sein kann, 
die hervorgerufenen Störungen aber dauernd bleiben 
können. 

Ein logischer Fehler, gegen den die Ärzte sich 
meistens verwahren, ihn trotzdem aber oft begehen ist 
das Sophisma : „post hoc ergo propter hoc“. Wir sind 
zu sehr geneigt die Veränderungen im Laufe der Krank¬ 
heit dem dargereichten Mittel zuzuschreiben und 
sehen deshalb einen kausalen Zusammenhang oft 
dort, wo es sich eigentlich nur um eine Koinzidenz 
handelt. 

Auf demselben, jedoch umgekehrten Sophisma be¬ 
ruhen die Diagnosen, die auf Grund der Veränderungen 
nach Verwendung eines Mittels gestellt werden, die 
sogenannte Diagnose „ex juvantibus et nocentibus“. Es 
kann hier ebenso ein kausaler Zusammenhang wie ein 
zufälliges Zusammentreffen vorliegen. Nicht selten finden 
wir in medizinischen Arbeiten einen Fehler, der durch 
die Logik als petitio principii gebrandmarkt wird. Er 
entsteht, wenn man einen dunklen Begriff durch einen 
anderen der auch nicht ganz klar ist, zu erläutern ver¬ 
sucht, ebenso wenn man das als Argument zitiert, was 
erst eigentlich bewiesen werden muss. Solchen Ge¬ 
dankengang verspottet Moliere, indem er einen Arzt 
die Wirkung des Opiums folgendermassen erklären 
lässt: „l’opium endormit, parce qu'il a une vertu sopori- 
fique“. 

Hierher gehören auch die voreiligen Diagnosen, die 
anstatt der objektiven Beschreibung bei der Aufnahme 
des Status praesens notiert werden z. B. „Tuberkulöse 
Veränderungen in den Lungenspitzen“ an Stelle der 
Ergebnisse der Auskultation und Perkussion. 

Wenn wir die Tatsachen, die Boas in seiner Kritik 
der modernen Therapie zusammengestellt hat, einer 
Analyse unterwerfen, so stellt sich heraus, dass manche 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





48 


Nr. 5. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


dieser Mängel auf einer ungenügenden Entwicklung 
der Physiologie und Pathologie basieren, andere 
wiederum zu den oben erwähnten logischen Fehlern 
gehören. 

Wenn beispielsweise ein Arzt auf Grund von 5 
Beobachtungen irgend ein Mittel gegen Magenschmerzen 
empfiehlt, wenn ein Gelehrter auf (irund seiner Sta¬ 
tistik es für bewiesen hält, dass Tabes eine Folge von 
Lues ist, ein anderer aber ebenfalls auf statistische Daten 
gestürtzt behauptet, dass Tabes keinen Zusammenhang 
mit Syphilis hat, so beweisen solche Schlussfolgerungen, 
dass den betreffenden Autoren sowohl die Anwendbar¬ 
keit und der Grad der Sicherheit der statistischen Me¬ 
thode, wie die schon von Bacon von Verulam fest¬ 
gestellten Bedingungen des wissenschaftlichen Experi¬ 
mentes total unbekannt geblieben sind. 

Einige Symptome der Krankheit, an der die medi¬ 
zinische Wissenschaft laboriert, sind von Boas richtig er¬ 
fasst worden. Die Diagnose und die Ätiologie des 
Leidens sind aber nicht erschöpft und die therapeutischen 
Vorschläge nicht genügend. 

Das Gründen von therapeutischen Kliniken allein 
kann nur wenig helfen, ebenso wenig erfolgreich er¬ 
weisen sich andere von Boas vorgeschlagene Mittel, z. B. 
die Verschärfung der Zensur von seiten der Heraus¬ 
geber der medizinischen Zeitschriften. Boas fordert 


nämlich, dass die Redakteure alle Arbeiten, welche keine 
genaue Krankheitsgeschichten und Angaben über Miss¬ 
erfolge enthalten, nicht annehmen sollen. 

Wir dürfen eine Verbesserung der Misszustände 
in der medizinischen Literatur nur durch eine totale Um¬ 
gestaltung des ärztlichen Vorbereitungsstudiums er¬ 
warten. Dazu muss man aber die Logik und philo¬ 
sophische Propädeutik als obligatorische Fächer in die 
medizinische Fakultät einführen, 1 ) wählend der ganzen 
Studienzeit auf die Verschärfung des kritischen Denkens 
mehr Gewicht legen und die Studierenden an exakte Be¬ 
obachtungen und streng logisches Denken gewöhnen. 
Dadurch wird sich erst der wissenschaftliche Wert medi¬ 
zinischer Arbeiten erhöhen lassen. 

’) Die Logik, die ,,Wissenschaft der Wissenschaften" wie sie J. 
S. Mi 11 genannt hat bildet das höchste Kriterium der menschlichen 
Forschung und ihre Gesetze sind überall, zu jeder Zeit und für jede 
einzelne Wissenschaft obligatorisch; trotzdem aber haben ver¬ 
schiedene Wissenschaften gewisse Besonderheiten ihrer Methodik. 
Eine Logik an medizinische Wissenschaft angewandt, ist also voll¬ 
ständig berechtigt In der ganzen Weltliteratur gibt es aber, abge¬ 
sehen von dem wenig gelungenen Kapitel, welches der Medizin in 
Rains „Logik" gewidmet ist, nur ein Werk, das dieses Thema be¬ 
handelt, nämlich das in polnischer Sprache erschienene und auch ins 
deutsche übersetzte vorzügliche Werk von W Bieganski: Medizinische 
Logik, Kritik der ärztlichen Erkenntnis" 1908. 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

R e i s s : Der Wert der Agglutinationsprobe bei Typhus- 
g< impften. (M. m. W. 1915. 38.) 

Verf. weist ausführlich und energisch darauf hin, dass bei 
Geimpften auch bei Werten von 1 : 400 die Gruber-Wi dalsche 
Probe nicht beweisend ist Denn bei irgend welchen Krank¬ 
heiten geht der Titer von Patienten, die vor Jahren mal Typhus 
hatten, noch in die Höhe. Hier fehlen leider Angaben darüber, 
ob sich auch während der Krankheit der Titer wie bei Typhus 
verändert; denn gerade auf dieses Steigen des Titers legte man 
vor dem Kriege grossen Wert. R. kommt zu dem Resultat, 
dass bei Geimpften „dem Agglutinationstiter des Serums, wie 
hoch er auch sei, jeder diagnostische Wert abgesprochen werden“ 
muss. Boenheim. 

Hubert: „Die Bedeutung der Vorgeschichte, des Be¬ 
fundes und der Wassermannschen Reaktion fiir die Erkennung 
der syphilitischen Ansteckung in den breiteren Volksschichten*’. 
(M. m. W. 1915, 39.) 

Verf. zeigt an seinem grossen Material die überaus grosse 
Häufigkeit der Syphilis, für deren Erkennung die W asser- 
mannsche Reaktion sehr wichtig ist, wobei man aber nicht I 
vergessen darf, dass dies nur e i n diagnostisches Mittel ist. 
Im übrigen muss auf die beiden Tabellen der Arbeit verwiesen 
werden. Boenheim. 

L a q u e u r : Über die Unschädlichkeit der Typhusschutz- 
iiiipfiingcn. (M. m. W. 1915, 38.) 

Auf Grund seiner grossen Erfahrungen kommt Verf. zu 
dem Resultat, dass die Impfungen nie mit Schädigungen ver¬ 
bunden sind. Er sah nur fast stets eine lokale Reaktion. Die 
Pulsfrequenz stieg nach den Impfungen um 1,3 Schlag pro 
Minute. L. wendet sich gegen ein N ichtaufbrauchen der Flaschen 
und gegen das Ausglühen der Nadeln an Stelle des Auskochens. 

Boenheim. 

Z i e r s c h : Beobachtungen bei Tvphusschutzgclmpfter,. 
(M. m. W. 1915, 39.) 

Verf. untersuchte bei 45 Patienten die Seren mehr oder 
weniger lange (2 Tage bis 6 Monate) nach der Impfung nach 
Gruber-Wid al und fand diese Reaktion in 18 Fällen 
ofitiv, in 27 Fällen negativ. Während er hier keine Gesetz- 


Digitized by Google 


mässigkeit feststelleu konnte, fand er, dass nach Typhusschutz- 
impfungen sehr bald eiue lang anhaltende Leukopenie ein tritt. 
„Eine „negative und positive Phase“ im Anschluss an die 
einzelnen Irapfungeu konnte nicht erkannt werden.“ Das 
prozentuale Blutbild ähnelt dem des Typhus abdominalis. 

Boenheim. 

Wolf: Zur Frage der prophylaktischen Impfling gegen 
Tetanus. (M. m. W. 1915, 39.) 

Veif. tritt hierfür ein bei verdächtigen Wunden, evtl, will 
er die doppelte der bisher gebräuchlich gewesenen Dosen an¬ 
gewandt haben. Dagegen erklärt er es für belanglos, wenn die 
Impfung erst nach einigen Stunden oder am nächsten Tage 
statlfindet. Boenheim. 


Innere Medizin. 

M a t t h e s : Uber die Zahl und die Formen der weißen 
Blutkörper beim Flecktieber. (M. m. W. 1915, 40.) 

M. kommt nach seinen Blutuntersuchungen zu dem Er¬ 
gebnis, dass man häufig, wenn auch nicht immer, eine tnässige 
Leukozytose findet. Die Fälle von Fleckfieber, bei denen die 
Leukozytenzabl einen kleinen Wert zeigt, haben dasselbe Bild 
wie Masern. Boenheim. 

Ehret: Zur Kenntnis der akzidentellen Herzgeräusche 
bei Kriegsteilnehmern, (M. m. W. 1915, 40.) 

Bei direkt von der Front kommenden Pat. findet man oft 
Geräusche am Herzen, die auch mit Störungen der Herzschlag¬ 
folge (Extrasystolen usw.) einhergehen können. Die Geräusche 
fallen meist in die Systole. Hört man neben dem Geräusch 
nicht noch den reinen Ton, so muss man bei der Beurteilung 
vorsichtig sein. „Das Geräusch ist auf der Höhe oder gegen 
die Höhe der Einatmung auffallend laut, auf der Tiefe oder 
gegen die Tiefe der Expiration ganz verschwunden odeT kaum 
zu hören. Auch genau das umgekehrte kommt vor.“ Am 
häufigsten hört man sie an der Spitze, dann im 2. Interkostal¬ 
raum links. Boenheim. 

Meyer: Ficberlcser Typhus. (M. m. W. 1915, 40.) 

Verf. führt 3 Fälle auf. Da es sich um junge, kräftige 
Leute handelt, so kann man nicht mit Ortner, Fräntzel 

Original ffotn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN ___ 




Nr. 5. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


49 


und Strubbe annehraen, dass der Körper nicht mehr die 
Kraft der Reaktion hat Das wahrscheinlichste ist, „dass 
Typhusbazillen bei geringfügigen klinischen Erscheinungen ohne 
Temperatursteigerung in der Blutbahn kreisen können“, wenn 
man annimmt, dass eine natürliche oder künstlich geschaffene 
Immunität besteht. Bo enh ei m. 

Kafka: Untersuchung: tuberkulös-meningltlscher Funktions¬ 
flüssigkeiten mii Hilfe der Ninhy i'rinreaktion. (M. m. W. 
1915, 40.) 

Die Untersuchung nach dieser Probe bringt diagnostisch 
gegen andere akute Meningitiden nicht weiter. Dialysiert man 
den Liquor gegen Aq. dest, so ist eine Unterscheidung gegen 
Erkrankungen, die mit einer Vermehrung von Liquoreiweiss 
einhergehen, möglich. B o e n h e i m. 


weiteres in Wegfall kommt. Aber auch hier besteht 
noch immer die Möglichkeit, eine neue Haftpflichtklage 
zu erheben, wenn der Patient nach Ablauf der Rente 
sich nicht als geheilt betrachtet. Nur die einmalige 
Kapitalabfindung schliesst jedes Wiederaufleben von 
Prozessen und Rentenbestrebungen aus. Sie ist das 
zweckmässigste Enlschädigungsverfahren im sozialen 
und medizinischen Interesse des Unfallverletzten, wie 
im Interesse des Haftpflichtigen. — Verfasser belegt 
seineAnsichten mit überzeugendem,eigenem,kasuistischem 
und statistischem Material. Seine Ausführungen ver¬ 
dienen besondere Beachtung in jetziger Zeit, wo unter 
den Kriegsverletzten die Zahl der Schreckneurosen keine 
geringe ist. Enge (Lübeck). 


Psychiatrie und Neurologie. 

Horn, Paul. Zur Heilbarkeit der Schreekneurogen nach 
Abfindung. (Zeitschrift für Bahn- und Bahnkasseuärzte 1915, 
Nr. 9.) 

Die Schreckueurose — eine Sonderart der Unfallneurosen 
— ist eine ausgesprochene Psychoneurose. Sie ist charakteri¬ 
siert auf psychischem Gebiete durch eine allgemeine Exaltation 
eventl. mit vorübergehender Verwirrtheit und durch fixierte 
Angstaftekte, auf körperlichem Gebiete durch Alteration des 
vasomotorischen Systems (z. B. Pulsbeschleunigung, Erhöhung 
des systolischen Blutdruckes, Dermographie u a ). Steigerungen 
des systolischen Blutdruckes bei Ausschluss organischer Kompli¬ 
kationen legt Verfasser pathognomonische Bedeutung bei. 

Die Heilungsaussichten der unkomplizierten Schreckueurose 
sind durchaus günstig, aber au bestimmte Bedingungen ge¬ 
knüpft. 

1. Geregelte Beschäftigung ist sobald als möglich in die 
Wege zu leiten. 

2. Die Entschädigungsfrage ist durch einmalige Kapitalabfin¬ 
dung möglichst innerhalb der ersten Monate nach dem 
Unfall zu erledigen. 

Heilung tritt um bo rascher ein, je eher die Abfindung 
erfolgt. Langwierige Verhandlungen und Haftpflichtprozesse 
haben eine unheilvolle Wirkung auf die Prognose. Einberufung 
eines ärztlicheu Schiedsgerichtes oder rechtsverbindliche Einigung 
auf einen unparteiischen ärztlichen Gutachter lnseen den Klage¬ 
weg vermeiden. Leider ist die einmalige Kapitalabfindung 
durch die geltenden Gesetze beschränkt. Nach § 843, 3 B. G. B. 
ist sie nur zulässig, wenn ein besonderer Antrag des Verletzten 
sowie ein wichtiger Grund zur Abfindung vorliegt. Verfasser 
wünscht eine Erweiterung des Paragraphen dahin, dass auch 
auf alleinigen Antrag des Haftpflichtigen Kapitalabfindung statt 
Reute zugesprochen werden kann. Bedenken gegen die Ab¬ 
findung erwachsen nur selten, in Fällen, wo die Möglichkeit 
totaler Simulation vorliegt, oder aus wirtschaftlichen Gründen 
(z. B. drohende Pfändung, voraussichtliche Verschleuderung des 
Kapitals). Solche Fälle werden sich unschwer aussondern 
lassen. 

Jetzt vorwiegend übliche Entschädigungsverfahren sind 
folgende : 

1. Lebenslängliche bezw. Dauerrenten auf unbestimmte 
Zeit. Diese entsprechen nicht mehr den neueren An¬ 
schauungen über die Prognose nervöser L T nfallstörungen 
und sollten ohne besonders schwerwiegende Gründe 
überhaupt nicht mehr in Anwendung treten. 

2. Kurzfristige vorläufige Renten für 2—3 J. mit Ver¬ 
schiebung des Entscheidungsabschlusses auf die Zu¬ 
kunft. Auch sie erfüllen ihren Zweck nicht, weil sie 
von vornherein nur eine einstweilige, keine definitive 
Erledigung der Entscheidungsangelegenheit darstelleu. 
Solange aber Ansprüche und Aussichten auf Rente 
oder spätere Abfindung bestehen, solange kommen die 
Begehrungsvorstellungen der Rentenempfänger nicht 
zur Ruhe. 

3. Einen annehmbaren Notbehelf stellen die gerichtlich 
festgesetzten, zeitlich begrenzten, fallenden Renten dar, 
bei denen der Rentenempfänger von vornherein weiss, 
dass nach einem gewissen Zeitraum die Rente ohne 

Digitized by Google 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

H. W o 1 1 i n : Über Darminvaginationen im Kindesaiterr 
Aus der chirurg. Abt. des Kaiser-Franz-Josef Kiuderspitals 
Vorstand: Reg.-Rat Prof. Bayer in Prag. (Jahrb. für Kinder¬ 
heilkunde. 32. Baud, Heft 4.) 

Verf. bespricht an Hand von 20 Fällen die Aussichten 
der Operation, deren Prognose um so günstiger ist, je älter das 
Kind und je kürzer die Invagination ist. Im ersten Lebens¬ 
jahre kommen die Kinder, weil den Symptomen nicht die gleiche 
Bedeutung zugemessen wird, wie bei älteren Kindern, meist ver¬ 
spätet zur Operation, deren Resultat dann natürlich schlechter 
ist, um so mehr, als der Säugling weniger Widerstandsfähig¬ 
keit besitzt. Braun. 

H. L. K o w i t z : Über bakterielle Erkrankungen der 
Harnorgane im Sauglingsaltcr (sog. Pyeiocystitis.) Aus der 
Kinderabteilung der Krankenanstalt Altstadt, Magdeburg. Ober¬ 
arzt Prof. Dr H. Vogt (Jahrb. für Kinderheilkunde. 32. Band, 
Heft. 4 ) 

Die Infektion kommt fast ausnahmslos vom Darm aus 
auf dem Blutwege zustande. Verf. schlägt vor, bei solchen 
Infektionen in Zukunft nicht mehr von Cystitis oder Pyelitis 
zu sprechen, sondern richtiger von „herdförmiger bakterieller 
Nephritis“ oder „Colinephritis“. Braun. 

L e s c h k e : Über die lokale Behandlung der Diphtherie 
mit Tribrom-yS-Naphlol (Providofnrm). (M. m. W. 1915, 41.) 

Verf. behandelte eine Reihe von Diphtherie-Kranken lokal 
mit Providoform, da Bechhold nachgewieseu hat. dass dieses 
Mittel besonders stark auf Diphtheriebazillen wirkt, schon in 
einer Lösung von 1:400 000, während es andere Bakterien¬ 
stämme erst in stärkerer Konzentration tötet. Verf. liess frisch 
zubereitete homogene Emulsion von einem Esslöffel 5 Proz. 
alkoholischer Tinktur auf ein Glas Wasser kräftig zerstäubt ein- 
atmen. Der Erfolg war der, dass die Membranen sich schneller 
abstiessen und dass subjektive Erleichterung eintrat. Selbst¬ 
verständlich wurde auch gespritzt. Eine Bazillenfreiheit trat 
schneller ein. Hier dürfte wohl ein gutes Prophylaktikum vor¬ 
liegen, wenn sich die günstigen Berichte weiter bestätigen. 

B o e n h e i m. 

E. Glanzmann: Erfahrungen über Eiweißmilrh und 
ihre Ersatzpräparate. Aus der päd. Klinik Bern. Dir.: Prof. 
Dr. Stooss (Jahrb. für Kinderheilkunde. 32. Band, Heft 4.) 

In der sehr lesenswerten Arbeit bespricht Verf. in glück¬ 
licher Mischung von Theorie und Praxis die Stellung der Ei¬ 
weissmilch in der Therapie der Ernährungsstörungen, ihre genaue 
Indikationsstellung und die Grenzen, innerhalb derer sie Erfolg 
gewährleistet, sowie die Ersatzpräparate der Eiweissmilch. Bei 
diesen sehen alle Autoren als wesentlich die Anreicherung mit 
Eiweiss und die Reduktion der Molke an. Verf. glaubt, dass 
man auch auf die Molkenreduktion verzichten könne, und stellt 
in dieser Richtung Versuche an. Braun. 

M. Kaufmann - Wolf: Zur Frage der Übertrag¬ 
barkeit der Dermatitis exfoliativa neonatorum. Aus der kgl. 
Uuiv.-Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin. 
Dir. Geh. Med. Rat Prof. Dr. E. Lesser. (Jahrb. für Kinder¬ 
heilkunde. 32. Band, Heft 4.) 

Mitteilung eines Falles von Dermatitis exfoliativa, bei dem 
Übertragung vom Kind auf die Mutter unzweifelhaft festgestellt 
wurde. Braun. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





50 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 5 


Medicamentöse Therapie. 

W irgler, Über ein neues Silberkolloid „Dispargen“. 
— (M. raed. Wschr. Nr. 25, 1915.) Feld&rztl. Beilage. 

Veranlasst durch die experimentellen Versuche Prof. Voigts 
hat Verf. ausgedehnte klinische Versuche mit dem von der 
Chemischen Fabrik Reisholz G. m. b. H. in Reisholz hei 
Düsseldorf hergeBtellten neuen Silberkolloid „Dispargen“ an¬ 
gestellt und kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Mittel das 
Elektrargol in seiner Wirkung zu übertreffen scheint, ohne die 
Nachteile anderer kolloidaler Silberlösungen in höherem Grade 
zu besitzen. Bisher herrschte allgemein die Meinung, dass für 
intravenöse Injektionszwecke nur die durch elektrische Zer¬ 
stäubung gewonnenen kolloidalen Metalllösungen verwendet 
werden können. Prof. Voigt hat aber nachgewiesen, dass es 
hauptsächlich auf die Höhe des Dispersionsgrades an kommt und 
es ist gelungen, diesen für Dispargen auf chemischem Wege 
höher zu stellen (durchschnittlich 14 /tu), als den des auf elek¬ 
trischem Wege erzeugten Elektrargols (durchschnittlich 15 /iu)- 
Die Möglichkeit, die auf chemischem Wege durch Fällung ge¬ 
wonnenen Lösungen zur Trockne zu verdampfen und zum Ge¬ 
brauche wieder aufzulösen, birgt einen Vorteil zu Versand und 
Aufbewahrungszwecken in sich. Bei den auf elektrolytischem 
Wege gewonnenen Lösungen ist es bisher nicht gelungen, ein 
Trockenpräparat herzustellen. Das Dispargen kann wegen des 
hohen Silbergehaltes in kleinen Mengen in 2—5 ccm als 2- 
prozentige Lösung injiziert werden. Eine Isotonisierung der 
Dispargenlösuug ist in diesen kleinen Mengen nicht erforderlich, 
was für die Verwendung des Dispargens bezw. dessen Lösung 
von grosser Bedeutung ist, weil durch das Isotonisieren der 
Dispersionsgrad des Präparates ungünstig beeinflusst und dieses 
seine Vorzüge gegenüber den anderen kolloidalen Silberpräpa¬ 
raten einbüssen würde. Ebenso leidet der Dispersionsgrad des 
Präparates bei dem üblichen Sterilisieren, da sich die disperse 
Phase in diesem Falle ebenfalls vergrössert. Wie nun auch 
durch Professor Prausnitz am hygienischen Institut in Graz 
festgeBtellt wurde, tritt eine Selbststerilisierung der Lösung 
innerhalb 4ö Stunden ein. Nach diesem Befunde sollte die 
peinlichst genau bereitete Lösung erst 48 Stunden nach der 
Herstellung verwendet werden. 

Hinsichtlich des Preises besteht zwischen Elektargol und 
Dispargen ein bedeutender Unterschied zu Gunsten des 
Dispargen. 

Die besten Wirkungen des Dispargen wurden bei recht¬ 
zeitiger Anwendung desselben im Beginne einer septischen Er¬ 
krankung beobachtet; iu solchen Fällen genügte oft eine In¬ 
jektion, um die Temperatur auf normale Höhe herabzudrücken 
und auch bis zur vollständigen Heilung festzuhalten, wobei 
auch die lokalen Krankheitserscheinungen in viel kürzerer Zeit, 
als mau dies gewöhnlich beobachten kann, zum Abklingen ge¬ 
bracht wurden. 

Seine Unschädlichkeit rechtfertigt die frühzeitige Einspritzung 
durchaus und bei der Anwendung in diesen Frühstadien werden 
auch die schönsten Erfolge zu zeitigen sein. Zweckmässig und 
erfolgreich ist einzig und allein die Einspritzung in die Blut¬ 
adern. Jede andere Form erscheint nutzlos, die unter die Haut 
schafft bloss ein örtliches Silberlager, das ganz unwirksam ab¬ 
gebaut und ausgenützt wird und zu Entzündungen am Orte der 
Einspritzung führt. Die Einspritzungen können ohne jeden 
Schaden jeden Tag wiederholt werden. Das Dispargen wurde 
sowohl auf der chirurgischen Klinik, als auch auf anderen 
Grazer Kliniken, besonders auf der Frauenklinik bei puerperalen 
Prozessen in einer Reihe von Krankheitsfällen wie Erysipel, 


Typhus, Meningitis, Tetanus mit den besten Erfolgen ange¬ 
wendet. 

Aus der Beobachtungsreihe gibt Verf. dann einige be¬ 
sonders markante Fälle bekannt u. a. einen solchen von schwerer 
Meningitis cerebrospinalis in dem mit 3 Injektionen sowohl die 
Temperatursteigerungen als auch alle schweren Erscheinungen 
von seiten des Zentralnervensystems zum Schwinden gebracht 
und weiter 2 Fälle von schwerem Tetanus, die nach der ersten 
Injektion von Dispargen derart günstige Beeinflussung zeigten, 
dass die Wirkung des Präparates unverkennbar war. 

N e u m a n n. 

Ein ganz vorzügliches Präparat ist das Lenicet-Mundwasser 
„in fester Form“. 

Bei Pharyngititen und Katarrhen der Nasenschleimhäute, 
wo profuse Mengen von Schleim sich entwickeln, leistet es vor¬ 
zügliche Dienste. — Der Geschmack des Präparates ist ein 
höchst angenehmer, reizt nicht die entzündeten Schleimhäute, 
wirkt vielmehr anästhesierend, vor allem aber wirkt es stark 
desodorierend, indem jeder Geruch aus der Mundhöhle z. B bei 
eitriger Mandelentzündung vollkommen verschwindet. Dasselbe 
beobachtet mau, wenn man das Präparat dem Inhalationswasser 
zusetzt, wie beim Emser-Salz, um leichtere Lösung der Schleim¬ 
massen aus den Bronchien zu erzielen. Bei vielen Influenza- 
kranken ist es mit vorzüglichem Erfolge gegeben worden : zum 
Gurgeln, zu Nasenspülungen und zu Inhalationen. — 

Auch in der Form, in der es verabreicht wird, liegt eine 
grosse Bequemlichkeit: eine Tube mit drehbarem Deckel, aus 
dessen Öffnung eine Messerspitze voll in das leere Glas fällt, 
in das man dann lauwarmes Wasser giesst, und die Solution 
ist gebrauchsfertig. — 

Möge das treffliche Präparat recht grosse Verbreitung 
finden, es verdient es in der Tat! Es adstringiert, desodoriert 
und ist vollkommen ungiftig; es besitzt einen angenehmen Ge¬ 
ruch und Geschmack und ist namentlich auch in der Kinder¬ 
praxis nicht genug zu empfehlen. 

Dr. med. B e r t h o 1 d , prakt. Arzt, Dresden. 


Bücherschau. 

Erhard, Gedanken und Meinungen des Lazarett- 
Gehilten Neumann. Zweite vermehrte Auflage. (München 1915, 
Verlag der ärztlichen Rundschau Ofto Gmelin.) 

„Ridendo dicere verum“ könnte man über das interessante 
kleine Büchlein als Motto setzen. Der Verfasser hat es ver¬ 
standen in unterhaltender Form mancherlei zur Sprache zu 
bringen, was jeder praktisch tätige Arzt nur bestätigen kann. 
So übermässig ketzerisch sind die Ansichten des Autors eigent¬ 
lich gar nicht, wie er vielfach annimmt. Vieles erkennt auch 
die Schulmedizin an, wenn sie es auch manchmal nicht in so klarer 
und einfacher Weise zum Ausdruck bringt, wie es Erhard 
in seinem Büchlein tut. Alles in Allem ein lesenswertes, zum 
Nachdenken anregendes Schriftchen eines mit offenen Augen 
durchs Leben gehenden Praktikers. — R. 

Leopold Kätscher, Leipzig - L. Fernau. Die 
sicherste Art der Cholerabekämplung. Mit einem Anhang über 
die beste Typhusbehandlung. 

Der Verfasser tritt in seiner Broschüre sehr für die 
hydriatische Behandlung der Cholera und des Typhus ein. 
Durch zahlreiche Literaturangaben sucht er den Wert dieser 
Behandlung zu beweisen. Wenn diese hydriatische Behandlung 
wirklich mit dem Erfolg durchgeführt werden könnte, wie der 
Verfasser angibt, wie viele Menschen könnten uns, zumal jetzt 
im Kriege, erhalten bleiben. J. W e i c k s e 1. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









33 Jahrgang. 


1915/16. 


Tortschritte der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender fadtntänner 


L. Brauer, 

Hamburg. 


L. von Criegern, 

Hildesheim. 


herausgegeben von 

L. Edinger, 

Frankfurt a/M. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


L. Hauser, 

Darmstadt. 

H. Vogt, 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 6 

Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., 0. m. b. H., Berlin NW 87. 

30. November 


Alleinige Inseratenannalime durch Gelsdorf & Co., G. m b H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Asepsis oder Antisepsis? 

Von Dr. Krom bach, zurzeit Chirurg an einem Festungslazarett. 

Es mag bei manchem Leser vielleicht Befremden er¬ 
regen, in einer Zeitschrift, die sich die Aufgabe gestellt 
hat, über die Fortschritte in der Medizin zu berichten, 
eine Frage aufgeworfen zu sehen, die für viele nur noch 
geschichtliches Interesse hat. Der grosse Krieg hat dem 
einzelnen Kriegschirurgen ein so reiches Material an Ver¬ 
wundeten zu versorgen gegeben, wie er sonst wohl nur 
selten in langjähriger Praxis zu sehen bekommt. Da 
liegt es doch sehr nahe, an der Hand der reichen Er¬ 
fahrungen, die wir jetzt gesammelt haben, unsere An¬ 
schauungen über Wundbehandlung einer Prüfung zu 
unterziehen. Die Sorge für das Wohl unserer Ver¬ 
wundeten verpflichtet uns, uns nicht mit der erfreulichen 
Tatsache zu begnügen, dass unsere Resultate so unend¬ 
lich viel besser sind als in den Kriegen der vorantisep¬ 
tischen Zeit, sondern wir müssen immer weiter nach Ver¬ 
besserungen streben. Wir müssen uns auch wieder auf 
Hilfsmittel besinnen, auf die wir in der Friedenspraxis, 
deren Verhältnisse doch in vieler Beziehung andere sind, 
haben verzichten können. Es wäre nicht das erste Mal, 
dass in dem rastlosen Vorwärtsschreiten unserer Wissen¬ 
schaft etwas Bewährtes in Vergessenheit geraten ist, das 
für geeignete Fälle doch wieder hervorgeholt zu werden 
verdient. 

Die streng aseptische Wundbehandlung, die sich 
aus dem ursprünglichen L i s t e r sehen antisep¬ 
tischen Verfahren in dem Streben nach immer grösserer 
Vervollkommnung zunächst nur für die vom Chi¬ 
rurgen selbst gesetzten Wunden entwickelt hat, ist 
schliesslich zum Normalverfahren geworden auch für die 
Behandlung der akzidentellen Wunden, ja sogar auch 
für die nachweisbar schwer verunreinigten. Aus dem 
modernen chirurgischen Krankenhaus sind die antisep¬ 
tischen Mittel sozusagen verschwunden. Die seit einigen 
Jahren viel geübte Jodpinselung ändert an dem Prinzip 
nichts, da sie ja nach der ursprünglichen Anweisung 
nur auf die umgebende Haut beschränkt werden soll, 
um die sekundäre Infektion von der Haut aus zu ver¬ 
hindern. Gegen die einmal in die Wunde hinein- 
g-eratenen Keime erklärten wir von vornherein unsere 
Ohnmacht und überiiessen es den Abwehrkräften des 
Körpers mit ihnen fertig zu werden. Die antiseptischen 
Mittel wurden nicht allein für unfähig erklärt, den Kör¬ 
per in diesem Kampf zu unterstützen, sondern sogar für 
schädlich, weil sie die Gewebe in der Entfaltung ihrer 
natürlichen Kräfte hemmen sollten. Diese in der Friedens¬ 
praxis, wo die aseptischen Wunden eine viel wichtigere 

Digitized by Google 


Rolle spielen, bewährten Grundsätze wurden ohne Ein¬ 
schränkung auch aut die Kriegsverletzungen übertragen. 
Die Berichterstatter aus den letzten Kriegen wurden 
nicht müde, uns immer wieder darauf hinzuweisen, dass 
Schussverletzungen aseptisch zu behandeln seien. 

Mit unserer Frage hängt eine andere eng zusammen, 
die ich ebenfalls kurz erörtern muss, ich meine die 
chirurgische Behandlung der frischen Schusswunde. Es 
war ja nur konsequent, dass, wenn man dem Körper 
allein die Aufgabe überlassen wollte, mit den Infektions¬ 
keimen fertig zu werden, man ihn in dieser Arbeit auch 
nicht stören wollte, dass man frische Schusswunden mög¬ 
lichst in Ruhe Hess. Eine frische Schusswunde sollte ein 
Noii me tangere sein. Wenn nicht eine Blutung zu 
stillen, eine Amputation vorzunehmen ist, oder sonst eine 
Organverletzung einen Eingriff erfordert, dann hat der 
Arzt an der frischen Wunde nichts zu tun, als aseptisch 
zu verbinden und für geeignete Lagerung und Ruhig¬ 
stellung zu sorgen. Das sind die Grundsätze, nach denen 
wir wohl alle unsere kriegschirurgische Tätigkeit begonnen 
haben. 

So richtig diese Grundsätze für die Versorgung in 
der vordersten Linie ohne Zweifel sind, so sicher ist, 
dass sie für die Lazarettbehandlung wenigstens für einen 
grossen Teil der Fälle einer Abänderung bedürfen. Für 
die glatten Gewehrschüsse, die in den ersten Kriegs¬ 
wochen auf dem westlichen Kriegsschauplatz das Haupt¬ 
kontingent an Verwundeten ausmachten, genügt eine 
Behandlung nach den oben aufgestellten Grundsätzen 
auch vollkommen, selbst wenn komplizierende Knochen¬ 
verletzungen vorliegen. Ja ein Mehr wäre eine durchaus 
zu verwerfende Polypragmasie. An sich sind ja auch 
diese Wunden als infiziert zu betrachten. Da aber keine 
ausgedehnten Gewebszertrümmerungen und relativ ein¬ 
fache Wundverhältnisse vorliegen, heilen sie in der 
überwiegenden Zahl der Fälle ohne erhebliche klinische 
Zeichen der Infektion ab. Man spricht von aseptischer 
Heilung. Von Heilung per primam intentionem zu reden, 
wie es auch geschehen ist, ist nicht am Platze, da es auch 
bei noch so glattem Schusskanal immer zu einem gewissen 
Gewebszerfall kommt. 

Ganz anders steht es dagegen um diemit ausgedehnten 
Zertrümmerungen an Knochen und Weichteilen einher¬ 
gehenden schweren Verletzungen durch Querschläger 
und Granatsplitter. Diese Wunden, besonders die durch 
| Sprengstücke verursachten sind unter allen Umständen 
als schwer infiziert anzusehen. Eine aseptische Heilung 
ist bei ihnen ausgeschlossen. Dass man auch für diese 
Verletzungen als Regel aufgeslellt hat, ruhig abzuwarten, 
war sicherlich zu weit gegangen. Mir scheint, dass da- 

’ Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









52 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 6. 


bei Erinnerungen aus der vorantiseptischen Zeit, in der 
es noch möglich war, gerade durch die chirurgischen 
Eingriffe die Infektion von einem auf den andern zu 
übertragen, eine Rolle gespielt haben. Man muss sich 
eigentlich wundern, dass unsere guten Erfahrungen bei 
der Behandlung der Schädelschüsse uns nicht stutzig ge¬ 
macht haben. Schon in der vorantiseptischen Zeit hat 
das möglichst frühzeitige, chirurgische Angreifen dieser 
Wunden soviel bessere Resultate ergeben als das Ab¬ 
warten, dass schon in den kriegschirurgischen Tage¬ 
büchern des 18. Jahrhunderts auf die Wichtigkeit und 
Notwendigkeit der frühzeitigen Trepanation hingewiesen 
wird. Wieviel Segen haben wir in diesem Krieg davon 
gesehen und Schaden so gut wie nie. Geschadet ist nur 
worden, wo .man nicht jede, auch die kleinste Kopfwunde 
gründlich revidiert hat. Erst Erfahrungen, wie sie wohl 
jeder einzelne hat machen müssen, haben uns dazu ge¬ 
führt, die frühzeitige aktive chirurgische Versorgung 
auch an anderen schweren Wunden zu versuchen. Im 
Anfang ist wohl mancher, in der falschen Lehre be¬ 
fangen, mit einem gewissen Bangen daran gegangen, 
solche frischen Wunden ausgiebig zu spalten und zu 
drainieren. Auch mir ist es so gegangen, und erst als 
ich zu meiner Freude die gefürchtete Reaktion auf den 
Eingriff ausbleiben sah, bin ich kühner geworden und 
habe solche Wunden, auch wenn sie noch keine Zeichen 
schwerer Infektion darboten, nach diesen Grundsätzen 
behandelt. Einen Schaden habe ich davon niemals ge¬ 
sehen, aber sehr viel Nutzen. Ich glaube, es gilt heute 
auch wohl allgemein als Regel, dass solche schweren 
Granatverletzungen frühzeitig chirurgisch zu revidieren 
sind. Durch Inzisionen und Gegenöffnungen ist für mög¬ 
lichst guten Sekretabfluss zu sorgen, alle Fremdkörper 
und losen Knochensplitter sind möglichst zu entfernen. 
Selbstverständlich wird man sich nicht darauf versteifen, 
unter allen Umständen jeden Granatsplitter herauszu¬ 
holen. 

Es lag nun sehr nahe, dass man sich bei solchen 
frühzeitigen Wundreinigungen der in der Friedenszeit 
ganz aus der Mode gekommenen Wundspülungen be¬ 
diente, die einmal die mechanische Reinigung wesent¬ 
lich unterstützen, dann aber auch sicher eine grosse 
Menge oberflächlicher Wundkeime herausschaffen Ein 
schonenderes Verfahren als das Ausspülen mit dem 
Wasserstrahl kann es ja nicht geben. Ich habe im An¬ 
fang zu diesen Spülungen mehr in der Absicht, auf diese 
Weise immer eine keimfreie Spülflüssigkeit zur Hand zu 
haben, schwache Kresolseifenlösung benutzt. Bald bin 
ich aber dazu übergegangen, gerade die frischen Granat¬ 
verletzungen ausgiebig mit 3 Proz. Karbollösung aus¬ 
zuspülen. Schon rein mechanisch ist von der Karbol¬ 
lösung eine sichere Wirkung zu erwarten, weil sie in 
einen innigeren Kontakt mit dem Gewebe tritt als die 
schleimige, fadenziehende Kresolseifenlösung. Im letzten 
Winter und Frühjahr, wo ich reichlich Gelegenheit 
hatte, schwere Granatsplitterverletzungen am ersten oder 
zweiten Tag nach der Verletzung in Behandlung zu 
nehmen, habe ich dieses Verfahren ausgiebig angewandt 
und bin mit den Erfolgen ausserordentlich zufrieden ge¬ 
wesen. Eine Anzahl der Fälle zeigte schon, obwohl 
kaum 24 Stunden seit der Verletzung vergangen waren, 
Erscheinungen schwerer Infektion. Bei anderen war dies 
noch nicht der Fall, aber nach den Erfahrungen mit der ab¬ 
wartenden aseptischen Behandlung solcher Verletzungen 
mit Sicherheit zu erwarten. Bei den Fällen mit sehr 
grossen Wundbuchten und bei Verletzung der grossen 
Gelenke habe ich nur die Vorsicht gebraucht, mit einer 
indifferenten Lösung nachzuspülen und einen Alkohol¬ 
verband angelegt. Gerade bei den Verletzungen der 
grossen Gelenke, deren ernste Prognose ja bekannt ist, 
meine ich, einen sehr günstigen Einfluss gesehen zu 
haben. Ich glaube, dass man mit solchen antiseptischen 

Digitized by Google 


Spülungen die in der Wunde noch zurückbleibenden 
Keime in ihrer Lebenskraft doch erheblich schädigen 
kann, ohne dass man die natürlichen Schutzvorrichtungen 
des Gewebes ausschaltet. 

Man wird nicht verlangen, dass ich die Überlegen¬ 
heit der antiseptischen Behandlung solcher Fälle durch 
statistische Zahlen beweise. Diese Aufgabe kann denen 
Vorbehalten bleiben, die später einmal das jetzt in den 
Krankengeschichten aufgespeicherte Riesenmaterial zu 
sichten haben. Bei dem Material des einzelnen spielt 
die Schwere des einzelnen Falles und manches andere 
eine viel zu grosse Rolle. Zahlenunterschiede, wie sie 
sich bei vergleichenden Statistiken aus der Zeit vor und 
nach L i s t e r ergaben, sind aus naheliegenden Gründen 
natürlich nicht zu erwarten. Der Vorzug der anti¬ 
septischen Behandlung dieser Fälle braucht sich ja auch 
nicht ausschliesslich in den Endresultaten zu offenbaren, 
sondern kann sich oft viel mehr in dem klinischen Ge¬ 
samtverlauf ausdrücken. So glaube ich entschieden 
die Beobachtung gemacht zu haben, dass- die Wunden 
sich bei den täglichen Karbolspülungen schneller reinigen 
und frische Granulationsbildung zeigen. Vielleicht ist 
dies ein Ausfluss einer gewissen Ätzwirkung, die bei 
diesen Fällen aber durchaus nichts schadet, da sie ja 
nur einen natürlichen Vorgang beschleunigt. 

Mit einer gewissen Genugtuung habe ich gesehen, 
dass v. H e r f f (Münch. Mediz. Wochenschrift 1915, 
Nr. 17) in einer sehr lesenswerten Studie über die 
Wirkungsweise der verschiedenen antiseptischen Mittel 
der Karbolsäure einen ersten Platz einräumt. Weil sie 
bei grosser Wasserlöslichkeit keine festen Verbindungen 
mit den Körpereiweissen eingeht, hält er sie einer grösseren 
Tiefenwirkung für fähig und sieht in ihr ein sehr zu¬ 
verlässiges Mittel, die gewöhnlichen Eitererreger in einer 
Wunde in ihrer Entwicklung zu schädigen. Er beklagt 
es geradezu, dass man sich dieser Vorzüge der Karbol¬ 
säure nicht mehr bei Behandlung der Kriegsverletzten 
bedient. 

Bei Durchsicht der einschlägigen Literatur, soweit 
sie mir zur Verfügung steht, kann ich feststellen, dass 
die Stimmen, die einer antiseptischen Behandlung der 
schweren Schusswunden das Wort reden, sich immer 
zahlreicher hervorwagen. Auch bei unseren feindlichen 
Fachgenossen hat sich diese Wandlungvollzogen. Einzelne 
wie der Engländer Cheyne gehen sogar sehr rück¬ 
sichtslos mit antiseptischen Mitteln gegen die Wund¬ 
keime vor. Auch der bekannte französischeChirurgDoyen 
hat sich, „veranlasst durcli die vielen Todesfälle im An¬ 
fang“ zum Kriegsantiseptiker bekehrt. 

Die Zahl der in Deutschland empfohlenen Mittel ist 
gross. Am meisten empfohlen und auch tatsächlich an¬ 
gewandt wird Wasserstoffsuperoxyd. Geradezu als 
Spezifikum wird es betrachtet in dem Kampf gegen die 
Erreger der Gasphlegmone. Ich glaube jedoch, dass man 
mit Schlüssen, die man aus guten Erfahrungen bei Be¬ 
handlung der Gasphlegmone ableitet, vorsichtig sein 
muss. Nach meinen Erfahrungen hängt die Prognose 
der Gasphlegmone in erster Linie davon ab, dass sie 
rechtzeitig in sachgemässe chirurgische Behandlung 
kommt, eine Eigenschaft die sie mit manchen anderen 
chirurgischen Krankheiten gemein hat. Kommt man 
frühzeitig, bevor es zu schweren Allgemeinerscheinungen 
gekommen ist, dazu, ausgiebig zu spalten, dann ist die 
Behandlung dieser schweren Wundkomplikation durch¬ 
aus dankbar. Ohne Zweifel erfreut sich Wasserstoff¬ 
superoxyd der grossen Beliebtheit wegen seiner voll¬ 
kommenen Ungiftigkeit, sicherlich ein grosser Vorzug. 
Die rein mechanische Wundreinigung, die durch das 
Aufschäumen erzielt wird, wird durch eine gründliche 
Ausspülung ebenso sicher und bequem erreicht. Was 
die Furcht vor unangenehmen Nebenwirkungen betrifft, 
so muss ich zum Schluss nochmals betonen, dass ich 
Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 6 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


53 


von den Spülungen mit 3 Proz. Karbollösungen unter 
den oben angegebenen Vorsichtsmassregeln niemals einen 
Schaden gesehen habe. Wenn die Gefahr, damit zu 
schaden, wirklich so gross wäre, dann müsste sich das 
bei der Behandlung so grosser Wunden doch einmal ge¬ 
zeigt haben. Gegenüber den von manchen geübten 
Pinselungen der Wunden mit Jodtinktur hat die Karbol 
Behandlung den Vorzug der Schmerzlosigkeit. 

Über den Krieg hinaus dürfen wir für die Friedens¬ 
praxis die Lehre ziehen, dass eine verständige anti¬ 
septische Behandlung verunreinigter Wunden durchaus 
erlaubt und sogar geboten ist. Karbolspray und feuchter 
Karbolverband sollen deswegen aber nicht wieder auf¬ 
erstehen. 


Ueber die Prognose der Unfallneurosen. 

Von Dr. Paul Horn-Bonn, Oberarzt am Krankenliause der 
Barmherzigen Brüder. 

Eines der umstrittensten Gebiete der gesamten 
inneren Medizin, um das bereits eine fast unübersehbar 
gewordene Literatur entstanden ist, haben von jeher 
die Unfallneurosen dargestellt. Nicht nur Fragen rein 
klinischer Natur und ihre Abgrenzung gegenüber Simula¬ 
tion haben, besonders anfangs der 90 er Jahre, lange 
Zeit im Mittelpunkt der Diskussion gestanden, sondern 
auch die Frage nach der Prognose nervöser Unfallfolgen 
hat zu langwierigen Erörterungen geführt. Überblickt 
man, nachdem jetzt mehrere Dezennien seit dem ersten 
Bekanntwerden der Unfallneurosen verflossen sind, rück¬ 
schauend den von der Forschung zurückgelegten Weg, 
so lässt sich zusammenfassend sagen, dass im allgemeinen 
mit der Änderung unserer Anschauungen über das 
Wesen der Unfallneurosen auch eine Wandlung in der 
Prognosebeurteilung einhergegangen ist. 

Bekanntlich fassten die älteren Autoren, vor allem 
Erichsen, Leyden, Erb und Be rnhardt 
die ursprünglich mit dem Namen „ r a i I w a y 
s p i n e“ belegten nervösen Störungen als Erscheinungen 
einer organischen Rückenmarksschädigung auf. So 
schreibt Erichsen in seiner grundlegenden Arbeit 
,On railway and other injuries of the nervous System“ 
(Deutsch von Kelp, Oldenburg 1868) : ,,Das ganze Ge¬ 
folge der Nervenerscheinungen, welche durch Stossen, 
Schütteln und Schlagen gegen den Körper entstehen, 
und welche für die sogen. Rückgratserschütterung als 
charakteristisch beschrieben sind, ist in der Wirklichkeit 
als der Entzündung der Rückgratshäute und des Marks 
angehörend zu betrachten“. Dementsprechend sah 
Erichsen auch die Prognose als mindestens dubiös 
an. Ein Teil der Fälle führe sofort oder allmählich zum 
Tode und nur dann sei die Möglichkeit einer vollkommenen 
Wiederherstellung nicht zu bezweifeln, „wenn die i 
Symptome das erste Stadium nicht überschritten, wenn 
keine Entzündung in Mark und Häuten stattgefunden 
und wenn der Patient sonst jung und gesund“ sei. 
Diese E r i c h s e n’sche Anschauung hat lange Jahre 
hindurch auf die ganze Neurosenforschung einen be¬ 
stimmenden Einfluss ausgeübt und noch jetzt gibt es, 
wie ich wiederholt in Gutachten feststellen konnte, Arzte, 
die das Wesen der Unfallneurosen in einer schweren 
Schädigung der nervösen Zentralorgane erblicken. Ge¬ 
wiss gibt es Fälle von Hämatomyelie, von 
Blutungen in die Meningen und s o n - 
stigen organischen Läsionen, die an das 
E r i c h s e "n’sche Bild erinnern und trotz ihres häufig 
in klinischer Beziehung rein funktionellnervösen 
Krankheitsbildes, besonders in den späteren Stadien der 
Erkrankung, wo die akuten Erscheinungen (Blasen- 
Mastdarmstörungen, motorische und sensible Lähmungs¬ 
und Reizerscheinungen usw.) zurückgegangen sind, einer 
organischen Grundlage nicht entbehren, doch han- 


Digitized by 


Google 


delt es sich hier zweifellos um Ausnahmefälle. Auch 
die Schädelbasisbrüche, die ja fast stets zu 
einem rein funktionellnervösen Zustandsbiide führen, ob¬ 
wohl sie im Grunde genommen sicher eine or¬ 
ganische Schädigung darstellen, haben nur 
ausnahmsweise ernstere Spätfolgen (Opticusatrophie, 
Entwicklung einer lokalisierten Arteriosklerose der Ge¬ 
hirnbasis u. ä.). Das Gros der Unfallneurosen, mögen 
sie nun nach Schreck, Kopfkontusion, allgemeiner Er¬ 
schütterung, sonstiger lokaler Läsion oder Intoxikation ent¬ 
standen sein, ist aber zweifellos frei von ernsteren 
organischen Schädigungen. Schon Mo e 1 i, der das 
Erichs* n’sche Bild der „railway spine“ erheblich 
erweiterte und modifizierte, hat darauf hingewiesen, dass 
der Schwerpunkt der Erkrankung keineswegs stets in 
spinalen, sondern häufiger noch in zerebralen und be¬ 
sonders in psychischen Alterationen zu 
suchen ist und dass bei ihrem Zustandekommen nicht 
nur der rein mechanischen Erschütterung, sondern auch 
dem bei dem Unfall einwirkenden Schreck eine wesent¬ 
liche Bedeutung zugeschrieben werden muss, eine An¬ 
schauung, die durch die Beobachtungen von W i 1 k s , 
Putnam, Thomsen und Oppenheim ihre 
volle Bestätigung fand. Vor allem aber haben die 
klassischen Untersuchungen von C h a r c o t über das 
Wesen der von ihm als traumatische Hy¬ 
sterie aufgefassten Erkrankungen eine ausschlag¬ 
gebende Wendung herbeigeführt und das frühere Dogma 
der organischen Schädigung zu Fall gebracht. Aber 
nicht nur hinsichtlich der Krankheitsätiologie sind damit 
der Forschung vollkommen neue Wege erschlossen 
worden, sondern auch die Prognose der Unfallneurosen 
konnte von da an in weniger trübem Lichte betrachtet 
werden. 

Immerhin fehlte es nicht an Stimmen, die trotz aller 
Anerkennung des in der Hauptsache psychogenen Ur¬ 
sprungs der Erkrankung nach wie vor an ihrer pessi¬ 
mistischen Beurteilung festhielten. Insbesondere haben 
die Anschauungen Oppenheims, der bei 
Charakterisierung des Zustandsbildes der „traumatischen 
Neurosen“ geradezu trostlose Krankheitstypen beschrieb, 
auf Jahre hinaus ihren Einfluss beibehalten. Ja es kam, 
vielfach in missverständlicher Deutung der von 
Oppenheim beschriebenen Krankheitsbilder, so weit, 
dass die Ideenassoziation Unfall — „traumatische Neu¬ 
rose“ —- dauernde Invalidität fast dogmatischen Cha¬ 
rakter annahm. Oppenheim selbst vertrat den 
Standpunkt, dass vollständige Heilung „selten“, wesent¬ 
liche Besserung „bei geeignetem Regime“ „nicht unge¬ 
wöhnlich“ sei, betonte aber, dass die Zahl derjenigen, 
bei denen auch nach Abschluss des Entschädigungs¬ 
verfahrens das Leiden seinen Fortgang nehme, grösser 
sei als die Zahl der Gebesserten bezw. Geheilten. 
Auch ein von der medizinischen Fakultät der Univer¬ 
sität Berlin am 5. Mai 1891 erstattetes Obergutachten 
hob hervor, dass Fälle von Heilung nur wenig und nur 
mit langem Verlaufe bekannt geworden seien. 
Richter äusserte sogar die Ansicht, dass die „trau¬ 
matischen Neurosen“ „nicht selten“ in der Weise ver¬ 
liefen, dass sie den Patienten schliesslich in die Irren¬ 
oder Pflegeanstalt brächten. Auch Bruns, Sachs 
und Freund, Bailey, Verhoogen, Fran- 
cotte, Gaupp, Huguenin, u. a. haben sich 
im ganzen sehr zurückhaltend über die Prognose der 
Unfallneurosen ausgesprochen. Nur vereinzelt (Fr. 
Schult ze, Sänger) wurden gegenteilige Ansichten 
laut. 

Völlige Klarheit und'einen wohl endgültigen Um¬ 
schwung in der Prognosebeurteilung haben aber erst 
die eingehenden katamnestischen Untersuchungen 
der letzten Jahre in überzeugender Weise erbracht. So 
fand Wimmer (Kopenhagen), dass von 104 in den 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








54 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 6. 


Jahren 1898 bis 1907 vom dänischen Arbeiterversicherungs- 
rate behandelten Fällen, die sämtlich die erste Rate der 
in Dänemark vorgesehenen zweizeiligen K a - 
italabfindu ng erhalten hatten, 54 Patienten 
ei der Nachuntersuchung als im praktischen Sinne ge¬ 
heilt und 16 weitere Fälle bis zur 2. Entscheidung als 
so weit gebessert anzusehen waren, dass die im dänischen 
Unfallversicherungsgesetz vom 7. Januar 1898 vorge¬ 
sehene zweite Kapitalabfindung nicht mehr in Frage 
kam. Im ganzen konnte W i m m e r feststellcn, dass 
von 63 Fällen „reiner“ traumatischer Neurose (bei Aus¬ 
schluss von Schädelverletzungen) unter dem Einflüsse 
der zweizeitigen Kapitalabfindung 93,6 Proz. als im so¬ 
zialen Sinne dauernd geheilt anzusehen waren. Auch 
N ä g e 1 i (Zürich, jetzt Tübingen) konnte für die 
Schweiz nachweisen, dass von 138 abgefundenen Fällen 
von „traumatischer Neurose“ 115 (=83 Proz.) bei der 
Nachprüfung als voll erwerbsfähig zu betrachten waren; 
bei den übrigen war aber ebenfalls , eine durch die 
Neurose als solche bedingte Erwerbseinbusse 
nicht anzunehmen. Ebenso ermittelte Bi llström 
(Stockholm) unter 103 abgefundenen Unfallneurotikern 
90 Proz. Arbeitsfähige. Als prognostisch günstigste 
Formen bezeichnet B i I 1 s t r ö m die lokalen und 
monosymptomatischen Hysterien, während er Prozessauf¬ 
regungen und Entschädigungen seitens der Versicherungs¬ 
gesellschaften als heilunghemmendes Moment betrachtet. 
Aber auch bei den Rentenempfängern war 
nachzuw'eisen (Wassermeyer, Schaller, 
Fr. S c h u I t z e und Stursberg), dass „die Vor¬ 
hersage der Unfallneuroscn keineswegs ungünstig“ sei, 
konnten doch W assermeyer unter 21 Fällen 
9,5 Proz. Geheilte und 28,5 Proz, Gebesserte, Schaller 
unter 43 Fällen 9,3 Proz. Geheilte sowie S c h u 1 t z e 
und Stursberg unter 172 Fällen 25,5 Proz. Ge¬ 
heilte oder Gebesserte ausfindig machen. Vergleicht 
man indessen diese bei Rentenempfängern gewonnenen 
Resultate mit den Abfindungsergebnissen, so unterliegt 
es nicht dem geringsten Zweifel, dass die Pro- 
gnosebeiRentenempfängern sich un¬ 
vergleichlich ungünstiger gestaltet 
als bei abgefundenen Fällen. 

Auch meine eignen Untersuchungen, die sich sowohl 
auf Rentenempfänger als auch auf Abgefundene er¬ 
streckten, haben mir in eklatantester Weise gezeigt, 
dass die weitere Gestaltung des 
Krankheitsverlaufes bei Unfallneu¬ 
rosen zum grossen Teile, wenn nicht 
ausschliesslich, von der Handhabung 
des Entschädigungsverfahrens ab¬ 
hängt. Unter einem Material von 136 abge- 
fundenen Unfallneurotikern (nervöse Erkrankungen 
nach Eisenbahnunfällen) konnte ich durch eingehende 
katamnestische Untersuchungen bereits wenige Jahre 
nach der Abfindung feststellen : 

Heilung im sozialen Sinne bei. 70 Pioz. 

wesentliche Besserung bei. 16 „ 

keine Änderung bei.11,8 „ 

Verschlimmerung bei .. 2,2 ,, 

Demgegenüber liess sich unter 31 Renten¬ 
empfängern desselben Materials nur in 
2 Fällen im Laufe des Rentenverfahrens eine derartige 
Besserung konstatieren, dass eine Rentenminderung vor¬ 
genommen werden konnte. 27 Fälle blieben unverändert 
und 2 zeigten eine Verschlimmerung. Dabei hebe ich 
ausdrücklichhervor, dass schwerwiegende Komplikationen, 
z. B. Alkoholismus, Herzleiden, Arteriosklerose, wie sie 
bei den unverändert gebliebenen Abgefundenen anzu¬ 
treffen und als heilunghemmendes Moment anzusehen 
waren, bei den Rentenempfängern eine viel ge¬ 
ringere' Rolle spielten als bei den Abgefundenen, 
und dass ferner die Unfallschädigung an und für sich 

Digitized by 



bei den Rentenempfängern keine schwerere war als bei 
den übrigen Fällen. Auch der Umstand, dass ein grosser 
Teil der Rentenempfänger vom Unfallstage an bis zur 
ersten Rentenfestsetzung eine zum Teil sogar bedeutende 
Besserung erfuhr, beweist, dass es sich keineswegs um 
von vornherein hoffnungslose Fälle handelte. Um so 
schwerwiegender fällt ins Gewicht, dass mit dem 
Augenblick der Rentenfestsetzung 
in vielen Fällen der bis dahin günstige Heilungsverlauf 
eine direkte Hemmung erfuhr oder sogar 
ein starker Rückschlag erfolgte, sicher ein 
Hinweis, dass die Ursache der mangelnden Heilungs¬ 
tendenz bei Unfallneurosen vielfach im Rentenver¬ 
fahren als s o I c h e m zu suchen ist. Auch bei 
meinen späteren Untersuchungen über Schreck- 
n e u r o s e n war festzustellen , dass die Renten¬ 
empfänger in gleicher Weise wie die noch unerledigten, 
meist prozessierenden Fälle sich bemühten, unter allen 
Umständen ihren Krankheitszustand zu konser¬ 
vieren; haben doch derartige Patienten, solange sie 
noch Aussicht auf irgendwelche Unfallentschädigung be¬ 
sitzen, nur in den wenigsten Fällen ein Interesse daran, 
gesund zu werden und finden wir doch gerade bei ihnen 
immer wieder Versuche, durch Vortäuschung von Krank¬ 
heitssymptomen ihren tatsächlichen Zustand in un¬ 
günstigerem Lichte erscheinen zu lassen. Ganz besonders 
bei den Eisen bahn Unfallverletzten, die 
ja in der Regel erheblich höhere Entschädigungen be¬ 
ziehen als Unfallverletzte Arbeiter , machen sich 
Simulationsversuche oft in krassester Form 
bemerkbar. Jedenfalls konnten wir bei 54,1 Proz. 
unserer Fälle starke Aggravation (partielle Simulation) 
objektiv nachweisen. Aber auch bei den übrigen Gruppen 
von Unfallneurotikern tritt das Bestreben, die einmal er¬ 
kämpfte Rente unter Benutzung jedweder Mittel sich zu 
erhalten, immer wieder zu Tage. Vor allem haben aber 
die mit dem Entschädigungskampf verbundenen Sorgen, 
Aufregungen und Ärgernisse zweifellos einen unheil¬ 
vollen Einfluss und trüben sicher die Heilungsaussichten 
in weitestem Masse. Nicht nur die Suggestionen Dritter 
und die eignen Befürchtungs- und Begehrungsvorstellungen, 
sondern auch die vielfachen Vernehmungen, ärztlichen 
Untersuchungen und Anwaltsbesprechungen wirken auf 
die Dauer ungünstig ein, so dass es nicht wunder nehmen 
kann, dass ursprünglich günstig erscheinende Fälle im 
Laufe des Entschädigungskampfes zu „R e n t e n- 
kampfneu rosen“ sich entwickeln. 

Derartige verschleppte Fälle, die Jahre 
lang prozessieren, die nie zur Ruhe kommen, immer 
neue Beichwerden Vorbringen und nach hypochondrisch¬ 
querulatorischer Richtung sich verändern, haben zweifel¬ 
los eine weniger günstige Prognose als solche, die inner¬ 
halb der ersten Monate ihre definitive finanzielle Er¬ 
ledigung finden. Dass die einmalige Kapitalabfindung 
auf die Prognose des Falles um so günstiger wirkt, j e 
früher sie stattfindet, dürfte daraus zu ent¬ 
nehmen sein, dass unter meinem Material die im 
ersten Jahre Abgefundenen in 90 Proz. der Fälle, 
die nach dem 1. Jahre Abgefundenen in 80 Proz., die 
nach dem 2. Jahre Abgefundenen in 70 Proz. und die 
nach dem 3. Jahre Abgefundenen nur in 55 Proz. der 
Fälle Heilung oder wesentliche Besserung erkennen 
Hessen. 

Aber auch die Art des vorliegenden 
Symptomenbildes ist für die Prognose¬ 
beurteilung von Bedeutung. Die günstigsten Heilungs¬ 
aussichten haben zweifellos die Schreckneurosen, 
d. h. diejenigen Erkrankungsformen, bei denen der Unfall 
lediglich in einer starken emotionellen Einwirkung be¬ 
stand und keine körperliche Verletzung erfolgte. Von insge¬ 
samt 79 abgefundenen Schreckneurotikern unseres Ma¬ 
terials, über deren weiteres Ergehen ich nähere Mit- 
Origiral Wem 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









Nr. 6. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


55 


teilungen erhalten konnte, waren im Durchschnitt 2 Jahre 
nach der Abfindung 

geheilt im soz. Sinne 58 Fälle = 73,4 Proz. | 07 a p 
wesentlich gebessert 11 „ = 14,0 ,, J ’ 


unverändert . . 9 „ =11,4 „ | , p 

verschlimmert . . 1 Fall = 1,2 „ j 1 roz ' 

Unter 65 Fällen von Kommotionsneurosen 
zerebralenT yps (Contusio capitis und Commotio 
cerebri) fand sich Heilung im soz. Sinne bei 70 Proz., 
unter 20 Fällen von Kommotionsneurosen 
spinalen Typs (Commotio spinalis) bei 55 Proz. 
und bei 59 Fällen von Neurosen nach son¬ 
stiger lokaler Läsion (Kontusion, Zerrung 
usw.) bei 71 Proz. Im allgemeinen kann man sagen, 
dass die leichteren Formen von Schreckneurosen oft 
schon in wenigen Monaten zum Abklingen kommen 
(Reichardt, Stierli n), dass die mittelschweren, 
nichtkomplizierten Fälle durchschnittlich innerhalb zweier 
Jahre soweit ausheilen, dass eine Erwerbsbeschränkung 
nicht mehr besteht und dass nur in sehr schweren, ver¬ 
alteten und organisch komplizierten Fällen mit einer 
längeren Heilungsdauer zu rechnen ist. Bei Kommo¬ 
tionsneurosen zerebralen wie spinalen Typs dürfte in 
abzufindenden, nichtkomplizierten Fällen im Durchschnitt 
ein 3 bis 5 jähriger Verlauf zugrunde zu legen sein, 
während die Neurosen nach lokaler Verletzung sowie 
nach Intoxikationen (Verbrennungen, septischen Er¬ 
krankungen usw.) je nach den vorliegenden Sym* 
ptomen bald ein rascheres, bald ein langsameres 
Abklingen erwarten lassen. Im ganzen ist jeden¬ 
falls daran festzuhalten, dass im Falle recht¬ 
zeitiger Kapitalabfindung alle nicht 
komplizierten Unfallneurosen mit überwiegender Wahr¬ 
scheinlichkeit in wenigen Jahren zum völligen Abklingen 
kommen. 

Liegen Komplikationen mit orga¬ 
nischen Leiden, z. B. schwerer Arteriosklerose, 
Lues, Herzleiden, Tuberkulose, Diabetes mellitus oder 
mit Alkoholismus vor oder besteht eine schwere psy¬ 
chopathische Konstitution, so ist im all¬ 
gemeinen mit einem etwas längeren Verlaufe zu rechnen, 
wobei es dann weiterhin natüilich von ausschlaggebender 
Bedeutung ist, ob das komplizierende Leiden ebenfalls 
durch den Unfall in Mitleidenschaft gezogen worden ist 
oder nicht. Auch die Komplikation von Commotio 
cerebri mit Schädelbasisbruch erfordert 
grössere Vorsicht und Zurückhaltung. Jedenfalls kann 
man bei den mit schweren organischen Komplikationen 
einhergehenden Krankheitsformen die bei den „nicht¬ 
komplizierten“ Fällen gewonnenen Erfahrungen nur mit 
Vorbehalt verwerten und wird trotz aller Vorzüge der 
baldigen Kapitalabfindung doch in einzelnen Fällen zu 
einem abwartenden Verfahren raten. Nur bei 
schwererpsychopathischerKonslitu- 
t i o n , die in der Regel das Zurückgehen der durch 
den Unfall bedingten Schädigung bezw. Verschlimmerung 
nur um 1 bis 2 Jahre verzögert, ist wie bei den nicht- 
komplizierten Fällen alsbaldige Abfindung 
am Platze; kommen auch solche Fälle im Hinblick auf 
die bestehende Konstitution nicht zur Ausheilung im 
strengsten Sinne des Wortes, so pflegt doch nach Weg¬ 
fall des Entschädigungskampfes langsam — mitunter 
aber auch wie bei vielen Unfallneurotikern überraschend 
schnell! — derjenige Zustand sich wiederherzustellen, 
der vor dem Unfälle bestand. Im übrigen muss natür- 
ich die eingehende Untersuchung und Beobachtung des 
Einzelfalles die Entscheidung treffen, wie ja überhaupt 
gerade bei den Unfallneurosen strengste Individualisierung 
geboten ist und alle Angaben obenerwähnter Art nur als 
allgemeine Richtlinien betrachtet werden 
können. 


Digitized by 


Google 


Dass auch die neuere Rechtsprechung 
unseren jetzigen Anschauungen über die Prognose ner¬ 
vöser Unfallfolgen Rechnung getragen hat, möchte ich 
nur nebenbei erwähnen. Auch das Eingehen auf manche 
Reform Vorschläge (Abänderung des § 843, s B. G. B., 
Erhöhung der Abfindungsgrenze bei gewerblichen Un¬ 
fällen auf 33 Vs Proz. u. a ) würde mich an dieser Stelle 
zu weit führen. Ebenso brauche ich nur kurz zu er¬ 
wähnen , dass langwierige Behandlungen, 
Sanatoriumsaufenthalte usw. nur in 
Ausnahmefällen tatsächliche Erfolge bringen. Immerhin 
sollte in jedem Falle wenigstens ein Behand¬ 
lungsversuch gemacht werden, haben uns doch 
noch die jüngsten Mitteilungen von Nonne gezeigt, 
dass beispielsweise Neurosen bei Kriegsteilnehmern auf 
suggestivem W e g e in oft überraschend kurzer 
Zeit zum Schwinden kommen. Auch bei herunterge¬ 
kommenen, blutarmen, entkräfteten Individuen ist eine 
Behandlung durchaus am Platze. Im einen oder anderen 
Falle kann es immerhin gelingen, die Störungen zu be¬ 
seitigen, ehe die Entschädigungsangelegenheit zur Auf¬ 
rollung kommt; leider sind aber die meisten Patienten, 
vor allem die Haftpflichtfälle, schon vorher durch gute 
Freunde und Winkeladvokaten auf übertriebene Ent¬ 
schädigungsansprüche hingelenkt worden. Fälle, in 
denen gröbere Simulation nachzuweisen ist, sind von 
vornherein für jede Behandlung aussichtslos. Der 
Schwerpunkt der ganzen Neurosenfrage bleibt, das 
möchte ich zum Schlüsse nochmals mit allem Nachdruck 
hervorheben, zweifellos die Handhabung der 
ganzen Entschädigungsangelegen¬ 
heit. Auch der Einfluss des behandeln¬ 
den Arztes ist natürlich oft von entscheidender Be¬ 
deutung und in dieser Hinsicht kann nicht eindringlich 
genug gefordert werden, die immer noch oft vertretene 
Auffassung der Unteilbarkeit der 
Unfallneu rosen endgül tig aufzugeben. 
Vor allem ist aber auch notwendig, darin stimme ich 
Nonne vollkommen bei, die unglückselige Be¬ 
zeichnung „traumatische Neurose“, 
die vielfach nichts anderes ist als ein Deckmantel für 
alle möglichen unklaren, schlecht untersuchten Fälle und 
der noch immer das Odium der „Unheilbarkeit“ nervöser 
Unfallfolgen anhaftet, unter allen Umständen 
zu vermeiden und sie zu ersetzen, wie ich schon 
früher wiederholt gefordert habe, durch die Bezeichnung 
„Unfallneurosen“ mit ihren klaren, eindeutigen, fest um¬ 
schriebenen Untergruppen: Schreckneurosen, Kommo¬ 
tionsneurosen zerebralen und spinalen Typs, Neurosen 
nach sonstigen lokalen Läsionen, Intoxikationsneurosen 
und Mischformen, zu denen als „sekundäres Stadium“ 
der Unfallneurosen dasjenige der Rentenkampfneurosen 
hinzutritt. Nur bei klarer Erfassung und Differenzierung 
der einzelnen Krankheitsformen wird auch die Beur¬ 
teilung der Prognose auf gefestigter Grundlage stehen. 

Leitsätze. 

1. Die Unfallneurosen stellen prinzipiell 
heilbare Erkrankungen dar. 

2. Für die Weitergestaltung sind ausschlaggebend 
einerseits die Handhabung der Ent- 
schädigu ngsangelegenheit, andererseits 
das Fehlen oder Vorhandensein von Komplika¬ 
tionen. Auch der Einfluss des behandelnden Arztes 
ist oft von grundlegender Bedeutung. 

3. Bei baldiger Kapitalabfin d u n g ist in der 
Regel in wenigen Jahren völlige soziale 
Wiederherstellung zu erwarten, während 
bei langwierigen Prozessen sowie bei Renten- 
ge Währung die Heilung verzögert wird. 

4. Bei Komplikationen mit organischen 
Erkrankungen richtet sich die Prognose zum grossen 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





5b 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 6 


Teil nach der Natur des Grundleidens und erfordert 
vorsichtigere Beurteilung. 

5. Notwendig ist, den N amen „traumatische 
N e u r o s e“, mit dem vielfach immer noch der Begriff 
der Unheilbarkeit verbunden wird , fallen zu 
lassen und ihn je nach dem vorliegenden Krankheits¬ 
bilde durch die differenzierten Bezeichnungen : Schreck¬ 
neurosen, Kommotionsneurosen zerebralen und spinalen 
Typs, Neurosen nach sonstigen lokalen Läsionen, In¬ 
toxikationsneurosen sowie Rentenkampfneurosen (sämt¬ 
lich Untergruppen der „U nfallneurose n“) zu er¬ 
setzen. 


Literatur. 

1. Bailey: Prognos. of traumat. Hyst. Med. Record. 

Aug. 24. 1901. 

2. Bernhardt und K ro nt h a 1 : Fall von sog traumat. 
Neurose mit Sektionsbefund. Neur. Zentralblatt 1890. 

3. B i 1 1 s t r ö m : Studien über die Prognose traumatischer 
Neurosen. Hygiea Nor. 1910. 

4. Bruns: Die traumatischen Neurosen, in Nothnagel. 
Bd. XII. 1901. 

5. C h a r c o t: Neue Vorlesungen über die Krankheiten des 
Nervensystems Deutsch 1886. 

6. Erichsen: On railway and other injuries of the nervous 
System. London 1866. Deutsch von Kelp, Oldenburg 1868. 

7. Francotte: Quelques observations etc. Bull, de l'acad. 
royale de med. de Belg. 28. Februar 1903. 

8 F r i e d e 1 : Zur Prognose der traumatischen Neurose. 
Mon. f. Psych u. Neur. Bd. 25, 3. 

9. Oaupp: Einfluss der deutschen Unfallgesetzgebung usw. 
M. m. W. 1906, 46 

10. Horn: Über nervöse Erkrankungen nach Eisenbahnunfällen 
mit besonderer Berücksichtigung ihrer Beeinflussung durch Kapital¬ 
abfindung bezw. Rentenverfahren. Bonn 1913, Marcus u. Weber. 

11. Horn: Über Simulation bei Unfallverletzten und Invaliden. 
Ärztl. Sachv. Zeitung 1913, 11 und 12. 

12. Horn: Über die neuere Rechtsprechung bei Unfallneu¬ 
rosen Berlin 1915. Rieh. Schoetz 

13. Horn: Über Schreckneurosen in klin. und unfallrechtlicher Be¬ 
ziehung. D. Zeitschr f. Nervenh. Bd. 53. 1915. 

14. Horn: Zur Heilbarkeit der Schreckneurosen nach Ab¬ 
findung. Zeitschrift für Bahn- und Bahnkassenärzte 1915, 9. 

15. Huguenin: Dje Prognose der traumatischen Neurose. 
Korresp -Blatt f. Schweizer Ärzte 1904, 19. 

16. L a q u e r: Die Heilbarkeit nervöser Unfallfolgen. Halle 

1912. 

17. M o e I i : Über psych. Störungen nach Eisenbahnunfällen. 
Berl. klin W. 1881, 6. 

18. Nage li: Nachuntersuchungen bei traumat. Neurosen. 
Korresp.-Blatt für Schweizer Ärzte, 1910, 2 und 3 

19. Nonne: Soll man wieder „traumatische Neurose" bei 
Kriegsverletzten diagnostizieren? Med. Klin. 1915, 31, 

20. Oppenheim: Die traumatischen Neurosen. Berlin 1889 
und 1892 

21. Placzek: Müssen Unfälle nervöse Folgen haben? Med. 
Klin. 1913, 49 - 52. 

22. Reichardt: Über die Folgen psych. Vorgänge auf 
Körper und Seele. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 1914, 2 
und 3. 

23. Richter: Verlauf traumatischer Neurosen. Berl. Klin. W. 
Heft 74. 1895. 

24. Rigi er: Über die Folgen der Verletzungen auf Eisen¬ 
bahnen. Berlin 1879. 

25. Rigi er: Die Bekämpfung der traumatischen Neurose 
usw. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 1909, 6. 

26. Sachs und Freund: Erkrankungen der Nerven nach 
Unfällen. Berlin 1899. 

27. Sänger. Die Beurteilung der Nervenerkrankungen nach 
Unfall Stuttgart 1896 

28. Sänger: Nerv. Folgezustände nach Eisenbahnunfällen. M. f. 
Psych. u Neurol Bd. X 1901. 

29. Schal ler: Unfallneurosen. Diss. Tübingen 1910. 

30. Fr. Schultze: Sammlung klin. Vortr 1890 

31. „ Weiteres über Nervenerkrankungen und 

Trauma. Zeitschrift f. Nervenh. 

32. Fr. Schultze u. Stursberg: Erfahrungen über Neu¬ 
rosen nach Unfällen. Wiesbaden 1912, Bergmann 

33. S t i e r I i n : Über die mediz. Folgezustände der Katastrophe 
von Courrieres etc. Berlin 1909. 

34. Verhoogen: Sur les pronostic de l'hyst. traumat.Journ 
med. de Bruxelles 1903, 33. 

35. Wassermeyer: Über den Verlauf posttraumat. Nerven¬ 
krankheiten. Diss. Bonn 1902. 

36. Wimmer: Über die Prognose der traumatischen Neuros" 
und ihre Beeinflussung durch die Kapitalabfindung. Zentral-Blatt f. 
Nervenh. u. Psych. 1906. 


Digitized by 



Der Zucker als antiseptisches und Wund- 
heilmittel. 

Von Dr. med. R a t n e r - Wiesbaden. 

Die epochemachende Entdeckung L i s t e r s in der 
letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wirkte wie ein 
mächtiger Blitzstrahl auf die medizinischen Anschauungen 
damaliger Zeit. 

Wie berauscht standen die Arzte vor der wuchtigen 
Tatsache und warfen alle bisherigen Anschauungen der 
damaligen Wundheillehre über den Haufen. Alles sah das 
Heil im chemischen Desinfektionsmittel .... Die 
chemisch-pharmazeutische Industrie war auf der Suche 
nach neuen Desinfektionskörpern, arbeitete fieberhaft — 
und so entstand eine ganze Reihe organischer Wund¬ 
heilmittel, speziell aus der Benzol- und Teergruppe, aber 
auch manches anorganische wie das Sublimat, das 
aluminium aceticum. Allmählich aber gaben beobachtete 
Tatsachen den Chirurgen viel zu denken. Denn die 
chemischen Desinfektionsmittel waren meist gar nicht 
so unschuldig, bildeten vielmehr giftige Substanzen, 
welche sog. Nebenerscheinungen verursachten, die nicht 
selten wahre Intoxikationen waren, trotz aller Vor¬ 
sicht bei der Anwendung. Und so kam die Idee auf, 
nach mehr m echanischen, ungiftigen Wundheil - und 
antiseptischen Mitteln zu suchen. Zuerst bewiesen Ver¬ 
suche mit Alkohol, — welcher äusserlich angewandt bei¬ 
nahe ungiftig ist, — dass er ein mächtiges Agens für 
die Aseptik in sich enthält. Dann kamen die Jod¬ 
bepinselung des Operationsfeldes, die Bolus alba usw. 
an die Reihe. 

Nun wird nach jüngsten Versuchen auch der Zucker 
unter die Desinfektions- und Wundheilmittelaufgenommen. 
Man bedenke, welcher Vorteil, welche Bequemlichkeit, in 
dem in jedem Haushalt zu habenden Süssstoffe sofort 
bei jeder Verwundung ein gutes Heilmittel an der Hand 
zu haben ! 

Zuerst wurde der Zucker als Fleischkonservierungs¬ 
mittel angewandt. Nach dem „Centralblatt für Zucker¬ 
industrie“ ist der Zucker sehr geeignet zur Fleisch¬ 
konservierung, da er infolge seiner Beschaffenheit frei 
von Bakterien ist und zweifellos anti¬ 
septische Eigenschaften besitzt. Das 
Fleisch erleidet durch den Zucker eine Beize, wird 
hart und zu einem festen Blocke, in welchem alle 
Eigenschaften des frischen Fleisches 
enthalten bleiben. Legt man frisch geschlachtetes Fleisch 
in Zucker (Puderzucker), so wird der austretende Fleisch¬ 
saft, das Blut usw. durch diesen aufgesogen; das Fleisch 
wird allmählich ausgetrocknet, behält aber seine Be¬ 
standteile bei. So konserviertes Fleisch kann in Gefässen 
z B. den Soldaten ins Feld zur Verpflegung mitgegeben 
werden, da es nach Öffnung des Verschlusses und 
Entnahme von Stücken nicht dem Verderben ausgesetzt 
ist. Ebenso lassen sich Geflügel, Fisch, Früchte aut 
dieselbe Weise konservieren. (Dass wir im Kochsalz ein 
gutes Nahrungskonservierungsmittel besitzen, ist ja seit 
uralter Zeit bekannt! Vielleicht beruht auch darauf 
das strenge Gebot bei den Juden, Fleisch vor der 
Verwendung eine Stunde lang zu salzen nachdem es 
vorher im Wasser '/* Stunde eingeweicht wurde. Un¬ 
gesalzenes Fleisch, welches drei Tage nach dem 
Schlachten gelegen, darf überhaupt bei Juden 
nicht mehr genossen werden 1 Sehr vernünftige 
sanitäre Massregel zur Vermeidung von Massenver¬ 
giftungen durch Botulismus, wie sie noch vor gar nicht 
langer Zeit in Berlin vorgekommen sind!) 

Zur Verwendung des Zuckers für antiseptische Wund¬ 
behandlung war nur ein Schritt! Wie Dr. Fac k en- 
h e i m (Kassel) in der Münch. Med. Wochenschrift 
29, 1915 mitteilt, hat er Kristallzucker in einem Kriegs¬ 
lazarett nicht nur bei gutartigen,sondern auch bei stark- 

Original frorn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. f>. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


57 


eiternden grossenVerwundungennebstSubstanzdefekten j Verband. Also: Simplex signum veritatis! Einfach 
mit grossartigem Erfolg angewandt. Die Heilung ging und praktisch. Möchte man da nicht unsern polyprag¬ 
glatt und rasch vor sich, die früher übelriechenden, | matischen Heilmitteljägern mit Recht das Dichterwort 
eiternden Flächen reinigten sich nach einigen Tagen und j zurufen : „Wozu in die Ferne schweifen, sieh’, das 
zeigten gute Granulationen. Bedeckt w'ird die Wund- Gute liegt so nah’“! 
fläche nur mit Zellstoff und darüber abschliessenden | 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Ein Heimstättengesetz für unsere Krieger. 

Von Ko I b-München. 

Ausgehend von der voraussichtlichen Mietsteigerung, 
die auch nach dem siegreichen Ende des jetzigen 
Krieges zu erwarten ist, wird ein Reichsgesetz 
vom V erein für Bodenreform vorgeschlagen, das den 
heimkehrenden Kriegern den Erwerb einer Heimstätte 
durch Hergabe billigen Bodens gegen massige unkünd¬ 
bare Rente und mittelst günstigen Baudarlehns für Stadt 
und Land ermöglicht. 

Ausser den bekannten gesundheitlichen Schäden der 
bisherigen Wohnungsnot wird besonders auf 
ihren Zusammenhang mit dem Geburtenrückgang und 
dann ihre Ursachen und Bekämpfung hingewiesen. Nicht 
nur die ungesund gebauten, sondern noch viel 
mehr die teueren Wohnungen sind zu 
bekämpfen. Dazu ist aber vor allem die Be¬ 
schaffung billigen Bodens nötig, da die namentlich durch 
die Spekulation erhöhten Kosten des Bodens die Her¬ 
stellung der Häuser unverhältnismässig verteuert. 

Die Annahme des Gesetzes ist darum — in Rück¬ 
sicht auf unsere verdienten Krieger, wie auf das Ge¬ 
meinwohl — vor allem auch von den Ärzten mit aller 
Kraft zu befürworten. (M. m. Wschr., Nr. 35, 1915.) 

Autoreferat. 


Frühdiagnose der Wirbeltuberkulose mit einigen 
therapeutischen Bemerkungen. 

Von Dr. Th Janssen in Davos. 

Bei der jetzigen aussichtsreichen Behandlungsweise 
der Wirbeltuberkulose ist die frühzeitige Diagnose wich¬ 
tig, zumal da bei falscher Beurteilung der in Frage 
kommenden Fälle grosser Schaden angerichtet werden 
kann durch eine falsche Therapie. 

An einer Reihe von Beispielen, die vorgeführt 
werden, kann man sehen, wie oft eine Wirbeltuberkulose 
verkannt wird, weniger mit tuberkulösen Drüsen und 
Lungeninfiltrationen in der Hilusgegend, als mit Pleu¬ 
ritis, Neuralgie, Lumbago, Ischias und Appendizitis 
kommen Verwechslungen vor. Oft rezidivierende Pleu¬ 
ritis, besonders nach längerem Gehen hat nicht selten 
ihren Grund in einer Spondylitis. Lumbago- und Ischias¬ 
ähnliche Schmerzen beruhen häufig auf einer Erkrankung 
der Wirbelsäule, appendizitisähnliche Schmerzen führen 
manchmal zu einer Entfernung des Wurmfortsatzes, wo 
es gar nicht nötig wäre. 

Die ersten Symptome einer beginnenden Wirbel¬ 
säulentuberkulose bestehen meist in Beschwerden bei 
längerem Stehen und Sitzen. In etwas weiter vor¬ 
geschritteneren Fällen treten Schmerzen nach längerem 
Spazierengehen auf, und zwar ausser an den erkrankten 
Stellen oft auch am oberen und unteren Ende der Ver- 
tebra, die, wenn sie einseitig ausstrahlen, leicht mit Pleu¬ 
ritis verwechselt werden, bei doppelseitigem Auftreten 


Digitized by Google 


eine Art von Gürtelgefühl darstellen. Bei tieferem Sitz 
der Erkrankung sind die Nervendruckschmerzen meist 
nicht am Mac Burneyschen Punkt, sondern an der 
Innenkante der Darmbeinschaufel und im weiteren Ver¬ 
lauf des nervus ileo-inguinalis lokalisiert, häufiger als im 
Ischiadicusgebiet. Später wird die Diagnose leichter 
durch Einsinken eines Prozessus, darauf tritt erst der 
Gibbus auf. 

In der Behandlung hat die konservative Methode 
die chirurgische mehr verdrängt, aber nicht die ortho¬ 
pädische, die absolut nötig ist neben der Bestrahlung 
mit Sonnen- und Quarzlicht. Die Ruhigstellung wird 
durch Lagerung auf Hirsespreumatratze erzielt, durch 
eine besondere Vorrichtung das schonende Umbetten 
erleichtert. Die Ganzbestrahlung wird Teilbestrahlungen 
vorgezogen. Nach Konsolidierung ist noch mindestens 
ein Jahr lang ein Stützkorsett zu tragen. 

Die Erfolge im Hochgebirge sind meist recht gute, 
auch in vorgeschritteneren Fällen. (M. M. Wschr. Nr. 35, 
1915.) Autoreferat. 


Lieber die Kühlung der Röntgentherapieröhren 
mit siedendem Wasser. 

Von Dr B u ck i, Berlin. 

Während man bisher ängstlich darauf bedacht war, 
die Temperatur des Wassers in den sogenannten W’asser- 
kühlröhren nie so hoch steigen zu lassen, dass das 
Wasser etwa anfängt zu kochen, so haben uns die neu¬ 
esten Untersuchungen gezeigt, dass dieser Umstand nicht 
etwa unerwünscht ist, sondern im Gegenteil sogar ganz 
besondere Vorteile in sich birgt. Während man bisher 
befürchtete, dass die Röhre durch die erhöhte Tempe¬ 
ratur bis zum Siedepunkt des Wassers dazu neigte, weich 
zu werden, haben die Versuche gezeigt, dass dies durch¬ 
aus nicht der Fall ist, sondern im Gegenteil, dass die 
Röhre durch die Konstanz der Temperatur bei 100° 
in ihrem Härtegrad viel konstanter bleibt während eines 
Betriebes, der ihr früher nie hätte zugemutet werden 
dürfen (bis 5 Milliamp. Belastung!!). Die Konstanz der 
Temperatur wird aber gerade dadurch erreicht, dass 
das Wasser zum Sieden gebracht wird, da ja dann das 
Wasser bekanntlich immer eine Temperatur von 100" 
haben muss. Auffallend ist der ruhige und schöne Gang 
der Röntgenröhren bei dieser Temperatur, sodass diese 
Beobachtung die Annahme gestattet, dass die Röhren 
bisher durch die anderen Kühlmethoden unterkühlt 
worden sind. Bei dem Betrieb mit dem siedenden 
Wasser wird die Röhre auf das Äusserste geschont, ihre 
Lebensdauer wird ganz enorm verlängert. Im übrigen 
fallen alle umständlichen Kühlvorrichtungen, Pumpen usw. 
vollkommen fort, sodass der Betrieb wesentlich verein¬ 
facht wird. Die Siederöhren werden von der Firma 
C. H. F. Müller in Hamburg hergestellt. (M. m. Wschr. 
Nr. 34, 1915.) Autoreferat 


Original ffotn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






58 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN, 


Nr. 6. 


Referate und Besprechungen. 


Kinderheilkunde und SSuglingsernährung. 

H e 8 b (Strassburg.) Dl« Azidität d«s Süuglingsmagcns. 
(Ztschr. f. Kinderhlke. 12. Bd. 6. H.) 

Erst mit etwa 9 Monateu zeigt der Magen des Säuglings 
die für die Pepsinwirkung erforderliche Höhe. 

S t r a u s s - Mannheim. 

Reiche (Berlin): Lues congenita bei Frühgeburten. 
(Ztschr. f. Kinderhlke. i2. Bd. 6. Heft) 

' Unter 200 beobachteten Frühgeburten waren 10 sichere 
Fälle von Lues, von denen 8 im 1. bis 2. Monat starben. 

S t r a u s s - Mannheim 

Reiche (Berlin): Das Wachstum der Frühgeburten in 
den ersten Lebensnionaten. (Zeitschrift für Kinderheilkunde. 
12. Band, 0. Heft.) 

Aus Untersuchungen an 100 Fällen von frühzeitig ge¬ 
borenen Kindern mit einem Geburtsgewicht von 840 g bis 
2500 g, von denen 73 als gesund, 27 als krank zu betrachten 
waren, ergibt sich als wesentliches Resultat, dass das extra¬ 
uterine Wachstum gesunder Frühgeburten annähernd nach den¬ 
selben Gesetzen erfolgt, als wenn sie noch im Mutterleibe sieb 
befänden. S t r a u s s - Mannheim. 

V a 8 (Budapest): Erklärung der Ent-ttehungsweisc des 
Spasmus nutans beim Kinde mit Hille des Bedingungsnflexes. 
(Jahrb. f. Kinderhlke. Bd. 82. H. 2.) 

Die eigentümlichen, horizontalen oder vertikalen, unwill¬ 
kürlichen Kopfbewegungen beim Säugling und kleinen Kinde, 
gewöhnlich mit Nystagmus verknüpft, sind schon von Raudnitz 
auf den Aufenthalt in schlecht beleuchteten Räumen zurück¬ 
geführt worden, wodurch das Kind gezwungen wird, seine kopf¬ 
bewegenden Muskeln forciert zu innerviereil. Der gleiche 
Zwaug kann auch in gut beleuchteten Wohnungen bestehen, 
wenn das Kind veranlasst wird, seinen Blick beständig gegen 
jineu glitzernden Gegenstand hin zu wenden. In diesen hier¬ 
durch ständig überanstrengten Muskeln treten abnorme Inner¬ 
vationen auf und dadurch entwickelt sich als pathologischer 
Bedingungsreflex die ständige spastische Bewegung. 

S t r a u s s - Mannheim. 

Marie Baum (Düsseldorf : Die Kriegswocbenhille. 
(Zeitschrift für Siiuglingsfürsorge. Bd. 8, No. 9.) 

Ausführliche Wiedergabe der beiden Bundesratsverordnungen, 
die vom Standpunkt des praktischen Mutter- und Kinderschutzes 
nicht hoch genug veranschlagt werden können und als wichtiger 
Grundstein für die Friedensarbeit begriisst werden. 

S t r a u s s - Mannheim. 

Batkin (Zürich): Dl« Dicke des Ftttpolstcrs bei ge¬ 
sunden und kranken Kindern. (Jahrb. f. Kinderhlke. Bd. 82. 
Heft 2.) 

Nach dem Vorgang Oders wurde versucht, mittels 
Kaliberzirkels die Dicke der Hautfett-Falte an verschiedenen 
Stellen des Körpers zu bestimmen und damit (durch Halbierung 
der gewonnenen Zahl) ein objektives Mass des Fettpolsters zu 
bekommen. Kontrolle an der Leiche ergaben die annähernde 
Richtigkeit des Resultats. 8 t r a u s s - Mannheim. 

Mary Eisenstädt (Zürich): Die Säuglingssterblich¬ 
keit in den Städten der Schweiz, spec. in Davos der 
Jahre 1900—1909. (Ztschr. f. Säuglfürs. Bd. 8, No. 9.) 

Während bei den meisten deutschen Städten aus bekannten 
Ursachen ein bedeutender Sommergipfel der Säuglingssterblich¬ 
keit zu konstatieren ist, stellt diese Arbeit unter 18 schweizerischen 
Städten nur bei 4 einen ausgesprochenen Sommergipfel, bei 4 
andern eine gleiche Höhe der Sterblichkeit im Sommer und 
Winter, hei 10 Städten sogar eine höhere Winter- als Sommer¬ 
sterblichkeit der Säuglinge fest. S t r a u s s - Mannheim. 

Pöteri (Budapest): Die Röntgen-Untersuchungsergebnisse 
des Dick dar ms Im Säuglings- und im späteren Kindesalter. 
(Jahrb. f. Kinderhlke. Bd. 82. H. 2.) 

Die Untersuchungen erfolgten zum Teil unter Anwendung 
von Baryumstärke Klysmen, zum Teil unter oraler Verabreichung 
einer mit Thoriumoxydat vermischten Miiehgrütze. Die letzteren 

Digitized by Google 


Versuche ergaben als physiologisches Resultat, dass die Füllung 
des Colon bei grösseren Kindern 7 — 8 Stunden nach der Ver¬ 
zehrung des Thorium-Breis beginnt, dass das Colon in der IC. 
bis 18. Stunde vollkommen gefüllt und nach 22 — 30 Stunden 
wieder entleert ist. S t r a u s s - Mannheim. 

D u t o i t (Montreux): Über Syphilis hrrediiaria praecox 
et tarda. — (Der Kinderarzt. Bd 26, No. 10) bringt nur eine 
Zusammenfassung bekannter Tatsachen. 

S t r a u s s - Mannheim. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Weygandt, Kriegspsychiatrische Begutachtungen. 
(Münchener mediz. Wochenschrift. No. 37. Feldärztliche Bei¬ 
lage, 1915.) — 

Die Erfahrungen sind gesammelt im „Reservelazarett 
Friedrichsberg“. W. unterscheidet 3 verschiedene dem Psychiater 
vorkommende Fragen: 1. Dienstfähigkeit. 2. Dienstbeschädiguug 
3, Zurechnungsfähigkeit Ad 1. Diejenigen, welche wir mit 
unseren modernen Untersuchungsmethoden und bei der Ver¬ 
feinerung unseres klinischen Erkennens alle noch zu den 
Psychotischen rechnen, sind nicht allesamt generell als dienst¬ 
untauglich anzusehen. „Manche Fälle von Schock und Er¬ 
schöpfung können wieder vollkommeu dienstfähig werden und 
recht zahlreiche Fälle von Hysterischen, auch Epileptischen 
und manchen anderen Störungen leichterer Art können sich 
doch soweit erholen, dass sie wenigstens als garnisondienst- 
tauglich zu bezeichnen sind; unter Umständen vermögen sie 
auch in der Etappe und Armierungsarbeit noch gute Dienste 
zu leisten. Auf manche, wie Hysterisch-Pseudologistische, könnte 
der Dienst bei den Armierungstruppen geradezu therapeutische 
Wirkung ausüben“ Infektions- und Alkoholdelirauten können 
nach der Heilung sehr wohl wieder dienstfähig, selbst felddienst¬ 
fähig sein und garnisondienstfähig ist auch die überwiegende Mehr¬ 
zahl der Psychopathen. Ad.2. Fast alle Psychosen könueu wenigstens 
durch den Kriegsdienst ausgelöst werden ; es kommt darauf an, was 
vorher bestand. A ls zweckmässigempfiehlt W.folgende Formulierung 
für die vom Arzt zu beantwortende Frage: „ob sich ein Zu¬ 
sammenhang des krankhaften Zustandes mit der Kriegsteilnahme 
annehmen lässt.“ Bezügl. der traumatischen Neurose folgt dann 
eine eingehende Polemik gegen die Anschauungen Oppen¬ 
heims, deren Befolguug seitens der Gutachter eine lawinen¬ 
artige Vermehrung der Rentenhysteriker verursachen würde. 
Ad. 3. Nur in einem kleinen Teil seiner Fälle konnte W. den 
Schutz des § öl zubilligen, noch seltener glatte Ablehnung des¬ 
selben, manchmal wurde die Zurechnungsfähigkeit als fraglich, 
die Unzurechnungsfähigkeit als wahrscheinlich hingestellt, mehr¬ 
fach wurde die Unzurechnungsfähigkeit abgelehnt unter Hervor¬ 
hebung, dass doch eine nicht bedeutungslose geistige Minder¬ 
wertigkeit vorliege Bezügl. der Diagnosen der Untersuchungs¬ 
gefangenen waren Epilepsie in */ 4 aller Fälle vertreten, dann 
mehrfach Alkoholstörungen, vereinzelt auch Paralyse, Hirn¬ 
syphilis, Hebephrenie und Dementia praecox. 

Wern. H Becker - Herborn. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

A 1 b u : Die Regelung der Diät bei Marienbader Kuren. 
(Z. f. Baln., Klimatol. u Kurort-Hyg. VIII, 2 / 4 ). 

Die Diiit ist abhängig von den Indikationen eines Kur¬ 
ortes. Dabei sind „strenge Indikationen und Kontraindikationen“ 
nicht mehr anzuerkennen; denn am gleichen Kurort finden ent¬ 
gegengesetzteste Zustände erfolgreiche Behandlung, weil es an- 
kommt „nicht auf die qualitative und quan¬ 
titative Zusammensetzung der Quellen 
allein, sondern auf die individuelle Art 
der Verabreichung und auf Kombination 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







N'r. 6. 


59 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


mitallen übrigen Heilfaktoren des Kur¬ 
orte s“. 

Die Quellenwirkung ist verschieden je nach Menge, Tem¬ 
peratur, Häufigkeit des Trinkens, sowie nach dem Genuss in 
Ruhe oder bei reichlicher Bewegung. — 

Marienbad, früher bloss Dorado der Fettleibigen, ist 
heute als einer der ersten Luft- und Terrainkurorte der ge¬ 
eignetste Platz für Neurastheniker, Fettleibige, 
Herzkran ke und ältere Leute. Bei dieser Indi¬ 
kationserweiterung kann von einheitlicher Diät nicht mehr die 
Rede sein, da die Diät nicht der Quellenzusarnmensetzung, 
sondern der Krankheit anzupassen ist. 

Fettleibige, Neurastheniker und chronisch Obstipierte ziehen 
grössten Nutzen aus vegetarischer Diät, die zu 
Unrecht ein Stiefkind der ärztlichen Praxis ist und dringendste 
Empfehlung verdieut Der gegen sie erhobene Vorwurf der 
Geschmacklosigkeit und Monotonie ist bei Beherrschung der 
Kochkunst grundfalsch, ihre Einführung in die Speisehäuser ist 
sehr wünschenswert. 

Für Fettleibige und Obstipierte sind 
grobe, schwer verdauliche Formen zu wählen, zellulosereiche 
Vegetabilien, die füllen, sättigen, Schlacke bilden, durch ihre 
Menge und Bildung organischer Säuren und Gase poristaltisch an¬ 
regen, aber weniger nähren. Kombinationen mit Buttermilch, 
Kefir, Yoghurt, Obst sind vorteilhaft. Getränke (Zitronen¬ 
limonade mit Saccharin, Apfelwein, auch Kaffee, Tee, Selters) 
brauchen nicht beschränkt werden bei Fettleibigen, nur die nähr¬ 
stoffreichen Suppen sind auszuschalten. 

Bei Nervösen setzt vegetarische Kost in Dauer von 
4—6 Wochen durch Wegfall der Fleischbasen und Salze die 
Reizempfindlichkeit des Nervensystems herab. 

In ihrer laktovegetabilen Form eignet sich 
die vegetarische Kostwahl zur Behandlung von Magen- 
und Duodenalgeschwüren, chronischen 
Katarrhen mit Diarrhoe, gastrogenen 
Diarrhoen, atrophierender Gastritis, 
nervöser Achylie, Enteritis, Colitis, 
harnsaurer Diathese usw , wobei feinverteilte, 
breiige Konsistenz der Nahrung nötig ist. Die kalkhaltige 
Rudolfsquelle, dem Wildungerwasser nahestehend, ist dabei ein 
trefflich nutzbarer Heilfaktor. 

Auch bei Leberschwelluugen und chro¬ 
nischer Appendizitis wird sich, wenn auch nicht 
rein vegetarische Diät, so doch reichlicher und regelmässiger 
Genuss von Salaten, Gurken, Obst, Kompott und Gemüsen zur 
rascheren Darmentlastung empfehlen. Die angebliche Unver¬ 
einbarkeit einer solchen Diät mit der Trinkkur ist wissenschaft¬ 
lich abgetan. Vielmehr ist die so erzielte ausgiebige Mischung 
verschiedenster Salze höchst erwünscht „zur Erhaltung und 
Herstellung eines konstanten und normalen Salzgemisches im 
Blute“. 

Weiterhin ist bei Arteriosklerose und Ple¬ 
thora vera schlackenreiche, weniger ausnutzbare Nahrung 
angezeigt. Alkohol, Kaffee und Milch (wegen des Kalkgehalteslj 
sind zu meiden. 

Nach fast allgemeiner wissenschaftlicher Anschauung ist 
der Kaloriengehalt unsrer Tagesnahrung zu hoch, insbesondere 
der Eiweissgehalt infolge abundanten Fleisehgenusses. Quan¬ 
titative Nahrungseinschränkung ist d a - 
heroft die wichtigste Behandlung. Hierzu 
i?t eine Ausgestaltung der Speisehäuser zu förmlichen diätetischen 
Pensionen zu fordern, in denen abgewogene Fleisch- und 
Nahrungsportionen gereicht werden, wobei eine etwaige Lebens¬ 
verteuerung durch grösseren Kurerfolg unstreitig aufgewogen 
würde 

Hinsichtlich der mit dem stark eisenhaltigen Ambrosius¬ 
brunnen behandelten Blutarmut endlich ist mit Sicher¬ 
heit zu sagen, dass die früher so beliebte Milchkost bei den 
ohnehin meist pastösen Mädchen nicht berechtigt erscheint, sich 
vielmehr wiederum frische Gemüse, Salate, Obst bewähren, also 
eine an Salzen reiche Nahrung. Auch hier stört die Trinkkur 
keineswegs. 

Badekuren endlich sind nur im Verein mit 
dihtetischeu Massnahmen als erfolgversprechend zu erachten. 
Das Gleiche gilt fürhydriatische Prozeduren, 

Digitized by Google 


z. B. bei Fettleibigen, und für die elektrische Methode der 
Entfettung nach Bergoniö. „Die Regelung 
der Diät ist und bleibt der Angelpunkt 
hei jeglicher Behandlung von Verdau¬ 
ung»- und Stoffwechselkrankheite n“ 

Th. Vier n stein - Kaisheim. 


Medicamentöse Therapie. 

\ o i g t , Güttingen: Uber kolloidales Silber. — WaR für 
kolloidales Silber wird intravenös injiziert? (Theran. Monatsh. 
Nr. 9, 1914.) 

Für seine Versuche zum Zwecke des Studiums der Ver¬ 
teilung und des Schicksals des kolloidnlen Silbers im Säuge* 
tierorganismus hat Verf. eine Reibe von kolloidalen Silber¬ 
präparaten versucht, um unter diesen dasjenige herauszufinden, 
welches zur intravenösen Injektion am geeignetsten wäre. Nach¬ 
dem der Silbergebalt der einzelnen Präparate bestimmt worden 
war, wurden von den festen kolloidalen Silberpriiparaten 
Lösungen bezw. Hvdrosole hergestellt. Sodann wurde der 
Lineardurchmesser der einzelnen submikroskopischen Silber¬ 
teilchen bestimmt Die Resultate dieser Untersuchungen, welche 
mit dem neuen Mikroskop von Zsiginondy gefunden wurden, 
sind folgende: 


Präparat 

Auggangs- 

konzen- 

tration 

Proz. 

Verdünnung 
derselben 
zum Zählen 

Teilchen¬ 
zahl in^u3 
der Aus¬ 
gangs- 
Lösung 

Linear- 

durch- 

mesferder 

Teilchen 

in 

12prozeutiges Kallargol 

9,576 

1:80 000 

1400 

18,7 

Fulmargin, stark 
Elektrargol 

0,12 

1:640 

13,4 

10,3 

0,2 

1:200 

5,18 

15,45 

Argoferment 

0,042 

1:200 

2,1 

26,7 

R. u. Sch , trocken 

0,1 

1:600 

8,41 

14,2 

Carey Lea 

1,6 

1:8000 

131,5 j 21,9 
Neumann. 


Bernstein (ttpenick : Mundwsser in lester Form. 
i.D. zahnärztl. Wschr. Jalirg. 18. Nr. 38) 

Bernstein berichtet zunächst über die Einwirkung 
des Lenicet-Mundwassers in fester Form auf Reinkulturen von 
Bakterien, die der Mundhöhle entstammten, und auch über die 
direkte Einwirkuug auf Speichel; auf Grund der Versuche 
kommt er zu dem Ergebnis, dass das Lenieet-Mundwasser eine 
bemerkenswerte antiseptische Wirksamkeit gegenüber Fäulnis- 
und Eiterbakterien entfaltet. Infolge dieser hervorragenden 
autiseptischen Eigenschaft benutzte Bernstein das Lenicet- 
Mundwosser in starker Lösung bei eiuer grossen Anzahl 
ulzeröser Stomatitiden wie auch zur Wundbehandlung im 
Munde mit gutem Erfolg; hiernach ist die Verwendung des 
Mundwassers bei einfachen katarrhalischen Erscheinungen sowie 
in schwächerer Lösung zur täglichen Mundpflege durchaus 
empfehlenswert. In der von Prof. Schroeder geleiteten 
chirurgisch-prothetischen Abteilung des Zahnärztlichen Universitäts- 
Institutes zu Berlin ist nach Bernstein das Lenicet-Mund- 
wasser in fester Form ein sehr willkommenes Hilfsmittel bei 
der Behandlung von Kieferschussverletzungen und zwar zur 
Reinigung der mit Schienen versehenen Kiefer. Die Patienten 
des Universitäts-Institutes benutzen es gern wegen seines an¬ 
genehmen erfrischenden Geschmacks Als besonders empfehlens¬ 
wert hebt Bernstein die Verwendung des Lenicet- 
Mundwassers in fester Form bei der Reinigung von künstlichen 
Gebissen hervor; es wird aus der sehr handlichen Streudose 
direkt auf die Prothese gestreut und mit eiuer feuchten Zahn¬ 
bürste gründlich gesäubert. 

Die praktische mit Streuvorrichtung versehene Metalldose 
ist ebenfalls ein grosser Vorzug beim täglichen Gebrauch, sowie 
auf Reisen und im Felde. 

Hersteller des Lenicet - Mundwasserg in fester Form ist 
Dr. Rudolf Reiss, Rheumasan- und Lenicet-Fabrik, Charlotten¬ 
burg 4. N e u m a n n. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




60 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 6. 


Bücherschau. 

Prof. Dr. A. Albu (Berlin): ßrundziige tiir die Er¬ 
nährung von Zuckerkranken, nebst praktischen Anweisungen für 
die IHabeteskiiche (nach weiland Dr. Gilberts Diabetesküche). Ver¬ 
lagsbuchhandlung Carl Marhold, Halle a. S. Preis gebunden 
Mark 4. — . 

Das kleine Werk hält vollkommen, was es dem Titel nach 
verspricht. In wohltuender Kürze, fortwährend den erfahrenen 
Praktiker und dabei wissenschaftlichen Therapeuten verratend, 
bringt der Verfasser zunächst die Grundzüge und Sätze für die 
Feststellung der Diät der Zuckerkranken (Teil I). Mit Recht 
ist dabei grösster Nachdruck auf das Wesen uud das ursäch¬ 
liche Verständnis des Diabetes gelegt, neben der Toleranz- 
prüfung die Notwendigkeit der Feststellung der individuell stark 
schwankenden Ausnutzung der Kohlehydrate — im allgemeinen 
wie speziellen — betont und an praktischen Beispielen und 
Tabellen, die sich vielleicht noch übersichtlicher gestalten Hessen, 
der praktisch so heilsame Erfolg der genauen Zuckerstoffwechsel- 
untersuchung jedes Diabetikers dargelegt. Besonders erfreulich 
ist es, dass Albu der kritiklosen Anwendung der praktisch 
sicherlich überschätzten Haferkureu entgegentritt, dafür den Wert 
der Gemüsekuren und besonders der vegetarischen Kuren her¬ 
vorhebt und zu allgemeiner Bedeutung bringt. In diesem Sinne 
werden im II. Teil (Nahrungsmitteltabellen) ausführlich die 
einzelnen Nahrungsmittel erwähnt und erörtert, uud mancher 
Arzt wird wertvolle Angaben besonders bei den vielfach noch 
ungekannten Gemüsen, besonders denjenigen, die ohne Ein¬ 
schränkung erlaubt sind, finden. Die 4 Tabelle dieses II. Teiles 
(Gleichwertigkeitstabelle) bildet in praktischer Hinsicht den 
Höhepunkt bezüglich der Brauchbarkeit: die grosse Bedeutung 
von Mass und Gewicht für jeden schwereren Diabetes wird so 
am natürlichsten zur strengen Pflicht gemacht Im III, Teil 
(besondere Nahrungsmittel für Zuckerkranke) kritisiert der Ver¬ 
fasser äusserst geschickt und wahr: schon dieses Kapitel allein 
müsste von jedem praktischen Arzte gelesen werden. Es folgen 
„Prophylaktische Ratschläge und Prognose des Diabetes“ 
(Teil IV) und schliesslich die „Diabetesküche“ (Teil V). Die 
einzelnen Bestandteile der Nahrung werden besprochen, die 
schmackhafte und zweckentsprechende Zubereitung jeder einzelnen 
Gattung hervorgehoben (besonders wieder Gemüse und Geldes) 
und an zahlreichen, äusserst brauchbaren Rezepten, die sich bis 
auf die kleinsten Küchengeheimnisse und Kniffe erstrecken, mit 
Beispielen belegt. — 

Im ganzen ein Buch, das, wie wenige, geeignet und be¬ 
stimmt ist, Gemeingut der Arzte jeder Richtung zu werden. An 
diesem Urteil ändern auch einige Kleinigkeiten nichts: So 
liesse sich vielleicht die Gesamlübersicht zwecks praktischer 
Handhabung noch zweckdienlicher gestalten, der Wert der 
absoluten Zahl der Zuckerausscheidung gegenüber der leider 
noch so verbreiteten (auch bei Ärzten!) Prozentberechnung 
müsste stärker betont werden ; auch mit der Alkoholfrage und 
dem Worte „ererbt“ dürfte mancher nicht einverstanden sein usw. 
All das tritt jedoch bei der im übrigen hervorragenden Dar¬ 
stellung und Abfassung des Büchleins ganz in den Hintergrund. 

Z a d e k. 


Neuere Medikamente. 

Das bisher nur in flüssiger Form hergestellte C h o 1 e v a 1, 
von Dr Duf aux in die Therapie eingeführt, wird neuerdings 
auch in fester Form in den Handel gebracht. Heisteller ist 
die Firma E. Merck in Darmstadt. Es ist ein haltbares 
10 Proz. Silber enthaltendes Präparat mit Natr. choleinic als 
Schutzkolloid; es ist geruchlos, leichtlöslich von schwach alkalischer 


Reaktion und muss vor Licht geschützt aufbewahrt werden. 
Für die Reise seien die genau dosierten Tabletten ä 0,25 oder 
0,5 empfohlen. 


Interessante Mitteilungen macht Unna über seine Ver¬ 
suche, das jetzt so Belten gewordene Glyzerin in der Ordination 
auszusclialten. Bekannt ist der Ersatz desselben durch Sir. 
simplex, Sir. communis oder eine konzentrierte Lösung von 
Calc. chlorat. cryst. Das wirksame Prinzip des Glyzerins bei 
jeder Art der Anwendung ist seine wasseranziehende Eigenschaft, 
die sowohl durch Zucker mehr noch durch Chlorcalcium voll 
erreicht wird Auch das Gleitbarraachen von Instrumenten oder 
operierenden Händen wird durch letzteres erreicht. Je nach 
Bedarf kann man, um Glyzerin auszuschalten, reine oder rohe 
Zuckerlösung mitChlorcalciumlösung in jedem Verhältnis mischen. 
Erprobte und empfehlenswerte Formeln sind: 


Statt: Glyzerin 11.0,— 
pro Clysma 


Calc, chlorat. cryst. 40,— 

Aqu. dest. 40,— 

Sir. simplex 20,— 
pro Clysma 
Wie nebenstehend 
anstatt Glyzerin 80,— 

Rep. Calc. chlorat. 40, — 

Aqu. dest. 15,— 

Sir. simpl. 25,— 

bei Zusatz von Ichthyol, überhaupt wo eine braune Farbe zu¬ 
lässig ist, empfiehlt sich an Stelle von Sir. splx. die Ordination 
von Sir. communis. 

Auch intern kommt den genannten Ersatzmitteln die gleiche 
Wirkung zu wie dem Glyzerin. 

Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten ausreichender Glyzerin¬ 
beschaffung verdienen obige Ausführungen grösste Beachtung 
und weiteste Verbreitung. 


Gelat. alb. 

30,— 

Aqu. dest. 

70,- 

Ziuc. oxyd. 

20,— 

Glyzerin. 

80,- 


Die Verwendung von Carbo ligni und Carbo animalis 
gegen Flatus und ähnliche Darmstörungen aller Art nimmt in 
der Allgemeinheit dauernd an Umfang zu. Schon seit langem 
bekannt und eingebürgert beginnt jetzt erst der Wert dieser 
Kohlepräparate beim Laienpublikum, aber auch bei der Ärzte¬ 
welt voll gewürdigt zu werden. Ira Auslande war der Gebrauch 
der Kohlepräparate ein viel verbreiteterer als bei uns, man be¬ 
gnügte sich hier sogar zumeist mit der Anwendung der fran¬ 
zösischen Pastilles du Dr. Belloc und der Tabloids der 
Firma Burrough, Wellcome and Co. 

Auch hierin hat der Krieg eine Wandlung gebracht 
Die Firmen E. Merck, Darmstadt. C. Boehringer & Söhne, 
Mannheim und Knoll & Co., Ludwigshafen bringen Tabletten, 
sogenannte Compretten, ä 0,25 Carbo sanguinis (Carbo animalis) 
zu 50 Stück in den Handel. Der bisherige Vertreter der oben¬ 
genannten Firma B. W. & Co. — C. Linkenheil — stellt eine 
Packung von Holzkohleprimoids in gleicher Form her, wie 
bisher die englische Firma Von dem österreichischen Verein 
für chemische und metallurgische Produktion in Wien wird eine 
besonders zum innerlichen Gebrauche bestimmte Tierkohle 
unter dem geschützten Namen Carbovent hergestellt und ver¬ 
trieben 

Das beste auf diesem Gebiete ist das unter dem Namen 
„Flatillol“ von der Apotheke am Eschenheimer Turm in 
Frankfurt a. Main hergestellte Präparat gegen Blähungen. 
Hyperacidität und gastrische Beschwerden aller Art. Es besteht 
aus einer Mischung von vegetabilischer und animalischer Kohle 
nebst einem Zusatz von Magnesia usta und Benzonaphthol und 
ist schwach aromatisiert. Die Anwendung erfolgt je nach Be¬ 
darf stündlich I—2 Tabletten trocken oder mit etwas in¬ 
differenter Flüssigkeit. Otto. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







33 Jahrgang 


1915/16. 


?ort$<brttte der Medizin. 


L. Brauer, 

Hamburg. 


Nr. 7 


Unter Iflilwirkuitg bervorragender Tacbmänner 


herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M. 


L. Hauser, 

Darmstadt. 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 


Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


10. Dezember 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Prüfung der Zusammenhangsfrage der trau¬ 
matischen Knochen- und Gelenktuberkulose. 

Von Dozent Dr. M o 1 i n e u s - Düsseldorf. 

(Nach einem Vorfrage gehalten an der Akademie für praktische 
Medizin in Düsseldorf.) 

Weit schwieriger als die prozentuale Bewertung von 
Unfallfolgen ist für den Ärztlichen Sachverständigen die 
Prüfung der Zusammenhangsfrage eines Leidens mit 
einem Unfälle. Die Klärung der Zusammenhangsfrage 
von Erkrankungen aller Art mit einem Unfälle hat seit 
dem Bestehen der sozialen Versicherungsgesetzgebung 
eine immer grössere Bedeutung erlangt, weil immer mehr 
seitens der versicherten Arbeiter bei allen möglichen 
Leiden und Erkrankungen die hierdurch bedingte Er¬ 
werbsbeschränkung ursächlich auf einen erlittenen Unfall 
zurückgeführt wird. Dies gilt besonders von der 
Knochen- und Gelenktuberkulose. Geradezu erschreckend 
ist die grosse Zahl von Fällen, in denen seitens der 
Versicherten ein tuberkulöses Knochenleiden mit einem 
Unfälle in Zusammenhang gebracht wird. Wenn man 
dann weiterhin berücksichtigt, dass derartige Fälle in 
der weitaus grösseren Mehrzahl zu dauernd schwerer 
Schädigung des Betroffenen führen (durch Resektion 
von Gelenken, Amputation von Gliedern) und dass diese 
Fälle sehr häufig die hohe Hinterbliebenenrente be¬ 
dingen, die Berufsgenossenschaften und auch die Privat¬ 
versicherungsgesellschaften also in diesen Fällen ausser¬ 
ordentlich hohe Entschädigungen zu leisten haben, sofern 
die Ansprüche anerkannt werden müssen, so wird man 
ohne weiteres das grosse Interesse der Versicherungs¬ 
träger an der Klärung dieser Zusammenhangsfrage zu 
würdigen wissen. 

Als Vertrauensarzt der Rheinischen landwirtschaft¬ 
lichen Berufsgenossenschaft, einer der grössten unserer 
Berufsgenossenschaften, habe ich auf Grund des 
hier gesammelten Materials feststellen können, dass 
die Fälle, in denen der Zusammenhang zwischen 
einem tuberkulösen Knochen- oder Gelenkleiden mit 
einem Unfälle behauptet wird, im Jahre nach Hunderten 
zählen. Und die Fälle, in denen seitens der Berufs¬ 
genossenschaft oder den Instanzen die Zusammenhangs¬ 
frage anerkannt wurde, belasten diese Berufsgenossen¬ 
schaft sehr erheblich. Ähnlich wird dies in mehr oder 
weniger grossem Masse auch bei den übrigen Berufs¬ 
genossenschaften usw. der Fall sein. 

Sehen wir uns die betreffenden Fälle näher an, so 
finden wir in den Attesten, vor allen Dingen in den¬ 
jenigen des behandelnden Arztes, immer wieder den 
Satz: „Tuberkulose der Knochen und Gelenke entsteht 
sehr leicht und insbesondere nach leichten Verletzungen. 

Digitized by Google 


Durch den Unfall ist ein wenig widerstandsfähiger Ort 
(locus minoris resistentiae) geschaffen worden, an dem 
die im Körper bereits latent vorhanden gewesenen 
Tuberkelbazillen sich ansiedeln, wachsen und vermehren 
konnten; die Knochentuberkulose ist daher Unfallfolge.“ 
M. H. So leicht lässt sich diese Zusammenhangsfrage 
nun doch nicht entscheiden. Wenn auch der geradezu 
berüchtigte obige Satz sich in vielen Obergutachten 
immer wieder findet, und wenn auch ein hervorragender 
Autor (R e n v e r s) einstens ausführte, dass die meisten 
ossalen Gelenktuberkulosen auf Traumen zurückzuführen 
seien, wenn auch nicht in jedem Falle ein Trauma nach¬ 
gewiesen werden könne, so werden Sie mit mir am 
Schlüsse darin übereinstimmen, dass das Gegenteil dieser 
Ansicht richtig ist, dass die Tuberkulose der Knochen 
und Gelenke sehr selten nach Traumen entsteht und 
dass es hierzu nicht eines sehr leichten Unfalls bedarf, 
sondern dass eine wesentliche, grössere Gewaltein¬ 
wirkung verlangt werden muss. Sie werden mit mir 
auf Grund der vorliegenden Krankengeschichten weiter¬ 
hin darin übereinstimmen, dass die Zusammenhangsfrage 
sich nicht nur durch ein kurzes Attest mit dem eben 
angeführten Schlusssätze erledigen lässt, sondern dass 
es gerade bei der Knochen- und Gelenktuberkulose 
eines sehr eingehenden Studiums jedes einzelnen Falles 
bedarf, einer scharfen Prüfung der ganzen Verhältnisse, 
insbesondere der Vorgeschichte, wollen wir ein auch 
nur einigermassen zutreffendes Urteil fällen. Wie ge¬ 
sagt, die Klärung dieser Frage gehört zu den 
schwierigsten Aufgaben, vor die der ärztliche Sachver¬ 
ständige gestellt wird. 

Welches sind nun die Fragen, die sich der Gut¬ 
achter bei der Prüfung des Zusammenhangs vorzu¬ 
legen hat? 

Ich formuliere dieselben wie folgt: 

1. Kann ein Unfall (ganz gleich welcher Art) 
eine Tuberkulose ursächlich erzeugen 
und gegebenenfalls, wie sind diese Fälle zu 
deuten ? 

2. Bei Verneinung der ersten Frage : wie «ind die 
Fälle zu erklären, in denen eine Knochen- oder 
Gelenktuberkulose bei einem augenscheinlich vor¬ 
her nicht tuberkulös erkrankten Menschen nach 
einem Trauma ziemlich sicher beobachtet 
worden ist ? 

3. Kann ein Unfall eine bestehende Tuberkulose 
wesentlich verschlimmern, kann er in diesem 
Falle zu einer Miliartuberkulose führen? 

M. H. 1 Die erste Frage: „Kann ein Unfall 
eine Knochen- oder Gelenktuberkulose ursächlich er- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 


62 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


zeugen“ ist — abgesehen von der sogenannten Impf- 
tuberkulose, wo der Tuberkelbazillus erst mit der Ver¬ 
letzung in den Körper hineingelangt, — grund¬ 
sätzlich zu verneinen. Sehen wir von der 
Impftuberkulose ab, so müssen wir — darin sind sich 
wohl alle Autoren einig — den Satz aufstellen : Ein 
Trauma kann keine Tuberkulose der Knochen und Ge¬ 
lenke ursächlich erzeugen, es muss ein primärer 
Herd im Körper vorhanden sein! 

Fälle von Impftuberkulose sind gar nicht selten, ich 
denke hier z. 13. an die vielfach bei Obduktionen Tuber¬ 
kulöser beobachteten Fälle, wo bei Zuziehung einer 
Schnittwunde der Tuberkelbazillus mit in die Wunde 
eindrang, an die mehrfach beobachteten Falle, in denen 
ein Tuberkulöser durch Aussaugen einer Wunde diese 
mit dem im Speichel vorhanden gewesenen Tuberkel¬ 
bazillus inlizierte ; weiter gehören hierhin die tuberkulösen 
Erkrankungen von Vorhautwunden nach der Be¬ 
schneidunginfolge des rituellen Aussaugens der Wunden 
durch Rabbiner, die an Tuberkulose litten. 

Wir verneinen also — von der Impftuberkulose ab¬ 
gesehen — die ursächliche Entstehung einer Tuberkulose 
durch ein Trauma. 

Wenden wir uns nun z u d e r 2. Frage: 
„Wie sind die Fälle zu deuten, in denen eine Knochen¬ 
oder Gelenktuberkulose bei einem anscheinend vorher 
nicht tuberkulös erkrankten Menschen nach einem Trauma 
ziemlich sicher beobachtet worden ist? 

Hier finden wir zwei Ansichten vertreten, die sich 
direkt gegenüberstehen. Gehen wir auf die ver¬ 
schiedenen Ansichten der Autoren näher ein, so treffen 
wir damit den Kernpunkt der Zusammenhangsfrage. 

Wie schon in der von mir gestellten Frage betont, 
soll die traumatische Knochen- und Gelenktuberkulose 
bei einem anscheinend vorher nicht tuberkulös erkrankten 
Menschen beobachtet worden sein. Ich formulierte die 
Frage mit Absicht „anscheinend gesund“, weil.wir be¬ 
reits bei der Prüfung der ersten Frage grundsätzlich 
verneinten, dass ein Trauma eine Knochen- oder Ge¬ 
lenktuberkulose ursächlich erzeugen könne. Der Tuberkel¬ 
bazillus muss also auch in diesen Fällen bereits vor dem 
Trauma — wenn auch unbewusst — vorhanden gewesen 
sein. Der Ausdruck „gesund“ hat also hier nur be¬ 
dingungsweise Geltung. 

Kommen wir nunmehr zu der einen Ansicht, die 
auch bis heute noch von der weitaus grösseren Zahl 
der Autoren vertreten wird. Der Unfall, das Trauma, 
trifft am Ort der Einwirkung einen latenten, abge¬ 
kapselten tuberkulösen Herd. Die abschliessende Kapsel 
wird durch das Trauma gesprengt und nun erfolgt eine 
Aussaat der Tuberkelbazillen in das zertrümmerte Ge- 
w'ebe, die Bazillen finden einen für ihre Ansiedelung und 
für ihr Wachstum günstigen Nährboden, die bisher 
latente Tuberkulose kommt am Orte der Einwirkung 
zur Entwicklung, wir haben eine traumatische Knochen¬ 
oder Gelenktuberkulose. 

Die Vertreter dieser Ansicht halten auch nicht allein 
an der Forderung fest, dass die Tuberkulose sich am 
Orte der traumatischen Einwirkung unbedingt entwickeln 
muss, nein, man macht noch eine weitere Konzession. Un¬ 
bestritten steht bis heute fest, dass die abgekapselten latenten 
tuberkulösen Herde zeitweise floride werden, die Bazillen 
gelangen in ein Blut- oder Lvmphgefäss, — letzteres in 
der Regel — wo sie bald meist zu Grunde gehen. 
Kommt aber ein derartig llorider Prozess an eine durch 
ein Trauma für die Entwicklung der Tuberkulose ge¬ 
schaffene günstige Stelle, so können sich die Tuberkel¬ 
bazillen in gleicher Weise hier ansiedeln und vermehren. 
Diese Fälle sind als metastatische Tuber¬ 
kulose aufzufassen. In neuerer Zeit wird dagegen 
die Ansicht sehr lebhaft vertreten, dass im Blute ständig 
kreisende Tuberkelbazillen sich am Orte der Verletzung 

Digitized by Google 


ansiedeln und hier zu der tuberkulösen Knochen- und 
Gelenkerkrankung führen. 

Ist diese Ansicht von der sogenannten Bazillämie, 
das ständige Vorkommen von Tuberkelbazillen im 
strömenden Blute, als richtig anzuerkennen ? 

Die bezüglichen Untersuchungen von Rosen¬ 
berger, Kurashige - Osaka, Rumpf, 
Liebermeister, Klara Kennerknecht 
sind sehr eingehende gewesen und die Autoren sind von 
dem Vorkommen der Tuberkelbazillen im strömenden 
Blute — selbst bei anscheinend gesunden Menschen — 
so überzeugt, dass man mit ihnen übereinstimmen müsste, 
wenn einer von ihnen ausführt; „Und wie anders er¬ 
scheint uns die traumatische Tuberkulose, wenn so 
häufig Tuberkelbazillen im Blute kreisen!“ 

Aber meine Herren, so oft noch das Vorkommen 
von Tuberkelbazillen im strömenden Blute behauptet 
wurde, so oft ist auch der Gegner aufgetreten, der das 
Vorkommen verneinte, wenigstens in seiner Allgemein¬ 
heit. So führt T h i e m in seinem Vortrage über die 
Beziehungen von Unfällen zu Krebs und Tuberkulose 
(Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 1911, XII) folgen¬ 
des aus: „Ein beständiges Kreisen von Tuberkelbazillen 
im Blute Tuberkulöser findet nicht statt. So oft dies 
von einzelnen Autoren behauptet worden ist, so oft hat 
sich bei Nachuntersuchungen durch zuverlässige Be¬ 
obachter diese Behauptung als unrichtig erwiesen. Freie 
Schwindsuchtsstäbchen werden im Blute nur in ganz 
schweren Fällen gefunden, meistens kurz vor dem Tode 
als sogenannte prämortale Erscheinung“. Und in einer 
mir vorliegenden Arbeit von Ilaas (v. Br u n s’ Bei¬ 
träge zur klinischen Chirurgie Bd. XC. Heft 1) zieht 
der Verfasser auf Grund von Versuchen, die er bei 
Tieren anstellte, denen Blut von 24 mit den verschiedensten 
Formen der chirurgischen Tuberkulose behafteten 
Kranken intraperitoneal eingeimpft worden war, folgende 
Schlussfolgerungen : 

1. Das Bestehen einer ständigen tuberkulösen 
Bazillämie bei chirurgisch Tuberkulösen kann 
nicht anerkannt werden. Der erfahrungsgemäss 
zeitweilige Übertritt von Tuberkelbazillen in 
die Blutbahn kann natürlich nicht bestritten 
vverden (hämatogene Ausbreitung der Tuber¬ 
kulose) ; 

2. als diagnostisches Hilfsmittel kann ein Nachweis 
von Tuberkelbazillen im Blute kaum heran¬ 
gezogen werden, da ein eventuell positiver Be¬ 
weis rein zufälliger Natur ist. Nicht jeder 
Untersucher ist so glücklich, gerade zur Zeit 
einer vorübergehenden Bazillämie Blut entnommen 
zu haben ; 

3. eine prognostische Bedeutung kommt einem 
durch mikroskopische Untersuchungen und Tier¬ 
versuch sichergestellten Bazillenbefund erst recht 
nicht zu. 

Wir sehen also, dass die Ansicht der allgemeinen 
Bazillämie eine derartig bekämpfte ist, dass wir die 
Bazillämie allgemein als Ursache der traumatischen Ge¬ 
lenk- und Knochentuberkulose nach dem heutigen Stand¬ 
punkte der Wissenschaft nicht heranziehen können. 
Eine Nachfrage bei einer grossen Zahl von Chefärzten 
von Lungenheilstätten hinsichtlich ihres Standpunktes 
zur Frage der Bazillämie ist übereinstimmend im ver¬ 
neinenden Sinne beantwortet worden. Dass zeitweise ein 
Übertritt von Tuberkelbazillen in die Blutbahn erfolgt 
und dass in diesem Falle der Tuberkelbazillus sich an 
einem verletzten Körperteile festsetzen und dort sich 
verbreiten kann usw., habe ich bereits zugegeben. Wie ge¬ 
sagt, sind diese Fälle doch zu vereinzelt, um die von 
mir in der Frage gewünschte Klärung der traumatischen 
Knochen- und Gelenktuberkulose zu geben. Die erste 
Richtung, die davon ausgeht, dass durch den Unfall ein 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 7. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


63 


bisher latenter tuberkulöser Prozess betroffen worden 
ist, trifft nach meinem Dafürhalten auch heute noch das 
Richtige. Ich habe oben ja zugegeben, dass ‘auch ver¬ 
einzelt derartige Tuberkulosen infolge des zeitweisen 
Übertritts von Bazillen in die Blutbahn entfernt vom 
Orte der Verletzung entstehen können. Würde die 
Bazillämie in ihrer Allgemeinheit auch nur einige Be¬ 
rechtigung beanspruchen können, so müsste die Zahl der 
traumatischen Knochen- und Gelenktuberkulosen ja ins 
Ungeheuerliche steigen, denn die Vertreter der Bazillämie 
führen ja aus, dass nicht nur bei nachweisbar tuberkulös 
erkrankten Personen, sondern auch bei solchen, bei 
denen die klinische Untersuchung keine Anzeichen 
tuberkulöser Natur feststellen konnte, Tuberkelbazillen 
im strömenden Blute sehrhäufig gefunden worden 
seien. Nun hält man dem gegenüber, dass der Körper 
eine ganze Reihe von Immunstoffen in sich führe, dass 
es also nur unter ganz besonders günstigen Bedingungen 
zur Ausbildung einer lokalisierten Knochen- oder Gelenk¬ 
tuberkulose nach Trauma kommen könne. M. II. Das 
ist nach meinem Dafürhalten nur eine durch nichts be¬ 
gründete Behauptung, um nicht die Theorie der Bazil¬ 
lämie einfach ganz über den Haufen zu werfen. Würde 
ein derartiger Gegengrund nicht angeführt werden 
können, fiel das ganze Gebäude der Bazillämie in sich 
zusammen. 

Sind wir uns darüber klar, wie die Fälle von so¬ 
genannter traumatischer Knochen- und Gelenktuber¬ 
kulose zu deuten sind, so müssen wir uns weiter fragen, 
welche Forderungen müssen im gegebenen Falle ver¬ 
langt werden, soll ein Zusammenhang der Knochen- und 
Gelenktuberkulose mit einem Unfälle mit grösserer 
Wahrscheinlichkeit (wie dies ja vom Reichsversicherungs¬ 
amt als oberste Instanz der Unfallversicherung verlangt 
wird) bejaht werden. 

Zunächst möchte ich hier auf die experimentellen 
Versuche hinweisen, die in dieser Richtung gemacht 
worden sind. Wenn auch das Tierexperiment als Beweis 
für die Möglichkeit eines Zusammenhangs einer Knochen- 
und Gelenktuberkulose mit einem Unfälle ohne weiteres 
für den Menschen nicht herangezogen werden kann, 
bezw. die negativen Ergebnisse nicht für das Gegenteil 
verwertet werden können, so ergeben sich aus den bis¬ 
her angestellten Experimenten doch ganz wertvolle 
Schlüsse, die man bei der Prüfung der Zusammenhang- 
frage nicht ganz ausser acht lassen darf. 

Die ersten diesbezüglichen Experimente machte 
Schüller (Experimentelle Untersuchung über die 
Entstehung und Ursachen der tuberkulösen Gelenkent¬ 
zündung, Stuttgart) in den Jahren 1878-—1880. Diese 
Ergebnisse können aber nicht verwertet werden, weil 
die ersten Arbeiten über den K o c h’schen Bazillus erst 
1882 erschienen. Weitere Versuche eingehendster Art 
machten Courmond, Dor, Hon seil, Petro w. 
Die teilweise positiven Ergebnisse wurden widerlegt 
durch die mit grösster Sorgfalt ausgeführten 
Versuche von Rodet und Jean brau im Jahre 1404, 
weiterhin durch den Spanier Ribera y Sans. 

In keinem einzigen Falle gelang 
es, mit absoluter Sicherheit eine 
traumatische Tuberkulose zu er¬ 
zeugen, denn in fast derselben Zahl trat nach Ein¬ 
spritzungen des Tuberkelbazillus die Tuberkulose an den 
verletzten als auch nicht verletzten Knochen und Ge¬ 
lenken auf! Wir stehen daher heute immer noch auf dem 
Grundsätze ; weder das Experiment noch die klinische 
Erfahrung haben mit absoluter Sicherheit 
bisher den Beweis für den Zusammenhang einer 
Knochen- oder Gelenktuberkulose mit einem Trauma er¬ 
bracht ! 

Weiterhin möchte ich, bevor ich die Bedingungen 
für den Zusammenhang aufstelle, noch auf die Statistik 


einer Anzahl Autoren eingehen, die sich mit der Zu- 
sammenhangsfrage eingehend beschäftigt haben. Die 
Prozentsätze schwanken eigentlich zwischen 0 und 100 
Proz., so nimmt Bauer in fast 100 Proz. der Fälle 
den Zusammenhang an, Taylor in 53 Proz. der 
Wirbelsäulentuberkulosen, König in 20 Proz. der 
Kniegelenkstuberkulosen, H a h n in 13 Proz. der Sprung¬ 
gelenkstuberkulosen, Pietrzikowski in 8,0, 
j e a n n e 1 in 5,5 Proz., W u 1 1 s t e i n in 5 Proz. und 
Garree in 5 Proz. der Wirbelsäulentuberkulosen, 
L i n i g e r in höchstens 5 Proz. aller Fälle von Knochen- 
und Gelenktuberkulose. 

Gelegentlich eines Vortrages von L i n i g e r im 
November 1913 im Verein der Arzte für Versicherungs- 
Medizin für Rheinland und Westfalen in Düsseldorf 
wurde von den Anwesenden der Prozentsatz der post¬ 
traumatischen Knochen- und Gelenktuberkulosen fast 
übereinstimmend auf höchstens 2 Proz. der Fälle ge¬ 
schätzt. Ich glaube, dass wir uns auf den Satz von 
5 Proz., den in letzter Zeit eine Reihe von namhaften 
Autoren vertreten, einigen können. 

Das Reichsversicherungsamt folgt in seiner Recht¬ 
sprechung einem Vorschlag von T h i e m (Bericht er¬ 
stattet auf der am 9. Juni 1911 im Reichtagsgebäude 
abgehaltenen Ausschusssitzung des Deutschen Zentral¬ 
komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, Monatsschrift 
für Unfallheilkunde 1911, lieft 6) wonach in 25 Proz. 
der Fälle der Zusammenhang der Tuberkulose mit einem 
Trauma als wahrscheinlich zu erachten ist. Dieser 
Prozentsatz ist jedenfalls sehr hoch gegriffen. Aber 
halten wir an ihm fest und berücksichtigen wir diesen 
Prozentsatz zum Schlüsse nochmals! 

Da wir nun nach dem heutigen Standpunkte der 
Wissenschaft den Zusammenhang einer Knochen- und 
Gelenktuberkulose mit einem Trauma nicht grundsätz¬ 
lich ablehnen können, stelle ich bei der Prüfung der 
Zusammenhangsfrage folgende Bedingungen: 

1. das Unfallereignis muss als solches sichergestellt 
sein; 

2. der Unfall muss auch seiner ganzen Natur nach 
geeignet sein eine Knochen- oder Gelenktuber¬ 
kulose hervorzurufen ; 

3. direkte Unfallfolgen müssen festgestellt worden 
sein; 

4. der Verlauf des tuberkulösen Knochen- oder Ge¬ 
lenkleidens muss einen für die traumatische Ent¬ 
stehung charakteristischen Verlauf genommen 
haben. 

M. II.! Sind diese Bedingungen in den uns zur 
Begutachtung vorgelegten Fällen in mehr oder weniger 
grossem Masse erfüllt, dann dürfen wir auf Grund der 
wissenschaftlichen Erfahrungen behaupten, dass ein Zu¬ 
sammenhang der Knochen- und Gelenktuberkulose mit 
grösserer Wahrscheinlichkeit besteht. Ein mir in diesen 
Tagen vorgelegter Fall von Kniegelenkstuberkulose er¬ 
füllte die Bedingungen in ziemlich hohem Masse, wenn¬ 
gleich auch hier keine absolute Sicherheit dafür spricht, 
dass es sich um eine posttraumatische Tuberkulose 
handelt. Man weiss auch in diesem Falle eben nicht, 
wie der Zustand des Knies vor dem Unfälle war, ob 
nicht damals schon ein florider tuberkulöser Prozess — 
vielleicht unbewusst — bestand. Der Fall liegt folgender- 
massen: Ein 50 jähriger Holzhauer stürzt am 8. November 
1913 im Walde zu Boden und schlägt mit dem rechten 
Knie auf einen Baumstumpf auf. Die Schmerzen sind 
ganz erhebliche, der Mann muss die Arbeit sofort ein¬ 
stellen, er wird von einem Mitarbeiter nach Hause ge¬ 
führt. Der Arzt wird nach 3 Tagen zugezogen, er 
findet eine kleine blutunterlaufene Stelle, ferner einen 
leichten Erguss ins Gelenk. Als Ursache für diese Ver¬ 
änderungen wird der Unfall beim ersten Besuche des 
Arztes direkt angeschuldigt. Der Zustand des Knies 

Original ffom 


Digitized by 


Google 


UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 








64 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 7 


bessert sich innerhalb 10 Tagen derart, dass der Ver¬ 
letzte die Arbeit wieder aufnehmen kann. Nach acht 
Wochen treten nun in dem verletzten Kniegelenk plötz¬ 
lich grössere Schmerzen auf, das Gelenk schwillt an, 
der Arzt wird erneut zugezogen, der die Ueberführung 
ins Krankenhaus anordnet. liier wird die Diagnose auf 
Kniegelenkstuberkulose gestellt. M. H. Sie werden mir 
darin beistimmen, dass ich der Berufsgenossenschaft 
empfahl, die Ansprüche des Verletzten anzuerkennen, 
denn die grössere Wahrscheinlichkeit spreche für einen 
Zusammenhang des tuberkulösen Kniegelenkleidens mit 
dem angeschuldigten Unfälle. 

Liegen denn die Fälle von angemeldeter trauma¬ 
tischer Tuberkulose immer so klar? Ich glaube be¬ 
haupten zu dürfen, dass unter den nach vielen Hunderten 
von der Rheinischen landwirtschaftlichen Berufsgenossen¬ 
schaft entschädigten Tuberkulosefällen auch nicht ein 
einziger Fall annähernd so klar wie der eben geschilderte 
liegt. Mein Vorgänger — Prof. Li n i ge r in Frankfurt 
am Main —, der sich ja mit der Frage der traumatischen 
Knochen- und Gelenktuberkulose seit vielen Jahren ein¬ 
gehend beschäftigte, hat 100 Krankengeschichten ohne 
besondere Auswahl zusammengestellt. Vergleichen Sie 
diese Fälle in Bezug auf das Unfalldatum, der ersten Zu¬ 
ziehung ärztlicher Hülfe und der Anmeldung der An¬ 
sprüche, so werden Sie höchst erstaunt sein, wie ausser¬ 
ordentlich dunkel die Fälle von sogenannter traumatischer 
Knochen- und Gelenktuberkulose liegen. 

Wenden wir uns zur ersten Forderung: „Das Unfall¬ 
ereignis muss als solches sichergestellt sein“. 

Bei Prüfung der Unfallakten in einschlägigen Fällen 
finden wir immer wieder, dass dieses LInfallereignis eben 
nicht sichergestellt ist, der Unfalltag kann vielfach auch 
nicht nur annähernd bezeichnet werden. Obwohl nach 
gesetzlicher Vorschrift die Unfallanzeige binnen 3 Tagen 
zu erstatten ist, wenn sie auch eine nur teilweise Er¬ 
werbsbeschränkung von mehr als 3 Tagen zurücklässt, 
werden in Tuberkulosefällen die Unfallanzeigen - — ich 
möchte wohl sagen ausnahmslos — so spät erstattet, 
dass eine Klärung des Falles schon aus diesem Grunde 
meist unmöglich ist. Vor Ablauf eines halben Jahres 
wird die Anzeige fast nie erstattet, meist liegt 1 Jahr, 

I ’/.j Jahr und noch mehr dazwischen, recht häufig wird 
der angebliche Unfall erst kurz vor Ablauf der zwei¬ 
jährigen Verjährungsfrist angemeldet. Und wie wird die 
erste Frage in der Anzeige nach dem LTnfalldatum be¬ 
antwortet? Immer wieder in geradezu typischerWeise; 
in der ersten Hälfte des Monats Februar, oder im April, 
oder im Sommer, im Herbste usw. Augenzeugen 
können nur in höchst seltenen Fällen angeführt werden, 
meist handelt es sich bei den Zeugen um Personen, die 
alsbald nach dem Unfälle Kenntnis von demselben er¬ 
langt haben wollen, die weiterhin bekunden sollen, dass 
der Rentensucher früher gesund war. Liegt das Unfall¬ 
ereignis schon so in zweierlei Hinsicht recht dunkel, so 
gewinnt der angeschuldigte Unfall meist dadurch noch 
an Unwahrscheinlichkeit, dass der Arzt erst sehr spät, 
vielfach erst nach '/, Jahre oder noch später zugezogen 
worden ist, dem Arzte gegenüber anfangs auch keine 
Ursache für die Entstehung des tuberkulösen Leidens 
angeschuldigt worden ist. Vom behandelnden Arzte — 
und das ist fast immer der Fall — wird der Betreffende 
immer wieder nach einem Unfälle befragt, Nachbaren 
oder andere, etwas aufgeklärte Rentenempfänger (dies 
geschieht sehr häufig in grösseren Krankenanstalten, wo 
mehrere Unfallverletzte untergebracht sind) weisen den 
an Tuberkulose Erkrankten auf die Möglichkeit einer 
unfallweisen Entstehung hin, schliesslich ist auch ein 
Unfall leichter Art (denn ein solcher muss es ja sein) 
gefunden, durch das fortwährende Nachdenken dichtet 
sich der Sachverhalt immer mehr und schliesslich steht 
die ganze unfallweise Entwickelung des Leidens (vielfach 

Digitized by Google 


im guten Glauben) fest. Der Unfall wird, wie auch 
T h i e m ausführt, vielfach dem Kranken geradezu 
suggeriert bezw. in ihn hineinexaminiert. Wer stösst 
sich nicht einmal ans Knie ? Wer tritt nicht einmal mit 
dem Fusse schief auf u. dergl. ? Fälle leichtester Art 
können aber nicht für eine traumatische Tuberkulose 
verantwortlich gemacht werden, wir müssen verlangen, 
dass durch das Trauma eine Verletzung der Gefässe, des 
Gewebes stattgefunden hat. 

Kann also der Unfall nicht einwandfrei nach¬ 
gewiesen werden, war der Unfall weiterhin seiner Natur 
nach nicht geeignet eine Knochen- und Gelenktuber¬ 
kulose zu erzeugen, so muss seitens des Gutachters eine 
Verneinung der Zusammenhangsfrage erfolgen. 

Wie stellt sich denn das Reichsversicherungsamt 
zu dieser Frage? In einer mir dieser Tage vorgelegten 
Entscheidung (vom 18. (>. 1914 I a. 11489/13) wird 
folgendes ausgeführt: „Es liegt also für den Nachweis 
eines Unfalles als erste Entstehung des Leidens nichts 
mehr vor als die Behauptung des Klägers selbst, die 
zum Nachweis um so weniger ausreicht, als das Ver¬ 
halten des Klägers in der Zeit nach dem angeblichen 
Unfall gegen die Annahme eines Unfalles spricht. Es 
mag sein, dass die Geringfügigkeit der Verletzung ge¬ 
eignet ist, den Umstand zu erklären, dass der Kläger 
den Unfall nicht sofort anzeigte. Allein der Kläger hat 
auch dann noch nichts von einem Unfälle erwähnt, als 
die Folgen der Verletzung schlimmer wurden und er 
genötigt war, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, 
auch dann nicht, als der Arzt ihn auf die Notwendigkeit 
einer Nachbehandlung hinweis. Er hat auch, obwohl 
bei der heute verbreiteten Kenntnis der Unfallgesetz¬ 
gebung allgemein bekannt ist, dass die Inanspruchnahme 
ärztlicher Hilfe keine Unkosten verursacht, wenn sie 
seitens eines Versicherten infolge eines Unfalls geschieht, 
die weitere Inanspruchnahme des Arztes, die ihm nahe¬ 
gelegt war, unterlassen und ist erst drei Monate später 
mit der Behauptung hervorgetreten, dass das Leiden in¬ 
folge eines Unfalles entstanden sei. Bei dieser Sach¬ 
lage ist die Gewährung einer Entschädigung zu Recht 
versagt.“ 

Weiterhin hat das R. V. A. in seiner Entscheidung 
vom 13. 1. 1903 I a. 7160/02 hinsichtlich der ver¬ 
späteten Anmeldung eines Unfalls bei einem tuber¬ 
kulösen Fussgelenkleiden folge* des ausgeführt: 

„Tuberkulöse Knochen- und Gelenkentzün¬ 
dungen entstehen nach ärztlicher Erfahrung meist 
ohne erkennbare Ursache — ohne Unfall —. Es 
muss daher ein besonders strenger Nachweis 
einer erheblichen Verletzung verlangt werden, 
soll ausnahmsweise eine tuberkulöse Ent¬ 
zündung ursächlich auf eine äussere Gewaltein¬ 
wirkung zurückgeführt werden, Dieser Nachweis 
ist hier nicht erbracht. Das ganze Verhalten des 
Mannes spricht dagegen, insbesonders die erheb¬ 
lich verspätete Anmeldung des Unfalls. Wenn 
der Kläger jetzt die Verspätung der Geltend- 
maehung seiner Ansprüche mit seiner Unkenntnis 
des Bestehens der Unfallgesetzgebung ent¬ 
schuldigen will, so verdient diese Angabe keinen 
Glauben, nachdem das Unfallgesetz seit 14 Jahren 
in Kraft ist und seine wohltätigen Wirkungen 
wohl schon in jeder Ortschaft des Deutschen 
Reiches geäussert hat, der Kläger überdies als 
Betriebsunternehmer Jahr für Jahr seine Beiträge 
an die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft 
hat entrichten müssen.“ 

Derartige Entscheidungen sind recht zahlreich er¬ 
gangen und der Begutachter soll berücksichtigen, dass 
die Unfallgesetzgebung mehr als 25 Jahre zurückliegt, 
die noch immer wiederkehrende Ansicht von der Un- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


65 


kemitnis der Unfallgesetzgebung heute also erst recht M ö g 1 i c h k eit eines Zusammenhanges nicht ausge- 
keine Berücksichtigung mehr finden kann. schlossen ist. In solch dunkel liegenden Fällen kann 

Wenn auch die Geringfügigkeit der immer wieder von einer grösseren Wahrscheinlichkeit oder gar 
angeschuldigten Unfälle eine gewisse Verspätung der Sicherheit eines Zusammenhanges naturgemäss keine 
Unfallanmeldung zu entschuldigen vermag, die Anzeige Rede sein. 

muss dann aber spätestens in derZeit erstattet werden, Die zweite Bedingung: „Der Unfall muss auch seiner 
wo das Leiden einen ernsteren Charakter annahm. Aber ganzen Natur nach geeignet sein eine Knochen- oder 
auch dann wird die Anzeige noch nicht erstattet. In Gelenktuberkulose zu erzeugen“ haben wir schon kurz 
vielen Fällen erst nach der Amputation oder Resektion bei der Prüfung der ersten Bedingung gestreift. Die zu 
eines Gelenkes. Jetzt wird von den Leuten wieder aus- Anfang meines V'ortrages angeführte Schlussfolgerung, 
geführt, man habe mit der Anzeige noch warten wollen dass die Knochen- und Gelenktuberkulose sich insbe- 
ini guten Glauben, das Leiden nehme einen gutartigen sondere an geringfügige Verletzungen sehr leicht an- 
Verlauf. Diese Ausweichungen können nicht berück- schliesse, ist eine grundfalsche ln dieser Hinsicht führt 
sichtigt werden. Thiem folgendes aus: „Örtliche Tuberkulose tritt 

W enden wir uns der zweiten Forderung zu: „direkte häufiger nach Verstauchungen der Gelenke auf, sowie 
Unfallfolgen müssen festgestellt sein“, so liegen die nach unvollkommenen oder vollständigen Verrenkungen. 
Fälle von traumatischer Tuberkulose auch in dieser Hin- 1 Veihältnismässig selten beobachtet man örtliche Tuber¬ 
sicht nicht minder im Dunkeln. Wie schon bei der kulose nach den Brüchen der langen Röhrenknochen. 
Prüfung der ersten Frage betont, wird ärztliche Hilfe Aus diesen Erfahrungen hat sich die noch weit ver- 
ineist erst nach Monaten zugezogen, so dass sachver- breitete Anschauung bei den Ärzten entwickelt, es sei 
ständige Beobachtungen fast nie vorhanden sind, diese geradezu kennzeichnend für die posttraumatische Tuber¬ 
müssen aber bei der Prüfung der Zusammenhangsfrage j kulose, dass sie nach geringfügigen Verletzungen ent- 
uibedingt verlangt werden. Eine sehr beachtenswerte stehe. Diese Behauptung ist in der uneingeschränkten 
Entscheidung hat das R. V. A. in dieser Hinsicht ge-j Fassung unrichtig. Nicht die Grösse der Gewaltein- 

fällt. In der Entscheidung vom 21. Juni 1106 Ta. I Wirkung, welche dem Bruche eines langen Röhren- 

2069/06 begründet das R. V. A. die Ablehnung der I knochens vorausging, ist der Entwicklung des Tuberkel- 

Anspruche bei einem tuberkulösen Kniegelenksleiden wie j bazillus hinderlich, sondern nur die gewaltige, dem 

folgt: Bruch folgende Gewebswucherung und die Kallus- 

,,Es kann dahingestellt bleiben, ob der Unfall, I bildung. Da, wo diese nicht so mächtig auftritt, wie 

wie das Schiedsgericht annimmt, lediglich aut bei den Brüchen der kleinen Hand- und Fussknochen 

Grund der Angaben der Klägerin und ihres Ehe- oder der Rippen oder bei Rissbrüchen, ist die post- 

mannes, als ausreichend erwiesen angesehen traumatische Tuberkulose keineswegs etwas Seltenes, 
werden kann. Denn selbst wenn davon auszu- IT h i e m sagt dann weiter : Es muss also auch für die 
gellen ist, dass der Unfall sich in der von der posttraumatische Tuberkulose ein gewisser, wenn auch 
Klägerin behaupteten Weise ereignet hat, so recht- nicht übermässig hoher Grad der Gewalteinwirkung ver¬ 
fertigt sich dennoch der von der Beklagten ein- langt werden. Niemals kann sie durch einen Nasen¬ 
genommene ablehnende Standpunkt, weil jeglicher Stüber erzeugt werden!“ Wenn ich mich 4 hiem auch 
Beweis dafür fehlt, dass jener Unfall von ursäch- nicht darin anschliesse, dass die posttraumatische 1 uber- 
licher Bedeutung für dasjenige Leiden gewesen kulose durchaus nichts Seltenes sei, so verlange ich 
ist, wegen dessen die Klägerin am 26. April 1905 ebenfalls für die traumatische Knochen- und Gelenk- 
Anspruch auf Unfallrente erhoben hat. Dieser tuberkulöse eine Gewalteinwirkung, die geeignet ist, die 
Nachweis ist durch keines der von den Vor- über dem Knochen liegenden Gewebsteile erheblich zu 
instanzen eingeholten ärztlichen Gutachten ge- verletzen und durch die Weichteile hindurch den darunter 
führt und auch durch weitere Beweiserhebung liegenden Knochen wirksam zu erreichen, 
deshalb nicht mehr zu erbringen, weil die Wenden wir uns zur dritten Bedingung: 

Klägerin es unterlassen hat, ärztliche Hilfe als- „Direkte Unfallfolgen müssen festgestellt sein!“ Ist die 
bald in Anspruch zu nehmen. Es fehlen daher zweite Bedingung erfüllt, lag ein geeigneter Unfall vor, 
sachverständige Beobachtungen über die immittel- eine erhebliche äussere Gewalteinwirkung, so wird die 
baren Folgen des Unfalles und ihre weitere Ent- dritte Bedingung ohne weiteres gegeben sein. Es können 
Wicklung, die für die Nachprüfung des streitigen diese Unfallfolgen bestehen in einer mehr oder weniger 
Zusammenhanges unerlässlich sind. Der Umstand, grossen Ilautverfärbung, einer blutunterlaufenen Stelle, 
dass das linke Bein der Klägerin, wie sie be- in einer leichten Schwellung, in einem Hinken oder 
hauptet und unter Beweis stellt, vor jenem Unfall | dergl. Wie wichtig die Feststellung derartiger Folgen 
gesund gewesen ist. genügt allein nicht, um den , für den späteren Verlauf ist, haben wir gesehen aus den 
Zusammenhang zwischen dein jetzt bestehenden Entscheidungen des Reichsversicherungsamts, in denen 
Leiden und dem LTnfall ausser Zweifel zu setzen. | der Zusammenhang abgelehnt wurde, weil sachver- 
Denn bei der Länge der Zeit, die zwischen dem ständige Beobachtungen über die unmittelbaren Unfall- 
Unfall vom 12. September 1904 und der erst -1 folgen nicht beigebracht werden konnten, 
maligen ärztlichen Untersuchung vom 11. Juni Die vierte Bedingung, die ich stellte, lautete: 

19u5 liegt, ist die Möglichkeit, dass in der „Der Verlauf des tuberkulösen Knochen- oder Gelenk- 
Zwischenzeit eine andere, dem Betriebe nicht zu- j leidens muss einen für die traumatische Entstellung 
zurechnende Schädigung auf das erkrankte Knie charakteristischen Verlauf genommen haben. Die ersten 
schädigend eingewirkt hat und für den jetzigen ! Erscheinungen können geringfügiger Natur sein, waren 
Zustand verantwortlich zu machen ist, keineswegs sie grössere, so klingen sie vielfach zunächst ab. um dann 
ausgeschlossen.“ nach einiger Zeit wieder heftiger in die Erscheinung zu 

Auch hier findet der Gutachter einen sehr zu be- treten, meistens wird das tuberkulöse Leiden nach einem 
achtenden Punkt, der bei der Zusammenhangsfrage ein- Vierteljahr klar erkennbar zu Tage treten. Im allge- 
Sehend zu prüfen ist. Lassen sich über die unmittelbaren ; meinen können wir sagen : das tuberkulöse Leiden darf 
11 fallfolgen keine Beweise erbringen, wird Insbesondere J nicht vor 4 Wochen und nicht nach 6 Monaten öffen¬ 
tliche Hilfe erst sehr spät zugezogen, so kann der kundig werden. Fälle, in denen das Leiden früher zu 
^(achter nichts anderes erklären, als — die Angaben j Tage tritt, müssen als wesentliche Verschlimmerungen 
es Mannes als glaubhaft vorausgesetzt , dass die I alter Tuberkulose gedeutet werden, während später er- 

Original ffom 

Digitized by G(X >Qle UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 

URBANA-CHAMPAIGN 


Google 




66 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 7. 


kennbare Fälle in der Regel nicht mehr auf den Unfall 
bezogen werden können. Es müssen im Krankheitsver¬ 
lauf die sogenannten Brückenerscheinungen gegeben sein, 
ganz symptomlos darf das Leiden in den ersten t> Monaten 
nie verlaufen. 

In der weitaus grössten Mehrzahl der angemeldeten 
Fälle von traumatischer Tuberkulose müssen die An¬ 
sprüche zu Ungunsten des Antragstellers entschieden 
werden, wenn wir diese 4 Bedingungen stellen und die 
Krankengeschichte daraufhin eingehend prüfen. Wir 
werden dann nur in höchst seltenen Fällen von einer 
grösseren Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges 
sprechen können. 

Nachdem wir nun die gewissermassen ursächliche 
traumatische Entstehung der Knochen- und Gelenktuber- 
kulose erörtert haben, bliebe noch die weitere Frage, 
vor die der Gutachter oft gestellt wird, zu prüfen, ob 
ein Trauma imstande ist eine bestehende Knochen- oder 
Gelenktuberkulose wesentlich zu verschlimmern. Diese 
Frage wird von allen Autoren übereinstimmend bejaht. 
Wir müssen aber auch hier Bedingungen stellen, die 
den vorigen im wesentlichen gleichkommen. Der Unfall 
muss einwandfrei nachgewiesen sein, er darf auch hier 
kein ,,Nasenstüber“ sein, die wesentliche Verschlimmerung 
des Leidens muss alsbald in die Erscheinung treten, 
nach 4 Wochen werden wir in der Regel eine wesent¬ 
liche Verschlimmerung eines tuberkulösen Leidens durch 
ein voraufgegangenes Trauma nicht mehr anerkennen 
können. 

Auf eins ist hier aber noch besonders zu achten : 
das tuberkulöse Leiden darf sich nicht im letzten Stadium 
befunden haben, es darf keine Wahrscheinlichkeit dafür 
bestehen, dass das Leiden auch ohne das Trauma den¬ 
selben Verlauf genommen haben würde, sondern das 
Trauma muss die ungünstige Wendung in dem tuber¬ 
kulösen Leiden gebracht haben. Man denke hier an 
die Fälle, wo der Unfall eigentlich nicht das primäre, 
sondern das sekundäre Ereignis ist, an den schliesslichen 
Einbruch eines tuberkulösen, kariösen Fussknochens usw. 
In dieser Hinsicht sind mehrere Entscheidungen des 
Reichsversicherungsamts sehr bemerkenswert. So heisst 
es z. B. in der Entscheidung des R. V. A. vom 13. No¬ 
vember 1909 la. 7961/09: Nach dem eingehenden 
und überzeugenden Gutachten des Med,-Rats Dr. H. vom 
15. September 1909 bestand bei dem D. schon unab¬ 
hängig von dem Unfall vom Herbst 190/ eine tuber¬ 
kulöse Erkrankung von Knochen am Fusse, eine An¬ 
sicht, welche dadurch eine Bestätigung findet, dass auch 
der Vater des Klägers, wie in einem früheren Rekurs¬ 
verfahren festgestellt ist, an einer tuberkulösen Er¬ 
krankung litt, sodass im vorliegenden Falle erbliche An¬ 
lage bestand. Diese bei dem Kläger vorhandene ihrer 
Natur nach sich allmählich entwickelnde Krankheit trat 
zum ersten Male in die Erscheinung und katn dadurch 
dem Kläger zum Bewusstsein, als er, vielleicht infolge 
der Knochenerkrankung, mit dem Fusse umknickte. 
Dass dieses Umknicken die Krankheit hervorgerufen hat, 
ist demnach ausgeschlossen.’Es ist aber auch in keiner Weise 
wahrscheinlich gemacht, dass dieser Unfall eine wesent¬ 
liche Weiterentwicklung oder Beschleunigung des schon 
bestehenden Leidens herbeigeführt hat. Vielmehr muss 
angenommen werden, dass die Krankheit auch bei jeder 
anderen Gelegenheit in die Erscheinung treten konnte 
und sich auch ohne den als Betriebsunfall angesprochenen 
Vorgang im wesentlichen in derselben Art und Zeit zu 
dem jetzigen Zustande entwickelt hätte.“ 

Meine Herren! 

Ich komme zum Schlüsse. Ich darf wohl sagen, dass 
den Versicherten sowohl von den Ärzten, als auch von 
den Instanzen bei der Begutachtung der Tuberkulose 
als Unfallfolge das grösste Wohlwollen gezeigt wird. 
Manchmal geht dieses Mitleid entschieden zu weit und 

Digitized by Google 


das Gerechtigkeitsgefühl leidet darunter. Wie ein be¬ 
kannter Gutachter einstens in der Ärztlichen Sachver¬ 
ständigen - Zeitung ausführte, ist Mitleid auf Kosten 
anderer eine recht bequeme Sache. Auch möchte ich 
hier auf den Vortrag des Senatsvorsitzenden des Reichs¬ 
versicherungsamts Geheimrat Dr. Basse nge vom 
7. Juni 1911 in der Sitzung des Ausschusses des Deut¬ 
schen Zentralkomitees hinweisen, der zum Schlüsse 
lautete: „Es ist nicht eine Beihilfe, eine Unterstützung 
oder eine Wohltat, die gefordert wird, sondern es 
handelt sich um einen Rechtsanspruch, auf Gewährung einer 
bestimmten Entschädigung, der bei dem Vorliegen der 
gesetzlichin Voraussetzungen unter allen Umständen an¬ 
zuerkennen, bei ihrem Fehlen aber abznlehnen ist. 
Dieses Recht muss in seinen Grundlagen echt, wahr und 
lauter sein. Der Nutzen, der dem Einzelnen vielleicht 
dadurch erwächst, dass man anstelle objektiver Er¬ 
wägungen dem Gefühle persönlichen Mitleids oder Wohl¬ 
wollens für den Erkrankten zu weiten Raum gibt, gleicht 
die Schäden nicht aus, welche durch eine derartige Be¬ 
handlung der Sache der Ethik, des Rechts im Volks¬ 
leben geschlagen werden.“ 

Die Versicherten suchen natürlich nach einer Ur¬ 
sache für die tuberkulöse Erkrankung, die sie ja früher 
nicht gehabt haben, ein Unfall macht einen besonderen 
Eindruck, er haftet länger im Gedächtnis. Entwickelt 
sich zufällig in der Nähe der verletzten Stelle eine 
Tuberkulose, so w'ird sie selbstverständlich dem Unfall 
zur Last gelegt, vielfach in gutem Glauben. Wir als 
Arzte müssen aber der Sachlage tiefer auf den Grund 
gehen, wir müssen uns fragen, weicht der vorliegende 
Fall wesentlich von einem spontan entstandenen, nor¬ 
mal verlaufenden Tuberkulosefall ab, oder ist die Tuber¬ 
kulose mit hoher, an Gewissheit grenzender Wahrschein¬ 
lichkeit wesentlich durch den Unfall verschlimmert 
worden. Man berücksichtige den gewissermassen als 
Kompromiss gedachten Vorschlag Thiems, dass 
in 75 Froz. der Fälle die Tuberkulose ohne Trauma 
entsteht. 

Das Wichtigste ist die Führung einer genauen 
Krankengeschichte vom Tage des Unfalls ab. Die ersten 
ärztlichen Atteste müssen sehr eingehende sein, sonst 
schwebt der ganze Fall in der Luft und man ist nur 
auf Konstruktionen angewiesen. Später nützt in vielen 
Fällen, wenn meist Jahre verstrichen sind, auch der er¬ 
fahrenste und berühmteste Obergutachter nichts mehr 


Warum verdaut sich der Magen nicht selbst? 

Von Dr. med. Rainer- Wiesbaden. 

Diese Frage hatte bereits Claude Bernard vor langer 
Zeit dahin zu beantworten gesucht, dass die lebende 
Schleimhaut gegen Verdauung widerstandsfähig sei. Der 
neueren serologischen Forschung, welche so viele Schutz¬ 
körper (Antigene) im Organismus entdeckte, lag es nahe, 
besondere Alexine für den Magendarmtraktus anzunehmen, 
welche ihn vorZerstörung durch seine eigenen Verdauungs¬ 
säfte schützen. Nun hat, wie in dem skandinavischen 
Archiv für Physiologie Nr. 31 Dr. Langenskiöld mitteilt, 
das Experiment beide Annahmen als falsche Hypothese 
erwiesen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass sowohl der 
lebende Magen als auch der Darm im Magen- bezw. 
Pankreassaft verdaut werden können. Dagegen ist dabei 
eine zufällige Tatsache zu Tage getreten, welche eine sehr 
p 1 a u s i b 1 e Antwort auf die im Titel genannte Frage 
erteilt Wenn man nämlich die Schleimhaut des Magens 
oder eine Darmschlinge während der Verdauung d. h. 
während ihre Wände vom Chymus umspült werden, in 
die Verdauungssäfte legte, dann blieb die sog. Selbst- 
I Verdauung aus 1 Diese Tatsache legt ja die Annahme als 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









N'r. 7- 


67 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


wahrscheinlich nahe, dass in den Eiweissabbau¬ 
produkten des regulären Verdauung»- 
breies die Schutztruppen gegen die 
Selbst verdau ungzu suchen seien. 

Mir scheint es, dass man dadurch die Entstehung 
des sog. Magengeschwürs auf sehr plausible Weise er¬ 
klären kann. Bekanntlich entsteht letzteres auf dem 
Boden eines chronischen Magenkatarrhes. Da aber beim 
catarrhus ventriculi chronicus die Verdauungskraft des 
Magens geschädigt ist, so sind auch die Abbauprodukte 
anormal — und dadurch passiert es, dass an einer 
Stelle der Magenwand die Schutztruppen fehlen, wo¬ 
durch dann leicht Erosion der Schleimhaut durch den 
eigenen Magensaft — und das Magengeschwür zustande 
kommen. Sehr probabel! Vielleicht ist aber auch das 
Carcinoma ventriculi resp. auch recti desselben Ur- 
sprungs r Hier wäre vielleicht der Schlüssel zur 
rationellen Therapie ? 


Rhodalcid und seine Anwendung. 

Ein neues Präparat mit 19,4 •/„ gebundener Rhodanwasserstoffsaure. 

Von Apotheker Otto- Frankfurt a. M. 

Seit langem ist bekannt, dass die Rhodan verbindungen 
im menschlichen Organismus eine Rolle spielen. Ihr 
Vorhandensein im Speichel wurde durch Treve- 
ranus, Tiedemann und G m e 1 i n festgestellt; 
im Urin wiesen Gscheidlen und Munk, in den 
Nasen- und Konjunktivalsekreten Keller und M unk 
Rhodanverbindungen nach. Eine reichhaltige Literatur 
baut sich auf den im Anschlüsse an jene Feststellungen 
vorgenommenen Untersuchungen auf. Heute vertritt man 
nach den Arbeiten von Bruylantes und K o b e r t 
allgemein die Auffassung, dass das Rhodan im Organis¬ 
mus durch Verfall des Adenins (Diaminopurin) entsteht, 
welches bei weiterer Oxydation unter Bildung von Harn¬ 
säure (Trioxypurin) CN-Wurzeln abspaltet, die mit 
oxydiertem Schwefel in Gegenwart von Alkalien die be¬ 
kannten Thiocyanverbindungen eingehen. 

Bezeichnend ist es, dass man bei Tieren, welche 
das Adenin in ihren Sekreten unverändert abscheiden, 
in den Lympligefäss- und Speichelabsonderungen Rho¬ 
danverbindungen nicht finden konnte. Ebenso zeigen 
Gichtiker, bei denen ja die Harnsäure in der Haupt¬ 
sache nicht weiter gespalten sondern im Körper abge¬ 
lagert wird, in ihrem Speichel und anderen Se¬ 
kreten einen auffallenden Mangel an Sulfocyanver- 
bindungen. 

Die ersten gründlichen Untersuchungen über die 
Wirkungen der Rhodanzufuhr in den Organismus unter¬ 
nahmen Claude Bernard, Pelican und 
Stschenow. Sie fanden das Rhodankalium relativ 
unschuldig. P a s c h k i s arbeitete schon bei seinen 
Tierversuchen mit grossen Dosen von Rhodankalium 
und fand neben einer Steigerung der Reflexempfindlich¬ 
keit Erhöhung des Blutdruckes und Vermehrung der 
peristaltisclien Bewegungen. Treupel und E d i n g e r 
setzten diese Untersuchungen fort und konstatierten eine 
intensive Einwirkung der Rhodanalkaliverbindungen auf 
den Stoffwechsel. Die Beobachtungen von P a sc h k i s 
fanden sie aber nicht bestätigt. A. Meyer bestätigte 
dagegen die Resultate von T r e u p e 1 und E d i n g e r, 
während K a b d e b o als Ergebnis seiner Versuche die 
Behauptung aufstellte, dass den Rhodanverbindungen 
keinerlei Einfluss auf den Stoffwechsel zuzusprechen sei. 
Rondo beobachtete nach Verabreichung von orga¬ 
nischen Rhodanalkaliverbindungen eine starke Ver¬ 
minderung der Harnsäure; Kleczinsky fand die 
Rhodanalkalien gährunghemmend ; Garnier, 
Schlagenhauffen, Sanarelli und 
Müller bestätigen übereinstimmend seine anti- 

Digitized by Google 


septische Wirkung. Dagegen widerspricht Schlegel 
dieser Behauptung, räumt jedoch ein, dass organische 
Rhodanverbindungen bei der Therapie der Hautkrank¬ 
heiten antiseptisch erfolgreich angewendet werden. 
Lohm an n und Michel weisen besonders darauf 
hin, dass dem Rhodangehalt des Speichels eine wichtige 
Rolle in der Verhütung der Zahnkaries zugeschrieben 
werden muss. Martin otti veröffentlichte seine Er¬ 
fahrungen mit Rhodannatrium bei Tuberkulose. 
Schmitt und Bett mann stellten umfangreiche 
Versuche mit Rhodanpräparaten bei Luetikern an, ins¬ 
besondere über die Einwirkungen des Rhodans im 
Speichel bei Stomatitis mercurialis und anderen ent¬ 
zündlichen und geschwürigen Prozessen in der Mund¬ 
höhle. Wie M u n k konnten auch diese beiden Autoren 
feststellen, dass als Folge der Hg und K J Behandlung 
eine Abnahme, oft sogar ein völliges Aufhören des 
Rhodangehaltes im Speichel und saure Reaktion des 
selben auftrat, sahen jedoch nach Verabreichung von 
Rhodan in Form von Rhodalcid (nach N erking) eine 
wesentliche Besserung, die sie dem darnach wieder auf- 
tretenden Rhodangehalt des Speichels zuschreiben. Sie 
berechneten den Rhodangehalt im Mundspeichel beim 
normalen Menschen auf Grund zahlreicher Unter¬ 
suchungen auf 0,003 bis 0,01 Proz. Von einigen 
Autoren wird das Fehlen des Rhodangehaltes im Mund¬ 
speichel sogar zu diagnostischen Zwecken empfohlen, 
bei Pertussis, Tuberkulose, Arteriosklerose vor allem bei 
Gicht. R e n 11 e y und L e R o y stellten die Tatsache 
fest, dass selbst stark verdünnte Natriumrhodanid- 
lösungen (1 :40 000) die aus Kalzium- und Magnesium¬ 
verbindungen entstehenden Harnsteine mit grosser 
Leichtigkeit auflösten. A. Scheuer empfiehlt den 
internen Gebrauch auch bei gewissen Hautkrankheiten. 

Seitdem die chemische Fabrik R e i s h o 1 z G. m. 
b. H. in Reisholz bei Düsseldorf auf Grund der Erfolge 
der Behandlung mit Rhodanalkalien auf Anregung von 
Dr. N e r k i n g eine organische Rhodanverbindung 
unter dem Namen „Rhodalcid“ herstellt, hat die An¬ 
wendung einen grösseren Umfang angenommen, zumal 
Erfolge bisher nicht ausgeblieben sind. 

Rhodalcid (Warenzeichen und D R. P. Nr. 243 425) 
ist ein Rhodaneiweisspräparat, welches in Tabletten 
ä 0,25 g ä 0,049 g HCNS in den Handel kommt. Das¬ 
selbe ist ungiftig und kann längere Zeit ohne Schaden 
genommen werden. Indiziert ist seine Anwendung nach 
Michel, Lohmann, N e r k i n g , Scheuer, 
Steinkamm, M e n c h e und vielen anderen bei 
Caries dentium, Stomatitis aphtosa und ulcerosa, An¬ 
gina, Heufieber, Glossitis, ferner bei Kräfteverfall, Anämie, 
Entzündungen und Vereiterungen der Nebenhöhlen, so¬ 
wie bei harnsaurerDiathese,Arterioskleroseundlanzinieren- 
den Schmerzen der Tabiker. Wegen seiner unschäd¬ 
lichen und ungiftigen prompt reagierenden Wirkung wird 
es gern gegeben und zwar 8 Tage lang dreimal täglich, 
weitere 8 Tage lang zweimal täglich eine Tablette, 
nach 8 tägiger Pause 14 Tage lang eine Tablette. 
Wenn nötig, besonders bei Gichtikern, wiederholt man 
die Kur mit zweiwöchentlichen Pausen. Pathologische 
Veränderungen des Harnes traten nicht auf, Albuminurie 
wurde niemals beobachtet, eine bestehende blieb unver¬ 
ändert, Herz- und Nervensystem bleiben völlig unbe¬ 
rührt. Zu beachten ist, dass starke Säuren, insbesondere 
Mineralsäuren, während der Rhodankur zu vermeiden 
sind. Eisenpräparate dagegen können unbesorgt gleich¬ 
zeitig verabreicht werden. 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 



68 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 7 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Behandlung der Lungentuberkulose mit inten¬ 
sivem rotreichem Licht. 

Von H. G e r h a r t z. 

Mitteilungen über das Ergebnis dei Bestrahlung des 
Thorax von Phthisikern des 3. Stadiums mit rotreichem 
Bogenlampenlicht und rein rotem Neonlicht. Die Pro¬ 
gredienz des Leidens verringerte sich. Es konnte eine 
Besserung sowohl des Allgemeinbefindens wie der 
Lungenerscheinuiigen festgestellt werden. Verringerung 
von Fieber, Husten, Rasselgeräuschen, Auswurfmenge, 
Puls- und Atemfrequenz. — Tierversuche an einem 
Material von 63 Meerschweinchen fielen günstig aus. 
(M. m. Wschr. Nr. 35, 1915.) Autoreferat. 


Imprägnierte Schutzringe gegen Ungeziefer, ein 
neues Mittel und Verfahren zur Bekämpfung der 
Läuseplage. 

Von Oberapotheker R. B o h 1 m a ti n , 
aus den städtischen Krankenanstalten zu Dortmund. 

(Feldärztl. Beilage der Münch, med. Wochenschrift 1915 
Nr. 35 Seite 1206.) 

Verfasser weist auf die sehr weitgehenden An¬ 
forderungen, die an ein ideales Ungeziefermitte] gestellt 
werden müssen, hin. Er verlangt, dass es zunächst den 
Körper frei von Ungeziefer macht und ihn dann 
aber auch dauernd davon frei hält. 

Als ein solches Mittel sind die von ihm angegebenen 
„imprägnierten Schutz ringe“ zu be¬ 
trachten. 

Durch ein neues Verfahren, welches darin besteht, 
dass die als wirksam bekannten Mittel (ätherische Oie, 
Anisol, Trikresol, Paradichlorbenzol usw.) zu einer Masse 
vereinigt sind, welche die Wirksamkeit der einzelnen 
Substanzen erhöht, wird eine dauernde, d. h. wochen¬ 
lange Wirkung gewährleistet und eine einfache und be¬ 
queme Anwendung ermöglicht. 

Die bekannten Mittel (Flüssigkeiten, Salben, Puder 
usw.) müssen wegen ihrer Flüchtigkeit, die durch die 
Körperwärme noch erhöht wird, täglich mehrere Male 
angewendet werden, wodurch ein Entkleiden nötig wird 
und vielfach ein Beschmutzen der Hände nicht zu ver¬ 
meiden ist, wodurch wieder, da es meistens an Wasch¬ 
gelegenheit fehlt — die mit denselben angefassten Speisen 
usw. unappetitlich werden und auch die Augen ge¬ 
schädigt werden können. Abgesehen von der Unhand¬ 
lichkeit aller dieser Mittel, der umständlichen An¬ 
wendungsmöglichkeit usw., können dieselben aber auch 
Schädigungen verursachen. Durch wiederholte Ein¬ 


reihungen mit ätherischen (Men können Hautausschläge 
entstehen. Puder haben den Nachteil, dass sie nicht 
haften bleiben. Von der Verwendung von Salben ist 
deshalb abzuraten, weil dieselben die Wäsche und die 
Kleider dauernd verschmieren, und der Soldat stets 
das unangenehme (jefühl des Beschmiertseins am 
Körper hat. 

All e diese Nachteile und Schäden werden bei den 
imprägnierten Schutzringen vermieden. 

Dieselben lassen sich leicht verpacken 
und verschicken, sind nicht zerbrechlich VV/ 

usw. Sie bestehen aus einem Leib- 
ring, welcher das am Körper befind- ] L \ 

liehe Ungeziefer vertreibt und vernichtet. I wVjll 

(Die Nisse werden wohl nicht geschädigt, üfT/W 
da sie äusserst widerstandsfähig sind; Jll V/ 
die daraus entwickelten Läuse gehen aber %/ l T j 
rasch zugrunde.) Ein Halsring, \ V / 

2 Arm- und 2 B e i n - R i n g e ver- i 

hindern, dass der Körper überhaupt , 

von Läusen befallen werden kann, in- \ / 

dem die natürlichen Zuschlupfstellen ge- ^ \ 

schützt sind. (Vergl. Abbildng.) Der 
Träger solcher Ringe merkt von dem Vorhandensein kaum 
etwas, die Wirkung ist eine glänzende, vollkommene und 
dauernde, dabei für den Körper und die Umgebung des 
Trägers weder unangenehm noch lästig, noch irgendwie 
gesundheitsschädlich. Der Körper, die Hände und E'inger 
werden nicht beschmutzt. Zum Schutze des Kopfes 
während der Ruhepausen dient die imprägnierte Kopf- 
h a u b e. 

Der Preis der imprägnierten Schutzringe ist im 
Vergleich zu anderen Mitteln, die täglich angewandt 
werden müssen und deren täglicher Verbrauch doch 
mindestens 5 Pfennige Kosten pro Mann verursacht, ein 
äusserst billiger. 

Die Schutzringe erfüllen somit alle Ansprüche, die 
an ein ideales Ungeziefer-, Vernichtungs- und Schutz¬ 
mittel gestellt werden müssen. 

Sie dienen nicht nur zur Entlausung, sondern auch 
als Schutz- und Vorbeugungsmittel, sowohl den 
Soldaten im Felde, wie auch den Ärzten und 
dem Sanitätspersonal in den Lazaretten. 
Lazarettzügen, Gefangenenlagern usw. 

Die Schutzringe sind der beste Schutz gegen die 
Läuseplage und damit gegen das Fleckfieber. 

(Die Herstellung und den Vertrieb hat seit kurzem 
die Fabrik mediz. Verbandstoffe von W. W eis- 
weiler in Köln-Dellbrück übernommen.) 


Digitized by 


Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 7. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


69 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

R. W. Allen, London. Die Vakzinetherapie und Vuk- 
zluediugnostik, 

R. W. Allen, London. Die Vakzinetherapie, ihre 
Theorie und praktische Anwendung. Nach der vierten Auflage 
des Originals deutsch herausgegeben von R u. S. K r o n - 
London, Dresden und Leipzig. Theodor Steinkopf 19'4. 340 

Seiten. Geh. 10 Mark. 

„Lie grossen Fortschritte, welche die Vakzinetherapie 
während der letzten zehn Jahre gemacht hat, und die Erfolge, 
die sie erzielt hat, berechtigen zu der Frage, warum sie immer 
nocli verhältnismässig wenig in der allgemeinen Praxis zur An¬ 
wendung kam. Besonders in England und Amerika hat sie 
viele Anhänger gefunden, während sie in Deutschland verhält¬ 
nismässig wenig Anklang gefunden hat, was um so auffallender 
ist, wenn man bedenkt, dass die Tuberkuliutherapie, der schliess- 
li h mehr oder minder dieselben Prinzipien zugrunde liegen, 
gerade in Deutschland die meisten Anhänger hat,“ so spricht 
der Herausgeber des Buches. Ich kann wohl als Grund dafür 
anführeu, dass die Therapie bei Akne und Furunkulose mit 
abgetöteten Staphylokokken in der Hauptsache doch im Stich 
gelassen hat Und um die Vakzinetherapie bei anderen Er¬ 
krankungen zur allgemeinen Anwendung zu bringen, ist eine 
genaue bakteriologische Diagnose unbedingt erforderlich, um 
die spezifische Therapie folgen lassen zu können und gerade 
darin liegt der wunde Punkt. Die Vakzinetherapie bleibt da¬ 
her nur bakteriologisch gut geschulten Ärzten und einigen 
weuigen Laboratorien Vorbehalten. — Das Buch enthält eine 
vorzügliche Anordnung des Stoffes. Nach einer kurzen Dar¬ 
stellung der Immunitätslehre, der Antikörper, deren Wesen, 
Quellen und Funktionen folgt eine genaue Beschreibung 
der Opsoninetechnik, der Herstellung des Vakzins und seiner 
Anwendungsw T eise, des Prinzipe3 der Vakzinetherapie und einiger 
Ursachen des Misserfolges. Im weiteren bespricht Allen 
die für die spezielle Behandlung in Betracht kommenden bak¬ 
teriellen Erkrankungen Nach den von Allen berichteten 
Erfolgen der Vakzinetherapie, z. B bei Septikämie, wäre es 
angebracht, bevor man die Vakzinetherapie beiseite legt, in 
allen zu Gebote stehenden Fällen wenigstens eine Prüfung vor¬ 
zunehmen und sich sein eigenes Gebäude aufzubauen. 

Das Werk enthält manche Fingerzeige für den Praktiker. 
Ich kann es daher auf das wärmste empfehlen 

Schürmann. 

Prof. Dr med Lange und Dr. med. R o o s , Über den 
Befund ron Typhusbazillen im Blute von Kaninchen nach Vcr> 
impfiing in die Gallenblase. (Arb. n d. Kaiser!. Gesundhtsamte. 
Bd 50, H. 1, 1915.) 

Die schwierige Technik der Injektion von Typhusbazillen 
in die Gallenblase von Kaninchen führte zu einem ganz ver¬ 
schiedenartigen Ausfall der Versuche und veranlasste Lange 
und R o o s zu den verschiedensten Änderungen der Versuche 
und ihrer Technik. Die chronologische Darstellung dieser 
Versuche ist hochinteressant, kann aber ihrer Kompliziertheit 
halber nicht im Referat besprochen werden. Die sehr zahl¬ 
reichen Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass es für 
den geübten Experimentator lediglich Sache der Technik und 
des Willens ist, die in die Gallenblase eingesprilzten Typhus¬ 
bazillen bereits nach 1 bis 2 Minuten im Ohrvenenblut er¬ 
scheinen zu lassen oder nicht. Der Übertritt der Typltus- 
bazillen in das Blut findet nämlich direkt an der Einsticbstelle 
oder in deren nächster Umgebung durch die Blutkapillaren 
der Gallenblase statt. Ist das der Fall gewesen, so lassen 
sich, wie gesagt, die Typhusbazillen Echon nach 1—2 Minuten 
im Ohrenvenenblut nachweisen. Gelang die Technik „glatt“ 
(wie Lange und R o o s sagen), so fällt der Bazillen-Nach- 
weis im Blut negativ aus. Von andern Körper¬ 
stellen her, die ebenfalls reich mit Kapillaren versorgt 
sind, wie vom Dünndarm, von der Harnblase, von gereizten 
Hautstellen usw. findet ein rascher Übertritt der Typbuskeime 
in den Blutkreislauf nicht statt. Im Ohrvenenblut lassen 

Digitized by Google 


sich die Typhusbazillen meist schon nach 30 Minuten, stets 
aber nach 00 Minuten nicht mehr nachweisen. Sie werden 
durch die bakteriziden Kräfte des Blutes vernichtet, teilweise 
auch in den Kapillaren der inneren Organe abgefangen. Durch 
die Gallen blasen impfung werden die Tiere zu Typhusbazillen- 
trägorn, gleichgültig, ob ein rascher Übertritt ins Blut statt- 
findel oder nicht. ' Durch Exstirpation der Gallenblase nach 
kurzer Zeit (etwa 0 Minuten) lässt sich das verhindern, ebenso 
erfolgt es nicht bei Obliteration der Gallenblase. Auch bei 
direkter Injektion in <1 io Leber findet ein sofortiger Übertritt 
der Bazillen ins Blut statt. Diese Art der Einspritzuug ist der 
intravenösen gleicbzusetzen. Eine Reihe Nebenbefunde von 
lediglich bakteriologischem Interesse sind im Original nach¬ 
zulesen. H. Graf- Hamburg. 


Medikamentöse Therapie. 

Dr. K.Kolb, Direktor des städt. Krankenhauses (Vereins- 
lazarettj zu Schwennigen a. N. Über Erfahrungen bei der 
Wundbehandlung mit einem auf das Bindegewebe einwirkenden 
üle mineralischen (Ursprungs, dem „granulierenden Wundöl 
Knoll“. (Feldärztliche Beilage zur Münch. Med. Wochenschr. 
19 5, Nr. 25.) 

Die Behandlung frischer Wunden mit stark zerfetzter 
Wundfläche mit „granulierendem Wundöl Knoll“ fiel schon 
nach einigen Tagen auf, dass sich die Buchten und der Grund 
der Wunde rasch mit äusserst kräftigen und straften Granu¬ 
lationen überzogen, die bald die ganze Wunde ausfiillten. Die 
Überhäufung dieser Granulationen ging in normaler Weise von¬ 
statten. Dieser günstige Einfluss, den das Präparat auf die 
Wundheilung ausüble, machte sich nicht nur hei sauberen, 
frischen Wunden, sondern auch hei stark eiternden oder mit 
eitrigen Borken belegten Wunden geltend. Die eitrige Sekretion 
nahm im Verlaufe einiger Tage ständig ab und bald zeigten 
sich schon kräftige Granulationen an einzelnen Stellen der 
Wundfläche, die. den ganzen Wuudboden bedeckten. Die Granu¬ 
lationen, die das „granulierende Wundöl Knoll“ hervorrief, 
waren besonders kräftig und straff. Die Epithelialisierung der 
Granulationen verlief wie hei der gewöhnlichen, unbeeinflussten 
Wundheilung Die Narben der mit dem Präparat behandelten 
Wunden waren meist sehr kräftig und breit und machten vor¬ 
übergehend oft einen keloidartigen Eindruck. 

Autor zog aus seinen Erfahrungen nachfolgende Schlüsse: 
Die Wundheilung verlief bei Anwendung des Wundöls rascher 
als sonst. Die Granulationen waren straff und kräftig, glasige, 
schlaffe Granulationen konnten nicht beobachtet werden. Während 
die Granulationsbildung rasch und reichlich einsetzte, war ein 
nachteiliger Einfluss auf die Epithelialisierung der Granu¬ 
lationen nicht zu bemerken. N e u m a n n. 

Dr. R Werner, Ludwigshafen a. Rh. Über Stolle, 
die das Bindegewehswaehstuin zu beeinflussen vermögen. 
(Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 133, S. 354 — 306.) 

In der chirurgischen Klinik Heidelberg war es aufgefallen, 
dass gewisse Schmieröle Stoffe enthalten, die das Bindegewebe 
zu Wucherungen anzuregen vermögen. Die Firma Knoll <fc Co., 
Ludwigshafen a. Rh. hatte sich die Klärung dieser Beobachtung 
zur Aufgabe gestellt und machte eine grosse Zahl von Stollen, 
die mit den Schmierölen in irgendwelche Beziehung gebracht 
werden konnte, der biologischen Prüfung im Laboratorium der 
Klinik zugänglich 

So waren daselbst die Paraffina liquidn verschiedener 
Pharmakopoen, das Benzol, das Naphthalin, das Anthracen, das 
G'ymol, die verschiedensten Terpene, die Hauptvertreter der 
Phenole und Kreosote, die bekanntesten Kampfer, das Pyridin, 
Piperidin, Chinolin und Acridin und reine Naphtensäuren, so¬ 
wie Salze dieser letzteren auf ihre Fähigkeit, das Wachstum 
des Bindegewebes zu beeinflussen, systematisch geprüft worden. 
Die Paraffina liquida hatten gar nicht gewirkt, die Terpene zum 
Teil auffallend, die Phenole nur in geringem Masse. Die Basen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






70 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 7. 


und Säuren hatten zum Teil zu stark gereizt. Am meisten 
schienen ungesättigte Gruppen bei der Anregung zu Granu¬ 
lationen mitzusprechen. Es waren also gewisse disponierende 
Momente ausfindig gemacht worden, aber die Wirkung 
eines ausgesuchten und von seinen störenden Begleitstoßen be¬ 
freiten Mineralöls war gleichwohl durch keinen der genannten 
Stoße erreicht worden. Auf nicht vorbehandelte Mineralöle des 
Handels war gar kein Verlass, denn selbst vollkommen harmloB 
erscheinende Bezüge hatten grosse Enttäuschungen gebracht. 
Die Art und Weise der Reinigung beeinflusst den pharmako¬ 
logischen Charakter eines Mineralöls offenbar ebenso stark wie 
sein Ursprung. Ein von allen die Wirkung irgendwie beein¬ 
trächtigenden Begleitstoffen ohne Einbusse an therapeutisch 
wertvollen Bestandteilen befreites Öl wird von der Firma 
Knoll & Co. auf den Markt gebracht. Die Überwachung einer 
steten Gleichwertigkeit dieses Präparates hat Herr Priv.-Doz 
Dr. med Rost, Heidelberg, übernommen. N e u in a n n. 

B u k o v i k f u. Fiala: Syphilis und Arsenpräparate. 

(Casopis läkafüo öesk^ch. 1914, Nr. 31.) 

Die Autoren versuchten die verschiedenen Arsenpräparate 
(Salvarsan, Neosalvarsan, Hectin, Hectarpyose, Eresol) hei rund 
1300 Fällen und bevorzugen nunmehr auf Grund ihrer Er¬ 
fahrungen das Salvarsan. Dasselbe wird in Dosen von 6,3 
bis 6,6 g in alkalischer Lösung (15 cm 5 Wasser) intramuskulär 
injiziert. Dasselbe stellt keinen Ersatz der konventionellen 
Behandlung der Syphilis dar, sondern nur eine glückliche Er¬ 
gänzung der alten Behandlungsmethoden Die Sklerosen heilen 
unter Salvarsan nicht besser als unter Quecksilber; nur die 
serpiginösen Geschwüre kommen durch Salvarsan fast sofort 
zum Stillstand. Die Roseola geht unter Quecksilber rascher 
zurück, dagegen ist die Papulosa gegen Salvarsan sehr emp¬ 
findlich. Die besten Resultate erzielt man mit Salvarsan bei 
malignen Formen, bei Spätformen und bei Idiosynkrasie gegen 
Quecksilber und Jod. G. Mühlstein (Prag') 


Allgemeines. 

R u b n e r, Die Volksküchen. (Hvg. Rundschau 9, 1015 ) 

Unser berühmter Ernährungsphysiologe und Hygieniker 
stellt in sehr interessanter Weise die in den Berliner Volksküchen 
zum Verbrauch kommenden Eiweiss- und Kohlehydratmengen 
pro Kopf nebst den Kalorien seit 1866 übersichtlich zusammen. 
Der relative Eiweiss verbrauch mit der Nahrung hat sich seit 
1866 in den Berliner Volksspeiseeinrichtungen vermindert; dies 
rührt nach Kiskalt vom Rückgang am Konsum von 
Leguminosen her. Auf Einzelheiten kann hier natürlich 
nicht eingegangen werden. Interessenten sei die sehr anregende 
Originalarbeit zum Studium empfohlen. 

R a t n e r, Wiesbaden. 

Küster und Günzler: Vergleichende Versuche über 
ungezielertötende Mittel. (Hygienische Rundschau 13, 1915.) 

Die Frage, ein sicher die Ungezieferplage besei 
tigendes Mittel zu finden, ist unstreitig brennend. 
Leiden doch die Krieger im Felde arg darunter, abgesehen von 


der grossen Gefahr der Verbreitung ansteckender 
Krankheiten durch Ungeziefer, wie Flecktyphus durch 
Läuse, wodurch die Bevölkerung direkt bedroht werden könnte! 
Die Abtötung durch überhitzten und gespannten Dampf ist 
bereits beim Feldheer eingeführt worden, speziell zur Entlausung 
von Kleidungsstücken. Allein dies setzt die Einrichtung eines 
kostspieligen, grossen Apparats voraus. Deswegen sind vielfach 
in den mediz. Zeitschriften (Deutsche Mediz. Wochenscbr., 
Münchener Mediz Wochenscbr. usw.) Vorschläge gemacht 
worden, auf einfachere Weise der Läuseplage Herr zu werden. 
So von Kiskalt durch Behandeln mit Schwefelkohlenstoff. Dri- 
galski empfiehlt hierzu Sublimatlösung (l prozent.). Andere 
empfehlen Formalin, Salfarkase, Formakosin, Eucalyptusöl. 
Lausoform, Epicid usw. Verfasser haben sich nun der löb¬ 
lichen Aufgabe unterzogen, die zahlreich empfohlenen Unge¬ 
ziefervertilgungsmittel durch vergleichende Versuche auf ihren 
! vollen Wert zu prüfen. 

Auf Grund ihrer sorgfältigen, zahlreichen Versuche stellten 
sie zuerst folgende Anforderungen an ein Läusevcrtilgungsmittel: 

1. das Läusevertilgung8inittel muss für den Menschen un¬ 
giftig und nicht feuergefährlich sein; 

2. muss es in grösseren Mengen leicht beschaffbar, 
billig und die Anwendung einfach sein; 

3 muss es rasch und sicher wirken und darf nicht all¬ 
zu flüchtig sein; 

4. darf es Kleiderstoffe weder angreifen noch 
beschmutzen 

In vergleichenden Tabellen wurden nach obigen Voraus¬ 
setzungen zahlreiche Resultate der Untersuchung an vielen 
Substanzen zusammengestellt Auf Grund einer schliesslichen 
Bewertungstabelle werden Globol, Trikresol und 
Lausofan als die besten bezeichnet. Ausführliches über 
die Zusammensetzung dieser Mittel müssen in der Originalarbeit 
nachgelesen werden. Jedenfalls ist diese Untersuchung sehr 
verdienstvoll und von grosser Tragweite. 

R a t u e r, Wiesbaden. 

Wesen berg, Die Trinkwassersterilisation mit Chlor¬ 
kalk im Felde (Hyg. Rundschau 8, 1915). 

„Die Beschaffung einwandfreien Trinkwassers für die im 
Felde stehenden Truppen ist eine der wichtigsten und wohl 
auch schwierigsten Aufgaben!“ 

Die sorgfältigen nach eigenem Verfahren angestellten 
bakteriologischen Untersuchungen des Verfassers haben ergeben: 

Durch Zusatz von Chlorkalk in einer Menge, die 0,15 g 
aktivem Chlor in einem Liter Wasser entspricht, gelingt es, die 
als Iufektionsträger in Betracht kommenden Bakterien innerhalb 
10 Min. sicher abzutöten, selbst dann, wenn das Wasser so 
stark verschmutzt ist, dass es unappetitlich, wenn nicht gar un- 
geniessbar erscheint. 

Durch Hinzufügung von Orthizon (eine feste Verbindung 
von Wasserstoffsuperoxyd mit Carbamid) wird das Wasser von 
jeglichem Beigeschmack befreit. 

Eiu besonders hierfür konstruierter Apparat¬ 
kasten ist von Fried. Bayer & Cie. in Leverkusen hergestellt 
worden. Rainer, Wiesbaden. 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 



33. Jahrgang. 


1915/16. 


Tomftrim der Medizin. 


L. Brauer, 

Hamburg. 


(Inter Mitwirkung hervorragender fadmänner 

herausgegeben von 

L. Edinger, L. Hauser, 


L. von Criegern, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M. 

Verantwortliche Schriftleitung: 


Darmstadt. 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 

Dr. RIgler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 8 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden MonBts zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


20. Dezember 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Eine neue Methode der Epilepsiebehandlung. 

Von Dr. med. W. Münch, Frankfurt a. M. 

Zu der Kategorie von Krankheiten, deren Erforschung 
auch heute noch der medizinischen Wissenschaft grosse 
Schwierigkeiten bereitet, gehört in erster Linie die Epi¬ 
lepsie. Ist auch der Kra.ikheitsbegriff „Epilepsie“ ähnlich 
dem des Rheumatismus in der Neuzeit ein genauer 
tixiertergeworden, so bietet doch die sogenannte „genuine“ 
Epilepsie, auf deren Behandlung sich meine neuen Heil- 
versuche erstrecken, noch recht viel Rätselhaftes. 

Die Form, in der die genuine Epilepsie in die Er¬ 
scheinung tritt, kann bekanntlich eine recht vielseitige, 
wechselnde sein. Gerade die in bestimmten Intervallen 
auftretenden Anfälle bei einer Anzahl Epileptiker haben 
eine gewisse, wenn auch vielleicht nur äussere Ähnlich¬ 
keit mit denjenigen bei der harnsauren Diathese. Bei 
beiden Krankheiten kommt es zu regelmässig erfotgenden 
„Entladungen“. Der Arthritiker leidet an einer Harn¬ 
säureintoxikation und entledigt sich der Harnsäure aus 
dem Blute durch Abscheidung in die Gelenke usw., der 
Epileptiker steht unter der Einwirkung von noch un¬ 
bekannten Stoffwechselprodukten, die durch die starke 
Muskelaktion im Anfall verbrannt werden dürften. Ich 
fasse die Entladung als eine Art Notventil des Körpers 
auf. Die Kranken fühlen sich bei beiden Krankheiten 
im Intervall im allgemeinen wohl. Plötzlich setzt — 
oft völlig unerwartet der—-Anfall ein. Manche Arthritiker 
haben gewisse Vorboten, die die nahende Explosion an¬ 
kündigen, aber auch bei vielen Epileptikern ist dies der 
Fall, man denke nur an die „Aura“. Diese Ähnlichkeit 
bei beiden Krankheitsbildern brachte mich auf den Ge¬ 
danken, bei Epilepsie ein Mittel zu versuchen, das sich 
nach den Beobachtungen Volkmars und anderer Ärzte 
gegen die Erscheinungen der harnsauren Diathese be¬ 
währt hat. Ich will nicht auf die Erklärungen Volk¬ 
mars eingehn, die er zur Begründung der Heilwirkung 
des Formaldehyd - Natriumbisülfit gegeben hat. Der 
therapeutische Effekt ist jedenfalls in einer Anzahl Fälle 
nicht zu bestreiten. Ich stellte mir vor, dass durch täg¬ 
liche, längere Zeit durchgeführte Injektionen der lOproz. 
Lösung von Formaldehydnatriumbisulfit die im Blute 
zirkulierenden toxischen Produkte gebunden würden. 
Der Erfolg der Behandlung schien meiner Auffassung 
Recht zu geben. Bei dem ersten Epileptiker, den ich 
behandelte, hörten nach mehrwöchiger Injektionskur die 
nächtlichen Anfälle ganz auf. Heute fühlt sich Patient 
vollkommen wohl und munter. Bemerken möchte ich, 
dass ich in diesem Falle zuvor vergeblich mit allen er¬ 
denklichen Mitteln Versuche gemacht hatte. Bei einer 

Digitized by Google 


in der Mitte der 20 er Jahre stehenden Epileptika, die 
schon seit mehreren Jahren äusserst heftige, jeden Freitag 
auftretende Anfälle mit Zungenbiss, Bewusstseinsver¬ 
lust usw. hatte, blieben die Erscheinungen nach etwa 
14 Tagen bis 3 Wochen vollständig weg, um bis heute 
nicht wiederzukommen. Ähnlich gings bei einem Kranken 
Ende der 20er. Bei verschiedenen Patienten traten nach 
Beseitigung der Attacken Ausfallserscheinungen wie Kopf¬ 
weh, Müdigkeit usw. auf, jedoeh nicht in dem Grade, 
wie es Binswanger von Patienten angibt, vornehm¬ 
lich solchen mit serienweisen Anfällen, bei denen nach 
Beseitigung der Attacken durch Brom die inter- 
paroxistischen Krankheitserscheinungen mit vermehrter 
Macht auftraten (Kopfdruck, Angstgefühl, neuralgiforme 
Beschwerden). Die mit Brom- behandelten Patienten 
sehnen Entladungen geradezu herbei, weil sie dann in 
der Zwischenzeit freier und gesunder seien. Ich habe 
bis jetzt etwa 10 Epileptiker mit durchweg gutem Er¬ 
folg injiziert. Ausser den Formaldehyd-Natriumbisulfit- 
injektionen liess ich 3 mal täglich Kapseln aus Methylen¬ 
blau medicinale und Zinkum valerlftnicum einnehmen, 
um die sogenannte „epileptische Veränderung“ der mo¬ 
torischen Grosshirnrinde, deren Wesen in einer Über¬ 
empfindlichkeit mit der Neiguiig r 'fu „Entladungen“ be¬ 
stehen soll, zu beeinflussen. Bisweilen tritt nach der Ein-* 
nähme der Kapseln Brennen in der Harnröhre auf, das 
meist bald von selbst verschwindet. Eventuell nimmt 
man etwas Muskatnuss Dies neue Mittel wird von der 
Engelapotheke zu Frankfurt a. M. unter der Bezeichnung 
„Antiepileptikum Dr. Münch“ in den Handel gebracht. 
Die Injektionen erfolgen mehrere Wochen lang täglich 
zu 5 bis 10 ccm. Spritzt man nur 5 ccm ein, so kann 
man ein steriles Gummikäppchen über den Hals der 
Ampulle ziehen. Es wird nur intravenös eingespritzt. 
Die Technik ist sehr einfach und leicht ambulant aus¬ 
zuführen. Man staut eine Vene am Arm durch Anlegen 
eines Gummischlauches und sticht eine feine Rekord¬ 
kanüle im spitzen Winkel ein, lässt einige Tropfen Blut 
ablaufen und setzt nach Abnahme des Schlauches die 
gefüllte Spritze auf. Vor und nach Gebrauch wird die 
Spritze mit 1 proz. Karbolwasser gereinigt. Die Haut¬ 
partie an der Einstechstelle wird nur mit Brennspiritus 
abgerieben. Ein Verband ist unnötig. 

Die intravenöse Einverleibung macht, wie schon 
Volkmar hervorhebt, nicht die geringsten Neben- oder 
Folgeerscheinungen. Sogar nicht einmal die geringste 
Hautreizung ist an der Einspritzungsstelle zu beobachten. 
Bisweilen tritt rasch vorübergehendes Frösteln, manch¬ 
mal auch Schüttelfrost und Müdigkeit zu Anfang der 
Behandlung auf. Weder von Volkmar noch von mir 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




72 


Fortschritte der medizin. 


Nr. 8. 


wurden je schädliche Folgen beobachtet, trotzdem ich 
selbst etwa 2000 Injektionen bei harnsaurer Diathese 
gemacht habe. Ausserdem machte ich mir selbst ohne 
Schaden wiederholt Injektionen. Deshalb halte ich Ver¬ 
suche mit dem Mittel bei einer so therapeutisch unzu¬ 
gänglichen Krankheit wie der genuinen Epilepsie für 
unbedingt gerechtfertigt. Hier kann nicht die Theorie 
entscheiden, sondern allein der praktische Erfolg. Auch 
Tierversuche, die Volkmar, Rost und Franz 
anstellten, ergaben die absolute Unschädlichkeit des 
Formaldehydnatriumbisulfit. Es reagiert gemäss seiner 
Zusammensetzung schwach sauer. Die Komplex- 
abspaltung vollzieht sich nicht stürmisch, sondern sukzes¬ 
sive. Wichtig ist natürlich, dass das Salz vollkommen 
chemisch rein ist. Ich habe in Gemeinschaft mit einem 
Vetter, der Chemiker ist, ein eignes Verfahren aus¬ 
gearbeitet, Kochsalzzusatz wurde vermieden, um die 
Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabzuselzen. Es sollen 
bekanntlich Hämophili, die eine äusserst geringe Ge¬ 
rinnungsfähigkeit des Blutes aufweisen, niemals an Epi¬ 
lepsie erkranken. 

Der erste Forscher, der auf Grund seiner Experi¬ 
mente die „g&nuine“ Epilepsie nicht als ein reine ner¬ 
vöse Krankheit, sondern als eine Stoffwechselanomalie 
auffasste, war K r a i n s k y. Nach diesem Autor hat 
die genuine Epilepsie ihren Grund in einer Verunreinigung 
durch irgend ein Produkt der Metamorphose. Das 
pathologische Produkt des Stoffwechsels, das den epi¬ 
leptischen Anfall bedingt und durch diesen wieder zer¬ 
stört wird, wurde auf verschiedenen Wegen zu ergründen 
gesucht. K. injizierte 2 ccm defibrinierten Blutes, das 
er einem Kranken während des Status epileptikus ent¬ 
nommen hatte, einem Kaninchen subkutan. 2—3Minuten 
später erfolgte ein typischer, epileptischer Anfall. Kon- 
trolluntersuchungen mit dem in den anfallsfreien Zeiten 
entnommenen Blute ergaben keine toxischen (krampf¬ 
erregenden) Wirkungen. Auch das Blut, das einem 
Epileptiker in der Periode des dem Anfall vorausgehenden, 
schweren epileptischen Zustandes entnommen wurde, rief 
Paralyse mit periodisch wiederkehrenden Anfällen hervor. 
Nach den Anfällen liess sich diese Bluttoxität nicht oder 
nur unsicher feststellen. Das in der Anfallszeit ent¬ 
nommene Blut besitzt anscheinend die Eigenschaft, in 
dem Organismus des Kaninchens, dem es injiziert wurde, 
eine periodische Produktion desselben Giftes hervorzu¬ 
rufen, das in dem SHfgftführten Blut enthalten ist. Er 
fand, dass im Epileptikerblut Karbaminsäure und Am¬ 
moniak in gesteigerten Mengen vorhanden ist. Das 
Wesen der Epilepsie besteht nach seiner Ansicht in einer 
periodischen Bildung des karbaminsauren Ammoniums 
im Organismus; dieser Stoff ruft die Anfälle hervor und 
zerfällt während derselben in Harnstoff und Wasser. 
Kauffmann stellte die Theorie der toxischen 
Epilepsie auf. Binswanger neigt zu der Ansicht, 
dass die Anhäufung bestimmter, giftig wirkender Sub¬ 
stanzen im Blute während der epileptischen Ladung eine 
Folge der durch pathologische Nervenreize veränderten 
Arbeitsleistung der Zentralnervenzellen ist, während durch 
die Entladung eine Entfernung dieser Toxine stattfindet. 
Nach seiner Auffassung ist gerade im Hinblick auf die 
Verschiedenheit der Versuchsergebnisse der Schluss nahe¬ 
liegend, dass nur eine Gruppe von Epileptikern mit diesen 
Stoffwechselstörungen behaftet ist. 

Die Diagnose der Epilepsie im allgemeinen lässt 
sich meist schon aus einem Anfall stellen; indessen darf 
man sich damit nicht begnügen. Erst wenn wiederholte 
typische Anfälle aufgetreten sind, geht man einiger- 
massen sicher. Am schwierigsten sind die Formen des 
„petit mal“ zu erkennen und zu beurteilen. Vor allem 
muss man die sogenannten epileptiformen Anfälle, die 
bei anderen Krankheiten symptomatisch auftreten, mit 
Sicherheit ausschliessen. Krämpfe können das erste 

Digitized by Google 


Zeichen einer Gehirngeschwulst sein und dürfen dann 
nicht mit dem Namen „epileptisch“ belegt werden. Als 
organisch bedingt ist am bekanntesten die Jaksonsche 
Rindenepilepsie, bei der gewöhnlich grob anatomische 
Veränderungen an der Gehirnoberflache zu finden sind. 
Die Krämpfe befallen meist ganz umschriebene Muskel¬ 
gruppen und gehen ohne Bewusstseinsstörung einher. 
Als „R eflexepilepsie“ wird eine Gruppe zu¬ 
sammengefasst, bei der sich nachweisbare Ursachen an 
der Körperoberfiäche oder im Körper selbst finden z. B. 
Narben der Haut, Phimose usw. An alle diese Formen 
muss man bei der Diagnosenstellung denken. Meine 
Methode bezieht sich, wie schon erwähnt, nur auf das 
Krankheitsbild der „genuinen“ Epilepsie. 


Erwägungen Aber den „Beitrag 1 ) zur Kenntnis 
der echten Typhlitis (und Perityphlitis) in der 
Schwangerschaft“ von Rud. Th. Jaschke. 

Von Dr. Emil E k s t e i n . Teplitz-Schönau. 

Die gegenüber dem Kliniker ungleich höhere Ver¬ 
antwortung des Praktikers veranlasst Letzteren sich oft 
sehr eingehend mit klinischer Kasuistik zu beschäftigen, 
nachdem speziell für die operative Geburtshilfe und Gynä¬ 
kologie des Praktikers der Ausspruch „probieren geht 
überstudieren“ aus oben genanntem Grunde wenig Gel¬ 
tung besitzen kann und soll. 

Unsere Kliniken sind mit grossem Erfolge gewisser- 
massen Versuchsstationen für neue Operationsmethoden 
geworden, welche erst nach gründlicher Erprobung, auch 
Eigentum der Praktiker, soweit dies eben möglich ist, 
werden, beziehungsweise werden Sollen. 

In unserer rasch lebenden Zeit sind klinische Ope¬ 
rationsmethoden rapid erstanden, viel gepriesen, aber 
auch rapid wieder von der wissenschaftlichen Bildfläche 
verschwunden. Wer den Werdegang unserer operativen 
Gynäkologie in den letzten 20 Jahren verfolgt hat, wird 
von dieser oft ephemären „in Erscheinung treten“ einer 
ganzen Reihe von Operationsmethoden Kenntnis besitzen. 

Der gynäkologische geburtshilfliche Praktiker mit 
chirurgischer Vor- und Ausbildung musste demzufolge 
mit der Zeit zur Erkenntnis kommen, sich gegenüber 
klinischen Neuerungen etwas reserviert zu verhalten und 
entsprechend dem Quod licet — im eigensten und Inter¬ 
esse seiner Klientel einen gewissen durch eigene, gute 
Erfahrungen wohlfundierten Konservatismus bewahren. 

Klinische Kasuistik bis in alle Einzelheiten ist für 
den Praktiker daher ausserordentlich lehrreich, wenn 
demselben eben seine Praxis das häufige Aufsuchen der 
Klinik allmählich unterbindet. Der von Jaschke 
veröffentlichte Fall von echter Typhlitis (und Perityphlitis) 
in der Schwangerschaft bietet in verschiedener Richtung 
gerade für den Praktiker so viel Interessantes, dass es 
— die Autorität Jaschke’s hoch in Ehren — nicht 
eine Kritik bedeuten soll, wenn ich auf Grund meiner 
Erfahrungen als Praktiker für die Praxis diesen Fall ent¬ 
sprechend zu erwägen versuchen will. 

Eine Ipara, 3 Wochen ante terminum, Schädellage, 
wird am 4. Juli der Klinik überwiesen, nachdem am 
2. Juli ohne bestimmte lokale Beschwerden nachmittags 
Temperatursteigerungen bis über 38 0 eingetreten waren. 
Am 3. Juli morgensTemperaturabfall,VV ohlbefinden,abends 
39°. Vor 2 Jahren hatte die Frau mehrere Anfälle von 
Blinddarmreizung durchgemacht. 

Bei der Aufnahme in die Klinik 39,6 T. 104 P., 
zwei Stunden später 38° T. 100 P. Diagnose: akute 
Appendizitis mit Vorbehalt. 1 */, Stunden später Ope¬ 
ration, Flankenschnitt, wobei dünner Eiter im Strom ent¬ 
leert wird, Gazetamponade Hierauf Umlagerung zur 

') Zentralblatt f. Gyn. 39. Jahrg. Nr. 37, vom 11. Okt. 1915. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 8. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


73 


Entbindung durch Hysterotomia anterior mit nachfolgen¬ 
der Wendung und Extraktion des kurz ante operationem 
abgestorbenen Kindes. 

Nach Vollendung des vaginalen Kaiserschnittes 
wiederum Umlegung zur Fortsetzung der primären 
Laparotomie, wobei durch Erweiterung des Schnittes 
lediglich die Perforation des Appendix ausgeschlossen 
und die Konstatierung der Typhlitis erreicht wird, Zeichen 
einer Peritonitis über das Erkrankungsgebiet hinaus 
nirgends gefunden wurden. Ein Esslöffel voll Eiter wird 
im Douglas gefunden, welcher erst bei der Entleerung 
des Uterus dahin abgeflossen ist, was vermutlich durch 
Wegnahme der einen Teil der medianen Abszesswand 
bildenden Partien von Ligamentum latum mit den Adnexen 
geschah. Der freie Rand des rechten Ovariums ist mit 
Eiterflocken bedeckt, das rechte, ganz offene abdominelle 
Tubenende hochrot, geschwellt. 

Nach dieser Revision wird das Erkrankungsgebiet 
von der übrigen Bauchhöhle durch Gazeservietten abge¬ 
kammert. Der Verlauf war am 2. Tage bei 38,2 T. und 
Puls 124 -136 am 3. Tage bei 38,4 — 39" T. und P. 140 
bis 160, Erbrechen und Singultus der einer dif¬ 
fusen Peritonitis, welcher die F rau am 4. Tage erlag. 

Bei der relativen Seltenheit der eitrigen Typhlitis 
bei Graviität war aus den Darlegungen Jaschke’s 
in bezug auf Therapie und konsequenten Verlauf von 
vornherein zu erwarten, dass der Fall letal enden musste 
und eine diffuse Peritonitis unaufhaltsam gewesen ist. 
Aus diesem Grunde kann man wohl in Erwägung ziehen, 
ob die diffuse eitrige Peritonitis zu verhindern gewesen 
wäre, ob und inwieweit der vaginale Kaiserschnitt an der 
Entstehung derselben beteiligt war, ferner ob überhaupt 
unter den geschilderten Umständen ein vaginaler Kaiser¬ 
schnitt in der Folge auszuführen empfehlenswert erscheint. 

In Rücksicht auf das Fehlen stürmischer peritonealer 
Erscheinungen im ganzen Krankheitsbilde und selbst bei 
der kurzen klinischen Beobachtungszeit des Falles er¬ 
scheint die Vornahme der Laparotomie mittels Flanken¬ 
schnitts dennoch vollständig gerechtfertigt, umsomehr 
als durch den erzielten Effekt, Entleerung des dünnen 
Eiters im Strom, der beste Beweis für die Indikation 
dieses Eingriffes erbracht wurde. 

Wäre die Pat. nicht gravid gewesen, so wäre durch 
diesen Eingriff, die Gazedrainage nicht zu vergessen, 
der Fall wohl erledigt gewesen. 

Die Pat. war aber gravid, 3 Wochen ante terminum, 
aber nicht kreissend. 

Nun ist es wohl jedem Operateur, welcher sich 
speziell mit Adnexoperationen beschäftigt, zur Genüge 
bekannt, wie tolerant das intakte Peritoneum gegen 
Eiter oder infektiöse Mikroorganismen sich verhält, wie 
wenig tolerant aber dasselbe sich verhält, wenn dasselbe 
in seiner Kontinuität gestört ist. 

Die foudroyant verlaufende diffuse Peritonitis, 
welche geradezu typisch am 3. Tage zum Exitus führt, 
ist bei Exstirpationen von Adnexen mit schweren Ver¬ 
wachsungen aus der Zeit, wo diese Tumoren wahllos 
operativ angegangen wurden ebenso bekannt und stets 
durch die Propagation schwerer Infektionserreger, 
gleichviel ob diese Tumoren intakt oder geplatzt ex- 
stirpiert wurden, durch die oft vielfachen Verletzungen des 
Peritoneums erklärt worden. Der Konservatismus in der 
Therapie dieser Adnextumoren, welcher in den letzten 
Jahren Platz gegriffen hat, spricht diesbezüglich eine 
deutliche Sprache. 

Schliesslich und nicht zuletzt ist das Abbauvermögen 
des Peritoneums gegenüber chronisch entzündlicher 
Produkte (Bauchfelltuberkulose) als Heilfaktor ebenso 
bekannt, wie die gewaltige Tendenz desselben, bei akuten 
eitrigen Prozessen vor und nach Entleerung des Eiters 
die spontane Abkammerung des Eiterherdes gegen die 
freie Bauchhöhle in verhältnismässig kurzer Zeit zu 

Digitized by Google 


schaffen, eine typisch in Erscheinung tretende Eigen¬ 
schaft, welcher durch Zuwarten von aussen die nötige 
Zeit gelassen werden muss. Von verschiedenen hier ge¬ 
schilderten Standpunkten erscheint die Möglichkeit ins 
Auge gefasst werden zu können, dass durch den vaginalen 
Kaiserschnitt drei Wochen ante terminum, der diffusen 
tödlich verlaufenen Peritonitis zum mindesten ein Vor¬ 
schub geleistet worden zu sein scheint und zwar aus 
folgenden Gründen: Durch die rapide Entleerung und 
dadurch unverhältnismässige Verkleinerung des Uterus 
wurde, wie der Befund der Laparotomie erwies, infolge 
Umgruppierung der Bauchorgane die bereits spontan 
erfolgte Abkammerung des Peritoneums nicht nur ge¬ 
stört, sondern zerstört, so dass ein Esslöffel voll Eiter 
in den Douglas abfliessen konnte und daselbst eben ver¬ 
schmiert wurde. 

Die Eröffnung der Eiterhöhle zur Entleerung des 
manifest hochgradig virulenten Eiters mit nachfolgender 
Gazedrainage muss zur Kategorie der unreinen Ope¬ 
rationen gezählt werden und die hierdurch frei ge¬ 
wordenen virulenten Keime konnten erfahrungsgemäss 
unter gar keinen Umständen die für einen vaginalen 
Kaiserschnitt unbedingt vorauszusetzende Asepsis garan¬ 
tieren lassen. 

Diese beiden hier angeführten Tatsachen rechtfertigen 
die Erwägung, dass ein abwartendes Verfahren in bezug 
auf die Entbindung der Frau, selbst bei abgestorbenem 
Kinde, eine Abkammerung des Eiterherdes mit Bestimmt¬ 
heit hatte zustande kommen lassen, ohne dass damit die 
Prognose verschlechtert worden wäre. Da aber der 
entleerte Eiter manifest virulent war, so w'äre auch bei 
Zuwarten mit der Uterusentleerung die Gefahr einer 
diffusen Peritonitis nicht mit Bestimmtheit zu vermeiden 
gewesen. 

„Die Sterblichkeit des Zögerns* nach Babler bei 
der Appendizitis lässt auf den vorliegenden Fall wohl 
keinen so vollkommenen Schluss zu, nachdem bei der 
Appendizitis, insbesondere nach erfolgter Perforation des 
Appendix, infolge des verhältnismässig raschen Verlaufes 
der Eiter sich in die freie Bauchhöhle ergiesst, ohne dass 
es in dieser kurzen Zeit zu einer Abkammerung des Eiter¬ 
herdes kommen kann. Bei solch stürmischen Verlauf 
kann das Zögern des Arztes oder Patienten verhängnis¬ 
voll werden. Zeichen eines stürmischen Verlaufs fehlten 
in dem vorliegendem Falle von Typhlitis suppurativa 
insbesondere von Seite des Peritoneums und es wäre nach 
dem Befund zu schliessen, die Gefahr der Verbreitung 
des Eiters in die freie Bauchhöhle bei noch früherer 
Eiterentleerung und vaginalem Kaiserschnitt mangels 
Verwachsungen noch grösser gewesen. Der von Jaschke 
zitierte Fall von E. Opitz (Zeitschrift f. Geb. u. Gyn. 
1913) unterscheidet sich wesentlich von dem hier vor¬ 
liegendem, indem es sich dort um eine Kreissende 
handelt, welche im 7.—8. Monat der Schwangerschaft 
mit Blinddarmentzündung der Klinik zugeführt wurde. 
Hier wurde im Sinne unserer Asepsis der vaginale 
Kaiserschnitt zuerst vorgenommen und hierauf erst die 
Eiterentleerung durch Laparotomie. Fieberfreier Verlauf 
und Heilung. Ob der prinzipielle Standpunkt von Opitz 
für die Vornahme des vaginalen Kaiserschnittes in solchen 
Fällen überhaupt gerechtfertigt und ob das Abwarten 
einer spontanen Entbindung nicht auch zum Ziele führen 
würde, dürfte nach meinen Erwägungen nicht so ganz 
von der Hand zu weisen sein. Auf alle Fälle muss der 
durch eine vaginale Entbindung zustande kommenden 
Umgruppierung der Bauchorgane eine causa movens 
für die Entstehung einer diffusen Peritonitis mit in Be¬ 
tracht gezogen werden. 

Jaschke müssen wir es sehr danken, dass er 
in so eingehender sachlicher Weise diesen Fall der 
Oeffentlichkeit übergibt, welcher für das Vorgehen des 
Praktikers Belehrung und Anregung bietet. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







74 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 8. 


Zwei Unfälle bei einem Tuberkulösen, von denen 
der zweite mit dem Tode in Zusammenhang 
gebracht wird. 

Von Geh. Sanitätsrat Dr. B. Riedel - Berlin. 

Der 39jährige Werkmeister B. wollte am 10. Juli 1911 
einen 80 Kilo schweren Zylinder auf eine Drehbank heben 
und will gleich an demselben Abend etwas Blut im Aus- 
wurf zu wiederholten Maien bemerkt haben. Am 19. Juli 
erfolgte eine heftige Lungenblutung und es wurde zum 
ersten Male ein Arzt zugezogen. Die Blutung wieder¬ 
holte sich und stand nach 10 Tagen. Eine nachweisbare 
Lungenerkrankung konnte nicht festgestellt werden. Nach 
fünfwöchentlichem Krankenlager erholte sich der Patient, 
so dass er seinen Dienst teilweise wieder aufnehmen 
konnte. Am 18. September traf ihn ein zweiter Unfall. 
Er sprang von einer Leiter, die an einen umstürzenden 
Mast gelehnt war, ungefähr 6 Meter hoch herab, zog 
sich eine Verstauchung des rechten Fussgelenks und 
starke Erschütterung des ganzen Körpers zu und musste 
das Bett hüten. Nach einigen Tagen wieder Lungen- 
bluten; dann Abnahme der Kräfte und Husten; schliess¬ 
lich Mitte Dezember 1911 Kopfschmerzen, Nackenstarre, 
Zuckungen, Irrereden, Bewusstlosigkeit und am 5. Januar 
1912 Exitus. Die physikalischen Erscheinungen waren 
ering gewesen; rechts glaubte man eine schwache 
challverkürzung nachweisen zu können. Die Sektion 
ergab in der linken Lungenspitze mehrere alte, kirschen¬ 
grosse, abgekapselte und verkalkte Tuberkelknoten, da¬ 
neben 3 hirsekorngrosse, frische Herde. Rechts einige 
Verwachsungen, ebenfalls alte Herde, daneben zahlreiche 
Gruppen von miliaren, grauen Knötchen; ausserdem die 
Zeichen tuberkulöser Hirnhautentzündung. Das Gut¬ 
achten brachte die Lungenblutungen mit dem ersten 
Unfall in Zusammenhang, der auch die alte Tuberkulose 
zum Aufflackern gebracht hätte. Der zweite Unfall hätte 
eine weitere Verschlimmerung hervorgerufen, die Er¬ 
schütterung Lungenblutungen verursacht und die Weiter¬ 
entwicklung zur Hirnhauttuberkulose und den Tod be¬ 
günstigt. Ein Gegengutachten leugnet jeden Zusammen¬ 
hang zwischen Unfällen und Tod; betonte das späte 


Auftreten der ersten Lungenblutung und auch die spät 
einsetzende Hirnhautentzündung, zu der es voraussicht¬ 
lich auch ohne Unfall gekommen wäre. Anspruch auf Hin¬ 
terbliebenenrente und Sterbegeld wurde zurückgewiesen, 
nur wegen der Fussverstauchung eine 40proz. Erwerbs- 
beschränkung angenommen Das vom Schiedsgericht, 
an das Berufung eingelegt ist, eingeforderte Obergut¬ 
achten verneint den Zusammenhang zwischen Unfällen 
und Ilirnhauttuberkulose. Die Kontinuität der Ver¬ 
schlimmerung wird vermisst. Eine Lungenblutung, die 
ausgeheilt ist und keine dauernde Verschlechterung des 
ganzen Krankheitsbildes hervorruft, kann nicht drei 
Monate nachher für den Eintritt einer miliaren Tuber¬ 
kulose herangezogen werden. Das Schiedsgericht sondert 
die beiden Unfälle und billigt der Witwe aus dem ersten 
keine Rentenansprüche zu. Solche kommen erst 13 
Wochen nach einem Unfall in Frage. Innerhalb dieser 
Karenzzeit hat sich jedoch B. auf dem Wege der 
Besserung befunden und seine Tätigkeit zum Teil wieder 
aufgenommen, sich auch der zweite Unfall ereignet. 
Aus diesem billigt das Schiedsgericht der Witwe Rente usw. 
zu Bei den sich widersprechenden Gutachten trat es 
dem des behandelnden Arztes bei und stellte sich auf 
den Standpunkt, dass der zweite Unfall durch die in 
keinem Gutachten widerlegte Erschütterung des Körpers 
die kaum ausgeheilte Lungenblutung hervorgerufen, da¬ 
durch die Weiterverbreitung der Tuberkulose begünstigt 
und damit indirekt den Eintritt des Todes verursacht habe. 

Der gegen den Bescheid des Schiedsgerichts beim 
Reichsversicherungsamt eingelegte Rekurs wurde zurück¬ 
gewiesen. Das Gutachten weist die Möglichkeit des 
Zusammenhanges der zweiten Blutung mit dem zweiten 
Unfall nicht von der Hand. Der Schreck, die plötzliche 
Anspannung aller Kräfte in Verbindung mit der Er¬ 
schütterung hätten eine Blutung aus der kranken Lunge 
ausgelöst und dadurch eine Verschlimmerung, die endlich 
zum Tode führte, herbeigeführt. Der andauernde 
Schwächezustand nach der Blutung sei nicht durch diese 
erklärt, sondern deute auf eine eingetretene Ver¬ 
schlimmerung des Leidens hin. 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Ueber die Beeinflussung von Erkrankungen des 
Nervensystems durch den Apparat von ßergonife. 

Von Dr. J. L ö w y. 

(Aus der med. Universitätsklinik R. v. Jahsch, Prag.) 

Der von B u x b a u m modifizierte Apparat von 
Bergonie wurde zunächst zur Erziehung von Ent¬ 
fettungskuren mit dem Erfolge angewendet, dass Ge¬ 
wichtsabnahmen nur dann erzielt werden, wenn gleich¬ 
zeitig eine entsprechende Regelung der Diät vorge¬ 
nommen wird. Enteroptose stellt eine Kontraindikation 
dieses Verfahrens dar. 

Verschieden kann sich jedoch die Indikationsstellung 
bei funktionellen Erkrankungen des Nervensystems dar¬ 
stellen. Bei Beschäftigungsneurosen kann ein Erfolg er¬ 
zielt werden, während funktionelle Störungen auf hyste¬ 
rischer Basis unverändert bleiben können. 

Digitized by Google 


Inaktivitätsatrophien nach ausschliesslicher \ er- 
letzung (Schussverletzung) der Muskulatur können im 
allgemeinen rasch gebessert werden. 

Muskelatrophien, die auf Nervenläsionen zurückzu¬ 
führen sind, können durch das Verfahren nach B er¬ 
go nie rascher gebessert werden als durch die sonst 
übliche Therapie. Auch die Behandlung von durch 
Hemiplegien bedingten Lähmungen hat befriedigende 
Resultate ergeben. 

Bei Läsionen des Rückenmarkes ist der therapeutische 
Effekt abhängig von Art und Umfang des Krankheits- 
prozesses. Bei alleiniger Beteiligung der motorischen 
Bahnen des Rückenmarkes kann eine völlige Restitution 
der Motilität erfolgen: bei Mitbeteiligung der sensiblen 
Bahnen verschlechtert sich die Prognose bedeutend. Ein 
guter Erfolg wurde bei einer Paraparese beider unterer 
Extremitäten nach Abortus erzielt, während eine Kom- 
Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 8. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN'. 


75 


pression des Rückenmarkes infolge Spondylitis völlig 
unbeeinflusst blieb. (Ztschr. f. phvs. u. diitt. Therapie, 
ßd. XIX.) Autoreferat. 


Ein einfacher Apparat zur quantitativen Be¬ 
stimmung von Eiweiss, selbst in den 
kleinsten Mengen. 

Von W e i s s - Freiburg. 

(M. m. Wschr. 30, 1015.) 

Dr. Weiss, Freiburg, beschreibt einen neuen, ein¬ 
fachen Glasapparat, mit welchem selbst kleinste Mengen 
Eiweiss, noch ein Zehntel Milligramm innerhalb wenigen 
Minuten bestimmt werden können. Der Apparat besteht aus 
einem Reagensglase, welches oben und unten ausgebaucht 
ist, bei 5 ccm die erste, und weiter nach oben am 
dünnem Teile eine Anzahl Graduationsmarken trägt. 
Als Reagens dient eine Lösung von Phosphorwolfram¬ 


säure , welche so konzentriert ist, dass ein gewisses 
Quantum gerade noch imstande ist ein Zehntel Milli¬ 
gramm Eiweiss zu deutlicher Trübung zu bringen. Diese 
Lösung wird in den Apparat bis zur Eichungsmarke U 
gebracht, und dann von verdünntem Harn so viel zu¬ 
gegeben. bis gerade eine Trübung entsteht. Sobald 
dieses eingetreten ist, liest man den Stand der Flüssig¬ 
keit ab. Man hat nun die Menge Harn, in welcher ein 
Zehntel Milligramm Eiweiss enthalten ist, und findet auf 
der Hegleittabelle direkt den entsprechenden Gehalt an 
Eiweiss in 1000 Teilen. Wichtig ist, dass alle Flüssig¬ 
keiten ganz klar filtriert sind, und dass man Harn in 
solcher Verdünnung verwendet, dass nur 0,1 ccm Harn 
zur Verwendung gelangt. Die Tabelle ist für ver¬ 
schiedene Verdünnungen ausgeurbeitet, so dass man 
durch einen Vorversuch zunächst die ungefähr nötige 
Verdünnung feststellt, und dann erst den eigentlichen 
Versuch ausführt. 

Der Preis des Apparates ist Mk. 5,50 mit Reagens 
für 20 Untersuchungen, Autoreferat. 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Offermann, Über die serologischen Untersuchungs- 
methoden als Hilfsmittel zum Nachweis der Trypanosomenkrank- 
heiten, Im besonderen der Beschälseuehe. (Arb. a. d. Kaiserl. 
Gesundhtsamte. Bd. 50, Heft 1, 1915.) 

Die Komplementbindung und die Agglutination erwiesen 
sich nach den Versuchen von Offermann als wertvolle 
diagnostische Hilfsmittel zur Festslellung der gefährlichen, viel¬ 
fach latent verlaufenden Beschälseuche der Pferde, wo diese als 
einzige Trypauosomiasis der Pferde in Frage kommt. Eine 
Ditferenzierung der Beschälseuchetrypanosomen gelingt damit 
jedoch nicht, da beide Reaktionen Gruppenreaktionen sind. 
Die Komplementbindung lieferte bessere Ergebnisse als die 
Agglutination. Die spezifischen Antikörper traten im Blute der 
infizierten Tiere bei der Komplementbindung schon nach 0 bis 
11, im Durchschnitt nach 9 Tagen auf, bei der Agglutination 
nach 6 bis 27, im Durchschnitt nach 13 Tagen ; also kurz 
nach der Infektion und ohne dass die infizierten Tiere irgend¬ 
welche Krankheitserscheinungen zeigten. Das Auftreten der 
Antikörper war zeitlich und in der Menge verschieden nach Indi¬ 
viduum und Kraukheitsverlauf. Die Antikörper gingen viel¬ 
fach im Verlaufe der Krankheit zurück, um gegen das Ende 
hin wieder anzusteigen. Eine Regelmässigkeit dieser Er¬ 
scheinung konnte nicht festgestellt werden. In keinem Fall 
verschwanden sie ganz aus dem Blute. Sera gesunder Kaninchen 
besassen vielfach eine geringe die Hämolyse hemmende Wir¬ 
kung, aber nicht regelmässig und nie bei Verwendung von 
0,01 ccm Serum. Agglutinine konnten in normalem Kauinchen- 
serum nicht nachgewiesen werden. Bei steriler Aufbewahrung 
lassen sich die Antikörper noch nach Monaten im Serum uach- 
weisen. Zur Agglutination müssen frische Trypanosomenauf¬ 
schwemmungen verwandt werden, da allere in ihrer Wirkung 
nachlassen. 

Dr. rer. nat. E. H a i I e r , Die Ablötung von Milzbrand 
spuren an Häuten und Fellen durch Natronlauge. (Arb. a. d 
Kaiserl Gesundhtsamte. Bd. 50, Heft I, 1915.) 

Da die in der Gerbereitechnik angewandten gewöhnlichen 
und angesehärften Äscher eine sichere Desiufektionswirkuug 
hei milzbrandinfizierten Häuten und Fellen nicht ausüben, 
wurden von H a i 1 e r nach dem Vorbild der Pickeluug ähn¬ 
liche Versuche durch Desinfektion mit Natronlauge angestellt. 
Praktisch hätte die Behandlung der Häute und Felle mit 

Digitized by Google 


Natronlauge vor der Pickeluug (Einlegen in 2 prozentige Salz¬ 
säure und 10 Teile Na CI) den Vorzug, dass sich dabei Ein¬ 
weichen, Äscherung und Desinfektion in einem Prozesse vor¬ 
nehmen Hessen. Ob jedoch durch die Behandlung mit Natron¬ 
lauge vielleicht die Verwendbarkeit der Häute und Felle zu 
einzelnen Lederarten beeinträchtigt wird, konnte im Labo¬ 
ratoriumsversuch nicht festgestellt werden. Das zu prüfen ist 
Sache der Praxis. Bezüglich der Bindung für Natronlauge 
verhielten sieh die Häute, ja sogar die einzelnen Hautstücke 
verschieden. Es Hessen sich also nicht, wie bei der Salzsäure, 
bestimmte Beziehungen aufstellen. Untersucht wurden etwa 
0 bis 700 etwa 0 cm 2 grosse Stücken von 4 milzbrandhaltigen 
Rinderhäuteu, einem Schaf- und einem Ziegenfell Diese 
wurden bei einer Temperatur von 15—20" C mit 0,5—1 prozen¬ 
tiger Natronlauge behandelt, der in einzelnen Versuchen Koch¬ 
salz in Mengen von ,0,7—10 Proz. zugeselzt war. Die Er¬ 
gebnisse waren, dass es nötig ist, mindestens das 10 fache des 
Fellgewichtes an Lauge anzuwenden. Dann werden durch eine 
*/j prozentige Natronlauge mit einem Zusatz von 5—10 Proz. 
Kochsalz bei 72 etündiger Einwirkung bei Zimmertemperatur in 
fast allen Hautstückehen Milzbrandsporen abgetötet. Aus¬ 
nahmebefunde kommen vor, ebenso wie bei der Piekelung, doch 
dürften sie praktisch nicht viel zu bedeuten haben: Eine gleich¬ 
zeitige Nachprüfung der vou C o n r a d i zur Isolierung von 
Diphtheriebazillen empfohlenen Ölstäbchenmethode ergab keine 
unbedingte Überlegenheit bezüglich des sicheren Nachweises der 
Milzbrundkeitne gegenüber dem bisher angewandten unmittel¬ 
baren Ausetreiehen der Emulsion Ein unverkennbarer Vorzug 
der Pctrolätlierausscliüttelung ist aber, dass mehrere die Agar¬ 
platten schnell überwuchernde Bakterieuarten dabei ausgcschaltct 
werden, dass man daher mit einer kleineren Zahl von Platten 
auskommen kann und Erkennung und Nachweis der Milzbrand¬ 
kolonien einfacher und bequemer ist. 

Dr. Luis Filcnski (Buenos Aires), Zur Frage der 
Verpackung der behufs Vornahme der bakteriologischen Fleisch¬ 
beschau zur Versendung kommenden FMschproben. (Arb. a. d. 
Kaiserl. Gesundhtsatnte. Bd. 50. Heft 1, 1915.) 

Zur Nachahmung der natürlichen Verhältnisse bei der 
Fleischbeschau wurden ausser den ohne besondere Yorsichls- 
massregeln entnommenen und in undurchlässiges Papier einge¬ 
schlagenen Muskel- und Organproben (Milz, Lymphdrüsen), 
auch künstlich infizierte untersucht. Von 41 Muskelproben 
vou frisch geschlachteten Rindern waren 11 keimhallig, 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Ä 
URBANA-CHAMPAIGN 






FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 8. 


7b 


30 keimfrei. Von 9 Pferdefleischprobeu waren 5 keirahaltig. 
Die Infektion war sicher nachträglich erfolgt. Die künstliche 
Infektion erfolgte durch Injektion von Aufschwemmungen von 
Fleischvergiflungsbakterien, Kokken, Koli, Milzbrand und Rot¬ 
laufbazillen. Als Packmaterial wurden geprüft: J. Kleie (und 
Sagemehl 1 . 2. Brennspiritus. 3. Essig. 4. Sublimatlösung. 
5. Pickelflüssigkeit nach Schattenfloh d. h. 2 prozentige Salz¬ 
säurelösung und 10 g Kochsalz. 6 Borax. 7. Chlorkalk. 
Die Kleie eignet sich zur Verpackung von Fleisch- und Organ¬ 
proben am besten, wegen ihrer noch stärker austrocknenden 
Wirkung als Sägemehl. Durch die Oberflächenaustrocknung 
hält sie eine Ausseninfektion zurück und bewahrt die im 
Innern enthaltenen Keime gut vor einer Sekundärinfektion. 
Auch der Brennspiritus verhindert eine Ausseninfektion der 
Proben sicher, er übt jedoch eine gewisse schädigende Wirkung 
auf die in den oberflächlichen Schichten befindlichen Bakterien 
aus. Tiefenkeime wurden nicht beeinflusst. Das Einschlagen 
in mit Brennspiritus nur leicht getränkte Tücher dürfte 
sich hauptsächlich für grössere Proben empfehlen. Auch die 
Versuche mit Pickelflüssigkeit fielen günstig aus. Ihrer all¬ 
gemeinen Anwendung dürfte entgegen stehen, dass sie nicht 
überall erhältlich ist. Die Verwendung von Essig, Sublimat¬ 
lösung, Borax und Chlorkalk ist trotz den mit einzelnen von 
diesen Mitteln erzielten guten Resultaten für die Praxis nicht 
anzuraten. 


Innere Medizin. 

Schlesinger, Die Herzkrankheiten und Herz¬ 
störungen der Soldaten Im Felde. (M. m. W. 1915 Nr. 42.) 

Verfasser, der eine Abteilung eines Feldlazarettes leitet, 
meint, dass die einzelnen Formen bei Soldaten recht verschieden 
oft, verglichen mit der Zivilbevölkerung Vorkommen. Bei seinen 
171 Fällen unterscheidet er : 

1 alte, jetzt dekompensierte Herzklappenfehler und ältere 
organische Herz- und Gefässkrankheiten Er unter¬ 
scheidet hier 2 Gruppen, von denen die eine sich, z. T. 
wenigstens, aus Kriegsfreiwilligen rekrutiert und die die 
Strapazen wochenlang aushält, während die zweite 
Gruppe, die aus Leuten derselben Jahresklasse besteht, 
schon in der ersten oder in der zweiten Woche zu¬ 
sammenklappte. Das wesentliche dürfte hier die 
„psychische Konstitution" sein. Die Dekompensation 
wird meist auch durch „psychische Erregung" aus¬ 
gelöst. 

2. Akute Endokarditis. Kam gehäuft im Oktober (rheuma¬ 
toide Erkrankungen) und im Februar (influenzaartige 
Erkrankungen) vor. 

3 Toxische, insbesondere thyreotoxische Herzstörungen. 
Eine Struma war meist (10:14) nur als Nebenbefund 
aufzufassen 

4. Konstitutionelle Herzmuskelschwäche. Anatomische 
Grundlage war in einer Herzgefasshypoplasie zu sehen 
Ihre Zahl unter den Kriegsteilnehmern soll verhältnis¬ 
mässig gross sein. 

5. Dilatation und Hypertrophie des Herzmuskels. Verf. 
weist daraufhin, dass ein systolisches Geräusch meist 
über dem ganzen Herzen, ja mitunter am lautesten über 
der Pulmonalis zu hören ist Der Blutdruck war hoch. 
Meist bestand Tachykardie. Eine Restitutio ad integrum 
ist hier kaum zu erwarten. 

(1. Herzneurosen Etwa die Hälfte aller Fälle. Meist 
handelt es sich um eine sensible Neurose. Klinische 
Erscheinungen sind Pulsbeschleunigung, Labilität deB 
Pulses und respiratorische Arythmie, ferner Pulsation 
im Epigastrium und Jugulum, sowie systolisches Ge¬ 
räusch im 2. Interkostalraum. Dazu kommen vaso¬ 
motorische Phänomene. Solche Kranke will Verf. in 
der Etappe heilen lassen, da sonst das Krankheits¬ 
gefühl der Patienten zu gross wird. 

Hering, Zur Erklärung des plötzlichen Todes bei 
Angina pectoris. (M. m. W. 1915 Nr. 44.) 

Da die klinische Beobachtung, sowie die pathologische 
Untersuchung den plötzlicheu Tod bei Angina pectoris nicht 
erklären konnte, untersuchte H. die Frage im Tierexperiment 
und kam zu dem Ergebuis, dass der Tod durch Herzkammer- 

Digitized by Google 


flimmern, d. h. durch fibrilläre Kontrakturen der Herz¬ 
muskulatur eintritt. Was den Einfluss der Sklerose der Herz¬ 
arterien anbe'angt, so hat „KoronararterienVerschluss“ nur im 
Verein mit anderen Koeffizienten Herzkammerflimmern zur 
Fjlge. Zu diesen Koeffizienten gehören, so weit bis jetzt be¬ 
kannt, als disponierende die Grösse der Arterie, die Funktion 
des von ihr besorgten Bezirkes, die Narkose, die Blutung, die 
Nebenverletzungen. Als auslösende Koeffizienten kommen 
nacheinander in Betracht: Der Koronararterienverschluss, die 
lokale Ischämie, die lokale Vergiftung, wahrscheinlich als 
wesentlich die Kohlensäure und schliesslich die heterotopen 
Herzreize. 

Die heterotopen Herzreize sind die unmittelbar das Flimmern 
auslösenden Koeffizienten, denn wir wissen heute, dass das 
Flimmern die Folge des höchsten Grades einer heterotopen 
Reizbildung ist So ist die Sklerose also nur disponierendes 
Moment. Herzkammerflimmern mag nun aber durchaus nicht 
immer tödlich sein. Es kann auch vorübergehen. Für die 
Therapie ist wichtig, dass alles vermieden werden muss, was die 
heterotope Reizbildung fördert. 

Hess, Spezifische Pneumnniebehandlung mit Optochin 
(Aethylhydrocupreln). (M. m. W. 1915 Nr. 45.) 

Verf. hat 81 Fälle von Pneumonie mit Optochin behandelt 
und 81 ohne Optochin. In der ersten Serie hatte er 12,3 Proz., 
in der zweiten 17,2 Proz. Todesfälle Selbstverständlich musste 
in einigen Fällen neben Optochin auch noch zu Digalen usw, 
gegriffen werden. Die Obduktion der Verstorbenen ergab, das? 
mehrere Fälle eine Mischinfektion hatten, in einem Fall bestand 
eine Polyserositis, einmal eine Myodegeneratio. Fünfmal wurde 
eine septische Milz gefunden. 

Klinisch fiel das häufige Auftreten einer Pseudokrise auf. 
Das Mittel wurde angenehm empfunden. Verf. hält für die 
beste Form eine Dosierung in Pillen (6x0,2'. 1,5 g pro die 

sollen nicht überschritten werden. 

J e s 8 e n , Zur Behandlung der Blutinfektion. (M. m. W. 
19 5 Nr. 45.7 

Intravenöse 1 proz. Milchsäure-Injektion ist bei Strepto- 
und Staphylokokken-Infektion, bei rheumatischen Erkrankungen 
und bei beginnender Tuberkulose, aber nicht bei Abszessen von 
günstigem Einfluss. 

Weichardt, Uber die unspezifische Behandlung von 
Infektionskrankheiten. (M. m. W. 1915 Nr. 45.) 

Ausgehend von den Erfolgen, die man bei Typhus mit 
Injektionen von Typhusimpfungstoff erzielt hat, eiinnert Verf. 
daran, dass man durch vorsichtige Spaltung von Eiweiss Stoffe 
herstellen kann, die, injiziert, Temperatursturz, Atemver¬ 
langsamung und Sopor hervorrufen. Nach Kochsalzinjektion 
findet eine Leistungssteigerung statt. Zur Messung dient ihm 
die Drüsensekretion (Milchdrüsen älterer Ziegen). 


Kinderheilkunde. 

Scherer und K u t v i r t (Prag): Die Beziehung der 
Mittelohrentzündung zu den Krankheiten des Säuglingsalter?. 

(Jahrb. f. Kinderhlke. Bd. 82. H. 2 ) 

Erörterung des Zusammenhangs zwischen den Erkrankungen 
des Mittelohrs mit den verschiedenen Ernährungsstörungen des 
Kindes und mit den Affektiouen der oberen und tieferen Luft¬ 
wege, sodann mit dessen verschiedenen Allgemeinerkrankungen 

S t r a u s s - Mannheim. 


Psychiatrie und Neurolögie. 

Laudenheimer, Die Anamnese der sog. Kriegs- 
psychoneurosen. (M. med. Wschr., 38, 1915.) 

Aus seinen interessanten Erhebungen von Patienten die 
den verschiedensten Gesellschaftsklassen entstammten, zieht L 
folgende Schlüsse : 

Ausschlaggebendes Moment für die psychisch-nervösen Er¬ 
krankungen im Felde ist die Disposition. Als disponierend im 
weiteren Sinne hat auch die Zugehörigkeit zu den höheren oder 
gehobenen Berufen zu gelten. 

Am stärksten disponiert sind die ängstlich-depressiven 
Konstitutionen. Die sehr seltenen Fälle, wo anscheinend bei 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





77 


Nr. 8. FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nichtdispouierten durch Kriegsereignisse psychoneurotische 
Störungen entstehen, äusseru sich in hysteroiden Symptomen 
und schliessen sich vorwiegend an Granatexplosionen an. 

Für Wiederherstellung der Felddienstfähigkeit ist die 
Prognose bei den Ängstlich-Depressiven am schlechtesten, bei 
den einfachen Neurasthenikern = (Erschöpften) am günstigsten. 

Epileptoide Konstitutionen, auch ohne epileptische Anfälle 
sind, weil zu Konflikten mit der Disziplin neigend, im Felde 
bedenklich. 

Die beiden letzten Punkte scheinen für den bei der Aus¬ 
hebung tätigen Arzt besonders wichtig. Wan sollte nachweis¬ 
lich ängstlich-depressive, sowie epileptoide Konstitutionen mög¬ 
lichst vom Frontdienst fernhalten, bezw. ihre relativ frühzeitige 
Rückkehr aus dem Feld als natürliche und zweckmässige Aus¬ 
lese betrachten. 

Dagegen braucht man bei der Aushebung Neurasthenischer 
und der leichteren nicht angst-neurotischen Psychopathen weniger 
ängstlich zu sein. — R 


Medikamentöse Therapie. 

Nach Dr. med. Nerlinger’s Angaben bringt die Oblaten- 
fabrik von Johann Schmidt, Nürnberg unter dem Namen 
„G u t t a m y 1“ eine Sorte von capsul. amylac. in den Handel, 
die dazu bestimmt sind flüssige Arzeneimittel gesebmackfrei 
reichen zu können. Die Füllung erfolgt vom Patienten selbst 
direkt vor dem Einnehmen. Der geringe Preis — 20 Stück 
kosten 50 Pfg. — lässt ihre Verwendung in geeigneten Fällen 
empfehlenswert erscheinen. 

Die Lenicetpräparate der Rheumasan- und 
Lenicetfabrik von Dr. Rudolf Reiss, Charlotten bürg, haben 
neuerdings eine Vermehrung erfahren. 

Das Lenicet selbst, bisher als Wund- und Kinderpuder 
sowie in verschiedener Salbenform gebräuchlich, stellt ein reines 
polvmerisiertes Tonerdeazetat vor, das als Desinfektionsmittel 
bei völliger Geruchlosigkeit rein und kombiniert mit Thymol, 
Glyzerin, Bolus usw. Jodoform völlig ebenbürtig ist In Ver¬ 
bindung mit Superoxyd und Menthol als Muudwasser in fester 
Form entwickelt es beim Gebrauch aktiven Sauerstoff, entfernt 
den Zahnstein und strafft die Schleimhäute des Mundes und 
des Rachens. 

Lehireuin ist für den Laryngologen von Wichtigkeit. Es 
wirkt hämostatisch und schmerzlindernd und wird bei infizierten 
Wunden zur Tamponade mit Erfolg gebraucht. Auch bei 
feuchten Katarrhen hat es sich als Schnupf- und Streupulver 
zum Einblasen bestens bewährt. 

Als Desinficiens und Desodorans der Mundhöhle zu 
Wasch- und Desinfektionszwecken analog dem Wasserstoff¬ 
superoxyd gelangt das Liquat zur Anwendung. Es stellt ein 
Salz dar. von dem eine grosse Messerspitze voll in ca. 200 ccm 
Wasser gelöst werden. Neben essigsaurer Tonerde und H 2 O s 
enthält es schwefelsaures Natrium und Borat. Seiner be¬ 
quemen handlichen Form und leichten Löslichkeit wegen eignet 
es sich vornehmlich für die Reise und für die Landpraxis. 
In Verbindung mit Jod stellt das Jod-Lenicet ein 10 Proz. 
Jod enthaltendes staubfeines Pulver vor, das als Ersatz für 
Jodtinktur bei Wurzelhautentzündung gute Dienste leistet. Es 
ist mit einem Wattebäuschchen aufgetragen schmerzlos, wird 
rasch resorbiert und greift die Schleimhaut fast gar nicht an, 
jedenfalls viel weniger als die Tinct. Jodi. 

Unter dem Namen „J o d - P r o t h ä m i n“ bringt die 
Firma Goedecke u. Cd', chemische Fabrik, Leipzig und Berlin 
N. 4 ein hochjodiertes, geruchloses und leicht resorbierbares 
Jodeiseneiweisspräparat in den Handel, das wegen seiner 
Billigkeit (50 Tabletten ä 0,4 — 0,04 Jod kosten 2,00 Mark) 
und seiner sonstigen Eigenschaften vor den anderen bekannten 
Jodpräparaten — Sajodin, Jodglidine usw. — den Vorzug ver¬ 
dient Es wird gebraucht bei allen Fällen, in denen eine 
länger dauernde Jodmedikation angezeigt ist und zwar 3 bis 
4 mal täglich 1—2 Tabletten leicht zerkaut mit ein wenig 
Flüssigkeit, wie Tee, Kakao, Milch oder Wasser. Gleichzeitig 

Digitized by Google 


wirkt es durch seinen Eisen- und besonders Eiweissgehalt als 
Nährmittel. Verstärkt ist diese Eigenschaft in den Prothämin- 
Malz-Dragees, die nach Prof. Salkowski und Prof Polland bei 
Schwächezuständen infolge darniederliegender Ernährung, 
Chlorose, Anämie, Neurasthenie und besonders bei Tuberkulose 
und Skrofulöse der Kinder eiu neues Roborans von eminenter 
Wichtigkeit vorstellen. 

Prof. Kafemann empfiehlt das von der Trisalven-Gesellschaft 
inKönigsberg i.Pr. hergestellte Trisalven als zuverlässiges Mittel. 
Es ist eine Kombination von Sublimat mit Phenolkampfer, die 
beide in einer odorierenden Substanz gelöst sind und denen 
zugleich ein fixierend witkeudes Harzgemisch beigefügt ist 

„E n t e r o s a n“ der chemischen Fabrik Knoll u. Co. 
in Ludwigshafeu a. Rh. ist eine in verdünnten Säuren schwer¬ 
lösliche Kalkverbindung der Gerbsäure mit ca. 85 Proz. 
Tannin und 15 Proz. Kalzium. Es wird intern als Pulver oder 
Tabletten zu 0,5 g 3 bis (1 mal pro Tag gegen Diarrhöen aller 
Art, auch infektiösen Ursprungs, gegeben und vereinigt in sich 
die gefässverengende Wirkung des Kalkes mit der gerbenden 
und schwach desinfizierenden des Tannins. Es wurde auf dem 
östlichen Kriegsschauplätze mit viel Erfolg und in grossem 
Massstabe an Stelle des Tannalbins augewendet ohne dasselbe 
völlig zu verdrängen. Besonders in der Kinderpraxis empfiehlt 
sich seine Verwendung. Otto. 

I. W. Roth, D D. S., Red Hill, Pa., Meine Er¬ 
fahrungen mit Bromural ln der Zahnheilkunde. (The Dental 
Summary Bd. 35 Nr. 5.) 

Autor hatte mit Bromural in seiner Praxis ausgezeichnete 
Resultate zu verzeichnen in allen Fällen, in denen eine seda¬ 
tive Wirkung erwünscht war. Das Präparat wurde in Dosen 
von 1-3 Tabletten je nach Lage der Verhältnisse verabreicht. 
In Dosen von 5—10 Grains (1 — 2 Tabletten) bewährte sich 
Bromural als Nervenberuhigungsmittel, in Dosen von 10—15 
Grains (2—3 Tabletten) als mildes Hypnotikum. Irgend¬ 
welche Klagen über unerwünschte Nebenwirkung fänden nie¬ 
mals statt. Auch zur Vorbereitung auf zahnärztliche Eingriffe 
bewährte sich das Mittel. Zwar wurden die durch die zahn¬ 
ärztliche Behandlung hervorgerufenen Schmerzen nicht beseitigt, 
aber schmerzhafte Operationen wurden von nervösen Patienten 
weniger Dnangenehm empfunden und es konnte eine gewisse 
Willenslosigkeit beobachtet werden. Bei längeren zahnärztlichen 
Sitzungen wurde Broraural 20—30 Minuten vorher verabreicht. 
Es empfiehlt sich die Tabletten in Flüssigkeit zu nehmen (lau¬ 
warmes Wasser oder Milch) in welcher sie leicht zerfallen. 

N e u m a n n. 

Der fördernde Einfluss von Arsen-Begenerln und Regenerin auf Blut- 
blldnng, Körpergewicht und zur Hebung des Allgemeinbefindens und 

die gute Bekömmlichkeit dieser Lezithin-Eisen- und Arsen- 
Kombination. 

In der Frage der Stärkung Kriegsverwundeter durch 
Blutverluste oder schwere Krankheiten Geschwächter, wie auch 
zum Ausgleich von Schädigungen des Nervensystems bei 
Frauenleiden aller Art spielt die kombinierte Arsen-Eisen¬ 
medikation eine bedeutende Rolle. — 

Da solche Kuren oft Wochen und Monate durchgeführt 
werden müssen, ist es ein Haupterfordernis, dass solche Medi¬ 
kationen sich durch Wohlgeschmack, Wohlbekömmlichkeit (kein 
Magendrücken, keine Verstopfung) und durch unbegrenzte 
Haltbarkeit (keine Rostabscheidung, keine Entwicklung von 
Schwefelwasserstoffgeruchl sich auszeichnen. In jahrelanger 
Praxis haben sich nun die besonders bekömmlichen Arsen¬ 
lezithin-Eisen und Lezithineisen-Präparate, Arsen-Regenerin und 
Regenerin durch Wohlbekömmlichkeit und das Fehlen der 
oben genannten unangenehmen Nebenerscheinungen bei vor¬ 
züglicher Wirkung ausgezeichnet. Bereits im Jahre 1919 be¬ 
richtet Weissmann in der Ärztlichen Rundschau München 
auf Grund eingehender Beobachtungen am Krankenbette und 
der Ergebnisse der Blutkörperchenzählungen, sowie der Fest¬ 
stellung des Hämoglobingehaltes, dass das Regenerin sich in 
Fällen von akuter Anämie nach Blutverlusten, von Anämie 
nach schweren Krankheiten und in Fällen echter typischer 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



78 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 8. 


Chlorose, »los Arsen-Regeneiin speziell in Fällen von M agen - 
Dorn»schwäche, in Fällen von Skrofulöse, englischer Krankheit und 
Tuberkulose, sowie in allen mit Anämie einhergehenden nervösen 
Störungen, wie Migräne, Neurasthenie sich bewährt hohen und 
eine wertvolle Bereicherung des Arzneisehatzes bilden. — 

1910 erschien eine Arbeit von Döllung über recht 
beachtenswerte Erfolge mit den Regencrin-Präparaten. Bei 
Blutanomalien z. B. Anämie, Chlorose, ferner bei Unter¬ 
ernährungszuständen bei Schwächezuständen verschiedener 
Ätiologie, bei Neurasthenie und Neuroseformen, bei Rachitis 
Skrofulöse, bei Erschöpfungen z. B nach längerer an¬ 
dauernder Laktation, nach Infektionskrankheiten z B. 
Pneunomie, Pleuritis, Bronchitis usw. war die Wirkung 
sowohl quond vitam als auch quoad valetudinem eine recht 
günstige. Von Arsen-Regenerin konnte D. einen überaus 
zweckmässigen Gebrauch machen. Bei funktionellen Nerven¬ 
leiden, bei Schwäche und Erschöpfungszuständen bei Base¬ 
dowscher Erkrankung bei anämisch - chlorotischen Bluter¬ 
krankungen während der Rekonvaleszenzperiodc im Anschluss 
an infektiöse kontagiöse Leiden bei Haut- und Sexualer¬ 
krankungen — 

Regenerin wirkt als Regenerin flüssig oder in Tabletten¬ 
form seinem Namen völlig entsprechend, in bevorzugtem Grade 
belebend regenerierend auf den Gesamtstoffwechsel und den 
Gesamthaushalt des menschlichen Organismus. — Eine weitere 
Arbeit erschien 1913 aus dem Kinderspital der allgemeinen 
Poliklinik Wien, Vorstand Professor Hamburger, von 
D i e t 1. 

Das Arsen-Regenerin bezw. Regenerin stellt nach diesem 
Autor eine treff liche Waffe dar als Robornns und zur Hebung 
tles Allgemeinbefindens, das auch von Kindern gerne genommen, 
niemals irgend welche üble Nebenwirkung hat und einen sicht¬ 
bar fördernden Einfluss auf Blulbildung und Körpergewicht 
ausübt. Es kann überall empfohlen werden, wo eine Eisen- 
Arsen-Therapie indiziert erscheint, namentlich in der ab¬ 
wechselnden Darreichung im Sinne vou N o o r d e n (zuerst 
Arsen-Regenerin dann Regenerin) bei Erwachsenen wie auch in 
der Kinderpraxis. — 

Aus der Frauenpraxis wird noch besonders mitgeteilt, dass 
auch in Fällen von chronischen Schwächezuständen, da reine 
Eisen-Arsen-Kombination und auch andere Eisen-Arsen-Präpa- 
rate wegen sich einstellender Nebenerscheinungen ausgesetzt 
werden mussten, Regenerin und Arsen-Regenerin gut bekommen 
sind, keinerlei unangenehme Folgeerscheinungen zeitigten, die 
nervösen Beschwerden erheblich zurückgingen und das Körper 
gewicht sich in kurzer Zeit erheblich steigerte. 

Hersteller Dr. R. & Dr. O. Weil, Fabtik ehern, pharm. 
Präparate, Frankfurt a. M. 

Über Buccotperin, ein Kombinations-Präparat zur 
inneren Behandlung der Gonorrhoe. 

Balsamica, innere Antiseptica und Diuretica sind die 
3 Gruppen von inneren Mitteln der Gonorrhoetherapie, mit 
denen wir die Reizerseheinungen, das Brennen und Jucken in 
der Harnröhre, sowie die Schmerzen bei der Miktion beseitigen 
können. 

Während die Balsamica im wesentlichen eine adstrin¬ 
gierende Wirkung auf die Harnröhrenschleimhaut ausüben, 
wirken die inneren Antiseptica, besonders Hevamethylentetramin 
und Salizylpräparate, rein antibakteriell, sie sterilisieren den 
Harn und die Harnwege. Die Diuretica schliesslich, in erster 
Reihe Fol. Buceo, wirken diluierend. 

Von dem Gesichtspunkt, ausgehend, «lass der physio¬ 
logische Effekt einer Substanz bei Kombination mit einer anders¬ 
artig wirkenden verstärkt werden kann, wurden die Buccosperin- 
Kapseln, eine Kombination von Diureticum, Balsamieum und 
Antiseptikum, in die Therapie der Harnkrankheiten einge¬ 
führt. Für die Auswahl der einzelnen Komponenten aus den 
drei genannten Gruppen kamen nur solche Mittel in Frage, die 
möglichst frei von schädlichen Nebenwirkungen sind. Die 
Wahl des Balsamicums war am schwierigsten, denn die meisten 
vou ihnen, wie Extr. Pichi, 01. Santali, Terpentinöl, Kawa- 
Kawa usw. verursachen fast immer lästige Erscheinungen wie 
Übelkeit, Aufstossen, Magendrücken und Erbrechen. Längere 
eingehende Beobachtungen darüber, dass die Elimination des 


Digitized by Google 


Kopaivahalsams sehr langsam erfolgt, liessen annehmen, da«s 
er sehr milde wirkt, wenngleich auch er nicht ganz frei von 
Nebenwirkungen auf die Magenschleimhaut ist. Üm jeder Reiz¬ 
erscheinung von seiten des Magens vorzubeugen, wurden »lie 
erst im Dünndarm löslichen Kapseln für das Kombinations- 
präparat. gewählt, wodurch der Kopaivabalsam durch langsame 
Resorption vom Darm aus in die Zirkulation gelangt; die 
Ausscheidung durch die Nieren findet ganz allmählich statt und 
daraus erklärt sich «lie eminent milde Wirkung «les Kopaiva- 
balsams. 

Als Diureticum wurden die vou altersher geschätzten 
Fol. Bucco gewählt und zwar im Interesse erhöhter phar- 
makodynamischer Wirkung in Form eines im Vacuum her- 
gestellten Extraktes. 

Zur Erhöhung des therapeutischen Effekts der Buccosperin- 
kapseln wurden von den inneren Antisepticis das von den Uro¬ 
logen am meisten geschätzte Hexamethylentetramin gewählt, «lenn 
dieses beseitigt auf Grund seiner vorzüglich harnsäurelöseuden 
und bakteriziden Wirkung besser als jedes andere Mittel prompt 
die ammouiakalisehe Gärung des Harns Dieses auf rein 
theoretischen Erwägungen aufgebaute Kombinationspräparat hat 
sich nunmehr in der Praxis glänzend bewährt und zwar ganz 
besonders bei akuter Cystitis colli und bei der Urethritis 
posterior, ohne unangenehme Wirkungen auf die Nieren, ohne 
Aufstossen oder andere Magenbeschwerden zu zeigen. 

N e u m a n n. 

Meyer (Essen), Die Versorgung der Zivilbevölkerung 
mit Arzneimitteln. (Die Krankenversicherung 21/15.) 

M. weist darauf hin, dass vielfach in letzter Zeit in «len 
Apotheken sich der Brauch herausgebildet habe an Stelle der 
von den Ärzten verordneten Spezialpräparate selbsthergestellte 
Arzneimittel zu verabfolgen. — Um dies zu verhüten, werden 
schärfere Zwangsbestimmungen in Vorschlag gebracht. — Soweit 
kann man den Ausführungen von M. nur beistimmen, denn 
tatsächlich erlebt man in der Praxis bei manchen Spezial¬ 
präparaten bessere und schnellere Resultate als wie sie die 
ähnlich zusammengesetzten Ersatzpräparate ergeben. — Bedenk¬ 
lich ist aber der 2. von M. gemachte Vorschlag, die sogenannten 
Patentmedizinen auch den Drogerien zum Verkauf zu über¬ 
lassen, denn dadurch würde wohl nur der Kurpfuscherei weiter 
in erheblicheni Grade Vorschub geleistet; «lie vorhandenen 
Apotheken dürften als Verkaufsstellen vollauf genügen. 

N e u m & n n. 

H o f f m a n n , Uber Salvarsannatrium und die kombi¬ 
nierte QiieeksilbersalvarKanbehandliing. (D. med. Wochscbr. 
44, 16.) 

Das Salvarsannatrium ist nach den bisherigen Beobachtungen 
ein gutes Ersatzmittel des Altsalvarsans, da es weniger Neben¬ 
erscheinungen macht, sehr einfach anzuwenden ist und auf alle 
Erscheinungen der Syphilis und die serologische Reaktion etwa 
ebensogut wirkt, wie das alte Mittel Über seinen Dauererfolg 
lässt sich noch nichts Bestimmtes sagen, indessen ist auf Grund 
der bisherigen Erfahrungen wohl zu erwarten, dass es bei Be¬ 
achtung der serologischen Kurve und Verabfolgung von wenig¬ 
stens fünf Infusionen in frischesten Fällen und zwei bis drei 
über das Negativwerden der Wa. R. hinaus in allen übrigen 
auch bei der Abortivkur eine ähnlich günstige Wirkung ge¬ 
währleistet N e u m a n n. 


Allgemeines. 

K ü 1 b 8, Weitere Beiträge zur Frage : Arbeitsleistung und 
Organentwicklung. (M. m W. 1915 Nr. 43.) 

Verfasser untersuchte in Flandern 10 Hunde, die Lasten 
von 150 bis 250 kg zu ziehen vermochten. Er stellte fest, 
dass das proportionale Herzgewicht •1,5 — 10,0 Prom., betrug, 
wie in früheren Versuchen. Die Zahlen der einzelnen Herz¬ 
abschnitte ergaben keine gleichmüssigen Ergebnisse, so dass 
hieraus keine Schlüsse gezogen werden konnten. Ziemlich gut 
entwickelt waren Lunge und Leber. Über Niere und Milz ist 
nichts Besonderes zu sagen. Haut und subkutanes Fett sind 
bei allen flandrischen Hunden erheblich geiinger beteiligt, 
während das Skelettsystem schwerer war. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 8. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


79 


Müller (Würzburg), Über die Hiingereuipfindnng. (D. 
med. Wschr. 44, 15.) 

Aus den von M. gegebenen Darlegungen kann entnommen 
werden, dass das Hungergefühl keine einheitliche Empfindung 
ist Es setzt sich vielmehr aus mehreren Organempfindungen 
zusammen. Die Vorgänge, die diesen Organempfindungen zu¬ 
grundeliegen, wie der Speichelfluss, die Hungerkontraktionen 
des Magens scheinen vom Paläenkephalon ausgelöst zu werden. 
Die Verarmung des Blutes an abbaufähigen Stoffen ist es 
wohl, die diese Innervationen verursacht. Aber auch im 
Neenkephalon im Grosshirn bedingt der Mangel des Blutes an 
Nährstoffen gewisse Organempfindungen, die sich in Beein¬ 
trächtigung der geistigen Leistungsfähigkeit, im Schwindel oder 
im Flimmern vor den Augen und in Schwächezuständen äussern 
können. N e u m a n n. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Am Sonntag, den 24. Oktober 1915 fand die J a h r e s- 
Versammlung der Deutschen Gesell- 
schaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten unter reger Beteiligung der Vertreter der 
staatlichen Behörden und eines zahlreichen Publikums statt. 

Als erster Redner sprach Professor B 1 a s c h k o , der 
einen Überblick über die vielseitige Kriegstätigkeit der Deutschen 
Gesellschaft gab. Er wies zunächst darauf hin, dass die 
durch den Krieg verursachte Massentrennung von Männern und 
Frauen mit Notwendigkeit zu einer Zunahme des ausserehe- 
liehen Geschlechtsverkehrs und dadurch zu einem Ansteigen 
der Geschlechtskrankheiten führen müsse, was um so bedauer¬ 
licher sei, als unter den Erkrankten sich eine grosse Zahl von 
Verheirateten und vom Lande Stammenden, die bisher von den 
Geschlechtskrankheiten wenig berührt waren, befinden. 

Von dieser Erkenntnis ausgehend hat die Gesellschaft nun 
vom Beginn des Krieges an eine umfangreiche Aufklärungs¬ 
tätigkeit entfaltet und viele Millionen belehrender Flugschriften 
und Merkblätter in den heimischen Garnisonen und draussen 
im Felde verbreitet, aber sie hat auch in dem Bewusstsein, 
dass diese Warnungen vielfach in den Wind geschlagen werden, 
ständig Fühlung mit den Militär- und Zivilbehörden gesucht, 
um durch geeignete Verwaltungsmassnahmen eine direkte Ein¬ 
wirkung auf die Herabminderung der Erkrankungsziffer zu 
gewinnen. Massregeln wie: Schliessung der Animierkneipen 
und Bordelle, Abkürzung der Polizeistunde und des Abendur¬ 
laubs, Schaffung von alkoholfreien Soldatenheimen, Über¬ 
wachung der Strassenprostitution, der Winkelhotels und Ab¬ 
steigequartiere müssen die Gelegenheiten zur Verführung ein¬ 
dämmen, hygienische Massnahmen die Infektionsgefahr ver¬ 
ringern. Regelmässige Gesundheitsuntersuchungen der Soldaten, 
Zwang zur Prophylaxe, reichliche Gelegenheit zur sorgfältigen 
und gründlich durchgeführten spezialistischen Behandlung haben 
denn auch jetzt zu einer wesentlichen Verringerung der Krank- 
heitsziffer geführt. Da jedoch Erfahrungen aus früheren Kriegen 
uns lehren, dass mit Friedensschluss die Geschlechtskrankheiten 
wieder stark anzusteigen pflegen und eine Verschleppung der 
Krankheiten in die Familie und somit eine Verseuchung der 
ganzen Nation zu befürchten steht, so wird für die Gesellschaft 
in Zukunft ein verstärktes Maas von Arbeit zu erwarten sein. 
Der Redner gedachte auch in seinem Bericht der beiden grossen 
im abgelaufenen Jahr verstorbenen Männer, welche sich um 
den Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten unsterbliche Ver¬ 
dienste errungen haben: Paul Ehrlich und Alfred 
F o u r n i e r. 

Im Anschluss daran ergriff Geheimrat N e i s s e r das 
Wort zu seinem Vortrage „Welche Lehren können wir aus den 
während des Krieges gewonnenen Erfahrungen für den weiteren 
Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten ziehen ?“ Der Kampf 
gegen die Geschlechtskrankheiten ist deshalb so schwierig, weil 
unzählige Menschen sich nicht pusheilen lassen und zum Teil 
unbewusst die Krankheit weiter verschleppen, dann aber, weil 

Digitized by Google 


der aussereheliche Geschlechtsverkehr so ungeheuer verbreitet 
ist. Erweiterung der Behandlungsmöglichkeit in Hospitälern 
und Ambulatorien, möglichst kostenfreie Behandlung für den 
Einzelnen ist die erste Hauptaufgabe. Eine grosszügige Organi¬ 
sation schaffen auf diesem Gebiete bereits die Landes- 
Versicherungsanstalten, welche für die während 
des Krieges an venerischen Krankheiten behandelten Kriegs¬ 
teilnehmer besondere Beratungsstellen einrichten 
wollen, durch die eine dauernde Überwachung aller Venerischen 
eingeleitet werden soll. Auch die Krankenkassen sollten ihre 
Mitglieder einer jährlichen oder besser halbjährlichen ärzt¬ 
lichen Untersuchung unterziehen, um so die unbeachteten und 
nicht ausgeheilten Geschlechtsleiden einer Behandlung zuzu¬ 
führen. Damit die Behandlung der Geschlechtsleiden mehr 
als bisher Sache der praktischen Ärzte werde, müssen diese 
Krankheiten endlich einer obligatorischen Prüfung im Staats¬ 
examen unterzogen werden. Der grossen Verbreitung des 
wilden Geschlechtsverkehrs wirksam entgegenzutreten, ist un¬ 
endlich viel schwerer. Natürlich werden wir weiter fortfahren, 
durch weitgehende Aufklärung belehrend und warnend zu 
wirken. Aber dass das nicht ausreicht, hat uns wiederum die 
letzte Zeit gezeigt. Der weitverbreiteten Ansicht, dass ge¬ 
schlechtliche Abstinenz direkt gesundheitsschädlich sei, muss 
man entgegentreten. Aber man muss sich auch an die nun 
einmal bestehende Tatsache des stark verbreiteten ausserehelichen 
Verkehrs halten und dessen Gefährlichkeit bekämpfen. Das 
jetzige im wesentlichen polizeiliche System der Überwachung der 
Prostitution muss ein sanitäres werden, die bisher mit der 
Kontrolle verbundene Entehrung muss fortfallen. Dann wird 
es möglich, den Kreis der ärztlich Überwachten erheblich 
zu vergrössern und damit auch die sogenannte heimliche Pro¬ 
stitution zu treffen. Seine persönliche Meinung präzisiert 
N e i s s e r dahin, dass die Prostituierten in eigener Wirtschaft 
und Wohnung nur in bestimmten Strassen wohnen sollen, da 
hierdurch die Überwachung erleichtert, hygienische Vorbeugungs- 
massnahraen besser durchführbar, öffentliche Verkehrsstrassen 
vom Prostitutionsmarkt befreit werden. Auch sollten alle 
Prostituierten einer regelmässigen ambulanten Salvarsanbehand- 
lung unterzogen werden, eine Massregel, die auf N eissers 
Vorschlag in den eroberten Gebieten jetzt mehrfach mit Erfolg 
durchgeführt ist. Das allerwichtigste ist und bleibt die Ein¬ 
führung der Schutzmittel. Gewiss ist der auch in 
Deutschland leider zu konstatierende Geburtenrückgang in 
erster Linie ein gewollter, daneben aber wird durch die Ge¬ 
schlechtskrankheiten Zahl und Lebensfähigkeit des Nachwuchses 
stark herabgemindert, die Anwendung der Schutzmittel wird 
also den Geburtenrückgang keineswegs befördern. Bei dem 
grossen Ausfall heiratsfähiger Männer sind wir nicht nur be¬ 
rechtigt, sondern verpflichtet, alle Mittel und Wege anzuwenden, 
die zur Gesundung des Volkes beitragen. 

Bei den Neuwahlen wurde der Reichstagsabgeordnete 
Dr. S tru v e in den Vorstand gewählt. 


Bficherschau. 

Z i e m k e , E., Kiel. Glossen und Strafgesetzentwürfe. Sonder¬ 
abdruck aus „Medizinische Klinik“, 1912, No. 12—16. 
Berlin, Verlag von Urban & Schwarzenberg. Seitenzahl 20 

Friedrich, Berlin-Steglitz. Die Untersuchung des Magen¬ 
inhalts ohne Sonde. Aus „Berliner Klinik, Heft 310, 
April 1914“. Berlin 1914, Fischer’« med. Buchhandlung. 
H. Kornfeld. Seitenzahl 23, Preis 0,60 Mk. 

Hager, Magdeburg. Die Wrightsche Opsoninlehre und die 
spezifische Behandlung der Tuberkulose. Sonder-Abdruck 
aus der „Deutschen Ärzte-Zeitung“, Heft 5. März 1908. 
Seitenzahl 12. 

Koenigsfeld und Prausnitz. Über Wachstums¬ 
hemmung der Mäusekarzinome durch Allylderivate. Souder- 
abdruck aus der „Deutschen med. Wochenschrift, No. 50, 
1913“. Verlag von Georg Thieme-Leipzig. Seitenzahl 7. 

Origiralfrom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS ÄT 
URBANA-CHAMPAIGN 



80 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 8. 


Koenigsfeld, Über Versuche zur Immunisierung gegen 
Mäusekrebs. Abdruck aus dem Zentralblatt f. Bakterio¬ 
logie, Parasitenkunde u. Infektionskrankheiten. I. Abteilung 
Jena, Verlag von Gustav Fischer. 

Koenigsfeld , Beobachtungen und Studien über die 
MetaBtasenbildung beim Mäusekrebs. Mit 4 Tafeln. Ab¬ 
druck aus dem Zentralblatt f. Bakteriologie, Parasitenkunde 
u. Infektionskrankheiten. Heft 4/6. 1913. Jena, Verlag 

von Gustav Fischer. 

Ritsch], Prof. Dr. Freiburg i. B., Leicht und billig 
herstellbare Medien-mechanische Einrichtungen. Mit 38 Abbild, 
im Text, Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke. 1916. 

Verf. weist darauf hin, dass durch den Krieg auch die 
medico-mechanische Behandlung eine ungeahnte Ausdehnung 
erfahren hat und viel Gutes zu stiften berufen ist. — Leider 
sind die maschinellen Einrichtungen recht teuer und nicht jedes 
kleine Lazarett ist in der Lage sie zu beschaffen, sondern ist 
auf „behelfsmässige“ Medicomechanik angewiesen. — Wie sie 
mit einfachsten Mitteln durchgeführt wird, lehrt in klarer und 
einfacher Darstellung R i t s c h l’s Buch (Preis 1,20 Mark), 
das übrigens auch dem Erfahrensten manche Anregung bietet. 
— Ueber den Krieg hinaus behält es für den Praktiker 
seine Bedeutung, denn mit den einfachen Hilfsmitteln wie sie 
hier angeführt sind, lässt sich jede Bauernstube in ein medico- j 
mechanisches Institut verwandeln. R. 


Notiz. 

Der Verband mittlerer Reichs-Post- und Telegraphen- 
Beamten Berlin NO 18, schreibt uns: 


Das Interesse der Wissenschaft an den Fragen des Be- 
I amtentums ist bisher auffällig gering gewesen. Über die Lage 
■ der übrigen grossen Bevölkerungsschichten, insbesondere der 
Landwirte, der Handwerker, der Privatangestellten, der Tech¬ 
niker, der Arbeiter usw. sind teils amtliche, teils private Er¬ 
hebungen angestellt und wissenschaftlich bearbeitet worden, über 
die Lage des Beamtenstandes fehlt dagegen jede solche Er¬ 
hebung und Bearbeitung. Auch für die Erforschung und den 
Ausbau des Beamtenrechts mangelt es in wissenschaftlichen 
Kreisen bisher an tieferem Interesse. 

Um diesem Missstande nach Möglichkeit abzuhelfen, hat 
der Verband mittlerer Reichs-PoBt- und Telegraphen - Beamten 
aus Anlass seines 25jährigen Bestehens eine Stiftung in Höhe 
von 30 000 Mark errichtet, deren Zinserträgnis von 1500 Mark 
jährlich zur wissenschaftlichen Bearbeitung von Beamtenfragen 
verwendet werden soll. Für Doktor-Dissertationen über Be¬ 
amtenfragen würden beispielsweise die Druckkosten aus der 
Stiftung bestritten werden können, geeignete Broscbüren, die im 
Verlage der G. m. b. H. „Deutscher Postverband“ erscheinen 
könnten, würden honoriert und unter den 40000 Mitgliedern 
des Verbandes vertrieben werden können. Für gewisse Fragen, 
an deren möglichst vielseitiger Bearbeitung der Beamtenstand 
ein besonderes Interesse hat, sollen Preisausschreiben unter den 
Wissenschaftlern veranstaltet werden. 

Erfordert es das Bedürfnis, so wird das Stiftungsvermögen 
entsprechend erhöht werden. Die Mittel dazu sind vor¬ 
handen. 

Wir bitten Sie, Ihrem Leserkreise hiervon mit dem Hinzu¬ 
fügen Kenntnis zu geben, dass Bewerbungen an den Verband 
mittlerer Reichs - Post- und Telegraphen-Beamten in Berlin 
NO 18, Gr. Frankfurter Str. 53, zu richten sind und dass ded 
Verband bereit ist, geeignete Themata zu bezeichnen unr 
statistische und andere Unterlagen zur Verfügung zu stellen. 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




33. Jahrgang. 


1915/16. 


?ort$(brim der Medizin. 

Unter milwirkmts hervorragender Tadtmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegem, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zunt Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Nr. 9 Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


30. Dezember 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Königs¬ 
berg i. Pr. 

Direktor: Geh. Med. Rat Prof. Dr. G. W i n t e r. 

Die Therapie der retinlerten Eihaut- und 
Plazentarreste. 

Von Privatdozent Dr. B e n t h i n. 

Die Erfahrung, dass bei Eihaut- und Plazentar¬ 
retention nicht allzuselten Fieber auftritt, die Furcht, 
dass aus einer reinen lokalen Infektion eine Allgemein¬ 
infektion entstehen könnte, führte zur Anschauung, dass 
man, gleichgültig ob direkt post partum oder erst im 
späteren Wochenbett, ohne Rücksicht darauf ob Fieber 
vorhanden war oder nicht, die piinzipielle Entfernung 
empfahl. Einige Autoren in Frankreich und Amerika 
gingen sogar soweit, dass sie, auch wenn kein begrün¬ 
deter Verdacht auf Retention vorlag, in jedem Infek¬ 
tionsfalle den Uterus austasteten, in der Meinung, damit 
eventuell die Ursache des Fiebers beseitigen zu können. 

Gegen diesen Radikalismus machte als erster Winter 1 ) 
auf dem Strassburger Kongress 1909 Front. Auf Grund 
seiner klinischen Erfahrungen befürwortete er vielmehr, 
sich möglichst abwartend zu verhalten. 

Inzwischen haben sich auch andere Kliniken mit 
dieser ausserordentlich wichtigen Frage beschäftigt. 
Winter selbst hat kürzlich die bisher veröffentlichten 
Resultate einer eingehenden Kritik unterzogen. Unsere 
eigenen in den letzten Jahren gesammelten Beobachtungen 
haben in einer Dissertation durch Kienapfel 2 ) unter 
meiner Leitung eine eingehende Bearbeitung gefunden. 

Wenn auch heute namentlich über die Behandlung 
der Plazentarretention volle Einigkeit noch nicht erreicht 
ist, so ist doch das vorliegende Material gross genug, 
um ein abschliessendes Urteil der Allgemeinheit unter¬ 
breiten zu können. — 

Ist die Möglichkeit des Spontanabgangs von zurück¬ 
gebliebenen Eiteilen vorhanden? Besteht die Ansicht, 
die auch heute noch von vielen Ärzten besonders in der 
Praxis gehegt wird zu Recht, dass Eiresiduen schwere 
Puerperalfieber hervorrufen? 

Die Beantwortung dieser Fragen bildet offenbar die 
Basis für jede Diskussion über dieses Thema I 

Wie der Organismus überhaupt das Bestreben hat, 
jeglichen abnormen, seiner Funktion hinderlichen Inhalt 
zu eliminieren, so versucht auch der Uterus sich von 
unbrauchbaren, schädlichen Schlacken zu befreien. Bleiben 
pathologischer Weise Teile der Sekundinae zurück, so 
bemüht sich der Uterus auch diese auszustossen. Je nach 
der Grösse, Adhärenz währt der Prozess verschieden 
lange. Eihäute werden meist ziemlich bald entleert. Im 

Digitized by Google 


allgemeinen kann man sagen, dass sie gewöhnlich schon 
innerhalb einiger Tage, oft bereits am ersten oder zweiten 
Wocheubetttage abgehen. Selten werden sie länger als 
eine Woche zurückgehalten. Im Gegensatz dazu ver¬ 
zögert sich die Herausbetörderung der Plazentarstücke 
häufig. Zwar haben wir in der Klinik Fälle beobachtet, 
in denen die fehlenden Plazentarstücke in den ersten 
Wochenbetttagen in den Vorlagen sich vorfanden, in 
anderen Fällen jedoch kann bis zur Ausstossung längere 
Zeit, Wochen selbst Monate darüber hingehen. So haben 
wir einen Fall erlebt, die beim Eintritt in die Klinik sich 
bereits 65 Tage nach der Geburt befand. 

Es liegt auf der Hand, dass die Retention von mehr 
oder minder grossen Eiteilen, besonders in den extremen 
Fällen für die Körper nicht gleichgültig sein kann. Die 
schlecht ernährten Gewebsmassen fallen der Nekrose 
anheim. Die mangelhafte Involution des Uterus setzt 
der Resorption freiwerdender, blutfremder toxischer 
Stoffe geringe Hindernisse in den Weg. Kommt es durch 
Verlegung des Abflusswegs zu Stauungen des Lochial- 
sekrets, so können schwere toxische Zustände die Folge 
sein. Dazu kommt, dass namentlich bei Plazentarretention 
Blutungen auftreten können, die, wenn auch nicht immer 
lebensbedrohlich, doch zur weiteren Schwächung des 
Körpers führen können. Vor allen Dingen aber bietet 
dies intrauterin gelegene nekrotische Material einen 
ausserordentlich günstigen Nährboden für jegliche Art 
j von Bakterien, die durch den in solchen Fällen mangelhaft 
verschlossenen Zervikalkanal leicht in den Uterus propa¬ 
gieren und das Uterusinnere infizieren können. Es nimmt 
deshalb nicht Wunder, wenn bei Eihaut und Plazentar¬ 
retention Temperatursteigerungen auftreten. Es muss 
jedoch betont werden, dass Fieber nicht immer aufzu¬ 
treten braucht. Das trifft speziell auf die Fälle mit Ei¬ 
hautretention zu. Unter Berücksichtigung der in der 
Literatur niedergelegten und unserer eigenen Erfahrungen 
blieben von 1307 Fällen die weitaus grössere Mehrzahl, 
71,1 Proz. völlig fieberfrei. Tritt eine Fiebersteigerung 
im Wochenbett auf, so klingt es bemerkenswerterweise 
meist nach kurzer Zeit, nach 1—3tägiger Dauer ab. 
Länger dauernde, wie sehr hohe Temperaturen mit 
stärkeren Störungen des Allgemeinbefindens treten nur aus¬ 
nahmsweise in die Erscheinung. Etwas ungünstiger be¬ 
züglich des Fiebers sind die Fälle, die schon intrauterin 
infiziert sind, die schon unter der Geburt fiebern. 
Immerhin sind Fälle genug bekannt, in denen trotz 
fieberhafter Geburt, trotz Retention von Eihäuten eine 
sofortige dauernde Entfieberung erfolgte. Das ganze 
Krankheitsbild verläuft unter dem Bilde des einfachen 
Resorptionsfiebers oder der lokalisierten Endometritis. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







82 


Fortschritte der Medizin. 


Nr •> 


Nacherkrankungen im Anschluss an Eihautretentionen in 
Form von parauterinen Infektionsprozessen werden 
iiusserst selten gefunden (0,66 Proz ) Gewöhnlich sind 
sie leichter Natur. Wenn Schwererkrankungen Vorlagen, 
so konnte der einwandfreie Beweis, dass die Eihaut¬ 
retention daran schuld war, nie geliefert werden. Stets 
lag die Möglichkeit, dass die Retention auf eine andere 
Weise erzeugt sein konnte, vor. Bei dein einzigen 
schweren Krankheitsfall, der unter 603 Fällen mitgeteilt 
wurde — es handelt sich um einen parametranen Abszess 
—. konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Infektion 
von vorangegangenen Scheidenspülungen ihren Ausgang 
genommen hatte. Todesfälle als reine Folge von Ei¬ 
hautretention sind bisher nicht beobachtet worden. 

Wir können also unsere Erfahrungen bezüglich der 
Eihautretenlion dahin resümieren: Die Möglich- 
keitdes spontanen Abgangs besteht, 
meist erfolgt sie sogar recht schnell. 
Schwere Störungen im Wochenbett 
werden äusserst selten beobachtet. 
Zurückgebliebene Eihautreste können 
als Ursache von Puerperalfieber 
nicht verantwortlich gemacht werden. 

Anders liegen die Verhältnisse bei retinierten Pla¬ 
zentarstücken. Wie schon erwähnt, können sie zuweilen 
lange Zeit zurückgehalten werden. Da es sich sehr häufig um 
eine pathologische Adhärenz handelt, so ist das Plazentar¬ 
stück manchmal derartig innig verlötet, dass selbst die 
mechanische Lösung erst unter Schwierigkeiten gelingt. 
Je fester die Plazenta anhaftet, um so schwerer ist natür¬ 
lich die spontane Lösung. Immerhin ist der spontane 
Abgang, wenn auch verzögert, so doch möglich. Je 
nach den Beobachtern werden verschiedene prozentuale 
Angaben gemacht. Da die Mehrzahl der Arzte bisher 
in jedem Falle bei erwiesener Plazentarretention aktiv 
vorging, so sind die Mitteilungen über Spontanabgang 
gering. Infolgedessen schwanken die Angaben auch 
zwischen 11 Proz. (Hör mann)’) und 40Proz. (Dehnike)*). 
Dementsprechend ist auch der Mittelwert von 22 Proz. 
sicherlich zu gering. Man kann wohl annehmen, dass 
etwa die Hälfte aller retinierten Plazentarstücke spontan 
abgehen, vorausgesetzt, dass man genügend lange ab¬ 
wartet. Durch die lange Dauer der Retention ist die 
Möglichkeit einer Keimaszension eine erheblich grössere 
als bei den Eihäuten, die ja sehr bald ausgestossen 
werden. Vor allen Dingen aber ist zu berücksichtigen, 
dass zwischen der Plazenta und der Uteruswand und 
damit mit dem mütterlichen Organismus durch die weiten 
intervillösen Räume viel innigere Beziehungen bestehen. 
Die Untersuchungen von W a r n e k r o s ä ) haben er¬ 
geben, dass unter geeigneten Bedingungen Bakterien 
die Plazenta durchdringen können. Es muss also mit 
der Möglichkeit eines Übertritts von Keimen in die 
Blutbahn gerechnet werden. Nach den bisher gemachten 
Beobachtungen ist aber eine Verbreitung der Infektion 
durch die Plazenta hindurch eine seltene Erscheinung. 
Aber wenn auch durch die allmähliche Lösung der 
Polypen Keime in die Blutbahn gelangen können, unsere 
zahlreichen Untersuchungen' 1 ) bei retinierten Plazentar¬ 
teilen bei Abort haben gezeigt, dass selbst bei Gegen¬ 
wart der gefährlichen hämolytischen Streptokokken nie 
ernste Schädigungen eintreten. Zudem bildet offenbar 
der bei jedem Infektionsprozess entstehende Granulations¬ 
wall einen so wirksamen Schutz, dass eine aktive In¬ 
vasion von Keimen aufgehalten wird. Besteht danach 
auch theoietisch die Gefahr einer Weiterverbreitung des 
ursprünglich lokalisierten Infektionsprozesses, so zeigen 
doch die klinischen Erfahrungen, insbesondere die Fälle, 
die erst im Spätwochenbett in die ärztliche Beobachtung 
kommen, dass der Verlauf ein völlig fieberfreier sein 
kann und dass in praxi die Gefahr eines Fortschreitens 
der Infektion kaum besteht. Unter 149 bisher veröffent¬ 


lichten Fällen von länger dauernder Plazentarretention 
verliefen 44 Proz. fieberfrei. Fieberte auch die grössere 
Hälfte, so war doch in 55 Proz. das Fieber leichter Natur 
Nur 6 Proz. mit einem Todesfall fieberten schwer. In 
keinem von diesen letzten Fällen konnte ein unmittelbarer 
Zusammenhang mit der Plazentarretention konstruiert 
werden. Wenn Schwererkrankungen eintraten, so waren 
stets operative Eingriffe, wie eine manuelle Plazentar¬ 
lösung, Wendung, Tamponade, bei Placenta praevia vor¬ 
her gegangen, geburtshilfliche Operationen, die schon 
ohnehin wegen der Infektionsgefahr eine zweifelhafte 
Prognose bieten. Wir kommen deshalb zu der Schluss¬ 
folgerung: Auch der Spontanabgang von 
Plazentarstücken ist möglich. Zwar 
kann die Möglichkeit eines Fort¬ 
schreitens des Infektionsprozesses 
nicht ganz ausgeschlossen werden, 
aber Beweise dafür, dass die Plazentar¬ 
retention an sich schwerepuerperale 
Infektionen veranlasst, fehlen. 

Wie sind nun die Resultate, wenn Eihaut- und 
Plazentarreste entfernt werden? 

Grosse Beobachtungsserien sind über die Beseitigung 
von retinierten Eihäuten vorhanden. In den letzten Jahren 
j sind über 244 Fälle Mitteilungen gemacht worden. Die 
Entfernung geschah entweder digital oder instrumentell 
oder durch Spülungen. Gewöhnlich gab Fieber die In¬ 
dikation zum Eingreifen. Wenn auch in einer Reihe von 
Fällen Entfieberung eintrat, so erkrankten doch eine An¬ 
zahl mehr oder minder schwer. In einigen Fällen aber 
folgte eine Verschlimmerung derart rasch, dass ein Zu¬ 
sammenhang mit der Ausräumung nicht geleugnet werden 
konnte. Nicht weniger als sieben Frauen = 2,8 Proz. 
starben! 

Noch schlechter sind die Erfolge der aktiven Be¬ 
handlung von Plazentarresten. Von 150 Fällen starben 
10 Patientinnen. Die Mortalität beträgt also 6,6 Proz. 
Besonders unglücklich war der Verlauf in den Fällen, 
in denen die Entfernung bei bereits bestehender uteriner 
Infektion, bei Fieber, vorgenommen wurde. Von ins¬ 
gesamt 105 Fällen verliefen nur 34 fieberfrei, 41 er¬ 
krankten leicht, 20 schwer und 10 Frauen starben. Selbst 
wenn wir zwei Todesfälle in Abzug bringen, in dem 
einen Fall soll der Tod nach Kollargolinjektion 
(L u c h s i n g e r) 7 ) erfolgt sein, der andere Fall 
(S c h r ö d e r) s ) starb an Embolie, so beträgt die 
Sterbeziffer doch noch 7 Proz. Demgegenüber war der 
Verlauf erheblich besser, wenn bei Fieberfreiheit ent¬ 
weder sofort post partum oder im späteren Wochenbett 
ausgeräumt wurde. Vier Frauen erkrankten allerdings 
schwer, aber unter 62 Fällen war kein letaler Ausgang 
zu verzeichnen. 

Die schlechten Erfolge der aktiven Therapie setzen 
nach den Erfahrungen, wie wir sie bei fieberhaften 
Aborten gemacht haben, nicht in Erstaunen. Bei den 
Eihautresten liegen die Verhältnisse ja insofern günstiger, 
als eine so enge Verbindung mit dem mütterlichen Ge¬ 
webe nicht besteht. Bei Plazentarpolypen ist das anders. 
Ihre Lösung macht dem ausräumenden Finger zuweilen 
sogar ungeahnte Schwierigkeiten. Ist die Uterushöhle 
infiziert, wie es ja bei fieberhaften Fällen stets der Fall 
ist, so können die Keime in die Umgebung hinein 
massiert werden. Wird gar noch die Kürette benutzt, 
so werden grössere Wundflächen geschaffen, vor allem 
aber wird der Körper des besten Schutzmittels durch 
die Ausräumung beraubt. Der Leukozytenwall wird 
unterbrochen, zerstört, und damit den Keimen Gelegen¬ 
heit zur Ausbreitung gegeben. Weniger zu fürchten ist 
die durch die Ausräumung hervorgerutene akute Bak¬ 
teriämie. Mit den Keimen im Blut wird der Organismus 
bald fertig, soweit er überhaupt noch Schutzkräfte zur 
Verfügung hat. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



N T r. 9. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


83 


Die Art und die Lokalisation der Erkrankung spielt 
ausserdem auch eine grosse Rolle. Sind vor und bei 
der Ausräumung schon parauterine Erkrankungen vor¬ 
handen, so ist eine Verschlimmerung um so mehr zu 
fürchten. 

Zweifellos hängt der Verlauf auch von der Art der 
Infektionserreger ab. Leider stehen uns bislang nur sehr 
spärliche bakteriologische Kontrollen zur Verfügung. 
Offenbar aber spielen die hämolytischen Streptokokken, die 
nicht allzuselten angetroffen werden, auch hier eine 
bedenkliche Rolle. Zwar kann jede Keimart gelegent¬ 
lich pathogen werden, aber diese Krankheitserreger 
müssen doch als besonders gefährlich bezeichnet werden. 

Bei vorhandenem Fieber bedeutet jeder Eingriff für 
die Frau eine Gefahr. Schadet doch zuweilen schon 
eine vorsichtige Untersuchung. So haben wir eine Frau 
beobachtet, die nach jeder Exploration einen Schüttel¬ 
frost bekam und hoch fieberte. 

Dass die konservative Therapie viel gefahrloser ist, 
das zeigen schon die vorher angeführten Beobachtungen. 
Trotzdem in allen diesen Fällen nicht einmal eine ärzt¬ 
liche Behandlung stattgefunden hatte, sondern nur ab¬ 
gewartet war, waren die Resultate doch noch viel besser 
als die bei aktiver Behandlung gezeitigten. Weder bei 
Eihautretention noch bei Plazentarretention ein Todesfall, 
der mit Recht auf das Abwarten hätte zurückgeführt 
werden können. Wurden bewusst konservative Mass¬ 
nahmen getroffen, so war der Erfolg noch offensicht¬ 
licher! 

So fieberten von 103 Fällen von Eihautretention 49 
ganz kurze Zeit. Von 9 Fällen, die intra partum ge¬ 
fiebert hatten, fiel 3mal die Temperatur sofort ab, eine 
fieberte einen, 2 Frauen 2 Tage. In den beiden letzten 
Fällen lag eine Polyarthritis gonorrhoica resp. eine 
Streptokokkeninfektion vor. Alles in allem wurde nur 
in 4 Fällen eine leichte parametrane Erkrankung fest¬ 
gestellt. In allen Fällen war der Entlassungbefund ein 
normaler. Beachtenswert ist, dass der Aufenthalt in der 
Klinik im Durchschnitt nicht das übliche Mass der 
Wochenbettsbehandlung von 10 Tagen überschritt. 

Über wirklich konservativ behandelte Fälle von 
Plazentarretention liegen leider nur wenige Angaben vor, 
weil die spontane Ausstossung mit Ausnahme von 
D e h n i k e und Luchsinger sonst nicht ernstlich 
angestrebt wurde. Insgesamt sind nur 22 Fälle der Kritik 
zugängig. Zwar ist nicht in allen Fällen angegeben 
worden, ob die expektative Behandlung bei bestehendem 
Fieber einsetzte oder nicht, niemals aber trat eine 
Schwererkrankung auf, nie wurde ein Todesfall be¬ 
obachtet. Der eine von S chauta veröffentlichte Todesfall, 
wird durch ihn selbst auf eine Infektion intra partum 
zurückgeführt. Häufiger jedoch wurde mit dem spon¬ 
tanen Abgang gleichzeitige Entfieberung beobachtet. 
(3 Fälle von üehnike, 4 Fälle von Schnuta 1 ), 
2 Fälle aus unserm Material.) 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass 
die konservative Therapie bessere Hei¬ 
lungschancen bietet als die aktive Aus¬ 
räumung. Haben wir die Berechtigung auf Grund 
dieser Erfahrungen in jedem Falle von Eihaut und 
Plazentarretention die konservative Behandlung anzu¬ 
wenden? Nach allen Erfahrungen, die mit'retinierten 
Eihäuten gemacht wurden, sicherlich. Hier steht es fest, 
dass die Retention keinen grösseren Schaden stiftet, 
während andererseits die aktive Beseitigung Gefahren 
mit sich bringt. Die spontane Ausstossung erfolgt be¬ 
sonders unter Ergotinmedikation, meist so rasch und 
prompt, dass schon aus diesem Grunde von einem Ein¬ 
griff abgesehen werden kann. Die spontane Erledigung 
bietet bei Plazentarretention zweifellos auch die beste 
Prognose. Leider aber wissen wir, dass die Selbst¬ 
entleerung doch in einer grossen Zahl von Fällen aus- 

Digitized by Google 


bleibt oder doch erst so spät auftritt, dass ein ausser¬ 
ordentlich langer klinischer Aufenthalt notwendig wäre. 
— Stets besteht die Gefahr einer Infektion. Wir haben 
zwar den Nachweis geführt, dass diese auf das Endo¬ 
metrium lokalisiert bleibt, aber so sicher sind wir doch 
nicht, dass wir mit aller Sicherheit die Möglichkeit einer 
Propagation in die Umgebung ausschliessen könnten. 
Zudem sind Blutungen stets zu fürchten. Sind sie auch 
nur selten lebensbedrohlich, so sind sie doch oft stärker, 
als wir sie bei Aborten auftreten sehen. Ausserdem 
aber schwächen sie den Organismus und können durch 
Erlahmung der bakteriziden Kräfte indirekt der Infektion 
Vorschub leisten. In der Klinik ist ärztliche Hilfe jeder¬ 
zeit zur Hand, Verblutungen sind nicht zu fürchten. In 
der Praxis, besonders auf dem Lande aber liegen die 
Verhältnisse anders; hier besteht die Gefahr der Ver¬ 
blutung doch. Aus diesen Gründen befürworten wir 
direkt post partum stets die Entfernung von Plazentar¬ 
stücken. Stets aber muss der Eingriff strikt indiziert 
sein. Der Verdacht muss begründet sein. Asepsis, 
Fieberfreiheit, nicht infizierter Geburtskanal vorausgesetzt, 
ist dann die Prognose nicht so schlecht. Nur 3 von 
unsern 12 sofort ausgeräumten Fällen fieberten. Man 
muss sich aber darüber klar sein, dass es sich um einen 
intrauterinen Eingriff handelt und dass Unglücksfälle 
auch hier Vorkommen kötinen. Kommt eine Frau im 
Spätwochenbett erst in die Behandlung, so handelt es 
sich darum, ob Fieber vorhanden ist oder nicht. Zeigen 
genaue Temperaturmessungen keine Erhöhung der Körper¬ 
wärme, so sind die Chancen auf Heilung besser. Ist 
der Allgerr.einzustand gut, eine Anämie nicht vorhanden, 
so wird man den Spontanausgang in der Klinik ruhig 
abwarten können, ist jedoch der Grad der Anämie so 
stark, dass weitere Blutungen deletär wirken können, so 
kann ausgeräumt werden. Für die Praxis wird man bei 
fieberfreien Fällen in Anbetracht der oben erwähnten 
Gründe, die Entfernung vornehmen können. Immerhin, 
der oben angeführte Todesfall mag zeigen, dass die 
Prognose doch zweifelhaft ist. Sind hämolytische Strepto¬ 
kokken nachgewiesen, so ist, wenn keine vitale Indikation 
vorliegt, von der Ausräumung auf jeden Fall abzuraten. 
Die hämolytischen Streptokokken können im Verlaufe 
der exspektativen Behandlung, wie die Untersuchungen 
bei fieberhaften Aborten ergeben haben, verschwinden. 
Erfolgt dann auch trotz Abwartens keine spontane Aus¬ 
stossung der Plazentarteile, so ist die Gefahr doch ge¬ 
ringer zu veranschlagen. 

Alle fieberhaften Fälle aber sollten, wenn irgend 
möglich konservativ behandelt werden, besonders dann, 
wenn neben der Plazentarretention sich noch parauterine 
Infektionsprozesse, Parametritiden, Adnexentzündungen, 
Thrombophlebitiden, Peritonitiden entwickelt haben. In 
diesen Fällen ist jegliches Manipulieren, jede Unter¬ 
suchung zu vermeiden. Ich verweise auf die zahlreichen 
Todesfälle bei komplizierten unvollständigen Aborten 
bei aktiver Behandlung. Die Erfolge der konservativen 
Therapie sind so offensichtlich, dass man ihr auf das 
Entschiedendste das Wort reden muss. Freilich können 
starke Blutungen alle guten Vorsätze zu nichte machen. 
Ehe der Heilplan aber in so verantwortungsvoller Weise 
umgestossen wird, muss man die Gefahr der Blutung 
und die Gefahr einer postoperativen Weiterverbreitung 
der Infektion sehr sorgfältig gegeneinander abwägen. 
Der Begriff der Verblutungsgefahr ist ein relativer. Das 
geht schon daraus hervor, dass in dieser Beziehung die 
verschiedensten Angaben gemacht werden. Die Indi¬ 
kation zum Eingreifen bei verhaltenen Plazentarstücken 
wegen Verblutungsgefahr wurde beispielsweise von einigen 
nur auf 24 Proz., von andern dagegen auf 80 Proz. ver¬ 
anschlagt Wir selbst haben demgegenüber unter unsern 
25 Fällen nur einmal eine besorgniserregende Anämie 
gesehen. In allen andern Fällen war sie nie so aus- 

Oric iral ffcm 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








84 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


geprägt, die Blutung nie so foudroyant, dass sofort einge¬ 
griffen hätte werden müssen! 

Zur Durchführung der abwartenden Behandlung ist 
die Fernhaltung aller äusseren Noxen, absolute Ruhelage 
durchaus geboten. Die spontane Ausstossung wird durch 
nicht zu knapp bemessene Gaben von Mutterkorn- 
präparaten, die gleichzeitig stärkere Blutung hintenan¬ 
halten, zu fördern gesucht. Sehr zu empfehlen ist die 
Applikation einer Eisblase. Grosse Sorgfalt ist auf eine 
gute Ernährung zu verwenden. Bei vorhandener In¬ 
fektion gilt es den Körper möglichst widerstandsfähig im 
Kampfe mit den Bakterien zu machen. 

Liegen Eihäute oder Blazentarreste gelöst im Zervikal¬ 
kanal, so steht natürlich nichts im Wege sie zu entfernen. 
Die aktive Behandlung beginnt erst 
mit dem Augenblick des intrauterinen 
Eingriffs. Wird oder muss ausgeräumt wer¬ 
den, dann so schonend wie möglich. Jede Aus¬ 
räumung stellt, auch wenn kein Fieber besteht, einen 
gefährlichen Eingriff dar. Die Lösung von Plazentar¬ 
resten gehört aber zu den schwierigsten Operationen in 
der Nachgeburtsperiode. Peinlichste Asepsis ist eine 
conditio sine qua non. Narkose ist unter allen Umständen 
nötig um jede übermässige Quetschung zu vermeiden. 
Dass jedes scharfe Instrument, besonders die Curette zu 
vermeiden ist, bedarf nach dem Vorausgegangenen kaum 
noch besonderer Erwähnung. Der Finger allein soll die 
Ablösung vornehmen. Die Zerstörung des schützenden 
Granulationswalles wird hierdurch am ehesten verhütet. 
Die Herausbeförderung der gelösten Massen kann man 
sich durch Anwendung der W i n t e r’sehen Abortzange 
sehr erleichtern. 

Die Befolgung der wohlbegründeten therapeutischen 
Grundsätze wird fraglos zur Besserung der Erfolge bei 
Eihaut- und Plazentarretention in der Praxis beitragen. 


Literatur: 

1. Winter, Über lokale Behandlung der puerperalen Infektions¬ 

krankheiten. Verhandl. d. deutsch. Gesellseh f. Gyn. Strassburg 
1909. Über Bedeutung und Behan. lung retinierter Plazentarreste. 
Monatsschrift f. Geb. u. Gyn. Bd. 39, 1914. 

2. Kienapfel, Über Bedeutung und Behandlung vor. retinierten 

Eihäuten und Plazentarstücken. Dokt -Dissert, Königsberg. 

3. Hörmann, Soll man Plazentarreste nach reifer Geburt ent¬ 

fernen oder nicht? Monatsschr. Bd. 34. 5. 412. 1911. 

4. Dehnike, Die Therapie der Eihaut- und Plazentarretenlion 

Prakt. Ergebnisse d. Geb. u. Gyn. Bd. 4. 5. 79. 

5. Warnekros, Plazentare Bakteriämie. Archiv f. Gyn. Bd. 2 

5. 362. 

6. B e n t h i n , Zur Behandlung des fieberhaften Aborts. Zeitschrift 

f. Geb. u. Gyn. Bd. 73, 1913. Wie kann man üble Ausgänge 
bei fieberhaften Aborten vermeiden ? Deutsch, med. Wochen¬ 
schrift. No. 16, 1914. Die exspektative Behandlung fieberhafter 
Aborte. Verhandl. d. deutsch. Ges. f. Gyn. 1913. 

7. Luchsinger, Zur Behandlung retinierter Plazentarreste St. 

Petersburger med. Wochenschr. 1911. No. 24. 

8. Schröder, Verh. der Nordostdeutschen Gesellsch f. Gyn. 

Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 31. 6. 516 

9. Schauta, Sollen Plazentarreste gelöst werden? Wiener klin 

Wochenschrift. XXV. 1912. No. 1. 


Zur Schmierseifebehandlung. 

Von Generalarzt a. D. Dr. K a p p e s s e r, Darmstadt. 

In einem mir übersandten wissenschaftlichen Unter¬ 
nehmen: „Ärztliche Sammelblätter“ von Albert Fleck, | 


Nr. 9. 


Berlin ist in Nr. 20 vom 20. Oktober 1915 unter der 
Überschrift: K a p pe s s e r’sche Schmierseifenkur ein 

etwas dunkler Inhaltsbericht von meinem Aufsatz in 
Nr. 48 der „Fortschritte der Medizin“ abgedruckt, welchem 
dann am Schluss der Berichterstatter aus Eigenem wört¬ 
lich beifügt: „Verfahren: Jeden 2. Tag 25,0 Sap. Kalini 
viridis purissiini 20—25 Minuten lang einreiben, bis die 
Haut glänzend aber trocken ist (!). Nach 30 
Minuten den Teil abwaschen, abtrocknen und einpudern. 
So jedesmal andere Ilautstellen und in gleichem Turnus 
wiederholen.“ — 

Da durch solch widersinnige Wiedergabe das ganze 
so wohltätige Heilverfahren in Misskredit geraten könnte, 
halte ich mich zu nachstehender Richtigstellung ver¬ 
anlasst. 

Bei meiner Methode, wie sie von mir seit bald 50 
Jahren geübt wurde und auch von vielen Andern nach 
mir mit schönem Erfolg, habe ich bei chronisch skrofu¬ 
lösen und tuberkulösen Krankheitsprozessen, wie auch 
den Folgen gestörter Entwicklung, wie Verbiegung der 
Wirbelsäule (siehe meinen Aufsatz: Ermüdungskrankheit, 
ein Beitrag zur Behandlung der Rückgratsverkrümmungen 
in Zeitschr. f. Schulgesundheitspflege) — stets 2-, höchstens 
3mal die Woche einen Tee- bis Esslöffel voll, je nach 
dem Alter des Kranken von der gewöhnlich käuflichen, 
honigartig besseren Schmierseife abends auf dem Rücken 
10—15 Minuten lang mittels der wiederholt in laues 
Wasser getauchten Hand zu Schaum verreiben und dann 
lauwarm abwaschen lassen. Das von manchen zur ver¬ 
meintlichen Verstärkung der Wirkung beliebte, ab¬ 
weichende Verfahren, den Seifenschaum auf der Haut 
über Nacht hängen und eintrocknen zu lassen, ist vielleicht 
mit Veranlassung zu hier und da verlautenden Klagen 
über Reizung empfindlicher Haut durch die vermeintlich 
zu scharfe Seife. Ich selbst habe zu solchen niemals 
Veranlassung gehabt. 

In akut verlaufenden Fällen, wie skroful. Augen¬ 
entzündungen, ühreiterungen und Ergüssen in die Hohl¬ 
räume des Körpers habe ich die Einreibung auch zeit¬ 
weise täglich oder jeden zweiten Tag machen lassen. 
Besonders in letzteren Fällen, wo sich das Mittel ganz 
besonders als kräftiges Resorbens erwies, habe ich einige 
Male bei Brustfellergüssen, besonders aber bei jenen 
hartnäckigen Sehnenscheiden- und Muskelentzündungen, 
wie sie oft bei Wäscherinnen und Köchinnen, aber auch 
bei gewissen Handwerkern als sogen. „Vergreifen“ Vor¬ 
kommen,überraschende Resultate erzielt, indem die Kranken 
sich selbst die Seife in beide Handteller und die Innen¬ 
seite der Vorderarme einrieben; vielleicht wegen der 
hier zahlreichen Ilauttalgdrüsen. 

Da es bis jetzt noch nicht wissenschaftlich feststeht, 
welchen Sonderbestandteilen des gemischten Stoffs, den 
wir Schmierseife nennen, die eigentliche Heilwirkung 
zusteht, so wage ich nicht zu entscheiden, ob die von 
manchen, wie auch oben in der Einleitung gemachten 
Vorschläge, dieselbe durch die jedenfalls teurere Sap. 
virid. Kalini depurativ. zu ersetzen, das Richtige wäre, 
da möglicherweise gerade durch die „Depuration“ dieser 
wichtige Bestandteil könnte verloren gehen. — Hat doch 
auch s. Zt. der Vorschlag, den Lebertran durch wohl¬ 
schmeckendere Fette, Butter und Baumöl zu ersetzen 
bis jetzt wenig Anklang gefunden. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 9. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


85 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Lieber die unspezifische Therapie von Infektions¬ 
krankheiten. 

Von Wolfgang Weichert - Erlangen. 

Es mehren sich die Angaben von Autoren, die fanden, 
dass Typhus und andere Infektionskrankheiten durch 
Injektion von Albumose, aber auch von anderen, ganz 
unspezifischen Mitteln, günstig beeinflusst werden. W. er¬ 
klärte diese Befunde mit der von ihm und seinen Mit¬ 
arbeitern schon seit langem studierten Protoplasma¬ 
aktivierung: 

Man kann zeigen, dass durch höhermolekulare Ei¬ 
weissspaltprodukte Leistungssteigerung her¬ 
vorgerufen wird, durch Kurvenserien am isolierten, er¬ 
müdeten Froschherzen wird diese Leistungssteigerung 
gezeigt. 

Grössere Dosen bewirken Minderleistungen. W. zeigte, 
dass durch die allerverschiedensten Eintlüsse, bei richtiger 
Dosierung, der Stoffwechsel so beeinflusst werden kann, 
dass leistungssteigernde Spaltprodukte entstehen. 


Ausser an isolierten Organen können Protoplasma¬ 
aktivierungen, die zu Leistungssteigerungen führen, in 
für die Praxis geeigneter Weise an der Verfolgung der 
Leukozytentätigkeit oder an der Vermehrung der Drüsen¬ 
sekretion studiert werden. Zu diesem Zwecke hält Ver¬ 
fasser ältere, seit Jahren nicht mehr belegte Ziegen bei 
gleicher Nahrung. Die gleichmässige Milchmengen liefern¬ 
den Ziegen werden dann mit den aktivierenden Mitteln 
eingespritzt und an der Steigerung der Milchproduktion 
die jedesmalige und allgemeine Leistungssteigerung ge¬ 
messen. 

Schon Mittel, die sonst als indifferent gelten, können 
so als leistungssteigernd erkannt werden. Es genügen 
schon gering-chemische, oft auch physikalische Einflüsse, 
um die Entstehung leistungssteigernder Spaltprodukte 
zu veranlassen. 

Hinweis auf die früheren Arbeiten des Verf. über 
diesen Gegenstand im Handbuch von Kolle - W asser¬ 
mann. Aull. 2. Band II. 1914. Ermüdungsstoffe. 
(M. m. Wschr. 45, 15.) Autoreferat. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Dr. L e v y , Beobachtungen über Riicktalllieber. — 
Seuchenlazarett Lügumkloster. (Münch, m. Woch., 1915 
Nr. 37.) 

Bei kriegsgefangenen Russen fielen zahlreiche Hydrämien, 
Anschwellungen an den Beinen, Ödeme der Augenlider, mit 
unbekannter Herkuuft auf. Systematische Blutuntersuchungen 
ergaben, dass es sich um Rückfallfieberkranke handelte, die 
vielfach nicht zur ärztlichen Behandlung gekommen waren, und 
die bei jedem Fieberanstieg Rekurrensspirochäten aufwieseu. 
[Der Blutstropfen wird nach Lufttrocknung 2—10 Min. in 
Äther - Alkohol fixiert, dann in (10 Proz.) Gentianaviolett- 
Karbolsäure (5 Proz. -lösuug) gefärbt. Die Spirochäten sind 
alsdann tiefdunkelviolett und sehr leicht zu erkennen.] Verf. 
hält die bei jedem Anfall auftretenden Ödeme für eine Herz¬ 
schädigung durch Ausscheidung von Spiroehäten-Endotoxinen. 
Wichtig ist das Fehlen von Eiweiss im Harn. 0,3—0,45 Neo- 
salvarsan Hess prompten Fieberabfall ersehen. Zur Heilung ge¬ 
nügte meist eiue einzige Injektion. — Die Rekurrenserkrankung 
war oft durch Fl eck Heber verdeckt; die Differentialdiagnose ist 
durch Auffinden der Spirochäten zu sichern bezw. es besteht 
Mischinfektion. Viernstein - Kaisheim. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Bericht über einige Neuerscheinungen au! dem Gebiete der 
Chirurgie und Orthopädie. 

Von F. R. Mühlhaus - Res.-Lazarett München K. 

1. Traumatisches Ödem 

In Nr. 35 der M. m. W. wird aus der chirurgischen Uni¬ 
versitätsklinik zu Jena von Strohmeyer ein interessanter 
Beitrag zur Ätiologie des erst in den letzten 10 Jahren von 
Sekretan und V u 11 i e t geschaffenen Krankheitsbildes 
ger traumatischen Ödeme geliefert Das traumatische Ödem ist 
dinsichtlich seiner Ätiologie noch wenig geklärt, und es ist be- 
hreiflicb, dass der Begriff „traumatisches Ödem“ sich in der 

Digitized by Google 


letzten Zeit zu einem Sammelbegriff für alle solche Er¬ 
scheinungen ansgebildet hatte, bei denen brettharte Infiltration 
und scharfe Absetzung dieser Infiltration das Charakteristikum 
bildeten, ohne dass jedoch im einzelnen die Ätiologie berück¬ 
sichtigt werden konnte. Die Kenntnis dieser Ödeme beschränkt 
sich bis heute noch auf Hand- und Fussrücken, jedenfalls auf 
Gebiete, in denen Sehnenscheiden verlaufen — eine Tatsache, 
die bei Erklärung dieses Krankheitsbildes nicht übersehen werden 
kann. 

Strohmeyer stellt nun mit seinem Fall eine Differen¬ 
zierung der traumatischen Ödeme auf, womit wir der Ätiologie 
dieser Ödeme für einzelne Fälle um ein bedeutendes Stück 
näher gekommen sind. Es handelt sich in diesem Fall um ein 
Odem, hervorgerufen durch einen Fremdkörper im 2. Inter- 
metakarpalraum, nach dessen Exstirpation sich im Verlauf von 
2 Wochen die charakteristischen Zeichen des traumatischen 
Ödemes manifestierten — starke, dorsale, brettharte, druck¬ 
empfindliche Schwellung. Die übliche Therapie — Ileissluft, 
Massage — brachte nur vorübergehende Erweichung. Lediglich 
zur histologischen Untersuchung wurde die Narbe exstirpiert 
mit dem überraschenden Resultat, dass nach 8 Tagen das 
Ödem verschwunden war. Demzufolge wurde die Ursache des 
Ödemes in au der Narbe befindlichen, unbekannten Stoffen 
gesehen. Starke, bis stellenweise zum Verschluss führende 
Schwellung der Endotheliett der Lymphbahnen bildet für 
Strohmeyer eine Erklärung für ein Eindringen eines 
Stoffes, der zur chronischen, auf den Handrücken lokalisiert 
gebliebenen Lymphangitis mit dem Bilde des traumatischen 
Ödemes geführt hat. In der Quantität und Qualität des reiz¬ 
ausübenden Stoffes, wie in der Hinderung seiner weiteren Resorp¬ 
tion durch Verschluss der Lymphgelässe sieht Stroh- 
m e y e r den Grund für die lokale Entzündung, die nun 
durch frühzeitige Exstirpation des reizausübenden Stoffes zur 
Norm zurückging. 

Diese toxische Erklärung des traumatsichen Ödemes ist 
natürlich nur bei Vorhandensein von Fremdkörpern verwendbar, 
macht aber den vollständig geglückten Versuch, eine Differen¬ 
zierung hinsichtlich der Ätiologie in dem weiten Begriff: trau- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







86 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 9. 


matisches Ödem zu schaffen. Bedauerlich ist, dass Stroh- 
m c y e r sein Verfahren der Narhenexstirpation nicht genauer 
gekennzeichnet hat, von dem Gedanken aus, dass bei der Ex- 
stirpatiou das zusammenhängende Paket der Sehnenscheiden 
des Handrückens miteröffnet wurde. 

2. Schmuckprothese und Arbeits¬ 
prothese. 

Referat zu den Veröffentlichungen von Bade und 
S p i t z y in Nr. 34 d. M. nt. W. 

Da vor Beginn dieser Krieges die Frage des künstlichen 
Armersatzes noch wenig aktuell war, pflegte man sich im 
grossen und ganzen mit dem üblichen Bandagistenarm, der 
zugleich Schmuck- und Arbeitsprothese sein sollte, zu begnügen 
und überliess es hauptsächlich dem Bandagisten, sich mit dem 
Ausbau des Armersatzes zu beschäftigen. Heute ersieht die 
Orthopädie als eine der vornehmsten Aufgaben in sozialer Hin¬ 
sicht, den Kriegsinvaliden durch entsprechende Ersatzstücke 
den Verlust von Gliedmassen am wenigsten fühlbar zu machen 
Die bis jetzt schon gemachten Erfahrungen haben in Deutsch¬ 
land fast allgemein zu dem Ergebnis geführt, dass Schmuck- 
und Arbeitsprothese nicht e i n Begriff sein können. Diese 
Erwägungen gehen von 2 sozialen Gesichtspunkten aus: 1. Der 
Invalide als vollwertiger Mensch und 2. der Invalide als voll¬ 
wertiger Arbeiter. Unsere Heeresverwaltung will ebenfalls 
diesen Standpunkt einnehmen, indem jedem verstümmelten 
Soldaten neben einer seinem Beruf zusprechenden Arbeits¬ 
prothese eine Maskierungsprothese zum äusseren Ausgleich der 
\ erstümmelung beschafft werden wird. Bis jetzt, war man in 
erster Linie noch auf den bekannten, „künstlichen“ Arm der 
Bandagisten angewiesen, der zwar kunstvoll und teuer ist, aber 
unsere heutigen Forderungen in keiner Weise deckt. Bei der 
Arbeit hindert er mehr, als er nützi und lediglich als Schmuck¬ 
prothese ist er viel zu teuer und kompliziert. Aus diesen Ge¬ 
sichtspunkten heraus konstruierte Bade- Hannover seine 
Schmuckprothese, die so glänzend einfach und ideal ist, dass 
sie die uneingeschränkte Zustimmung der Orthopäden für ihren 
Zweck gefunden hat. B i e s a 1 s k i nennt sie das „Ei des 
Kolumbus“ in Lösung der Schmuckprothesenfrage. Ich bin 
der Überzeugung, dass wi: bald in jedem Maskierungsarm das 
Bade sehe Prinzip — wenigstens angedeutet — vorfinden 
werden. Bade stellte sich in der Bekämpfung des üblichen 
Bandagistenarmes 5 Aufgaben : Sein Arm muss als Schmuck¬ 
prothese mindestens dasselbe leisten als der übliche künstliche 
Arm, er muss sich dem gegenwärtigen Handelsmarkt anpassen 
im Fortfall des Leders, er muss viel billiger, bequemer und 
leichter sein und darf sich nicht schneller abnutzen. Diese 
Aufgaben sind voll und ganz gelöst. 

Der Bandagist schafft seinen Arm von aussen nach innen, 
indem er an die äusseren, schweren Stützschieneu die gewalkten, 
teuren Lederhülsen legt Bade arbeitet, von innen nach 
aussen im Sinne der Anatomie mit den einfachsten Hilfsmitteln 
4facher Draht ist das Skelett für Ober-und Unterarm, das nach 
Durchlaufen einer Holzscheibe in seine einzelnen Drähte auf¬ 
gelöst zu Phalangen ausläuft; der 5. Finger wird als neuer 
kurzer Draht angefügt. Watte, Binden und Trikot werden zu 
Weichteilen und Haut dieses Armes Die mit Watte montierten 
1'ingerdrähte werden mit einem Handschuh überzogen, Es 
ist einleuchtend, dass sich mit diesen Hilfsmitteln die Konturen 
eines Armes natürlicher nachbilden lassen als mit dem starren, 
verschienten Bandagistensystem. Die zu kleinen Vorrichtungen 
nötigen Gelenk- und Greifbewegungen werden durch Biegen des 
Drahtskelettes mit dem gesunden Arm ausgeführt. Interessant 
und neu ist die Art der Befestigung dieses Armes an den 
Stumpf. Der 4 fache Armdraht löst sieh am proximalen Teil 
nach Durchlaufen einer Holzscheibe in seine 4 Bestandteile auf, 
die Drähte umgreifen den mit Trikot überzogenen Stumpf 
becherförmig. Mit Zelluloid getränkten Binden umwickelt 
Bade das Drahtgestell am Stumpf, lässt sie trocknen und 
erhält auf diese Weise eine tadellose, billige Ansatzhülse. Die 
endgültige Befestigung geschieht über Brust und Rücken unter 
der gesunden Achsel mittels Gurt Ohne fremde Hilfe kann 
diese Prothese von dem Träger angelegt werden. 

Nach dem Gesagten erscheint mir diese Sch muck prothese 
Bad e’s wegen ihrer einfachen, billigen, leichten, gut zu er- 


Digitized by 


neuernden Beschaffenheit als die brauchbarste von allen bis¬ 
herigen Erscheinungen, und es ist mit Freuden zu begrüssen, 
dass wir durch diesen Arm von dem nichts Ganzes und nichts 
Halbes darstellenden, üblichen Bandagistenarm freigekommen 
sind, vielleicht zum Leidwesen der Bandagisten, aber zum Vor¬ 
teil unserer Invaliden. 

Hat somit die Frage der reinen Schmuckprothesc in über¬ 
raschender Weise und kurzer Zeit eine brauchbare Lösung 
durch B a d e gefunden, so stehen wir mit Beschaffung von 
vollwertigen Arbeitsprothesen zum grössten Teil noch auf 
experimentellem Boden, wenngleich auch auf diesem Gebiete 
schöne Fortschritte zu verzeichnen sind. Der gewisse Rück¬ 
stand in dieser Frage liegt in ihrer Vielfältigkeit begründet, 
da jede Arbeitsprothese den sozialen Forderungen ihres Trägers 
Rechnung tragen muss. Das ist das Grundprinzip der Wieder¬ 
verwendungsmöglichkeil unserer jetzigen Invaliden Drehorgel 
und Bettelmusik wird heutzutage nicht mehr das Brot für 
unsere Kriegsinvaliden sein, und es ist ein gutes Zeichen, 
welch’ intensiver Eifer zur glücklichen Erledigung der Arbeits¬ 
prothese allenthalben aufgewandt wird. 

S p i t z y - Wien fordert mit seiner Arbeit die Orthopäden 
auf, Prothesen zu konstruieren, deren funktionelle Beweglichkeit 
zur Arbeitsverriehtung von den Mukeigruppen des gesunden 
Armes nusgehen soll und führt als Beispiel seinen Fall an, 
der den Beruf als Kirchendiener mit Hilfe einer derartig ge¬ 
bauten Prothese wieder ausführt Mit diesem Fall ist 
8 p i t, z y noch Anhänger der veralteten Methode der Identität 
von Arbeits- und Rehmuckprothese. Der Mechanismus dieser 
Arbeitsprotliese beruht auf Funktion des Deltamuskels des 
Stumpfes, indem hierdurch durch Schnürzug (Fixatiouspunkt 
der Schnur ist am Leibriemen) Flexion des Vorderarms be¬ 
wirkt wird. Durch Zugübertragung von Bewegung der ge¬ 
sunden Schulter auf den Daumen der Prothese wird Adduk- 
tionsschluss des Daumens zum Festhalten vom Gegenständen 
erzielt. Der Gedanke dieser Zugübertragung von gesunden Arm 
auf die Prothese kommt von Amerika, macht eine derartige 
Prothese kompliziert und teuer, ist in sozialer Hinsicht nur 
für Invalide in Repräsentationsstellungen verwendbar und 
scheidet demnach Von dem Begriff Arbeitsprothese im engeren 
Sinne des Wortes aus. Ausserdem ist die Erlernung dieser 
Zugübertragung äusserst schwierig und mühsam, und es ist auch 
dem geschicktesten Prothesenträger nicht gelungen, die dem 
Zuschauer unmotiviert erscheinenden Bewegungen des gesunden 
Armes zu verdecken. Ich bin der Ansicht, dieses Prinzip 
ruhig Amerika zu überlassen und sich umsomehr mit wirklich 
brauchbaren Arbeitsprothesen für unsere Arbeitswollenden In¬ 
validen zu hefassen. Diesem Gedanken entsprechen die 4 
weiteren Veröffentlichungen von reinen Arbeitsprothesen 
S p i t z y’s weit mehr. Sie sind schon von dem leitenden Satz 
B i e s a 1 s k i’s getragen, dass der beste Arbeitsarmersatz der 
Stumpf — und ist er noch so klein — selbst ist. S p i t z y 
führt hier für die kurzen, und mit Ansatzstück versehenen Pro¬ 
thesen den Ausdruck „sensible“ Prothese ein und beweist nur 
damit, dass auch er der in Deutschland schon allgemein ver¬ 
tretenen Ansicht für kurze, möglichst jedes Gelenk vermissen 
lassende Arbeitsprothesen die Brauchbarkeit zuerkennt. So benutzt 
auch S p i t z y für einen Tischler, auf den allerdings schwer¬ 
lich der Ausdruck einarmig heutzutage nach Anwendung finden 
kann, da die Amputation am unteren Drittel des Vorderarmes 
stattfand, weichlederne Stumpfüberzüge, an die entsprechende 
Werkzeuge befestigt sind. 

Gut und neuartig erscheint mir bei einem im Schulter¬ 
gelenk exartikulierten Drechsler die Prothese, die lediglich aus 
einer durcli Gurte an der Mitte der Brustseite befestigten Holz¬ 
platte besteht und vorn in Einlochung die nötigen Werkzeuge 
trägt. Für eiuarmige, landwirtschaftliche Arbeiter hält 
S p i t z y gleichfalls das oben geschilderte Prinzip der mög¬ 
lichst kurzen Arbeitsprothese für das erfolgreichste, indem er nur 
den kurzen Oberarmstumpf mit einfacher Lederprothese, die am 
freien Ende eine Metallhülse zur Verstärkung und Schutz 
trägt, umgibt und mit Riemen zum Befestigen der Werkzeuge 
versieht. 

Durch diese Arbeiten B a d e’s und Spitzy’s ist die 
Scheidung von Schmuck- und Arbeitsprothese — Begriffe, die 
man früher immer miteinander vereinigen wollte — auch 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








87 



öffentlich praktisch erprobt, zu Tage getreten, eine Tatsache, an 
deren weiteren Aushau in den orthopädischen Werkstätten und 
soust tüchtig gearbeitet wird. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Glanzmann, Erfahrungen über Eiweiss-Milch und 
ihre Ersatzpräparate. (Jahrb. f. Kinderh., 82. Bd. Heft 4.) 

In eingehender, die Grundlagen, Indikationen und Ziele 
der Eiweiss-Milch-Therapie ausführlich erörternder Arbeit werden 
die guten Erfahrungen der Berner Kinderklinik (Prof. Stooss) 
mit der Meyer-Finkelstei n’scben Eiweismilch und 
ihren Ersatzpräparaten (Larosan, Plasmon, Pflanzenmilch) be¬ 
schrieben. S t r a u s s - Mannheim. 

Kaufmann -Wolf, Zur Frage der Übertragbarkeit 
der Dermatitis exfoliativa ueoiatorum. (Jahrb. f Kind, 82 Bd , 
Heft 4.) 

Zum erstenmal wird hier die Übertragung der Dermatitis 
exfoliativa (Ritter) vom Kind auf die Mutter beobachtet, 
bei der sich die Krankheit typisch an der Brust zeigte, an der 
das Kind gestillt wurde. S t r a u s s - Mannheim. 

Koch, H., Initialfieber der Tuberkulose. (Zeitschr. für 
Kdh , 13. Bd., 1. u. 2. Heft.) 

In drei Fällen der Wiener Kinderklinik konnte das Früh- 
stadiura der Tuberkulose beobachtet werden, die Zeit der mut¬ 
masslichen Infektion bis zum erstmaligen Auftreten der 
P i r q u e t’schen Reaktion ; es wurde bei allen dreien unge¬ 
fähr in der 7. Woche nach dem wahrscheinlichen Termin der 
Infektion, in der Zeit in der auch Pirquet positiv wurde, 
ein sonst nicht erklärliches Fieber festgeslellt, das der Ver¬ 
fasser als „Initialfieber der Tuberkulose“ bezeichnen möchte. 

S t r a u s s - Mannheim. 

Koch. H., Die Tuberkullnbehandliing im Kindesalter. 
(Zeitschr. f. Kdhlkde., 13. Bd., 1. und 2. Heft.) 

Eingehende Schilderung der an der Wiener Kinderklinik 
Pirquets eiugeführten Methode der Tuberkulinbehandlung 
beim Kinde. Sie unterscheidet sich von der sonst üblichen 
hauptsächlich darin, dass die Tuberkulindosis in einer grösseren 
Flüssigkeitsmenge (10—20 ccm) gelöst verabreicht und mit der 
Stelle der Injektion möglichst gewechselt wird ; beides zu dem 
Zwecke, eine lokale Reaktion der Injektionsstelle zu vermeiden. 
Die Anfangsdosis beträgt '/jo» mg AT und steigt in 
geometrischer Progression bei rascher Steigerung durch 7, bei 
mittler durch 13, bei langsamer durch 25 Dosen zur Enddosis 
von 1 mg; die Möglichkeit der Steigerung ist gegeben, wenn 
allgemejpe Reaktionen (Fieber und subjektive Symptome) und 
LokaTfeaktionen an den erkrankten Stellen ausbleibeü. Unter 
45 Fällen wurden 38 durch die Tuberkulin-Injektionen günstig 
beeinflusst, was sich zum Teil in Rückgang der entzündlichen 
Erscheinungen, Verschwinden der Tuberkelbazillen im Sputum, 
zum Teil im Aufhören von Husten und Sputum äusserle. Un¬ 
günstigen Einfluss batte die Kur nur bei wenigen Fällen 
schwerer phthisischer Prozesse über beiden Lungen. Soust aber 
ist ihre Anwendung zu empfehlen. 

Strauss - Mannheim. 

Prof. L. T o b 1 er , Zur Technik der diagnostischen Blut¬ 
entnahme und der Intravenösen Injektion beim Säugling. 

(Monatsschr. f. Kdhlkd., Bd. 13, Nr. 8.) 

Der verdienstvolle unlängst verstorbene Breslauer Pädiater 
gibt hier einen neuen Weg zur Venenpuuktion beim Säugling 
an. Die Schwierigkeit, bei der Kleinheit und Verborgenheit 
der Kubitalvene beim Säugling diese ohne Freilegung zu punk¬ 
tieren, hat zum Vorschlag geführt, hierzu die Temporal-Venen 
oder die Vena jugul. externa zu benutzen. Statt ihrer versuchte 
Tobler mit gutem Erfolg vom hintern Winkel der grossen 
Fontanelle aus oder durch die noch offene Sagittalnaht den 
Sinus longitudinal, superior, den sagittalen Blutleiter der Dura, 
zur Punktion und intravenösen Injektion zu benutzen. 

Strauss - Mannheim. 

Prof. Hans Vogt, Über Kampferabszesse. (Monats¬ 
schr. f. Kdhkde., Bd. 13, Ni. 8) schildert ein ihm häufig be¬ 
gegnendes Auftreten von Hautabszessen bei Kampfer-Injektionen 
von Kindern, für die er einen Fehler in der Technik ausschliessen 
zu können glaubt Strauss- Mannheim. 


Dr. Ingeborg Jacobsen und Dr. Adolf 
H. Meyer, Untersuchungen über den Keuchhustenbazillus 
| (Bordet-Gengou’schen Bazillus). (Archiv für Kinderheilkunde. 
G4. Bd., 5. und 6. Heft.) 

B o r d e t - G e n g o u vom Pasteur-Institut zu Brüssel 
veröffentlichten im Jahre 1006 eine Abhandlung, worin sie den 
Keuchhusten-Bazillus gefunden zu haben behaupteten; sie be¬ 
schrieben ihn als kleinen ovoiden Bazillus, der in dem Aus¬ 
wurf von Patienten mit frischem Keuchhusten auftritt. In den 
folgenden Jahren sind dann eine Reihe von Arbeiten er¬ 
schienen, die die Ergebnisse dieser Forscher zum Teil bestätigt 
zum Teil aber auch bestritten haben; insbesondere in Deutsch¬ 
land ist man noch keineswegs von der Spezifität desBordet- 
G e u g o u’schen Bazillus für die Ätiologie des Keuchhustens 
überzeugt. J acobsen und Meyer untersuchten im 
ganzen 37 Keuchhustenpatienten; bei 14 von 16 Patienten, die 
bis zu 3 Wochen gehustet hatten, wurde der Bazillus rein ge¬ 
züchtet; bei Patienten, die eine Woche länger gehustet hatten, 
gelang die Züchtung viel seltener; wenn die Patienten über 
1 Monat gehustet hatten und bei Komplikation mit verbreiteter 
Bronchitis oder Bronchopneumonie, gelang sie überhaupt nicht 
Übertragungsversuche auf Affen fielen negativ aus. Die Spezifität 
des Erregers glauben sie jedoch aus den Komplementbindungs¬ 
versuchen mit dem Serum Erkrankter und Genesender schliessen 
zu dürfen, die fast ausnahmslos positiv gefunden wurden. 

Julius Strauss -Mannheim. 

Dr. L. Bernhard, städt. Schularzt in Berlin, Uber den 
Einfluss der Sonmierferien auf die Diphtherie- und Scharlach- 
Sterblichkeit. (Archiv für Kinderheilkunde. 64. Bd. Heft ö 
und 6.) 

Um der Frage näher zu treten, ob durch die Schule eine 
nennenswerte Verbreitung von Scharlach und Diphtherie statt- 
fiudet, hat man den Einfluss der Ferien auf die Zahl der 
Krankheits- und Todesfälle geprüft und Harrington, der 
den Gegenstand auf dem 3. internationalen Kongress für Schul¬ 
hygiene in Paris behandelte, meinte, dass die Schliessung der 
Schulen während des Sommers nicht der einzige Gruud für die 
Abnahme der Erkrankungen in dieser Zeit sei, da diese schon 
vor Schulschluss beginne und schon gegen Ende der Ferien sich 
ein Wiederansteigen zeige. Verfasser versucht nun den Einfluss 
der Ferien auf die Häufigkeit von Diphtherie und Scharlach da¬ 
durch zu prüfen, dass er die Statistik Berlins mit der einiger 
rheinischer Städte verglich, in welchen die Sommerferien 4 bis 
5 Wochen später beginnen In der Tat findet er nun, dass die 
niedrigsten Sterbeziffern an diesen Krankheiten in Berlin im 
Juli, in den rheinischen Städten im August, also in den ent¬ 
sprechenden Ferienmonaten, zutreffen. Nun sind aber die 
Differenzen gegen die Nachbarmonate in beiden Fidlen sehr 
gering und zudem muss man damit rechnen, dass ein grosser 
Prozentsatz der Schulkinder während der Ferien verreist und 
damit die Mortalitälsziffer entlastet. Man könne demnach nicht 
sagen, dass die Schule den wesentlichsten Einfluss auf die 
Verbreitung der beiden Krankheiten ausübe. 

Strauss- Mannheim. 

Kurt Blühdorn, Biologische Untersuchungen über 
die Darmflora des Säuglings. (Monatsschrift für Kinderheilk., 
Bd. 13, Nr. 7.) 

Experimentell-wissenschaftliche Versuche, durch Einwirkung 
von Sluhlbakterien im Reagenzglas auf verschiedene Arten von 
Milch, auf Zucker, Eiweiss in verschiedenen Kombinationen 
die praktischen Wirkungen der Eiweissmilch, Buttermilch usw. 
theoretisch zu erklären. 

Strauss- Mannheim. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

Meyer, Praktische Erfahrungen mit dem FürsUnnuschen 
Intensimeters. (D med. Wschr., 44, 15.) 

Die Bedenken, welche der Verwendung von Selenzellen 
zu Röntgenstrahlenmessungen früher entgegenstanden, sind durch 
die Konstruktion des Fürstenauseben Intensimeters und die hei 
ihm verwendete Selenzellenart behoben ; insbesendere spielen 
Trägheit und Ermüdung keine Rolle mehr. M. erblickte nach 

Original from 


Digitized by 


Google 


UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



88 


Fortschritte der medizin 


Nr. <). 


seinen bisherigen eingehenden Erfahrungen in dem Intensimeter 
infolge der mit ihm verknüpften wesentlichen Vereinfachung 
der Methodik und der Objektivität der Zeigerablesung einen 
erheblichen Fortschritt für die Dosierung und Härtemessung der 
Röntgenstrahlen. N e u m a n n. 

Prof. Hans Aron, Die Bedeutung von Extraktstoffeu 
für die Ernährung. (Monatsschrift f. Kinderheilkde, Bd. 13, 
Nr. 8.) 

Diese Arbeit ist ein Beitrag zu den neueren Forschungen 
auf dem Gebiet der Chemie der Ernährungsstoffe, das seinen 
besonderen Ausdruck in der Lehre Funks von den Vitaminen 
fand; es handelt sich um die Frage, ob es ausser Eiweiss, Fett, 
Kohlehydraten und Mineralstoffen noch andere Nahrungsstoffe 
gibt, die für den diätetischen Effekt einer Nahrung bedeutungs¬ 
voll sein können, insbesondere die sog. Extraktivstoffe. Ihr 
Einfluss auf die Sekretion der Verdauungesäfte ist ja seit den 
P a w 1 o w’schen Untersuchungen zur Genüge bekannt ; es ist 
aber auch möglich, dass sie in vielen Fällen lebenswichtige 
Komponenten der Nahrung bilden können. Aron untersuchte 
den Einfluss der Kxtraktstoffe der Getreidekleie im Tierversuch 
auf das Gedeihen junger Ratteu. Er fand in einer Reihe von 
Versuchen, dass diese bei ausreichender Ernährung mit Eiweiss, 
Fett, Kohlehydraten und Salzen nicht gediehen, aber sich so¬ 
fort erholten und rapid besserten, wenn er ihnen eine gewisse 
Menge des Kleien-Extraktes in kleinen, einmaligen Tagesdosen 
verabreichte. Diese Versuche werfen ein Licht auf manche 
Ernährungsstörungendes Säuglings,insbesonderedieB a r 1 ow’sche 
Krankheit (die ja möglicherweise durch einen derartigen Mangel 
an zur Zeit noch nicht bekannten Nährstoffen veranlasst wird 
und deren Heilung in neuerer Zeit durch einen Gelberüben- 
Extrakt versucht worden ist) und auf die Tatsache, dass bei 
der künstlichen Ernährung des Säuglings manchmal eine kleine 
Änderung in der Nahrungszusammensetzung, wie Ersatz des 
Zuckers durch Mehl, einen überraschenden Erfolg für das Ge¬ 
deihen des Säuglings haben können. 

StrauBB - Mannheim. 


Neuere Medikamente. 

Die Erfolge, die man mit Optochin in der Behandlung 
von Pneumokokkeninfektionen erzielt hat, veranlassten Dr. 
L e v y , Köln-Bayenthal, dasselbe Mittel gegen Gonorrhoe an¬ 
zuwenden. Er berichtet darüber in Nr. 42 der Berliner klin. 
Wochenschrift. 

Darnach bezeichnet er das Optochin auf Grund seiner in 
25 Fällen erzielten Erfolge als wirksames Unterstützungs¬ 
mittel in der Gonorrhoebehandluug und zwar war der Ein¬ 
fluss hei chronischen Fällen ein noch günstigerer als bei 
akuten. 

Das Optochin kam in 1 prozentiger Lösung sechsmal am 
Tage als Injektion zur Anwendung und wurde tadellos ver¬ 
tragen. Die Schmerzen beim Urinieren Hessen sehr bald nach, 
die Sekretion wurde bedeutend vermindert, verlor ihren eiterigen 
Charakter und wurde hell und dünnflüssig. Die Gonokokken 
verminderten sich rasch, nach 4 Tagen fanden sich nur noch 
vereinzelte im Ausstrichpräparat, auch wenn vorher Unmengen 
vorhanden gewesen waren. In Fällen, die nach achttägiger Be¬ 
handlung mit Optochin noch nicht geheilt waren, liess L e v y 
nebenbei noch Protargol anwenden und erzielte dann in kurzer 
Zeit völligen Erfolg. 

Die Münchener medizinische Wochenschrift bringt in Nr. 
30 und Nr. 41 Berichte von Prof. Dr. Blind und Dr. 
Gustav Harter über „Kriegschirurgische Erfahrungen 
mit Pellidol“ und „Pellidolsalbe als Ekzemheilmittel“. 

Blind bestätigt die günstigen Erfahrungen bei der Be¬ 
handlung ausgedehnter granulierender Wundflächen mit Pellidol 
insbesondere mit 2 Proz. Pellidolvaseline, wenn es sich darum 
handelt, eine rasche und sichere Überhäufung herbeizufühm in 
Fällen, in denen die altbewährten chirurgischen Wund¬ 
verschlussmethoden nicht zur Anwendung kommen können. 
Hier tritt das Pellidol als Ersatz, gegebenenfalls auch als 
unterstützendes Hilfsmittel, mit verblüffend rascher Wirkung ein 

Digitized by Google 


mit nur seltenen und dann leicht überwindlichen Reizer¬ 
scheinungen. Die verhältnismässig derbe Decke, die durch 
Pellidolüberhiiutung erzielt wird, hebt der Verfasser ganz be¬ 
sonders hervor. Im Bilde zeigt er den raschen Erfolg bei 
Schussverletzung und schwerem Frostschaden. 

Harter tritt der Beobachtung Dr. A r n old 
S t ö r z e r’s entgegen, die derselbe „Ueber einen Fall von 
Ekzem nach Anwendung von Pellidolsalbe“ in Nr. 37 der 
Münchener med. Wochenschrift veröffentlicht. Er hat im 
Gegensatz hierzu seit 1 1 / 2 Jahren Pellidolsalbe direkt als Ekzem¬ 
heilmittel bisher ausnahmslos mit bestem Erfolge angewandt 
und beschreibt den Fall eingehend, der ihn durch Zufall hierzu 
führte. Er vertritt die Ansicht nach seinen Erfahrungen leb¬ 
haft für die Anwendung von Pellidolsalbe bei Ekzemkrauken 
eintreten zu müssen und fordert zur Nachprüfung auf. 

„Zur Entwicklung der Kalktherapie“ veröffentlicht Prof. 
Dr. O. Loew in Nr 35 1915 der Ärztlicheu Rundschau eine 
Zusammenstellung der Erfahrungen und wissenschaftlichen 
Grundlagen, welche bei der Behandlung mit Kalksalzen bisher 
massgebend waren. Die Zufuhr von mindestens 1 g Kalk täg¬ 
lich für den Menschen ist eine bekannte Notwendigkeit, die 
bei der üblichen Ernährung, wobei Fleisch, Brot und Kartoffeln 
die Hauptrolle spielen, nicht erreicht wird. Durch den Genuss 
von Gemüse und Obst wird dem Körper Kalk zugeführt, jedoch 
nicht in genügender Menge. Diese sowohl wie die Cerealien 
enthalten den Kalk neben Magnesium, jedoch im umgekehrten 
Verhältnis der normalen Zusammensetzung des Blutserums. 

Die therapeutische Verwendung von Kalksalzen hat des¬ 
halb schon früher stattgefunden, aber erst die Beobachtungen 
von Hamburger über den günstigen Einfluss der Kalk¬ 
zufuhr bei Phagozytose, die Untersuchungen von W r i g h t 
über den Einfluss der Kalksalze auf die Koagulation des 
Blutes sowie die Feststellungen von C h i a r i und J a - 
n u s c h k e über die Einwirkung der Kalksalze auf Hemmung 
der Transsudate und Exsudate führten zu einer eigentlichen und 
zielbewussten Kalktherapie, die heute längst in die allgemeinen 
Ordinationen des praktischen Arztes Eingang gefunden hat 
Prof. Emmerich brachte 1913 und 1915 in der Münchener 
medizinischen Wochenschrift seine Erfahrungen und günstigen 
Resultate mit erhöhter Kalkzufuhr bei Heufieber zur öffent¬ 
lichen Kenntnis. In der ärztlichen Rundschau 1915 Nr. 6 
wird der günstige Einfluss der Kalkzufuhr bei einer Regen¬ 
bogenhautentzündung berichtet Auch bei Menstruations-Ano¬ 
malien wird eine längere Zeit dauernde Kalkdarreichung 
empfohlen. 

Die übliche Ordinationsform war Calcium chloratum 1(10,0 
in Aqua destillata 400,0 löffelweise drei- bis viermal täglich 
zu nehmen. Sie wurde wegen des bitteren salzigen Geschmackes 
bald durch Calcium chloratum Tabletten ersetzt, mit denen der 
Praktiker aber auch oft unzufrieden war. Prof. Dr. L ö w 
veranlasste daher im Verein mit Prof. Emmerich die 
chemische Fabrik Joh. A. Wülfing in Berlin ein Präparat her¬ 
zustellen, welches allen Anforderungen im Geschmack, sicherer 
Dosierung, bequemer Handhabung und vor allen Dingen in 
einer möglichst weitgehenden Kalkretention im Körper entsprechen 
sollte. 

Dieses Präparat liegt unter dem geschützten Namen Kal¬ 
tau in einer vorläufigen Kriegspackung vor mir und besteht 
in Tablettenform aus Calcium lacticum mit einem Zusatze voh 
milchsaurem Natron, der durch Übergang in Karbonat dem 
Blut die richtige Alkaleszenz gibt und dadurch die Retention 
des Kalkes wesentlich erhöht. Das Kalzan hat sich bisher in 
allen Fällen wo eine Kalkzufuhr angebracht ist, ausser den 
oben angeführten Beispielen auch bei alimentärer Diabetes, 
exsudativer Diathese, Tetanie vor allen Dingen bei schwangeren 
und stillenden Frauen sowie bei zahnenden Kindern, hervor¬ 
ragend bewährt und man kann mit gutem Gewissen auf das¬ 
selbe empfehlend hinweisen. 

Dr. Rudolf v. Iloesslin in München - Neuwittels¬ 
bach kommt in der Münchener medizinischen Wochenschrift 
auf die Sauerstoffbäder zurück und empfiehlt als billigste, be¬ 
quemste und sachgemässeste die mit Hepin bereiteten. Hepin 
ist eine nach den Angaben von Römer und Much von dem 
Behringswerk in Marburg hergestellte Katalase, die imstande 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



90 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 9. 


Rechtsfolgen falscher Heilbehandlung durch einen X’aturheU- 
kun tilgen. 

Am 11. Dezember 1908 geriet der Steinbrecher R. aus B. 
bei der Arbeit im Steinbruche unter einen stürzenden Schleif 
stein uud erlitt hierbei einen Bruch de9 rechten Oberschenkels. 
In der Folge Hess sich R. von dem Beklagten behandeln, mit 
dem Ergebnisse, dass an der Bruchstelle die beiden Knochen¬ 
enden sich nicht aneinander, sondern nebeneinander legten und 
das Bein infolgedessen erheblich gekürzt wurde. Die Klägerin 
hat für den Verunglückten nach dem Gewerbeunfallver¬ 
sicherungsgesetze vom 30. Juni 1900 Anfwendungen gemacht, 
zahlt ihm noch gegenwärtig eine Rente und nimmt hierwegen 
auf Ersatz unter Berufung auf § 140 des genannten Gesetzes 
den Beklagten in Anspruch. Die Vorinstanzen haben den 
Auspruch für begründet erachtet. Vom Reichsgericht wurde 
die Sache zurückverwiesen mit folgender 

Begründung: 

Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass auch der 
vom Beklagten durch seine verfehlte Heilbehandlung dem R. 
zugefügte Schaden als durch den Unfall entstanden im Sinne 
des § 140 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes anzuseheu 
sei: auch für diese Schadensfolge sei daher die Ersatzpflicht 
der Klägerin dem Verunglückten gegenüber eingetreten. Etwaige 
Ersatzansprüche des R. gegen den Beklagten seien daher in 
der Tat auf die Klägerin übergegangen. Die Revision bestreitet 
dies : das Berufungsgericht habe bei diesen Ausführungen über¬ 
sehen, dass in Fällen von Körper- und Gesundheitsverletzungen 
für Schadensvergrösserungeu, die auf ärztliche Kunstfehler 
bei der durch die Verletzung notwendig gewordenen Behand¬ 
lung zurückzuführen seien, ein adäquater Kausal¬ 
zusammenhang mit der Tat des Erstschädigers nur inso¬ 
weit anzuerkennen sei, als der ärztliche Kunstfehler bei der 
Behandlung auf der Unvollkommenheit der Wissenschaft und 
ihrer Ausübung beruht, mit der überall gerechnet werden muss 
und deren Wirksam werden mithin einem erfahrungsgemässen 
Regelverlauf entspricht Habe dagegen der Aizt alle Regel und 
Erfahrung gröblich ausser Acht gelassen, so sei der Misserfolg 
der Heilung auf dieses Verhalten des Arztes als alleinige Ur¬ 
sache im Rechtssinne zurückzuführen. Diesen Ausführungen 
der Revision war indessen ein Anlass, das Urteil aufzuheben, 
nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht gründet die von 
der Revision angegriffene Annahme des Kausalzusammenhanges, 
wie die Urteilsbegründung in ihrem Zusammenhänge zur Ge¬ 
nüge ergibt, auf eine im wesentlichen tatsächliche Würdigung 
von Umständen, die der Lage des Falles entnommen sind. In 
diesem Sinne vor allem wird auf das grosse Ansehen der sog. 
Knochen Dicker hingewiesen, das diese insbesondere bei der 
ländlichen Bevölkerung geniessen und das den R. zur Er¬ 
wartung einer zweckentsprechenden und unschädlichen Heilung 


bringeu „musste 11 . War dem so, und entspricht jene Wert¬ 
schätzung der „Naturheilkundigen“ in der Tat in so hohem 
Grade den in dem Lebenskreise des Verunglückten herrschenden 
Anschauungen, so kann es nicht für rechtsirrig erachtet werden, 
wenn das Berufungsgericht im vorliegenden F'alle die An- 
gehung des Beklagten durch R. nicht als einen ungewöhnlichen, 
nicht vorhersehbaren Verlauf der Dinge angesehen hat. Da¬ 
gegen war der Revision in anderer Richtung der Erfolg nicht 
zu versagen. Zwar kann ein Selbstverschulden des R., wie die 
Revision will, in dessen Zutrauen zu der Leistungsfähigkeit des 
„Knochenflickers 11 nach Sachlage noch nicht ohne weiteres ge¬ 
funden werden. Stand hierbei R unter dem Banne allgemein 
in der ländlichen Bevölkerung verbreiteter Anschauungen, so 
stellt die Augehung des Beklagten für sich allein noch 
nicht eine Ausserachtlassung der im Verkehr geschuldeten 
Sorgfalt dar. Zu beachten sind indessen weiter die besonderen 
Umstände des vorliegendes Falles : trotz der Erklärung de- 
Beklagten, er habe gar keinen Mut, an die Sache heranzugeheu, 
es handle sich um einen sehr schweren Fall, es sei für R. 
besser ins Krankenhaus zu gehen, — trotz des Hinweises auf 
die Möglichkeit einer eintretenden Verkürzung des Beines hat 
R. den Beklagten durch Drängen und Zureden zur Übernahme 
der Behandlung bestimmt. In diesem Verhalten R.s kann 
ein Selbstverschulden gefunden werden. Ob und aus welchen 
Gründen das Berufungsgericht ein Selbstverschulden auch in 
diesem Sinne verneinen zu sollen geglaubt hat, lässt die Ur¬ 
teilsbegründung nicht erkennen 

Urteil des R.G. vom 4. Oktober 1915. VI. 171./1915. 

B e r t h o 1 d. 


Bücherschau. 

Sommer, Ernst, Röntgen - Taschenbuch. (Röntgen- 
Kalender. VI. Band. Mit 94 Illustrationen. Otto Nemuich 
Verlag 1914. 

Der vorliegende Band des bekannten Taschenbuches reiht 
sich würdig seinen Vorgängern an. Namentlich in thera¬ 
peutischer Beziehung enthält dieser Band einige recht wichtige 
Beiträge, vom Herausgeber selbst ist die Röntgentherapie in der 
Gynäkologie, von Pförringer die — leider bei den prak¬ 
tischen Ärzten noch zu wenig bekannte — Therapie der sog. 
chirurgischen Tuberkulose bearbeitet, Schöne Ausblicke er¬ 
öffnet die Arbeit von Küpferle, Über die Einwirkung der 
Röntgenstrahlen auf die experimentelle Tuberkulose und die 
Arbeit von N agelschmidt, Über die Radiotherapie der 
Tumoren. -— Kurze Mitteilungen von technischen Fabriken 
über wesentliche Neuerungen ergänzen in zweckmässiger Weise 
den reichen Inhalt des Taschenbuches. R. 


Digitized by 



Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 










1915/16. 


33. Jahrgang. 


Tort$(brittc der Medizin. 


Unter mitwirkuna bervorraaender facbmänner 

herausgegeben von 

L Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 10 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 

Verlag Johndorff & Co., Q. m. b. H., Berlin NW. 87. 10. Januar 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Lieber Osteomyelitis und Unfall. 

Von Med.-Rat Dr. R i e g e r - Breslau. 

Der folgende Fall erscheint für die grundsätzliche 
Beurteilung der Beziehungen zwischen Osteomyelitis 
und Unfall nicht unwichtig. Seine ausführliche Ver¬ 
öffentlichung dürfte um so mehr gerechtfertigt sein, als 
aus ihm erhellt, wie notwendig die genaue Kenntnis der 
Vorgeschichte für die Entscheidung derartiger Fälle ist. 

Der Haushälter Ff. aus G. erlitt im Juni 1912 eine 
Quetschung am rechten Schienbeine und erkrankte im 
November desselben Jahres an einer Knochenhaut- und 
Knochenmarkentzündung des Schienbeines, welche zu 
einer Erwerbsverminderung führte. Die Fuhrwerks- 
Berufsgenossenschaft in B. lehnte durch Bescheid vom 
4. Juli 1913 die Zahlung einer Unfallrente ab. Sie be¬ 
stritt, dass Pf. im Juni 1912 einen Betriebsunfall erlitten 
habe und seine Erwerbsverminderung eine Unfallfolge 
sei. Pf. klagte auf Aufhebung dieses Bescheides. Das 
Oberversicherungsamt B. verurteilte am 7. Januar 1914 
die Berufsgenossenschaft, dem Kläger vom 15. September 
1912 ab eine Rente von 40 Proz. zu gewähren. Das 
Reichsversicherungsamt hob am 9. Februar 19 >5 das 
Urteil des Königlichen Oberversicherungsamtes auf, und 
stellte den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 1913 
wieder her. Diese Entscheidung erfolgte auf Grund des 
folgenden ärztlichen Gutachtens, welches Medizinalrat 
Dr. R i e g e r in Br. am 24. Februar 1914 erstattete und 
welchem die Heilanstalt für Unfallverletzte in B. beitrat. 

Im Aufträge der Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft 
Sektion [ hierselbst gebe ich in der Unfallsache des 
Kutscher Pf. auf Grund des Inhaltes der vorliegenden 
Akten der Berufsgenossenschaft und des Königlichen 
Oberversicherungsamtes das folgende ärztliche Gut¬ 
achten ab. 

Pf. ist am 3. November 1880 geboren. Über den 
Hergang des angeblichen Unfalles ist wenig bekannt, 
Augenzeugen sind nicht vorhanden. Man ist allein auf 
die Angaben des Pf. angewiesen. Erst als er ins 
Krankenhaus zu K. aufgenommen worden war, wo er 
wahrscheinlich auf den möglichen Zusammenhang seiner 
Krankheit mit einem Unfälle hingewiesen wurde, fand 
am 12. November 1912 die Unfallmeldung statt. Bei 
der Unfalluntersuchung am 27. November 1912 gab Pf. 
an, vor ungefähr 5 Monaten sei er um Mitternacht eines 
Tages auf dem Wege nach dem Pferdestalle im Dunklen 
in der Hofeinfahrt über eine Kiste gestolpert, habe mit 
dem rechten Schienbeine an diese stark angeschlagen 
und sei hingefallen. Er habe Schmerzen gespürt, habe 
aber bis zum 11. November seine Arbeit weiter ver¬ 


richtet. Nach Angabe des Krankenhausarztes sei durch 
das Schlagen an die Kiste eine Knochenhautentzündung 
entstanden. 

Im Verhandlungstermine des Königlichen Ober¬ 
versicherungsamtes ergänzte Pf. seine Angaben dahin, 
die Kiste an der er sich gestossen habe, sei eine leere 
Sektkiste gewesen, sie sei etwa 0,5 m hoch gewesen und 
habe etwa 0,5 m von der Wand entfernt gestanden. 
Das Küchenmädchen G. gibt am 10. Oktober 1913 an, 
Pf. habe sie eines Morgens gefragt, wer die Kiste dahin 
gestellt hätte, er sei darüber gefallen. Die Ortskranken¬ 
kasse K. teilt am 4. P'ebruar 1913 mit, Haushälter Pf. 
habe sich am 11. November 1912 krank gemeldet und 
sei am gleichen Tage ins Kreiskrankenhaus aufgenommen 
worden. Am 12. November 1912 berichtet der Hotel¬ 
besitzer G. in K., in der Unfallanzeige, Pf. habe vom 
15. März 1911 bis gestern seinen Dienst getan. 

Der Arzt Mo. in K. schreibt am 17- d. Mts., ge¬ 
nauere Angaben könne er nicht machen, weil ihm sein 
Tagebuch abhanden gekommen. So weit er sich er¬ 
innere, habe er Pf. wegen einer Quetschung des rechten 
Schienbeines etwa 8 Tage lang behandelt. Einen Befund 
am Knochen habe er nicht erhoben. Pf. sei bald seiner 
alten Beschäftigung nachgegangen. Im November oder 
Ende Oktober sei Pf. mit einer Osteomyelitis zu ihm 
gekommen, weswegen er dann ins Krankenhaus über¬ 
wiesen wurde. 

Kreisarzt Dr. T. in K. schreibt in seinem Gutachten 
vom 12. Januar 1913 folgendes. „Pf. gab an, er habe 
sich vor etwa '/ a Jahre mit dem rechten Schienbein an 
eine Kiste gestossen. Bei der Aufnahme ins Kreis¬ 
krankenhaus (Tag ist nicht angegeben) bezeichnete er 
immer eine markstückgrosse Stelle am Schienbein als 
sehr druckschmerzhaft; jede Behandlung blieb ohne Ein¬ 
fluss. Eine Woche lang traten jedoch auch andere 
Druckschmerzstellen auf. An einem Tage war eine 
markstückgi osse Stelle auf dem rechten Fussrücken so 
schmerzhalt, dass Pf. sich den Fuss kaum bewegen liess; 
am folgenden Tage war diese Stelle druck- und schmerz¬ 
frei, und der Fuss konnte wieder regelmässig bewegt 
werden, dagegen war jetzt das gleiche Bild am linken 
Fusse festzustellen. Diese Bildung von Druckschmerz¬ 
stellen wechselte einige Male, um dann zu verschwinden. 
Da nun bekannt war, dass Pf. ein starker 'Trinker war, 
bestand bei den Stellen an den F üssen der Verdacht auf 
Nervenentzündung auf alkoholischer Grundlage. Die 
Druckstelle am Schienbeim blieb andauernd dieselbe. 
Daher wurde nach etwa 14 Tagen in Ilalbnarkose auf 
die Stelle eingeschnitten. Dabei wurden Knochenhaut und 
Knochen gesund gefunden. Die kleine Wuufie wurde ge- 


Digitized by 


Google 


UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







92 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 10. 


näht. Nun setzte eine kleine Eiterung ein, die zur Ent¬ 
fernung der Fäden und zu offener Wundbehandlung 
nötigte. Pf. sollte nun zur Röntgendurchleuchtung nach 
Breslau gebracht werden, er verfiel aber in ein längeres 
schweres Delirium, und wurde dadurch transportunfähig. 
Während des Deliriums war er nicht im Bett zu halten, 
er knickte um und zog sich eine Entzündung des rechten 
Kniegelenkes zu, auch entleerte er einmal Blut aus der 
Harnröhre. Während der Wundbehandlung stiess sich 
eines Tages aus der Schienbein wunde ein kleines Knochen¬ 
stückchen mit zerfressenen Rändern, 1 cm lang, 0,5 cm 
breit, ab ; bald darauf folgte ein grösseres Knochenstück 
von Markstückgrösse. In der jetzt offenen Markhöhle 
waren schwammige Massen vorhanden. Die Zerstörung 
des Knochens ging weiter. Eines Tages war das Schien¬ 
bein an der Stelle ganz durchgebrochen. Das Delirium 
Hess jetzt nach und der Kranke wurde ins St. Josef- 
Krankenhaus nach Breslau übergeführt.“ 

Der Assistenzart dieses Krankenhauses berichtet am 
13. Februar 1913 folgendes: Pf. sei am 24. Dezember 
1912 aufgenommen worden. Er war fieberfrei, zeigte 
aber noch leichte Zeichen des Delirium tremens. Der 
rechte Unterschenkel zeigte an seiner Aussenseite (?) 
ungefähr zwischen oberem und mittlerem Drittel ein im 
Durchmesser 3 ~-4 cm grosses Geschwür mit schmierigen 
Rändern und Boden. Die Umgebung war blaurot ver¬ 
färbt. An dieser Stelle war der Unterschenkel regel¬ 
widrig beweglich und zwar infolge eines Schienbeinbruches. 
Ein Unfall wurde nicht angegeben, deshalb wurde an 
einen Knochenbruch infolge Geschwulstbildung gedacht. 
Die nach dieser Richtung angestellten Untersuchungen 
Hessen diesen Verdacht ausschliessen, Schmerzen waren 
wenig vorhanden. Unter feuchten Verbänden und unter 
Perubalsam reinigte und verkleinerte sich das Geschwür 
allmählich, so dass am 29. Januar 1913 der erste Gips¬ 
verband zur Heilung des Knochenbruches angelegt 
werden konnte. Die Wunde w T ar am 13. Februar fast 
ganz geheilt, der Knochenbruch noch nicht ganz fest. 
— Uber die Entstehung des Schienbeinbruches noch be¬ 
sonders befragt, gab Pf. an, er sei im Krankenhause zu 
K. auf dem Abort gefallen und müsse sich dabei das 
Bein gebrochen haben. Er sei damals geistig nicht völlig 
klar gewesen. 

Pf. wurde am 10. April 1913 aus dem Kranken¬ 
hause entlassen. Am 7. Januar 1914 stellte Dr. Z. fest: 
„Am oberen Drittel des rechten Unterschenkels an dem 
verdickten Schienbeine eine etwa 4 cm lange und 1 cm 
breite Narbe, die in ihrer Mitte durch, eine Fistel Eiter 
entleert. Der ganze Unterschenkel ist nach aussen ver¬ 
bogen. Es besteht also jetzt der gleiche Zustand wie 
bei der Entlassung aus dem Krankenhause.“ 

Das Oberversicherungsamt erkannte den Zustand 
des Pf. als Unfallfolge an und sprach ihm eine Rente 
von 40 Proz. zu. 

Gutachten. 

Die Beurteilung des Falles vom rechtlichen und ärzt¬ 
lichen Standpunkt ist deshalb so ausserordentlich schwierig, 
weil die Unterlagen äusserst mangelhaft und lückenhaft 
sind. Das trifft ganz besonders auf die ärztlichen Be¬ 
kundungen zu. Der Arzt Mo. glaubt am 17. Februar 
1914, den Pf, wegen einer Quetschung am rechten 
Schienbein etwa 8 Tage behandelt zu haben. Am 
Knochen habe er keinen Befund erhoben und Pf. sei 
bald seiner alten Beschäftigung nachgegangen. Später 
im November (?) sei Pf. mit einer Osteomyelitis zu ihm 
gekommen, weswegen er ins Krankenhaus eingewiesen 
worden. Der Arzt äussert sich nicht darüber, ob er im 
November selber die Diagnose Osteomyelitis festgestellt 
habe und aus welchen Gründen, oder ob er nachträg¬ 
lich, als er von dem weiteren Verlaufe der Krankheit 
erfuhr, zu der Diagnose gekommen sei, oder ob er später 

Digitized by Google 


die anderweitig gestellte Diagnose auch zu der seinigen 
gemacht habe. Er äussert weiter am 17- d. Mts., er 
könne nicht sagen, ob die Knochenentzündung mit dem 
Unfälle im Juni Zusammenhänge. 

Ob Pf. sich im Juni einen Krankenschein bei der 
Ortskrankenkasse geholt habe, steht ebenfalls nicht fest. 
Der Arbeitgeber G. gibt an, Pf. habe vom 15. März 
1911 bis 10. November 1912 seinen Dienst getan. Die 
Ortskrankenkasse K. bezeugt, Pf. habe sich am 11. No¬ 
vember 1912 krank gemeldet. Aus der Summe dieser 
Tatsachen muss ich schliessen, dass Pf. im Juni 1912 
seinen Dienst nicht unterbrochen habe. Wie oft er etwa 
im Juni beim Arzt gewesen und ob dies auf Kranken¬ 
kassenkosten geschah, steht nicht fest. 

Nimmt man mit dem Oberversicherungsamte an, dass 
Pf. im Juni eine Quetschung des rechten Schienbeines 
erlitten hat, so kann diese nicht sehr arg gewesen sein, 
andernfalls würden alsbald schlimmere Folgen eingetreten 
sein. Jedenfalls waren die leichten Folgen, die vor allem 
offenbar in Schmerzen bestanden, bald verschwunden 
und vergessen. Es ist ja bekannt, dass sich jeder Mensch 
ab und zu an die vordere vorspringende Schienbein¬ 
kante stösst: dadurch entstehen Schmerzen, schlimme 
Folgen treten in der Regel nicht ein. 

Es fragt sich nun, ob die Erkrankung des rechten 
Unterschenkels vom 11. November 1912 eine Folge der 
im Monat Juni stattgehabten Quetschung ist. Dr. T. 
nimmt das an. Wir erfahren nun leider nichts Genaues 
über den Sitz der Erkrankung — erst der Arzt M. teilt 
uns am 13. Februar 1913 mit, dass zwischen oberem 
und mittlerem Drittel des Unterschenkels ein Geschwür 
liege, — nichts über den Untersuchungsbefund, über den 
Fieberverlauf, über den Zeitpunkt der Operation; denn 
mindestens nach dem operativen Eingriffe, als die Ent¬ 
zündung einsetzte, muss Fieber bestanden haben. Fest¬ 
gestellt wurde eine markstückgrosse Druckschmerzstelle 
am rechten Schienbeine, dann aber auch am rechten 
Fussrücken und am linken Fusse, anscheinend auch noch 
an wechselnden anderen Stellen. Derartige, auf sub¬ 
jektiven Angaben der Kranken beruhende Befunde lassen 
sich immer schwer verwerten. Ich möchte mich dem wieder 
aufgegebenen Urteil des Dr. T. anschliessen und die 
Druckschmerzstellen als Ausdruck alkoholischer Nerven¬ 
entzündung auffassen, deren Entstehung durch eine Un¬ 
fallverletzung ausgeschlossen ist. 

Da nun die erste Druckschmerzstelle am Schienbein 
länger bestehen blieb, schnitt Dr. T. auf diese Stelle 
ein. Wir erfahren nichts davon, dass etwa vorher Fieber 
oder eine erhebliche Rötung oder Anschwellung der 
Gegend eingetreten oder die Schmerzhaftigkeit sehr zu¬ 
genommen hätte. Beim Einschneiden wurden Knochen¬ 
haut und Knochen gesund gefunden. Die kleine Operations- 
wunde wurde vernäht. 

Bis zu diesem Augenblicke sind keinerlei Zeichen 
einer Erkrankung des Schienbeinknochens nachgewiesen, 
keinerlei Zeichen von Entzündung oder Eiterung. 

Die nunmehr eintretende Eiterung an der Operations¬ 
stelle mit ihren Folgen kann nur dem unerwarteten Zu¬ 
tritt von Entzündungskeimen in die gesunde Operations¬ 
wunde zugeschrieben werden. 

Diese Entzündung setzte sich von den Operations- 
wundtlächen auf die Knochenhaut fort, sie führte zur 
Knochenhaut- und Knochenentzündung. Wahrscheinlich 
war auch ein kleiner Teil des Knochens bei der Operation 
von der Knochenhaut entblösst und der ernährenden 
Blutgefässe beraubt worden. Kurz, die Rindenschichten 
des Schienbeinknochens waren ohne Nahrungszufuhr, 
sie mussten absterben. Es stiess sich von selbst ein 
kleines abgestorbenes Knochenstückchen und später, da 
die Entzündung der Knochenhaut in die Umgebung, und 
das Absterben des Knochens weiter in die Tiefe fort- 
schritt, ein markstückgrosses Knochenstück ab. Dadurch 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 10. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


93 


wurde die Markhöhle des Knochens bloss gelegt. Erst 
im Josef-Krankenhause, wo Pf. am 24. Dezember 1912 
mit einem 3—4 cm im Durchmesser grossen Geschwür 
eintraf, welches schmierige Ränder und schmierigen 
Grund aufwies, wurde der Entzündung Einhalt getan, 
und nun trat ziemlich rasche Heilung ein, sodass Pf. 
schon am 10. April entlassen werden konnte. Dieser 
rasche und günstige Verlauf der Knochenerkrankung 
spricht dafür, dass die Erkrankung sich in den äusseren 
Schichten des Schienbeinknochens abspielte und nicht 
etwa in der Markhöhle begann. Der ganze Krankheits¬ 
verlauf erlitt eine erhebliche Verzögerung dadurch, dass 
nebenher durch Hinfallen des Pf. im Delirium der 
Schienbeinknochen gerade an derjenigen Stelle brach, 
welche krank, und durch Verlust von Knochenmasse ver¬ 
jüngt und leichter zerbrechlich geworden war. 

Nach den bisherigen Erörterungen steht fest, dass 
Pf. im November oder Dezember 1912 an Osteomyelitis 
des rechten Schienbeines erkrankte, und dass der am 
7. v. Mts. von Dr. Z festgestellte Zustand des rechten 
Unterschenkels eine Folge dieser Osteomyelitis ist. Diese 
Erkrankung ist aber erst nach der von Dr. T. im 
Krankenhause vollzogenen Operation zum Ausbruch ge¬ 
kommen und ist durch die Folgen der Operation ver¬ 
ursacht, nicht aber durch die Quetschung des rechten 
Unterschenkels, welche 5 Monate vorher, im Juni, durch 
den Unfall erfolgte. 

Hier muss ich das Zustandekommen der Osteomyelitis 
kurz erörtern. 

Die akute Osteomyelitis (Knochenhaut- und Knochen- 
markentzündung) entsteht etwa im vierten Teile aller 
Fälle im Anschluss an eine Gewalteinwirkung und an 
der Stelle dieser Gewalteinwirkung. 

Die Ursache ist in der Regel ein Bluterguss in die 
Markhöhle des Knochens oder unter die Knochenhaut. 
Kreisen zufällig im Blute des Verletzten Infektionskeime, 
Eitererreger, so siedeln sie sich leicht im Blutergusse 
an, und bringen die Krankheit hervor. Als Unfallfolge 
kann die Krankheit nur dann angesehen werden, wenn 
sie kurze Zeit nach der Verletzung und an der Stelle 
der Verletzung zum Ausbruche kommt. Professor 
H e i n e k e gibt im Lehrbuche der Arbeiterver¬ 
sicherungsmedizin S. 113 an, dass zwischen Verletzung 
und Ausbruch der Krankheit höchstens 2—3 Wochen 
dazwischen liegen dürfen; je schwerer die Verletzung, 
desto länger werden die Bedingungen zur Entstehung 
der Erkrankung fortdauern. Die vom Knochenmarke 
ausgehenden Entzündungen neigen mehr zu späterem 
Eintritte wie die von der Knochenhaut ausgehenden. 

Der behandelnde Arzt Mo. konnte nach dem an¬ 
geblichen Unfälle eine Knochenerkrankung nicht fest¬ 
stellen, Pf. sei bald seiner alten Beschäftigung nach- 
gegangen. Damit will der Arzt offenbar sagen, Pf. habe 
seine Beschäftigung gar nicht unterbrochen. Die geringe 
Quetschung heilte, wie in den bei weitem meisten ähn¬ 
lichen Fällen, in kurzer Zeit, ohne jede weiteren Folgen, 
eine Osteomyelitis trat nicht ein. Pf. ging regelmässig 
seiner Arbeit nach bis zum 10. November. Mo. lässt 
auch die Frage offen, ob die Knochenentzündung vom 
November mit dem Unfälle vom Juni in ursächlichem 
Zusammenhänge stehe. Die Geringfügigkeit der Ver¬ 
letzung und die lange Zwischenzeit bis zum November 
lassen einen solchen Zusammenhang gänzlich aus- 
schliessen. 

Wir haben oben bereits gesehen, dass die Knochen¬ 
hautentzündung des Schienbeines, welche sich an die im 
November oder Dezember stattgehabte Operation an¬ 
schloss, mit dieser in ursächlichem Zusammenhänge 
stand. Vor der Operation waren keine Rötung, keine 
Schwellung der Haut der betreffenden Gegend des 
Unterschenkels, kein Fieber wahrzunehmen, auch bei 
der Operation selbst wurden Knochenhaut und Knochen 

Digitized by Google 


völlig gesund befunden. Erst durch die Infektion der 
gesunden Operationswundflächen entstanden Knochen¬ 
haut- und Knochenentzündung, welche zur Abstossung 
von Knochenteilen führten, zum Knochenbruche und zur 
mangelhaften Heilung des Unterschenkels. 

Es fragt sich nun, welche Krankheit im November 
zum operativen Eingriff führte und ob diese Krank¬ 
heit durch die Unfallverletzung vom Juni 1912 ver¬ 
ursacht war. 

Am 11. November bestand zunächst eine markstück¬ 
grosse auf Druck schmerzhafte Hautstelle über dem 
rechten Schienbeine. An dieser Stelle wurde später der 
operative Eingriff gemacht. Ob es dieselbe Stelle war, 
die etwa im Juni gequetscht worden war, ist nicht weiter 
erforscht worden. Ausser dieser Stelle traten in den 
nächsten Tagen abwechselnd an verschiedenen Stellen 
beider Füsse und Unterschenkel ähnliche Hautstellen auf. 
Das Auftreten dieser verschiedenen Druckschmerzstellen 
spricht durchaus dagegen, dass sie Folgen einer einzigen 
gequetschten Stelle sein könnten. Auch für eine Ver¬ 
schleppung des Infektionsstoffes von einem ersten kranken 
Herde nach andern Stellen spricht der ganze spätere 
Krankheitsverlauf nicht. Sämtliche Erscheinungen 
sprechen vielmehr dafür, dass sich die Krankheit aus¬ 
schliesslich in der Haut und ihren Bestandteilen ab¬ 
spielte. Wir müssen dahingestellt sein lassen, ob es 
sich um eine Hautnervenerkrankung auf alkoholischer 
(Neuritis alcoholica), oder auf rheumatischer Grundlage, 
um eine Erythemform, handelte. Dass diese Krankheit 
sicherlich nicht durch die Quetschung des Schienbeines 
im Juni verursacht war, geht schon daraus hervor, dass 
sie sich nicht auf eine Stelle, die Stelle der Quetschung, 
beschränkte. Wenn die Beschwerden an den später er¬ 
krankten Stellen verschwanden, während sie an der 
ersten Stelle, die als Unfallverletzungsstelle angesprochen 
wurde, bestehen blieben, so ist das psychologisch wohl 
zu erklären. 

Zusammenfassung. 

Die Quetschung des rechten Unterschenkels, welche 
Pf. im Juni 1912 erlitt, war geringfügig, sie heilte in 
kurzer Zeit vollständig aus, führte zu keiner Knochen¬ 
erkrankung und hinterliess keine dauernden Folgen. Im 
November 1912 erkrankte Pf. an einem Hautleiden auf 
nervöser oder rheumatischer Grundlage; dasselbe stand 
nicht in einem ursächlichem Zusammenhänge mit der im 
Juni stattgehabten Quetschung des rechten Unterschenkels. 
Das Hautleiden gab im November oder Dezember die 
Veranlassung zu einem operativen Eingriffe, gelegent¬ 
lich dessen ausdrücklich die volle Gesundheit von Knochen¬ 
haut und Schienbeinknochen festgestellt wurde. Im An¬ 
schlüsse an die Operation entstand durch Wundinfektion 
eine Entzündung der Operationswundflächen, die auf 
die Knochenhaut Übergriff und eine regelrechte Osteo¬ 
myelitis acuta infectiosa zuwege brachte. Diese führte 
zu den noch jetzt bestehenden Folgen am rechten Unter¬ 
schenkel. Diese Osteomyelitis kann nicht durch eine 
Quetschung des Knochens im Juni unmittelbar verursacht 
sein, eine so lange Zwischenzeit zwischen Verletzung 
und Ausbruch der Krankheit entspricht nicht den Regeln 
dieser Krankheit. Der jetzige Zustand des rechten Beines 
ist demnach die mittelbare Eolge des im November auf¬ 
getretenen Hautleidens. Da nun das Hautleiden unab¬ 
hängig von der im Juni erfolgten Quetschung entstanden 
ist, steht der jetzige Zustand des Beines auch in keinem 
mittelbaren ursächlichen Zusammenhänge mit der 
Quetschung, er ist nicht Folge des Unfalles, 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A' 
URBANA-CHAMPAIGN 








94 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 10 


Zur Bekämpfung der Läuseplage im Kriegs¬ 
gefangenenlager in Reichenberg. 

Von Dr. Emil Ekstein, k. k Keg.-Arzt i. V. d. Ev und Chefarzt. 

Am 17- Dezember 1914 wurde ich zum Chefarzt des 
zu errichtenden Kriegsgefangenenlagers in Reichenberg 
bestimmt und oblag mir die sanitäre Einrichtung und 
Beaufsichtigung desselben bis zum 7. September 1915. 

Wurde dieses Kriegsgefangenenlager auch 4 Kilo¬ 
meter weit von der Stadt entfernt errichtet, so war mir 
sofort klar, dass das ganze Augenmerk darauf gerichtet 
sein muss, es zu verhindern, dass durch die zahlreichen 
im Lager beschäftigten Bauarbeiter, Arbeiterschaft und 
die Bewachungsmannschaft des Kriegsgefangenenlagers 
in die reichbevölkerten, mit der Stadt Reichenberg eng 
zusammenhängenden Ortschaften Infektionskrankheiten i 
aus dem Lager verschleppt werden. 

Kamen auch zahlreiche Gefangenentransporte aus 
der Gefangenenzerstreuungsstelle Josefstadt nach Quaran- 
tänisierung und Entlausung daselbst in das Reichenberger 
Lager, so trafen später diese Gefangenentransporte direkt 
aus dem Armeebereich ein, teilweise auch schon quaran- 
tänisiert und entlaust. 

Wie es aber bei raschen und grossen Transporten 
Gefangener nicht anders möglich sein kann, war speziell 
die Entlausung bei all diesen Transporten keine voll¬ 
ständige, sodass in kürzester Zeit bereits wieder von 
einer Verlausung der Kriegsgefangenen gesprochen 
werden konnte. 

Die natürliche Folge davon war, dass ich mich in 
erster Reihe mit der Entlausungsfrage eingehend be¬ 
schäftigen musste, welche damals ebenso wie für die 
Front auch für das Hinterland, insbesondere für die zu 
errichtenden Kriegsgefangenenlager hochaktuell ge¬ 
worden war. 

Entsprechend dem Vi r c ho w’scheu Satze: Die 
Prophylaxis ist die beste Medizin, musste die Bekämpfung 
der Läuseplage als die beste Prophylaxis gegen ver¬ 
schiedene Infektionskrankheiten gelten, vorausgesetzt, 
dass die Laus wirklich den Zwischenträger von In¬ 
fektionserregern verschiedener Provenienz abzugeben 
imstande sein sollte. In erster Reihe wurde das so ge¬ 
fürchtete Fleckfieber als diejenige Infektionskrankheit 
hingestellt, welche von infizierten Läusen propagiert 
werden soll. 

Meine diesbezüglichen Erfahrungen sprechen nicht 
dafür, nachdem ich in genannter Zeit keinen einzigen 
ausgesprochenen Fall von Fleckfieber zu beobachten 
Gelegenheit hatte, obgleich erst anfangs März 1915 wegen 
verspäteter Fertigstellung der Entlausungsanstalt mit der 
Entlausung der Kriegsgefangenen begonnen werden 
konnte. 

Die Zahl der Kriegsgefangenen, welche in dieser ganzen 
Zeit sich im Lager befanden, belief sich auf zirka 70000, 
wobei der durchschnittliche Stand 21 000 und selbst einige 
Zeit hindurch 43—50 000 täglich erreichte. Nachdem 
das Fleckfieber im Zerstreuungslager Josefstadt ziemlich 
heftig herrschte und von dort Kriegsgefangene dem 
Kriegsgefangenenlager Reichenberg zugeschoben wurden, 
lag die Voraussetzung sehr nahe, dass trotz der Quaran¬ 
täne, bei der nachgewiesenen unvollkommenen Ent¬ 
lausung sowohl unter den Kriegsgefangenen, gewiss 
aber unter den Läusen Bazillenträger hätten vorhanden 
sein können oder müssen, welche eine Fleckfieber¬ 
infektion hervorzurufen imstande gewesen wären. Nichts 
von alledem geschah, trotz der Verlausung der Kriegs¬ 
gefangenen trat im Lager kein Fleckfieber auf. 

Wie sich die Wissenschaft zu dieser Frage stellt 
und was die Literatur darüber berichtet, ist mir in dieser 
kriegsbewegten Zeit nicht zur Kenntnis gelangt und 
glaube ich mit der geschilderten Erfahrung per exclusionem 
zur Ätiologie des Fleckfiebers Beitrag geleistet zu halben. 

Digitized by Google 


Es erübrigt mir nur noch zu sagen, dass alle Präparate 
I zur Abtötung der Läuse, welche von massgebender Stelle 
verordnet und reichlich dem Lager zugeschoben wurden, 
ihren Zweck nicht erfüllten und halte ich es aus diesem 
| Grunde für zwecklos, alle die Namen dieser oft ephemär 
! angepriesenen Präparate usw. anzuführen. 

Nachdem mir die Tatsache bekannt war, dass die 
Kälte der grösste F'eind der Läuse ist, traf ich die An¬ 
ordnung, dass die Kriegsgefangenen täglich zu bestimmter 
Zeit ihre Wohnbaracken zu verlassen und sich solange 
als möglich in freier Luft aufzuhalten haben. Es wurde 
strengstens darauf gesehen, dass diese Anordnung be¬ 
folgt und die Wohnbaracken während dieser Zeit gründ¬ 
lich durch Öffnen der Fenster und Türen durchgelüftet 
wurden. 

In den Monaten Januar und Februar war neben dem 
Scheren des Kopfhaares dies der einzig mögliche Behelf 
zur Bekämpfung der Läuseplage, denn erst Anfang 
März 1915 wurde die Entlausungsanstalt fertig und in 
Betrieb gesetzt. 

In meinem Zivilberuf als Frauenarzt stand ich der 
Entlausungsfrage aus naheliegenden Gründen vollkommen 
fern, meine Kenntnisse über das Leben und Treiben der 
j Laus waren demzufolge für meine Tätigkeit als Chefarzt 
des damals grössten Kriegsgefangenenlagers im Korps¬ 
bereiche gleich Null. 

Durch gütige Mitteilungen des Herrn k. k. Ober¬ 
tierarztes Herzog in Reichenberg, welchem ich hier 
gleich meinen besten Dank sagen möchte, wurde ich 
dahin belehrt, mich zur Abtötung der Läuse des Kreolins 
zu bedienen, welches als Pacolin oder Dendrol oder 
Karbolineum nach den reichlichen Erfahrungen des 
Herrn Herzog als sicherstes und ungefährliches Mittel 
sich ihm diesbezüglich bewährt hatte. In einer Versamm¬ 
lung der Lagerchefärzte im April 1915 wurde durch Herrn 
k. k. Oberstabsarzt Professor Dr Schatten froh in 
Wien diese prompte Wirksamkeit der Kresolpräparate 
bestätigt. 

Von vornherein war es mir klar, dass die Entlausung 
in einem Gefangenenlager, wo Gefangene in Baracken 
zu je 2—300 Mann untergebracht wurden, keine so ein¬ 
fache Sache sein konnte, um so mehr, als die Kleiderlaus 
sich ungemein zahlreich und rasch vermehrt, wenn ich 
ferner in Erwägung zog, dass trotz Aufwendung aller 
verfügbaren Mittel es sich nicht verhüten liess, dass ent¬ 
lauste Gefangene immer wieder mit verlausten oder nicht 
vollständig entlausten Gefangenen oder deren Sachen 
in Berührung kommen, wodurch eine neuerliche Infektion 
mit Läusen zustande kommen musste. 

Wie ich untrüglich aus Erfahrung belehrt wurde, 
genügte zur Entstehung einer neuen Läuseinfektion das 
Bändchen, an dem jeder Gefangene ein Amulett trägt, 
von welchem er sich auch im Bade nicht trennen wollte, 
an dem immer wieder Läese gefunden wurden. 

Aus diesem Grunde können Laboratoriumsversuche mit 
Mitteln zur Entlausung für ein Kriegsgefangenenlager nicht 
massgebend sein, wo die Kontaktinfektion nur sehr schwer 
zu vermeiden ist. Hierin liegt der circulus vitiosus der 
Entlausungsfrage für Kriegsgefangenenlager, welcher hier 
sehr schwerwiegend ist, wo es sich darum handelt, voll¬ 
ständigentlauste Kriegsgefangene für Arbeitsdetachements 
stets bereitgestellt zu erhalten. 

Das Scheren und Baden der Kriegsgefangenen und 
die Desinfektion aller ihrer Bekleidungssorten, Decken, 
Strohsäcke, Brotsäcke, Tornister, Ledersachen, kurz ihrer 
vollständigen Ausrüstung bildet die Basis, auf welcher sich 
die Entlausung gründet. 

Unerlässlich kommt aber hier hinzu, dass die Wohn¬ 
baracken der entlausten Kriegsgefangenen ebenfalls einer 
grihidlichen Entlausung unterzogen werden, damit eben 
die Kriegsgefangenen nicht verlauste llbikationen nach 
ihrer Entlausung wieder beziehen. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 10. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


95 


Es war mir zur Gewissheit, dass die im Lager be- i 
findlichen Kriegsgefangenen nur dann vollständig als 
entlaust betrachtet werden konnten, wenn die genannten 
Bedingungen strengstens erfüllt und die Entlausung nicht 
nur strengstens organisiert, sondern meine Vorschriften 
auch strengstens durchgeführl würden, was bei der be¬ 
kannten Indolenz russischer Kriegsgefangener nicht so 
leicht zu erreichen sein würde. Vorweg muss ich be¬ 
merken, dass es durch energisches Vorgehen in der Tat 
erreicht wurde, mit Ausnahme der am Beginn des Ent¬ 
lausungsbetriebes abtransportierten zwei Kolonnen Kriegs¬ 
gefangener, sämtliche Kriegsgefangene vollständig ent¬ 
laust zu erhalten, somit das Kriegsgefangenenlager als voll¬ 
ständig entlaust betrachten zu können, sodass alle zu 
Arbeiten aus dem Lager in das Hinterland abgeschickten 
Kriegsgefangenen vollkommen entlaust waren. In Rück¬ 
sicht auf die geschilderten Umstände wurden die Kriegs¬ 
gefangenen aus den acht Lagergruppen in ununter¬ 
brochener Reihenfolge in den vorhandenen drei Bade- 
bezw. Entlausungsanstalten und soweit es die Witterung 
zuliess auch in offener Badeanstalt im Freien gebadet 
und stets alle Bekleidungssorten usw. sowie die Baracken 
desinfiziert. 

Die Zahl der Kriegsgefangenen, welcher dieser 
Prozedur täglich unterzogen werden konnten, betrug 
12-1400. 

über die Einrichtung der Entlausungsanstalten zu 
sprechen halte ich für überflüssig, da sich die Einrichtung 
aus dem Vorgang der Entlausung ergibt. Zu bemerken 
ist aber, dass dieselben musterhaft eingerichtet waren und 
technisch tadellos geleitet wurden. 

Bevor ich den Vorgang der Entlausung schildere, 
muss ich über eine Beobachtung etwas eingehender 
sprechen, welche hier ganz wesentlich in Betracht 
kommt. 

Es ist allgemein bekannt, dass der strömende Dampf 
von 100" C jedes Lebewesen in kürzester Zeit zum Ab¬ 
sterben bringt, und war anzunehmen, dass auch die 
Läuse in den Bekleidungssorten usw, welche in die 
grossen Dampfdesinfektoren gebracht wurden, unter 
strömendem Dampf von 100° C in der Zeit von 10 bis 
15 Minuten getötet werden mussten. 

Anders verhält es sich mit den Eiern (Nissen) der 
Läuse. Dieselben besitzen eine verhältnismässig harte 
Chitinhülle, welche trotzdem gewiss keinen Widerstand 
gegen den strömenden Dampf in bezug auf Abtötung 
leisten, wenn der Dampf eben direkt auf dieselben 
einzuwirken vermag. 

Die Nisse werden aber von den Läusen mit sichtlich 
instinktivem Verstand in den unzugänglichsten Falten der 
Mäntel, Blusen, Hemden und Hosen, ferner in den 
Schlupfen und Nähten der Ledersorten derartig ab¬ 
gelagert, dass sie durch das sie vollständig umgebende 
Tuch, Leinen oder Leder selbst gegen lOOgradige 
Dampfhitze gut isoliert sind. 

Diese doppelte Isolierung der Nisse setzt die Ab¬ 
tötungsmöglichkeit der Nisse durch einfache Dampfhitze 
demnach wesentlich herab, sodass eben die Abtötung 
nicht erfolgen kann, sondern durch diese vermehrte Er¬ 
wärmung der Nisse eine rapide Weiterentwicklung der 
Nisse, das ist ein Auslaufen derselben, also junge Läuse- 
brut zustande kommt. 

Als Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme 
dienten mir jene zwei bereits erwähnten Transporte von 
Kriegsgefangenen, welche obzwar bereits einmal schon 
entlaust, knapp vor ihrem Abtransport, wie dies auch in 
der Folge stets gehandhabt wurde, nochmals entlaust, 
nach 3—4 Tagen in ihrem Bestimmungsort laut Meldung 
total verlaust ankamen. 

Aus diesem Grunde und in Erwägung, ■ dass Essig¬ 
säure das Chitin leicht löst, traf ich die Anordnung, dass 
alle Bekleidungssorten usw. mit einem Gemisch von 


Digitized b; 


Google 


5prozentiger Essigsäure und 3 prozentiger Kreolinlösung 
vor der Dampfdesinfektion mittels Anstrichmaschinen 
bespritzt wurden. Durch die Essigsäure sollte die Chitin¬ 
hülle eben gelöst und durch den mit Essigsäure ge¬ 
sättigten Dampf die Essigsäure unter Druck in 
alle die verborgenen Nissenester getrieben werden und 
so nach Lösung der Chitinhülle die Nisse für die Ab¬ 
tötung durch den Dampf präpariert werden. Dem mit 
Kreolin gesättigten Dampf schrieb ich eine verstärkte 
Wirkung für die Abtötung der Läuse zu. 

Zahlreiche Untersuchung der Bekleidungssorten nach 
dieser Art der Essigsäure-Kreolin-Dampfdesinfektion 
durch 10—15 Minuten ergaben, dass die Nisse schwarz 
waren, demnach abgetötet, während bei der einfachen 
Dampfdesinfektion Nisse oft in unverändertem Zustand 
gefunden wurden. 

Nachdem Ledersorten, Schuhe, Riemen usw. durch 
Dampfdesinfektion einfach unbrauchbar wurden, ordnete 
ich an, dass dieselben in grosse mit einer 5 prozentigen 
wässrigen Essigsäure-Kreolinlösung gefüllte Gefässe ge¬ 
bracht wurden, woselbst sie durch 10 Minuten verblieben 
und im Trockenraum hernach getrocknet wurden, ohne 
schadhaft zu werden. 

Die Reinigung und Desinfektion der Baracken liess 
ich wie folgt vornehmen: 

Sobald die Kriegsgefangenen einer Baracke zur Bade¬ 
anstalt abgegangen waren, wurde die Baracke reingefegt. 
Zur Desinfektion wurde eine 5prozentige Kreolinlösung 
anfangs mittels Feuerspritze, später mittels Dampf in 
der Baracke zerstäubt und nachher die Pritschen und 
Wände bis in Manneshöhe mittels Anstreichmaschine 
jedesmal mit Kreolin angestrichen. 

Durch das liebenswürdige und dankenswerte Ent¬ 
gegenkommen des Kommandos der Reichenberger Feuer¬ 
wehr wurde mir zum Zwecke der Barackendesinfektion 
die Dampfspritze zur Verfügung gestellt. An den 
Dampfkessel dieser Spritze mit seinem 12 Atmosphären- 
Druck wurde ein 30 m langer Gummischlauch anmon¬ 
tiert, welcher als Dampfverteiler diente, der Kessel selbst 
mit einer 5 prozentigen wässrigen Kreolinlösung gespeist. 

Auf diese Weise wurden die Baracken mit einem 
unter 8—12 Atmosphären dem Kessel entströmenden 
5proz. Kreolin-Dampf gründlichst desinfiziert, wodurch 
mit verstärkter Sicherheit die Läuse daselbst abgetötet 
wurden. 

Die Entlausung der Kriegsgefangenen selbst wurde 
in folgender Weise vorgenommen: 

Vor dem Verlassen der Wohnbaracken wurden die 
Strohsäcke entleert, das verlauste Stroh verbrannt und 
alle Habseligkeiten mitgenommen, Wertgegenstände ab¬ 
gegeben. Die Kriegsgefangenen, 20—30 an Zahl betreten 
den Auskleideraum, woselbst alle Bekleidungssorten 
ausser Ledersorten in flache Längsbündel zusammen¬ 
gebunden und mit einer Blechnummer versehen werden, 
dasselbe geschieht mit dem Schuhwerk und Ledersorten. 
Jeder Kriegsgefangene erhält eine gleichnummerierte 
Blechnummer, welche er an einer Schnur um den Hals 
trägt. 

Aus dem Auskleideraum betritt der Kriegsgefangene 
den Scherraum, woselbst, falls dies nicht schon früher 
geschehen, Kopf- und Barthaar kurz geschnitten wird. 

Hierauf geht es in den Wasch- und Doucheraum. 
Beim Betreten dieses Raumes erhält jeder Kriegsge¬ 
fangene eine Hand voll Schmierseife und eine grosse 
Waschbürste. In einem 20 cm tiefen mit warmem 
Wasser gefüllten Bassin werden vorerst die Füsse ge¬ 
reinigt und der ganze Körper, insbesondere die be¬ 
haarten Teile fünf Minuten mit Schmierseife eingerieben 
und dann fünf Minuten mit nassen Bürsten gebürstet, 
wobei strenge darauf gesehen wird, dass sich die Kriegs¬ 
gefangenen gegenseitig den Rücken gründlich bürsten 
und reinigen. Ist dies geschehen, werden die warmen 

ji u al ff:m 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




96 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Douchen geöffnet, worunter sich die Kriegsgefan¬ 
genen gründlich mit ihren Bürsten vom Seifenschaum 
reinigen, wozu wieder fünf Minuten gewährt werden. 
Hierauf erhält jeder Kriegsgefangene ein Abwischtuch 
zum Abtrocknen und begibt sich in die Gruppe der Ge¬ 
badeten in den Ankleideraum, woselbst durch eine mit 
einer beweglichen eisernen Klappe verschlossene Öffnung 
die bereits desinfizierten und getrockneten Bekleidungs¬ 
sachen, Stiefel usw. dieser Gruppe aus dem Trocken¬ 
raum zugeschoben werden. In einer dem Ankleideraum 
angrenzenden Halle erwarten die Kriegsgefangenen 
ihren Abtransport ins Lager. 

Es sei hier noch hervorgehoben, dass der Desinfek¬ 
torenraum durch eine Wand in zwei Räume geteilt ist, 
sodass der Laderaum und Entladeraum der Desinfektoren 
vollständig von einander getrennt sind und nur durch eine 
kleine Öffnung die in Bottichen desinfizierten Stiefel 
und Ledersorten durch den Entladeraum zum Trocken¬ 
raum zugeschoben werden können. Ferner wurden das 
Reinigen und Douchen der Kriegsgefangenen mittels 
Kommando durchgeführt, um den Entlausungsbetrieb 
für eine möglichst grosse Zahl Kriegsgefangener einzu¬ 
richten. 

An der Hand reichsdeutscher Erfahrungen , welche 
ich zufällig durch einige Veröffentlichungen kennen zu 
lernen Gelegenhiet hatte, welche dahin gehen, dass eine 
vollständige Entlausung in einem Kriegsgefangenenlager 


Nr. 10 


nicht möglich sei, möchte ich zusammenfassend folgende 
Leitsätze für die Bekämpfung der Läuseplage in Kriegs¬ 
gefangenenlagern aufstellen : 

1. Kresolpräparate: Kreolin, Pacolin, Dendrol, Lysol, 
Karbolineum sind wirksame Mittel gegen Läuse bei Per¬ 
sonen und Sachen sowohl in 3 bis 5 prozentiger 
wässeriger Lösung oder in der gleichen Stärke als 
Zusatz zur Dampferzeugung bei der Dampfdesinfektion. 

2. 3 prozentige Essigsäure-Kreolinlösung bildet ein 
ausgezeichnetes Unterstützungsmittel zur Abtötung der 
Kleidernisse bei der Dampfdesinfektion. 

3. Die Reinigung der Kriegsgefangenen durch 
Scheren der Haare und Baden bei gleichzeitiger Desin¬ 
fektionaller Bekleidungssorten und ganzen Habseligkeiten 
muss in jedem Kriegsgefangenenlager ununterbrochen 
betrieben werden, doch gleichzeitig dabei stets auch die 
Dampfdesinfektion der Wohnbaracken derselben. 

4. Tägliche Lüftung und Reinigung der Wohn¬ 
baracken sowie längerer Aufenthalt der Kriegsgefangenen 
im Freien (Exerzieren usw.) bilden eine wesentliche 
Unterstützung für eine vollständige Entlausung. 

5. Mindestens einmal wöchentlich sind die Kriegs¬ 
gefangenen ärztlich auf Läuse zu perlustrieren. 

Nur in lückenloser Durchführung geschilderter Mass¬ 
nahmen ist es möglich, die Läuseplage in Kriegsge 
fangenenlagern wirksam zu bekämpfen. 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Ueber die therapeutische Verwendung des kolloi¬ 
dalen Silbers. 

Von Dr. J. Voigt. 

Auf Grund mehrjähriger experimenteller Unter¬ 
suchungen (cf. Biochem. Ztschr.) und praktischer Er¬ 
fahrungen gibt Verf. einen Überblick über die wichtigsten 
Punkte, die für eine therapeutische Verwendung kolloi¬ 
dalen Silbers in Frage kommen. Im Gegensatz zu der 
bisher empfohlenen 2 proz. Kollargollösung, [die übrigens 
nur in den Bestreben mit möglichst hochprozentigem 
Hvdrol zu arbeiten, gewählt ist, nicht etwa auf Grund 
kolloid-chemischer Erwägungen !] hat sich ihm ein Silber- 
hydrosol von 0,4—0,5 Proz. am besten bewährt. Die 
Anwendung sollte eigentlich nur in Form der intravenösen 
Injektion von 10—30 ccm geschehen. Danach gelangt 
das Silber hauptsächlich in 3 grosse Depots, die alle 
drei für die Blutbereitung von Bedeutung sind: Leber, 
Milz und Knochenmark. 

Auch das kolloidale Silber stellt kein Allheilmittel 
dar, richtig und rechtzeitig angewendet, 
beeinflusst es den Zustand der Verwundeten mit sog. 
septischen Kurven vielfach recht günstig. Wegen der 
Neigung, sich im Knochenmark abzulagern, ist seine 
Verwendung auch bei Schussfrakturen und Osteomyelitis 
zu versuchen. 

Zum Schluss gibt Verf. noch ein Rezept zur Be¬ 
reitung einer Salbe von kolloidalem Silber. (M. m. 
Wschr. 35, 15.) Autoreferat. 


Ueber Naphthalinentlausung und ihre Methode. 

Von Dr. F. Lenz. 

Die Lenz sehe Methode der Naphtalinentlausung 
verzichtet darauf, mit einem Schlage restlose Läusefrei- 


heit erreichen zu wollen, was bei Massenbetrieb mit 
keiner Methode gelingt. Es wird vielmehr eine Ent¬ 
lausung nach dem Prinzip der fraktionierten Sterilisierung 
erzielt. Die Verlausten erhalten des Abends eine Hand- 
voll sehr fein gepulverten Naphtalins in die Halsöffnung 
der Kleider gestreut und müssen mit den Kleidern 
schlafen ; am nächsten Morgen sind die meisten Läuse 
tot, aber nicht die Eier. Da diese nach 3—5 Tagen 
schlüpfen, wird die Einstreuung dann wiederholt mit 
dem Erfolg, dass nunmehr auch die frisch geschlüpften 
Läuse sterben. Nach einigen weiteren Tagen findet 
eine abermalige Wiederholung statt und nötigenfalls noch 
einmal, mit dem Erfolg, dass alle Läuse aussterben bevor 
die junge Brut wieder fortpilanzungsfähig wird. Die 
Methode ist im Schützengraben anwendbar. (M. in. 
Wschr. 45, 15.) Autoreferat. 


„Beitrag zur Differentialdiagnose des Rückfall¬ 
fiebers“. 

Von Dr. C a y e t - Diedenhofen. 

Fall von Tuberkulose kombiniert mit Rückfallfieber. 
Differentialdiagnostisch kamen in Frage Pneumonie, 
Appendizitis, Typhus, Miliartuberkulose. Der Nachweis 
der Rekurrens - Spirochäten klärte die Sachlage auf. 
Ansteckung auf einer Gefangenen-Abteilung. Heilung 
der Rekurrenserkrankung durch intravenöse Injektion 
von 0,45 Neosalvarsan. (M. m. Wschr. 40, 1915.) 

Autoreferat. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 10. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


97 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Krumb liaar und Muaier, Diagnostischer Wert 
der perkutanrn Tuberkulinprobe (Moro), (The americ. journ of 
ihe med. scienc. 1914, Nr 4, S. 510.) 

Auf Grund ihrer Untersuchungen halten die Verfasser die 
Ansicht, dass positive Reaktionen bei Erwachsenen von ge¬ 
ringem oder keinem Wert sind, für irrig. Vielmehr ist die 
konstante positive Reaktion in allen unzweifelhaften frühen und 
massigen Tuberkulosefüllen ein 6trenger Beweis für die Spezi¬ 
fität der Reaktion. Die negative Reaktion in 90 Proz. der 
weit vorgeschrittenen Fälle deutet an, dass der körperliche 
Widerstand überwunden, die Antikörper verschwunden und die 
Gewebe nicht mehr auf die Probe reagieren. Ebenso wie bei 
Lungentuberkulose ist die Probe bei Pleuritis, Gelenk¬ 
erkrankungen, abdominaler Tuberkulose (gegen Typhus) zu ver¬ 
wenden. Nur in seltenen Fällen gibt wiederholte Anwendung 
ein verschiedenes Resultat. v. S c h n i z e r. 


Innere Medizin. 


letztere eigentlich nur bei möglichst schnellem Eingriff eine 
günstige Prognose geben. Jedenfalls dürfte dem Chirurgen 
die Unterscheidung zwischen innerer Blutung und Schok nicht 
allzu schwer fallen. 

Bei Leberlochschüssen ohne Sprengwirkung kat.n unter 
Umständen die Blutuug rasch stehen und dann ist die konser¬ 
vative Behandlung angezeigt. 

Schwieriger ist die Indikationsstellung bei Bauchschüssen 
mit wahrscheinlicher Darmverletzung aus grosser Entfernung, 
namentlich wenn noch die klinischen Erscheinungen gering 
sind. Konservative Behandlung kann da nur bei tangentialen 
Schüssen des Darms mit wenigen Perforationen, die eventuell 
Verklebung oder Abszess möglich erscheinen lassen in Frage 
kommen. 

Zeit der Operation : Möglichst kurz nach der Verletzung. 
E u d e r 1 e n verlangt 8 Stunden Verfasser hat noch nach 
18 und 22 Stunden mit Erfolg operiert. Später als 1 */» Tag 
nach der Verletzung zu operieren, ist bei Bauchschüssen mit 
schweren Erscheinungen zwecklos, bei solchen ohne schwere 
Erscheinungen ein Fehler. v. Schnizer 


S a n e w a y , Frühsymptome des Ösophaguskarzinoms. 
(The americ. journ. of the med. scienc. 1914, Nr. 4, S. 583). 

Gewöhulich wird die Dysphagie als solches angegeben. 
Sie ist jedoch konstant nur bei Kardiakarziuomen, die auf 
den Ösophagus übergreifen, bei reinen Ösophaguskarzinomen ' 
ist sie wenn überhaupt, fast immer nur temporär, auf lange 
Zeit wieder verschwindend. 

Weitere Frühsymptome: Gefühl im Halse, wie wenn eine 
Zahn bürsten börste verschluckt sei; dumpfer Druck bis ausge¬ 
sprochener Schmerz hinter dem Brustbein, oft als Neurasthenie 
fälschlicherweise angesehen ; Husten, Schleimansammlung im 
Halse; Anorexie; Schmerzen am linken unteren Rippenrand. 
Im weiteren Verlaufe tritt allerdings Dysphagie mehr in den Vor¬ 
dergrund. v. Schnizer. 


Augenheilkunde. 

C o r o s , Der Wert der llindehautdeckuug im Kriege. 

(Münch. M. Wchschr. 1915, Nr. 35, S. 1196.) 

Verfasser hat in 34 Fällen von Augenverletzung die 
Bindehautdeckung vorgenommen und schreibt ihr besonders die 
verhältnismässig guten Erfolge zu (in 13 Fällen Erhaltung 
eines brauchbaren Visus). Nicht zu lange nach der Verletzung 
ausgeführt hält sie sekundäre Infektionen und sympathisierende 
Augenentzündung hintan und schafft schnelle und solide Ver¬ 
narbung. Die Technik ist sehr einfach und auch vom 
Chirurgen nach Vorübung an der Leiche nicht allzu schwer 
zu erlernen, so dass sie biltigerweise im Kriegs- oder auch im 
Feldlazarett innerhalb der ersten 12—24 Stunden wohl immer 


| auszuführen ist. 


v. Schnizer 


Chirurgie und Orthopädie. 

C o u n e r und D 0 w n e s , Spontane Milzruptur bei 
Typhus. (The americ. jour. of the med. scienc. 1914, Nr. 3, 

S. 332) 

Verfasser gibt einen durch Splenektomie geheilten selbst¬ 
beobachteten Fall von der bei Typhus recht seltenen spontanen 
Milzruptur, die häufig hei tropischer Malaria beobachtet wird j 
und eine Zusammenstellung von 12 Fällen, die alle, teilweise 
trotz Operation letal verliefen. Die Diagnose ist wenn daran 
gedacht wird, nicht schwierig und gründet sich auf die 
lokalen (Schmerz, Empfindlichkeit, Muskelrigidität) und all¬ 
gemeinen Symptome. Sie iet nur schwierig in vorgeschrittenen 
Fällen, wo Apathie und Delirium das Bild verschleiern. 
Spontanheilung sehr selten; im allgemeinen gibt nur möglichst 
frühe Entfernung der Milz Aussicht auf Heilung. 

v. Schnizer. 

A. W. Meyer, Die Behandlung der Bauchschuss* 

' erletzungon im Felde. (Münch, med. Wochenschr. 1915, Nr. 34, 
S. 11G3.) 

Verfasser ist gestützt schon auf seine Erfahrungen im 
Balkankrieg Gegner der konservativen Behandlung. Hinsicht¬ 
lich der Indikation zur Laparotomie ist die Entscheidung 
namentlich für den Truppenarzt nicht immer leicht. Zusammen¬ 
fassend ist er folgender Anschauung: Sofort operieren jeden 
Bauchschuss aus etwa unter 400 m Entfernung (Sprengwirkung , 
Querschläger- und Granatverletzuugen. Die Verwundeten 
können die Fragen über die Entfernung meist ganz genau be¬ 
antworten. Ebenso sind sofort zu operieren Fälle, in denen un¬ 
stillbares Erbrechen oder andauernder Brechreiz nach der Ver¬ 
letzung eine schwere Eingeweideverletzuug nahelegen. Ferner 
alle Bauchverletzungen mit irgendwie schweren Blutungen be¬ 
sonders bei Netz- und namentlich hei Milzzerreissungen, welch’ 

Digitized by Google 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

E. Klose, Die Hypertonien Im Säuglingsalter. (Aus 
der Kgl. Uuiversitätskinderklinik zu Breslau. [Direktor: 
Prof. Tob ler]. Jahrbuch für Kinderheilkunde. 32. Band. 
Heft 5.) 

Eine umfangreiche, mit grossem kasuistischen Material 
und Literaturverzeichnis versehene Arbeit, welche dieses noch 
wenig behandelte Gebiet zu ordrien sucht. Verf. grenzt zu¬ 
nächst die Hypertonien von anderen Zuständen ab, die häufig 
mit ihnen zusammen geworfen werden Es sind jene Muskel- 
j Spannungen im 1. Lebensjahr, welche durch Wochen und 
Monate bestellen und bei stoffwcchselgestörten Säuglingen ohne 
nachweisbare Erkrankung der Zentralnervensystems auftreten. 
Sie dürfen nicht mit den tonischen Spasmen verwechselt 
werden, welche durch Schädigung des Zentralnervensystems 
hervorgerufen werden (z. B. bei Littlescher Krankheit, Poren¬ 
zephalie, Tetanie). Der Tonus der Muskulatur wird jetzt meist 
als Reflexphänomen aufgefasst. Reize von der Peripherie — 
es wirkt hier vor allem die tiefe Sensibilität mit — fliessen 
dem Zentralnervensystem zu und bewirken eine tonische In¬ 
nervation der Muskeln Ilypertouien kommen nach Verf. 
hauptsächlich in den ersten vier Monaten vor. doch man trifft ver¬ 
einzelte Fälle bi» zum 7. Lebensmonat an. Die Jahreszeit 
hat auf ihre Entstehung keinen Einfluss. Knaben zeigen sie 
weit häufiger als Mädchen. 

Das klinische Bild ist sehr mannigfaltig. Befallen werden 
besonders die Beugemuskeln der Extremitäten, u. zw. sind die 
Flexionshypertonien der unteren Extremitäten häufiger als die 
der oberen. Die Streckhypertonien der unteren Extremitäten 
sind viel seltener. Sie werden oft von Adduktionshypertonie 
begleitet und geben dann zu Verwechslung mit Littlescher oder 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






98 


Nr. IO 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


anderer Krankheit leicht Veranlassung. An den seltener 
stärker betroffenen Armen kommt es zu Beugesptmnuugen, die 
sich oft auf die Finger fortsetzen. Die Hände stehen krampf¬ 
haft zur Faust geballt, doch kommt nie Geburtshelferhand oder 
Pfötchenstellung vor. Greift die Spannung auf die Nacken¬ 
oder Rumpfmuskulatur über, so kann es zu echtem Opisthotonus 
kommen. Unter Umständen findet sieh allgemeine Hypertonie, 
von der nur die mimische Muskulatur verschont bleibt. Die 
betroffenen Kinder zeichnet meist eine erhöhte Agilität aus, 
doch sind in manchen Fällen die Bewegungen auch verlang¬ 
samt und schwerfällig. Die Sehnenreflexe sind lebhaft, aber 
nicht gesteigert. Das Fazialisphänomen fehlt. 

Ein Zusammenhang zwischen Muskelentwicklung und 
Hypertonie besteht keineswegs stets. Es lassen sich zwei 
Typen von Hypertonikern unterscheiden: solche mit normaler 
oder starker und solche mit schwacher oder atrophischer 
Muskelentwicklung Die Muskelentwicklung ist besonders 
stark bei der „konstitutionellen“ Hypertonie, welche von Ge¬ 
burt an besteht, und beim typischen Mehlnährschaden. 

Die Hypertonie ist keine Äusserung der spasmophilen 
Diathese. Sie ist auch unabhängig von der Rachitis. Verf. 
stellt eine Hypothese über die Pathogenese der Hypertonie auf. 
nach welcher ihre Entstehung durch Veränderungen in der 
Muskelsubstanz unter Vermittlung des Nervensystems auf 
reflektorischem Wege möglich sei. Sie erklärt aber, wie Verf. 
betont, die Erscheinungen nicht restlos. 

Von Einfluss auf ihre Entstehung ist jedenfalls einseitige 
Ernährung (z. B. mit Kohlehydraten), doch lässt sich bei eiutr 
Reihe von Fällen (wie z. B. bei der konstitutionellen Hyper¬ 
tonie) ein Einfluss der Ernährung nicht feststellen. Durch 
diätetische Massnahmen sind die Hypertonien nur sehr lang¬ 
sam zu beeinflussen. Phosphorlebertran, Kalzium etc. sind wirkungs¬ 
los. Nur im Chloralhydratschlaf schwinden sie. Es gibt 
Fälle, bei denen die Hypertonien plötzlich aus unbekannten 
Gründen schwinden. Braun- München. 

A. Baginsky, Zum 25. Jahrestage des Bestandes des 
Kaiser- und Kalserin-Friedrlch-Klnderkrankenhauses in Berlin. 
(Archiv für Kinderheilkde. 65. Bd. 1 /2. Heft) 

Im therapeutischen Anhang dieser Festschrift gibt Ba¬ 
ginsky aus seiner reichen Erfahrung einige beachtens¬ 
werte Ratschläge. So empfiehlt er das Jodkalium — worauf 
er schon in seinem Lehrbuch hinwies — bei der Behandlung 
der akuten entzündlichen Krankheiten des Respirations- und 
Zirkulationsapparates rheumatischer Herkunft, vor allem bei 
schwerer Peri- und Endokarditis und besonders dann, wenn 
sie mit Pneumonie und Pleuritis kombiniert sind. Er gibt 1 
bis 3 g pro die und sah in bedrohlichen Füllen gute Erfolge. 
Daneben können unbeschadet Mittel der Salizylgruppe, Herz¬ 
mittel und Diuretika gegeben werden. 

Bei der Behandlung der Kompensationsstörungen des 
Herzens, vor allem bei rheumatischer Peri- und Endokarditis, 
hebt er das Strophantin hervor, das bei diesen schmerzhaften 
und bedrohlichen Zuständen intravenös gegeben gute Dienste 
tut. B. verwendet Strophantin Böhringer und zwar bei Kindern 
von 8 bis 13 Jahren in Dosen von 0,2 bis 0,6 mg. 

Braun- München. 

E. Steinert und E. F 1 u s s e r , Hereditäre Lues 
und Wassermannsche Reaktion. (Archiv für Kinderhlkde. 

56. Bd. 1./2. Heft) 

Aus diesem Aufsatz ist zu entnehmen: In jedem Stadium 
der Lues können Frauen klinisch und serologisch gesunde 
Kinder gebären. Von der schwangeren Mutter wird die Lues 
frühestens 7 Wochen nach der Infektion auf das Kind über¬ 
tragen. Von den Kindern florid luetischer Mütter des 2. Sta¬ 
diums blieben 45 Proz. klinisch und serologisch frei von 
luetischen Erkrankungen. Hereditär luetische Mütter können 
luetische Kinder gebären. Latent luetische Mütter gebären 
seltener luetische Kinder als florid luetische. Luetische Frauen 
können auch zu einer Zeit luetische Kinder gebären, wo ihre 
Lues klinisch und serologisch nicht nachweisbar ist. Bei here¬ 
ditär luetischen Kindern geht in vielen Fällen positive Wa. R. 
dem Ausbruch der klinischen Symptome voraus. Im Säug¬ 
lingsalter gibt es eine Lues, die nur an positiver Wa. R. er¬ 
kannt werden kann, da sie sonst keine Erscheinungen macht. 
Bei hereditär luetischen Kindern findet sich mitunter negative 


Wa. R. bei floriden Erscheinungen, die Mütter zeigen dann in 
80 Proz. der Fälle auch negative oder unbeständige Reaktion. 
Im Wochenbett kann eine bei der Geburt positive Reaktion 
negativ werden, oder umgekehrt Positive Wa. R. bei nicht 
luetischen Kindern ist eine sehr seltene Ausnahme. Bei Säug¬ 
lingen mit akuten Infektionskrankheiten in seltenen Fällen 
positive Wa. R. 

Braun- München. 

E. R e i s 8 und F. Weihe, Kasuistischer Beitrag zur 
Ätiologie des Scharlachs und zur Frage des Wundsrharlaehs. 

Verfasser weisen darauf hin, dass der Wundscharlach, 
der früher eine gefürchtete Kriegsseuche war, jetzt im Kriege 
sehr selten beobachtet wird. Sie teilen die Krankengeschichten 
zweier im Frankfurter Krankenhaus behandelter Kriegsver¬ 
wundeter mit, deren Skarlatina als Wundscharlach gedeutet 
wurde, und weilerhiu den Fall eines Knaben, der au eitriger 
Meningitis und später au Scharlach erkrankte, der sich auch 
als Wundscharlach auffasscn lässt. 

Braun- München. 

R. Kronenh erg, Azidität und Pepsinverdauung im 
Säuglingsmagen. (Aus der Universitätskinderklinik in Breslau. 
(Direktor. Prof. L. T o b 1 e r.] Jahrbuch f. Kinderheilkunde 
32. Bd. Heft 5.) 

Verf. fasst das Resultat seiner Ausführungen zusammen 
„Die Milch bedarf zu peptischer Verdauung einer geringeren 
Azidität als koaguliertes Eierei weiss. Dieses geringere Aziditäts¬ 
bedürfnis kann im Säuglingsmagen befriedigt werden.“ 

Braun- München. 


Medikamentöse Therapie. 

Hornstein, über Cinol als Läusebekämptiingsinittel. 
(Münch, med. Wochenschr., 22/1915.) 

Hornstein gibt Beine in der truppenärztlichen Praxis 
gesammelten Erfahrungen über „Cinol“, die als durchaus be¬ 
friedigend und gut bezeichnet Werden, wieder. 

Die Bekämpfung der Kleiderläuse in vorderster Linie tief 
im Argonnenwalde stösst auf eine Reihe ineinandergreifender 
Schwierigkeiten, so dass H. und mit ihm wohl die Mehrzahl 
seiner Kollegen und Kameraden sich längst klar sind, dass 
eine Ausrottung der „Bienen“ hier vorne praktisch gar nicht in 
Frage kommt. Sie sind herzlich froh, ein Mittel zu haben, das 
Bie von Zeit zu Zeit angewandt, von dem Ungeziefer immer 
wieder befreit, mit dem sie sich bei der herrschenden Raum- 
behinderung durch Decken usf. immer wieder der Reihe nach 
infizieren. Bei der Suche nach einem solchen Mittel entstand 
manche Enttäuschung, eines entpuppte sich als Schwindel¬ 
mittel, das beanstandet wurde, und bei einem anderen wurden 
direkt unangenehme Wirkungen erlebt (Furunkulose durch Ver¬ 
ätzungen). 

Die Anwendungsform des Cinol ist recht einfach und be¬ 
quem, sowie nicht aufdringlich und störend durch Geruch. Es 
kommt als Seife in kleinen Packungen (zum Preise von 50 Pfg.i 
in den Handel, die für 3 bis 4 Einreibungen des ganzen 
Körpers ausreichen; die einzelnen Einreibungen werden alle 3 
bis 4 Tage vorgeuommen nach (möglichster) Reinigung des 
Körpers. Auftreten von Reizungen der Haut hat H. nicht 
beobachtet 

Die Frage, ob Cinol die Läuse dauernd abtötet oder fern 
hält, kann H. nicht beantworten, möchte aber doch bemerken, 
dass er sie nicht verneinen möchte. Neumanu. 


Bücherschau. 

K. A. Knudsen, Turnerische tlbungslehre. Druck 
und Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1915. 

Verfasser ist dänischer TurninBpektor und verfolgt mit 
vorliegendem Buch hauptsächlich den Zweck, den jugendlichen 
Körper turnerisch und zugleich naturgemäss zu schulen, was 
ein wesentlich ander Ding ist, als den erwachsenen ausge¬ 
bildeten Körper sportlich zu üben. Das Buch ist sehr klar 
und verständlich geschrieben und verdient in den einschlägigen 
Kreisen die weiteste Verbreitung. v. S c h n i z e r. 


Digitized 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

URB/ 


5ITY OF ILLINOIS AT 
■NA-CHAMPAIGN’ 






33. Jahrgang. 


1915/16. 


Tortstbritte der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender fadtmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hamburg. hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 11 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


20. Januar 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


(Aus dem Festungslazarett 3, Kolpinghaus, Köln a. Rhein.) 

Lieber offene Wundbehandlung. 

Von Dr. Fritz Wette. 

Die Wundbehandlung hat im Lauf der letzten Jahr¬ 
zehnte grosse Wandlungen durchgemacht. Die anti¬ 
septische Wundbehandlung L i s t e r s wurde abge¬ 
löst durch die aseptische, und in der aseptischen 
Periode wechselte eine Methode die andere ab, je nach 
den persönlichen Anschauungen und Erfahrungen. 
Während man noch vor 10 Jahren frische Wunden z. B. 
bei Laparotomien durch grosse von den Knien bis zu 
den Brustwarzen reichende Okklusivverbände schützen 
zu müssen glaubte, begnügt man sich jetzt mit einem 
kleinen Schutzverband, der gerade die Wunde bedeckt. 
Die Anschauungen über die Gefährlichkeit der Luft- und 
Hautkeime haben sich eben sehr gewandelt, so sehr, dass 
z. B. zur Verth jetzt bei aseptischen Operationen 
auf jede Desinfektion des Operationsfeldes verzichten 
zu können glaubt. 

Grosse Verschiedenheiten bestehen in der Behand¬ 
lung eitriger Wunden. Der eine bevorzugt feuchte Ver¬ 
bände, der andere erklärt sie für schädlich, der eine 
lobt Salben der andere Pulververbände. 

Erst in der neueren Zeit haben wir gelernt, die 
natürlichen Heilfaktoren Luft, Licht und Sonne in aus¬ 
giebigem Masse auch für die Wundbehandlung zu ver¬ 
werten. Wir wussten schon früher, dass in den Tropen 
oft die schwersten Wunden ohne Behandlung und unter 
ungünstigen äusseren Verhältnissen in überraschend 
schneller und günstiger Weise zur Ausheilung gelangten. 

Bernhard berichtete dann vor einigen Jahren 
über günstige Erfahrungen, die er in der Schweiz bei 
frischen und eitrigen Wunden mit Anwendung der Luft 
und Sonne gemacht hatte. Es haben dann wohl viele 
Kollegen versucht, hier und da die Wunden der Ein¬ 
wirkung von Luft und Sonne auszusetzen, aber plan- 
mässig angewendet wurde die Methode wohl kaum. 
Dann kam R o 1 1 i e r mit seinen verblüffenden Erfolgen 
der Sonnenbehandlung bei Tuberkulosen, besonders auch 
bei schweren eitrigen, fistulösen Erkrankungen. Seitdem 
hat man auch bei uns die Sonnen- und Lichtbehandlung 
bei Tuberkulosen ausgiebig in Anwendung gezogen, so¬ 
weit unser Klima das zulässt. 

Die zahlreichen Kriegsverletzungen, von denen die 
meisten infiziert sind, boten dann Gelegenheit, grössere 
Ertahrungen zu sammeln über die offene Wundbehand¬ 
lung. Ich habe schon im Anfang des Krieges, als wir 
noch reichlich Sonne hatten, Wert darauf gelegt, eine 
Anzahl von Verletzungen, namentlich schwere eitrige 


I Fälle stundenweise der Einwirkung der Sonnenstrahlen 
auszusetzen und habe die austrocknende und epitheli- 
sierende Wirkung schätzen gelernt. 

Angeregt durch die Veröffentlichung von Schede 
über offene Wundbehandlung (Nr. 42, Münch. Med. 
Woch. 1914) habe ich dann planmässig und in aus¬ 
giebigem Masse die offene Wundbehandlung vor allem 
bei schweren eitrigen Fällen durchgeführt und kann vor¬ 
wegnehmen, dass die Erfahrungen ausnahmslos sehr 
j günstige waren. 

Die bisher übliche Behandlung eitriger Wunden mit 
abschliessenden trockenen oder feuchten Verbänden ist 
für viele Fälle die denkbar ungünstige Behandlungsform, 
und es ist eigentlich erstaunlich, dass man nicht längst 
auf den naheliegenden Ausweg der offenen, verbandlosen 
Behandlung gekommen ist. 

Nehmen wir einen Fall von schwerer infizierter 
Schussfraktur des Ober- oder Unterschenkels mit aus¬ 
gedehnten Weichteil- und Knochenverletzungen und 
massenhafter Absonderung jauchigen, stinkenden Eiters, 
Fälle, wie sie in jedem Lazarett alltäglich Vorkommen. 
Die ordnungsmässige Behandlung bildet für Arzt und 
Pflegepersonal eine wahre Sisyphusarbeit. Eine Rein¬ 
haltung der Verbände und Unterlagen ist praktisch un¬ 
möglich. Schon nach wenigen Stunden ist auch der 
dickste Gaze - Watteverband mit Eiter durchtränkt. 
(Nebenbei ist Watte für derartige Verbände ganz un¬ 
geeignet, da die Aufsaugungskratt derselben sehr gering 
ist und der Eiter einfach hindurchfliesst, sodass bei der 
Abnahme der eiterdurchtränkten Verbände die Watte 
oft ganz sauber erscheint. Zellstoff, Mooskissen usw. 
sind praktischer und billiger). Durch den Verband läuft 
der Eiter ins Bett, sammelt sich in den Unterlagen, der 
Patient liegt gewissermassen dauernd in einem feuchten 
Eiterverband. Welche Gefahren darin liegen bezüglich 
der Infektion des Pflege- und Wartepersonals, sei nur 
nebenbei erwähnt. 

Ein häufiger Wechsel des Verbandes ist meist nicht 
angängig, weil jeder Wechsel infolge des Ablösens der 
mit der Wundlläche verklebten Verbandstoffe und wegen 
der notwendigen Lageveränderung für die Patienten mit 
Schmerzen verbunden ist, und weil die Wunde dadurch 
immer wieder gereizt wird und zu erneuter Resorption 
anregt. 

Ist die Abflussöffnung ungenügend, so treten häufig 
Sekretverhaltungen ein, die unbemerkt unter dem Ver¬ 
band oft grossen Umfang annehmen können. Dazu 
: kommt der bei jauchigen Eiterungen oft unerträgliche, 
i durchdringende Geruch, der sich unter dem luft- 
| abschliessenden Verband immer weiter steigert, und der 


Digitized by 


Google 


UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 










100 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 11. 


oft so stark ist, dass er bis auf die Korridore dringt 
und die Absonderung des Kranken von den andern er¬ 
fordert. 

Allen diesen Unannehmlichkeiten entgeht man durch 
Anwendung der offenen, verbandlosen Wundbehandlung. 
Ich habe im Anfang manchmal Schwierigkeiten bei den 
Patienten und dem Pflegepersonal gehabt, denen es nicht 
in den Kopf wollte, dass man so schrecklich aussehende 
Wunden ganz ohne Verband liess. Nachdem sie sich 
daran gewöhnt hatten, waren bejde Teile dankbar, die 
Patienten wegen der ersparten Schmerzen, das Pflege¬ 
personal wegen der ersparten Arbeit. 

Vorbedingung ist wie bei jeder Wundbehandlung, 
dass man für Ableitung der Wundsekrete nach der 
tiefsten Stelle sorgt. Liegt die Wunde oben und muss 
der Eiter nach oben steigen, so ist der Abfluss natürlich 
schlecht und die Gefahr des Weiterkriechens der Eiterung 
unter der Haut und den Muskeln ist gross. Man er¬ 
weitert in solchen Fällen zweckmässig die Wunde und 
legt auf der unteren Seite am tiefsten Punkt eine nicht 
zu kleine Gegenöffnung an, führt ein Drain ein, sodass 
der Eiter nun ungehindert nach unten abfliessen kann. 

Ein wichtiger Bestandteil der Behandlung ist für 
viele Fälle die Ruhigstellung der verletzten Glieder, die 
immer noch am besten und einfachsten mittels Gips¬ 
verbandes geschieht in Form der gefensterten oder der 
sogenannten Brückengipsverbände. Zentraler und peri¬ 
pherer Teil des Gliedes werden gesondert eingegipst, 
nach Möglichkeit extendiert und mittels einer Brücke 
von Bandeisen, das man sich nach Bedarf zurcchtbiegt, 
starr und unbeweglich verbunden. 

Ob bei Frakturen im einzelnen Fall Gips- oder 
Streckverband angewandt werden soll, ist hier nicht zu 
erörtern. Ein Schema lässt sich darüber überhaupt nicht 
aufstellen. Beide Behandlungsarten haben ihre Be¬ 
rechtigung. Hier sollen sie nur insofern erwähnt werden, 
als die offene Wundbehandlung sich bei beiden ohne 
Schwierigkeit durchführen lässt. Wendet man Heft¬ 
pflaster- oder Nagelextension an, so wird die Unter¬ 
stützungsfläche geteilt derart, dass man das Glied auf 
zwei Kissen lagert, sodass zwischen beiden ein hohler 
R.aum entsteht, durch welchen das Wundsekret ablaufen 
kann. Beider Zuppingerschiene, die wir bei den meisten 
Beinbrüchen verwenden, wird an der Unterstützungs¬ 
fläche an Stelle der Wunde ein Loch ausgespart. 

Dringend empfehlen möchte ich die Ruhigstellung 
im Gipsverband für eine Reihe von Fällen schwerer 
eitriger Frakturen, die trotz wochenlanger Behandlung 
mit Streckverbänden keine Neigung zur Heilung zeigen, 
sich im Gegenteil verschlimmern, dauernd weiter hoch 
fiebern und schliesslich die Amputation nahelegen. In 
solchen Fällen sollte man noch einen Versuch mit der 
Ruhigstellung im Gipsverband machen. Ich habe mehr¬ 
mals gesehen, wie danach ein auffallender Umschwung 
eintrat, die Entzündungserscheinungen zurückgingen, das 
Glied abschwoll, die Temperatur nach wenigen Tagen 
abfiel, das Allgemeinbefinden sich hob, sodass ich einige 
Male direkt den Eindruck hatte, durch den Gipsverband 
gliederhaltend gewirkt zu haben. Offenbar war vorher 
durch die fortwährenden Lageveränderungen beim Ver¬ 
bandwechsel, bei der Verrichtung von Bedürfnissen usvv. 
die Resorption des Infektionsstoffes immer wieder von 
neuem angeregt worden. 

Die Normalbehandlung einer eitrigen Schussfraktur 
am Bein gestaltet sich etwa folgendermassen : 

Nach gehöriger Wundversorgung, besonders bezüg¬ 
lich Ableitung des Wundsekrets nach der tiefsten Stelle, 
wird ein Brückengipsverband angelegt. Das Bein wird 
auf zwei Kissen gelagert, sodass die Wundstelle hohl¬ 
liegt. Darunter wird ein Eiterbecken gestellt. Über die 
Wundstelle wird ein Drahtbügel mit einem Gazeschleier 
zur Abhaltung der Fliegen gestellt, und damit ist eigent¬ 


lich die Wundversorgung beendet. Die Wunde wird 
sich selbst überlassen. Man ist immer wieder überrascht 
zu sehen, wie schnell und günstig sich das Aussehen der 
Wunde verändert. Die Abschwellung des Gliedes geht 
meist rasch vonstatten, die Eiterabsonderung wird ge¬ 
ringer, der üble Geruch verschwindet bei dem unge¬ 
hinderten Luftzutritt sehr schnell, die Sauberhaltung der 
Betten und Unterlagen ist denkbar einfach. 

Die austrocknende Wirkung der Luft ist sehr gross. 
Der Eiter trocknet ein und legt sich in Borken auf die 
Wundfläche. Diese Borken müssen täglich mit der 
Pinzette entfernt werden, was schmerzlos geschehen kann. 
Erscheint die Austrocknung zu stark, so kann man die 
Wunde zeitweise berieseln mit Wasserstoffsuperoxyd 
oder der Einwirkung feuchter Dämpfe aussetzen. Hält 
man zeitweise die Anwendung von Salben, feuchten Ver¬ 
bänden, Ätzmitteln usw. für notwendig, so steht dem 
nichts im Wege. Ebenso pflege ich in manchen Fällen 
die Heisslut'tdouche, Heissluftbäder, Bestrahlung mit der 
Höhensonne anzuwenden. 

Ein grosser Vorteil der offenen Behandlung ist der 
Umstand, dass man die Wunde stets vor Augen hat, 
sodass Veränderungen, Entzündungen, Eiterverhaltungen 
sofort bemerkt werden. 

Bettlage braucht bei leichteren Fällen nicht unbe¬ 
dingt eingehalten zu werden. Die Patienten können auf¬ 
stehen; man befestigt zum Beispiel am Arm unter der 
Wunde ein Eimerchen oder sonst einen Behälter, in den 
der Eiter abfliessen kann; oder man klebt einen Zell¬ 
stoffring, wie sie Braun angegeben hat, um die Wunde 
und spannt darüber einen Gazeschleier. 

Bei grossen Wunden mit ausgedehnten Zertrümme¬ 
rungen der Weichteile und Knochen macht es oft 
Schwierigkeiten, das Glied im Gipsverband in der 
richtigen Stellung zu fixieren, weil infolge der Wund¬ 
verhältnisse der Abstand der beiden Gipshälften so gross 
gewählt werden muss, dass das Glied nicht mehr ge¬ 
nügend unterstützt wird und nach der tiefsten Stelle ein¬ 
sinkt, sodass die Knochenachse geknickt ist. Man kann 
sich dann so helfen, dass man zwischen den Gipsteilen 
ein der Form des Gliedes angepasstes Stück Aluminium 
oder Weissblech anlegt, an dem der Wundstelle ent¬ 
sprechend ein Loch ausgeschnitten wird und dessen 
Enden ähnlich wie bei einer Wage von 4 Zügen ge¬ 
halten werden. Die Züge werden auf der Höhe des 
oberen Bandeisenbügels oder an einem besonders an¬ 
gebrachten Galgen befestigt. Noch einfacher ist es, die 
Einknickungsstelle durch Gazebindenzügel hochzuhalten. 
So lassen sich alle Schwierigkeiten leicht umgehen, was 
sich bei der praktischen Durchführung von selbst ergibt. 

Die offene Wundbehandlung ist im hiesigen Lazarett 
an einer sehr grossen Anzahl von Fällen, bei schweren 
Fällen fast regelmässig durchgeführt worden. Irgend¬ 
welche Nachteile haben sich in keinem Fall ergeben. 
Die Patienten waren ausserordentlich zufrieden damit, 
der Zustand der Wunden besserte sich meist in auf¬ 
fallender Weise. Die Pflege ist denkbar einfach und 
zeitsparend, die Ersparnis an Verbandmaterial ist enorm. 
Die Vorteile sind so grosse, dass ich nicht anstehe, die 
Methode als einen der grössten Fortschritte in der 
Wundbehandlung anzusprechen, die der Krieg uns ge¬ 
bracht hat. Es wäre wünschenswert, dass diese Be¬ 
handlungsform eine weitere Verbreitung und Anwendung 
fände, als sie jetzt trotz der mannigfachen Veröffent¬ 
lichungen darüber, die ausnahmslos günstig lauteten, ge¬ 
funden zu haben scheint. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









Nr. 11. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


101 


Scopolamin-Morphium bei der Behandlung akuter 
Erregungszustände Geisteskranker. 

Von Oberarzt Dr. Enge, Heilanstalt Strecknitz-Lübeck. 

Die Behandlung- akuter Erregungszustände Geistes¬ 
kranker beansprucht nicht nur das Interesse des Fach- 
bezw. Anstaltsarztes, sondern ganz besonders auch das 
des praktischen Arztes. Gehört sie doch gewissermassen 
zur „ersten Hilfeleistung in frischen Fällen“, für die ja 
in der Regel der zunächst anwesende praktische Arzt 
zuständig ist. Die Aufgabe, vor die er gestellt wird, 
ist gewöhnlich die, dass er der heftigen Erregung eines 
Geisteskranken um seiner selbst und seiner Umgebung 
willen möglichst rasch Herr werden oder einen tobenden 
Geisteskranken für die Überführung in eine Anstalt zu¬ 
gänglich machen soll. Da es sich hierbei fast stets um 
Erregungszustände handelt, bei denen eine akute Gefahr 
in irgend einer Beziehung vorhanden ist und die deshalb 
schnelle Hilfe erfordern, so kommen die sonst üblichen 
Behandlungsmethoden — Bettruhe, Vollbäder von längerer 
Dauer, feuchte Einpackungen — nicht in Betracht, sondern 
hier wird die Anwendung von arzneilichen Beruhigungs¬ 
mitteln nötig. Die Zahl der zur Verfügung stehenden 
arzneilichen Beruhigungs- und Schlafmittel ist sehr be¬ 
trächtlich und wächst noch von Jahr zu Jahr. Der grössere 
Teil derselben aber schaltet für den vorliegenden Zweck 
und für die allgemeine Praxis ohne weiteres aus, einmal 
weil ihre Anwendung nur per os oder per rectum möglich 
ist, diese Applikationsweise aber für wirklich schwer Er¬ 
regte kaum in Frage kommt, zum andern, weil der Ein¬ 
tritt der Wirkung ein viel zu langsamer ist. Es kommen 
nur Mittel in Frage, die sich leicht und bequem einver- 
leiben lassen (subkutane Injektion), die ferner sicher und 
rasch wirken und dabei für den Kranken gefahrlos sind. 

Nach andrer und eigenen Erfahrungen bildet es fast 
die Regel, dass der praktische Arzt, wenn er zu einem 
schwer erregten Geisteskranken gerufen wird, zur 
Morphiuminjektion greift — fast immer mit negativem 
oder zum mindesten doch mit ganz ungenügendem Er¬ 
folge. Diese weit verbreitete Gepflogenheit ist dringend 
zu widerraten. Langjährige Erfahrungen haben gelehrt, 
dass die alleinige Anwendung von Morphium bei akuten 
Erregungszuständen keine ausreichende sedative Wirkung 
ausübt. Sie ist ausserdem gefährlich, denn man muss 
zu relativ hohen Dosen greifen, um überhaupt irgend 
eine Wirkung zu erzielen. Es gibt auch kaum ein zweites 
Mittel, bei dem die individuelle Reaktion so verschieden 
und unberechenbar ist, als wie beim Morphium. Nicht 
selten ruft eine massige einmalige Morphiumdosis schon 
schwere und unliebsame Erscheinungen hervor. Handelt 
es sich um eine schwere motorische Erregung, so ist 
einzig und allein Scopolamin und seine Verbindung 
mit Morphium am Platze. Die Verbindung mit 
Morphium ist ganz besonders da angezeigt, wo Angst¬ 
affekte eine Rolle bei der Auslösung der Erregung 
spielen, was nicht nur bei der Melancholie, sondern bei 
allen möglichen anderen Psychosen auch gelegentlich 
der Fall ist. Für den Nichtpsychiater wird es allerdings 
nicht immer leicht sein, sich darüber ein Bild zu ver¬ 
schaffen. Daher kann man für die allgemeine Praxis 
am besten den Rat erteilen, die Kombination des Scopo¬ 
lamins mit Morphium bei allen Erregungszuständen 
jedweder Herkunft anzuwenden. Man kann dies um so 
unbedenklicher tun, als zwischen den beiden Mitteln be¬ 
züglich eventueller Nebenerscheinungen ein gewisser 
Antagonismus besteht, sodass z. B. einzelne ungünstige 
Nebenerscheinungen des Scopolamins durch Morphium 
ausgeglichen werden und auch umgekehrt. 

Scopolaminum hydrobromicum hat im deutschen 
Arzneibuch 5. Ausgabe 1910 Aufnahme gefunden. Es 
>st ein Alkaloid aus Scopolia atropoides und bildet farb- 
l08e > in Wasser leicht lösliche Kristalle. Es ist an Stelle 

Digitized by Google 


des früher gebräuchlichen Hyoscins getreten, mit dem 
es chemisch nicht völlig identisch ist. Das Arzneibuch 
schreibt vor: Wird Hyoscinum hydrobromicum verordnet, 
so ist dafür Scopolaminhydrobromid abzugeben. Nach 
neuerdings abgeschlossenen Prüfungen bleibt das Scopo¬ 
laminhydrobromid in wässrigen Lösungen, die lege artis 
hergestellt sind, in allen physikalischen, chemischen und 
pharmakologischen Eigenschaften unverändert, sodass 
der Praktiker nicht nötig hat, die Lösungen jedesmal 
frisch herzustellen. Für die Kombination von Scopolamin 
mit Morphium wird von der Firma Riedel-Berlin ein 
Präparat unter dem gesetzlich geschützten Namen 
Scopomorphin in zugeschmolzenen und sterilisierten 
Ampullen in den Handel gebracht. Die gebrauchsfertigen 
Ampullen (zu 1,1 oder 2,2 ccm Inhalt) enthalten pro 
ccm 0,0006 g „Scopolamin. hydrobrom. „Riedel“ u. 
0,015 g Morphium hydrochlor. „Riedel“. Das Präparat 
empfiehlt sich für den Gebrauch in der Praxis sehr; es 
ist jahrelang haltbar. Was die Dosierung anlangt, 
so gibt das Arzneibuch für das Scopolamin als grösste 
Einzelgabe 0,0005 g, als grösste Tagesgabe 0,0015 g 
an Diese Dosen sind unbedenklich 
zu überschreiten. 

Verwendet man Scopolamin allein, so ist als Minimal¬ 
dose */ 4 mg zu empfehlen. Bei sehr hochgradiger Er¬ 
regung und kräftigen Individuen kann man von vorn¬ 
herein ohne jede Gefahr 1 mg geben, manche gehen 
auch noch darüber hinaus (l 1 /, mg). 

Dosen von l j t mg— 1 mg können nach ‘/ s —2 stän¬ 
diger Pause wiederholt werden, was aber kaum jemals 
nötig zu werden pflegt. 

Bei der Verbindung des Scopolamins mit Morphium 
genügt im Mittel ’/ 2 m g Scopolamin, dazu 1 ctg Morphium 
(Ziehen). Nach Grober verbindet man '/, mg Scopo¬ 
lamin mit 1 */a ctg Morphium. Ich injiziere seit vielen 
Jahren regelmässig als erste und alleinige Dosis 1 mg 
Scopolamin, dazu l 1 /, ctg Morphium. Bei dieser Dosierung 
habe ich niemals üble Zufälle oder schädliche Wirkungen 
und niemals ein Versagen des Mittels gesehen. 

Wirkung und Wirkungsverlauf ist 
folgender: 

Scopolamin(-Morphium) wirkt — sein allergrösster 
Vorzug — sehr schnell. Nach der Injektion des Mittels 
tritt nach wenigen Minuten bis spätestens */ s Stunde 
Beruhigung und Schlaf ein. Zunächst stellt sich das 
Gefühl von Schwere in den Gliedern ein; zunehmende 
Mattigkeit der Zunge, der Gliedmassen mit ausge¬ 
sprochenen Koordinationsstörungen (Lallen, Taumeln) 
folgen. Die Kranken erblassen und der eigentliche 
Schlaf tritt oftmals ganz plötzlich ein. Für den Neuling 
hat dieses Schlafbild etwas Beängstigendes. Der Schlaf 
dauert gewöhnlich viele Stunden und die Beruhigung 
dauert auch nach Erw-achen längere Zeit fort und die 
Erregung ist geringer geworden. Als Nebenerscheinungen 
kommen nur in Betracht einige subjektive Missempfin¬ 
dungen wie Gefühl der Trockenheit im Halse im Beginn 
der Wirkung, nach dem Gebrauch oft für längere Zeit 
noch Durstgefühl, ab und zu Müdigkeit. Objektiv tritt 
schon nach einmaliger Gabe eine Pupillenerweiterung, 
eventuell rechts und links verschieden, und eine Reaktions- 
abschwächung ein, die über Tage sich erstrecken kann. 
Diese Tatsache muss man zur Vermeidung diagnostischer 
Irrtümer wissen. Die Verbindung des Scopolamins mit 
Morphium wirkt auf die angeführten Erscheinungen 
günstig, d. h. mildernd ein. 

Dass die Mehrzahl der praktischen Ärzte das 
Scopolamin für ein höchst gefährliches Mittel hält, dessen 
Anwendung gescheut wird, ist eine Tatsache, der man 
immer wieder begegnet. Die Beseitigung dieses Vor¬ 
urteils liegt im Interesse von Arzt und Patient. Man 
nehme zur Kenntnis, dass Scopolamin zu irgendwelchen 
Bedenken nicht den geringsten Anlass gibt. Es ist in 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




102 


Nr. 11. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Dosen von V,— 3 /,— 1 mg sicher ganz ungefährlich. Ganz 
besonders gilt das von seiner Verbindung mit Morphium, 
während letzteres allein schon in geringen Dosen häufig 
nicht ungefährlich ist. Die Richtigkeit der ausgesprochenen 
Ungefährlichkeit des Scopolamins hat sich in der Irren¬ 
anstaltspraxis zweifelsfrei erwiesen; hier wird das Scopo- 
lamin in ausgedehntem Masse angewendet und es ist 
bisher kein Fall bekannt geworden, wo es ernste 
Schädigungen oder gar etwa einmal den Tod herbei¬ 
geführt hätte. Selbst nach erstmaligen Dosen von 2 und 
selbst 3 mg, die auch ahgewendet w'orden sind, hat man 
keine wirklich bedrohlichen Erscheinungen, nur längeren 
Schlaf und ein längeres Koma beobachtet. Scopolamin 
ist bei Arteriosklerose, bei Herzerkrankungen, selbst bei 
akuter Endokarditis (z. B. bei Chorea minor), bei aller¬ 
hand gleichzeitig bestehenden körperlichen Erkrankungen 
angewendet worden, üble Folgen hat man nicht erlebt. 
Scopolamin(-Morphium) besitzt zahlreiche Vorzüge, die 
nochmals nachstehend hervorgehoben seien. 

1. Es wirkt sicher; Versager gehören zu den aller¬ 
grössten Seltenheiten. 

2. Es wirkt schnell. 

3. Es ist unter Berücksichtigung der angegebenen 


Dosierung und Kombination ungefährlich. Sub¬ 
jektive Nebenerscheinungen sind kaum nennens¬ 
wert. Das Mittel kennt kaum irgendwelche Kon¬ 
traindikationen. 

4. Seine Applikationsweise ist die bequeme und 
immer durchführbare subkutane Injektion. 

5. Es hat keine kumulative Wirkung, es kann längere 
Zeit fortgegeben werden und auch nach längerem 
Gebrauch ist plötzliche Entziehung gefahrlos. 

C. Es ruft keine Angewöhnung hervor, sodass eine 
Steigerung der Dosen nicht erforderlich wird. 

7. Idiosynkrasie gegen Scopolamin kommt kaum vor. 

8. Das Mittel hat den grossen Vorzug der Billig¬ 
keit. Scopolamin hydrobrom. 0,01 kostet 10 Pf. 
Die von mir geübte Dosis von Scopolamin 0,001 
und Morphium 0,015 kostet gegenwärtig 8 Pfennige. 

Alle diese Eigenschaften machen es zu einem vor¬ 
züglichen Mittel, wenn es sich darum handelt, einen 
schwer erregten Geisteskranken in der Anstalt, ganz 
besonders aber in der Praxis, wo andere Hilfsmittel 
nicht verfügbar sind, rasch und sicher zu beruhigen. 
Seine Verwendung in der Hand des praktischen Arztes 
ist angelegentlich zu empfehlen. 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie. 

V. Chlumsk^, Die Ursachen des Schmerzes nach 
Lokalanästhesie mit Kokainpräparaten. (Revue v neuropsycho- 
pathologii. 1915. Nr. 7—8 ) 

Die Hauptursache des Nachschinerzes ist die Giftigkeit 
des zur Lösung des Medikamentes benützten destillierten 
Wassers. Die Lösungsflüssigkeit soll für die Gewebe indifferent 
sein; dann geht nicht ein Teil des Medikaments zur Betäubung 
des durch die Flüssigkeit bedingten Schmerzes verloren. Als 
indifferente Flüssigkeiten bewährten sich Blutserum, seröse Exsu¬ 
date und Liquor cerebrospinalis und als künstlicher Ersatz 
eine Schleichlösung, die statt der vorgeschriehenen 0,2 Proz. 
Kochsalz 0,9 Proz. enthält. Zur subkutanen Injektion empfiehlt 
der Autor als Suspensionsflüssigkeit für das Medikament reines 
Öl. G. Mühlstein - Prag. 


Innere Medizin. 

E. M a i x n e r , Lungenartericnsklerose. (Casopis lckafüo 
ßesk^ch. 1914, Nr. 32.) 

Die sekundäre Sklerose der Art. pulmonalis ist speziell bei 
Mitralstenose und Lungenemphysem einer Diagnose zugänglich, 
wenn die Sklerose hochgradig und ausgebreitet ist. Die Dia¬ 
gnose stützt sich auf die ungewöhnlich hochgradige allgemeine 
Zyanose mit Dyspnoe, auf eventuelle Hämophysen (besonders 
bei Mitralstenose) und den physikalischen Befund : hochgradige 
Dilatation der rechten Kammer und Dilatation des Stammes 
der Art. pulmonalis ; letztere verrät sich durch eiue Dämpfung 
am linken Rand des Manutrium sterni, durch eine systolische 
Pulsation und ein systolisches Geräuscli unterhalb des linken 
Schlüsselbeins und durch die Skiaskopie (bei Emphysem nur 
durch diese.) Ein diastolisches Geräusch über der Pulmonalis 
ist sehr selten, da die Pulmonalklappen an dem sklerotischen 
Prozess sehr selten beteiligt sind; gewöhnlich dürfte es hei 
Mitralstenose vom linken venösen Ostium fortgeleitet sein. — 
Die primäre Sklerose lässt sich nicht erkennen. 

G. Mühlstein- Prag. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Laudenheimer, Die Anamnese der sogenannten 
Kriegspsychoneurosen. (Münch, med. Wochensehr., Nr. 38, 
Feldärztliche Beilage, 1915.) — 

Der Verfasser hat in seinem Nervensauatorium in dieser 
Kriegszeit allerlei Militärpersonen zu Gesicht bekommen, von 
denen es ihm, zumal er sie z. T. schon vorher kannte, nicht 
schwer fiel, eiue eingehende Anamnese zu bekommen. Er be¬ 
richtet über 52 Fälle, die er einteilt in 17 Ängstlich - Depri¬ 
mierte, 10 Neurasthenische, 11 Hysteroide, 4 Epileptoide und 
10 Psychopathen. Die Ängstlich-Deprimierten waren der Kon¬ 
stitution nach ängstlich befangen, pedantisch gewissenhafte, mit 
übertriebenem Verantwortungsgefühl ausgestattete Charaktere oder 
auch leicht verstimmbare, zum Pessimismus neigende Naturen 
Brave Leute, aber zum Kriegshandwerk a priori herzlich wenig 
geeignet. Felddienstfähig wurde von den 17 keiner wieder. 
Von den 10 Neurasthenischen gaben mit einer Ausnahme alle 
zu, schon lauge vor dem Krieg nervenschwach gewesen zu sein, 
aber 6 = 60 Prozent gingen wieder geheilt ins Feld. Dem 
exogenen Moment der Kriegsstrapazen schreibt L. hier eine 
grössere Ätiologie zu als dem psychisch-konstitutionellen. Die 
Hysteroiden teilt Verfasser in 2 Klassen: Erstens die vor dem 
Kriege nicht nachweisbar krank Gewesenen, die vielmehr im 
Anschluss an eine Granatexplosion oder ein ähnliches schweres 
Kriegstrauma akute Symptome bekommen hatten, und zweitens 
die Hysteriker, deren Leiden chronisch verlaufen war und nun 
im Kriege sich langsam gesteigert hatte; in der letzten Gruppe 
waren auch die einzigen von L beobachteten Rentenjäger zu 
finden. Bei den Epileptoiden war durchweg das konstitutionelle 
Moment zweifellos, das exogene belanglos. Ebenso war bei 
den Psychopathen bereits vor dem Krieg psychopathische Reak¬ 
tion sicher nachzuweisen gewesen. Interessant ist die Berufs¬ 
statistik Laudenheimers: Bauern und ungelernte Hand¬ 
arbeiter sind unter den funktionellen Nervenkranken überhaupt 
nicht vertreten, während sie bei den übrigen Soldaten fast l / :i 
der Gesamtzahl ausmachen. Die höheren Berufe (unter denen 
Verfasser akademisch Gebildete, Kaufleute, Lehrer. Techniker, 
Künstler usw. zusainmenfasst) stellten zur psychisch - nervösen 
Gruppe den höchsten Prozentsatz, fast 60 Prozent der Fälle, 
während sie bei den nerveugesundeu Soldaten nur 16 Prozent 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


Digitized by 


Google 




Nr. 11. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


103 


ausmacheri. Zum Schluss fasst L. des Ergebnis seiner Arbeit 
in 4 Thesen zusammen, die im Original nachgelesen werden 
mögen. Werner H. Becker- Herborn. 

E Friedländer. Einige Erfahrungen mit Morphiuin- 
Skopolamin und Trivalin resp. Trivalin-Hyoscin bei der Behand¬ 
lung schwerer Erregungs- und Angstznstände. (Psychiatrisch- 
Neurologische Wochenschrift, Nr 35/ 6, 1 915/16) 

Eine lehrreiche Veröffentlichung. Während sonst unsere 
Fachpresse überschwemmt wird mit Aufsätzen von Autoren, die 
diese oder jene neuerschienene Mittel vom Schlafmittelmarkt er¬ 
probt zu haben glauben und nun der Ärztewelt die Mitteilung 
machen, dass unser Arsenal an Sedativis eine wertvolle Be¬ 
reicherung erfahren habe, dass sie dieses Mittel nicht mehr 
entbehren möchten, dass Nebenwirkungen keiner Art beobachtet 
worden wären usw. spricht der Artikel Friedläuders 
im Gegensatz zu der Meinung des Herstellers, „dass bei den 
schweren Erregungs- und Augslzuständen Geisteskranker das 
Trivalin und Trivalin-Hyoscin keineswegs geeignet sei, das 
Morphium und Morphium - Skopolamin zu ersetzen“. Mir 
waren diese Resultate besonders interessant, da auch ich mit 
dem Mittel trübe Erfahrungen gemacht habe (meine diesbezüg¬ 
liche Auslassung befindet sich noch im Druck !); doch bezogen 
sich meine Versuche nur auf 4 Patienten, Fried länder 
dagegen teilt uns 10 Fälle eingehend mit, seine Versuche ver¬ 
dienen daher mehr Beachtung und da ihnen ausserdem noch 
die Priorität, allerdings nicht der Versuchszeit wohl aber der 
Drucklegung zukommt, so stehe ich nicht an, dem Leser noch 
in extenso das Friedländer sehe Resultat hier wiederzu¬ 
geben. 

1. Morphium-Skopolamin in einer Dosis von 0,015 bis 
0,03 Morphium und 0,0005 bis 0,001 Skopolamin ist das 
wirksamste und relativ ungefährlichste Mittel zur raschen 
Koupierung schwerer Erregungs- und Angstzustände. 

2. Trivalin und Trivalin-Hyoscin sind in der Wirkung in 
solchen Fällen absolut unzuverlässig und ausserdem schon in 
massigen Dosen nicht ungefährlich 

3. Morphium und Skopolamin werden am besten, in 50- 
prozentigem Alkohol gelöst, intramuskulär injiziert, da diese 
Lösungen absolut steril, lange haltbar sind und der Alkohol 
gleichzeitig günstig auf die Herztätigkeit wirkt. In manchen 
Fällen ist ausserdem eine gleichzeitige Kampferinjektion zu 
empfehlen. 

Werner H. Becker- Herborn. 

Meyer, Beitrag zur Kenntnis des Einflusses kriegerischer 
Ereignisse auf die Entstehung geistiger Störungen in der Zivil¬ 
bevölkerung und zu dtr der psychischen Inrektion, (Archiv für 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 56. Band, 1. Heft, 
1915.) - 

Der bekannte Psychiatrieordinarius in Königsberg hatte 
Gelegenheit, anlässlich des Einfalls der Russen in Östpreussen, 
eine Mutter mit ihren beiden Töchtern gleichzeitig in seine : 
Klinik aufzunehmen. Bei allen dreien lag „eine gewisse kon¬ 
stitutionelle Schwäche“ vor, ein „Mangel an Widerstandskraft am 
Nervensystem“. Dazu kamen als auslösendes Moment der 
Psychose zunächst die Russenfurcht, das Verlassen der heimat¬ 
lichen Scholle und die quälende Unsicherheit der Zukunft, so¬ 
dann erhebliche körperliche Anstrengungen (Durchwandern einer 
Nacht in Eis und Sciinee, völlig unzureichende Ernährung und 
dergl.) und endlich gegenseitige psychische Infektiou, wobei aber 
auffallender Weise nichtder alternden Mutter sondera der jüngeren 
Tochter der Löwenteil des Suggerierens zufiel. Bei allen 
dreien bestand die Erkrankung bei der Aufnahme in die 
Klinik noch fort und entwickelte sich auch anfangs noch 
weiter. Ganz allmählich ging die Aufhellung vor sich, bis 
schliesslich völlige Krankheitseinsicht die wiedereintretende 
geistige Gesundheit markierte. Es hatten also tatsächlich die 
kriegerischen Verhältnisse uud ihre Folgen die Erkrankung 
ausgelöst. Die Art, wie die Besserung mit ganz allmählicher 
Aufklärung sich einstellle, spricht nach M.s Meinung gegen 
eine eigentlich psychogene Störung. M. hält diese Art von 
Geistesstörung mehr für „symptomatische psychotische Pro¬ 
zesse“. Wern. H. Becker- Herborn. 

Kronthal, Ueber den Seelensitz. (Archiv für 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten, Band 56. 1. Heft 

1915.) — 

Digitized by Google 


Eine neue Erörterung über eine alte Frage. Schwierig* 
keifen, die als Problem die Menschheit von Anbeginn an stets 
beschäftigt haben und stets beschäftigen werden, können unmöglich 
auf einer 8 Druckseiten langen Abhandlung restlos gelöst 
werden, und wenn Wissbegierige meinen, nunmehr im aufge¬ 
klärten 20. Jahrhundert mit seinem unerhörten Hochstand 
menschlichen Wissens und Könnens und in dem führenden 
Blatt gerade der deutschen Irrenheilkunde, wo doch die deutsche 
Wissenschaft in diesem Weltkriege sich so sieghaft bewiesen 
hat, (iie klare und endgültige Antwort auf jene allbewegende 
Frage zu finden, dann versagt natürlich auch Kronthal. 
Und doch sind seine Ausführungen nicht uninteressant. Er 
packt das heikle und wenig fruchtbringende Thema folgender- 
massen an: Ich streite mich nicht mit Psychiatern, welche sieh 
Philosophen, Theologen oder Naturheilkundige nennen, auch nicht 
mit solchen, die behaupten, die Naturwissenschaft allein genüge 
nicht, um sich mit der normalen oder kranken Seele zu be¬ 
schäftigen, dazu gehöre auch Philosophie, sondern nur mit 
Psychiatern, die das erkenntnistheoretische Grundgesetz aner¬ 
kennen : „Was wir von uns und der Welt wissen, sind nur 
Urteile über eigene Empfindungen“. Wer anders denkt, mit 
dem ist „Verständigung unmöglich“. Von jenem Satz aus¬ 
gehend ist die Seele die Summe der Reflexe. Und der Reflex 
hat keinen Sitz Wollte man ihm seinen Sitz in der Nerven¬ 
zelle. im Gehirn oder sonstwo anweisen, dann muss man logischer¬ 
weise ebenso kalkulieren: Das Feuer hat seinen Sitz in der 
Kohle. Vielmehr ergibt sich als logische Schlussfolgerung: 
Weil Seele die Summe der Reflexe ist und weil die Nervenzelle 
durch Aufheben der Fibrillenisolierung die Höhe der Reflex¬ 
summe bestimmt, sind die Beziehungen der Nervenzellen zur 
Seele sehr enge. Die alte Erfahrung, nach der die Nerven¬ 
zelle kausal mit der Seele verbunden ist, entspricht der Wirk¬ 
lichkeit, aber nicht in dem überlieferten Sinne, dass die Nerven¬ 
zelle die Seele produziert, sondern ganz allein in dem Sinne, 
dass die Nervenzelle die Höhe der Seele bestimmt. Die Seele 
ist ein Geschehen, sitzt weder im Gehirn noch sonst in einem 
Organ. Seele ist die Summe der Reflexe. Deshalb ist Seele, 
wo Leben ist. Werner H. Becker- llerboru. 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten der 
Harn- und Geschlechtsorgane. 

Dreuw, Die Läuseplagc und ihre Bekämpfung. 
Berlin 1915, Fischer’s med. Buchhandlung, H. Kornfeld. 

D. fasst in Beiner Flugschrift olle bisher erschienenen 
Untersuchungsergebnisse über die Frage der Läusebekämpfung 
übersichtlich zusammen und gibt damit dem Arzt sowohl als 
auch dem Laien die Möglichkeit an die Hand, sich über die 
von der Heeresverwaltung zur Reinigung und gegen die Ver¬ 
lausung der Truppen geschaffenen Massnahmen (Entlausungs¬ 
anstalten, Badezüge usw.» zu unterrichten. Weiterhin werden 
auch die zuverlässigen unter den in so reichlicher Menge auf 
den Markt gebrachten Läuse- und Ungezieferbekämpfungsmittel 
angeführt, die eine für jeden Umstand passende Auswahl er¬ 
lauben. Gans 

P. G. U n n a. Hamburg. Kriegsaphorismen eines Derma¬ 
tologen. (Berl. klin. Wochenschrift 1915, Nr. 22 —27). 

Kalte Füsse. 

Die wichtigste Ursache der „kalten Füsse“ ist die Feuchtig¬ 
keit. Nicht die von aussen aus nassen Schützengräben in die 
Stiefel dringende, sondern das gasförmige Waäser, welches hei 
dem starken Kapillarsysten» der Fusssohle dauernd in grossen 
Mengen abgesondert wird. Dieses Hautwasser verwandelt durch 
seine Kondensation zu tropfbar flüssigem Wasser alle Strümpfe 
in feuchte Umschläge, die durch beständige Wasserverdunstung 
so viel Kälte erzeugen, dass dadurch der wohltätige Umschlag 
in Wallungshyperämie an den Füssen erschwert wird; wo er 
ganz verhindert wird, haben wir da» Leiden: kalte Füsse. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






104 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 11 


Behandelt man die Strümpfe durch folgende Flüssigkeit: 


Collodium triplex. 12 

Colophonium. 4 

Ol. Ricini. 4 

Spiritus. 16 

Aetlier.64 


100 

so werden sie am Fuss auch nicht mehr zum feuchten Umschlag 
und halten warm. Es bleiben ausser den feuchten Strümpfen 
noch zwei andere feuchte Hüllen: die feucht werdende Horn¬ 
schicht des Fusses selbst und das feuchte Innenleder der Stiefel. 

Man kann das Innenleder und die innere Zeugauskleidung 
eines jeden Stiefels, die sehr wasserliebend sind, ebenfalls sehr 
einfach in eine ziemlich trocken bleibende Schicht verwandeln, 
wenn man von obiger Mischung je nach der Grösse des Stiefels 
30—60 g unter Umschwenken hineingiesst und die rasch ein¬ 
gesogene Flüssigkeit an einem warmen Ort der Verdunstung 
überlässt. Im Felde leistet den gleichen Dienst, allerdings 
weniger gut, Leinöl, wenn man desselben habhaft werden kann. 
Die innere Bekleidung saugt dieses öl sehr rasch auf, der 
Überschuss wird ausgewischt und die so behandelten Stiefel in 
der Wärme gut getrocknet, am besten am Fusse selbst. 

Die Horuschicht des Fusses wird durch sorgfältiges, häu¬ 
figes Einfetten mit einem der gebräuchlichen Fussfette oder 
mit einer Mischung von Talg und Leinöl vor bleibender Durch¬ 
feuchtung bewahrt. 

Endlich ist noch eines zweiten sehr wichtigen Punktes zu ge¬ 
denken; er betrifft die gute Durchblutung der Fusshaut. Alle ge¬ 
nannten warmhaltenden Mittelnützen nämlich nichts, wennderBetr. 
enge Stiefel trägt. Also lieber zu weite, als zu enge Stiefel. 

Quecksilbergleitpuder (Pulvis fluens hydrargyri). 

Zur feinsten Verteilung ätherischer öle an der Körper¬ 
oberfläche stellen die verstäubbaren Gleitpuder die praktischste 
Form dar. Es ist daher auch einleuchtend, dass unser einzigstes 
flüssiges Metall, das Quecksilber, durch Gleitpuder auf den 
höchsten Grad feiner Verteilung gebracht werden kann. Damit 
aber das Quecksilber so fein verteilt bleibt, und nicht wieder, 
seiner sonstigen Neigung nach, zu grösseren Kügelchen zu¬ 
sammenläuft, muss man dafür sorgen, dass die allerfeinsten 
Tröpfchen sich sofort mit einer Haut von oxydiertem Metall 
(Hgj O. und Hg O.) überziehen, die das Zusammenlaufen ver¬ 
hindert. Mit anderen Worten: Man muss gleichzeitig mit der 
mechanischen Verteilung für die Gegenwart von viel Luft und 
einem Sauerstoff-Katalysator sorgen. 

Wir besitzen nun keine Pulver, welche mehr Luft ent¬ 
hielten als das Lycopodium und die zu seinem Ersatz dienenden 
„Gleitpuder“. Benetzen wir mithin eines dieser Pulver mit 
Terpentinöl, als Katalysator des Luftsauerstoffs und verreiben 
diese Mischung mit Quecksilber, so ist in 2 Minuten das Queck¬ 
silber bereits verschwunden (Fachausdruck: getötet) und wir 
haben ein graues (bei Lycopodium gelbliches) trockenes Pulver 
vor uns, welches mikroskopisch bereits sehr feine Metallkügel¬ 
chen aufweist, die sich bei weiterem Reiben bis zu jeder ge¬ 
wünschten Feinheit, d. i. bis zur Grenze der mikroskopischen 
Erkennbarkeit, verteilen lassen. Indem man die Menge (Ge 
wicht des Gleitpuders) 2-, 4-, oder 9 mal so gross nimmt 
wie die des Quecksilbers, erhält man ein Pulvis fluens von 
33 */ 8 , 20 oder 10 % Quecksilbergehalt. 

Syphilide. 

Wenn auch im Felde eine gründliche Syphilisbehandlung 
selbst in den Feldlazaretten natürlich nicht möglich ist, so 
lassen aber einzelne sekundäre und besonders tertiäre Haut¬ 
syphilide sehr wohl eine ambulante Behandlung zu. In solchen 
Fällen verordnet U. die Beklebung grösserer Hautflächen, 
Rumpf und Extremitäten, mit Quecksilber-Zinkoxyd-Guttaplast 

Wo Guttaplaste nicht zu beschaffen sind, ist die wenig 
schmerzhafte und ebenfalls fast vergessene Lewin’sche Subli¬ 
matinjektion (0,01 jeden oder jeden zweiten Tag) zu empfehlen 


und meistens völlig ausreichend. 

Ilydrargyri bichlorati corrosivi 0,5 

Natr. chlorati.0,5 

Aqua dest.50,0 


M. S. z. Injektion (l Spritze = 0,01 Hg CI.,) oder die Be¬ 
handlung mit Quecksilberpillen, deren kriegsmässige Formel 
lauten würde: 

Ung. hydrargyri cinerii 10,0 

Magnesiae ustae . . 4,0 

Rad. Althaeae . 10,0 

M. f. pil. Nr. 100, täglich 2 — 4 Pillen (ä 0,03p Auch die 
Behandlung mit 10 0 „ Quecksilbergleitpuder hat sich bewährt. 

Alle diese Kuren können ja die gründliche Behandlung 
in den Krankenhäusern nicht ersetzen, wohl aber unter den 
erschwerenden Verhältnissen des Kriegsdienstes manchen Mann 
dem Dienste erhalten. 

Lupus, die primäre Ilauttuberkulose. 

Jeder Arzt kann sich in leichten Fällen selbst helfen und 
zwar mit sehr einfachen Mitteln , die glücklicherweise in jeder 
Feldapotheke vorrätig sind. Salizylsäure, Chlorzink und Creosot. 
Die seit 19 Jahren bewährte „grüne Lupussalbe“ 

Acidi salicylici, Liq stibii chlorati ää 2,0 
Extr. Cannabis, Creosoti ää 4,0 

Adipis lanae 8,0 

heisst feldmässig: 

Acidi salicylici, Zinci chlorarti ää 2,0 

üpii, Creosoti ää 4,0 

Adipis lanae 8,0 

ist mithin eine braune Salbe. 

Hiermit werden grössere Lupusflecke unausgesetzt bis zur 
Heilung bedeckt; die bestrichene Stelle beklebt man mit 

dünnstem Guttaperchapapier bezw. Zink-Kautschukpflaster 
oder Leukoplast Ein Verbandwechsel ist nur ein- bis zwei¬ 
mal in der Woche nötig Auf diese Weise werden auch die 
vorzüglich wirkenden und seit 1886 sich bewährenden Salizyl- 
Kreosot-Guttaplaste im Felde ersetzt 

Eiue andere Art der Applikation ist die einfache Aetzung, 
Winckler hat die Salicylsäure zweckn' iissigprwei.se hierfür durch 
Milchsäure ersetzt, statt Antimonchlorid nimmt er Chlorzink. 
Verfasser zieht die Mischung: 

Acidi lactici 

Liq. stibii chlorati ää 5,0 

vor. Sie bildet wohl das rascheste und beste aller Lupusmittel 
überhaupt. Man pinselt alle Lupusknötchen ein- oder zweimal 
damit an und sowie sich — meist am nächsten Tage — eine 
Entzündung der Haut einstellt, heilt man durch einen Anstrich 
mit der Zinkschwefelkieidepaste. 

Wo Acid. lacticum und Liq. stibii chlorati in Feindesland 
nicht aus einer Apotheke requiriert werden können, muss mau 
sich mit Salizylsäure und Sublimat behelfen, und verschreibt 
alle drei Mittel am besten in Form des folgenden Kollodiums: 


Acid. salicylici. 1 
Sublimati 1 

Creosoti 3 

Collodii 20 

M. 


Das Sublimat -)- Salizylsäure -J- Kreosot-Kollodium wird 
zur Zeit immer nur auf eine etwa talergrosse Stelle der Lupus¬ 
fläche aufgepinselt und sowie danach Nässen eintritt, mittels 
der Zinkschwefelkreidepaste abgeheilt, während ein neues Stück 
der Fläche bepinselt wird. Gans. 

Sekundäre tuberkulöse Hautleiden 

Es kommen hier in Betracht die an tuberkulöse Drüsen¬ 
oder Knochenerkrankungen sich anschliessenden, sekundären 
Formen der Hauttuberkulose, relativ gutartige Erkrankungen, 
die man dermatologischerseits als Skrophuloderma oder tuber¬ 
kulöses Gumma, chirurgischerseits als kalte Abszesse zu be¬ 
zeichnen pflegt Man kann solche Fälle mit einfachen Mitteln 
ambulatorisch behandeln und dienstfähig erhalten : durch Leber¬ 
tran und Kali causticum. 

Die Verseifung des Lebertrans mit Kali causticum geht 
nach folgendem Rezept und besonders leicht vor sich: 

Kali caustici 84,0 

Ol. jecoris aselli 500,0 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


Digitized by Google 










Nr. 11. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


105 


Aq. destill. 475,0 

Spiritus q. s. (cca 20,0) 

M. 

Die entstehende Seife ist eine überfettete, eine sogenannte 
Salbenseife, da 3—4 p. Ct. mehr Lebertran genommen ist 
als sich verseifen lässt. Dadurch ist man imstande, dieselbe 
lange Zeit täglich einschäumen zu lassen, ohne dass die Haut 
leidet. 

Der Patient streicht die Salbenseife mit der Hand auf, 
taucht die Hand in Wasser und verschäumt die Seife auf der 
ganzen Hautregion. Hierbei wird die Seife rasch trocken und 
die Hand muss vou neuem befeuchtet werden. Nach 4—5- 
maliger Anfeuchtung der Hand und Verschäumung ist die 
Salbenseife der Haut einverleibt. 

Alle tul>erkul5sen Affektionen in grosserem oder geringerem 
Grade werden von der überfetteten Lebertran-Kali-Seife sehr 
günstig beeinflusst, auch tuberkulöse Periostitiden und Sehnen¬ 
scheidenentzündungen, ja oberflächlich liegende Knochenherde, 
sodann alle Formen von Tuberkuliden und alle tuberkulösen 
Drüsen. 

Ersatz für Weizenstärke. 

Eine gute und einfache Behandlung des erysipelatoiden 
Ekzems, die sogar noch mehr leistet als Mehl und Stärke, ist 
die Auftragung von Kühlpasten in möglichst dicker Schicht. 

Kühlpasten sind Mischungen von Wasser, Puder und Fett. 
Ihren Hauptbestandteil bilden die alkalisch reagierenden Erden: 
Kalkkarbonat und .Magnesiumkarbonat. Als Puder besorgen 
sie die Eintrocknung der Haut und Beseitigung des Exsudats 
und des Ödems, in besonders hohem Masse das Magnesium¬ 
karbonat. Die alkalische Reaktion derselben beseitigt aber 
gleichzeitig — und darin übertreffen sie das Mehl auch die 
Hyperämie der Haut und die Schmerzen. 

In der Pasta Zinci mollis: 

Olei lini, Aquae calcis ää 30 

M. adde 

Zinci oxydati, Calc. carbon. ää q. s (etwa 20) 

M. 

ist nun dieses kühlende Kalkwasser-Leinöl-Liniment durch den 
Zusatz der alkalisch reagierenden Mischung von Zinkoxyd 
und Kreide in eine Kühlpaste verwandelt, die beim erysipela¬ 
toiden Ekzem, sowie bei sonstigen starken Hautentzündungen 
jeder Art als erstes Mittel Vortreffliches leistet, — natürlich 
auch bei Verbrennungen chemischer und thermischer Natur, 
wie sie im Felde oft genug Vorkommen. Die 44 °/ 0 der Zink¬ 
oxyd -)- Kreidemischung sorgen dabei für eine vorläufig ge¬ 
nügende Antisepsis, die beim Gebrauch des Leinöl-Kalkwasser- 
liniments allein nicht vorhanden sein würde. 

Bei vernachlässigten Fällen mit übelriechendem, reichlichem 
Sekret, kann man den antiseptischen Effekt noch durch Be¬ 
nutzung des Chlorkalks statt der Kreide steigern, wobei zu 
bemerken ist, dass die Eintrocknung durch Chlorkalk noch 
bedeutender ist als die durch Kreide. Die Formel lautet: 

Olei lini, Aq. calcis ää 30 

Zinci oxydati, Calcariae chlorati ää q. s 

M. S. Pasta Zinci mollis chlorata. 

Die Pasta Zinci mollis sollte also überall dort zur Ver¬ 
wendung kommen, wo man früher bloss mit grossen Mengen 
von Mehl oder Stärke Entzündungen zu beseitigen versuchte. 
Sie ißt in jeder Feldapotheke rasch herstellbar. 

Es hat sich nun bei den Versuchen, das Stärkemehl in 
allen gebräuchlichen Pasten und Pudern durch mineralische 
Puder zu ersetzen, gezeigt, dass wir ersteres wirklich ganz gut 
entbehren können. In den Pasten tritt Kieselgur (Terra silicea) 
mit Vorteil für Amylum ein, da es den Zweck der Pasten, 
nässende Hautflächen trocken zu legen, vermöge seiner stark 
eintrocknenden Eigenschaften weit rascher und besser erfüllt, 
z B in folgenden amylumfreien Vorschriften 
Pasta Zinci 


Terrae silicea 

5 

Zinci oxydati 

25 

Olei arachidis 

10 

Adipis suiUi 

M. 

60 


Digitized by Google 


Pasta Zinci 

s u 1 f u r a 

Terrae siliceae 

5 

Zinci oxydati 

15 

Sulfur praec. 

10 

Ol arachidis 

10 

Adipis suilli 

M. 

60 


Kieselgur eignet sich ihrer scharfkantigen Beschaffenheit und 
mangelnden Haftung wegen nicht gut zu Hautpudern. Dagegen 
kann in diesen das Amylum mit Vorteil durch die verschiedenen 
Arten der kieselsauren Tonerden (Kaolin, Bolus alba, Bolus 
rubra) sowie durch Magnesium carb. und Talcum ersetzt werden, 
z. B in folgendem ohne Weizen- und Reisstärke hergestellten 
hautfarbenen Puder für Seborrhoeen und seborrhoische Ekzeme 
des Gesichtes: 

Pulvis cuticolor. 

Boli rubr. 0,5 

Boli albae 2,5 

Magnes. carbon. 4,0 

Zinci oxydati 5,0 

Talei 8,0 

M. Gans. 


Medikamentöse Therapie. 

K. Klein, Di« Kumulation der Stropliantine bei der 
akuten und chronischen Vergütung. (Lökafskö Rozhledy. 21. 
(3.) Nr. 25. Ig 14.) 

Untersuchungen an Katzen lehren, dass grosse Dosen erst 
nach einigen Stunden, aber längere Zeit hindurch wirken. 
Kleine, an sich unwirksame Dosen bedingen eine Vergiftung, 
die tödlich verlaufen kann. Extrem kleine Dosen führen zu 
einer Angewöhnung, die aber sehr labil ist und sehr leicht, 
wenn auch ganz allmählich in Vergiftung übergehen kann, 
während die Vergiftung nach grossen Dosen plötzlich hervor¬ 
bricht. Der verlässlichste Indikator der Vergiftung ist die Sali- 
vation. Für die Therapie ergibt sich aus den Versuchen der 
Beweis, dass es möglich ist, den Organismus durch kleine Dosen 
lange Zeit hindurch unter Digitaliswirkung zu halten, nur ist 
grosse Vorsicht am Platze, da nach grossen Dosen plötzlich, 
nach kleinen Dosen unter prämonitorischen Symptomen die 
Katastrophe eintreten kann Strophantin Böhringer und g- 
Strophantin Tboms sind gleichwertig; das Quabain Hoffrnanu- 
La Roche ist giftiger als die beiden ersteren. 

G. Mühlstein - Prag. 

V. V i t e k , Salvarsan und Tabes dorsalls. (Revue v 
neuropsychopathologii. 1914. Nr. 7 - 8.) 

Bei einem 45jährigen Manne, der vor 20 Jahren Lues 
akquiriert hatte und seit 8 Jahren die typischen Symptome der 
Tabes dorsalis darbot, besonders aber an lanzinierenden 
Schmerzen litt, trat nach einer Salvarsaninjektion eine hoch¬ 
gradige Besserung ein. Nach einem halben Jahre wurde, weil 
die Symptome wiedergekehrt waren, eine neuerliche Salvarsan- 
injektion gemacht und seither fühlt sich der Kranke frei von 
ernsten Beschwerden. 

G. Mühlstein- Prag. 

Dr. Fiedler, Uber granulierendes Wundöl Kn oll.') 
Aus dem Reservelazarett Marien-Hospital in Düsseldorf. (Deutsche 
Medizin. Wochenschrift 1915, Nr. 39, S. 1162.) 

Das Präparat fand in über 100 Fällen Verwendung. Bei 
flächenhaften Wunden wurde eine schnelle Reinigung der 
Wunde und gute Granulationsbildung erzielt. Ausserdem konnte 
der Eindruck gewonnen werden, als ob die Überhäutung der 
Wunde von Rande her und von etwa stehengebliebenen Epithel¬ 
inseln schneller vor sich ginge. Bei einem Fall von Ver¬ 
brennungen zweiten Grades an beiden Handrücken und Unter¬ 
armen, bei dem die eine Hand mit granulierendem Wundöl 
Knoll, die andere in der üblichen Weise mit Dermatolsalbe 
behandelt wurde, ergab sich, dass die Narbe der mit Wundöl 
behandelten Hand bedeutend nachgiebiger war und sich in 
ihrer Beschaffenheit eher der normalen Haut näherte, als bei 
der nicht mit Wundöl behandelten Hand. 


l ) Unter der Bezeichnung Granugenol im Handel. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





106 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 11 


Als Hauptgebiet für Behandlung mit granulierendem Wundöl 
Knoll kommen Wunden mit grösserem Substanzverlust und Ge- 
Webszerfetzung in Betracht. Bei solchen Wunden wurde ein 
ausserordentlich schnelles Abstossen der Gewel)6teile und Aus¬ 
granulieren der Wunde beobachtet. Zugleich war die Sekretion 
der Wunden bedeutend weniger stark als bei der sonst üblichen 
Behandlung mit feuchten Verbänden. 

Die dritte Kategorie der mit Wundöl behandelten Wunden 
waren Höhlenwunden mit engen Ausführungsgiingen. Aseptische 
Wunden dieser Art, z. B. nach Exstirpation von tuberkulösen 
Lymphdrüsen, granulierten bemerkenswert schnell aus Von 
Empyemen fanden 5 Fälle mit Wunööleinspritzungen Behand¬ 
lung. Heilung trat hier nur schnell ein, wenn der Abfluss aus 
der Höhle zugleich gut war. 

Höhlenwunden nach Operation von perityphlitischen 
Abszessen heilten sämtlich mit Wundöleinspritzung sehr 
schnell aus 

Neuerdings wurde begonnen, granulierendes Wundöl Knoll 
auch zur Anregung von Kallusbildung hei schlecht heilenden 
Knochenbrüchen einzuspritzen. Es scheint, dass die Kallus¬ 
bildung durch das Präparat beeinflusst wird, jedoch lässt sich 
ein abschliessendes Urteil hierüber noch nicht bilden. 

N e u m a n n. 

Pyrenol als Expektorans ist gerade jetzt zur 
Zeit der Hochflut katarrhalischer Affektionen der Atmungs¬ 
organe ein besonders geschätztes Medikament von zuverlässiger 
Wirkung. Die Verflüssigung zähen Bronchialsekrets bei gleich¬ 
zeitiger Beschränkung der Neubildung, Lösung der schädlich 
wirkenden Bronchialspasmen und Milderung des Hustenreizes 
neben mild einsetzender Antipyrese wird in der umfangreichen 
einschlägigen Literatur von allen Autoreu hervorgehoben, u. a. 
von Loeb an dem grossen Krankenmaterial des Augusta- 
Hospitals in Berlin. (Berliner klin. Wochenschrift Nr. 41, 04.) 
Dass diese Gesaratwirkung des Pyrenol weder mit. den ein¬ 
fachen noch den mit Narkotizis kombinierten sog. Solventien 
zu erreichen ist, hat in eingehender Darstellung der bei den 
katarrhalischen Affektionen der Atmungsorgane vorliegenden 
speziellen pathologischen Verhältnisse Johannissohn 
in den „Fortschritten der Medizin“ (Nr. 47. 13) pharma¬ 
kologisch begründet. Die Expektoration wird wesentlich ge¬ 
fördert. Schon am 2. oder 3. Tage kann man diese Wirkung 
des Pyrenols beobachten. Der Schleim wird ganz leicht, ohne 
jede Krampfäusserung zum Auswurf gebracht und bringt den 
Patienten wesentliche Erleichterung. 

Ein grosser Vorteil des Pyrenols kommt dabei, worauf 
Sternberg in der Aerztlichen Rundschau (Nr. 31. 03) hinweist, 
noch zur Geltung : „Seine Unschädlichkeit gibt in der Praxis 
die Möglichkeit, es auch bei Schwerkranken, bei Arteriosklerose, 
Dilatation des rechten Ventrikels, in der vollen wirksamen 
Dosis geben zu können. Ein solches Mittel verdient unsere 
Beachtung in hohem Grade. Dosierung: Erwachsene 3—0 x 
tgl. 1 Tablette ä 0,5, Kindern Solution von 2,0—4,0: 100 mit 
Sir. Rub. Jd. 20, — 2 stündlich 1 Kinderlöffel. 


Wichtige gerichtliche Entscheidungen. 

Unfall einer Geisteskranken Infolge mangelnder Aufsicht der Kranken¬ 
schwester. 

(Nachdruck verboten.) 

Die Klägerin erkrankte am 6. Juni 1912 auf der Reise 
unter Zeichen einer geistigen Störung, wurde auf Ersuchen 
ihres Ehemannes vorläufig in das Krankenhaus der Beklagten 
aufgenommen und sprang dort, während sie nur mit einer hilfs¬ 
weise zur Pflege verwendeten Kranken B zusammen war, aus 
einem Fenster des zweiten Stockwerkes, wodurch sie schwere 
Verletzungen erlitt. Sie erhob aus eigenem Rechte und als 
Rechtsnachfolgern» ihres Mannes, sowie der städtischen Betriebs- 
krankenkaBse in Karlsruhe, die nach dem Unfall die Kosten 
der Krankenhilfe übernommen hatte, Schadenersatzansprüche 
auf Grund Vertrages und wegen unerlaubter Handlung. Sie 
verlangte Erstattung von Auslagen, Entrichtung einer Geld¬ 
rente und Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich des weiteren 
Schadens. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung der 

Digitized by Google 


Klägerin zurückgewiesen. Auf die von ihr eingelegte Revision 
verwies das Reichsgericht die Sache an die Vorinstanz zurück 
mit folgender 

Begründung: 

Das Berufungsgericht unterstellt, dass zwischen der 
Klägerin oder ihrem Manne, auf dessen Ersuchen die Klägerin, 
wenn auch zunächst nur vorläufig, in das Krankenhaus der 
Beklagten aufgenommen worden war, und der Beklagten ein 
Vertragsverhältnis bestand, erklärt aber die Klage gleichwohl 
für unbegründet, weil ein Verschulden der Krankenhausbe¬ 
diensteten nicht erwiesen sei. Das ist, soweit die Oberschwester 
II. in Frage kommt, rechtsirrig. Wenn ihr auch der Mann der 
Klägerin von den Zeichen geistiger Störung, die zur Inanspruch¬ 
nahme des Krankenhauses führten, nichts gesagt hatte, so 
wusste sie doch von ihm, dass die Klägerin nach der Auf¬ 
nahme geäussert. hatte, sie wolle sich die Pulsader öffnen und 
in den Fuss schiessen, weshalb er auch ersuchte, Haarnadeln 
und ähnliche Gegenstände aus der Nähe der Kranken zu ent¬ 
fernen Kam sie nun auch, wie das Berufungsgericht annimmt, 
auf Grund ihrer Unterhaltung mit der Kranken und mit Rück¬ 
sicht auf frühere Erfahrungen zu der Meinung, dass eine 
geistige Störung nicht vorliege und ein Selbstmordversuch 
nicht zu befürchten sei, so musste sie doch bei der Anwendung 
der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 BGB.) damit 
| rechnen, dass sie sich täuschen könne. Sie hätte daher, wenn 
sie die Kranke nicht gleich in dem für Geisteskranke bestimmten 
Raume unterbriugen wollte, mindestens dafür sorgen müssen, 
dass während ihrer Abwesenheit die Kranke, sich einen Schaden 
nicht zufügen konnte. Von diesem Gesichtspunkt aus war es 
schon bedenklich, dass sie die Aufsicht der B überliess, die 
selbst krank war und ein Leiden am rechten Arm hatte. In 
jedem Falle aber musste die Oberschwester die B. über ihre 
Obliegenheiten genau unterrichten. Dazu genügte nicht, dass 
sie die B. auwies, die Kranke im Auge zu behalten. Sie 
musste auch sagen, warum und nach welcher Richtung eine 
Beobachtung geboten sei. Das ist nicht geschehen. Die Ober¬ 
schwester sagte der B. nichts von den Äusserungen des Mannes 
der Klägerin und traf nicht einmal Anordnungen bezüglich 
der Schliessung der offenstehenden Fenster. Dass der Unfall 
auch bei entsprechender Belehrung der B. eingetreten wäre, ist 
nicht anzunehmen und wird auch vom Berufungsgericht nicht 
angenommen. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und 
bei der neuen. Verhandlung davon auszugehen, dass der Un¬ 
fall auf einem Verschulden der Oberschwester beruht, das die 
Beklagte unter den Voraussetzungen des § 278 BGB. in 
gleichen Umfange zu vertreten hat wie eigenes Verschulden. 

Urteil des RG. vom 5. November 1915. III. 230/1915. 

(Milgeteilt von Dr. Hans Berthold, Leipzig.) 


Bücherschau. 

D i e t z , Tuberkulosebekämpfung und verwandte Be¬ 
strebungen im Grossherzogtum Hessen im Jahre 1913. 
Berlin 1914. 

Der Bericht über den Stand der Tuberkulosebekämpfung 
im Grossherzogtum Hessen, der alljährlich dem Deutschen 
Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose in Berlin er¬ 
stattet wird, ist diesmal „auf die verwandten Bestrebungen“ aus 
gedehnt worden Da die Bekämpfung der Tuberkulose als 
Volkskrankheit in der Praxis zu fast allen Bestrebungen der 
Bekämpfung von gesundheitlichen oder sittlichen Volksschäden 
Beziehung gewinnt, so gibt der diesjährige Bericht eine Über¬ 
sicht über den grössten Teil der Wohlfahrtspflege in Hessen. 

Als im Jahre 1900 der Heilstättenverein in Hessen ge¬ 
gründet wurde, glaubte man mit dem Bau und Betrieb von 
Heilstätten für Lungenkranke im wesentlichen die Aufgabe 
der freiwilligen Vereinstätigkeit erfüllt zu haben. Es stellte 
sich bald heraus, dass der Behandlung des Kranken vielfach 
die Fürsorge für den Genesenden zu folgen habe, dass es gelte, 
die Frühstadien der Erkrankung rechtzeitig herauszufinden und 
sie der Behandlung zuzuführen, und dass die Fürsorge nicht 
nur dem Kranken, sondern auch seiner Familie zuzuwenden 
sei, um die Weiterverbreitung der Tuberkulose zu ver¬ 
hindern. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr. 11. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


107 


So sind neben die Heilstätten die Fürsorgestellen für 
Lungenkranke getreten und für solche Kranke, die bei häuslicher 
Pflege eine grosse Ansteckungsgefahr für ihre Angehörige, be¬ 
sonders die Kinder bilden, die Heimstätten für Tuberkulöse. 
Die vorbeugende Fürsorge wandte sich weiter den von der 
Tuberkulose bedrohten Kindern zu, und als weiteres Glied ent¬ 
stand im Jahre 1913 die Lupusheilstätte in Giessen. Die Er¬ 
folge der dort geübten Behandlung fordern dazu auf, sie auf 
die Behandlung der Knochen- und Gelenktuberkulose zu über¬ 
tragen, die im Kindesalter so schwere Verheerungen an¬ 
richtet. 

Daneben wurde unermüdlich an der Belehrung weiter 
Volksschichten über die Vermeidung der Übertragung der 
Tuberkulose gearbeitet; das Tuberkulose-Wandermuseum gab 
hierfür einen kräftigen und nachhaltigen Anstoss. Der Kampf 
gegen die leichtsinnige Verbreitung der Seuche durch verseuchte 
Wohnungen, Kleider, Betten und Wäschestücke muss auf das 
energischste weitergeführt werden. 

Die Fürsorge im Hause des Kranken brachte die Für¬ 
sorgestellen in Berührung mit der Wohnungspflege. Die Tuber¬ 
kulose kann als Wohnungskrankheit bezeichnet werden, weil 
an sich ungesunde oder durch unzweckmässige Benutzung 
ungesund gewordene Wohnungen Brutstätten für Tuberku¬ 
lose sind. 

Die Tuberkulosebekämpfung führt zu den Organisationen 
zur Verbesserung der Krankenpflege, insbesondere zur Errich- 
lung von Krankenpflegestationen auf dem Lande (eine Auf¬ 
gabe, die bisher im Kreise Erbach wohl am besten gelöst ist) 
und zu der Tätigkeit der Hauspflegevereine,die bei Erkrankungen 
der Mutter die Familie in der Wirtschaftsführung stützen und 
so die Familie Zusammenhalten. 

An allen Bestrebungen, die auf die Hebung der Volks¬ 
gesundheit zielen, an der Säuglings- und Kinderfürsorge, dem 
Ausbau der Schulgesundheitspflege, der Verbreitung der Volks 
bäder, der Belehrung des Volkes über gesundheitsgemässe 
licbensweise und richtige Ernährung nimmt die Tuberkulose¬ 
türsorge teil, gibt dazu mannigfache Anregung und schöpft 
selbst aus ihr Nutzen 

Die Fürsorge für Lungenkranke beteiligt sich an der 
Krüppelfürsorge, da ein grosser Teil der Verstümmelung von ! 
Gliedern und Wirbelsäule durch Knochen- und Gelenktuber¬ 
kulose verursacht wird. Sie nimmt endlich teil an der Be¬ 
kämpfung der grössten Feinde der Volksgesundheit, des Alko- 
holismus und der Geschlechtskrankheiten, weil auch sie ein 
Nährboden für die Tuberkulose sind. 

In vorbildlicher Weise sind die sich gegenseitig ergänzenden 
und tragenden Massnahmen in die Wirklichkeit umgesetzt 
«orden bei dem Versuch der planmässigen Tilgung der Tuber¬ 
kulose in dem Dorfe Ileubach im Odenwald, dem am stärksten 
von der Tuberkulose heimgesuchten Orte des Grossherzog- 
tums. 

Der Rückgang der Sterblichkeit an Lungentuberkulose im 
Grossherzoglum Hessen, der seit 1890 von Jahrfünft zu Jahrfünft 
tu verfolgen ist, beweist, dass die grossen Anstrengungen im 
Kampf gegen die verheerende Volksseuche nicht erfolglos 
waren. — R- 

II offmann, Die Kunst aus dem Gesicht Krankheiten 
>u erkennen und zu hellen. 2. Auflage der neuen Ausgabe 
Leipzig, Verlag von Krüger & Co. 

Es ist ein Verdienst des Verlags, dieses im Jahre 1800 
von Hofimann veröffentlichte Schriftchen der Vergessenheit ent¬ 
rissen zu haben. Allerdings ganz auf dem Boden der 
Humoralpathologie stehend, zeigt es welche Bedeutung früher 
der pathologischen Physiognomik beigelegt wurde, einem Ge¬ 
biete, das heutzutage vielleicht zu sehr vernachlässigt wird. Ein 
interessantes Schriftchen. v. S c h n i z e r. 

Stauffacher, Heinrich (Frauenfeld), Der Erreger 
d *» Maul- und Klauenseuche. Aus: Zeitschrift für wissen¬ 
schaftliche Zoologie Bd. 116. 1. Heft. — Sonderabdruck, 
Leipzig 1915. W. Engelmann, 55 Seiten mit 29 Figuren im 
Text und 2 Tafeln. — Mk. 2 80. 

Wir Älteren erinnern uns ganz wohl noch des Eifers, mit 
welchem vor einigen Jahren dem Erreger der Maul- und 
Klauenseuche nachgespürt worden ist. Die Resultate waren 
nicht befriedigend, und so schien das Interesse daran abgeflaut. 

Digitized by Google 


I Nuu ist es S t a u f 1' a c h e r gelungen, durch Vorbehandlung 
seiner Präparate mit verdünnten Lösungen von Säurefüchsin 
und Nachfärben mit Ehrlichs Fuchsin-Methylenblau sowohl 
im Blaseninhalt, wie in den Geweben und im Blut massen¬ 
hafte kleine Körperchen der verschiedensten Gröasen (0,1 ,u bis 
1 fi und mehr) und Formen (Kügelchen, Birnen, YVürstchen, 
Sicheln usw.) sichtbar zu machen. Die Kultur gelang in 
N i c o 11 e’schen Röhrchen und zwar traten hier ausser den er¬ 
wähnten Gebilden Leptomonnsformen auf, und zwar in zwei 
Typen, einem kurzen, dicken von zirka 45 ft Länge und 3 ft 
Breite, und einem langen dünnen von 100 —120 fi und 
1 — 2 fi Breite. Durch deren chromidialen Zerfall entstehen 
die zuerst gesehenen winzigen Derivate. 

Die Lebewesen stehen somit den Trypanosomen nahe. 
Stauffacher reiht sie systematisch in die Ordnung der 
Euflagellaten, Abt. Monadinen, ein und nennt sie Aphthomonas 
infestans (infestare =. verwüsten). Buttersack. 

Kromayer, Ärztliche Kosmetik der Haut. V. Serie, 
Heft 8 der Vorträge über praktische Therapie von Prof. D. 
Schwalbe. Leipzig 1914. Verlag von Georg Thieme. 

Behandelt unter modernen Gesichtspunkten die Ver- 
hornungB- und Gefassanomalien (rauhe Haut, Rosacea, Naevi 
usw.), die Talgdrüsenerkrankungen (Akne, Comedonen usw.), 
Pigmeutanomalieen, Geschwülste (Hypertrophieen, Verrucae, 
Naevi) und die Haarerkrankungen in übersichtlicher, erschöpfen¬ 
der aber doch kurzer Weise. 

v. Schnizer - Mülhausen i. E. 

Aigner, E, München. Die Wahrheit über eine Wunder¬ 
heilung vou Lourdes. Eine ärztliche Studie. Zweite er¬ 
weiterte Auflage (6. Tausend . Frankfurt am Main 1914, 
Neuer Frankfurter Verlag. G. m. b. H. Seitenzahl 30. 
Preis 0,40 M. 

Arndt, Th., Dresden. Untersuchungen über die Wirkungen 
einiger neuer Derivate der 2 — Phenylchinolin- 4 — kar¬ 
bonsäure im Vergleich mit dem Atophan und Azitrin. 
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde in 
der Medizin und Chirurgie der hohen medizinischen Fakul¬ 
tät der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu 
Breslau vorgelegt. Görlitz 1914. Seitenzahl 28 
Asch, R., Breslau. Diagnostische und therapeutische Rat¬ 
schläge für den gynäkologischen Praktiker. Aus „Medi¬ 
zinische Klinik,“ Heft (i. 1914. Berlin 1914, Verlag von 
Urban u. Schwarzenberg. Preis des Heftes 1 M. 
Bainbridge, New-York. Possible Errors in the Dia- 
gnosis of Abdominal Cancer — A Plea for Explorai.oiy 
Laparotomy — Illustrative Gases. Oktober 1914. Re- 
printed from New York State Journal of Medicine. 
Seitenzahl 8 

Bainbridge, New-York. Arterial Ligation, with Lym- 
phatic Block, in the Traetment of Advanced Cancer of 
the Pelvic Urgans — A Report of Fifty-Six Cases. 
Reprinted from the American Journal of Obstetrics and 
Diseases of Women and Children. Vol. fi8, No. 4, 1913. 
Seitenzahl 22. 

Bainbridge, New-York. Technic of the Intra-Abdomi¬ 
nal Administration of Oxvgen. Reprinted from the 
American Journal of Surgery, Oktober 1913. Seiten¬ 
zahl 8. 

Bennecke. A. Die freie Ärztewahl und die Rostocker 
allgemeine Ortskrankenkasse Rostock i. Mecklenburg. 
1914, Verlag von G. B. Leopolds Universitäts-Buchhand¬ 
lung. Seitenzahl 26. Preis 80 Pfg 
B i r s t e i n , J. Individualpsychologische Darstellung eines 
nervösen Symptoms. Sonderabdruck aus „Zentralblatt für 
Psychoanalyse und Psychotherapie. Medizinische Monats¬ 
schrift für Seelenkunde. Wiesbaden 1914, Verlag von 
J. F. Bergmann. 

Boas, K., Halle. Aus meiner kriminalistischen Sammel¬ 
mappe. II. 1. Aus der niederländischen Kriminalstatistik. 
Leipzig 1914, Verlag von F. C. W. Vogel. 

Boas, K., Halle. Aus der forensischen Psychiatrie. 
Kritisches Sammelreferat. Sonderabdruck aus Band V, 
lieft 5. Stutigart 1913, Verlag von Ferdinand Enke. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 







108 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 11. 


Bunne marin, Otto, Ballenstedt. Über psychogene 
Schmerzen. Sonderabdruck aus Band XXXIV, Heft 2 
der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. Berlin, 
Verlag von S. Karger. Seitenzahl 32. 

B ii r g i , E., Bern. Die Wirkung der Arzneigemische. Rek- 
toratsrede, gehalten an der 79. Stiftungsfeier der Universi¬ 
tät Bern am 22. November 1913. Bern 1914, Akade¬ 
mische Buchhandlung von Max Drechsler. Seitenzahl 31. 
Preis 1,20 M. 

Fuchs, W., Emmendingen. Epilepsie und Epilepsiebehand¬ 
lung. (Aus der Grossherzogi. Badischen Heil- und Pflege¬ 
anstalt Emmendingen). Gewidmet zur 25-Jahrfeier der 
Anstalt. Leipzig 1914. Repertorien - Verlag. Seiten¬ 
zahl 45, 

Grosser, Berlin, Behandlung der Furunkulose. Sonder¬ 
abdruck aus „Allg. Med. Zentral-Zeitung“, 1914, Nr. 13. 
Verlag von Oskar Cobleuz. Seitenzahl 4. 

Hedinger, Herff, Hunziker, Quervain, 
S t ä h e 1 i n. Die Krebskrankheit und ihre Bekämpfung. 
Fünf Vorträge auf Veranlassung der Schweizerischen Ver¬ 
einigung für Krebsbekämpfung gehalten. Basel 1914, 
Verlag von Kober C. F. Spittlers Nachfolger. Preis geh. 
1,50 M Seitenzahl 112. 

Hirsch, M., Bad Salzschlirf. Zur Frage der Arteriosklerose 
vor dem 30. Lebensjahre. Sonderabdruck aus „Medi¬ 
zinische Klinik, 1913, Nr. 28.“ Berlin. Verlag von 
Urban u. Schwarzenberg. Seitenzahl 9. 

Hauser, Rostock. Über die Vakzinediagnostik und 
Therapie bei der Gonorrhoe der Frau. Aus „Berliner 
Klinik“ Mai 1914, Heft 311. Berlin, Fischer’s med. Buch¬ 
handlung, H. Kornfeld, Seitenzahl 16. Preis des Heftes 
60 Pfg. 

Hailer&Rimpau. Versuche über Abtötung von 
Typhusbazillen im Organismus des Kaninchens. II. An¬ 
wendung von halogensubstituierten Aldehyden der Methan¬ 
reihe. Sonderabdruck aus „Arbeiten aus dem Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamte“ Band XLVII, Heft 2, Berlin 
1914, Verlag von Julius Springer. 

Hailer & Ungerman n. Weitere Versuche über die 
Abtötung von Typhusbazillen im Organismus des Ka¬ 
ninchens. III. Anwendung von ein- und mehrwertigen 
Phenolen und Phenoläthern. Sonderabdruck aus „Ar¬ 
beiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte“, Band 
XLVII, lieft 2. Berlin 1914, Verlag von Jul. Springer. 

Koenigsfeld & Prausnitz. Zur Frage der Filtrier¬ 
barkeit transplantabler Mäusekarzinome. Mit 1 Text¬ 
figur. Sonderabdruck aus dem „Zentralblatt für Bakterio¬ 
logie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten“. Jena 
1914, Verlag von Gustav Fischer. 

K ü s t e r , Berlin. Über Diogenal. Souderabdruck aus | 
„Klinik für psychische und nervöse Krankheiten“ Halle 
a. d. Saale, Verlag von Carl Marhold. Seitenzahl 11. 

K 1 e b s , C. Die Variolation im 18. Jahrhundert. Ein 
historischer Beitrag zur Immunitätsforschung. Giessen 
1914, Verlag von A. Töpelmann (vorm. J. Ricker). Seiten¬ 
zahl 78. 

Koenigsfeld, H., Breslau. Über Versuche zur Immu¬ 
nisierung gegen Mäusekrebs. Mit 4 Textfiguren. Sonder¬ 
abdruck aus dem „Zentralblatt für Bakteriologie, Parasiten¬ 
kunde und Infektionskrankheiten“. Jena 1914, Verlag von 
Gustav Fischer. 

K a 1 1 e r t , E. Untersuchungen über Maul- und Klauen¬ 
seuche. II. Mitteilung. Beiträge zur Histogenese und 


Histologie der Maul- und Klauenseucheblase, insbesondere 
auch zur Frage des Vorkommeus von Einschlusskörper¬ 
chen in den spezifisch veränderten Teilen bei Maul- und 
Klauenseuche. (Hierzu Tafel XIII und XIV.) Sonder¬ 
abdruck aus „Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheits- 
amte“, Heft 4. 1914. Berlin 1914, Verlag von Julius 
Springer. 

K a 1 1 e r t, E. Untersuchungen über Maul- und Klauen¬ 
seuche. I. Mitteilung. Über die Bedeutung der von 
Beteghschen Körperchen in der Aphthenlymphe. Sonder¬ 
abdruck aus „Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amte“, Heft 4, 1914. Berlin 1914, Verlag von Julius 
Springer. 

Li ss au, S-, Prag. Beobachtungen mit dem neuen Herz¬ 
mittel „Digimorval“. Sonderabdruck aus „Therapeutische 
Monatsberichte“, Heft 4, April 1914. Seitenzahl 3. 

F estschrift zur Einweihung des neuen städtischen 
Krankenhauses (Vereinigte städtische und Thiem’sche 
Heilanstalten.) Kottbus 1914. Seitenzahl 167. 

O r 1 o w s k i , Berlin. Der Tripper Laienverständlich dar¬ 
gestellt. 2. Ergänzte Auflage Wiirzburg 1914. Verlag 
von Kurt Kabitzsch. Seitenzahl 47. Preis 90 Pfg 

öttiuger, W., Breslau. Die Rassenhygiene und ihre 
wissenschaftlichen Grundlagen. Aus „Berliner Klinik“ 
Heft 312, Juni 1914. Berlin, Fischer’s med. Buchhand¬ 
lung, H. Kornfeld. Seitenzahl 77. Preis 1,20 M. 

Porten, von der. Zur Behandlung des Delirium tremens 
mit Veronal. Sonderabdruck aus der Münchener med. 
Wochenschrift, 1914, Nr. 21. Seitenzahl 2. 

Pokschischewsky, N. Uber die Biologie der Pseudo¬ 
milzbrandbazillen. Beiträge zur Differentialdiaguose der 
Milzbrand- und Pseudomilzbrandbazillen. Sonderabdruck 
aus „Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte“ 
Heft 4, 1914. Berlin, Verlag von Julius Springer. 

Segesser, Fr, St Gallen, Schweiz Die Hungerkuren. 
Physiologisches, Methodik, Erfolge, Misserfolge. Wissen¬ 
schaftliche Abhandlung über das Fasten für Ärzte und 
gebildete Laien. Dresden 1914, Verlag von Holze u. Pahl. 
Seitenzahl 148. Preis geh.: 2,50 M., geh.: 3,20 M. 

Stern, H., New-York. Das hygienische ABC für Herzkranke. 
Mit 6 Abbildungen im Text. Würzburg 1914, Verlag 
von Kurt Kabitzsch. Seitenzahl 150. Preis: brosch. 2,50 M., 
geb. 3 M. 

S t a r c k , H., Heidelberg-Karlsruhe. Lehrbuch der Öso¬ 
phagoskopie. 2. grösstenteils neubearbeitete Auflage. Mit 
10 Abbildungen und ausführlichem Literaturverzeichnis. 
Würzburg 1914, Verlag von Kurt Kabitzsch. Seitenzahl 
271. Preis: brosch. 8 M., geb. 9 M. 

Stein, R. O., Wien. Die Fadenpilzerkrankungen des 
Menschen. Mit 78 Abbildungen auf 3 schwarzen, 18 
Drei- und 11 Vierfarbeudrucktafeln. München 1914, Ver¬ 
lag von J. F. Lehmann. Seitenzahl 99. Preis 10 M. 

Schuhmacher, J., Berlin. Zur Desinfektion mit Jod¬ 
tinktur in statu nascendi und ihren haltbareu Ersatz in 
fester Form. Sonderabdruck aus der „Deutschen mediz. 
Wochenschrift“, Nr. 22. 1914. Verlag von Georg Thieme- 
Leipzig. Seitenzahl 3. 

Weygandt, W., Hamburg. Soziale Lage und Gesundheit 
des Geistes und der Nerven. Aus „Würzburger Abhand¬ 
lungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin“. 
Würzburg 1914, Verlag von Kurt Kabitzsch. Preis des 
Heftes 1,70 M. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33 Jahrgang. I6l5/l6. 

Tort$d>rittc der IHedizin. 

Unter IHitwirkung hervorragender Tathmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 

Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Nr. 12 Verlag Johndorff & Co , Q m b. H., Berlin NW 87. 30. Januar 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., 0. m b H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Drei Fälle von kongenitaler Hypoplasie der 
Hoden. 

Von Dr. Boenheim. 

Seit Brown-Sequard 1889 der Societe de Bio¬ 
logie zu Paris über seine Versuche mit Ilodensaft-Ein¬ 
spritzungen berichtete, ist eine immense Arbeit 
in der Erforschung der Organe mit innerer Se¬ 
kretion geleistet worden Unter Organen mit innerer 
Sekretion oder hormonbildonden Organen verstehen wir 
.alle Organe, welche nachgewiesenermassen solche, die 
Funktionen entfernter Teile anregende oder überhaupt 
beeinflussende Stoffe liefern“ (Biedl). Sie verlassen also 
nicht, wie die Exkrete der Drüsen, den Körper, sondern 
treten in die Biutbahn ein lind üben ihre Wirkung an 
irgend einer anderen Stelle aus. Die Arbeiten, die sich 
mit diesen Körpern beschäftigen, haben aber nicht nur 
ein theoretisches Interesse. Sie sind vielmehr von grosser 
praktischer Bedeutung, da ihre Resultate zur Bekämpfung 
von Krankheiten führten, denen die Medizin bis dahin 
erfolglos gegenüber stand. Ich erinnere nur an die 
moderne Therapie des Kretinismus, der Prostatahvper 
tropiiie durch Kastration usw. 

Ich will im folgenden über 3 Fälle berichten, bei 
denen als Zufaiisbefund eine Unterentwicklung der Hoden 
beobachtet wurde. Wenn ich auch hier in Kriegszeiten 
nicht genaue Untersuchungen anstellen konnte, z. B. auf 
Stoffwechseluntersuchungen verzichten musste, wenn mir 
auch ferner hier nur eine mangelhafte Einsicht der 
Literatur möglich war, so glaube ich doch, dass diese 
Hille als kasuistischer Beitrag von Interesse sein dürften 
Ich lasse nun zunächst die Auszüge aus den Krankheits¬ 
geschichten folgen: 

No. 1 . A. H. geb. 1887, Korbmacher. 

Anamnese: Von den 11 Geschwistern des Patienten 
leben noch 6 , von denen eins dem Pat. im Körperbau 
ähnelt. Aus der Schule ging er mit 13 1 /, Jahr aus der 
2. Klasse ab. Als Kind will er viel gegrübelt haben. 
Er war viel mit Mädchen zusammen, spielte mit Puppen 
beit seinem 19. Lebensjahr hat er geschlechtlichen Ver¬ 
kehr. Verheiratet ist er seit 1911. Seine Frau ist jetzt 
gravide. 

Status: Es handelt sich um einen Menschen von 
grazilem Knochenbau. Seine Hauptmasse sind: 

Länge: 158 cm. 

Brustumfang: in Ruhe 88 cm, im Exspirium 80, im 
Inspirium 90 cm. 

Leibesumfang in Nabelhöhe: 80 cm. 

Länge des Brustbeins 16,5. 

Vom Jugulum bis zur Symphyse: 53. 


. Digitized by 



Von der Spina iliac. ant. sup. bis oberen Rand der 
Patella: 45 bis Malleolus ext. 87. 

Umfang der Mitte des Oberarms 27, der Mitte des 
Oberschenkels 47 cm. 

Die Muskulatur ist mässig entwickelt. 

Das Fettpolster ist sehr reichlich entwickelt, be¬ 
sonders an den Extremitäten, am Leib und an der Brust, 
wo die stark entwickelten Mammae femininen Typ zeigen. 
Die Haut ist weich und zart und fast unbehaart. Die 
Haare fehlen auf der Brust und am Bauch ganz. In 
der Achselhöhle sind sie mässig entwickelt, ebenso im 
Gesicht (Pat. lässt sich alle 4 Wochen rasieren). Kopf¬ 
haare o. B. Pubes o. B. Alles in allem macht Pat. 
einen femininen Eindruck. 

Innere Organe; am Herzen der Befund einer 
Mitralstenose. 

Schilddrüse vergrössert (kurzer, dicker Hals). 

Nervensystem: auffallend starkes Schwitzen. Die 
linke Lidspalte ist enger als die rechte. Bindehaut — 
und Rachenrttiexe sind aufgehoben, der Hornhauti eflex 
ist stark abgeschwächt. Sonst kein abweichender Be¬ 
fund der Reil exe. 

Psychisch macht Pat. einen trägen Eindruck. Schul¬ 
kenntnisse gut. Er spricht mit hoher Stimme. 

Geschlechtsorgane; Penis: normal. 

Testes: klein, etwa Erbsengrösse. 

No. 2. B. geb. 1890. Kaufmann. 

Anamnese: Aus der Familienanamnese sei hervor¬ 
gehoben, dass sämtliche Geschwister des Pat. verheiratet 
sind und Kinder haben. 

Er spielte in seiner Jugend mit Soldaten, prügelte 
sich mit anderen Kindern, mochte nie Puppen. Aus 
Poussieren und Flirten machte er sich nie etwas. Nicht 
verheiratet. 

Status: Es handelt sich um einen Mann von normal 
kräftigem Knochenbau. 

Seine Hauptmasse sind: 

Grösse 167 cm. Gewicht 75 kg. 

Brustumfang in Ruhe 96, im Exspirium 95, im In¬ 
spirium 103 cm. 

Bauchumfang in Nabelhöhe 88 cm. 

Länge des Sternums: 16 cm. 

Vom Ingulum bis zur Symphyse 58 cm. 

Länge des Arms vom Caput humeri bis Proc. styl, 
ulnae 65 cm. 

Länge von der Spina iliac. ant. sup. bis Malleolus 
ext. 102 cm. 

Umfang des Oberschenkels 44,5. 

Umfang des Oberarms 30 cm. 

Die Muskulatur ist gut entwickelt. Das Fettpolster 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 





110 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 12. 


ist ausserordentlich stark entwickelt, besonders am Ab¬ 
domen, an der Brust, sowie an den Oberschenkeln. 
Die Haut ist weich und zart, die Behaarung ist mangel¬ 
haft. Das Kopfhaar ist mässig entwickelt. Schnurr¬ 
und Backenbart fehlen vollständig, so dass Patient 
sich trotz seiner 25 Jahre noch nie hat rasieren 
lassen. Auf Brust und Bauch fehlen bis auf ganz kümmer¬ 
liche, spärliche Pubes die Haare vollständig. In der 
Achselhöhle geringe Behaarung. 

Die Mammae sind stark entwickelt. Auch fühlt 
man etwa handtellergrosse Drüsenkörper, so dass die 
Brust einen durchaus femininen Eindruck macht. Das 
Becken ist breit und Hach. 

Die Atmung hat rein costalen Charakter. 

Von Oiganen sei nur angeführt, dass die Mandeln 
sehr gross sind und ferner dass die Schilddrüse ver- 
grössert ist. 

Nervensystem : Rachen- und KonjunktivalreHex sind 
aufgehoben, Kornealreflex stark herabgesetzt. Dermo- 
graphie. Sonst normaler Befund des Nervensystems. 
Genitalia: Der Penis ist klein, etwa 1,5 cm lang, und 
dünn (Dicke eines Bleistiftes). Das Skrotum ist von nor¬ 
maler Grösse und durch die Raphe stark eingeschnürt, 

so dass die beiden Teile hier¬ 
durch das Aussehen von Labia 
majora bekommen. Die Tes¬ 
tes sind rudimentär, etwa von 
Erbsengrösse, und zwar ist 
der rechte grösser und dicker, 
während der linke, der tiefer 
steht, noch etwas kleiner ist. 
Die Nebenhoden sind von 
der Grösse der Testes, also 
im Verhältnis sehr gross. 

No. 3. P. R. 39 Jahre alt. 
Arbeiter. 

Anamnese: Sämtliche Ge¬ 
schwister des Pat. sind ver¬ 
heiratet und haben Kinder. 
Über sein eigenes Ge¬ 
schlechtsleben gibt er an, 
dass er seit einem Monat ver¬ 
heil atet sei. Seine Frau sei 
nicht schwanger. Aus Ver¬ 
kehr mit Frauen habe er sich 
nichts gemacht, so dass er 
bis zu seiner Ehe ohne ge¬ 
schlechtlichen Verkehr ge¬ 
lebt habe. Auch jetzt, in 
seiner Ehe, sei ihm dieser 
gleichgültig. In seiner Ju¬ 
gend hat Pat. nicht mit Sol¬ 
daten gespielt, sondern mit 
Puppen, die er sich selbst aus Flicken machte 

Status: Es handelt sich um einen Patienten von 
kräftigem Knochenbau, bei dem die Länge der Extremi¬ 
täten auffällt. (S. Bild). Seine Hauptmasse sind: 

Grösse: 174. 

Brustumfang in Ruhe 88, im Exspirium 87, im In- 
spirium 93. Die rechte Seite ist kräftiger entwickelt als 
die linke (46,5 : 41,5). 

Länge des Brustbeins: 23 cm. 

Von der Symphyse bis zum Jugulum 54 cm. 

Umfang (handbreit unter der Symphysis) des Ober¬ 
schenkels 53. 

Umfang des Oberarms 27 cm. 

Becken o. B. 

Die Kieferknochen sind breit. 

Die Muskulatur ist gut entwickelt. Das Fettpolster 
ist regelrecht, eher gering mit Ausnahme der Ober¬ 
schenkel. Die Haut ist weich und blass. Das Kopfhaar 
ist normal Schnurr- und Backenbart fehlen. In der 

Digitized by Google 



linken Achselhöhle geringe Behaarung, die rechts wie 
auch auf Brust und Bauch, mit Ausnahme ganz weniger 
Pubes, vermisst werden. 

Die Stimme ist hoch. 

Die inneren Organe o. B. 

Nervensystem: Rachen-, Bindehaut- und Ilornhaut- 
retlexe fehlen Dermographie. Ovarie. Sonstige Re¬ 
flexe usw. o. B. 

Genitalia; Die Geschlechtsorgane sind klein und 
machen den Eindruck, als wenn sie einem kleinen Jungen 
angehörten. Die Testes sind links etwa l'/, cm, rechts 
2 cm gross bei einer Dicke von cm und einer Breite 
von */ 4 cm. Verhältnismässig gross sind die Neben¬ 
hoden. 

Blutbild: weisse Blutkörperchen 11 700, rote 3 100 000. 
Hämoglobin nach Gowers-Sahli 80. 

In der Röntgenaufnahme des Schädels fallen die 
grossen Stirnhöhlen auf. 

Die Sella turcica ist Hach, auf keinen F'all ver- 
grössert. S. Abbildung, 



Wir sehen also in den drei eben mitgeteilten Fällen, 
so verschieden sie auch sonst sind, dass die Keimdrüsen 
(kongenital) hypoplastisch sind. Wir wollen uns deshalb 
zunächst kurz mit der Anatomie der Testes beschäftigen. 
Makroskopisch interessiert uns nur im Hinblick auf 
F all 3, dass normaliter ein nicht unbeträchtlicher Grössen¬ 
unterschied vorkommt, und zwar derart, dass der linke 
Hoden der grössere ist, während wir im letzten Fall 
den umgekehrten Befund erhoben. Wichtiger für unsere 
Frage ist die mikroskopische Anatomie. Seit der Mitte 
des vorigen Jahrhunderts ist bekannt, dass im Hoden 
neben den germinativen Zellen noch andere Vorkommen, 
die nach ihrem Entdecker Levdig benannt sind und die 
nach ihrer Lage auch als Zwischenzellen bezeichnet 
werden. Während man früher in diesen Zellen trophische 
Elemente sah, weiss man heute, dass in ihnen ein „inneres 
Sekret“ gebildet wird, das die sekundären Geschlechts- 
Merkmale beeinllusst. Bei Zugrundegehen der Samen- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 12. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


111 


bildner kommt es zu einer Hypertrophie des Interstitiums, 
so dass es dadurch z. B. erklärlich wird, dass durch 
Röntgenstrahlen, die elektiv auf die germinativen Zellen 
wirken, der Geschlechts-Charakter nicht verändert wird. 
Auch im normalen Leben wechselt der Anteil der 
Zwischenzellen im Laufe der verschiedenen Lebens¬ 
perioden, was wir am besten mit ßiedl folgendermassen 
ausdrücken können: „Von der Geburt bis etwa zum 
Reginn der Pubertät, in jener Altersperiode, wo die 
sexuelle Divergenz in somatischer Beziehung am wenigsten 
ausgeprägt ist, erscheint auch die interstitielle Drüse 
relativ am wenigsten entwickelt. Die Pubertät wird 
durch eine mächtigere Entwicklung der Zwischenzellen 
eingeleitet, während die histologische Untersuchung der 
Hoden alter 'I'iere und des Menschen im Greisenalter 
eine deutliche Abnahme der Menge und Grösse, eine 
auch im auffallenden Pigmentreichtum und Mangel an 
Zelleinschlüssen sich manifestierende Atrophie der inter¬ 
stitiellen Zellen ergibt “ Ein weiteres Eingehen auf das 
Verhalten der Leydigschen Zellen bei pathologischen 
Zuständen würde hier zu weit führen. Eine genaue Zu¬ 
sammenstellung der bekannten Tatsachen, der Probleme 
und der Literatur findet man bei Riedl. Uns genügt 
hier darauf hinzuweisen, dass man bei Sektionen bei 
Atrophie des Hodens oft Vermehrung der interstitiellen 
Zellen, mitunter mit Pigmentablagerung, fand. 

Wie beeinflusst nun eine Atrophie der Hoden das 
Geschlechtsleben? Während uns im Fall 1 der Patient 
angab, dass er geschlechtlich sehr rege sei, so dass ihm 
seine Frau sogar nicht genügt, hörten wir von den beiden 
andern Patienten, dass sie ohne Libido wären. Zur Er¬ 
klärung dieser zunächst befremdenden Tatsachen müssen 
wir bedenken, dass der Geschlechtstrieb nicht nur durch 
das innere Sekret der Hoden ausgelöst wird, sondern 
auch cerebral bedingt ist, wenn man auch den Haupt¬ 
anteil an der Auslösung der Libido in die Hodenhormonen 
verlegt. Auch hängt ja von dem Grade der Atrophie 
viel ab. So schreibt z. B. Ziemssen, dass die ge¬ 
schlechtliche Funktion nur bei höchstem Grade der 

Atrophie der Keimdrüsen aufgehoben wird, dass Ver¬ 
kleinerung und Schlaffheit des Hodens dagegen die 

Potenz kaum beeinträchtigen. Wenn uns auch durch 
diese Tatsachen das Verhalten des Patienten in Fall 1 
nicht ganz unerklärlich ist, so sei doch gesagt, dass es 

nicht das gewöhnliche ist, dass man vielmehr in der 

Regel ein Verhalten wie in den beiden anderen F'ällen 
trifft. 

Betrachten wir nun die Veränderung in den Eigen¬ 
schaften, die durch eine Atrophie der Geschlechtsdrüsen 
hervorgerufen werden, so ist das Auffallende das, dass 
diese Aeuderung durchaus nicht immer in derselben 
Richtung vor sich geht. Immer findet eine Änderung 
des Wachstums statt, das eine Mal aber wrird das Längen¬ 
wachstum, das andere Mal das Fettwachstum beeinflusst, 
so dass nach Tandler und Gross 2 Typen von 
Kastraten existieren. Auch in unseren Fällen sind 
beide Typen vertreten. In Fall 1 und 2 fällt die starke 
Entwicklung des Fettes auf, w'ährend in Fall 3 die langen 
Extremitäten, sowie die vorspringenden, breiten Super- 
zilialbogen und das breite Kinn die Aufmerksamkeit auf 
8| ch lenken. Da wir wissen, dass die Hypophyse von 
entscheidendem Einfluss auf das Knochenwachstum ist 
(ich erinnere an die Akromegalie), so liegt es nahe, 
daran zu denken, dass die direkte Beeinflussung des 
Knochenwachstums nicht von der Keimdrüse, sondern 
von der Hypophyse ausgeht Eine ausreichende Ant- 
"Ort lässt sich heute darauf noch nicht geben. Von 
den meisten Autoren wird eine Vergrösserung der Hypo¬ 
physe bei Kastraten und bei Eunuchoiden angegeben; 
aber röntgenologisch ist nur selten eine Vergrösserung 
der SeiIa turcica nachweisbar, so auch in unserem Falle 
nicht. Hierher gehört auch der sich in der Literatur 



findende Hinweis, dass die Steigerung des Wachstums 
zur Zeit der Pubertät stattfindet. Unsere dahingehende 
Frage wurde allerdings von unserm Patienten negiert. 
Hier sei auclt noch bemerkt, dass die beiden Formen 
sich auch in ihrem Blutbild nach Guggenheimer 
unterscheiden sollen, dass man bei dem Typ mit Körper¬ 
wachstum eine Vermehrung des Hämoglobingehaltes und 
der Zahl der roten Blutkörperchen finden soll, was für 
unseren Fall nicht zutrifft. 

Konstant findet man bei Eunuchoiden und bei 
Kastraten eine Änderung in der Behaarung, nicht etwa 
in dem Sinne, dass sie femininen Charakter annähme. 
Vielmehr handelt es sich immer um ein Spärlicher werden. 
Während das Kopfhaar eher dichter wird, fehlt die Be¬ 
haarung ganz im Gesicht, am Rumpf und an den Ex¬ 
tremitäten. Nur in der Achselhöhle findet man einen 
Anflug, und auch die Pubes sind verkümmert. Die An¬ 
ordnung der letzteren ist nie so, dass sie nach oben 
durch eine horizontale Linie abschneiden Auch in un¬ 
seren 3 F'ällen konnte man noch die für den Mann nor¬ 
male Form eines Dreiecks angedeutet finden. 

In Bezug auf die Stimme konnten wir jedesmal fest¬ 
stellen, dass sie ihren kindlichen Charakter behalten 
hatte. Also auch hier ist kein Umschlag ins Weibliche, 
wie das ja aus der Geschichte der Kirchenchöre be¬ 
kannt ist; man kastriert Knaben, um Sopranstimmen zu 
erhalten. 

Dass die Psyche verändert wird, ist verständlich. 
Man findet oft einen phlegmatischen Charakterzug bei 
Kastraten, so bei uns in Fall 1. Jedoch wird nicht be¬ 
obachtet, dass die Eigenschaften, die dem weiblichen 
Geschlecht zugeschrieben werden, bei ihnen in den 
Vordergrund treten. So hörten wir von einem unserer 
Patienten, dass er sich als Kind gerne mit den andern 
Jungen rumprügelte und dass er am liebsten mit Sol¬ 
daten spielte, während uns allerdings die beiden andern 
als Mussebeschäftigung ihrer Kindheit Spielen mit Puppen 
angaben. 

Wir haben oben schon die Wechselbeziehungen der 
Keimdrüsen, bezw. ihres interstitiellen Anteils, mit der 
Hypophyse besprochen und müssen nun noch die 
Wechselbeziehungen zu einigen anderen Organen be¬ 
trachten. 

Das Persistieren der Thymus wird auf den Einfluss 
der Keimdrüsen bezogen. Wichtiger ist der Einfluss 
auf die Glandula thyreoidea. Tandler und Gross 
(zitiert nach Biedl) fanden eine bedeutende Verkleinerung 
der Schilddrüse bei der Sektion. Um so auffallender 
ist es, dass wir zweimal eine Vergrösserung palpieren 
konnten. Allerdings ist ja damit noch nicht gesagt, ob es sich 
um eine Vermehrung funktionstüchtigen Gewebes handelt. 
Dass es sich aber bei den von Tandler und Gross 
erhobenen Befunden wohl doch nicht um einen allge¬ 
mein gültigen Status handeln dürfte, dafür spricht, 
meiner Meinung nach, dass bei Kastraten und Eu¬ 
nuchoiden nicht häufiger Intelligenzdefekte beobachtet 
werden. 

Auch zwischen Nebennieren und Keimdrüsen be¬ 
steht eine Wechselwirkung, der Art, dass nach Kastration 
eine Hypertrophie der ersteren eintritt. Damit hängt 
vielleicht auch das Verhalten von Kastraten gegenüber 
von per os zugeführten grossen Mengen Traubenzucker 
zusammen. Es ist bekannt, dass nach 150—200 g 
Traubenzucker, nüchtern genommen, nach etwa 1 St. 
Zucker im Urin nachweisbar ist, und zwar für die Dauer 
von etwa 3 Stunden. Unter gewissen pathologischen 
Umständen besteht nun eine Herabsetzung der Toleranz¬ 
grenze. Man hat dies u. a. bei kastrieiten Tieren und 
bei Frauen nach der Ovariotomie beobachtet, während 
meines Wissens keine Beobachtungen über den Einfluss 
der Kastration bei Männern auf den Kohlehydratstoff¬ 
wechsel vorliegen, wie auch nicht über seine Abweichungen 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 






112 


Nr. 12. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


bei Eunuchoiden. Bei der Änderung des Kohlehydrat- 
Stoffwechsels müssen wir uns, wie oben beim Längen¬ 
wachstum, die Frage vorlegen, ob die letzte Ursache in 
den Keimdrüsen liegt. Wissen wir doch, dass der Kohle¬ 
hydratstoffwechsel von vielen Organen beeinflusst wird, 
von denen wir hier nur 2 heranziehen wollen: die Neben¬ 
nieren und die Schilddrüse Dass die ersteren bei 
Kastraten hvpertrophieren, haben wir schon oben aus¬ 
geführt. Nun ist bekannt, dass das Sekret des einen 
Anteils der Nebennieren, das Adrenalin, injiziert, 
Glykosurie hervorruft. Andererseits bringt der Ausfall 
der Keimdrüsen der Literatur zufolge eine Verkleinerung 
der Schilddrüse mit sich, und bei Hypothyreosis finden 
wir eine Erhöhung der Toleranzgrenze für Zucker. 
Diesen Widerspruch könnten wir lösen, wenn wir an¬ 
nehmen, dass die Beeinflussung der Nebennieren die 
stärkere ist. Nun ist es aber gar nicht nötig, voraus¬ 
zusetzen, dass die Kohlehydratstoffwechsel - Beein¬ 
flussung nur indirekt von den Keimdrüsen stattlindet; 
denn Stolper hat im Tierexperiment durch Verfiitterung 
von Keimdrüsentabletten (er nahm Ovarialtabletten) die 
Adrenalinglykosurie herabsetzen können. 

In unserm ersten Fall hatten wir wahrend der Be¬ 
handlung zweimal Gelegenheit, Traubenzucker in grösserer 
Menge zu geben. Patient bekam einmal ISO g, das 
andere Mal 250 g. Da wir bei dem Patienten eine Ver- 
grösserung der Schilddrüse festgestellt hatten, so er¬ 
warteten wir eine um so stärkere Herabsetzung der 
Toleranzgrenze. Unser Erwarten wurde aber nicht er¬ 
füllt. Wir konnten keinmal mit unseren klinischen Me¬ 
thoden Zucker im Urin nachweisen. Eine Erklärung für 
dieses Verhalten können wir nicht geben, und wir wollen 
zunächst weitere Beobachtungen bei männlichen Kastraten 
abwarten und nur hinzufügen, dass auch Umber in 
seinem Buch „Ernährung und Stoffwechselkrankheiten“ 
einen Fall mit erhöhter Kohlehydrattoleranz mitteilt. 

Zum Schluss möchte ich noch darauf aufmerksam 
machen, dass sämtliche drei Patienten neurasthenisch 
waren, wie u. a. auch aus dem Verhalten ihrer Reflexe 
hervorgeht. 

Von einer Literatur-Angabe sehe ich ab, da ich an 
meinem jetzigen Aufenthaltsort keine Möglichkeit des 
Nachprüfens meiner Notizen habe. In der Hauptsache 
folgte ich der Darstellung von Biedl: Innere Sekretion. 


Diabetes-Behandlung mit Levurinose. 

Von Dr. med. Jüngerich, Spezialarzt für Stoffwechselkrankheiten 
in Berlin. 

In den letzten Jahren ist ein schon im Altertum be¬ 
kannt gewesenes Heilmittel, welches dann später ziem¬ 
lich in Vergessenheit geraten ist, wieder zu Ehren ge¬ 
kommen, die Hefe. Neben der äusserlichen Anwendung 
bei Hautkrankheiten, Ekzemen, Furunkeln, neben der 
Verordnung von Hefepräparaten zur örtlichen Applikation 
in der Gynäkologie hat sich auch der innerliche Ge¬ 
brauch der Hefe bei den verschiedenen Dermatosen sehr 
gut bewährt. Hierzu ist nun noch ein recht wichtiges 
Indikationsgebiet gekommen, der Diabetes. 

Besonders eingehende Versuche über die Wirkung 
der Hefe bei Diabetes hat Leo vor nunmehr fast 20 
Jahren angestellt. Er berichtete darüber auf dem 16. 
Kongress für innere Medizin im Jahre 1868. Es war 
ihm bei seinen Tierversuchen möglich gewesen, 
Hunde, die er durch Darreichung vergorener Zucker¬ 
lösung diabetisch gemacht hatte, durch subkutane Ein¬ 
spritzung von Hefesaft vollkommen zuckerfrei zu 
machen. 

Durch verschiedene Autoren wurden diese Versuche 
im Laufe der folgenden Jahre fortgesetzt, und es zeigte 

Digitized by Google 


sich, dass auch beim Menschen durch Darreichung von 
Hefe die Zuckerausscheidung durch den Urin herab¬ 
gesetzt oder sogar völlig unterdrückt werden konnte. 
In welcher Weise diese tatsächlich beobachtete Wirkung 
zustande kommt, darüber sind die Ansichten durchaus 
noch nicht geklärt. Am plausibelslen erscheint mir noch 
die Theorie Baumgartens, dass dem Diabetiker 
ein gewisses Feiment fehle, das es ermögliche, das in¬ 
takte Zuckermolekül zu zerlegen, um dann die Abbau¬ 
produkte oxydieren zu können. Baumgarten 
stützt sich dabeigewissermassen auf die Lepinesche Theorie 
über die Ätiologie des Diabetes. Aus der Tatsache, dass 
nach totaler Pankreas-Exstirpation, — wie Mering und 
Minkowski durch eine Anzahl interessanter Versuche 
bewiesen hatten, Glykosurie auftrat, schloss Lepine, dass 
das Pankreas normaler Weise ein glykolytisches Ferment 
produziere, das die Aufgabe habe, den Blutzucker zu 
zerstören. Dies fehlende Ferment soll nun gewisser- 
massen durch die zugeführte Hefe ersetzt werden. Die 
Hefe enthält bekanntlich ein zuckerspaltendes Ferment, 
die Zymase, welche den Zucker in seine-Abbauprodukte 
zerlegt; gibt man also dem Diabetiker Hefe, so ermög¬ 
licht man es ihm, die Kohlehydrate richtig auszunutzen. 

In der Tat haben denn auch die zahlreichen Ver¬ 
suche mit Hefe durchweg günstige Resultate ergeben. 
Man muss selbstverständlich diejenigen Fälle von vorn¬ 
herein ausscheiden, bei denen die Zuckerkrankheit auf 
besondere andere Ursachen, z. B. Verletzungen des Ge¬ 
hirns usw. zurückzuführen ist. Wendet man jedoch die 
Hefe nur in denjenigen Fällen an, in denen es sich um 
Diabetes infolge von inneren. Stoffwechselstörungen 
handelt, so sind die Erfolge der Hefetherapie recht 
günstige. 

Die Anwendung der frischen Bierhefe, deren man 
sich früher wohl bediente, erscheint wenig zweckmässig 
wegen der sehr geringen Haltbarkeit derselben und 
wegen des faden, widerlichen Geschmacks. Die che¬ 
mische Industrie hat daher eine ganze Reihe recht brauch¬ 
barer Trockenhefe-Präparate hergestellt, unter denen ich 
mit besonderer Vorliebe schon seit Jahren die Levurinose- 
Blaes anzuwenden pflege. Es scheint mir vor anderen 
Trockenhefepräparaten den Vorzug einer erheblich 
stärkeren Wirksamkeit zu besitzen, was wohl auf die 
Art der Zubereitung zurückzuführen sein dürfte, bei 
welcher die Hefe nicht in ihrem natürlichen Bau und 
ihrer natürlichen Zusammensetzung geändert wird, wie 
dies bei den mit Äther oder Alkohol oder durch Trocknen 
in der Hitze hergestellten Hefepräparaten der Fall ist. 
Die Levurinose hat jedenfalls eine recht hohe enzymatische 
bezw. Gärwirkung. 

Aus der Zahl der von mir beobachteten Fälle möchte 
ich kurz einige hervorheben. 

1. Friedrich K., Schriftsteller, 53 Jahre alt, leidet seit Jahren 
an Diabetes. Er ist insofern erheblich belastet, als ein Onkel 
an Zuckerkrankheit gelitten hat und sein Vater ziemlich schwer 
gichtkrank war. Er selbst hat recht üppig gelebt und in seinen 
Jugendjahren reichlich Alkohol genossen Der Zuckergehalt 
beträgt bei beliebiger Kost bis zu 6 Proz, bei Innehaltung 
einer strengen Diät sinkt er auf etwa 1 Proz. herab Zucker¬ 
frei ist K. bisher trotz aller Heilmittel und Karlsbader Kuten 
noch nicht gewesen seit Beginn der Erkrankung. Der Patient, 
der früher anderweitig behandelt worden war, batte lange keinen 
Arzt gebraucht, da er die ihm gegebenen Anordnungen je 
nach seinem schlechten oder guten Befinden befolgte oder nicht. 
Ging es ihm schlecht, hatte er irgendwelche Beschwerden, so 
befolgte er eine strengere Diät, Hessen die Beschwerden nach, 
so ass er, was ihm schmeckte. Ich untersuchte bei Begiun 
der Behandlung den L?rin und fand 6,3 Proz.; die Hauptlie¬ 
schwerden des Patienten bestanden zur Zeit in hochgradiger 
Mattigkeit und Furunkelbildung an verschiedenen Stellen des 
Körpers. Ich Hess den Patienten strenge Diät halten und 
verordnete Levurinose in der üblichen Dosis. Der Zuckerge- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 12. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


113 


halt sank nach drei Tagen auf 3,1 Proz., nach G Tagen auf 
1,6 Proz Bei einer nach 10 Tagen vorgenonimenen Unter¬ 
suchung war der Zuckergehalt, obwohl die strengen Diätvor¬ 
schriften inzwischen ganz erheblich gemildert worden waren, 
auf 0,6 Proz. gefallen Ich liess den Patienten, der sich nur 
ungern an Einschränkungen in seiner Lebensweise gewöhnen 
wollte, w'ederzu gemischter Kost zurüekkehren, gab aber weit; rhin 
Levurinose. Der Zuckergehalt blieb dauernd auf etwa 0,6 bis 
1,2 Proz., und stieg selbst nach Unmässigkeiten, die der Patient 
sich zuschulden kommen liess, nicht höher als 1,5 Proz. Es 
erscheint also in diesem Falle sicher, dass durch die Zuführung 
von Levurinose der Organismus des Kranken befähigt wurde, 
selbst grössere Mengen von zuckerbildenden Stoffen gut zu 
verarbeiten, ohne darauf mit einer erheblicheren Erhöhung des 
Zuckergehaltes im Urin zu reagiereu. 

2. Frau Ernestine L., Kaufmannswitwe, 54 Jahre alt, 
Vater an Zuckerkrankheit gestorben, leidet ebenfalls seit etwa 
8 Jahren an Diabetes. Zahlreiche Kuren, die meist völlig er¬ 
folglos waren. Der Aufenthalt in Karlsbad hat jedesmal eine 
beträchtliche Abnahme des Zuckergehalts zur Folge. Dasselbe 
Ziel wird ab:r auch hier durch Innehaltung strengerer Diät 
erreicht. Für gewöhnlich beträgt der Zuckergehalt bis zu 5,5 
Proz, bei strenger Diät sinkt er gewöhnlich bis etwa 2 Proz, 
auch etwas weniger. Die Patientin ist recht naschhaft und hat 
grosse Vorliebe für Süssigkeiten, Kuchen, Konditorwareu und 
es ist ausserordentlich schwer, sie von den Genuss dieser für 
sie schädlichen Dinge abzuhalten Sie suchte mich auf, weil 
sie in letzter Zeit sehr über Kopfschmerzen zu klagen hat, 
sich re< ht abgeschlagen fühlt und an Trockenheit im Hals 
leidet. Zuckergehalt 7,1 Proz, ein Resultat, das die Patientin 
selbst erschreckt. Aceton, Acetessigsäure nicht vorhanden. 
Spuren von Eiweiss. — Die Patientin, welche jetzt selbst Angst 
bekommen hat, befolgt die ihr gegebenen Verhaltungsmassregeln 
und Diätvorschriften ziemlich genau und nimmt Levurinose. 
Eine Vergleichufig des Zuckergehaltes bei den verschiedenen 


Untersuchungen ergibt folgende 

Resultate: 

17. 9. 14 . . 

. 7,1 Proz. 

20. 9. 14 . . 

. 6,3 „ 

24. 9. 14 . . 

■ 3,2 . 

30. 9. 14 . . 

• 0,9 „ 

5. 10. 14 . . 

• 1,2 „ 

11. 10. 14 . . 

- 0,8 „ 

15 10. 14 . . 

• 1,0 „ 

21. 10. 14 . . 

0,9 „ 


und weiterhin Schwankungen zwischen 0,7 und 1,4 Proz, nach 
Diälfehlern etwas mehr. 


3. Dr jur. F. W., 43 Jahre alt, seit mehreren Jahren 
zuckerkrank. Früher viel Alkohol getrunken, sehr gut gelebt. 
Schwankungen des Zuckergehaltes. zwischen 2 und 5 Proz. je 
nach Innehaltung der Diätvorschriften. Nach Kur in Karls¬ 
bad auf einige Tage zuckerfrei, dann aber wieder zwischen den 
oben genannten Zahlen schwankend. Die Levuriuosekur hatte 
folgende Wirkungen bei anfangs strenger, dann nachsichtiger Diät, 


3. 

10. 

14 . 

. 3,2 Proz. 

10. 

10. 

14 . 

- 0,7 „ 

16 

10. 

14 . 

. 0,5 „ 

24. 

10 . 

14 . 

frei 

31. 

10 . 

14 • 

. frei 

5. 

11. 

14 . 

Spuren 

11. 

11. 

14 . 

. Spuren 


In diesem Falle war die Kur von geradezu überraschendem 
Erfolge gewesen Hand in Hand mit der Verringerung des 
Zuckergehaltes ging natürlich auch eine ganz wesentliche 
Besserung des Allgemeinbefindens. Der Patient, der sich vorher 
sehr abgeschlagen fühlte und über Schmerzen in allen Gliedern 
klagte, sagte, er hätte sich seit vielen Jahren nicht so frisch 
und gesund gefühlt wie jetzt bei der Levurinose-Kur. 

4. Alfred A, Bankbeamter, 37 Jahre alt, leidet sei drei 
Jahren an Diabetes, angeblich infolge starker seelischer Er¬ 
regungen entstanden Der Zuckergehalt betrug meist zwischen 
1,5 und 3 Proz Das den Patienten um meisten belästigende 
Symptom ist der starke Durst sowie die recht häufig auftretenden 
Furunkel. Augenblicklich hat der Patient einen ziemlich 
grossen, bereits eröffneten Furunkel am Gesäss, ausserdem eineu 

Digitized by Google 


Hautausscblag zwischen den IJeinen. Die Levuriuosekur hatte 
folgende Wirkung; 

21. 10. 14 . . 

. 2,2 Proz. 

25. 10. 14 . . 

• 1,7 „ 

31. 10. 14 . . 

.0,1 „ 

10. 11 14 . . 

. Spuren 

16. 11. 14 . . 

. 0,3 Proz 

22. 11. 14 . . 

. frei 

28. 11. 14 . . 

. Spuren 

4. 12. 14 . . 

frei 

und auch weiterhin blieb der Urin 

zuckerfrei, obwohl der Patient 


allmählich zu gemischter Kost zurückgekehrt war 

In mehreren anderen Fällen, deren Aufzählung zu weit 
führen würde, waren die Resultate ganz ähnliche 

Ich bin daher der Ansicht, dass wir in der Levuiintfse 
ein sehr wertvolles Hefepräparat besitzen, welches gerade bei 
Diabetes recht gute Dienste leistet Irgendwelche unangenehmen 
Nebenwirkungen hat das Präparat nicht. Ich möchte dasselbe 
daher den Kollegen zu diesbezüglicheu Nachprüfungen sehr 
empfehlen 


Sammelbericht aus der geburtshilflichen Literatur. 

Von Dr. Kurt Frankenstein, Köln 

An dem grossen Materiale der Wiener Frauenklinik 
konnten Richter und II i e s s (1) feststellen, dass 
die physiologische Breite für die erste Geburt zwischen 
dem 17.—26. Lebensjahre liegt, ihr Optimum zwischen 
dem 18.—23. Jahre. Vom 26. Lebensjahre ab vollzieht 
sich der Übergang ganz allmählich, sodass wir vom 
26. Jahre ab mit der raschen Zunahme der Kompli¬ 
kationen rechnen müssen. Hirsch (2) stellte die 
Resultate zusammen, die anamnestische Befragungen der 
Frauen in der K 1 e i n sehen Poliklinik in München er¬ 
gaben. Er konnte feststellen, dass das Schicksal der 
Kinder von Multiparen mit steigender Kipderzahl immer 
trauriger wird. Unter Berücksichtigung der Stilidauer 
stellte sich heraus, dass in keiner Gegend das Stillwesen 
so sehr darniederliegt, als in Bayern südlich der Donau. 
Dabei sind die Mütter betreffs der Ersatzmittel für die 
Säuglingsnahrung recht gut beraten ; nur wird meist viel 
zu früh damit begonnen. Es lässt sich einwandfrei an 
seinem Materiale nachweisen, dass eine genügend lange 
Stillperiode hohe Gewähr und Schutz gegen alle an das 
kindliche Leben herantretende Fährlichkeiten bietet. Bei 
längerer Stilldauer fordern die einzelnen Krankheiten 
immer weniger Opfer. Zwischen kindlicher Rhachitis 
und Ernährung besteht ein deutlicher Zusammenhang. 
Die Stillungsnot lässt sich bei den unehelichen Kindern 
besonders zeigen. 

v. Feilenberg und D ö 1 1 (3) fanden, dass 
die normalen Antikörper, Bakterienagglutinine, ßakterio- 
lysine und Hämagglutinine bei Mutter und Kind sich 
verschieden verhalten ; es scheint, dass diese Stoffe weder 
vor der Geburt von der Mutter auf das Kind übergehen, 
noch nach der Geburt durch das Stillgeschäft. Die 
Arbeiten, die sich in der Berichtszeit mit der Abder- 
h a 1 d e n sehen Reaktion beschäftigen, zeichnen sich da¬ 
durch aus, dass sie die Richtigkeit derselben anerkennend, 
versuchen auf ihr weiter aufzubauen. Am interessantesten 
sind die Ausführungen Schottländers (8). der 
glaubt die paradoxen Resultate der Reaktion dadurch 
erklären zu können, dass er sie nicht von Stoffwechsel¬ 
produkten des Eies abhängig macht, sondern sie für ein 
Resultat eines irgendwie reagierenden epithelialen Se¬ 
kretes hält, das ebensowohl aus der Decidua als aus den 
Lutein- und Thekaluteinzellen stammen kann. Mayer 
(7) untersuchte mit der Reaktion nach entsprechender 
Modifikation eine ganze Reihe von Erkrankungen, be¬ 
sonders solcher bei denen er hofft Beziehungen zu den 
Ovarien zu finden. K j a e r g ;v r d (6) fand leichte 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









114 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 12. 


Andeutungen positiver Reaktion bei Nichtgraviden im 
priimenstruellen Stadium. Behne (5) versuchte die 
Reaktion in der Tiermedizin, ohne bisher hinreichend 
sichere Resultate zu verzeichnen. A k i m o t o (4) gibt 
lediglich an, dass er die gleichen Erfahrungen mit der 
Reaktion gemacht habe, wie es der Erfinder der Methode 
selbst angegeben hat. Serologisch interessant ist, dass 
v. Z u b r z y c k i (D) nachweisen konnte, dass Schwan- 
gerenserum ebenso wie das Serum von Karzinomkranken 
mit der Meiostagminreaktion positive Ergebnisse zeigte; 
das Plazenataserum verhielt sich wie normale Sera. 
F e 1 1 n e r (10) fand in der Plazenta, den Eihäuten, den 
korpusluteumhaltigen Ovarien lipoidartige Stoffe, welche 
bei subkutaner und intraperitonealer Injektion brunst¬ 
ähnliche Erscheinungen hervorriefen. Plazentarextrakte 
erzeugten beim überlebenden Kaninchenuterus lang¬ 
dauernde Kontraktionen. 

Van Tussenbroek (11) konnte eine Mehr¬ 
sterblichkeit der weiblichen Bevölkerung Amsterdams 
an Tuberkulose im Zusammenhänge mit Schwanger¬ 
schaft und Wochenbett nicht feststellen. Eine allgemeine 
Anweisung für die Unterbrechung der Schwangerschaft 
bei Tuberkulose findet in ihren Zahlen keine Unter¬ 
stützung. Kehrer und Dessauer -(12) konnten 
an der Lebenden durch bestimmte Anordnung der 
Apparatur und zwei Röntgenaufnahmen ganz exakte 
Messungen des geraden Durchmessers des Becken¬ 
einganges vornehmen. Weber (13) studierte die In¬ 
fektionsgefahr der Uterustamponade bakteriologisch und 
fand, dass eine Tamponade mit antiseptischer Gaze der 
mit steriler unbedingt vorzuziehen sei. Auch die anti¬ 
septische Gaze hält sich aber nicht länger als 7 Stunden 
keimfrei; um diese Zeit zu erhöhen, muss man die Gaze 
mit Kampferöl oder mit Perhydrol tränken. Im wesent¬ 
lichen wird die längere oder kürzere Keimfreiheit der 
eingelegten Gaze bedingt durch den primären Keim¬ 
gehalt des Uterus und durch die Art der Tamponaden¬ 
ausführung. Berger (15) schildert einen Fall, wo 
eine Frau in 25 Jahren 30 Schwangerschaften durch¬ 
gemacht hat. P e t e r s (17) macht darauf aufmerksam, 
dass wir jetzt mit Bestimmtheit wissen, dass das be¬ 
fruchtete Eichen bei einer Schwangerschaft niemals der 
Ovulation entstammte, die zur Mestruation gehörte, 
welche wir als die letzte bezeichnen. Wir rechnen aber 
nach wie vor die Schwangerschaftsdauer von dem Beginn 
der letzten Regel ab. Es wäre an der Zeit auf diese 
Verhältnisse an der Hand umfangreicher Sammelstatistiken 
einzugehen und die tatsächliche Schwangerschaftsdauer 
festzulegen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass 
die zur Schwangerschaft gehörende Ovulation 18—19 Tage 
nach dem Beginn der letzten Regel erfolgt. 

A h 1 f e 1 d (18) regt von neuem die Frage über 
den Einfluss der präliminaren Scheidenspülungen auf die 
VVochenbettsmorbidität an und gibt die nötige genaue 
Versuchsanordnung an. Zweifel (19) empfiehlt auf 
Grund seiner Versuche bei normalen Schwangeren von 
jeder Scheidenspülung ante partum abzusehen; bei 
Schwangeren mit pathologischem Scheidensekret dürfte 
es zweckmässig sein, erst mit 1—21 Kochsalzlösung die 
Scheide mechanisch zu reinigen und dann mit 100 bis 
200 ccm einer halb-promilligen Sublimatlösung durch¬ 
zuspülen. Schweizer (20) empfiehlt statt dessen im 
gleichen Falle Spülungen mit Milchsäure. Enge 1 - 
h o r n und W i n t z (21) veröffentlichen sehr interessante 
vorläufige Versuche. Sie impften mit einem bestimmten 
Plazentarextrakt, dem „Plazentin“ und erhielten bei 
Schwangeren positiven, bei Nichtgraviden negativen 
Ausschlag. Leichte Andeutungen einer Reaktion zeigten 
sich kurz vor der Menstruation. Definitiv sicher dia¬ 
gnostisch verwertbar scheint ihre Methode noch nicht. 
Keller (22) fand während der Gravidität starke Vaku- 
larisation im Ovarium, Wachstum der Theca-luteinzelleu 

Digitized by Google 


usw. Eireifung und Follikelberstung sistierten während 
dieser Zeit, die Rückbildung des Corpus luteum geht 
keineswegs gesetzmässig vor sich. 

Die Beziehungen der Schilddrüse zur Schwanger. 
Schaft stellt Schmauch (24) so dar, dass eine nor¬ 
male Gravidität mit gesundem Endprodukt nur möglich 
sei, wenn die Schilddrüse stärker sezerniert. Dies soll 
nicht der Entgiftung, sondern nur dem Zwecke dienen, 
das mütterliche Blut und die Gewebe anzureichern. 
Aus diesem Überschuss nährt sich die Frucht. H o f- 
m a n n (23) fand bei Schwangeren mit normaler Thy¬ 
reoidea die Gerinnungszeit des Blutes etwas beschleunigt, 
stärker noch bei Hypothyreosen; durch die Geburt wird 
die Gerinnungszeit noch mehr verkürzt. Im Wochenbett 
stellen sich allmählich wieder normale Gerinnungsver¬ 
hältnisse her. Nach Müller (25) bilden Geburt und 
Schwangerschaft die Hauptdisposition zu Erkrankungen 
der Schilddrüse. Normale Schilddrüse in der Schwanger¬ 
schaft ist in Kropfgegenden selten; die Zahl der Gravidi¬ 
täten erhöht diese Disposition. Anschwellungen der 
Drüse sind dabei meist vorübergehend. Der endemische 
Kropf spielt in der Ätiologie des allgemein gleichmässig 
verengten Beckens im Kanton Bern die Hauptrolle. 
Lehmann (26) hält die habituelle Schwangerschafts¬ 
unterbrechung für eine Hypofunktion der Drüsen mit 
innerer Sekretion, ohne dass es uns mit unseren Hilfs¬ 
mitteln möglich wäre, diese Annahme zu sichern oder 
die Primärerkrankung einer Drüsengruppe festzustellen. 
Infolgedessen hält er die erfolgreiche Therapie mit Jod¬ 
kali und Eisen für eine kausale Therapie, die vielleicht 
die Funktion der inneren Drüsen günstig beeinflusst. 

Jung mann (28) . beschreibt zwei Fälle von 
schwerer Anämie in der Gravidität, die wohl als Gra¬ 
viditätstoxikose aufzufassen sind. L'u d w i g (29) 
handelt den Ileus in Verbindung mit den Gestations- 
vorgängen klinisch im Zusammenhänge ab; er sieht in 
den Verschiebungen des Abdominalinhaltes in der 
Schwangerschaft das auslösende Moment für den Ileus. 
Rosenstein (30) macht auf die erschreckend hohe 
Mortalität der Appendizitis in der Schwangerschaft auf¬ 
merksam, die nur durch frühzeitige Diagnose und 
Operation gebessert werden kann. K r e i s s (31) und 
Eisen bach (32) stellen übereinstimmend fest, dass 
die Komplikation von Herzfehler und Schwangerschaft 
lediglich von der Beschaffenheit des Herzmuskels ab¬ 
hängt. Der günstige Erfolg, den B a r b e y (33) bei der 
Behandlung einer Ischias in der Gravidität mit 
Ringer scher Lösung 'sah, legt ihm den Schluss nahe, 
dass es sich hier um eine Schwangerschaftstoxikose ge¬ 
handelt habe. Die Arbeiten 34 — 36 sind nur kasuistischen 
Inhaltes, v. Neugebauer (37) macht Bemerkungen 
über die Häufigkeit, Diagnose usw. bei isochroner hete- 
rotoper Zwillingsschwangerschaft 

Über Abort schreiben E b e 1 e r (38), der für die 
aktive Behandlung, Trau gott (39), der für die ex- 
spektative Behandlung eintritt; H o f m a n n (40) nimmt 
die Einleitung des Abortes zugleich mit der Tubensterili¬ 
sation per laparatomiam vor. 

S e 1 1 h e i m (42) macht aufmerksam, dass bei der 
natürlichen Geburt die Kraft der Wehen nicht nur als 
vis a tergo wirkt, sondern auch als vis ab omni latere 
während der Wehe verformend auf den Fruchtkörper 
einwirkt. Am nächsten kommt der natürlichen Geburt 
die Expression nach Kristeller, während bei der 
Zange nur die Zugkraft in Erscheinung tritt, eine Ver¬ 
formung besonders der Schultern aber gerade wie bei 
der Extraktion am Beckenende ausbleibt. Schneider 
(43) konstruierte eine Zange, deren Löffel mit den 
Stielen um eine senkrecht auf die Löffelfläche stehende 
Achse beweglich verbunden sind. Zum Einführen wird 
der Löffel festgestellt, nach Schluss der Zange diese 
Fixierung gelöst. Diese ,, Adaptionszauge“ soll die 

Origiral frcm. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









Nr. 12. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


115 


Weichteilverletzungen vermindern und die Operation er¬ 
leichtern. Der unglückselige Forzeps iutrauterinus Neu- 
wirth belastet die Literatur der Berichtszeit noch drei¬ 
mal (44—46). Gabaston (47) schlägt vor, um das 
manuelle Eingehen zur Lösung der Plazenta zu umgehen, 
die retinierte Plazenta von der Nabelvene aus durch 
sterile Kochsalzlösung aufzuspritzen. Er verursacht hier¬ 
durch ein retroplazentares Hydrom, das zur vollständigen 
Ablösung der retinierten Plazenta führt, und hofft, dass 
der hierdurch bedingte Wehenreiz zur Ausstossung der 
Plazenta führt. G r ä f (48) empfiehlt die manuelle 
Aortenkompression zur Stillung postpartaler Blutungen, 
K r e i s s (46) zu dem gleichen Zwecke die intravenöse 
Injektion von Hypophysin. 

K ü s t n e r (50) gibt eine ausführliche Übersicht 
über seine extraperitonealen Kaiserschnitte; er stellt fest, 
dass diese Methode bei ihm alle Verfahren verdrängt 
habe, die als Konkurrenzoperationen gelten können. 
Zur Hauptsache wendet er ihn an, bei knöchernen Ver¬ 
engerungen der Geburtswege, sobald es evident ist, dass 
das Kind lebend das Becken nicht wird passieren können, 
gleichgültig ob die Kreissende infiziert war oder nicht. 
Keine Mutter ist einer Puerperalinfektion erlegen; der 
klassische Kaiserschnitt hätte in der Hälfte seiner Fälle 
nicht mehr gemacht werden dürfen. Fuchs (51) 
hält die Spontangeburt bei totaler Ankylose beider Hüft¬ 
gelenke bei Kopflage für möglich, bei Beckenendlage 
ist der Kaiserschnitt wegen des beschränkten Zuganges 
zur unteren Beckenapertur im Interesse des Kindes an¬ 
gezeigt. Einen seltenen Fall von Eklampsie bei Abort 
schildert B o 1 1 a g (52), ebenso selten ist der Fall von 
Zweifel (53). Polemischer Natur gegen Nacke ist 
der Artikel von Lichten stein (54). Schiller 
(55) präzisiert den Standpunkt der Königsberger Klinik 
bezw. der Eldampsiebebandlung. Prinzipiell wird an der 
Frühentbindung festgehalten, als Ideal wäre die Ent¬ 
bindung bei Auftreten der prämonitorischen Symptome 
anzusehen. Bei ausgetragener Gravidiiät besonders Erst¬ 
gebärender käme der Kaiserschnitt in Frage, bei Früh¬ 
geburten und Mehrgebärenden der vaginale Oterusschnitt. 
ln den Fällen, bei denen das Zeitintervall zwischen Aus¬ 
bruch der Erkrankung und Entbindung sehr gross ist, 
kann die Operation die Katastrophe herbeiführen, hier 
tritt das konservative Verfahren nach Stroganoff in 
Wirkung, ebenso kommt dieses in Betracht, wenn die 
äusseren Verhältnisse einer operativen Entbindung a tout 
prix entgegen stehen. Aschner (56) glaubt, dass 
bei der posteklamptischen Amnesie eine Störung der 
Psyche vorliege, weil sie sich nicht nur auf die Tage 
der Bewusstlosigkeit beschränkt. 

Guggisberg (57) fand, dass ausser der Hypo¬ 
physe noch andere Drüsen mit innerer Sekretion er¬ 
regend auf die Motion des graviden Uterus wirken, be¬ 
sonders Extrakte von Thyreoidea und Plazenta. 
Lindem ann und Ascliner (58) untersuchten 
eine Reihe vasokonstriktorischer Mittel und fanden, dass 
diese in gleicher Weise wehenerregend wirken. Mos- 
b a c h e r (56) konnte zeigen, dass Thyreoidea im Tier¬ 
experiment abortierend wirke, bei der kreissenden Frau 
war Beigabe von Adrenalin zur Wehenverstärkung 
nötig, die Wirkung blieb hinter der Pituitrinwirkung 
zurück. O e r t e 1 (60) zieht das Laudanon in der Ge¬ 
burtshilfe dem Morphium vor, das weniger die Wehen¬ 
tätigkeit beeinflusst und weniger auf das Atemzentrum 
des Kindes wirkt; auch bei Eklampsie sah er gute Er¬ 
folge von dem neuen Mittel. Aus den gleichen Gründen 
bevorzugt Klaus (61) das Narkophin, das nur den 
-Nachteil hat, dass die Schmerzlinderung erst nach einer 
Viertelstunde eintritt. Esch (62) arbeitete eine Indi¬ 
vidualisierung der Pantopon-Skopolamindarreichung intra 
partum aus unter Berücksichtigung des Körpergewichtes. 
Er erkennt als Kontraindikationen dieser Mittel alle Ge- 

Digitized by Google 


bürten, bei denen von vornherein eine Verzögerung der 
Geburt zu erwarten oder bei denen eine Beschleunigung 
derselben erwünscht ist. Ein Vorteil seiner Methode ist, 
dass bei Auftreten von unerwünschten Nebenerscheinungen 
die Behandlung sofort abgebrochen werden kann. 

I I e n n e (63) hält die Reposition der vorgefallenen 
Nabelschnur auf einem zusammengeknüllten Tuche für 
ein absolut sicheres Verfahren. N e b e s k y (64) bringt 
umfangreiche Untersuchungen über Nabelschnurzer- 
reissung sub partu. Er hält den freien Fall des Kindes 
für genügend, um eine vollständige Abreissung der Nabel¬ 
schnur herbeizuführen; besonders prädisponiert ist das 
fötale Drittel der Schnur. Die Zerreissung kann auch 
allein durch die Wehenkraft bei kurzer Schnur ver¬ 
ursacht werden; spontane und artefizielle Durchtrennung 
der Nabelschnur ist nicht zu differenzieren. Das Ver¬ 
halten der Sülze und der Windungen der Schnur sind 
ohne Belang. Küster (65) berichtet über eine Ge¬ 
burt nach Vaginofixation, bei der die Patientin an Uterus¬ 
ruptur mit Luftembolie zugrunde ging; er plädiert für 
nicht zu langes Abwarten bei derartigen Komplikationen 
und hält es für sicher statt einer Vaginifixur lieber der 
vaginalen Plastik einen Alexander - Adams folgen zu 
lassen. Jonas (66) beschreibt zwei Fälle von Üterus- 
inversion, bei denen er neben einer Atonie des Uterus 
eine starke Herabsetzung der blutdruckerhöhenden Sub¬ 
stanzen im Serum feststellen konnte. T r a u g o t t (67) 
konnte von neuem zeigen, dass zum Zustandekommen 
der spontanen oder artefiziellen endogenen Infektionen 
die im Vaginalsekret Kreissender vorhandenen Strepto¬ 
kokken eine gegenüber anderen Faktoren nur ganz unter¬ 
geordnete Rolle spielen. Das Material der Strassburger 
Frauenklinik zeigte (68), dass weder die bakteriologische 
Scheidensekretunteriuchung noch die Blutuntersuchung 
imstande ist, bezw. der Diagnose und Prognose puer¬ 
peraler Infektionen sichere und eindeutige Unterlagen 
zu geben. Knapp (66) weist darauf hin, dass das 
Frühaufstehen der Wöchnerinnen die Involution des Uterus 
begünstigt, deshalb kann es auch die Entstehung von 
Lage Veränderungen hintanhalten. 

Crede-Hörder (70 u. 71) setzt seinen dankens¬ 
werten Kampf gegen die Blenorrhoe der Neugeborenen 
fort. H a 1 b a n (72) meint, dass das Absterben einer 
Zwillingsfrucht während der Schwangerschaft eventl. zu 
erkennen ist; er schildert einen Fall, bei dem ein akutes 
Hydramnion im fünften Monat verschwand, während der 
zweiten Hälfte der Gravidität dauernd Wehen bestanden 
und in der letzten Zeit eine quer über die Vordertläche 
des Uterus verlaufende Furche zu konstatieren war. 
Kasuistisches Interesse beanspruchen die Arbeiten von 
D i a m a n t und Gail (73 u. 74); die Arbeit von 
Lejbowitsch (75) enthält nichts Neues über die 
Riesenkinder. N e b e s k y (76) konnte einen Fall von 
Caput succedaneum beobachten, bei dem an der Basis 
eine deutliche Schnürfurchenbildung nachweisbar war. 
Er konnte zeigen, dass diese Furche so stark ausgebildet 
sein kann, dass es zu tieferen Defekten bis zur Nekrose 
und deren üblen Folgen kommen kann. Gröne (78) 
fand in vier Fällen ein epidurales Hämatom im Rücken¬ 
markskanal, dessen Ätiologie nicht klar war. Trotz ge¬ 
nauer Obduktion liess sich ein Trauma der Wirbelsäule 
nicht nachweisen. 

1 J. Richter u. W. H i e s s. Ober das bei der 
ersten Geburt günstigste Alter. Monatsschrift für Geb u Gyn. 
Bd. 39. Heft G, p. 625. 

2. Georg Hirsch, München. Beiträge zur Stillungs¬ 
not. Monatsschrift für Geb u. Gyn. Band 39. Heft 1, p 64. 

3. R v. Fellenberg u. A. D 6 1 1. Über die bio¬ 
logischen Beziehungen von Mutter und Kind. Zeitschrift für 
Geb. u. Gyn. Band 75, p, 285. 

* 4, R. A k,i moto. Über die Abderhaldeusche Reaktion 

und ihre Anwendungen. Zeutralblatt für Gyn. 1914. Nr. 2. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





116 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 12. 


5. K. Beh n e Löset eich mit dem Abderhaldenschen 
Ilial) sierverfahren bei Kühen die Trächtigkeit frühzeitig er¬ 
kennen? Zentralblatt für Gyn. 19 4. Nr. 2. 

6. H- S. Kjnergaar d Zur Frage der Ahderhnldeu- 
echen Reaktion bei Gravidität und Menstruation. Zentralblatt 
für Gyn. 1914 Nr. 7 

7. A. Mayer, Tübingen. Ober das Abderhaldensche 
Dialysierverfahren. Münchner med. Wochenschrift 1914, p 07. 

8. J. 8 c h o t t 1 ä n d e r. Zur Theorie der Abderhalden¬ 
echen Sehwangeischaftsreaktion, sowie Anmerkungen üher die 
innere Sekretion des weiblichen Genitales. Zentralblatt für 
Gyn. 1914. Nr. 12. 

9 J. R. v. Z u b r s y c k i. Die Meiostagminreaktion in 
der Geburtshilfe. Gyn. Rundschau 1914, p 847. 

10. Gottfried Fellner Experimentelle Unter¬ 
suchung über die Wirkung von Gcwehsextrakten aus der Pla¬ 
zenta und den weiblichen Sexualorganen auf das Genitale 
Archiv für Gyn. Band 100, p 041. 

11. Katharina v. Tussenbroek. Der Einfluss 
der Schwangerschaft und des Wochenbettes auf die Sterblich¬ 
keit der weiblichen Bevölkerung an Tuberkulose. Archiv für 
Gyn. Band 101, p. 84. 

12. E Kehrer u. F. Dessau er, Dresden Ver¬ 
suche und Erfahrungen mit der röntgenologischen Becken- 
messung. Münchner med Wochenschrift 1914, p. 22. 

1 i F r n n z Weber, München. Die Tamponade in 
Geburtshilfe und Gynäkologie. Münchner med Wochenschrift 
1914, p. 181. 

17. F P r i m s a r Beitrag zur Abderhaldenschen 

Schwengel Schaftsreaktion Zentralblatt für Gyn 1914. Nr. 12. 

15 B. Berger Ein Fall von besonderer Fertilität 
(kombiniert mit konstanten Blutungen in der schwangeiSchafts 
freien Zeit). Zentralblatt für Gyu. 1914. Nr. 10 

10 G B a ti in g a r t , Cassel u. H. B e n e k e , Halle 
4 jährige Amenorrhoe nach Atmokausis, ausgetragene Gravidität; 
Gehurtsheendigung durch Entfernung des graviden Uterus. 
Monatsschrift für Geh u. Gyn. Bd. 39 Heft 0, p (>35. 

17 Peters. Schwnngerschaftsdnuer Zentralblatt für 
Gyn. 19.4. Heft 9. 

18. F A h 1 f e 1 d Der Mechanismus der Scheiden¬ 

spülungen ante partum. Zentralblatt für. Gyn. 1914. Nr 51 

19 E Zweifel Versuche zur Beeinflussung des 
Bakteriengehalles der Scheide Schwangerer durch medikamen¬ 
töse Spülungen. Monatsschrift für Geh. u. Gyn 1914, p. 459 

2 ’. B Schweizer. Ober die Berechtigung der Milch- 
eöurespülungeu in der Schwangerschaft. Zentralblatt für Gyn 

19 ;4. He't 9. 

21. Ernst Engelhorn u. Hermann W i n t z. 
Über eine neue Hautreaktion in der Schwangerschaft. Münch, 
med Wochenschrift 1914, p. 089. 

22. R. Keller. Über Veränderungen am Follikelapparat 
des Ovariums während der Schwangerschaft Beiträge für Geb 
u. Gyu. Band 10, p 13. 

23. E Hnfminu. Zur Blutgerinnung und zum Blut¬ 
bilde bei normalen, hyperthyreotischen und hypothyreotischen 
Schwangeren und Wöchnerinnen. Zeitschrift für Geh. u Gyn. 
Bd. 75, p. 240. 

24. G. Schmauch, Chikago. Die Schilddrüse der 
Frau und ihr Einfluss auf Menstruation und Schwangerschaft. 
Monatsschrift für Geb. u. Gyn 1913. Heft 0, p. 002 

25 B. M ü 1 1 e r. Das Verhalten der Glandula thyreoidea 
im endemischen Kropfgebiet des Kantons Bern zu Schwanger¬ 
schaft, Geburt und Wochenbett Zeitschrift für Geb. u. Gyn. 
Band 75, p. 204. 

20. Franz Lehmann. Über habituelle Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung und innere Sekretion Archiv für Gyn. 
Band 101, p 205. 

27. H. Hinselmann. Untersuchungen über das 
proteo- bezw. peptolytische Vermögen des Serums bei Schwanger- 
schaftsalbumiuurie. Zentralblatt für Gyn. 1914. Heft 7. 

28 Paul Jungmann Beiträge zur Kenntnis der 
Schwangerschaftsanämie. Münchner med. Wochenschrift 1914, 
p. 414. 

29. Fritz Ludwig Ileus bei Schwangerschaft, 
Geburt und Wochenbett. Zeitschrift für Geb. u. Gyn. Bd. 75, p. 324. 

Digitized by Google 


30 . M. Rosenstein, Breslau Appendizitis und 
Gravidität. Monatsschrift für Geh. u. Gyn Bd 39. Heft I, 
p. 27. 

31. Ph Kreis s. Herzfehler und Schwangerschall. 
Zentralblatt für Gyn 1914. Nr. 50. 

32. M. Eisen hach Über Herzerkrankung und 
Schwangerschaft. Beiträge für Geb. u Gyn. Bd 19, p, 39. 

33. A B a r b e y. Behandlung eines Falles von Ischias 
in der Schwangerschaft mit Ringer scher Lösung. Zentral- 
blatt für Gyn 1914. Nr. 3. 

34 R. M a r e k. Über einen Fall von Schwangerschafts- 
akromegalie Zentralblatt für Gyn 1914. Heft 7. 

35. L P i 8 c a c e k. Über Uterusdivertikel und ihre 
Beziehung zur Schwangerschaft. Gynäkologische Rundschau 
1914. Heft 1, p 1. 

30 K H. Ö h n, » n n Ein Fall von Uterus bicornis 
mit ausgetragener Schwangerschaft im rechten Home. Gyn 
Rundschau 19i4, p 73 v< . 

37. Fr v. Neugebauer. Eine neue Serie von 
isochroner, heterotoper Zwillingsschwangeischaften, das eine Ei 
intrauterin, das andre extrauterin implantiert, nebst Schluss¬ 
folgerungen. G^n Rundschau p 849. 

38. F E h e 1 e r. Zur Ahorthehandlung. Zeitschrift für 
Geh u Gyn. Band 75, p 411. 

39. M a r c 1 Tr au go It Aktive und konservative 
Behandlung des Streptokokkenahorls und ihre Resultate Zeit¬ 
schrift für Geh. u. Gyn Band 75, p. 275. 

40. E. Hof m a n n. Zur einzeitigen Aborteinleitung und 
Tuhensterilisation. Zeitschrift für Geh und Gyn. Band 75, 
p. 32o. 

41. Kuntzsch Üher Torpiditüt des Uterus und aus¬ 
getragene Giavidität trotz Retention einer intrauterinen Tampo¬ 
nade Zentialblatt für Gyn. 1914. Heft 5. 

42. Hugo S e 1 1 h e i in Üher einen wesentlichen 
Unteischied zwischen natürlicher Geburt und künstlicher Ent¬ 
bindung Beiträge zur Geh. u Gyn Baud 19, p t. 

43 Otto Schneider, Heidelberg üher eine neue 
Geburtszange und ihre Anwendung. Münchner med. Wochen¬ 
schrift 1913, p. 2790. 

44. A. Martin Der Forceps intrauterinus Neuwirth 
Monatsschrift für Geb. u Gyn Band 39 Heft 1, p. 1. 

45. O. P i e r i n g Bemerkungen zu Neuwirths Forceps 
intrauterinus Zentralblatt für Gyn. 19.4. Nr. 2. 

4G. K. Neuwirth. Schlusswort zum Forceps intra- 
utcrinus. Zentralblatt für Gyn. 1914. Nr. 10. 

47. J u a n A. G a h a s t o n iBuenes Aires.) Eine neue 
Methode künstlicher Plazentarlösung. Münchner med. Wochen¬ 
schrift 1914, p. 671. 

48. E Grä f. Ein vergessener geburtshilflicher Hand¬ 
griff. Münchner med Wochenschrift 18 3, p. 2910. 

49 P h Kreits Die Bekämpfung der postpartalen 
Blutungen durch intravenöse Hypophysininjektion. Zentralblatt 
für Gyu. 1914. Nr. 3 

50. O K ü s t n e r. Weitere Erfahrungen über den ex¬ 
traperitonealen Kaiserschnitt, seine Indikationsstellung und 
Methodik. Zentralblatt für Gyn 1914. Nr. 10. 

51. H. Fuchs. Kaiserschnitt wegen totaler Ankylose 
beider Hüftgelenke. Monatsschrift für Geb. u Gyn. 1914, 
p. 477. 

52. K. B o 1 1 a g Ein seltener Fall von Früheklatnpsie 
Zentralblatt für Gyn. 1914. Nr. 2. 

53. E. Zweifel. Eklampsie nach Totalexstirpation 
wegen Uterusruptur mit schwerer Anämie bei einer Viel¬ 
gebärenden. Zentralblatt für Gyn. 1914 Heft 5. 

54. Lichtenstein. Kritische Bemerkungen zur 
Schnellentbindung bei der Eklampsie. Zentralblatt für Gyn. 
1914. Heft 5. 

55. A. Schiller. Zur Eklampsiebehandlung auf 
Grund der Erfahrungen der Königsberger Universitätsklinik 
Monatsschrift für Geb. u Gyn 39. Heft 2, p 148. 

56. Bernhard A s c h n e r. Über die posteklamp¬ 
tische Amnesie Zeitschrift für Geh und Gyn. Band 75, p 405 

57. Hane Guggisberg Über die Wirkung der 
inneren Sekrete auf die Tätigkeit des Uterus. Zeitschrift für 
Geb. u. Gyn. Band 75, p. 231. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 12. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


117 


58. Walter Lindemann und Bernhard 
A s c h n e r. Über Natur und Verbreitung vasokonstrik- 
torischer und wehenerregender Substanzen im Körper. Münch, 
med. Wochenschrift 1913, p 2779. 

59. Emil Mohbacfaer. Klinisch - experimentelle 
Beiträge znr Frage: Thyreoidea und Wehentätigkeit Zeitschr. 
für Geb. u Gyn Band 75, p. 362. 

60. Christian ö r t e 1. Laudanon in der Geburts¬ 
hilfe. Münchner med. Wochenschrift 1914, p. 694. 

61. H Klaus, Prag, Uber Verwendung vou Nar- 
kophin in der Geburtshilfe. Münchner med. Wochenschrift 
1914, p. 186. 

62. F. Esch, Marburg. Über Dosierung und Erfolge 
von intramuskulären Pantopon - Skopolamininjektionen bei 
Kreissenden. Münchner med. Wochenschrift 1914, p. 690 

63. H. H e n n e. Zur Reposition der vorgefallenen 
Nabelschnur. Zentralblatt für Gyn. 1913. Nr. 51. 

64. 0. N e b e s k i. Beitrag zur Nabelschnurzerreissung 
intra partum. Archiv für Gyn. Baud 100, p. 601. 

65. H. Küster, Breslau. Über Geburt nach ope¬ 
rativer Antefixation. Monatsschrift für Geb. u. Gyn. 39. 
Heft 2, p. 168. 

66. W. Jonas, Über puerperale Uterusinversion. Zen¬ 
tralblatt für Gyn. 1913. Nr. 52. 

67. M. T r a u g o t t. Über die Ätiologie und Prophy¬ 
laxe der endogenen puerperalen Infektion. Zentralblatt für 
Gyn. 1913. Nr. 52. 

68. Hans v. Hecker. Beitrag zur Bewertung der 
bakteriologischen Scheidensekret- und Blutuntersuchung für die 


Diagnose und Prognose puerperaler Infektionen. Beiträge für 
Geb. u. Gvn Band 19, p. 89. 

69. Ludwig Knapp. Klinische Untersuchungen 
zur Beurteilung des Spätwochenbettes mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des „Frühaufstehens“. Archiv für Gyn. Band 100. 
p. 540. 

70. Crede-Hörder. Warum konnte die Blennorrhoe 
nicht abnehmen? Zentralblatt für Gyn. 1914. Nr. 3. 

71. Crede-Hörder. Wie kann die Blennorrhoe 
wirksam verhütet werden? Zentralblatt für Gyn. Nr. 6, 1914. 

72. J. H a 1 b a n. Zur Kenntnis der Zwillingsschwanger- 
scbaften Zentralblatt für Gyn. 1914. Heft 9. 

73. Z. Diamant. Ein Fall von Drillingsschwanger¬ 
schaft in demselben Eileiter. Zentralblatt für Gyn 1914. 
Nr. 3. 

74. P. Gail. Beitrag zur Kasuistik der Drillings¬ 
geburten. Zentralblalt für Gyn. 1914 Nr. 3. 

75. J. Lejbowitsch, Breslau. Die Häufigkeit und 
geburtshilfliche Bedeutung der Riesenkinder. Monatsschr. für 
Geb. u. Gyn. 39 Heft 2, p. 162. 

76. O. Nebesky, Innsbruck Beitrag zur Kenntnis 
des Caput succedaneuni. Monatsschrift für Geb. u. Gyn. 1913. 
Heft 6, p. 655. 

77. Ph. Kreiss, Dresden. Anus urethralis Monats¬ 
schrift für Geb. u. Gyn. 39. Heft 3, p. 340. 

78. O. G r ö n e. Epidurales Hämatom im Rückenmarks¬ 
kanal bei Neugeborenen. Zentralblatt für Gyn. 1913. Nr. 51. 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

BoehnckeK. E. und R. Koch (Frankfurt a. M.), 
Ysrändf ningrn an der Hypophyse dureh Diphlherietoxin. (Zschr 
f. Immun. Forsch. XXI. Heft 1. S. 1 —15.) 

Bei sehr grossen Toxindosen mit foudoyrantem Verlauf 
finden sich keine erheblichen Veränderungen an der Pars inter- 
media (= Mittellappen = Epithelsaum), dagegen starke bei 
kleineren Dosen, weiche den Tod erst zwischen dem 3. um!; 
20. Tag herbeiführeu. Für den Arzt, der sich nicht mit dem j 
Status praesens eines Patienten zufrieden gibt, sondern auch 
vor- und rückwärts schaut, ist die Notiz von höchstem Interesse, 
dass auch minimale Diphtherietoxindosen, welche gar keine 
K rankheitserschein ungen ausgelöst hatten, über mindestens 
3 Monate hinweg degenerative Prozesse an der pars intermedia 
hinterliessen. 

Der moderne Physiolog. welcher mit Störungen der Funk¬ 
tion der sog. inneren Sekretion zu rechnen gelernt hat, wird 
diese Notiz ad notam nehmen und nach Analogien suchen. 

Buttersack. 

T. F e 1 1 m e r , Bonn. Differenzierung verschiedener 
Pilzeiweisse mit Hilfe von Immunitätsreaktionen und Tierver¬ 
suchen. (Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimen¬ 
telle Therapie. 1. Teil. Originale. Bd XXII.) 

Eiweissstofle aus Pilzen können im Tierkörper Präzipitine 
und komplementbindende Stoffe erzeugen, die in den meisten [ 
Fällen spezifisch auf das zur Immunisierung verwendete Pilz- 
eiweiss reagieren. 

Durch Pilzeiweisslasseusich Tiere anaphylaktisch machen. Der 
Reaktionskörper ist mit dem Serum auf andere Tiere übertrag¬ 
bar und löst passive Anaphylaxie aus. Der anaphylaktische 
Reaktionskörper kann als spezifisch bezeichnet werden. 

Sch. 

Digitized by Google 


Ohrenheilkunde. 

A. Denker, Zur Heilbarkeit der otogenen und trau¬ 
matischen Meningitis. (Zeitschrift f. Ohrhlkde. Band 70. 
Heft 34.) 

Im Anschluss an die Mitteilung sehr lesenswerter Kranken¬ 
geschichten beschäftigt sich Vf mit einigen Fragen der Dia¬ 
gnose, Therapie und Prognose der eitrigen Meningitis. Die 
Diagnose einer solchen wird durch ein steriles Lumbalpunktat 
nicht ausgeschlossen. Findet sich ein trübes, leukozytenreiches, 
unter hohem Druck entleertes Exsudat, so kann man bei ent¬ 
sprechenden klinischen Erscheinungen trotz Fehlens von Bak¬ 
terien eine diffuse, eitrige Entzündung annehmen. 

Der bisher herrschende Nihilismus in der Therapie ist un¬ 
berechtigt, die Heilung einer eitrigen Meningitis durch zielbe¬ 
wusstes Vorgehen in manchen Fällen ist verbürgt. Gegen die 
vorgeschlagene ausgiebige Freilegung und Spaltung der Hirn¬ 
haut und Drainage des Subarachnoidealraums jedoch verhält 
D. sich skeptisch, er beschränkt sich auf Ausräumung des 
primären HerdeB in Mittelohr und Labyrinth, wiederholte Lum¬ 
balpunktionen, Urotropin. Lassen sich hiermit in einzelnen 
Fällen Erfolge erreichen, so ist doch auch vor übertriebenem 
Optimismus zu warnen ; in der Mehrzahl der Meningitisfalle 
versagt die Therapie und bei hochinfektiösen Fällen scheint die 
Operation fast aussichtslos. Solche Meningitiden, die sich an 
chronische Otitis auschliessen, geben bessere Prognose. 

Besteht bei Schädelbrüchen, die sich auf das Schläfenbein 
erstrecken, eine akute oder chronische Otitis media, oder tritt 
eine solche hinzu, so rät D. zur Präventivoperation. Strittig 
ist eigentlich nur die Operation bei chronischer Otitis, 
da hierbei oft auch ohne Eingriff Meningitis ausblieb. Da 
aber eine Heilung durch Kallusbildung oft nicht eintritt, so 
schwebt die Gefahr der Infektion des Schädelinhalts jahrelang 
über solchen Verletzten ; daher tritt Denker für die Opera¬ 
tion ein. Arthur Meyer - Berlin. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






118 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 12. 


Bticherschau. 

Voigtländers Quellenbücher. — R. Voigt¬ 
länders Verlag in Leipzig. 

Die historische Aufgabe des XIX Jahrhunderts war diese 
gewesen, den Sinn für das Tatsächliche zu erwecken im Gegen¬ 
satz zu den spekulativen Verirrungen der vorangegangenen 
Natur-Philosophie, und man kann füglich behaupten, dass diese 
Aufgabe glänzend gelöst worden ist Fast zu gut, möchte man 
sagen. Denn das Herausarbeiteu der einzelnen Tatsache hatte 
sich unter der Flagge der exakten Forschung in manchen 
Köpfen so einseitig entwickelt, dass sie darüber das Vor- und 
Nachher ganz vergassen. Es war deshalb eine natürliche Re¬ 
aktion, dass sich daran ätiologische Bedürfnisse anschlossen, 
und gleichfalls logisch war es, dass das Interesse weiterhin 
von den einzelnen mikrobotanischen Kleinwesen sich der Gesarnt- 
situation zuwandte, Betrachtungen, wie sie dermalen als Kondi¬ 
tionismus und verwandte Ideen in die Erscheinung treten. 
Von hier aus ist nur ein kleiner Schritt zu historischen 
Studien, welche die Fäden des Konditionismus aufdecken 
sollen. 

In ähnlicher Weise hat schon vor 100 Jahren Lae u n ec 
gesagt: „Rien n’est plus interessant dans une Science que la 
marche möine de cette Science.“ 

Nun erfordern historische Studien ebenso viel angeborne 
Begabung wie z. B. die Experimentalforschung. Wer sie nicht 
hat, ist nur ein .Begebenheitsberichter“, wie G. Chr. 
Lichteuberg, oder ein „Antiquar“, wie W o o d r o w 
Wilson sich ausdrückten, und gleicht dem Laboratoriums- 
künstler, der sich mit immerhin anerkennenswertem Eifer um 
irgendeine Experimentalaufgabe bemüht, ohne sich deren Ein¬ 
ordnung in den grossen Entwicklungsgang der Wissenschaft 
bewusst zu sein. Die Geschichte mit ihren zahllosen Impondera¬ 
bilien lässt sich nicht nach mechanischen, chemischen oder 
sonstigen Gesetzen der exakten Wissenschaften rekonstruieren. 
Man muss sich vielmehr in sie, wie in ein lebendiges Gebilde, 
was sie ja auch ist, mit einem gewissen Takt hineinfühlen. 
Man muss lernen, von dem Piedestal der eigenen Zeit herunter¬ 
zusteigen uud sich in ganz andere Anschauungsweisen und 
Vorstellungskreise einzuleben. Das ist freilich nicht so ganz 
einfach ; denn wir wurzeln viel fester in der Gegenwart und 
benützen die heute geltenden Ideen viel mehr als Krücken 
unseres Denkens, als wir wohl zumeist ahnen. Aber wer sich 
die genügende Beweglichkeit des Geistes bewahrt hat, wird 
immer mit reichem Gewinn von solchen Ausflügen in andere 
Zeiten zurückkehren: er hat sein eigenes Milieu unter 
einem anderen Winkel gesehen und mit P. M i c h e 1 erkannt, 
„que dans le passe, les gens-lä n’ötaienr. ni des fous ni des 
sots“. 

Der Zugang zu den stummen Zeugen der Vergangenheit 
wird immer schwieriger, je weniger die alten Sprachen gepflegt 
werden können Deshalb ist es ein guter Gedanke, die alten 
Schriftsteller in modernem Deutsch zu Wort kommen zu 
lassen. 

Mit lebhaftem Erstaunen wird der Leser iu Corne¬ 
lius Celsius „G rundfragen der M e il i z i n“ 
(Band 3) überraschende Ähnlichkeiten mit Gedanken finden, 
die auch uns bewegen. Dinge wie: Disposition, Konditionismus 
(S. 24), Hydrotherapie (S. 42), kritische Beleuchtung der dialek 
tischen Gewandtheit (S. 19), der Überschätzung der Anatomie 
(S. 20), Klagen über die vielen Kunstausdrücke (S. 25 , aber 
auch moderne Krankheiten wie subphrenischer Abszess {S. 71),: 
Raynaud’sche Gangrän (S. 72) sind schon zu Christi Zeiten 
eingehend erörtert worden 

Im Flug durch die Jahrhunderte führt uns Grober- 
Jeua in dem Band 30: Die Entdeckung derKrank- 
heitserreger. Bei einer Neuauflage wäie vielleicht noch 


roh. Fernelius Ambia nus zu erwähneu, dessen 
Mutmassungen über den Syphiliserreger da und dort Interesse 
finden werden : Efficiens lui9 venereae causa occulta est, quae 
licet admodum et fere corporis expers sit sensusque nostros 
eöugiat, non simplex tarnen et eolitaria existit, sed in humore 
aut alio quovis corpore inhaerescit, quo ut subjecto quodam et 
vehicnlo utitur (Therap. univ. seu medendi rationis libri VII 
Frankofurti MDLXXXI, Pag. cap. III pag. 498). 

Auch Girolomo Fracnstoro, der Begründer der 
modernen Ansteckungslehre (1483—1553) darf nicht vergessen 
werden. 

Band 32 bringt unter dem Titel: aus der Ent« i ck- 
lungsgeschichtederlebendigenSubstanz 
eine Geschichte der Zellenlehre von G. Brückner in 
klarer Form und zeigt, wieviel Geistesbemühungen erforderlich 
waren, um dieses Fundament unserer heutigen Anschauungen 
sicher zu stellen. 

Der Druck ist gut, der Preis mit 0,60 bis 1 M. pro. 
Bändchen billig. Buttersac k. 

Neuere Medikamente. 

Hellslrin: Ist ein Syrupus Guajacoli compos, 6°/ 9 ige syrupö6e 
Lösung des Guajacol. compos. „Hell“ mit Zusatz von 5 °/ 0 
Tinct Chinae compos in einer Mischung von Syr. cortic. 
aurant. und Syrup. capillor. Veneris. Die Heilwirkung des 
Hellsirin liegt in der Phthiseotherapie, sowie bei anderen 
tuberkulösen und skrofulösen Erkrankungen, ferner akuten 
und chronischen, infektiösen Leiden des Respirations¬ 
traktes. Das Vorhandensein von Petrosulfol (Ichthyol), 
verleiht dem Präparat eine günstige Wirkung zur Be¬ 
schränkung des krankhaft gesteigerten Stoflumsatzes, be¬ 
sonders durch seinen antifermentativeu, fäulnishindernden 
Einfluss im Darm, wodurch Gelegenheit zur Hebung des 
Ernährungszustandes gegeben wird. Wird auch von schwachen 
Personen uud Kindern gut vertragen. Die Darreichuug er¬ 
folgt 3 mal täglich zu Anfang mit einem, später 2—3 Tee¬ 
löffeln, allein oder mit Milch, Wein und dergl., bei Kindern 
entsprechend weniger. Fabrikanten; G. Hell & Co., Troppau 
und Wien I. 

Helmitol: AnhydromethylencitronensauresHexamethylentetramin. 
Weisses Kristallpulver von saurer Reaktion. Löslich in 
10 Teilen Wasser, fast unlöslich in Alkohol und Äther. 
Verbessertes und verstärktes Blasenantisepticum für den 
innerlichen Gebrauch, erteilt dem Harn saure Reaktion. 
Wird vorzüglich vertragen bei Blasenkatarrhen und ähnlichen 
Erkrankungen der Harnwege. Als Unterstützungsmittel bei 
der lokalen Gonorrhoetherapie, als Prophylacticum bei Kathe- 
terisationen und als Desinficiens in der Typhus-Reconvales- 
cenz. Prophylacticum gegen Scharlachnephritis. 

Dosis: lg 3 —4 mal tägl. in Wasser oder in Form 
von Tabletten. (Helmitoltabletten ä 0,5 g Nr. XX Original¬ 
packung) (Bayer.) 

Hexamecol: Hexamecol ist eine Molekularverbindung von 
Guajacol und Hexamethylentetramin. Es ist dazu bestimmt, 
dem Organismus das Guajacol durch Kutanapplikation zu¬ 
zuführen. Es bildet farblose Kriställchen, welche den Ge¬ 
ruch nach Guajacol besitzen. Von der Haut wird es ausser¬ 
ordentlich leicht resorbiert und ist im Gegensatz zu Guajacol, 
von welchem 65"/„ darin enthalten sind, fast ungiftig und 
von bedeutend geringerer Reizwirkung. Es wird besonders 
als schmerzstillendes Mittel bei pleuridschen Beschwerden 
empfohlen und eignet sich in der Dermatologie zur Behand¬ 
lung der Urticaria, von Pruritus vulvae und anderer Haut¬ 
krankheiten, bei welchen vor allem der Juckreiz zu beseitigen 
ist 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang. 


1915/16. 


Tort$<brim der Medizin. 

Unter mitwirkung hervorragender Tathmänner 


herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt 


G. Köster, 

Leipzig. 



Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 


Nr. 13 

Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. 

Alleinige Inseratenannahme durch Oelsdorf & Co., O. m. b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 

10. Februar 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


(Aus der privaten, klinischen Untersuchung«- und Be¬ 
obachtungsstation für Kranke und Unfallverletzte von 
Dr. med. K. Rin d er s pac he r, Dortmund ) 

Ueber Drucksteigerung im Cerebro - Spinalkanal 
nach Kopfverletzungen. 

Von Dr. med. Karl Rinderspacher, Spezial-Arzt f. inn. Med. 

In Heft IV der Zeitschiift für Versicherungstnedizin, 
Jahrg. 1914 habe ich angeregt, die Luinbaldruck- f 
messung in Fällen von Kopfverletzungen zur Klärung 
des Krankheitsbildes heranzuziehen. Zur weiteren Kritik 
der damals entstandenen Fragen habe ich, um ein mög¬ 
lichst objektiv geartetes Vergleichsmaterial zu gewinnen, 
inzwischen alle die Fälle von Kopfverletzungen, in denen 
der Verdacht auf eine organische Läsion im Schädel- 
innern in Frage kommen konnte, nach den damals ge¬ 
gebenen Gesichtspunkten untersucht. 

Rein technisch sei bemerkt, dass zu allen Punktionen 
die gleiche Stahlnadel von 1,2 mm lichter Weite und 
8 cm Länge, sowie die gleiche Steigleitung von 400 mm 
Messbereich und 3 mm lichter Weite verwandt wurden. 
Die Lagerung der Patienten war ausnahmslos von Be¬ 
ginn an horizontal und der Einstich erfolgte in der Höhe 
zwischen drittem und vierten Lendenwirbelbogen in der 
Mittellinie. Beim Ansetzen der Steigleitung gingen in 
der Regel 5—7 Tropfen der Flüssigkeit verloren, um 
die Ausflussgeschwindigkeit zu kontrollieren. Die Ab- ( 
lesung erfolgte frühestens nach fünfmaligem, regelrechtem 
Atmen. Zur Beruhigung der Patienten wurde ab Januar 
1114 mit gutem Erfolg die Anästhesierung mit dem 
Chloräthyl-Spray vorgenommen. Die Desinfektion erfolgte 
mit Jod-Alkohol. Nach der Punktion wurden mindestens 
drei bis vier Stunden Bettruhe innegehalten. 

Bei den 16 zur Untersuchung und Beobachtung ein¬ 
gewiesenen Kopfverletzungen wurde die Punktion nie 
verweigert. Dauernde ungünstige Folgen bezüglich der 
Entschädigungsfrage ergaben sich, auch bei stark quäru- 
latorisch veranlagten Patienten nicht. Es wurde bei 
der Beurteilung der Druck von 160 mm Wasser als die 
Grenze des Normalen angesehen. Quincke (1) und 
3a h 1 i (2) betrachten die Druckhöhen von 60 bis 150 mm 
als normal. Die weitaus grösste Zahl der als erhöht 
angesprochenen Drucke liegt weit über dieser Höchst¬ 
grenze von 160 mm. 

Das Ergebnis der Untersuchungen fasse ich in fol¬ 
genden kurzen Krankengeschichten zusammen, wobei 
bedeutet: ‘) = Name, Alter, Stand. l ) = Datum und 
Hergang des Unfalles. 3 ) = Erster Befundbericht. 
4 ) = Befund nach Abschluss des Heilverfahrens. 

7 = Datum und subjektive Beschwerden bei der Auf- 

Digitized by Google 


nähme auf der hiesigen Station. *) = Objektiver Be¬ 
fund bei der hiesigen Aufnahme. ) = Datum der 
Lumbalpunktion, Höhe des Druckes bei normaler At¬ 
mung, Höhe beim Pressen und Charakter der Lumbal¬ 
flüssigkeit. ”) = Objektive Zeichen für das Vorliegen 
von Simulation oder Aggravation: Hierbei bedeutet 
Hoesslin = Fehlen des Zurückschneilens bei plötzlicher 
Unterbrechung des Versuches, den gebeugten Arm 
passiv zu strecken ; Romberg ^ Schwanken bei Augen- 
fussschluss, welches bei abgelenkter Aufmerksamkeit ver¬ 
schwindet; Dynamometer = Nachweis, dass bei ge¬ 
beugtem Hand- und Ellbogengelenk am Dynamometer 
mehr Kraft entfaltet wird, als bei gestrecklem Hand- 
und Ellbogengelenk, was physiologisch unmöglich ist 
(Rumpf). 

Fall I und II: siehe ausführlichen Bericht in Zeit¬ 
schrift der Versicherungsmedizin, 1914, Heft 4. 

Fall III: *) August H. 30 Jahre, Flammofenarbeiter. 2 ) 14. 
12. 08: Schlag einer Wagendeichsel gegen die rechte Ge¬ 
sichtshälfte. 8 ) Völlig schlafsüchtig, Puls 54, rechte Ge¬ 
sichtshälfte stark blutunterlaufen, aus dem rechten Nasen¬ 
loch fliesst Blut. Diaguose: Commotio, wahrscheinlich mit 
Basisbruch. 4 J 23. 12. 08. Augen stehen etwas vor, Puls 
GO, lebhafte Schreibhaut, alle Reflexe lebhaft, 33 l / s %. 
Klagen über Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen hei 
starken Anstrengungen. 6 , 29. 9. 13: Unverträglichkeit 
für Geräusche, pressende Kopfschmerzen, besonders hei 
Witterungswechsel, viel Nasenbluten, Gefühl als sei der 
Kopf zu klein. fi ) Pulsverlangsamung, Steigerung der 
Kniescheihenreflexe, empfindliche Verdickung am linken 
Unteraugenhöhlenrand, bei Witterungswechsel auffallend 
apathisches Verhalten. ’) 30. 9. 13: 260—280 mm; ?; 

normal. 8 ) Hoesslin neg; Romberg neg ; Dynamometer neg. 
Fall IV: l ) Theodor K. 41 Jahte, Vorzeichner. 2 ) 27. 1. 03: 
Fall mit dem Hinterkopf auf eine Schiene s j ? 4 ) 1. 4. 
04: Schwindel und Kopfschmerzen, Blutandrang zum 
Kopf, sehr erregt, unruhiger, Schlaf, Brechreiz nach An¬ 
strengungen, Puls lt 0 und weich, Zittern der Lider und 
der Zunge, Kniescheihenreflexe lebhaft, Herzfrequenz wech¬ 
selnd. Dermographie. 5 ) 5. 11, 13: Kopfschmerzen als 
würden die Augen herausgetriebeu; Herzklopfen, Aufge¬ 
regtheit, Globusgefühl, Ohrensausen. 6 ) Leichte Beeinfluss- 
barkeit des Blutdruckes, zeitweises Aussetzen des Pulses, 
Rötung des Kopfes beim Bücken, Zittern der ausgestreckten 
Hände, Schwiiidelersclieinungen heim Drehen um die 
Körperachse, Gesichtsfeldeinengung für Farben, chronischer 
Blasenkatarrh. Bei psychischer Erregung eigenartige Be¬ 
nommenheit. 7 ) 12. 11. 13: 218—225 mm; ?; normal. 

8 ) Negativ. 

Fall V: ■) Heinrich G., 58 Jahre, Kesselschmied. *) 20. 3. 
1900: Auftreflen einer Panzerplatte auf den Kopf 8 ) Bei 

Origiral frem 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 









120 


Nr. 13. 


FORTSCHRITTE DF.R MEDIZIN. 


Aufnahme Symptome von Shock. Drei Rippen gebrochen, 
Hnutemphysem, Blutauswurf, linker Augapfel durch retro¬ 
bulbäre Blutung vorgewölbt. Linke Hüfte geschwollen 
und blutunterlaufen Viertägige Urinverhaltung Linkes 
Bein verkürzt. 4 ) 13. 11 1900: Ab und zu Kopfschmerzen 
und Schwindel, rasche Ermüdung des linken Beines 
wegen Beckenbruch. 5O°/ 0 durch den Beinschaden Später 
(1905 wegen Hysterie) auf 70°/ 0 erhöht. 5 ) 28. 10. 13: 
Schwäche in der ganzen rechten Seite, zeitweise schwind¬ 
lig, angeblich Urinbeschwerden. 6 ) Verengerung der 
Harnröhre, Vergrösserung «1er Vorsteherdrüse, Alters¬ 
weitsichtigkeit, Verkürzung und Bewegungsbeschränkung 
des linken Beines. 7 ) 31. 10. 13: 125 — 132 mm; 
normal. 8 ) Hoesslin po§.; Dynamometer: pos. leugnet 
sicher empfundenen Schmerz; Zittern der Hände ist vor- 
getäuscht; gibt grössere Bewegungsbehinderung des Beines 
an als tatsächlich besteht. 

Fall VI: *) Otto M. 51 Jahre, Kohlenlader. 2 ) II. 4. 
12. Fall 2 m tief auf den Hinterkopf in einen Kohlen¬ 
bunker. 9 ) Puls leicht irregulär, 68—58 Pulse. Gewisse 
Benommenheit; mehrfach Erbrechen, einmal mit Blutbei¬ 
mengung. Mehrfache epileptiform* Krampfanfälle. Druck 
auf deu rechten Unterkiefer gegen den Gehörgang sehr 
empfindlich. N. abducens rechts gelähmt. Soll aus der 
rechten Nase geblutet haben. 4 ) 13. 7. 12. Verminderte 
Sehkruft rechts, Kopfschmerzen und Schwindel. Schläfen¬ 
arterien leicht geschlängelt, Puls 120, Beklopfen des Kopfes 
nicht empfindlich, Augenbewegungen ungestört, 25° 0 Ueber- 
gangsrente. 5 ) 29. ll. 13. Kopfschmerzen bei Witterungs¬ 
wechsel, morgens angeblich wie betrunken, leichtes Er¬ 
schrecken. Altersweitsichtigkeit, Lungenemphysem, leb¬ 
hafte Kniescheibenreflexe, Arteriosklerose. ") 2. 12. 13; 
115 —130 mm: ?; Normal. 8 ) Hoesslin pos. 

Fall VII: l ) Ferdinand Z. 35 Jahre, Giessgrubenmann. 2 ) 2. 2. 
06: Aufschlagen einer schweren Lagerhülse auf den Kopf 
aus beträchtlicher Höhe. l ) ?; Bei Aufnahme des 2 Heil¬ 
verfahrens; 28. 5. 00 komplizierter «Schädelbruch, schlaffe 
Granulationen, Sprache leicht gestört, Intelligenz beein¬ 
trächtigt, Patellarreflexeerhöht, rechts Fussklonus, Cremaster¬ 
reflex fehlt, Narbe liegt der Dura auf und ist damit ver¬ 
wachsen. Bei Druck auf die Narbe starke Kopfröte. 
4 ) 14. 8. 07: Leicht schwindelig und bewusstlos beim 
Bücken. Kopfschmerzen. Objektiv Status idem, nur die 
Narbe ist überhäutet. 80 bis 100 °/ 0 . 5 ) 27. 12. 13. 
Kopfschmerzen bei Witterungswochsei, starken Kopfdruck, 
Schwindelgefühl, auflallend guter Schlaf. 6 ) Ausgedehnte, 
empfindliche Narbe am Scheitel, Haut verwachsen, überall 
knöchern geschlossen. Starke Plattfussbilduug. Sehr 
lebhafte Kniescheibenreflexe. In der Nasenhöhle starke 
Wucherungen. Zeitweise Verlangsamung des Pulses auf 
12 Schläge in je J /i Minute. Auflallemle Interesselosig¬ 
keit bei Witterungswechsel. 7 ) 2. 1. 14: 214—240 mm; 
310 mm; norma. 8 ) Negativ. 

Fall VIII: t) Josef I). 28 Jahre, Hilfsarbeiter. -) 5 7. 1911: 
Fall von einer Diele 2 >/ 2 m tief auf Kopf und Schulter. 
s ) Puls langsam, völlig hei Bewusstsein, aus dem linken 
Ohr fliesst Blut, Lähmung des linken Facialis. Diagnose 
Basisbruch. J )’ 30. 11. 11. In der dritten Woche nach 
dem Unfall Kopfschmerzen besonders beim Drehen Zeit¬ 
weises Ohrensausen und Schwindel. Vielleicht noch 
Alteration der Hirnhäute. 20 °/ 0 Uebergangsrente. 6 ) 20. 
1. 14. Reissen im Kopf, rechts schlechtes, links aufge¬ 
hobenes Gehör. B ) Blass, labiles Verhalten des Pulses, 
meist starke Beschleunigung der Herzaktion. Alte luxatio 
claviculae. Ist sehr starker Zigarrettenraucher 7 ) 22. 1. 
14: 135 —150 mm; 170 mm; normal. s ) Hoesslin pos; 
Dynamometer pos.; sucht bei der Gehörsprüfung Taubheit 
vorzutäuschen. 

Fall IX; *) Wilhelm H. 33 Jahr, Transportarbeiter. 2 ) 13.6. 
08 : Sturz in eine Grube mit dem Kopf voran. 8 ) Sensorium 
nicht ganz frei. Puls 54, einmal Erbrechen, starke Blutung 
aus dem rechten Ohr, im Nacken quere Muskelquetsch¬ 
wunde bis zum Schädelknochen; Pulsverlangsamung; 
reehtseitige Abduzenslähmung. 4 ) 28. 2. 09; Sausen im 
rechten Ohr, Stiche im Kopf, droht angeblich hinzufallen ; 

Digitized by Google 


bei Ruhe gehe es besser. Rechter Gehörgang gauz verlegt, 
taub. Wegen Hysterie und Neurose 50 °/ 0 . 5 ) 16.2.13: 

Ohrensausen rechts, rechts taub, duselig, Uebelheit, Schlaf¬ 
sucht. 11 ) Schwerhörigkeit rechts, rechts Labyrinth erhöht 
reizbar, starke Abnahme der Pulsfrequenz beim Liegen. 
Objektiv nachweisbare Kopfschmerzen, unsicherer Hang. 
Benommenheit. Leicht erhöhter Blutdruck. 7 ) 23. 2. 14: 
250—265 mm; 340 mm; normal. k ) Romberg positiv. 

Fall X: >) Heinrich B. 35 Jahre, Maschinist. 2 ) 27. 2. 05: 
Losspringen eines Zahnes von einem Zahnrad und Auf- 
trellen auf die Stirne, 3 i Komplizierter Bruch des linkeu 
Stirnbeines, Eisenstück bis zur Hirnhaut vorgedrungen, 
letztere nicht verletzt. Verschiedene Weichteilwunden an 
Arm und Schulter. 4 ) 26. 7. 07: Kopfschmerzen besonders 
hei Hitze. Arbeitet seit 13 4 05. Druckempfindliche 
Narbe Schmerz- und Teniperalurempfinduug aufgehoben, 
Gaumenreflex fehlt, Geruch und Geschmack herabgesetzt 
Magen vorgetrieben und druckempfindlich. Schläfenarterien 
geschlängelt. 5 ) 10. 3. 14: Schmerzen im Kopf bei 
Witterungswechsel, Rückenschmerzen, «Schwindelgefühl, 
Rheuma im rechten Arm. «Starker Schnapstrinker. 6 ) Narben 
belanglos, Herabsetzung des Geschmackes, Geruches und 
Empfindungsvermögens der Haut, Arteriosklerose, Alters- 
schwe hörigkeit, Altersweitsichtigkeil, schlechter Ernährungs¬ 
zustand. 7 ) 13.3. 14. 125 - 135 mm; 140mm; normal. 
s ) Hoesslin positiv; Dynamometer pos,; gibt eine falsche 
Darstellung seines Unfalles, um die Folgen gefährlicher 
darzustellen. 

Fall XI. l ) 27 Jahre, Montagearbeiter. 2 ) 17. 11. 13: Fall 
mit dem Kopf auf eine gusseiserne Zahnstange. 3 ) Tief- 
benommen, Knochenriss, Trepanation, Eröffnung eines 
Astes des Längssinus ausserhalb der Dura, Tampouade, 
tagelang lief benommen 4 ) 7. 3 14: Zeitweise Stirn¬ 
kopfschmerzen, Narbe nicht empfindlich, Gefühl als springe 
der Kopf auseinander beim Husten und Niesen. Schwindel 
beim Leiternsteigen. Gang leicht schwankend, Romberg 
pos. 40 °/ 0 . 5 ) 6 4. 14: Schlafsucht, Schwindel beim 

Bücken, Pulsieren im Kopf, Schmerzen beim Witterungs¬ 
wechsel, Kopf nie zu eng, Erbrechen mit nachheriger Er¬ 
leichterung ohne besondere Uebelkeit. 6 J Vom Unfall 
unabhängige Sehstörungen, eigenartig benommenes Sensorium, 
Erbrechen (besonders bei Witterungswechsel), Steigerung 
der Pntellarreflexe ’) 8.4 14. 165—170 mm; 180 nun; 
Flüssigkeit enthält 1 Million rote Blutkörperchen im cbmm 
in gleichmässiger Verteilung. 8 ) negativ. 

Fall XII; l ) August B. 24 Jahr, Dreher. 2 ) 2. 1. 08: Fall 
mit dem Hinterkopf auf den gefrorenen Boden. s ) Be¬ 
wusstlos, Puls 48, Erbrechen, Zunge weicht nach links 
«ah, später epileptische Anfälle. 4 ) Anfang April 08: 
Schwindel und Kopfschmerzen, Romberg leicht pos. Zunge 
weicht nach links ab und zittert. Patellarreflexe lebhaft 20° 0 . 
5 t 15. 4. 14: Stets Kopfschmerzen, vor 11 Tagen letzter 
epileptischer Anfall, öfters starke Schwindelanfälle, auch 
bei der Arbeit. Bisher im April 3 bis 4 mal. 6 ) Zunge 
weicht geringfügig nach links nl>, lebhafte Kniescheiben¬ 
reflexe. 7 ) 17. 4. 14. 195—200 mm; 3G0 mm; normal. 
s ) negativ. 

Fal 1 XIII: 7 ) Hugo L. 35 Jahre, Schlosser. 2 ) 13. 1. 14: 
Nasenbeinhrueh infolge Schlages gegen die Stirne und die 
Nase von einem herabfallenden Rohr. s ) Trennung der 
knorpeligen und knöchernen Nasenscheidewand. Keine 
Bewusstlosigkeit, 2 Minuten später Würgen und Schwindel- 
nnfall. Später Vereiterung eines Blutergusses in die Nasen¬ 
scheidewand. 4 ) 11. 4. 14: Keine Verlegung der Nase 
mehr, starkes Hämmern in den Schläfen, Unbesinnlichkeit 
bei der Arbeit, leichte Erregbarkeit, erhebliche Pulsbe¬ 
schleunigung. 5 ) 22. 4 12: Bei Aufregungen und Ge¬ 
räuschen starke Kopfschmerzen Zittern der Beine beim 
Treppensteigen. Globusgefühl. 6 ) Blutdruck 180 — 190 mm 
bei weichen Arterien, Pulsbeschleunigung nach Kuiebeugeu 
auf 160— 180 Schläge in der Minute, starke Aorten- 
insuflizienz. Zitlern des Körpers und der Hände, Wechseln 
der Gesichtsfarbe. 7 ) 28 «t. 14. 124 133 mm; 200 mm: 

normal. 8 ) Negativ. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 










Nr. 13. 


FORTSCHRITTE HER MEDIZIN. 


121 


Fall XIV: •) Paul R. 44 Jahr, Dreher. */ 20. 9 07. Fall 
mit der linkeu Schläfe auf den Betonboden. 3 ) Kurze 
Bewusstl jsigkeit, später 3 Tage lang tiefe Bewusstlosigkeit, 
Puls G4 und unregelmässig. Stuhl und Urin lässt Patient 
unter sich. 4 ) 5. 5. 09 : Stark ergraut, Puls etwas be¬ 
schleunigt, Hinterkopf klopfempfindlich, Patellarreflexe stark 
gesteigert, rechts mehr als links Fussklonus. Gegen 
Alkohol sehr empfindlich. 30 ° 0 . 10. 10. 12: Vom 

Unfall abhängige Rindenepilepsie. 5 ) 2. 5. 14: Monatlich 
ein epileptischer Anfall aber nur nachts auftretend. Starke 
Träume. Schwindelanfälle, Gedächtnisschwäche, Gefühl 
als sei der Kopf zu eng. c ) Starke Krampfaderbildung, 
Patellarreflexe sehr lebhaft, Bauchdeckenreflex rechts stärker 
als links, Skrotalreflex links stärker als rechts, leichte 
Arteriosklerose, rechte Hand zittert, Pulsbeschleunigung. 
') 7. 5 14 105 —170 nun; 230 mm; normal. 8 ) Negativ. 
Fall XV : l ) Ferdinand B. 34 Jahr, Zuschläger. *) 11. 2. 10: 
Ein umherfliegendes Stück Eisen trifft B auf den Scheitel 
s ) Quetschwunde bis zum Knochen, Blutung aus der 
Nase. Knochenhaut durchtrennt. Puls 08. 21. 2. Wieder¬ 
aufnahme des Heilverfahrens, nachdem zuhause Uebel- 
keit und Erbrechen aufgetrelen waren Objektiv nichts 
Besonderes 4 ' Anfang Mai 1910: Kopfschmerz, Binde¬ 
haut der Augen gerötet, Puls nach Bücken 132. Keine 
Neurose. 10 °/ 0 . Circa 3 / 4 Jahre später vereinzeltes Er¬ 
brechen nach den Mahlzeiten, welches langsam zunimmt 
5 ) 6. 5. 14: Erbrechen nach jedem Essen ohne Uebelkeit. 
Kopfschmerzen, besonders im Liegen. Schlaflosigkeit wegen 
innerer Unruhe. Allgemeine Hinfälligkeit. ö ) Erbrechen 
nach jeder Mahlzeit, bei normaler Sekretionstätigkeit der 
Magenschleimhaut. Starker Singultus. Abschwächung des 
Rachen-, Hornhaut- und Augenhindehautreflexes. Starke 
psychische Depression, kurz-dauernde Zitteranfälle au 
Armen und Beinen nach Aufregungen. 7 ) 7. 5. 14. 52 
bis 66 mm; 140mm; normal. 8 ) Hoesslin pos. Rom¬ 
berg pos. 

Fall XVI: *i Friederike T. 40 Jahre. 2 ) Ostern 1912 operative 
Eröffnung der linken Stirnhöhle und deren Rückwand. 
s ) Genaueres nicht zu eruieren. 4 ) Seitdem sich steigernde 
Kopfschmerzen mit zeitweisem Erbrechen. b ) 17. 9. 13: 
In Behandlunggenommen : Starke Kopfschmeizen. Schwin¬ 
delgefühl beim Bücken, Nackensteifigkeit, zeitweise Er¬ 
brechen mit oder ohne Uebelkeit. b j Erbrechen. Jm Ver¬ 
lauf der Behandlung mehrmals starke Kopfschmerzenan- 
falle mit deutlicher Nackenstarre und Andeutung des 
Kernig’schen Phänomens. Puls dauernd zwischen 55 und 
60. Vorübergehender Dickdarmkatarrh, Anthrarkosis pul¬ 
monum. 7 ) 2. 10. 13. 190—205 mm; ?; normal. 8 ) 
negativ. 

Bezüglich des Zusammenhanges des 
Lumbaldruckes mit einer organischen 
Verletzung des Schädelinnern ergibt 
sich, dass 10 Fälle mit einer abnormen Drucksteigerung 
(1, II, III, IV, VII, IX, XI, XII, XIV, XVI) beobachtet 
wurden, wovon 0 Fälle (I, II, III, VII, IX, XI, XII, XIV, 
XVI) sicher oder doch sehr wahrscheinlich mit einer die 
Dura atfizierenden Verletzung einhergehen. Das sind 
00 Proz. Fall IV erlaubt keine Entscheidung über das 
Vor liegen einer solchen Verletzung, spricht aber jeden¬ 
falls nicht gegen eine solche, d. h.: Die Er¬ 
fahrung bestätigt, dass chronische 
Drucksteigerungen im Gehirnrücken¬ 
mark s k a n a 1 nach Kopfverletzungen 
mit grösster Wahrscheinlichkeit 
auf eine stattgehabte organische 
Schädigung int Schädelinnern hin- 
weisen. 

Geht man umgekehrt von den Fällen mit vorauf- 
gegangener organischer Schädigung aus und stellt ihnen 
die Zahl der mit Drucksteigerungen einhergehenden 
gegenüber, so zeigt sich, dass von 14 Fällen (die oben 
genannten und ausserdem V, VI, VIII, X,) mit sicherer 
oder sehr wahrscheinlicher, organischer, innerer V er- 
etzung 0 Fälle (s. oben) mit Drucksteigerung einher- 

Digitized by Google 


gehen, d. li. 64 Proz. Also nicht jede, aber 
doch die Mehrzahl der Fälle mit Or¬ 
gan i s c h e n S c h ä d i g u n g e n ist von einer 
abnormen Drucksteigerung auf die 
Dauer gefolgt. 

Das vorliegende Material ist zu klein, um der Frage 
näher zu treten, ob sich aus der Höhe des wahrge¬ 
nommenen Druckes oder der Tatsache der Druck- 
Steigerung selbst Rückschlüsse auf die Art der vor¬ 
liegenden Verletzung ziehen lassen. Dagegen lassen 
sich vielleicht aus der Beobachtung der 
Druck höhe beim Pressen gewisse Schlüsse 
auf die Beschaffenheit der noch be¬ 
stehenden organischen Verletzungs¬ 
folgen ziehen: Seit Januar 1914 habe ich bei den 
Punktionen systematisch solche Messungen vorgenommen. 
Es fand sich ein beträchtlicher Unterschied der hierbei 
gemessenen Druckhöhen je nachdem wir auch bei ge¬ 
wöhnlicher Atmung eine Steigerung finden oder nicht. 
Bei ersteren stieg der Druck ganz unverhältnismässig 
höher und insbesondere auffallend viel rascher an. Diese 
Steigerung ist ohne Frage von einem evtl. Reizzustand 
der Hirnhäute unabhängig, stellt vielmehr eine Be¬ 
günstigung derjenigen Faktoren dar, welche normaler¬ 
weise zu dem Ansteigen des Druckes beim Pressen bei¬ 
tragen, d. h. es muss entweder eine reichlichere An¬ 
wesenheit von Blutgefässen an bestimmten Stellen der 
Hirnhäute, oder aber eine leichtere Ausdehnungsfähig¬ 
keit derselben bei Drucksteigerungen angenommen 
werden. Beide Eigenschaften zeigt für gewöhnlich das 
Narbengewebe. Der Schluss liegt also nahe, dass 
sich die abnorme Druckerhöhung 
beim Pressen in hohem Grade von 
dem V o r 1 i e g e n von Narbengewebt, 
resp. reichlicher Blutgefässbildung in deren Umgebung 
abhängig zeigen wird. Beobachtungen bei 
Wirbelbrüchen, die an anderer Stelle besprochen werden 
sollen, veranlassen mich, diese Beziehungen mindestens 
als bei weiteren Untersuchungen der Beachtung wert zu 
bezeichnen. 

Mit diesem Hinweis bin ich schon an die Frage 
nach dem Wesen der besprochenen 
Anomalie herangetreten. Ich zeigte früher (3), 
dass die Hirnhäute der Sitz der Ursache sein müssen. 
Tatsächlich gehen alle beobachteten Fälle von Druck¬ 
steigerungen mindestens mit einer die Dura in Mitleiden¬ 
schaft ziehenden Affektion einher (nur Fall IV lässt hier¬ 
über nichts Bestimmtes erkennen). Der entzündliche 
Vorgang, der allenfalls hier ursächlich in Betracht ge¬ 
zogen werden könnte, eine chronische Meningitis serosa 
muss ausgeschlossen werden: Es wurden selbst bei lang 
dauernden Drucksteigerungen beträchtlichen Grades nie 
Stauungspapillen, fortschreitende Intelligenzdefekte, Ver- 
grösserung des Schädels, abnormer Eiweiss- oder Zellen¬ 
gehalt der Spinalllüssigkeit festgestellt. Somit bleibt nur 
der vage Begriff einer „Hirnhautreizung“. Schönborn 
(4) wies darauf hin, wie unbefriedigend ein derartiger, 
pathologisch-anatomisch nicht zu rechtfertigender Begriff 
ist. Unserer Erkenntnis ist daher ein Dienst erwiesen, 
wenn wir versuchen, die wahrgenommene klinische Er¬ 
scheinung eindeutiger zu erklären. M. E. ist dies auf 
folgende Weise möglich: Eine ohne fortschreitende 
Folgen bleibende Erhöhung des Binnendruckes im Ge¬ 
hirnrückenmarkskanal kann nur so gedacht werden, dass 
das physiologische Gleichgewicht zwischen Resorption 
und Sekretion gewahrt bleibt. Wir wissen, dass beide 
Funktionen der serösen Häute in weitem Umfange von 
mechanischen Druckverhältnissen abhängig sind. Eine 
Verletzung der Hirnhäute vermag einmal durch Narben¬ 
bildung die resorbierende Fläche zu verkleinern, indem 
sie ihre Funktionsfähigkeit schwächt oder stellenweise 
gar aufhebt; oder aber sie führt durch vermehrte Ge- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





122 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 13. 


fässbildung und damit stärkere Durchblutung zu einer 
Vermehrung der Sekretion. Im ersteren Falle wird eine 
erhöhte Druckbildung nötig werden, um die noch übrige 
resorbierende Fläche zur Resorption in höherem Masse 
als bisher anzuregen, evtl, auch die Sekretion entsprechend 
der Leistungsfähigkeit der Resorption einzudämmen. Im 
zweiten Fall wird der Druck ansteigen, bis eine gewisse 
Höhe desselben eine entsprechend höhere Resorption 
gewährleistet und die vermehrte Sekretion wiederum 
entsprechend einschränkt Die Druckerhöhung 
tritt m. E. somit als Heilfaktor zur 
Herbeiführung eines Gleichgewichtes 
zwischen Resorption und Sekretion 
auf, wodurch eben der Charakter 
einer fortschreitenden Erkrankung 
ausgeschlossen ist. Die Vermehrung der 
Sekretion durch reichlichere Durchblutung der Hirnhäute 
könnte allenfalls noch als Reizzustand der Meningen auf¬ 
gefasst werden, die Druckerhöhung durch Verkleinerung 
der resorbierenden Fläche dagegen nicht. In dieser Be¬ 
ziehung bedarf somit das in meiner früheren Abhand¬ 
lung Gesagte der Korrektur. Die Darstellung des Wesens 
der Druckerhöhung ist völlig vereinbar mit unseren oben 
erörterten Erfahrungen, dass wahrscheinlich alle Fälle 
mit chronischer Druckerhöhung mit einer Verletzung des 
Schädelinnern einhergehen, dass aber nicht alle or- 
organischen Schädigung zu einer nachfolgenden Druck¬ 
erhöhung führen müssen. Die Auffassung der Druck¬ 
erhöhung als ein Heilungsvorgang hindert auch nicht, 
dass eben diese nach aussen hin als Ursache subjektiver 
und objektiver Krankheitserscheinungen auftritt. 

Bezüglich der subjektiven Symptome 
beherrschte der Kopfschmerz das Krankheits¬ 
bild. Aus den Krankengeschichten ist eine für den vor¬ 
liegenden Zustand typische Charakterisierung desselben 
schwer zu entnehmen. Es rührt dies daher, dass ich in 
diese prinzipiell nur freiwillige Angaben des Patienten 
auf die Frage nach seinen jetzigen Beschwerden auf¬ 
nehme. In sehr sinnfälliger Übereinstimmung haben die 
Verletzten aber bei näherem Befragen ihre Kopf¬ 
schmerzen als „pochend“, „hämmernd“, „als wenn das 
Herz im Kopf sässe“ beschrieben und über ein Gefühl 
Klage geführt: „als berste ihnen der Kopf“, „als sei 
der Kopf zu klein“, „als sei ein Band um den Kopf 
gelegt“. 

Ähnlich liegen die Verhältnisse bezüglich der Klage 
über Schlafsucht. Nur zwei Patienten haben 
spontan diese Klage vorgebracht. Andere gaben sie auf 
Befragen zu, bei andern gewann ich den Eindruck, als 
besorgten sie Misstrauen gegen ihre anderen Beschwerden, 
wenn sie einen besonders guten Schlaf zugeben würden. 
Jedenfalls zeigte die Beobachtung in allen Fällen, mit 
Ausnahme von Fall XVI, einen nicht wesentlich ge¬ 
störten Schlaf. 

Als drittes bei den Fällen mit Druckerhöhung auf¬ 
fallend häufiges Symptom — auch hier stütze ich mich 
vorwiegend auf die Ergebnisse näheren Befragens — 
ist die Klage über Nackenschmerzen oder in 
den Nacken ausstrahlende Kopfschmerzen zu nennen. 
Im Falle XVI steigerte sich diese Klage bis zur objektiven 
Nackenstarre mit Andeutung des K e r n i g ’ sehen 
Phänomens. Demgegenüber zeigten die sonstigen Klagen 
über Schwindelgefühl, Erregung, Blutandrang zum Kopf 
und zahlreiche andere neurasthenische Beschwerden, die 
von den Fällen mit und ohne Druckerhöhung hervor¬ 
gebracht wurden, bei näherem Befragen keine für die 
erstere Gruppe typische Charakterisierung. 

Unter den obje k tiven Krankheitssym¬ 
ptomen des hier besprochenen posttraumatischen Zu¬ 
standes kommt dem Nachweis der Druckerhöhung 
durch die Lumbalpunktion die Hauptbedeutung zu. Da¬ 
neben war in 6 Fällen (I, II, III, VII, IX, XVI) der 

Digitized by Google 


Nachweis einer auffallenden Puls Verlangsamung 
zu führen. Konstant war dieses Zeichen hier somit 
ebenso wenig wie bei sonstigen Fällen von Hirndruck 
(Hydrocephalus, tumor eerebri). 

Das gleiche Verhalten zeigt das Symptom des Er¬ 
brechens. Es war in 4 Fällen (I, II, XI, XVI) 
nachzuweisen und zeigte sich besonders im Falle I auf¬ 
fallend abhängig von dem Bestehen der Druckerhöhung. 
Das sogenannte „Würgen“ dagegen wird häufiger, aber 
auch gleichermassen von Fällen reinerNeurastheniegeklagt, 
die normalen Lumbaldruck aufweisen. Charakteristisch 
für das durch den erhöhten Druck ausgelöste Erbrechen 
hat die nahezu völlige oder gänzliche Freiheit von Übel¬ 
sein zu gelten (zerebrales Erbrechen). 

Von den sonstigen Symptomen kann lediglich eine 
mehrfach beobachtete (I, III, IV, VII, IX, XI,) eigen¬ 
artige, ohne Beeinträchtigung der psychischen Leistungs¬ 
fähigkeit auftretende Benommenheit Anspruch 
darauf machen, für das Bestehen einer chronischen Druck¬ 
steigerung charakteristisch zu sein. Sie war in den 
Fällen besonders in die Augen springend, welche über 
Schlafsucht klagten (I, IX, VII, XI.) 

Daneben machen sich freilich noch zahlreiche, rein 
funktionelle Störungen von seiten des Nervensystems 
bemerkbar, die aber, da sie Charakteristisches nicht bieten, 
später Erwähnung finden sollen. 

Nach Vorstehendem haben wir also in den Fällen 
von Druckerhöhung es mit einem klinisch recht gut um¬ 
schriebenen, posttraumatischen Krankheitszustand zu tun, 
dessen ätiologische und pathologisch-anatomische Zu¬ 
sammenhänge ebenfalls dem Verständnis zugänglich sind. 
Ich halte es daher für zweckmässig, in der Folge eine 
kurze, prägnante Bezeichnung dafür zu gebrauchen 
und schlage den Namen seröse Hypertonie 
vor (Hypertonia serosa cerebro-spinalis posttraumatica). 
Die Berechtigung einer solchen Begriffsbildung steht 
und fällt mit ihrem Wert für die Klinik. Dieser ist m. 
E. nicht zu unterschätzen. Zwei Punkte interessieren 
nächst der Diagnose die Klinik, die Prognose und die 
Therapie, beide insbesondere in der Unfallpraxis von 
eminenter Bedeutung. 

Bezüglich der Prognose des vorgetragenen 
Krankheitsbildes ist aus den gegebenen theoretischen 
Erwägungen zu folgern, dass sie bezüglich des 
Lebens günstig, bezüglich völliger 
objektiver und subjektiver Heilung 
dagegen mindestens vorsichtig ge¬ 
stellt werden muss. Nach den Beobachtungen bei Hirn¬ 
geschwülsten darf man jedoch erwarten, dass durch 
Gewöhnung an die veränderten Druckverhältnisse 
mit der Zeit ein teilweises bis völliges Abklingen der 
sekundären Folgeerscheinungen der Hypertonie eintreten 
kann. Der Grad der Gewöhnung wird allerdings ebenso 
wie bei andern Arten von Drucksteigerungen (tumor) 
auch hier individuell sehr verschieden sein. Diese theo¬ 
retisch deduzierte Voraussage wird von den mitgeteilten 
Krankengeschichten in vollem Umfange bestätigt. Die 
Druckerhöhung sowohl wie ihre subjektiven und objek¬ 
tiven Begleiterscheinungen wurden noch viele Jahre, im 
Falle IV sogar 11 Jahre nach dem Unfälle wahrgenommen 
und bewirkten eine beträchtliche Erwerbsbeschränkung. 
Wir sehen aber den Grad der wahrgenommenen Druck¬ 
erhöhung in keinem der seit dem Unfall verflossenen 
Zeit entsprechenden Verhältnis stehen, ebensowenig die 
noch anzunehmende Erwerbsbeschränkung. Die Ge¬ 
wöhnung ist somit in hohem Masse, wie vorauszusehen 
war, von der Individualität des Verletzten, wahrscheinlich 
auch von der meist unkontrollierbaren Ausdehnung der 
organischen Schädigung, von der Lebensweise des Ver¬ 
letzten und anderem beeinflusst. Das bisher gesammelte 
Material erscheint daher zu gering, um etwaigen all¬ 
gemeingültigen Beziehungen zwischen dem 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 13. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


123 


Grad der Hypertonie, der seit dem 
Unfall verflossenen Zeit und der 
jetzigen Arbeitsfähigkeit nachzugehen 
Diese für die Unfallbegutachtung äusserst wichtige Frage 
bleibt weiteren Beobachtungen zur Beantwortung über¬ 
lassen. Dessen ungeachtet werden die bisherigen Be¬ 
obachtungen schon heute im gegebenen Einzelfall sehr 
wertvolle, manchmal sogar ausschlaggebende Fingerzeige 
bei der Beurteilung liefern können. 

Auch auf dem Gebiet der Therapie vermag 
m. E. der durch die Aufstellung des Krankheitsbildes 
der Hypertonie gewonnene Gesichtspunkt befruchtend 
zu wirken: Es wird zu prüfen sein, ob neben allgemein 
ableitenden Massnahmen die Anwendung narben¬ 
erweichender Mittel (Fibrolysin) günstige Resultate zu 
erzielen vermag. Ein diesbezüglicher, von mir einge¬ 
leiteter, aber noch nicht abgeschlossener Versuch, ball 
XVI, erscheint mir mindestens der Nachprüfung wert. 
Ferner werden wiederholte Funktionen, in desolaten 
Fällen evtl, auch entlastende Operationen in Erwägung 
zu ziehen sein. 

Ich wende mich einigen differentialdia¬ 
gnostischen Bemerkungen zu, lediglich in 
der Absicht, hierdurch die Vorteile des hier vor¬ 
geschlagenen Krankheitsbegriffes zu illustrieren. Zu¬ 
nächst ein Wort zur Frage der Simulation und 
Aggravation: mit geradezu erstaunlicher Exakt¬ 
heit lässt sich an Hand der Krankengeschichten nach- 
weisen, dass die Fälle von posttraumatischer seröser 
Hypertonie frei von objektiven Sirnu- 
lations - und Aggravations-Versuchen 
sind. Fall IX macht hier allein eine Ausnahme, indem 
er Schwanken bei Augenfussschluss darbietet, welches 
bei abgelenkter Aufmerksamkeit verschwindet. Doch 
zeigte er bei der Beobachtung mit Sicherheit einen 
schwankenden Gang. Es handelt sich also evtl, doch 
um eine entschuldbare, psychische Selbstbeeinflussung. 
Die Rückwirkung dieser Erkenntnis auf die Beurteilung 
der vorgebrachten subjektiven Beschwerden und des 
ganzen Falles liegt auf der Hand, zumal die andern Ver¬ 
letzten meist hochgradig aggravierten und unsere Hülfs- 
mittel, die Berechtigung subjektiver Kopfbeschwerden 
nachzuweisen, recht beschränkte sind. Fall XV' war 
besonders lehrreich in dieser Hinsicht, da bei ihm das 
Erbrechen stark für eine Druckerhöhung, die nach¬ 
gewiesenen hysterischen Stigmata und besonders die 
starken Simulationsversuche aber gegen eine solche 
sprachen. 

Bei der Beurteilung der hier besprochenen Ver¬ 
letzungsfolgen wird sehr häufig die Hysterie mit 
dem Krankheitsbild der serösen Hypertonie in Kon¬ 
kurrenz treten. In dieser Hinsicht sind Fall II und XV 
von grossem Interesse, weil sie in Übereinstimmung mit 
dem Ergebnis der Lumbalpunktion auch in ihrem 
äusseren Verlauf die Verschiedenartigkeit der Genese 
ihres sonst sehr ähnlichen objektiven Krankheitszustandes 
erkennen lassen: Fall II, mit Druckerhöhung einher¬ 
gehend, zeigt seine Beschwerden seit seiner Verletzung 
in ununterbrochenem Zusammenhänge und bleibt frei 
von Aggravation. Fall XV, mit normalen Druckverhält- 
nUsen, dagegen ist erst arbeitsfähig und fast völlig frei 
von subjektiven Beschwerden ; nach ’/* Jahren entwickelt 
sich langsam das hysterische Krankheitsbild unter gleich¬ 
zeitigem Auftreten von allerlei Täuschungsversuchen. 
Rein differential - diagnostisch ist ausserdem das ver¬ 
schiedene Verhalten der Punktion resp. der dabei statt¬ 
findenden Druckerniedrigung gegenüber ausserordentlich 
markant: Fall II zeigt nach der Druckerniedrigung kein 
Erbrechen mehr, Fall XV bleibt von der Punktion völlig 
unbeeinflusst, erfährt eher sogar eine gewisse Ver¬ 
schlimmerung in der ersten Zeit. Beachtet man die 
ausserordentlich verschiedenartige versicherungstech- 

Digitized by Google 


nische Beurteilung, welche hysterische, also rein funk¬ 
tioneile, und organische Erkrankungen, wie die seröse 
Hypertonie, erfahren müssen, so erhellt daraus die 
Wichtigkeit, diese letzteren Krankheitsfälle aus der 
Masse der posttraumatischen Krankheitszustände nach 
Kopfverletzungen zu isolieren. 

Besonderes Interesse gewinnt die Besprechung der 
traumatischen Neurose. Sind doch alle bisher 
von mir beobachteten Fälle von Hypertonie unter diesen 
Begriff subsumiert worden. Es frägt sich, haben wir 
die bei nachgewiesener Druckerhöhung vorhandenen sub¬ 
jektiven und objektiven Störungen als Folgen dieser 
Druckerhöhung oder lediglich als nervöse, davon un¬ 
abhängige, funktionelle Begleiterscheinungen zu betrachten, 
oder aber liegt eine Kombination beider vor? Das Er¬ 
brechen in Fall II und die Steigerung der Kniescheiben¬ 
reflexe im Fall III gingen nach der Druckerniedrigung 
zurück; die Unfähigkeit, Urin und Stuhl anzuhalten 
(Fall!) schwand nach ausgiebiger Punktion; im gleichen 
Falle behob sich die starke Benommenheit. Nach Ana¬ 
logie der Beobachtungen bei anderweitig bedingten 
Drucksteigerungen müssen w r ir auch die durch die Be 
obachtung in unseren Fällen mehrfach ’sichergestellte 
Schlafsucht als durch diese bedingt ansehen. Beweis 
genug, dass wir eine Reihe objektiver, nervöser Be¬ 
gleiterscheinungen und zwar gerade diejenigen, die wir 
als besonders häufig bei der Hypertonie auftretend er¬ 
kannt haben, als unmittelbare Folgen der Drucksteigerung 
anzusehen haben. Auf der anderen Seite begegnen wir 
zahlreichen subjektiven und objektiven funktionellen 
Störungen, deren Zusammenhang mit der Drucksteigerung 
nicht n.chzuweisen ist : Zittererscheinungen,Dermographie, 
innere Unruhe, psychische Depression oder Erregung, 
erhöhte Reizbarkeit aller Sinnesorgane, hysterische 
Stigmata, Herzfunktionsstörungen, Nervenschmerzen 
und vieles andere, Symptome, welche in gleicher Weise 
auf die Fälle von Hypertonie und diejenigen ohne Druck¬ 
steigerung verteilt sind. Es sind dies nach unserer 
zeitigen Auffassung rein funktionelle Störungen des 
Nervensystems im Sinne der traumatischen Neurose. 
Wir werden also in der Mehrzahl der Fälle von Hyper¬ 
tonie die charakteristischen Symptome 
derselben mit funktionellen Stö¬ 
rungen aus dem Gebiet der trauma¬ 
tischen Neurose durchsetzt finden. 

Lässt sich nun nachweisen, dass eine bestimmte 
Gruppierung funktioneller Störungen der traumatischen 
Neurose, welche nach der kürzlich von Horn (5) ge- 
j gebenen Einteilung als charakteristisch anzusehen ist, 
besonders häufig sich dem Krankheitsbild der Hypertonie 
beigesellt? Horn hat treffend darauf hingewiesen, 
dass sich bei zunehmender zeitlicher Distanz der Unter¬ 
suchung vom Unfall der charakteristische Symptom¬ 
komplex stark verwischt. Gehen wir dementsprechend 
von den Gutachten nach Abschluss des Heilverfahrens 
aus, so treten zw'ei Formen deutlich hervor: Das Bild 
der Schreckn eurose (HI, IV, VII) mit vor¬ 
wiegender Alteration des Blusgefässsystems und die so¬ 
genannten reinen Fälle (II, IX, XI, XII, XIV, XVI) 
mit lediglich unvermeidlichen zere¬ 
bralen Alterationen. Dagegen fanden sich 
keine lokalen Neurosen oder Neurosen, wie sie Horn 
als typisch nach allgemeinen Erschütterungen be¬ 
schrieben hat. 

Unterzieht man die Fälle mit sicherer organischer 
Läsion im Schädelinnern ohne nachfolgende Druck¬ 
steigerung (V 7 , VI, VIII, X) einer ähnlichen Durchsicht, 
so fällt bei ihnen ein auffallend rascher Heilungs¬ 
verlauf und eine nahezu völlige Freiheit von funk¬ 
tionellen Störungen nach Abschluss des Heilverfahrens 
in die Augen. Recht interessant ist der weitere Verlauf 
dieser Fälle; Fall V' bietet fünf Jahre nach seinem Un- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





124 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 13. 


falle dieZeichen einer hysterischen Gefühlslähmung und 1 
starken hypochondrisch - quärulativen Charakter dar. 
Fall VI, ein stark gealterter Mann, leidet an zunehmenden, | 
allein schon durch die Arteriosklerose verständlichen Be-1 
sclnverden, die er aber dem Unfall zur Last legt. Fall 
VIII klagt drei Jahre später über zahlreiche subjektive 
Beschwerden und leidet an einer stets gleichbleibenden 
beträchtlichen Fulsbeschleunigung. Die Beobachtung 
ergibt einen täglichen Verbrauch von 12—20 Zigaretten.! 
Fall X endlich bietet 2Jahre später das Bild einer 
„Neurose“, Pulsbeschleunigung, Dermographie, Magen¬ 
druck, lässt aber gleichzeitig den begründeten Verdacht 
auf chronischen Alkoholismus zu, Ist es nicht auffallend, 
dass sich gerade in den Fällen, bei denen die Ver¬ 
letzung so günstig abheilte, dass eine dauernde Störung 
des Binnendruckes der Schädelkapsel ausblieb, die nach¬ 
träglich auftretenden nervösen Störungen offensichtlich 
vom Unfall unabhängig sich erweisen? In nicht zu ver¬ 
kennendem Zusammenhänge damit steht die Beobachtung, 
dass, im Gegensatz zu den Fällen von Hypertonie, diese 
ausgesprochene Täuschungsversuche darboten. 

Demgegenüber zeigen die Fälle mit Drucksteigerung 
von Anfang an einen gleichbleibenden oder höchstens 
gleichmässig abnehmenden Grad ihrer subjektiven Be-1 
schwerden und werden frei von Alkohol- und Tabak¬ 
missbrauch oder sonstigen Momenten gefunden, welche 
ihre Beschwerden erklärten. Die Frage, ob die Hyper¬ 
tonie dem Fortbestehen einzelner funktioneller, dem Bild 
der traumatischen Neurose zuzurechnender Symptome 
besonders günstig ist, konnte nicht entschieden werden. 
Teils ist das Material hierfür zu wenig umfangreich 
teils Hessen Einheitlichkeit und Ausführlichkeit der 
Zwischengutachten im Stich. 

Nach Vorstehendem ist es sehr wahrscheinlich, dass 
die Fälle von organischen Verletzungen im Schädel- 
innern, welche späterhin keine Druckerhöhung zeigen, 
auch schon beim Abschluss des Heilverfahrens eine solche 1 
nicht darbieten. Unter Berücksichtigung des eben ge¬ 
schilderten verschiedenartigen Verlaufes der Fälle, je 
nachdem eine Drucksteigerung eintritt oder nicht, lässt 
die Untersuchung des Verletzten nach den hier 
gegebenen Gesichtspunkten zurzeit des Abschlusses 
des Heilverfahrens als besonders wichtig 
erscheinen. Zweifellos könnte auf diese Weise 
durch frühzeitige Hinzuziehung des internen Gutachters 
ein Wegfall der häufig zur Auslösung einer Rentenhysterie 
oder einer Simulation führenden langjährigen, höheren 
„Übergangsrenten“ und eine von vornherein wesentlich 
klarere, prognostische Beurteilung des Falles herbei¬ 
geführt werden, ein Umstand, welcher der Erhaltung 
der Arbeitskraft der Versicherten sowohl als auch den 
Versicherungsträgern zugute kommen würde. 

Die früher von mir angeregte Frage, ob durch die 
hier gegebenen Gesichtspunkte eine Trennung der 
K o n t u s i o von der Kommotio cerebri 
(Bergmann) möglich ist, muss vom theoretischen 
Standpunkte aus bejaht werden; doch mit der Ein¬ 
schränkung, dass nur dann die Hirnquetschung sich 
durch eine Drucksteigerung bemerkbar machen kann, 
wenn mit den Läsionen der Gehirnmasse auch solche der 
Hirnhäute gesetzt worden sind, was praktisch wohl stets 
der Fall sein wird. Für das chirurgische Vorgehen kurz 
nach dem Lfnfalle wird eine solche Unterscheidung keine 
Bedeutung gewinnen können. Ihr Wert liegt in der 
Möglichkeit einer präziseren Prognosestellung. Berück¬ 
sichtigt man, dass selbst bei dem so günstigen Ab¬ 
findungsmodus der Eisenbahnverwaltung H orn unter 
136 Fällen noch 14 Proz. findet, welche sich nicht ge¬ 
bessert (2,2 Proz. davon sogar verschlimmert) haben, so 
erhellt daraus für die Unfallversicherung die Forderung, 
gerade die Prognose äusserst kritisch zu stellen. Liegt 
nicht der Gedanke nahe, dass wenigstens ein Teil dieser 

Digitized by Google 


von Horn vorgetragenen Fälle von „traumatischer Neu¬ 
rose“ nach Kopfverletzungen, die auf die sonst so günstig 
wirkende Abfindung nicht reagierten, unter das hier auf¬ 
gestellte Krankheitsbild gehörte? Seine Angabe, dass 
sicher in einem Teil der Fälle die schwere und die or¬ 
ganische Komplikation zu dem ungünstigen Verlauf bei¬ 
getragen habe, macht dies zum mindesten sehr wahr¬ 
scheinlich. 

Weitere differential-diagnostische Bemerkungen er¬ 
übrigen sich. Zum Schluss möchte ich nur noch hin- 
weisen auf die Wirkung des hier formulierten Krank¬ 
heitsbildes hinsichtlich der praktischen Gestaltung 
der Begtachtung: Der Nachweis eines normalen 
Lumbaldruckes war in drei Fällen die einzige Möglich¬ 
keit, die vom Gesetz verlangte wesentliche Änderung in 
den der Beurteilung zugrunde liegenden Verhältnissen 
nachzuweisen (V, VI, VIII). In vier Fällen (II, XII, 
XIV, XV) konnte durch den Nachweis eines normalen 
Druckes die damit gewährleistete gute Prognose zum 
Vorteil des Versicherten und Versicherungsträgers die 
Abfindung empfohlen werden. In zwei weiteren Fällen 
(IV, IX) führte der Nachweis einer Drucksteigerung zu 
einer vorsichtigeren Beurteilung: Langsamerem Renten- 
kürzungsverfahren, resp. Beibehaltung der bestehenden 
Rentenhöhe. Im Fall Xi war das Ergebnis der Lumbal¬ 
punktion sogar Veranlassung, das nur dadurch als 
dringend erkannte Heilverfahren wieder aufzunehmen. 

Ohne die Bedeutung des hier gegebenen Gesichts¬ 
punktes zu überschätzen, glaube ich doch ein gewisses 
Gefühl der Sicherheit hervorheben zu müssen, 
welches durch ihn in die Beurteilung der nach Kopf¬ 
verletzungen zurückbleibenden nervösen Beschwerden 
hineingetragen wurde. Wir wissen, dass die Wirkung 
solcher Störungen auf die Erwerbsfähigkeit des Patienten 
in überwiegendem Masse von der psychischen Reaktion 
des Einzelnen der Arbeit gegenüber abhängt Art dieser 
Arbeit, Stimmung, Lebensgewohnheiten, äussere persön¬ 
liche und seelische, ja, Witterungseinflüsse werden diese 
Reaktion und damit den Grad der Erwerbsfähigkeit 
ändern. Bewusst oder unbewusst spielen bei solchen 
Schwierigkeiten der Beurteilung der momentane Ver¬ 
dienst des Verletzten, Entscheidungen des R V. A. 
grundsätzlicher Art, Charakter des Untersuchten (ob 
dem Arzt sympathisch oder nicht), eine bedeutende, nicht 
selten ausschlaggebende Rolle. Ich empfand es als einen 
Vorteil, dass dem Gutachter in den zur Hypertonie ge¬ 
hörigen Fällen objektive Anhaltspunkte, wie Druck¬ 
erhöhung, davon abhängige objektive und subjektive 
Symptome, die Möglichkeit einer Gewöhnung und der 
Ausschluss von Simulations- und Aggravationsverdacht 
erhebliche positive Anhaltspunkte an die Hand gegeben 
wurden. Umgekehrt verschaffte der Nachweis normaler 
Druckverhältnisse für die übrigen Fälle die Möglichkeit, 
unberechtigten Ansprüchen energischer entgegenzutreten. 
Ich habe den bestimmten Eindruck, 
dass durch Aufstellung des Krankheitsbildes der serösen 
Hypertonie eine gerechtere Beurteilung 
der Er'vverbsbeschränkung und damit 
eine gerechtere Verteilung der Renten- 
b e 7 . ü g e ermöglicht würde. 

Literaturverzeichnis: 

1. Quincke, D m. W. 1905 Nr. 47. 

2 Sahli, Lelirb. D. klin. Untersuchungsmelhoden, Leipzig 

1909. 

3 Rinclerspacher, Zeitschrift f. Versicherungsmedizin, 

1914 Heft 4 

4. Schönborn, I). Arch. f. clin. Med. 1905. 

5 Horn, über nervöse Erkrankungen nach Eisenbahnuufällen, 

Alb. Jahu, Bonn 1913. 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







125 


Nr. 13. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Mitteilungen aus 


der Praxis und Autoreferate. 


Zur Pathologie der Zwillingsschwangerschaft 

Von Prof. Dr. Walther. 

(Repertorium der prakt. Medizin. Heft 21 u. 22.) 

In Anbetracht der vielfachen Störungen, die eine 
mehrfache Schwangerschaft mit sich bringen kann, er¬ 
örtert der Verf. an der Hand eigener Erfahrungen in 
der konsultativen Praxis die Gefahren, die schon in 
der Schwangerschaft, besonders aber bei der Geburt 
auftreten können. In der Schwangerschaft ist die 
Komplikation mit Nephritis, sodann aber auch mit 
Hvdramnion besonders beachtenswert. Bei eineiigen 
Zwillingen kommt, wenn auch selten, das akute 
Hvdramnion vor. Auch Missbildungen sind bei eineiigen 
Zwillingen zu beachten. Verf. teilt einen schweren Ge¬ 
burtsfall mit, der durch einen acardiacus veranlasst 
wurde. Von besonderem klinischen Interesse ist da* 
Zusammentreffen der Zwillingsschwangerschaft mit 
Eklampsie. Bei dem Zwillingsabort sind die Blutungen 
mitunter recht beträchtlich. Die seltene Komplikation 
des Zwillingsabortus mit Blasenmole des einen Eies w ird 
erwähnt. Von besonderem Interesse für die Praxis sind 
die Gefahren der Geburt bei Zwillingen, weil er- 
fahrungsgeinäss die Hebammen, wenn nicht vorher schon 
Komplikationen vorhanden waren, erst bei oder nach der 
Geburt (des ersten Zwillings) zum Arzte zu schicken 
pflegen. Bei der Geburt sind es die Falschlagen der Frucht, 
die in 48 I’roz. der Fälle Vorkommen und zu Störungen 
Anlass geben können, insbesondere bei der zweiten 
Frucht. Zu der sogen, unterbrochenen Geburt (d. i. Ver¬ 
zögerung der Geburt des zweiten Kindes) teilt Verf. ein 
Beispiel mit, das die Gefahren illustriert, die 1. in Fieber, 

2. in vorzeitiger Lösung der Plazenta bestellen. Die 
Geburt des zweiten Zwillings, die in 85 Proz. der Fälle 
innerhalb 2 Stunden erfolgt, soll jedenfalls nicht zu sehr 
verzögert sein. Sehr wichtig sind auch die mechanischen 
Störungen, z. B. das Kreuzen der Köpfe. Von besonderer 
Bedeutung ist bei jeder Zwillingsgeburt die Nachgeburts¬ 
zeit, die auch bei regelmässigem Verlauf mit stärkerer 
Blutung einhergeht. Sehr gefährlich ist die vorzeitige 
Lösung der Plazenta vor der Geburt des zweiten Kindes. 
Schliesslich ist der Zustand post partum wegen der 
Gefahr der Atonie und das Wochenbett wegen der ver¬ 
zögerten Rückbildung noch zu beachten. Bezüglich 
Einzelheiten, auch der Kasuistik sei auf das Original 
verwiesen, das jetzt als gesondertes Heft erscheinen 
wird. Autoreferat. 

Ueber ein neues, mehr mechanisches Wund- 
desinfektionsmittel, „Scobitost“ genannt. 

Mitteilung von Dr. med. Ratner, Wiesbaden. 

Die Wunddesinfektion in ihrer eminenten 
Wichtigkeit und ganz speziell in schwerer Kriegs¬ 
zeit mit den unvermeidlichen schrecklichen und gefähr¬ 
lichen Verwundungen, bildet eine der wichtigsten 
Fragen der Hygiene und Prophylaxe . . . Wer 
kennt nicht den ominösen „Spitalbrand“ früherer Zeiten 
und seine gefahrvolle Ausbreitung? Es ist deshalb stets 
mit Freuden zu begrüssen, über neue, billige, im Felde 
leicht zu handhabende Wunddesinfektionsmittel zu 
verfügen . . . Die mechanische Wirkung des Alkohols 
bei der Asepsis kennen wir, ebenso des Jods . . . Nun 
ist ein Mittel — wie vorliegende Berichte aus 
grossen Krankenhäusern besagen — da, das, aus 
geröstetenSägespänen dargestellt, als schwarzes 
Pulver auf grosse eitrige, ja jauchige Wund¬ 


flächen gestreut, die Wundsekretion sowie die Infektion 
hemmt, ja beseitigt! Es soll sich auch für 
schwere Kriegs Verwundungen sehr bewährt 
haben. 

Gepulvertes Holz, speziell Rinde als Wundheilungs¬ 
mittel zu gebrauchen, diese Idee ist uralt, speziell im 
Orient seit grauer Vorzeit verbreitet. Schon vor vielen, 
vielen Ja hrhunderten pflegten die jüdischen 
Beschneider (M 6h al i m) zur schnellen 
Heilung das wunde Glied ohne jegliche 
Bedeckung nur mit gepulvertem, altem 
Holz zu bestreuen, als man noch von Antiseptik 
nicht die leiseste Ahnung hatte. (Jetzt nur noch i n 
Polen im Gebrauch !) 

Also das Aufleben einer alten Idee in mo¬ 
derner Form! Niciit alleinselig machende synthetisch¬ 
chemische Antiseptika, mit ihren m anchmal uiung e- 
n e h m e n Nebenwirkungen, sondern auch m echa n i- 
sche Mittel sind wirksam. Oder sind die bei Röstung 
des Holzes entstehenden Kresole, Phenole usw. mit wirk¬ 
sam? Jedenfalls ist das Scobitost der Beachtun g 
und des weiteren Studiums wert! 

Beobachtungen an einem Falle von paroxysmaler 
Hämoglobinurie. 

Von Privatdozent Dr. Hugo Pribram, Prag. (I. Assistent der 
Klinik R. v. J a k s c h.) 

(Vortrag, gehalten im Verein deutscher Ärzte in Prag, 
am 5. November 1915). 

Der vorgestellte Soldat zeigt die typischen Sym¬ 
ptome einerparoxysmalen Hämoglobinurie. Beobachtungen 
an dem Falle: 

1. Durch Kältetraumen traten zuerst nur frustrane 
dann manifeste Anfälle mit Hämoglobinurie auf. 

2. Lordose allein sowie Marschfrieren in Lordose führten 
weder zur Ausscheidung von Blut, noch von Eiweiss 
oder Urobilin. 

3. Nach einem frustranen Anfall stieg die Erythro¬ 
zytenzahl offenbar durch Eindickung des Blutes. Dies 
bewies die Zunahme der Trockensubstanz und der 
Refraktion des Serums. 

4. Die Resistenz der Erythrozyten gegen Saponin 
war bei wiederholten Untersuchungen normal, nach dem 
Kälteversuche erhöht, wahrscheinlich infolge der Zer¬ 
störung der weniger resistenten Blutzellen. Die Resistenz 
gegen hypisotonische Lösungen war etwas wechselnd, 
im allgemeinen normal. 

5. Fünf Bestimmungen des Cholesteringehaltes des 
Serums vor und nach Kälteversuchen hatten folgendes 
Ergebnis. Vor und nach dem Kälteversuch änderte sich 
der Cholesterinspiegel des Blutes nicht. Zur Zeit des 
frustranen Anfalles war viel, zur Zeit der manifesten 
Anfälle wenig Cholesterin im Serum nachweisbar. Auch 
in einem früher beobachteten Falle mit frustranen An¬ 
fällen hatte der Autor hohe Cholesterinwerte gefunden. 

6. F)ie Do n a t h • La n d s t e i n e r’sche Reaktion 
war zur Zeit des frustranen Anfalles negativ, zur Zeit 
der manifesten Anfälle positiv. 

Aus diesen Befunden lässt sich mit einige! Wahr¬ 
scheinlichkeit ein Zusammenhang zwischen Cholesterin¬ 
stoffwechsel und Auftreten der Hämoglobinurie ableiten: 
Bei hohem Cholesteringehalt Ausfall oder-Verminderung 
der Hämolyse in vitro und in vivo, ein Zusammenhang, 
der um so mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnt, als 
Cholesterinzusatz, wie man durch Lindblom weiss, 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





126 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 13. 


das Auftreten der Kaltehämolyse in vitro hemmt und 
Cholesterinzufuhr den Verlauf der paroxysmalen Hämo¬ 
globinurie günstig beeinflussen kann. 

7. Die W a s s e r m a n n sehe Reaktion war bei 
wiederholten Untersuchungen, auch nach reichlicher 
Cholesterinzufuhr positiv. 

Durch Cholesterinzufuhr per os gelang es nicht, die 
Erkrankung zu beeinflussen und eine wesentliche Er¬ 
höhung des Cholesterinspiegels des Blutes zu erzielen. 

Die Beobachtungen an diesem Kranken mussten 
unterbrochen werden, da der Kranke die Klinik von 
Jaksch verlassen musste, sodass es vorläufig nicht mög¬ 
lich war, durch Wiederholung und Variation der Ver¬ 
suche die Resultate auf ihre Allgemeingültigkeit und 
Konstanz zu prüfen. Sie seien bei der Seltenheit der 
Erkrankung, auch jetzt zu Kriegszeiten, daher bereits 
jetzt kurz mitgeteilt. (Autoreferat ) 


Neues über Keuchhustenbehandlung. 

In der Therapie des Keuchhustens erfreut sich das 
vor ungefähr 6 Jahren allgemein bekannt gewordene 
Droser.in einer von Jahr zu Jahr steigenden Beliebtheit. 
Die erste Veröffentlichung von Chi eff i „Über ein 
neues Mittel gegen Keuchhusten“. Ärztliche Rundschau 
München 1910 führte zu den klinischen Feststellungen, 
dass das Droserin einen beachtenswerten Fortschritt in 
der Therapie des Keuchhustens bildet, und wegen seiner 
guten Wirkung und seines angenehmen Geschmack.es 
zu empfehlen sei. Weiter berichtet v. Muralt im 
Correspondenzblatt für Schweizer Ärzte 1912: „Droserin 
gegen Keuchhusten“, dass von allen bisher bekannten 
inneren Keuchhustenmitteln Droserin das beste ist. 
Dieses Urteil wurde bestätigt, durch kurze Mitteilung aus 
der Königl. Universitäts - Kinder - Klinik und Poliklinik 
München durch Professor von Pfaundler, dass das 
Droserin in geeigneten Krankheitsfällen sich insbesondere 
bewährt hat. In eingehender lnaugural Dissertation kam 
1912 Bandorf in der Universitätskinderklinik Pro¬ 
fessor Dr. Jamin , Erlangen zu dem Ergebnis: „Dro¬ 


serin ist ein Fortschritt in der Keuchhustentherapie, es 
verdient versucht zu werden, da es keine schädlichen 
Nebenwirkungen entfaltet und als durchaus harmlos be¬ 
zeichnet werden kann; es ist empfehlenswert bei jedem 
Keuchhustenfall, speziell bei jedem frischen einen Ver¬ 
such zu machen und das Droserin drei Wochen lang zu 
verabreichen. — 

In der Berliner klinischen Wochenschrift veröffent¬ 
lichte alsdann 1915 Cr am er, dass ersieh den anderen 
Empfehlungen desDroserins nur warm anschliessen könne, 
und erklärt selbst das Droserin als ein besonders natür¬ 
liches und dabei völlig unschädliches Mittel (Vorzug vor 
Chinin oder Bromoform) gegen Keuchhusten. 

Aus dem Jahre 1914 liegen eine ganze Reihe ärzt¬ 
licher Mitteilungen aus der Praxis vor, unter anderen 
von dem Universitätsprofessor Dr. Hecker, der das 
Droserin für eines der erfolgreichsten Keuchhustenmittel 
hält, unter dessen Anwendung Zahl und Heftigkeit der 
Anfälle bald nachlassen; besonders empfiehlt sich die 
frühzeitige Anwendung; ferner eine Mitteilung von 
Universitätsprofessor Dr. Tr um pp, welcher auch den 
schleimlösenden Effekt von Droserin II und seine mil¬ 
dernde Wirkung auf quälenden Hustenreiz besonders 
hervorhebt. Professor Trum pp hat mit Nutzen bei 
j verschiedenen Arten von Reiz- und Keuchhusten das 
Droserin verwendet. Im letzten Jahre hat die her¬ 
stellende F'irma Dr. R. und Dr. O. W'eil in Frankfurt 
a. M. ausser den Droserin-Tabletten ärztlichen Wünschen 
entsprechend auch die Sirupform, den Droserin-Sirup 
eingeführt und die antispasmotische Wirkung durch einen 
geringen Kalzium-Brom-Valerianatgehalt noch verstärkt. 
Auch diese Droserinsirupform erfreut sich in der Privat- 
und besonders preiswerten Kassenpackung vielseitiger 
Anwendung bei hartnäckiger Pertussis speziell auch im 
krampfartigen Stadium bei infektiösen Katarrhen der 
Respirationsorgane mit starkem oder quälendem Husten¬ 
reiz, Katarrh des Pharynx, Influenza, Masernhusten. In 
all diesen Fällen hat sich das Droserin in der wissen¬ 
schaftlichen Therapie einen festen Platz errungen. 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Dr. Wilhelm Müller, ehemaliger Assistent am 
Institut für experimentelle Therapie des allgemeinen Kranken¬ 
hauses Eppendorf - Hamburg, Erste Erfahrungen mit Deycke- 
Muchsfhen Tuberkulosepartialantigenen Im Hochgebirge. (Münch, 
med. Wochenschr. 1915, Nr 41.) 

Die von Müller eingeführte Therapie mit Tuberkulose¬ 
partialantigenen ist nicht leicht. Sie verlangt einen mit ex¬ 
perimentell-therapeutischen und serologischen Kenntnissen aus¬ 
gerüsteten Arzt und erfordert sorgfältigste.Anpassung an das 
individuelle Verhalten der Patienten. Die ständige Verabreichung 
der Antigene muss genau kontrolliert und überwacht werden. 
Die Behandlung mit Partialantigenen richtet sich danach, ob 
man es mit den Albumintüchtigen bei Lungentuberkulose oder 
den Fettüchtigen bei chirurgischer Tuberkulose zu tun hat. 
Während der Behandlung ist auf Fieber, Sputummenge, die 
physikalischen Symptome der Lunge und das Allgemeinbefinden 
zu achten. Gewöhnlich sind mit der Kur leichte Temperatur¬ 
steigerungen verbunden. Die Sputummenge wird durch die 
erste Kur gewöhnlich nicht beeinflusst, ja es zeigt sich sogar 
bisweilen eine leichte Zunahme des Baziilengehaltes. Vielfach 


tritt jedoch gleich zu Anfang eine Änderung im morphologischen 
Verhalten der Bazillen ein, die kümmerlicher, unansehnlicher 
und schwerer färbbar werden. 2 — 3 Kuren zu je 12 Injektionen 
genügen zumeist noch nicht zur Heilung. Auffallend und 
wichtig ist eine starke Steigerung der Phagozytose durch die 
Kur. Bei Albumintüchtigen, wo nur Fettkörper verabreicht 
wurden, sah Verf. schon nach 12 Injektionen Lympho- und 
Leukozyten vollgestopft mit Bazillen. Zur genaueren Information 
bedarf es einer Einsicht des Originals Dem Verfasser wäre 
eine etwas grössere Allgeineinverständlichkeit der Darstellung 
zu wünschen, sie würde der Verbreitung des anscheinend brauch¬ 
baren aber noch sehr wenig bekannten Verfahrens entschieden 
nützen. H. Graf- Hamburg. 

Dr. E. Ungermann, Reg. Rat, früherer wissenschaft¬ 
licher Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt, Unter¬ 
suchungen über Tuberkiiloseantikörper und Tuberkutoseüberempftnd- 
lichkeit. (Arbeiten a d. Kaiserl Gesundheitsamte, Bd. 48, 
Heft 3, 1915.) 

Man nahm früher auf Grund vieler Versuche einen engen 
Zusammenhang an zwischen Tuberkuloseimmunität und Tuher- 
kulosenüberempfindlichkeit. Die iu den Jahren 1910—1912 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 13. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


127 


von Ungermann im Kaiserlichen Gesundheitsamte unter 
Leitung von Prof. N e u f e 1 d unternommenen und erst jetzt 
veröffentlichten Versuche haben nun folgendes ergeben: Bei 
aktiv immunisierten Tieren besteht kein Grund zu der Annahme, 
dass phagozytäre Serumkörper bei der Tuberkuloseimmunität 
eine ausschlaggebende Rolle spielen. Ein beträchtlicher Grad 
von Immunität kann vorhanden sein, ohne dass sich gleich¬ 
zeitig eine nennenswerte Zunahme der phagozytär wirkenden 
Stoffe im Serum nachweisen lässt. Anderseits ist eine erhebliche 
Steigerung des gssonischen Index nicht gleichbedeutend mit einer 
kontrollierbaren Steigerung der Immunität der betreffenden Tiere. 
Eine Spezifität der phagozytären Serum körper, die eine Differenzie¬ 
rung des Typus humauus uud bovinus ermöglichen Hesse, wurde 
bei den aktiv immunisierten Tieren in keinem Fall festgestellt, i 
Die bei der Untersuchung der Überempfindlichkeit zur Seusibili- j 
tierung angewandten Tuberkelbazillenpräparate waren folgende: 1 
1. Lebende Tuberkelbazillen (Typus humanus); 2. im Dampf j 
abgetötete Tuberkelbazillen ; 3. zermahlene Tuberkelbazillen; 

4. in völlig trockenem Zustande durch Erhitzung auf 150° ab¬ 

getötete Tuberkelbazillen (Löfflers Impfstoff); 5. Alttuberkulin 
(von Typus bumanus gewonnen); 6. filtrierte, aber nicht 

gänzlich tuberkelbazillenfreie Nährbouillon, auf welcher eine 
Tuberkelbazillenkultur sechs Wochen gewachsen war. Be¬ 
merkt sei, dass gleichzeitig die toxische Minimaldosis der 
Präparate ausgewertet wurde. Dabei hatten die am meisten 
toxische Wirkung die lebenden Bazillen. An zweiter Stelle 
liehen naeh Löfflers Verfahren abgetötete Bazillen ; an dritter 
im Dampf abgetötete; an vierter das Tuberkulin; an fünfter 
die filtrierte Kulturbouillon. Es gelingt auch mit abgetöteten 
Tuberkelbazillen bei Meerschweinchen und Kaninchen eine 
typische Tuberkuloseüberempfindlichkeit zu erzeugen, deren 
Nachweis jedoch weniger regelmässig gelingt und viel grössere 
Antigendosen erfordert wie bei tuberkulös infizierten Tieren. 
Am günstigsten war die sensibilisierende Wirkung der nach 
Löfflers Verfahren abgetöteten Bazillen. Mit Alttuberkulin 
konnte auch bei mehrfacher Anwendung grösserer Dosen keine 
nachweisbare Sensibilisierung gesunder Meerschweinchen erreicht 
werden. Der Tod erfolgte teils in der akuten Form des ana¬ 
phylaktischen Schocks, teils im Verlauf des 2. bis 4. Tages. 
Bei vielen mit grossen Dosen abgetöteter Bazillen intravenös, 
vorbehandelten Meerschweinchen ergab sich ein Sektionsbefund 
der mit dem bei aktiver Tuberkulose weitgehende Ähnlichkeit 
hatte, besonders eine sehr starke Milzvergrösserung. Das Vor¬ 
handensein von Überempfindlichkeit konnte bei solchen Tieren 
nicht immer nachgewiesen werden. 

Schütz, Zur Fwnktionspriifiing des Kreislaufs (speziell 
bei Eisehöplnngs- und Fieberzuständen). (D. m. W 47. 15.) 

Es wurden besonders bei bettlägerigen Kranken wieder¬ 
holt untersucht Puls und Blutdruck, und zwar nach 2 Schemata: 

I. Schema: 1. Puls im Liegen, 2. Puls gleich nach Aufsetzen, 
3. */, Minute nach Aufsetzen, 4. nach neuerlichem Hiulegen, 

5. l /, Minute darauf, 6. nach Aufstehen, 7. l / i Minute darauf, 
8. nach 10 maliger tiefer Kniebeuge und dann jede l / 2 Minute. 

II. Schema: 1. Puls im Liegen, 2. Blutdruck im Liegen, 3. 
Blutdruck gleich nach Aufsetzen, 4. 1 Minute darauf, ö. gleich 
nach neuerlichem Hinlegen, 6. Aufstehen lassen und Blutdruck 
messen. 7. gleich darauf Puls zählen, 8. Blutdruck eine Minute 
darauf, 8 a ev. 2 Minuten darauf, !t. Hinlegen lassen, Blutdruck 
messen und Puls zählen. — Die Untersuchungen bestätigten 
die bereits bekannte Tatsache, dass man aus der Zeit, 
die ein durch körperliche Anstrengung gesteigerter Pulsschlag 
zum Zurückgehen auf die Norm braucht, einen Rückschluss 
auf die Herzkraft ziehen kann. Bei Erschöpfungszuständen 
fand Sch. beim Übergang aus liegender und stehender Stellung 
einen sehr starken Rückgang des Blutdruckes bis zu 60 mm. 
Bei fortschreitender Besserung wurde die Differenz geringer 

N e u m a n n. 

Oynäkologie und Geburtshilfe. 

Ernst Engelhorn, stellvertretender Direktor der 
Klinik. (Aus der Grossherzogi. Sachs. Universitäts-Frauenklinik 
Jena), Zur Ile handln ns der Ausfallserscheinungen. (Münch, 
med. Wochenschr. 1916, Nr. 45.) 

An Stelle der sonst in der Praxis zur Bekämpfung der 

Digitized by Google 


klimakterischen Beschwerden angewandten Mittel wie Verab¬ 
reichung von Ovarialpräparaten, Migränin, Phenazetin, Brom¬ 
salzen und allgemeinen hygienisch diätetischen Massnahmen 
(Reduktion von Eiweiss, Betonung der Pflanzenkost, Waschungen, 
Bäder, alkoholische Ilautabreibuugen usw.), die alle oft erfolg¬ 
los bleiben, empfiehlt Engelhorn die Anwendung des 
Aderlasses. Der Aderlass findet heute auf den verschiedensten 
Gebieten der Medizin wieder Anwendung und hat sich ja auch 
bei der Eklampsie vielfach ausgezeichnet bewährt. Engelhorn 
hat ihn nun bei einer Reihe von Patientinnen angewandt, bei 
denen die nervösen Störungen besonders Herz und Gefässe be¬ 
trafen und sich in Ilitzewallungen nach dem Kopf, fliegender 
Röte, Schweissausbrüchen, Ohnmacht, Schwindelgefühl und 
Flimmern vor den Augen äusserten. Der meist erhöhte Blut¬ 
druck sank regelmässig sofort um 20 mg Hg nach Ab- 
lassuug von etwa 100 ccm Blut aus der Kubitalvene. Auf¬ 
fallend war das subjektive Gefühl der Besserung, das sich bei 
allen Frauen am nächsten Tage einstellte und das von allen 
wohltuend empfunden wurde. In einzelnen Fällen musste der 
Aderlass nach 8 — 14 Tagen noch ein oder das andere Mal 
wiederholt werden, brachte aber auch dann die gewünschte 
Erleichterung. Auch bei den durch Dysfunktion des Ovars 
bedingten nervösen Störungen der Entwicklungsjahre wandte 
Verfasser bei Versagen sonstiger Mittel vereinzelt den Aderlass 
an. Die Erfolge waren gut und ermutigen zu weiteren Ver¬ 
suchen. H. Graf- Hamburg. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

Holzknecht und Wachtel, Das Fremdkörpertelephon. (M. 

m. Wochenschr. 37., 15.) 

Infolge des Krieges sind zu den alten eine Unmenge neuer 
Methoden zum röntgenologischen Nachweis von Fremdkörpern 
gekommen, die zum Teil recht kompliziert sind, ohne bessere 
Resultate zu geben, wie die relativ einfachen Methoden von 
Fürstenau und Wachtel. Nun ist aber nicht zu verkennen, 
dass die genaueste Lokalisation an der Oberfläche sehr wenig 
nützt, wenn wie es häufig der Fall ist, bei der Operation alle 
Formen verändert und der Gleichgewichtszustand gestört wird. 
Man findet nichts und beschliesst, mit Sonde und Skalpell die 
Wunden zu durchsuchen, um nach solchem planlosen Ver¬ 
wüsten vielleicht hart neben der erst angenommenen Stelle den 
im Blut schlecht sichtbaren Fremdkörper zu finden. Wir haben 
eben die elastisch weichen, durch Blutung, Eiterung, Nekrose 
unsichtigen Gewebe unseres Körpers und nicht die Übungs¬ 
kartoffel vor uns und man fühlt, es fehlt noch etwas, was die 
Hand des Chirurgen an den einen, oft kleinen Punkt des 
Fremdkörpersitzes hinführt. 

I Wir können den Fremdkörper hundertmal berührt haben, 
ohne es zu wissen und glauben anderseits oftmals, wenn wir 
mit unseren Instrumenten an Bindegewebszüge, Periostrippen, 
Gefässe usw. kommen, den Fremdkörper vor uns zu haben. 
So fasst man oft einen derben Gegenstand mit der Kornzange 
und zieht ihn mühsam hervor. Es ist aber nicht der Fremd¬ 
körper. Es fehlt also ein Zeichen, dass wir 
den Fremdkörper berühren. 

Hier setzt nun das von den Autoren genial erdachte Fremd¬ 
körpertelephon ein, das nach Art der gewöhnlichen Telephone ge¬ 
baut, dem Operateur bei der Operation anzcigt, wenn eine von 
ihm in die Wunde eingeführte Nadel den Fremdkörper be¬ 
rührt 

Das Fremdkörpertelephon ist ein vor¬ 
züglicher, einfacher, stets bereiter 
Operationsbehelf. Die R öntgen un tersu chun g 
bezeichnetdem Operateur vorder Operation 
die Gegend, das Fremdkörpertelephon 
während der Operation den Punkt, wo 
der Fremdkörper liegt. Neumann. 

Grosskopf, Der Seidenbau ln Deutschland. Kurze 
Anleitung nach langjährigerErfahruug zusammengestellt. (Ilmenau, 
Schröters Verlag 1914.) 

Allerorten sind Organisationen und Vereine in dankens¬ 
wertester Weise am Werke für unsere Kriegsbeschädigten zu 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 13. 


128 


sorgen und ihnen neue Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen. 
Dabei ist auch von verschiedenen Seiten auf die Seidenraupen¬ 
zucht hingewiesen worden, die bereits früher einmal in Deutsch¬ 
land in hoher Blüte stand. G. gibt in kürzet) Zügen praktische 
Hinweise dafür, wie der Seidenbau gewinnbringend sich wieder 
einbürgern lässt, und als Nebenerwerb gedacht, scheint sich 
hier für unsere Invaliden ein gangbarer Weg zu eröffnen. Es 
ist entschieden wünschenswert, dass an zahlreichen Stellen 
Versuchsstationen eingerichtet werden zur Unterweisung ge¬ 
eigneter Leute, denn wer sich ohne genaue Unterweisung mit 
der Zucht der Seidenraupen beschäftigen wollte, würde wohl 
böses Lehrgeld zu bezahlen haben. R. 

Medikamentöse Therapie. 

Vierteljalirsbericht über • die Fortschritte aut dem Gebiete der 
medikamentösen Therapie. 

Von Apotheker Otto -Frankfurt a. M. 

Das verflossene letzte Viertel des Jahres 1915 brachte nur 
einige wenige Neuheiten auf dem Gebiete der medikamentösen 
Therapie. Die Ursachen hierfür liegen so klar auf der Hand, 
dass sie einer Darlegung nicht bedürfen. Genau genommen 
ist der Mediziner für alle Fälle mit einer so grossen Zahl er¬ 
probter Mittel ausgerüstet, dass ein Stillstand in der Erzeugung 
neuer medizinisch-chemischer Produkte, der in diesem Falle 
noch lange keinem Rückgänge gleichkommt, wohl von keiner 
Seite schwer empfunden werden wird. Diejenigen Ärzte, die 
während der ganzen Kriegsdauer im Felde insbesondere bei 
der Truppe im Gefechtsbereiche stehen, werden nach ihrer Rück¬ 
kehr an sich schon einiges nachzuholen haben, wenn auch die 
Sanitiitsverwaltung durch Überweisung der medizinischen Presse 
und gelegentliche Vorträge und Versammlungen im Etappen¬ 
gebiete das wissenschaftliche Interesse zu unterhalten bemüht ißt. 

Ueber Neuerscheinungen und neue Erfahrungen haben wir 
im verflossenen Quartal regelmässig berichtet, auch technische 
Neuerungen nicht unerwähnt gelassen. 

So referierten wir über Rhodalzid, Jodprothaemin, 
Gutta raylkapseln,Lenicetpräparate, Optochin, 
Pellidolsalbe, Hepin-Sauerstoffbäder, Chole- 
valum siccum, Glyzerinersatz, neue Kohle¬ 
präparate, die Kalktherapie mittels K a 1 z a n, 
D i o g e n a 1 und Trisalven, das Neueste auf dem Ge¬ 
biete der sexuellen Desinfektion. 

Das bereits früher erwähnte granulierende Wundöl der 
Firma K n o 1 1-Ludwigshafen ist inzwischen unter dem Namen 
Granugenol-Knoll dem Hersteller geschützt worden. 

Nicht unangebracht erscheint es auf einige Präparate hin¬ 
zuweisen, die zwar schon seit einiger Zeit bekannt und im 
Gebrauch sind, über die aber inzwischen neue Erfahrungen 
gemacht und veröffentlicht worden sind. 

So stellt die chemisch-pharmazeutische Fabrik von Doktor 
G. Henning in Berlin-W. die unter dem Namen der Peraquin» 
Salbe bekannte dauernd haltbare Wasserstoffsuperoxydsalbe 
neuerdings in konzentrierter (20 proz.) Form her, so dass es 
dem Arzte möglich ist dieselbe in jeder gewünschten Stärke 
zu ordinieren. Peraquin „fest“ ist bekanntlich eine H, O, = 
Karbamidverbindung, die mit reinster Vaseline in Salbenform 
gebracht zur Wundbehandlung Anwendung findet. 

Unter dem Namen Antoxikokain bringt die chemische 
Fabrik Zofingen A. G. vorm. Siegfried laut Schweiz. Apotheker- 
Zeitung 1915 Nr. 44 ein Präparat in den Handel, das die 
Höchster Novocain-Suprarenintabletten in der Schweiz, schliess¬ 
lich auch anderswo, entbehrlich machen und womöglich ver¬ 
drängen soll. Chemisch ist dasselbe identisch mit Novocain. 

Unsere Feinde im Westen bemühen sich nach wie voi 
Beginn des Krieges unserem Salvarsan Gleiches oder Besseres 
gegenüberzustellen Verstärkt werden diese Bemühungen durch 
grossen Bedarf und Fehlen der Zufuhr. Die Münchener Med. 
Wochenschrift berichtet in Nr. 42 von 1915 über das von 
Monneyrat, dem Erfinder des Hektin, hergestellte G a 1 y 1, 
ein Derivat des Arsen oben zols. Trotz unerwünschter Nebener¬ 
scheinungen (Dyspnoe, kleiner Puls, Magenschmerzen u. a.) 
glaubt A. Foerster vom Lock Hospital in London, dass 
das Galyl dem Salvarsan in jeder Beziehung ebenbürtig ist. 
(Siehe den Lancet vom 18. Sept. 1915.) Eine amerikanische 
Firma — The Intravenous Products Co. in Dever, Colorado 


I — kündigt zum gleichen Zwecke ein organisches Arsenpräparat 
in Kombination mit Hydrarg. und Natr. jodat. an. Es kommt 
unter dem Namen Venarsen in steriler Lösung in Am¬ 
pullen in den Handel. Wie weit hierbei Patentverlelzungen 
in Betracht kommen, entzieht sich noch der Beurteilung Die 
Höchster Farbwerke vorm. Meister, Lucius und 
Brüning haben bereits Gelegenheit gehabt die Angaben der 
The Intravenous Products Co. über Zusammensetzung und 
Arsengehalt des Venarseus nachzuprüfen und festzustellen, dass 
dieselben unzutreffend sind. Die Menge des arsenhaltigen 
Körpers beträgt annähernd 0,4 nicht 0,(i wie die Amerikaner 
angeben, das ist ausgerechnet auf metallisches Arsen 0,1384 
statt 0,2470 wie deklariert. 

Bras! icamin ist ein Mixtum Compositum aus Extr. 
Thymi, — Eukalypti und Brassicae das von Hrch. Haller 
iu Berlin N.-W. gemixt, in den Handel gebracht und gegen 
Asthma, Rronchitis, Keuchhusten et alia warm empfohlen wird. 

Die chemische Fabrik Astra A.-G. der schwedischen 
Apotheker bringt nach dem Therap Monatsh. 1915, H. 11, 
ein neues Digitalispräparat unter dem Namen D i g i t o t a 1 
als Pulver, Tabletten und in flüssiger Form teils in Glyzerin 
und verdünntem Alkohol gelöst, teils in physiologischer Koch¬ 
salzlösung in Ampullen in den Handel. Der Gedanke, damit 
dem schwedischen Volksvermögen die Ausgaben für Digaleu 
zu sparen, liegt nahe. Nach R i s i n g kommt bei der Dar¬ 
stellung ein neues, für die Digitalistherapie interessantes Prinzip 
zur Anwendung, welches eine Kontrolle darüber gestattet, dass 
das Präparat alle in den Digitalisblättern vorkommendeu Aktiv¬ 
substanzen enthält. Eine Nachprüfung dieses Prinzips und 
seiner Kontrolle muss bis auf weiteres Vorbehalten bleiben. 

Verschiedenerlei Präparate existieren, die alle oder die 
wichtigsten Komponenten des Opiums enthalten und allesamt 
erstreben dem Arzte «in dem Morphin gleichwertiges aber 
weniger toxisches Narkoticum zu bieten. Nach dem Pantopon 
der Firma Hoff mann = 1 a Roche, auf welche wir 
gelegentlich zurückkommen werden, erschien das Ilsopon von 
der gleichen Zusammensetzung. Die chem. Fabrik Nassovia 
in Wiesbaden bringt unter dem Namen Glycopon ein 
Präparat heraus, das die sämtlichen Alkaloide des Opiums 
als glyzeriuphosphorsaure Salze enthält und als gleichwertiger 
Ersatz für Pantopon wohl empfohlen werden kann. Etwas 
ähnliches stellt das Laudanon der Firma C. H. Boehringer 
Sohn, Nieder-Ingelheim a. Rhein vor. Es ist ein Gemisch von 
Morphin mit den wichtigsten Nebenalkaloiden des Opiums — 
Narcotin, Codein, Papaverin, Thebain und Narcein — als 
salzsauren Salzen in zwei Stärken, Laudanon I für wenig 
Empfindliche und Laudanon II für Empfindliche. Die Dosierung 
entspricht der des Morphins. In den Handel gelangt es als 
Pulver, Tabletten ä 0,01 und Ampullen ä 0,02. Die Münch. 
Med. Wochenschrift Nr. 16 und 40 sowie die Deutsche Zahn¬ 
ärztliche Zeitung Nr. 30 und 37 berichten über dasselbe und 
loben die Konstanz der Zusammensetzung mit günstigster 
Wirkung. Es sei im pharmakologischen Sinne als ein synthe¬ 
tisches Opium zu betrachten. (Schluss folgt) 

Notiz. 

Am 1. und 2. Mai 1016 findet eine ausserordent¬ 
liche Tagung des 

Deutschen Kongresses für Innere Medizin in Warschau 
statt. Zur Verhandlung kommen die Krankheiten, die 
im Kriege besondere Wichtigkeit erlangt haben; in Aus¬ 
sicht genommen ist die Besprechung von Abdominal¬ 
typhus, Ruhr, Fleckfieber, Cholera, Herzkrankheiten und 
Nephritis. Es werden nur Referate mit anschliessender Dis¬ 
kussion abgehalten; freie Vorträge sind ausgeschlossen. 

Zur Tagung werden zugelassen die Militär- und 
Zivilärzte, welche dem Deutschen Reiche und den ver¬ 
bündeten Staaten angehören; Angehörigen neutraler und 
feindlicher Staaten kann der Zutritt nicht gestattet werden. 

Da die Tagung im besetzten Gebiet stattfindet, 
muss jeder Teilnehmer mit einem vorschriftsmässigen 
Passe versehen sein; die dabei zu erfüllenden Bedingungen, 
sowie die Bestimmungen für die Anmeldung zur Teilnahme 
werden in der Fachpresse noch bekannt gegeben werden. 


Digitized 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






jj. Jahrgang. 1915/lfl. 

Tortscbrittc der Medizin. 

Unter Ittitwirktuig bercorragendcr Fachmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 

Erscheint am IO., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Nr. 14 Verlag Johndorff & Co., Q. m. b. H., Berlin NW. 87. 20. Februar 

Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Aus der Nervenheilstätte Roderbirken bei Leichlingen.) 

Aphasie als Unfallfolge. 

Von Chefarzt Dr. Ernst Beyer. 

Vom Oberversicherungsamt in C. wurde mir der 
35jährige Landwirt P. B. aus K. zur Beobachtung über¬ 
wiesen zwecks Begutachtung über die Frage, um wieviel 
Prozent die Erwerbsfähigkeit zur Zeit noch durch die 
Folgen des Unfalls vom 13. Juni 1914 herabgesetzt ist. 

Aus den Akten ergab sich, dass B. beim Strohholen 
vom Scheunenboden durch die Einsteigeöffnung kopfüber 
herabgestürzt war, indem er zuerst drei Sprossen der 
Leiter durchschlug und dann mit dem Kopf zuerst auf 
die Tenne aufschlug Er blieb bewusstlos liegen und 
wurde in diesem Zustande am nächsten Morgen in die 
chirurgische Klinik in G. verbracht, wo er bis zum 28. 
Juli verpflegt wurde. Ein Gutachten oder Krankheits¬ 
bericht aus der Klinik war in den Akten nicht vor¬ 
handen. 

Am 29. November stellte Dr. B. in E. folgendes 
fest: kann nur mit Nachhülfe kurze Strecken gehen; 
kann kaum sprechen und ist auf dem linken Auge blind. 
Ziehen und Schmerzen auf der linken Kopfseite. Pat. 
spricht stockend und nicht zusammenhängend. Lähmungen 
bestehen nicht. Über dem linken Scheitel- und Schläfen¬ 
bein eine druckempfindliche Narbe, unter der der auf¬ 
geklappte Schädelknochen noch nicht knöchern verheilt 
ist. 100 Proz. Erwerbsunfähigkeit. 

Die Nachuntersuchung durch Dr. B. am 9. Mai 1915 
ergab: kann ohne Stock gehen und zu Hause leichte 
Arbeiten verrichten. Besonders bei Witterungswechsel 
heftige Kopfschmerzen. Der Schädelknochen zeigt leicht 
knöcherne Heilung und ist treppenförmig abgesetzt. Das 
linke Auge erkennt jetzt Licht und seitlich bewegliche 
und feste Gegenstände bis auf 3 m Entfernung Sprache 
noch stockend, aber doch wesentlich besser wie zuletzt. 
Zusammenhängend kann er nicht sprechen. - Besserung 
des Seh- und Sprachvermögens. Heilung der Kopf¬ 
wunde. Besserung der Erwerbsfähigkeit um 30 Proz. 

Als daraufhin die bisherige 100 prozentige Rente 
auf 70 Proz. herabgesetzt wurde, erhob B. Einspruch 
und, als dieser von der Landwirtschaftlichen Berufs¬ 
genossenschaft zurückgewiesen wurde, legte er Berufung 
ein. Zur Verhandlung vor dem Oberversicherungsamt 
erhob der Vertrauensarzt Dr. K. folgenden Befund: Be¬ 
fragung zeigt, dass der U. alle Fragen wohl verstellt; 
die Antworten sind manchmal sehr stockend, als suche 
er ein Wort; manchmal ganz geläufig, besonders die 
Zwischen reden zum Ausdruck seines Nicht vermögens. 
Mit dem linken Auge will er jetzt gar nichts sehen können. 

Digitized by Google 


nicht einmal Lichtschein. Der „Krampfanfall (am 
Juli 1915) ist nach der Beschreibung eine Ohnmacht ge¬ 
wesen. Es deutet manches darauf, dass die Klugen des 
Verletzten entweder auf Übertreibung oder auf psychischen 
(seelischen) Hemmungen beruhen. Deshalb halte ich Be¬ 
obachtung und Begutachtung durch einen Nervenarzt 
für angezeigt. — 

B. wurde am 5. November 1915 in Roderbirken 
aufgenommen. Er selbst war nicht imstande, über sich 
und sein Vorleben, über den Unfall und dessen Folgen 
verwertbare Angaben zu machen. Aus seinen abgerissenen 
Antworten und Äusserungen war zu entnehmen, dass er 
von dem Unfall selbst nichts weiss, seither an Schmerzen 
an der linken Seite des Hinterkopfes leidet, dass diese 
bei Witterungswechsel besonders schlimm sind, und dass 
er zwei- oder dreimal einen Anfall gehabt hat, zuletzt 
am vorigen Mittwoch (3. November). Bezüglich seiner 
Arbeitsfähigkeit liess sieb erkennen, dass er nicht viel 
leisten könne, wobei er auf seinen Kopf deutet. An 
manchen Tagen könne er gar nichts tun und müsse 
liegen. 

Die Untersuchung ergab: Grosser kräftiger Mann 
von gesundem Aussehen. Grösse 1,72 m, Gewicht 
67,5 kg. Oberhalb des linken Ohres befindet sich eine 
Narbe in Form eines unten offenen Dreiviertelkreises von 
etwa 10 cm Durchmesser, in deren Verlauf der scharfe 
Knochenrand zu fühlen ist. Die Fläche innerhalb des 
Kreises ist, namentlich im oberen Teil, nach innen ge¬ 
drückt, aber festgewachsen. Der hintere Teil der Narbe 
ist druckempfindlich. Hierhin deutet B. auch, wenn von 
seinen Kopfschmerzen die Rede ist. Das Hörvermögen 
soll vermindert sein, doch ist nichts sicheres zu ermitteln. 
Das linke Auge steht etwas nach aussen, fixiert nicht, 
bewegt sich aber mit. Die Pupillen sind zeitweise un¬ 
gleich, reagieren gut. Das linke Auge soll nur an der 
Aussenscite Lichtschein erkennen. Mit dem rechten 
sieht er gut. Es hat zuweilen den Anschein, als ob 
rechts das Gesichtsfeld eingeschränkt ist. Genauere 
Feststellung indessen gelingt nicht. Bei geschlossenen 
Augen tritt kein Schwanken ein. Die Zunge wird grade 
vorgestreckt, ist nicht belegt, zittert nicht. Auch in den 
ausgespreizten Händen kein Zittern: sic sind an der 
Innenseite verarbeitet und schwielig. An den inneren 
Organen kein auffälliger Befund. Puls 72, regelmässig. 

An den Armen sind Reflexe nicht auszulösen: die Knie¬ 
sehnenreflexe sind beiderseits gleich, lebhaft, aber nicht 
gesteigert. Kein Fussklonus auslösbar. Die grobe 
Kraft ist beiderseits gleich. B. kann auf jedem Bein 
einzeln gleich gut stehen. Prüfung des Gefühlsvermögens 
ist undurchführbar. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




130 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 14. 


Die Sprache des Untersuchten ist erheblich gestört. 
Er spricht nur in abgehackten Sätzen. Auf Fragen be¬ 
ginnt er, sachgemäss zu antworten, stockt aber gewöhn¬ 
lich vor dem Hauptwort und bringt dies nicht heraus 
Er spricht dann drum herum und sagt Sätze ohne Zu¬ 
sammenhang, wobei zuweilen das fehlende Wort in einer 
andern Verbindung noch herauskommt. Es sagt oft: 
„ich weiss es“ und regt sich sichtlich auf, dass er das 
Wort nicht finden kann. Vielfach hilft er sich durch 
Handbewegungen. Vorgehaltene Gegenstände erkennt 
er und deutet ihre Benutzung durch Ausdrucksbewegungen 
an. Besonders schlecht kann er Namen und Benennungen 
aussprechen, z. B. die Namen seiner Kinder bringt er 
nicht heraus. Verhältnismässig gut dagegen gelingt ihm 
die Angabe von Zahlen, z. B. zählt er die vorgehaltenen 
Finger, nennt richtig die Zeit auf der Uhr, auch Geld¬ 
stücke. Lesen kann er nur mühsam und teilweise buch¬ 
stabierend wie ein ungeübtes Kind. Zum Schreiben auf¬ 
gefordert, muss ihm jedes Wort mehrmals vorgesprochen 
werden. Die Schrift selbst ist sauber und fehlerfrei. 
Zahlen schreibt er schneller und richtig. 

Fragen, welche besondere Überlegung erfordern, 
müssen mehrfach wiederholt werden und werden vielfach 
nicht entsprechend beantwortet, manche offenbar nicht 
verstanden. Kopfrechnen, selbst einfacher Aufgaben, 
gelingt trotz mehrfachen Vorsprechens teils gar nicht, 
teils falsch. Zum Zählen nimmt B. die Finger zu Hülfe, 
auch bei Geldstücken. Über seinen hiesigen Aufenthalt 
und den Zweck seines Hierseins kann er sich nicht aus¬ 
sprechen, Nach seiner Rente befragt, nennt er den 
früheren und dann den jetzigen Betrag. „Wollte gern 
alles machen, wenn ich nur könnte — manche Tage, 
dass ich gar nichts — dann lieg ich so müde, will sagen, 
dass meinem Onkel, dass ich Arbeit hätte.“ 

Während seines hiesigen Aufenthalts vom 5. bis 
13. November verhielt B. sich ruhig und geordnet. Die 
Stimmung war gleichmütig, nicht klagsam. Er war nicht 
gern allein, sondern hielt sich immer bei andern Kranken 
auf. Von selbst sprach er kaum. Wenn er etwas sagen 
sollte, fehlten ihm die Worte, auf die es ankam. Es 
fiel auf, dass er an manchen Tagen zeitweise ausgiebiger 
reden konnte. So konnte er bei einer Untersuchung am 
10. die Namen der Kinder und seinen Geburtstag (aber 
nicht die Jahreszahl) nennen, die er am 6. -nicht gewusst 
hatte. Auch war deutlich zu bemerken, dass er nach 
längerer Unterhaltung bald ermüdete und dann schlechter 
sprechen konnte. 

In den Räumen der Heilstätte lernte er nicht sich 
zurechtfinden. Sein Zimmer fand er nur nach der 
Nummer 4, die er sich endlich gemerkt hatte. Zum 
Zimmer des Arztes im Verwaltungsgebäude musste er 
immer wieder durch einen andern Kranken geführt 
werden. 

Irgend welche Klagen brachte er nicht vor. Nach 
Kopfschmerzen gefragt, deutete er zum Fenster und 
sagt: „Ach das andere Wetter, das ist —Spricht 
dann davon, er hätte gerne, dass „das von Mittwoch“ 
hier vorgekommen sei, damit ihm hier geholfen werde. 
Bezüglich der Rückreise meint er, dass er allein reisen 
wolle“ von da ab wo es durchgeht nach G., dann könnte 
ich das.“ 

Ein Anfall ist hier nicht vorgekommen. 

Nach diesen Ergebnissen der Untersuchung und Be¬ 
obachtung habe ich folgendes Gutachten erstattet: 

Bei B. findet sich ausser den nicht genau ab¬ 
zugrenzenden Beeinträchtigungen des Sehens und Hörens 
und den körperlichen Beschwerden (Kopfschmerzen) eine 
erhebliche Störung auf geistigem Gebiet, welche sich in 
einer Erschwerung der Auffassung, der Merkfähigkeit 
und der Überlegung und in schneller Ermüdbarkeit seiner 
geistigen Leistungsfähigkeit äussert, am auffälligsten aber 
in einer Störung seines Sprachvermögens. Dieser Aus- 

Digitized by Google 


fall ist eine Form der „Aphasie“. Ausserdem sind bei 
ihm Anfälle von Bewusstlosigkeit aufgetreten, über deren 
Erscheinungsweise mir nichts Näheres bekannt ist. 

Die Sprachstörung lässt mit Sicherheit auf eine 
Schädigung in der linken Grosshirnhalbkugel schliessen 
und zwar in jener Gegend, welche als „Sprachzentrum“ 
bekannt ist. Diese liegt gerade an der Stelle, an welcher 
nach dem Untersuchungsbefund eine operative Eröffnung 
des Schädels vorgenommen worden ist. Es ist daher 
ausser Frage, dass eine Verletzung des Gehirns statt¬ 
gefunden hat, die ohne Zweifel durch den am 13. Juni 
1914 erfolgten Sturz auf den Kopf verursacht worden ist. 

Die Aussichten auf eine Besserung des Krankheits¬ 
zustandes sind ungünstig. Die heilbaren Folgen der 
Hirnverletzung sind heute, 17 Monate nach dem Unfall, 
als beseitigt anzusehen. Was jetzt noch an Ausfalls¬ 
erscheinungen vorhanden ist, kann nicht mehr ausge¬ 
glichen werden, weil die verlorenen Gehirnteile nicht 
wieder nachwachsen können. 

Nach allgemeinen Erfahrungen ist sogar zu erwarten, 
dass die durch den Unfall verursachten Schädigungen 
der Geistestätigkeit bei B. allmählich eine weitere Ver¬ 
minderung seiner geistigen Fähigkeiten zur Folge haben 
werden, sodass noch ein weiterer Rückgang seines Be¬ 
findens eintreten wird. Ausserdem ist zu befürchten, 
dass die Anfälle, welche durch die Einwirkung der Ver¬ 
narbung im Gehirn hervorgerufen werden, immer wieder¬ 
kehren und sogar häufiger und schwerer werden. Wenn 
an der verletzten Stelle des Gehirns sich Hohlräume 
bilden (Cysten), so können dadurch vollständige epilep¬ 
tische Anfälle ansgelöst werden. Durch ein Heilvei fahren 
ist daran nichts zu bessern. 

Infolge des Unfalles und der dabei erlittenen Hirn¬ 
verletzung ist B. dauernd vollständig erwerbsunfähig. 
Er ist wohl noch imstande, zeitweise leichte Arbeit zu 
verrichten, zu der eine besondere geistige und körper¬ 
liche Anstrengung nicht erforderlich ist. Er kann aber 
nichts leisten, was Denkvermögen, Überlegung und 
eigenen Antrieb beansprucht, namentlich was über ge- 
wohnheitsmässige Tätigkeit hinausgeht. Vor allem kann 
er im Verkehr mit andern Menschen nicht erwerbsmässig 
tätig sein, weil er sich nicht genügend verständlich 
machen und den Reden der Andern nicht genügend 
folgen, auch z. B. nicht rechnen kann. Die ihm ver¬ 
bliebene Arbeitsfähigkeit kann also nur in besonders 
günstigen Verhältnissen, im Schutze der Angehörigen, 
und auch nicht regelmässig ausgeübt werden, also einen 
zahlenmässig zu schätzenden Wert nicht besitzen. Auf 
dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann B. mit seiner Arbeits¬ 
fähigkeit nichts mehr erreichen. 

Somit kam mein Gutachten zu dem Schluss, dass 
B. infolge des am 13. Juni 1914 erlittenen Unfalls zu 
100 Proz. erwerbsunfähig ist und voraussichtlich bleiben 
wird. 

Nachträglich gingen mir von Herrn Dr. P. aus der 
Chirurgischen Klinik in G. noch einige wertvolle Mit¬ 
teilungen zu, aus denen sich im wesentlichen ergab, dass 
bei B. am 20. Juni 1914 in Lokalanästhesie links ein 
parietal - okzipitaler Knochen - Periostlappen aufgeklappt 
worden war. Es wurde ziemlich reichlich epiduraler 
Kruor entfernt. Nach Eröffnung der Dura Blutung aus 
mehreren kleineren arteriellen Gefässen (kleines Hämatom) 
Hirnsubstanz mehrfach gequetscht und hämorrhagisch 
verändert. Einige Hirnbrocken entfernt. Partielle Dura- 
naht nach Tamponade des Hämatoms. Der Entlassungs¬ 
befund am 28. Juli 1914 besagt: Wundheilung glatt. 
Nur leichte rechtseitige Fazialisparese zurückgeblieben. 
Sprache nur teilweise wiedergekehrt (motorische und 
sensorische Aphasie). 

Wenn diese Mitteilungen auch die Wissbegier des 
Neurologen bezüglich der Lokalisation nicht ganz be¬ 
friedigten, so haben sie doch in dankenswerter Weise 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
- URBANA-CHAMPAIGN 








\ T r. 14. 


FORTSCHRITTE HER MEDIZIN. 


131 


das Gutachten bestätigt. Wäre dieser Auszug aus der 
Krankengeschichte schon in den Akten enthalten ge¬ 
wesen, so wäre es nicht dazu gekommen, dass die vom 
Unfall zurückgebliebene Aphasie bei r.wei Gutachten 
unerkannt geblieben ist und sogar den Verdacht auf 
Übertreibung erweckt hat. Wie man sieht, genügt es 
nicht, Unfallverletzte möglichst bald in eine Klinik oder 
ein Krankenhaus zu bringen. Es ist vielmehr auch not¬ 
wendig, dass man sich über die dortgemachten Be¬ 
obachtungen berichten lässt! 

Aber auch ausser der Verkennung der Aphasie ist 
die von dem ersten Gutachter angegebene Besserung 
der Erwerbsfähigkeit tatsächlich noch nicht begründet 
gewesen. Er zieht nicht in Betracht, wodurch denn 
eigentlich der völlige Verlust der Erwerbsfähigkeit ver¬ 
ursacht gewesen war. Die angeführten Besserungen, 
Heilung der Kopfwunde und Besserung des Seh- und 
Sprachvermögens, sind ohne wirkliche Bedeutung für 
die Hebung der Erwerbsfähigkeit, Insbesondere ist es 
vollkommen gleichgültig, dass bei sehfähigem rechten 
Auge das bisher blinde linke Auge jetzt Licht und seit¬ 
lich bewegliche und feste Gegenstände bis auf 3 m Ent¬ 
fernung erkennen kann. Aber auch die Besserung der 
Sprache beweist nicht viel, da ausdrücklich angegeben 
ist, dass der Untersuchte zusammenhängend nicht sprechen 
kann. Endlich ist die Heilung der Kopfwunde ohne 
Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit, denn die damit ver¬ 
bundenen Beschwerden (Kopfschmerzen) sind unverändert, 
beeinträchtigen also nach wie vor das Befinden und da¬ 
mit die Leistungen. 

Dass B. jetzt wieder zeitweise etwas arbeiten kann, 
gibt er selbst zu, und seine schwieligen Hände bestätigen 
es. Aber diese Arbeitsfähigkeit ist nur mit Hülfe der 
Angehörigen verwertbar; sie ist keine Erwerbsfähigkeit. 
Der Ausfall auf geistigem Gebiet lässt die eigene Aus¬ 
nutzung der körperlichen Leistungen nicht zu. 

Es hätte noch die Frage aufgeworfen werden können, 
ob die Aphasie nicht etwa auf einen Schlaganfall zurück- 
zuführen wäre, der, dem Unfall voraufgegangen, diesen 
erst verursacht hätte. Diese Möglichkeit ist von vorn¬ 
herein nicht abzuweisen und könnte in manchen Fällen 
von Wichtigkeit sein. Sie ist aber bei B. auszuschliessen. 
Abgesehen davon, dass das Lebensalter des Mannes 
und das Fehlen einer Veranlassung zu einer Hämorrhagie, 
Embolie oder Thrombose dagegen sprechen, ist darauf 
hinzuweisen, dass beim jetzigen Befunde keinerlei hemi- 
plegische Erscheinungen vorhanden waren, die nach einer 
gewöhnlichen Apoplexie im Gebiet der Arteria fossae 
Silvii auch nach Jahresfrist zweifellos noch erkennbar 
hatten sein müssen (Paresen, Muskelspannungen, Reflex¬ 
steigerungen). Vielmehr handelt es sich um eine reine 
Hirnrindenverletzung, wie auch der nachträglich bekannt 
gewordene Befund der chirurgischen Klinik bestätigt 
hat, und für diese kann nach Lage des Falles eine andere 
Ursache als der Fall auf den Kopf nicht verantwortlich 
gemacht werden. 

In klinischer Beziehung ist der F'all keineswegs er¬ 
schöpft, doch würde weiteres Eingehen keine be¬ 
friedigenden Ergebnisse liefern, solange die Sektion nicht 
das letzte Wort gesprochen hat. Immerhin bietet er 
aber praktisches Interesse, zumal in der jetzigen Zeit, 
da bei Kriegsbeschädigten ein so reiches und vielseitiges 
Material an Kopfverletzungen zur Untersuchung kommt 
und bezüglich der Erwerbsfähigkeit beurteilt werden 
muss. Nicht nur für die Diagnose, sondern auch wegen 
der wirtschaftlichen Bedeutung ist es wichtig, auf apha- 
sische Störungen zu achten. 


Digitized by Google 


Lieber das „Citobaryum“, ein neues Röntgen- 
Kontrastmittel. 

Von Dr. R i g 1 e r - Darmstadt. 

In Nr. 27, 1914 der „Deutschen medizinischen 
Wochenschrift“ hat Bauermeister - Braunschweig 
ein neues Röntgen-Kontrastmittel — das Citobaryum 
— beschrieben, das vor den bisher gebräuchlichen 
Mitteln in mancherlei Hinsicht Vorteile bietet, und auf 
das ich deshalb die Aufmerksamkeit der Kollegen er¬ 
neut lenken möchte. 

Die grundlegenden Versuche von Rieder- 
München, über die Sichtbarmachung von Magen- und 
Darmkanal wurden bekanntlich mit Bismutum subnitricum 
ausgeführt. Die Mehrzahl der Röntgenologen ist dann 
von diesem Kontrastmittel allmählich abgekommen, weil 
sich bei der immerhin beträchtlichen Menge des Mittels, 
die anzuwenden notwendig war, bisweilen Schädigungen 
zeigten. Meist ging man dann zum Bismutum carbonicum 
über, das für völlig ungiftig gilt, und jetzt sind wohl 
die Mehrzahl der Röntgenologen, schon aus pekuniären 
Gründen, zum Bariumsulfat übergegangen. 

Irgend welche nachteilige Wirkung von diesem 
Mittel ist auch niemals bekannt geworden, abgesehen 
von den verhängnisvollen Verwechslungen zwischen 
Bariumsulfat und Bariumsulfit. Man muss sich eben zur 
Regel machen, stets auf dem Rezept anzugeben, dass 
Bariumsulfat verlangt wird in reinster Form und zwar 
zu Röntgenzwecken zu innerem Gebrauch. Zu berück¬ 
sichtigen ist stets bei Anwendung des Bariums, dass die 
Entieerungszeit des Magens eine andere ist. wie nach 
Füllung mit Bismutum subnitricum. Die Entleerung 
geht schneller vor sich, sodass also die in den Lehr¬ 
büchern angegebenen Bismut - Entleerungszeiten für 
Barium nicht zutreffend sind. 

Ein sehr angenehmes F'rühstück ist die Bariummahl¬ 
zeit nun gerade nicht. In trinkbar flüssiger Form lässt 
sich das gewöhnliche Baryum dem Patienten nicht ein¬ 
verleiben, resp. es erfolgt nach der Einnahme die Sedi- 
mentierung so schnell, dass ein gutes Übersichtsbild des 
Magens nicht zu erlangen ist. 

Zweifellos lässt sich nun aber eine an sich wenig 
gut schmeckende Mahlzeit in flüssiger F'orm leichter be¬ 
wältigen wie in Breikonsistenz. Man muss selber einmal 
einen derartigen Bariumbrei geschluckt “haben, um 
verstehen zu können, dass es Patienten mit emp 
findlichen Magen, die an und für sich schon appetitlos 
sind, schwer fallen muss, ihn in den notwendigen Quan¬ 
titäten zu nehmen, selbst wenn der Brei nach dem 
guten Rezept hergestellt wird, welches sich in dem vor¬ 
trefflichen Leitfaden des Röntgenverfahrens von 
Fürstenau, Immelmann und Schütze 
findet. Hinzu kommt noch die etwas umständliche Zu¬ 
bereitung des Breis und die relativ lange Vorbereitungs¬ 
zeit, die die Fertigstellung erfordert. 

Diesen Nachteilen hilft nun tatsächlich das von der 
Firma E. Merck auf Veranlassung von Bauer- 
m e i s t e r hergestellte neue Präparat „Citobaryum“ 
sehr gut ab. Das Präparat kann ebensogut in Brei¬ 
form, wie in trinkbar flüssiger Form gegeben werden. 
Auch im Trinkglas bleibt das neue Kontrastmittel 
längere Zeit in guter Suspension und ergibt deshalb 
auch vortreffliche Übersichtsbilder des Magens. Ferner 
ist die Zubereitung eine äusserst einfache, die ganze 
Kocherei fällt fort. Zur Herstellung genügt etwas 
warmes Wasser. Man hat den weiteren Vorteil, dass 
man sich nach Belieben Kontrastmahlzeiten von ver¬ 
schiedener Konsistenz herstellen kann. Ganz dünn¬ 
flüssige und auch dickflüssigere. Erstere namentlich 
auch zur ersten Schirmbeobachtung und zur Anwendung 
als Klysma. In letzterer Beziehung hatte ich bisher noch 
keine Gelegenheit Versuche anzustellen, doch bin ich 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







132 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN’. 


Nr. 14. 


überzeugt, dass sich das Citobaryum auch bei rektaler 
Anwendung gut bewähren dürfte. 

Dass das Citobaryum wesentlich lieber von den 
Patienten genommen wird, wie die Wismutmahlzeit oder 



das alte Baryum, hatte ich wiederholt Gelegenheit bei 
Patienten zu beobachten, die ich früher mit einer anderen 
Kontrastmahlzeit untersucht hatte. Alle diese lobten, 
ohne dass ich sie auf das veränderte Präparat aufmerk¬ 


sam machte, den leidlich angenehmen Geschmack und 
erkannten es an, dass sich das Citobaryum wesentlich 
leichter nehmen lasse, wie das ihnen bei der ersten 
Untersuchung Vorgesetzte Röntgenfrühstück. Irgend 
welche Störungen bei der Ausscheidung des Kontrast¬ 
mittels habe ich, seitdem ich Citobaryum anwende, nicht 
mehr beobachtet. 

Es kam mir nun vor allem darauf an, zu prüfen, 
ob die Austreibungszeit mit Citobaryum sich in wesent¬ 
lichen Punkten von der 
unterscheidet, wie wir sie 
nach Bismutum subnitri- 
cum und Baryumsulfat in 
der gewöhnlichen Art an¬ 
nehmen. Dabei ergab sich 
nun, dass der normale 
Magen in der Regel das 
Citobaryum nach etwa 
1 V 2 —2 Stunden abge¬ 
geben hat. Meist findet 
sich das Kontrastmittel be¬ 
reits nach 3'/ a —4 Stunden 
im aufsteigenden Dick¬ 
darm. Nicht unerwähnt 
will ich lassen, dass ich 
auffallend häuligbei denUn- 
tersuchungen den Wurm¬ 
fortsatz zu Gesicht be¬ 
kommen habe. 

Die hier beigefügten Bil¬ 
derzeigen erstens einen mit 
Citobaryum in trinkbar llüssiger Form gefüllten Magen, 
20 Minuten nach Aufnahme des Frühstücks. Von den 
auf der zweiten Abbildung sichtbaren Reagenzgläsern 
ist das erste mit einer Wismutsuspension gefüllt, das 
zweite mit trinkbar flüssiger Citobaryumlösung, Aufnahme 
etwa 20 Minuten nach der Fertigstellung. Es fällt dabei ohne 
weiteres der grosse Unterschied in die Augen, d. h bei 
der Wismutaufschwemmung ist bereits die Sedimentierung 
vollkommen erfolgt, die bei Citobarvum nur in geringem 
Grade eintrat. 



Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

O. Frankenberger: liestcht ein Zusammenhang zwischen 
akuter Angiua und meteorologischen Einflüssen? ((jasopis lekafuo 
eeskyeli. 1914. Nr. 28—30). 

Diese Frage wird auf Grund des Materials der tschechischen 
laryngologischen Klinik in Prag während der Jahre 1911 
(224 Fälle), 1912 (154) und 1913 (160) negiert. Die Kälte 
ist ohne Einfluss, denn es kamen während der kalten Jahres¬ 
zeit weniger Anginen vor als während der Sommermonate; 
ebenso ist die relative Feuchtigkeit der Luft belanglos, denn 
zwischen dem trockenen Jahr 1911 und dem feuchten Jahr 
1913 ist kein Unterschisd, in dem feuchten Jahr 1912 war 
die Zahl der Anginen etwas grösser. Die Menge der Nieder¬ 
schläge spielt ebenfalls keine Rolle; das trockene Jahr 1911 
zahlte mehr Anginen als die feuchten Jahre 1912 und 1913. 
An windigen, trockenen Tagen wurden nur etwa 2% mehr 
Anginen gezählt als an Regentagen und an den auf diese 
folgenden Tagen, wenn die Gassen feucht und staubfrei waren. 
Diese Resultate berechtigen den Autor zu dem Schlüsse, dass 

Digitized by Google 


die Erkältung als Krankheitsursache nicht in Betracht kommen 
könne, G. Mühlstein- Prag. 

Dr. K. Franz: Das Pappataci — oder Phlebstom- 
fitbcr. (( asopis läkaruo eesk.vch. 1914. Nr. 34.) 

ln den niedrig gelegenen Gegenden von Dalmatien, Herze¬ 
gowina und des Küstenlandes kommt eine Infektionskrankheit 
vor, die sich durch plötzlich einsetzendes Fieber, grosse Kopf¬ 
schmerzen, Muskelschmerzen, Erbrechen und auflallende Hin¬ 
fälligkeit auszeichnet; sichtbare Schleimhäute rot; manchmal 
Nasenbluten; neben dieser nervösen gibt es eine gastrointestinale 
Form: belegte Zunge, Foelor, Appetitslosigkeit, Obstipation 
und nachher Diarrhoe. Am 2. Tage sinkt das Fieber und 
verschwindet am 3. Tage. Prognose gut. Der Erreger ist ein 
noch unbekanntes Virus, das Berkefeld- und Chamberlandfilter 
passiert; aber es lebt im Blute, da man durch Injektion des¬ 
selben die Krankheit erzeugen kann. Die Inkubationsfrist 
dauert 3— 10 Tage. Nach dem 7. Tage finden sich im Blute 
Immunkörper, die das Virus binden; die Übertragung gelingt 
nicht mehr. Auflallend ist die Leukopeuie. Die Infektion 

Original fforn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 












Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



134 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 14. 


Aus der Univ. Frauenkliuik in Leipzig (Direktor Geh. Rat. 
Prof. Dr. Zweifel). 

Prof. Dr. Lichten stein - Leipzig, Elgenbluttruns- 
fusion bei Extrauteringravidität und Utcrusrnptur (Sonderdruck 
aus der Münchener med. Wochenschrift 1915, Nr. 47.) 

Einleitend schildert Verfasser die Schwierigkeiten und 
Schäden der Transfusion artfremden und artgleichen Blutes 
zweckg Heilung schwerer Anämien verschiedenster Aetiologie. 
Als Gollz und Schwarz die Ursache des Verblutungstodes nicht 
mehr in der veränderten Qualität sondern in der veränderten 
Quantität des Blutes mit konsekutivem Sinken des Blutdruckes, 
der Blutbewegung und der rhytmischen Tätigkeit des Herzens 
fanden, trat an Stelle der Bluttransfusion die Infusion von 
isotonischen Salzlösungen. Dabei wurde eben nur das Serum 
ersetzt, das oft wenige Blut, welches noch vorhanden war wesent¬ 
lich verdünnt, wodurch der Verblutungstod oft nach nicht ver¬ 
mieden werden konnte, was Verf.an der Hand zweier einschlägigen 
Fälle von Extrauteringravidität beweist. Thies war der erste, 
welcher die Eigenbluttrar.sfusion bei drei Fällen von Extra¬ 
uteringravidität subkutan und intravenös vornahm, in dem er 
das Blut aus der Bauchhöhle ausschöpfte, durch Mull seihte 
und mit einer physiologischen Kochsalzlösung 3 : l versetzte. 
Zweifel und Sick hegten Bedenken gegen diese Methode, wegen 
der dabei entstehenden Blutgerinnsel und der dadurch bedingten 
Lebensgefahr und riet Zweifel das Blutgemisch nach der alten 
Methode vorher mit Holzsläbchen zwecks Defibrinierung zu 
schlagen. 

In der Zweifelschen Klinik wurden mit der Eigenblut¬ 
transfusion im ganzen 9 Fälle von geplatzter Extrauteringravi¬ 
dität und ein Fall von Uterusruptur mit Erfolg behandelt, wor¬ 
unter bei vier Fällen das Leben nur noch an einem Faden 
hing. Verf. schildert den Verlauf dieser Fälle, welcher 
durchweg als günstig bezeichnet werden muss und sollen mit der 
Eigenblultransfusion in erster Reihe bei frischen Extrauterin¬ 
graviditäten nach Tubenusur weitere Erfahrungen gesammelt 
werden, dasselbe gilt für die Uterusruptur Verfasser schildert 
zum Schluss die Vorbereitung des Blutes, die Technik der Eigen- 
bluttransfusion und den Zeitpunkt der Vornahme derselben. 
Verfasser empfiehlt für die Transfusion die liuke Armvene zu 
benutzen, deu hierzu nötigen Hautschnitt nicht längs, sondern 
quer zur Vene auszuführen. Nur in dringendsten Füllen soll 
nie Transfusion vor der ausgeführten Bauchoperation gemacht 
werden. Zur Transfusion wird ein Ventilspritzenapparat 
empfohlen. 

Verf. hat mit dieser Publikation sowohl Gynäkologen, 
als auch Chirurgen für die Bekämpfung schwerer Anämien 
wertvollen Beitrag geleistet. E k st ei n • Teplitz Schönau 

Dr. Johannes Trebing, I. Assistent der Klinik, 
Levurinose in (1er Frauenpraxis. (Aus der Prof. v. Bardeleben- 
schen Poliklinik für Frauenleiden in Berlin. (Zentralbl. für 
Gynäkologie Nr. 49. 1915.) 

Die Bierhefe wurde von Th. Landau, O. Abraham und 
E. Crombach zur Beseitigung des weiblichen Ausflusses zuerst 
verwendet. Nachdem eine exakte Verabreichungform derselben 
nicht zu erzielen war, gleichzeitig unangenehme Erscheinungen 
hei der Verabreichung eintraten, wurde von der ehern. Fabrik 
J. Blaes in Lindau die Levurinose hergestellt, welche eine durch 
kalten Luftstrom getrocknete Bierhefe darstellt und eine grosse 
Haltbarkeit und Konservierungsfähigkeit besitzt, dabei aber 
auch Energie und Zuverlässigkeit Eine ganze Reihe Autoren 
haben diese gute Wirkung bei verschiedenen Hautkrankheiten 
gastrointestinalen Ursprungs, Stotfwechselanomalien und Obsti¬ 
pation mit bestem Erfolge intern erprobt. Hirschfeld benützte 
Levurinose mit Erfolg bei der vaginalen Behandlung des 
Fluor, worauf Verf ebenfalls dieselbe in 35 Fällen zur An¬ 
wendung brachte, und sich folgerichtig nur auf solche Fälle 
beschränkte, bei denen keine Komplikationen durch andere. Er 
krankungen der Geschlechtsorgane bestanden. Ein Teelöffel 
Levurinose wurde durch das Spekulum in die Vagina gebracht 
und mittels Tampon druck 8 - 9 Stunden daselbst fixiert, worauf 
Spülungen mit Kamillen oder Ziuc chlorat. und Aq. dest. aa. 
ausgeführt werden. Auf Grund dieser Erfolge bei vaginaler 
Anwendung und auch auf Grund der Erfolge bei der Dar¬ 
reichung per os empfiehlt Verf Levuriuose bei Einhaltung der 
genannten Indikationen aufs beste. Ekstei n- Teplitz Schönau. 

Digitized by Google 


Psychiatrie und Neurologie. 

A. Heveroch: nie Patellarreflexe bei der trau¬ 

matischen Neurose, ffjosopis lökarüo ceskyeh 1914. Nr. 33) 

Beim Beklopfen der Quadricepssehne entsteht oft aasser 
der Zuckung des Unterschenkels (Patellarreflex) eine Zuckung 
der ganzen Extremität oder des ganzen Körpers (Überrasehungs- 
reaktion nach Heveroch). Diese letztere blasst bei wiederholter 
Beklopfung ab ; auch bei Simulanten wird sie infolge Ermüdung 
ungleichmässig; der Patellarreflex bleibt jedoch bei ;klinisch 
erfahrenen Untersuchern immer gleich lebhaft. Heveroch empfiehlt 
daher folgendes Verfahren: die Quadricepssehne wird bald mit 
der rechtet), bald mit der linken Hand, bald mit beiden Händen 
wiederholt beklopft; zeitweise lässt man den Untersuchten zu- 
sehauen und unterbricht die Reibe der Beklopfungen durch 
eine unvollständige Beklopfung, indem man zum Schlag ausholt, 
ohne wirklich zu klopfen. Eine Reaktion im letzten Falle ist 
natürlich kein Patellarreflex. Auch bei diesem Vorgang wird 
der Palellarreflex bei verschiedenen Untersuchern je nach ihrer 
klinischen Erfahrung und Übung verschieden ausfallen. 

G. Mühlstein- Prag. 

Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten 3er 
Harn- und Geschlechtsorgane. 

Erich Müller - Berlin-Rummelsburg, Zur Therapie 
der angeborenen Syphilis nebst einigen klinischen Bemerkungen. 

Die bisher allgemein geübte Behandlung der angeborenen 
Syphilis war eine ganz unverständlich unzureichende. 

M. behandelt jetzt folgenderinassen: Die einzelne Kur be¬ 
steht entweder aus 12 G'alomel- und 8 Neo-S.-Injektionen oder 
aus einer 6 wöchentlichen Schmierkur und gleichfalls 8 Neo-S. 
Spritzen. 

Beide Kuren dauern etwa je 3 Monate. 

Nach dieser ersten Kur tritt eine Pause von einem Viertel¬ 
jahre ein, hierauf beginnt die zweite Kur in gleicher Weise und 
nach einer zweiten Ruhepause von einem Vierteljahr folgt die 
dritte Kur in derselben Ausdehnung. 

Die angewandten Dosen sind die folgenden: 

0,001 g Calomel und 0,015 g Neo S. 
pro Kilogramm Körpergewicht. Das Neo-S. wird im allge¬ 
meinen bei Säuglingen intravenös gegeben, und zwar in die 
Venen des Schädels, des FussgelenkeB, die Vena jugularis oder 
neuerdings nach dem Vorschläge von L. Tobler Macht, 
f. Kindhlk. 1915, Bd. 13 Nr. 8 - in den Sinus longitudinalis 

Die Anzahl der Einzelkuren wird durch den Ausfall der 
Wu.-R. bestimmt. V. verfährt dabei seit vielen Jahren nach 
einem ganz bestimmten Grundsätze. Die Wa-R wird direkt 
vor jeder Kur, und jetzt etwa 8—10 Tage — früher 4 Wochen 
— nach der Kur geprüft. Der Ausfall der Prüfung vor der 
Kur ist für die Zahl der Kuren massgebend. Jedes Kind erhält 
nach der ersten negativen Wa.-R. noch zwei weitere, sozusagen 
prophylaktische Kuren, wenn im Verlaufe dieses Zeitraums 
ein Umschlag zur positiven Wa. R nicht mehr eintritt. Zeigt 
sieb doch noch einmal eine positive Reaktion, so erhöht sich 
die Anzahl der Kuren sinngemäss, bis das Ziel erreicht ist. 

Die von M jetzt geübte Therapie ist keine neue, sondern 
nur eine dem Vorgehen der Syphilidologeu bei der Lues der 
Erwachsenen angepasste. 

Die Gesamtkur besteht also im günstigsten Falle aus 
3 Einzelkuren, deren jede etwa ’/ 4 Jahr währt und erstreckt 
sich auf einen Zeitraum von 1 '/ 4 bis 1 1 2 Jahren, was eine 
wesentliche zeitliche Abkürzung gegenüber der alten Methode 
bedeutet Gans. 

P. G. Unna- Hamburg, Kriegsaphorismen eines Derma¬ 
tologen. (Berl klin. Wochenschrift 19:5, Nr. 18.) 

VIII. Pyodermie. — Impetigo Bockhart. 

Die Fox’sche Impetigo ist eine stets oberflächlich bleibende, 
unschuldige Affektion, die Bockhart’sche Impetigo beherbergt 
die ecliten Eiterkokken und führt daher leicht zur Furunkulose 
und leider auch hin und wieder zur Sepsis Bei jener sieht 
mau anfangs nur selten eiu seröses Bläschen, sondern meist 
eineu roten Fleck und dann bald eine dicke, fibrinöse, honig¬ 
gelbe Kruste, bei dieser hebt ein reiner Eitertropfeu rasch die 
Hornschieht. halhkuglig zu einer einkämmerigen. nicht gedeihen, 
gelben oder gelbgrünen Blase hervor, die einige Tage stehen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 14. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


135 


bleibt und dann zu einer braunen Kruste eintrocknet Bei 
jener platzen die Blasen rasch und das gerinneude Sekret 
verklebt die Haare (an Kinderköpfen) zu dicken harten Borken. 
Bei dieser ziehen sich die Blasen an den grösseren Haaren 
(der Extremitäten Erwachsener zeltartig in die Höhe, ohne zu 
platzen und Gerinnungsprodukte auf die Haut zu setzen. .Jene 
besitzt eine typische Lokalisation an der feuchtgehaltenen Haut 
der Kinder (um Nase, Muud und Augen). Diese hat keine 
typische Lokalisation, aber als gewöhnlichen Ausgangspunkt 
einen vernachlässigten Furunkel, eine eiternde Wunde oder ein 
Geschwür. 

Von diesen Eiterkokkenherden aus wird die B o c k h a r t - 
sehe Impetigo entweder langsam durch den kratzenden Nagel 
oder rasch durch feuchte Verbände, Breiumschläge, durch Ein¬ 
packungen und Abreihungen der Haut, durch reibende Ver¬ 
bandstücke, ja selbst schon durch unvorsichtiges Trockenreiben 
nach dem Bade über deu Körper verbreitet. Das ist die Ent¬ 
stehungsweise der meisten echten Pyodermien (generalisierten 
Fällen von Bockhart’s Impetigo ) 

Das Wichtigste der Behandlung ist die Prophylaxe. Wo 
die gebräuchlichsten Friedensmittel (Quecksilherkarbolguttnplast, 
Iehthyolguttaplast, Ichthyol pur) nicht zur Hand sind, ist die 
7;iuk-Schwefel-Kreide-Paste empfehlenswert, besonders wenn die 
Eilerstellen und die Ausgänge der umliegenden Haare vorher 
mit konzentrierter Karbolsäure leicht betupft werden. Im 
Lazarett wird der ganze Körper lange und gründlich abgeseift, 
nachdem sämtliche Eiterblasen geöffnet sind. Alle durch das 
Abseifen ihrer Hornschicht beraubten Impetigines werden sodann 
samt ihrer Umgebung mit einer Zink-Schwefel-Kreide-Paste be¬ 
deckt Länger dauernde feuchte Umschläge, welche die Horn¬ 
schichtmazerieren. sind ebenso zu vermeiden wie alle mechanischen 
Beschädigungen der Horuschicht (anhaltender Druck, Reiben, 
Kratzen.) 

IX. Erysipel. 

(Berliner klinische Wochenschrift 1915, Nr. 18.) 

Im kaustischen und kohlensauren Ammoniak besitzen 
wir ein nahezu sicheres inneres Mittel gegen Erysipel. 

Am besten gibt man: 

Ammon, carbonici 5,0 

Liq. ammon. anisati 5,0 

Aquae ad 200,0 

Syr. simpl. 20,0 

M. S. Esslöffelweise stündlich bis zweistündlich. 

Für die äussere Anwendung am besten bewährt hat sich 
das Ichthyol. (Dieses ist ein Ammoniaksalz!) Die Auftragung 
des reinen Mittels auf die Haut und die Bedeckung mit Watte 
ist die beliebteste Form ; aber sie ist wenig sparsam und etwas 
umständlich. Ebenso wirksam und weniger kostspielig ist die 
eines wasserlöslichen lchthyolfirnisses(Ichthyolalbumosenfirnis oder 
Ichthyolgelanth ; und dessen Bedeckung mit irgend einem Puder 
ohne Binden. (Schwanapotheke Hamburg) 

Stets muss die Ichthyoldecke eine Handbreit über die äusserste 
Grenze des Erysipels hinüber auf die gesunde Haut reichen, 
und wo die Grenze vom wandernden Erysipel dennoch über¬ 
schritten wird, sofort ergänzt werden. 

X. Frost und Frostbeulen. 

(Berliner klinische Wochenschrift 1915, Nr. 19.) 

Eine an Frost (Perniosis) leidende Haut fühlt sich kalt 
an und ist bläulichrot, in ihr ist der Blutstrom verlangsamt 
und der Widerstand in den Gefässen vermehrt Es besteht 
eine Stauungshyperämie. 

Während bei der Erfrierung eine Anämie der Gesamt. 
haut vorangeht, kommt es bei Frost nur zu einer Anämie der 
obersten Blutkapillaren mit weisslicher Verfärbung dieser Haut¬ 
schicht, während die unteren und subkutanen Schichten mit 
langsam strömendem Blut überfüllt sind. 

Um Frost zu heilen, muss erstens die Stauungshyperämie 
in Waliungshyperämie Umschlägen; die allzu tätigen Arterien¬ 
muskeln müssen gelähmt werden. Sodann gilt es die Ge¬ 
dunsenheit der Haut, das leichte Oedem, welches den Frost 
wegen der Stromverlangsamung des Blutes stets begleitet, fort¬ 
zuschaffen. Dazu dient in erster Linie die Wärme in Form 
sehr heisser Fussbäder und zweitens Massage. Am besten 
kombiniert man beides, indem man in den heissen Seifenbädern 

Digitized by Google 


die Füsse in der Richtung von den Zehen zur Ferse kräftig 
und langsam streicht. Man kann mit chemischen Mitteln beides 
gleichzeitig bewirken. Dazu dienen einerseits unsere Epispastica, 
andererseits unsere einlrocknendcu, reduzierenden, anämisieren- 
den, komprimierenden Mittel. 

Man kombiniert die eintrocknende und reduzierende Zink¬ 
schwefelkreidepaste mit Epmpasticis wie Kampfer und 
Terpentinöl und reibt damit die Füsse morgens und abends 
ein. 

Sulfur dep. 

Calcii carbon. 

Camphora e 

01 terebintinae t'tt'i 5,0 
Ung. zinci 30.0 

M. 

Besteheu richtige Frostbeulen, so bestreicht man diese für 
sich mit: 

Tinct jodi 15,0 

Acidi tannici 5,0 

M. 

Selbstverständlich sind dabei Füsse und Hände möglichst 
vor Kälte zu schützen und dürfen nur heiss gewaschen werden. 

Ist Ichthyol vorhanden, so streicht man unverdünnt über 
Sohle, Seilenkanten und Zehen und lässt es da eintrocknen. 
Dann beklebt man den so eingefirnissten Fuss mit drei breiten 
Leukoplastsireifen, von denen der erste die Sohle von hinten 
nach vorn bedeckt und über die Zehen nach oben bis zur 
Mitte des Fussrückens reicht, während die andern Streifen die 
Seiten des Fusses decken. Ein solcher Verband beseitigt die 
Beschwerden alle mit einem Male und kann 1 bis 2 Wochen, 
<1. h. bis zur Heilung, liegen bleiben. Gans. 


Medikamentöse Therapie. 

Vierteljahrsbcricht über die Fortschritte aut dem Gebiete der 
medikamentösen Therapie. 

Von Apotheker Ott o-Frankfurt a. M. (Schluss.) 

Neue Berichte liegen vor über die günstigen Wirkungen 
des B r o m u r a 1 der Firma K n o 1 1 & Co. Ludwigshafen 
a. Rhein. So schreibt J. W. Roth in The Dental Summary 
Band 35 Nr. 5 über die nervenberuhigende Wirkung von 
l—2 und die milde hypnotische Wirkung von 2—3 Tabletten 
bei der Behandlung Zahnkranker. Er konstatierte auch bei 
nervösen Patienten eine gewisse Willenlosigkeit nach der Dar¬ 
reichung, die er oft und regelmässig ndt Erfolg vor zahn¬ 
ärztlichen Sitzungen benutzte. 

Dr. Th. Rune k, Leiter des Vereinslazarettes zu Rhein¬ 
gönheim berichtet in der Medizin. Klinik, 1915 Nr. 37 über 
die spezifische Eigenschaft des bereits oben erwähnten Granu- 
genol, das Wachstum des iuterstitiellen Bindegewebes in selek¬ 
tiver Weise anzuregen. Besonders lobt er die straffe Konsistenz, 
gesunde Farbe und gute, feste Qualität des durch Granugenol 
erzielten Neugewebes. Dabei erzielte er auch eine Verminderung, 
teilweise völlige Beseitigung der bekannten tiefen, trichter¬ 
förmigen Narben, die sonst bei grösserem Substauzverlust 
kaum vermeidlich sind. Durch die Verhinderung des Ein¬ 
trocknens des Verbandes gestaltete sich dessen Neuanlegung 
wesentlich leichter und schmerzloser. Dasselbe berichtet Dr 
Fiedler vom Reservelazarett Marien-Hospital in Düssel¬ 
dorf in Nr. 39 der Deutschen Medizinischen Wochenschrift 1915. 
Er machte auch recht zufriedenstellende Versuche, das Granu- 
genol in Höhlenwundeu nach Operationen von peritypliilitischen 
Abszessen sowie zur Anregung von Kallusbildung hei schlecht 
heilendeu Kuochenbrüchen einzuspritzen. N. H i 1 ler brand jun. 
bestätigt in der Münchener tierärztlichen Wochenschrift 1915 
Nr. 36 diese Beobachtungen nach seinen Erfahrungen in der 
Veterinärpraxis. 

Unter dem Namen G e 1 o p o 1 stellt die Firma G. Pohl, 
Schönbaum-Danzig dünudarmlösliche Gelatine-Kapseln ä 0,3 
Phenylcinchoninsäure her, über deren Eigenschaften auf die 
Vermehrung der Ausscheidung und Hemmung der Neubildung 
von Harnsäure wir vor kurzem berichteten. In dieser Form 
wird dem schlechten Geschmacke und der mitunter auftretenden 
Belästigung des Magens vorgebeugt. Seine schmerzstillend! n, 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









i 36 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN* 


Nr. 14. 


antifebrilen und antiphlogistischen Eigenschaften bei Arthritis 
gonorrhoica, Neuralgie, Hemicranie, Ischias, Lumbago und he-1 
sonders Geleukrheuiualisnius, kommen hierdurch noch vorteil¬ 
hafter nur Geltung 

Die Calciumtherupie hat durch die Anregung von Prof. 
Dr. Sticker., Berlin, eine neue Anregung erfahren. Auf 
seine Veranlassung stellt die chemische Fabrik G oe d ec ke & Co., 
Leipzig und Berlin unter dem Namen S a n o c a 1 c i tt ein 
leichtlösliches sterilisierhares Calziumsalz her, das in molekularem 
Verhältnis aus Calzium glyzerophosphat -+- Calziumlakto- 
phosphat besteht Es kommt in Ampullen in den Handel 
rein ä 0,1 uud in Kombination mit Tuberkulin oder Arsen 
ä 0,0 L 

Ebenfalls schon bekannt ist das Spasmosan der Gehr. 
W eil, Frankfurt a. M. Es stellt ein glyzerophosphorsaureu 
Kalk enthaltendes Brombaldrianpräparat vor, das als Nervinum, : 
Sedativum und Antepileptikum vor anderen den Vorzug be¬ 
sitzt, keinen Bromismus hervorzurufen. Seine Ilauptimlikation 
ist das Gebiet der genuinen Epilepsie, worin es nach Rudolf 
Heinrich, München und A. Frankel, Berlin von 
keinem anderen Präparate erreicht wird. 

P. G. U n n a - Hamburg, Die Wirkung des Höllensteins. 
(Dermal. Wochenschr. Bd. 00, 1915.) 

Bei der Bindung des Höllensteins durch das Eiweiss des 
Gewebes wird Salpetersäure frei, die teils als solche, teils als 
salpetrige Säure zur Resorption gelaugt. Damit sind aber die 
Bedingungen zu allen Symptomen gegeben, die man als Tiefen¬ 
wirkung des Höllensteins bezeichnen kann: nachhaltiger Schmerz, 
Verbesserung der stockenden Blutzirkulation, Abschwellung 
entzündlicher Schwellungen usw. Diese ,,'Tiefenwirkungen“ sind 
aber allgemein die Wirkung der Sauerstoffsäuren (Salpetersäure, 
Chromsäure, Pikrinsäure, Permangansäure, Perchlorsäure usw.) 

Wenn man mithin die Wirkung des Höllensteins zweck¬ 
mässigerweise derjenigen der Sauerstoffsäuren angliedert, so 
soll damit durchaus nicht geleugnet werden, dass der Silber¬ 
komponente des Höllensteins eine wesentliche Bedeutung zu¬ 
kommt. 

Wir haben gelernt, dass dieselbe — uud nicht nur in 
Ionenform — erhebliche Wirkungen in therapeutischer Beziehung 
entfalten kann. Diese treten aber, da sie in gleicher Richtung 
wie die der oxydierenden Salpetersäure liegen, beim Höllenstein 
in ihrer Besonderheit weniger deutlich zutage. Gans. 

Dr. V ö r n e r - Leipzig, Zur Anwendung <l»r Levurlnose 
bei Hautkrankheiten. (Münch, med. Wocheuschr. 1915, Nr. 46.) 

Die Levurinose hat sich bei heftig juckenden 
Neuro-Dermatitiden, Acne, Furunkulose, Follikulitis, Pruritus 
localis, Prurigo der Kinder gut bewährt. Für den Erfolg der 
Levurinosekur ist in jedem Falle ungemein wichtig, eine Redu¬ 
zierung und Regulierung der Diät aufs nachdrücklichste zu 
veranlassen. Gans. 

P y r e n o 1 als E x p e k t o r a n s ist gerade jetzt zur 
Zeit der Hochflut katarrhalischer Affektionen der Atmungsorgane 
ein besonders geschätztes Medikament von zuverlässiger Wirkung. 
Die Verflüssigung zähen Bronchialsekrels bei gleichzeitiger 
Beschränkung der Neubildung, Lösung der schädlich wirkenden 
Bronchialspasmen und Milderung des Hustenreizes neben mild 
einsetzeuder Antipyrese wird in der umfangreichen einschlägigen 
Literatur von allen Autoren hervorgehoben, u. a. von Loeb 
an dem grossen Kranken material des Augusta-Hospitals in 
Berlin. (Berliner klin. Wochenschrift Nr. 41. 04.i Dass diese 
Gesamtwirkung des Pyrenol weder mit den einfachen uoch den 
mit N'arcoticis kombinierten sogenannten Solveutien zu erreichen 
ist, hat in eingehender Darstellung der bei den katairhalischen 
Aff’ektioueu der Atmungsorgaue vorliegenden speziellen patho¬ 
logischen Verhältnisse Johannissohn in dieser Zeitschrift 
(Nr. 47. 13) pharmakologisch begründet. Die Expek¬ 

toration wird wesentlich gefördert. Schon am 2. oder 3. Tage 
kann man diese Wirkung des Pyreuols beobachten. Der Schleim 
wird ganz leicht, ohue jede Krarapfäusserung zum Auswurf ge¬ 
bracht und bringt den Patienten wesentliche Erleichterung. 

Ein grosser Vorteil des Pyrenols kommt dabei, worauf 
Sternberg in der Ärztlichen Rundschau (Nr 31, 03) hinweist, 
uoch zur Geltung: „Seine Unschädlichkeit gibt in der Praxis 


die Möglichkeit, es auch bei Schwerkranken, bei Arteriosklerose, 
Dilatation des rechten Ventrikels, in der vollen wirksamen 
Dosis geben zu können. Ein solches Mittel verdient unsere 
Beachtung in hohem Grade. Dosierung: Erwachsene 3—C x 
tägl. 1 Tablette ä 0,5, Kindern Solution von 2,0 — 4,0:100 
mit Sir. Ruh. Jd. 20, 2 stündlich 1 Kinderlöffel. 

N e u in a n u. 

In dem soeben erschienenen „Lexikon der gesamten 
Therapie des praktischen Arztes“ (Erster Band 
A — L.) von Oberstabsarzt Dr. Walter Guttmann (Verlag Urban 
Ä Schwarzenberg-Berlin)linden „Fermentin-Eisen-Arsentabletten“, 
„Salizyl-Schwefel-Fermentin“ uud Gelonida Alutninii subacetici 
Nr. I.“ der Firma Goedecke & Co., (Berlin) Erwähnung bei 
Akne vulgaris (Seife und Gelonida), bei Alopecia 
areata und seborrhoica (Seife und Arsen-Eisen- 
Fermeutintabletten 1, hei Herpes tonsurans und bei Ekzem 
des Kopfes, des Gesichts, des Rumpfes und der Gliedmassen, 
(die „Arsen-Fermentintabletten“ zur Hebung des Allgemeinbe¬ 
findens, die „Gelonida Aluminii subacetici“ zur Darmdesinfektion 
und die „Salizyl-Schwefel-Ferinentinseife“ für die lokale Be¬ 
handlung.! Die Seife hat insofern eine günstige Zusammen¬ 
setzung, als sowohl bei Akne, als bei Ekzem das Salizyl in 
Verbindung mit der neutralen Seife die hyperkerntotische Horn¬ 
schicht in schonendster Weise erreicht, indem der Schwefel 
und das Nuklein des Fermentins.bakterizide uud antiekzernatöse 
Wirkung entfalten und die übrigen Bestandteile der Seife eine 
reduzierende Wirkung auf den Akne- und Ekzemprozess aus¬ 
üben. Die Zusammensetzung der „Fennentiu-Eisen-Arsen- 
Tabletten“ darf wohl die wirksamste Kombination zur Hebung 
des Allgemeinbefindens und zur Blutbildung genannt werden. 
Die Gewichtszunahme selbst schwächlicher Personen zeigt sieb 
in einigen Wochen in markanter Weise. Will der Arzt bei 
seinen Patienten Gewichtszunahme erzielen, zusammen mit 
Hebung des Allgemeinbefindens und der Blutvermehruug, so 
gibt es kein besseres Mittel als „Arsen-Eiseu-Fermentintabletten“, 
indem zu den roborierenden Eigenschaften der beiden ersten 
Ingredienzien noch das leukozytenbildende Fermentin wirksam 
hinzutritt. Näheres hierüber siehe in den betreffenden Kapitelu 
des „Guttinanmschen Lexikon der gesamten Therapie des prak¬ 
tischen Arztes mit Einschluss der therapeutischen Techuik“, 
das unter Mitarbeit von 50 Fachgenosseu erscheint und mit 
dessen Herausgabe sich Guttmann ein zweifelloses Verdienst 
erworben hat, insofern, als die erprobten therapeutischen Methoden 
dem Arzte bequem zugänglich gemacht werden. 

Neu m a n u. 

Nachtrag zu dem Artikel; Glyzerinersatz*). 

Es hat sich bei längerem Gebrauche des Sirup-Zink¬ 
leims herausgestellt, dass derselbe, falls er länger als ein 
bis zwei Tage auf der Haut verweilt, zu spröde wird, zu sehr 
spannt und vorzeitig abblättert. Dieser Nachteil wird behoben 
durch einen Zusatz von 10 °/ g öl. Die Formel lautet dann: 


Gelatine. 

15 

Zinc. oxydat. . . 

. 15 

Olei olivar. 

. 10 

Syrup domestic. . 

. 20 

Aqua destill. . . . 

40 

M Adde Thymoli 

. 0,01 


P. G. U n n a. 

Bonuet, Prof. Dr. (Bonn), Die Hand und ihr Ersatz. Mit 
18 Abbildungen (Verlag von Leopold Voss, Leipzig und Ham¬ 
burg.) Preis 60 Pfennige. 

Das nach einem Kriegsvortrag verfasste Schriftchen ist 
sehr flott geschrieben und bietet auch dem Arzt manche An¬ 
regung. In erster Linie freilich wendet es sich an den ge¬ 
bildeten Laien und an den Kriegsbeschädigten selbst, der aus 
den Ausführungen ßonnets manchen Trost schöpfen kanu. 
Vor allem ist die Lektüre des Ruches auch allen denen sehr 
zu empfehlen, die sich mit der Fürsorge für unsere Kriegsbe¬ 
schädigten zu befassen haben, und sich auf dem Gebiet erst 
einarbeiten müssen. Iu sachlicher Beziehung sei noch erwähut. 
dass auch Bonnet, wie es richtiger Weise wohl jetzt überall 

*1 Abged nckt in der Hamburger Aeizie ^Äirreapoudeiis Nr 4t vom 
14. November 1915. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









\ T r, 14. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


137 


eschieht, auch für die scharfe Trennung von Schmuck- und 
trbeitsprothese bei Verstümmelungen der oberen Extremität 
irtritt. R. 

Ledderhose, Prof Dr , Strassburg, Die Arthritis 
Irfoimans als Allgemeinerkrnnbung. (Strassburg 1915. Karl 
. 'frübners Verlag. Preis 2 Mark.) 

Auf dem grossen Gebiet der Erkrankungen der Gelenke 
errscht trotz mancher eingehenden Forschung in der letzten 
>it doch noch manche Unklarheit und der Praktiker wird 
äufig im Zweifel sein, unter welchen der landläufigen Begriffe 
r im gegebenen Falle die worhandenen Gelenkveränderungen 
ubsummieren soll. 

Deshalb ist die vorliegende Schrift besonders dankbar zu 
egrüsseri, in der uus Ledderhose, gestützt auf seine grosse Er- 
ihrung, mit klaren Zügen das scharfumrissene Bild der 
irthritis deformans zeichnet und sie von ähnlichen Krankheits- 
ildern scheidet. Ähnlich wie wir es schon aus der französischen 
.iteratur gewöhnt sind, sieht L. in der A. d. den Ausdruck 
iner allgemeinen Diathese, die sich namentlich bei älteren 
euten ziemlich häufig findet. 

An der Hand der Ausführungen von L. ist es jedenfalls 
ud dem Praktiker leicht die einzelnen chronischen Gelenker¬ 
rankungen zu sondern und den therapeutisch richtigen Weg 
inzuschlagen. Nach einer Allgemeinbetrachtung werden in 
;hr übersichtlicher Weise auch die einzelnen Gelenke des 
lörpers durchgenommen, und schliesslich noch auf die soziale 
iedeutung dieser Erkrankung verwiesen, namentlich bei der 
nvalidenversicherung. R. 

Thomas Lewis, Klinik der unregelmässigen Herztätig- 
eit. (Übersetzt von Otto Wuth. Verlag Gurt Kabitzsch. 
l'ürzburg.) 

In übersichtlicher Anordnung bespricht der bekannte llerz- 
pezialist die Erkrankungen, die sich in einer unregelmässigen 
lerztätigkeit offenbaren und bei denen man sich noch gar zu 
ft mit der Diagnose: Herzmuskelerkrankung begnügt. Der 
’erfasser bespricht in klarer Weise die Sinus-Unregelmässig- 
eiten, den Herzblock, die vorzeitige Kontraktion, die einfache 
aroxvsmale Tachykardie, das Vorhof-Flimmern, das Vorhof- 
'lattern und den Pulsus alternaus. Nach einer kurzen 
lefinition bespricht er das Wesen der Erkrankung und erläutert 
s durch zahlreiche Diagramme und Kurven der A. radialis 
nd der Herzspitze. Besonders hervorzuheben ist, dass der 
■Wasser zeigt, wie man in der Regel ohne grossen Apparat 
sdiglich durch die klinische Beobachtung die Erkrankung er- 
ennen kann. Dass auch die Prognose, Pathologie und Therapie 
usführlich besprochen ist, sei nur kurz erwähnt. Ein ausge- 
eichnetes Buch, das in präziser Form alles Wissenswerte bringt! 

H L i p p, Untersuchungsmethoden tür I.azarelt-Labora- 
urien und praktische Ärzte. (Lehmann’s Verlag, München.) 

Unter diesem Titel ist der 4. Teil des „Taschenbuches des 
’eldarztes“ erschienen, der in flüssigem Stil die erprobten 
ntersuchungsmethoden bringt, daneben aber auch die neueren 
icht vernachlässigt (es enthält sogar Proben, die erst 1915 
eröffentlicht sind]. In übersichtlicher Anordnung wird der 
iachweis der wichtigsten pathologischen Stoffe gebracht. Aller- 
ings muss bemerkt werden, dass die Auswahl uns nicht durch- 
eg glücklich gewählt zu sein scheint. So dürfte sowohl für 
en Feldarzt, als auch für den Militärarzt des Heimatgebietes 
tuch tür den praktischen Arzt) der Nachweis von Pentose, 
on Melanin u. v. a. m. überflüssig sein. Auch der Nachweis 
ichtigerer Körper, wie der der Harnsäure im Blut, dürfte wohl 
em Laboratorium zu überlassen sein. — Anerkennenswert 
t, dass der Verfasser auf die Fehlerquellen aufmerksam macht 
nd bei fast allen Proben praktische Verbesserungen angibt. 


Wichtige gerichtliche Entscheidungen. 

Zum Kapitel der ärztlichen Standesehre. 

(Nachdruck verboden.) 

Der Kläger trug sich im Jahre 19.0 mit der Absicht, in 
■erlin wissenschaftliche Studien zu treiben und wollte aus 
iesern Grunde die Stellung als leitender Arzt eines 
■ rankenhauses, die er seit 12 Jahren inne hatte, aufgeben. 

Digitized by Google 


Der Beklagte trat mit ihm in Verhandlungen. Diese führten 
zu der Vereinbarung, dass der Beklagte dem Kläger als Ent¬ 
schädigung bei der Übernahme der bezeichneten Stellung 5000 
Mark zahlen sollte. Die aus Anlass der Vereinbarung er¬ 
richtete, von beiden Teilen vollzogene Urkunde vom 22. Nov. 

1910 enthält ausser dem Entschädigungsversprechen die Worte: 
„Ehrenwörtliche Diskretion selbstverständlich.“ Nach dem Zu¬ 
standekommen der Vereinbarung wurde dem Beklagten die 
freiwerdende Stelle für die Zeit vom 1. Januar 1911 an über¬ 
tragen. Der Kläger fordert jetzt vom Beklagten die Zahlung 
der 5000 Mark Das Landgericht erachtete das Abkommen 
vom 22. November 1910 für sittenwidrig uud wies die Klage 
ab. Das Oberlandesgericht verurteilte. Das Reichsgericht stellte 
sich wieder auf den Standpunkt der ersten Instanz und führt 
in den 

Gründen 

seines Urteils aus: Nach der Darstellung des Klägers sollten 
die 5000 Mark u. a. eine Entschädigung dafür darstelleu, dass 
er dem Beklagten mit dessen Eintritt in die Stelle des Kranken¬ 
hausleiters eine Reihe von Werten überliess, die er während 
seiner 12jährigen Tätigkeit geschaffen haben will. In dieser 
Hinsicht hat er ausgeführt, das Elisabethkrankenhaus sei vom 
ersten Bett an bis zu dem Umfange, den es mit 45 Betten 
bei seinem Weggang gehabt, sein Werk gewesen und von ihm 
unter Aufwendung beträchtlicher eigener Mittel auf diese Stufe 
der Entwickelung gebracht worden. Ihm habe das Recht zu¬ 
gestanden, einen Teil der Betten mit Kranken zu belegen, für 
deren Behandlung ihm das Honorar gebührt habe. Das Ober¬ 
landesgericht meint, dass hiernach zur Beanstandung des Ent¬ 
schädigungsversprechens aus dem Gesichtspunkte der guten 
Sitten kein Anlass vorliege. Mit dieser Auffassung wird es 
den Umständen des Falles nicht gerecht. Der Kläger liess 
es sich angelegen sein, einen Nachfolger zu finden. Er suchte 
nach einem solchen und pflog, nachdem der Beklagte als 
Bewerber aufgetreten war, mit diesem Verhandlungen. Diese 
Bemühungen hatten nur Sinn und Zweck, wenn er beabsichtigte, 
denjenigen, welchen er als seinen Nachfolger ins Auge fasste, 
der Krankenhausverwaltung zur Anstellung zu empfehlen. In 
dieser Weise ist er denn auch später verfahren. Für die Be¬ 
urteilung des Wertes seines Vorschlags war es von Wichtig¬ 
keit, ob er unter Umständen erfolgte, welche seine Unparteilich¬ 
keit in Frage stellten. Liess sich der Kläger dafür, dass er die 
von ihm bekleidete Stelle aufgab und dadurch einem anderen 
Arzt den Eintritt in diese ermöglichte, eine Entschädigung 
versprechen, so wurde die Unbefangenheit seines Urteils über 
den Versprechenden und die Zuverlässigkeit der Empfehlung 
leicht beeinträchtigt. Die Krankenhausverwaltuug hatte deshalb 
ein erhebliches Interesse daran, dass sie von dem Abkommen 
der Parteien Kenntnis erhielt. Die Mitteilung hiervon war für 
sie von umso grösserer Bedeutung, als es sich um die Stelle des 
Krankenhaus 1 e i t e r s handelte, die ein besonderes Mass von 
wissenschaftlicher und sittlicher Befähigung voraussetzte und 
deren sachgemässe Besetzung wegen des erhöhten Vertrauens, 
das vom Publikum Aerzten in dieser Stellung entgegengebracht 
wird, zugleich im öffentlichen Interesse lag. Verabredeten daher 
die Parteien die Geheimhaltung des Übereinkommens, so setzten 
sie sich hierdurch mit den Anforderungen in Widerspruch, die 
vom Standpunkt des sittlichen Empfindens der Gesamtheit aus 
an ihr Verhalten zu stellen sind. Es ist ohne weiteres anzu¬ 
nehmen, dass sie zur Vermeidung des Anscheins, die Empfehlung 
de* Beklagten durch den Kläger sei verkauft, auf das Ver¬ 
sprechen der Geheimhaltung grossen Wert legten und ohne das 
Versprechen die Vereinbarung über die Zahlung der 50l)0 Mk. 
nicht getroffen haben würden. Die Nichtigkeit des Versprechens 
hat daher die Nichtigkeit des Entschädiguugsabkommens zur 
Folge. 

Urteil des Rtt. vom 10. Dezember 19‘5 III. 320/1915. 

(Mitgeteilt von Dr. Hans Berthold, Leipzig.) 

Zur rechtlichen Stellung der Kassenärzte. 

(Nachdruck verboten ) 

Am 9. Juli 1913 schlossen die Streitteile einen Vertrag 
durch den der Kläger als Kassenarzt der Beklagten auf 10 
Jahre vom 1. Januar 1914 ab angestellt wurde. Er übernahm 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






138 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 14. 


die Tätigkeit, legte sie aber nach etwa 3 Monaten auf Ver¬ 
langen der Beklagten nieder. Am 27. Juni 1914 erhielt er 
ein Schreiben der Beklagten, worin sie den Vertrag wegen 
Irrtums anfocht und dem Kläger fristlos kündigte. Sie machte 
demnächst geltend, der Vertrag sei unverbindlich, weil er von 
der Aufsichtsbehörde nicht genehmigt sei, und bezeichnet als 
Aufechtungsgrund und als wichtigen Grund zur Kündigung 
den Umstand, dass der Kläger im Gebrauche des rechten Arms 
und der rechten Hand behindert, deshalb ungeeignet sei, die 
kassenärztliche Tätigkeit wahrzunehmen. Von der höchsten 
Verwaltungsbehörde sei ihr aufgegeben worden, deshalb den 
Vertrag anzufechten und die Kündigung vorzunehmen. Der 
Kläger erhob Klage auf Feststellung, dass der Vertrag gültig 
und die Kündigung unwirksam seien. Sämtliche Instanzen 
gaben der Klage statt, das Reichsgericht mit folgender 
Begründung: 

Für die Befugnis des Vorstandes der beklagten Orts¬ 
krankenkasse zum Abschluss des Vertrages mit dem Kläger 
massgebend siud die §§ 23 und 35 des Krankenversicherungs¬ 
gesetzes vom 10. April 1892. Nach § 23 soll das zu errichtende 
Kassenstatut Bestimmung treffen über den Umfang der Be¬ 
fugnisse des Vorstandes, der § 35 regelt die Vertretungsmacht 
des Vorstandes, ohne ihn tür den Abschluss von Verträgen 
an das Erfordernis einer Genehmigung der Aufsichtsbehörde 
zu binden. Dem § 2.J des Gesetzes gemäss trifft das bis 
1. Januar 1914 in Geltung gewesene Statut der Beklagten 
Bestimmungen über den Umfang der Vorstandsbefugnisse, und 
zwar im § 46 Abs. 2 Nr. 3 dahin, dass die Verträge mit den 
Aerzten der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen. Auf 
Grund der Ermächtigung des Gesetzes konnte die Satzung hin- j 
sichtlich der Vertretungsmacht des Vorstandes auch Bestimmungen 
treffen, die lediglich das innere Verhältnis zwischen Aufsichts¬ 
behörde und Kasse regeln sollen. Dass dies zutrifft bei der 
Bestimmung im § 46, nimmt das Berufungsgericht an. Die 
Satzungen der Ortskrankenkasse als einer öffentlich-rechtlichen 
Körperschaft sind eine Norm des objektiven Rechts. Das 
Reichsgericht hat iu zahlreichen Entscheidungen den Satzungen 
öffentlich-rechtlicher, auf gesetzlicher Grundlage beruhender, 
Körperschaften diese Eigenschaft zugesprocheu. Bei dem be¬ 
schränkten Geltungsgebiet der Satzung der beklagten Kasse 
kann auf eine Verletzung der Satzung durch unrichtige An¬ 
wendung und Auslegung die Revision nicht gestützt werden. 
Steht aber unangreifbar fest. daBS der etwaige Mangel der 
Genehmigung des Vertrags durch die Aufsichtsbehörde ohne 
Bedeutung für dessen Gültigkeit und Rechtswirksamkeit ist, 
so braucht weder darauf eingegangen zu werden, ob etwa der 
Vorstand unter der Herrschaft der Reichsversicherungsordnung 
und der neuen Satzungen den Vertrag genehmigen oder he- j 
stätigen konnte und genehmigt oder bestätigt hat, noch darauf, 
ob eine die Gültigkeit des Vertrags von der Genehmigung der 
Aufsichtsbehörde abhängig machende Satzungsbestimmung nach 
dem Gesetze überhaupt zulässig gewesen sein würde. Das 
Berufungsgericht verneint die Anfechtbarkeit des Vertrags 
wegen Irrtums aus § 119 BGB. mit dreifacher Begründung. 
Es führt aus, die Beklagte habe sich nicht über Eigenschaften 
des Klägers geirrt, habe vielmehr den Umfang der Behinderung 
seines rechten Armes beim Vertragschlusse gekannt. Ihr 
etwaiger Irrtum halte sich höchtens auf die Folgen der 
Armlähmung bezogen, überdies beständen die von ihr ange¬ 
nommenen Folgen gar nicht. Die Anfechtung sei nicht unver¬ 
züglich erfolgt. Die letzte Begründung schlägt schon durch. 
Aber auch die oberlandesgerichtliche Kennzeichnung des an¬ 
geblichen Irrtums ist nicht zu beanstanden. Diese Begründung 
wird durch die Feststellung getragen, dass eine Beeinträchtigung 
der Vertragsleislungen des Klägers durch den Zustand seines 
Armes nicht stattgefunden hat. 

Urteil des RG. vom 3. Dezember 1915. III. 170/1915. 

(Milgeteilt von Dr. Hans Berthold, Leipzig.) 

Neuere Medikamente. 

Lycetol: Dimethylpiperazintartrat. Weisses, in Wasser leicht 
lösliches, geruchloses Pulver von angenehm säuerlichem Ge¬ 
schmack, Reaktion sauer. Wirksames harnsäurelösendes 
Mittel bei Gicht, chronischem Gelenkrheumatismus, Nieren- 
und Blasengries, Nierenkolik, Nierensteinen etc 

DoBis: l-l'/jg 2 mal täglich gelöst in einer Flasche 


alkalischen Wassers, (Apollinaris, Selter etc.) bei gleichzeitiger 
Einnahme von etwas kohlensaurer Magnesia (I Vj g). 
(Lyeetoltabletten ä 1 g. Nr. X Originalpackung.) (Bayer.) 
Magneshnnperbydrol: Aus Magnesiumsuperoxyd und Magnesium¬ 
oxyd bestehend, spaltet im sauren Magensaft Wasserstoff¬ 
superoxyd ab, das in Wasser und Sauerstoff zerfallt. Des¬ 
infizierende Wirkung im Magendarmkanal, Erhöhung der 
Schleimsekretion, Verstärkung der Peristaltik. Oxydations¬ 
wirkung. 

Indikationen: Chron. Intoxikationen infolge Stoß- 
wechselstörungen, Meteorismus, Gärungsdyspepsien, Pylorus¬ 
stenose, Magenstauung, dyspept. Angina pectoris, Hyperazidität, 
Azidose, Diabetes. 

Anwendung: 3 mal tägl. */,— 1 Teelöffel 25° „ 
Magnesiumperhydrol in Wasser oder 3 mal tägl. 1—3 Tabl. 
ä 0,5 g (Merck). 

Malzextrakt-Pulver (Liebe) mit Lecithin (4 "/ob 

Indikation: Neurasthenie, Nervenschwäche. Derselbe 
Malzextrakt wird auch mit Hämol und Hämogallol herge¬ 
stellt. (J. P. Liebe, Dresden.) 

Malztiopon : 

Chemische Konstitution: Malzkohlehydrate 
in inniger Bindung mit Rein-Eiweiss. Genauere Zusammen¬ 
setzung: Eiweiss 45 °/ 0 , Kohlehydrate 42 °/o, Lecithin 0,6 ’ „ 
Fett 0,8 °/„, Salze 1,3 °/o. (Wasser 9,2 %) 

Resorptionsverhältnisse und Wirkungs¬ 
weise: Malztropon ist wohlschmeckend und leicht verträg¬ 
lich, auch für angegriffenen Magen; es wird nahezu voll¬ 
kommen resorbiert. Die Wirkung ist daher die eines hoch¬ 
konzentrierten Nährmittels, in welchem die gebrannten Malz¬ 
kohlehydrate (Farbmalze) Eiweiss sparend wirken. Besonders 
bewährt ist Malztropon zur Anregung und Unterhaltung der 
Milchsekretion bei stillenden Frauen. 

Art der Darreichung und Dosierung: Iu 
Pulverform mehrmals täglich 1 bis 2 gehäufte Teelöffel in 
Milch, Kakaooder anderen Getränken. (Troponwerke Mülheim.) 
Mammin-Poehl: Synergetische Gruppe der Brustdrüsen ausge¬ 
suchter Kühe (Tscherkessen-Rasse) nach besonderem Ver¬ 
fahren toxinfrei hergestellt. 

Wirkungsweise: Spezifisches Stypticum und Adstringens, 
Antiphlogisticum bei Hyperämien der weiblichen Sexuale, 
Myomen, uterinen Blutungen, Meno- und Metrorrhagien ; bei 
letzteren Indikationen tritt die Wirkung prompt ein, während 
die Behandlung der Myome je nach Sitz des Tumors, ferner 
auch in Rücksicht auf Alter und sonstige persönliche Um¬ 
stände, längere Zeit, bisweilen Monate hindurch dauern wird. 
Vorsicht bei Gravidität wegen Abort. 

Darreichungsform: Intern 1 —6mal täglich je 

2-3 Tabletten Mammin-Poel ä 0,3—0,5 nach den Mahl¬ 
zeiten, subkutan Mammin-Poehl pro inj. 1-2 tägig je 1 
Ampulle. 

Bücherschau. 

J. Sandek, Kosmetik. (Aus Natur und Geisteswelt, 
Bändchen 489 von B. G. Teubuer, Berlin 19 1 5.) 

Das kleine Büchlein verfolgt die Tendenz, den wissen¬ 
schaftlichen Charakter der Kosmetik nachzuweisen. Für Laien 
bestimmt, will es in ihren Kreisen die Überzeugung wecken, 
dass der berechtigte Wunsch einer persönlichen Verschönerung 
alle Aussicht hat, bei der Wissenschaft volles Verständnis und 
nachhaltige Hilfe zu finden. 

Es will die Möglichkeit einer streng wissenschaftlichen 
Behandlung kosmetischer Mängel beleuchten und das fachliche 
Können zu dem ebenso ungenierten wie unzulänglichen Kur¬ 
pfuschertum in Gegensatz stellen. 

Seinen Zweck sucht der Verfasser durch eine flotte und 
doch sachliche Darstellung zu erreichen, die auch den Leser 
an den Stoff zu fesseln weiss. In anerkennenswerter Weise 
hat es S. verstanden, die kurze Abhandlung in ihrer ganzen 
Anlage trotzdem so zu gestalten, dass einmal der Laie die 
heutige wissenschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der 
Kosmetik, ihren reichen Hilfsschatz an mechanischen, physika¬ 
lischen und chemischen Behandlungsmethoden kennen lernen 
kann und dass er deshalb den Arzt als leitenden und 
beratenden Mitarbeiter gerade hier gerne anerkennen wird und 
muss. Gans. 


Digitized b) 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 


ITY OF ILLINOIS AT 


URBANA-CHAMPAIGN 


33. Jahrgang. 


19)5/16. 


Tortsdirim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg. 


Unter Itiitwirknng hervorragender TaAmänner 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 15 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 

Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H., Berlin NW. 87. 29. Februar 

! Alleinige Inseratenannahme durch Gelsdorf & Co., 0. m b H., Annoncenbureau, Berlin NW. 7. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Behandlung der Lues congenita. 

Von Dr. ined. A. Braun. 

In der Behandlung der kongenitalen Lues hat sich 
die Pädiatrie lange Zeit in dem gewiss nicht tadelns¬ 
werten Bestreben, den schon vorhandenen Schaden nicht 
zu vergrössern, zurückhaltend gezeigt. Mit Rücksicht 
auf die weittragenden Folgen, welche die angeborene 
Syphilis über die Person des Trägers hinaus besitzt, hat 
man sich in neuerer Zeit mehr und mehr zu einem ak¬ 
tiveren Vorgehen entschlossen, vor allem, als Ehr- 
lieh s Salvarsanbehandlung in den Heilschatz einge¬ 
führt wurde, und als die Ausbildung der Wasser¬ 
mann sehen Reaktion einigermassen Schlüsse auf die 
liehandlungsresultate zuliess. Die Behandlung der kon¬ 
genitalen Lues ist, wenn auch dankbar, keineswegs 
leicht und wird daher von manchen Autoritäten ins 
Krankenhaus verlegt. Es sind bekanntlich eigene Pflege¬ 
heime ins Leben gerufen worden, welche sich die Auf¬ 
zucht und Behandlung der erblich kranken Kinder 
in den ersten vier Lebensjahren zum Ziel gesetzt 
haben. 

Eine rationelle Behandlung der Lues congenita gipfelt 
in einer gründlichen Behandlung der Eltern, resp. der 
Mutter. Nur so lässt sich einer Infektion in utero und 
einem Absterben der Frucht Vorbeugen. Eine solche 
Behandlung mit Salvarsan und Quecksilber würde wohl 
auch im Beginne der Schwangerschaft nicht zu spät 
kommen, da die Infektion des Fötus nach S t e i n e r t 
und Fl u s s e r frühestens 7 W'ochen nach Infektion 
der Mutter eintritt, und eine kombinierte Salvarsan- 
Quecksilberkur von den Graviden ohne Schaden ver¬ 
tragen wird (E. M e y e r). Es liegt in der Natur der 
Sache, dass eine solche energische Behandlung der 
mütterlichen Syphilisüberträgerin in vielen Fällen nicht 
zur Durchführung gelangt. Ebensowenig lässt sich die 
Forderung, jedes von einer luetischen Mutter geborene 
Kind antiluetisch zu behandeln, auch wenn es weder 
klinisch noch serologisch syphilitische Anzeichen bietet, 
erfüllen, da in sehr vielen Fällen erst die Mani¬ 
festation der Lues die Mütter ihr Kind zum Arzte 
bringen lässt. 

Unter den neueren Arbeiten, welche sich mit der Lues 
congenita beschäftigen, ist zunächst eine Abhandlung 
von A. Baginskv (Ther. d. Gegenwart 1915, I) 
beachtenswert, der die Verschiedenheiten des klinischen 
Bildes der hereditären Syphilis unter Schilderung der 
einzelnen Erscheinungsformen ins Gedächtnis ruft. Es 
gibt Kinder, denen man auf den ersten Blick ihre Krank¬ 
heit ansieht, und andere, bei denen auch der geübteste 

Digitized by Google 


Diagnostiker wegen des anscheinend vorzüglichen Ge 
sundheitszustandes versagen muss, bis eines Tages un¬ 
trügliche Zeichen den Wurm im roten Apfel erkennen 
lassen. Nach B a g i n s k y s Anschauung hat die Be¬ 
handlung dem klinischen Bilde Rechnung zu tragen, 
mögen in dessen Vordergrund nun Erscheinungen seitens 
der Ilautgebilde, des Magen-Darmkanals, des Nerven¬ 
systems oder Urogenitalsvstems stehen. Ganz besondere 
Sorgfalt ist in jedem Falle der Fliege und Ernährung 
zuzuwenden. Was die Verwendung antiluetischer Mittel 
angeht, so gibt er deren äusserer Applikation den Vor¬ 
zug vor der Aufnahme per os. Er schätzt vor allem 
Sublimatbäder und bei nicht allzuschlechtem Zustand der 
Kinder die Schmierkur. Ergibt mindestens 30 lauw-arme 
Sublimatbäder (0,5—1,0 g Sublimat pro 10 Liter Wasser) 
von 10 Minuten Dauer hintereinander mit einmaliger 
Unterbrechung in jeder Woche. Bei der Schmierkur 
lässt er 0,5-2,0 g Quecksilbersalbe in der üblichen 
Weise 6 Tage lang einreiben und gibt dann einen Ruhe¬ 
tag mit Bad. Von den innerlich zu nehmenden Queck- 
silbermitteln empfiehlt er das Hydrargyrum jodatum fla- 
vum (0,005—0,01 zweimal täglich), verwirft aber das 
Calomel. Dagegen schätzt er das durch das Salvarsan 
in den Hintergrund gedrängte Jodkalium, von dem er 
bei nicht zu jungen Kindern neben einer Schmierkur 2 
bis 3 g täglich 3 bis 4 Wochen lang in Milch ver¬ 
abfolgt. 

Unter den Quecksilber-Injektionsmitteln verwendet 
er das Sublimat (Hvdrarg. bichlor. Natrium chlorat. 
na 0,2 Aqu. dest. 10,0) von welcher Lösung er wöchent- 
j lieh ad nates subkutan oder intramusculär bei ganz 
jungen Kindern bei älteren s —*/,, ccm einspritzt. 
Salvarsan kann vor oder nach-dem Quecksilber schon 
bei ganz jungen Säuglingen in angepasster Dosis ge¬ 
geben werden und hilft beim Versagen der anderen 
Mittel manchmal noch. Baginsky verwendet Neosal- 
varsan intraglutäal mit 10 tägigen Intervallen, beginnend 
mit 0,01 g oder noch weniger. Intravenöse Injektionen 
werden von Baginsky wegen ihrer Gefährlichkeit 
verworfen. Er behandelt so lange, bis luetische Er¬ 
scheinungen nicht mehr vorhanden sind lind die Kinder 
gedeihliche Entwicklung zeigen. Dann wartet er ohne 
Rücksicht auf den positiven oder negativen Ausfall der 
iWasserman n sehen Reaktion ab. 

Wesentlich energischer und eingreifender ist das 
Vorgehen E. M ü 1 1 e r’s (Berl. klin. Wochenschr. 1915, 
40), der in systematischer Weise die Kinder lange Zeit 
behandelt und dabei den Ausfall der W assermann- 
schen Reaktion zur Richtschnur nimmt. Seine Erfahrungen 
I stützt er auf grosses Material und lange Beobachtungs- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS ÄT 
URBANA-CHAMPAIGN 




140 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 15. 


zeit. Er verwendet kombinierte Neo-Salvarsan-Queck- 
silberkuren, deren Anzahl sich nach dem Ausfall der 
Wassermann sehen Reaktion bemisst. Nach dei 
ersten negativen W a s s e r m a n n sehen Reaktion er¬ 
hält jedes Kind noch zwei prophylaktische Kuren. 
Die Gesamtkur erstreckt sich so über I'/« bis 1 ’/. Jahre, 
die Einzelkur nimmt zirka 3 Monate in Anspruch. 

Zu einer Einzelkur verwendet E. Müller ent¬ 
weder 12 Calomel- und 8 Neo-Salvarsan-Injektionen oder 
8 Neosalvarsan-Injektionen zu einer 6 wöchentlichen 
Schmierkur. Bei Säuglingen vermeidet er wegen der 
Empfindlichkeit der Haut die Schmierkur und wendet 
diese erst vom 2. Lebensjahre ab an. Das Neosalvarsan, 
das von den Säuglingen sehr gut vertragen wird, gibt 
Müller in Dosen von 0,015 g, das Calomel von 
0,001 g pro Kilo Körpergewicht unter Abrundung der 
Gewichte beim Calomel nach unten, beim Neo-Salvarsan 
nach oben. 

Das Calomel wird in die Nates oder Oberschenkel¬ 
muskulatur gespritzt, das Neosalvarsan gibt er intravenös 
(u. zw. in die Schädel- und Fussgelenkvenen, in die V. 
jugularis oder in den Sinus longitudinalis), nur in 
Ausnahmefällen intramuskulär. Die Injektionen werden 
mit einer 0,5 ccm fassenden zehngeteilten Rekordspritze 
und einer 3, 4, 5 proz. Calomelaufschwemmuug in 
Olivenöl vorgenommen. Zwei Teilstriche (= 0,1 ccm) 
enthalten dann 3, 4, 5 usw. mg Calomel. Bei grösseren 
Kindern verwendet er mit Vorliebe die 40 proz. Z i e h- 
1 e r sehe Lösung mit der dazugehörigen Spritze. Die 
zur Einspritzung verwandte Flüssigkeitsmenge ist also 
sehr gering (bei kleinen Kindern 0,05—0,1 ccm, bei 
grösseren 0,2 —0,3 ccm). Müller schreibt das seltene 
Auftreten von Infiltrationen dieser Flüssigkeitsein- 
etigung zu. 

Bei der Schmierkur lässt Müller 1 g Salbe pro 
10 kg Körpergewicht 20 Minuten lang einreiben, geht 
aber nicht über 4 g. Nach der Einreibung wird das 
Kind noch 3 Stunden im gleichen Zimmer bei ge¬ 
schlossenen Fenstern und Türen gehalten. Eine Woche 
Schmierkur ist äquivalent 2 Calomelinjektionen. 

Im einzelnen würde sich die Behandlung mit der 
kombinierten Calomel-Neo-Salvarsatikur so vollziehen, 
dass in die 1., 4., 1 10., 13. und 14. Woche je 2 Ca¬ 
lomelinjektionen, in die dazwischen liegenden Wochen 
je eine Neo-Salvarsan-Injektion fallen. In Abständen 
von Vierteljahren folgen sich die zweite und dritte Kur. 

Die kombinierte Schmier-Neo-Salvarsankur wird in 
derselben Reihenfolge ausgeführt, nur dass an Stelle der 
Calomelinjektionen eine Schmierkur tritt. 

Was die Technik der Blutentnahme und der intra¬ 
venösen Injektion beim Säugling angeht, so hat Tobl er 
(Monatsschrift f. Kinderh. 1915, 8) eine neue Methode 
angegeben. Die bisherigen Verfahren zur Blutentnahme 
beim Säugling waren unzureichend, die zur intravenösen 
Injektion schwierig und gefährlich. Tobler kam nun 
auf den Gedanken, den Sinus sagittaüs zur Punktion 
wie zur Injektion zu benutzen. Seine Grösse, seine kon¬ 
stante Lage und die Festigkeit seiner Wand bieten Vor¬ 
teile, wie sie sonst von den zarten Venen des Säuglings 
für die genannten Operationen nicht gewährt werden. 
Die perkutane Sinuspunktion Toblers bietet weiterhin 
den Vorteil, dass ein Einschnitt zur Venenfreilegung 
umgangen wird, und dass mit einiger Geschicklichkeit 
ungewollte Läsionen zu vermeiden sind. Da der Sinus 
nach hinten dicker wird, sticht man am besten nach 
Tobler in der Mitte zwischen grosser und kleiner Fon¬ 
tanelle ein, oder, falls die Sagittalnaht schon zum Teil 
oder ganz geschlossen sein sollte, im hintersten Winkel 
der grossen Fontanelle. 

Die Punktion wird mit einer sterilen Glas- oder Re¬ 
kordspritze vorgenommen, deren Stempel leicht gleitet. 
Sie wird mit einer Platinkanüle von 0,05 mm Aussen- 

Digitized by Google 


stärke und 2 '/, cm Länge armiert. Nach Jodstrich und 
ev. Rasieren der betr. Stelle wird „streng median mit 
schräg nach hinten zielender Nadelspitze“ durch die 
Decken des Sinus (äussere Haut, Galea, supraperiostaler 
Spaltraum, Periost und Dura) gestochen. Die Kanüle 
muss gut spitz sein, damit man nicht durch zu grossen 
Kraftaufwand die gegenüberliegende Sinuswand durch¬ 
bohrt. Das Kind wird bei der Punktion sitzend mit 
fixiertem Kopf gehalten. Die rechte Hand des Arztes 
stützt sich am Schädel des Kindes und fixiert die 
Spritze, während die linke langsam den Stempel anzieht. 
Vor allen Injektionen ist durch Aspiration festzustellen, 
dass man sicli auch im Sinus befindet. Die Einstich¬ 
stelle wird mit Gaze und Leukoplast geschlossen. 

Wie schon vorher bemerkt wurde, hat auch E. Müller 
diese Toblersche Methode zu Salvarsaninjektionen neben 
anderen benutzt. 


Zur Behandlung des Gelenkrheumatismus 
mit Apyron. 

Von Dr. Felix B o c n h e i in , Berlin. 

ln den 80 er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde 
die Salizylsäure in die Therapie der Polyarthritis acuta 
eingeführt, und ihre prompte Wirkung lässt in ihr ein 
spezifisches Mittel sehen. Da die freie Säure aber eine 
Reihe unangenehmer Nebenwirkungen, besonders auf 
den Magen hat, so zieht man ihr das Natriumsalz vor, 
zumal in der Wirkung prinzipiell kein Unterschied ist, 
da auch die freie Salizylsäure im menschlichen Orga¬ 
nismus in das Natriumsalz übergeführt wird. Durch die 
Darreichung des Salizylsäuren Natriums werden zwar 
die vom Magen ausgehenden Nebenwirkungen der Sali¬ 
zylsäure gemildert, aber die übrigen Nebensymptome 
wie Ohrensausen usw. bleiben unverändert. 

Die chemische Industrie ist deshalb bemüht ge¬ 
wesen, Derivate der Salizylsäure herzustellen, die die 
Wirkung der letzteren aber ohne die Nebenwirkungen 
besitzen, und so entstanden: Salol, Aspirin, Salophen, 
Salipyrin, Salit u. a. 

Von diesen Präparaten hat in neuerer Zeit das 
Aspirin die grösste Bedeutung erlangt, d. h. eine Sali¬ 
zylsäure, in der das Wasserstoffatom der phenolartigen 
Hydroxylgruppe durch den Azetylrest CII 3 CO ersetzt 
ist. Da die Azetylsalizylsäure (Aspirin) aber nicht 
wasserlöslich ist, und einen säuern, für viele Patienten 
unangenehmen Geschmack und bei Hyperazidität des 
Magens schädlichen Einfluss hat, so ist man dazu über¬ 
gegangen, die Azetylsalizylsäure in neutrale, wasserlös¬ 
liche Salze überzuführen, deren neutrale Lösung die 
Azidität des Magens wenig oder gar nicht beeinflusst. 
Ein solches Salz liegt in dem „Apyron“, dem azetyl- 
salizylsaurem Lithium der Firma Johann A. Wülfing, 

Berlin SW 48 vor. Aus der Formel C 6 . CO 

ergibt sich ein Gehalt von 96,3 Proz. Azetylsalizylsäure 
und 3,7 Proz. Lithium, sodass das Apyron seinem Ge¬ 
halt nach fast der reinen Azetylsalizylsäure gleichkommt. 

Aus diesen Zahlen lässt sich a priori schliessen, dass 
die Wirkung des neuen Mittels sich nicht wesentlich von 
der Azetylsalizylsäure oder des Aspirins unterscheiden 
wird, denn der geringe Lithiumgehalt des Apyrons setzt 
den Azetylsalizylsäuregehalt desselben nur unwesentlich 
herab. Das Apyron stellt also ein Azetylsalizylsäure- 
Präparat dar, bei dem die bewährten Eigenschaften der 
Azetylsalizylsäure (Aspirin) mit den Vorzügen der 
Wasserlöslichkeit und neutralen Reaktion des Präparates 
verbunden sind. 

Bei meiner Prüfung des Apyrons habe ich die An¬ 
gaben von W. Jansen 1 ) über die Eigenschaften des 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr. 15. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


141 


Apyrons voll und ganz bestätigt gefunden. Auch nach 
meiner Prüfung erwies sich das Apyron frei von Salizyl¬ 
säure bezw. salizylsaurem Salz. 

Was nun den Hauptvorzug des Apyrons vor der 
Azetylsalizylsäure anlangt, so liegt derselbe in der voll¬ 
kommen klaren Wasserlöslichkeit des Präparates. Die 
Firma bringt deshalb auch für subkutane Injektionen das 
Apyron in Ampullenform in den Handel, und zwar löst 
sich der Inhalt einer Ampulle (1 g) in 2 ccm destilliertem 
Wasser. Dieser guten Löslichkeit des Apyrons ent¬ 
spricht auch seine schnelle Ausscheidung, die verglichen 
mit Natrium salicylicum bezw. Aspirin*) 11 bezw. 7 Stunden 
schneller vor sich zu gehen pflegt. Dementsprechend 
ist auch die Wirkung prompter. Was die Zeitdauer der 
Apyronausscheidung anlangt, so konnten wir noch nach 
24 Stunden das per os gegebene Mittel noch deutlich 
im Urin nachweisen. 

Mit der schnellen Resorption des Apyrons steht 
auch, wie gesagt, die prompte Wirkung im Zusammen¬ 
hang. Nach Apyron tritt bereits nach 15 Minuten nach 
der Darreichung starke Perspiration ein, während nach 
Aspirin die volle Schweissabsonderung erst nach 50 bis 
40 Minuten auftrat. Die Diaphorese nach Apyron ist 
bedeutend stärker, als nach Aspirin. 

Was die V erträglichkeit des Mittels 
angeht, so sei zunächst mitgeteilt, dass, wo eine Eiweiss¬ 
ausscheidung auftrat, diese auf hohes Fieber zurück¬ 
zuführen war, da das Albumen mit dem Sinken der 
Temperatur aus dem Urin verschwand. Subjektiv war 
die Bekömmlichkeit des M i t t e 1 s in allen 
Fällen ganz ausgezeichnet. Apyron wurde gern ge¬ 
nommen, auch von solchen Patienten, die Aspirin und 
andere Salizylpräparate nicht gut vertrugen. In keinem 
Falle konnten wir Nebenerscheinungen von seiten des 
Magens beobachten; auch hörten wir niemals Klagen 
über Ohrensausen oder Appetitmangel. Als besonders 
charakteristisch für die Bekömmlichkeit des Apyrons 
verweisen wir auf die Krankengeschichten No. 2 und 3. 

Fragen wir uns nun, wie das Mittel auf die Gelenk¬ 
affektion wirkt, und ob es Rezidive und Erkrankungen 
des Herzens verhindert, so können wir unsere Antwort 
dahin formulieren: — der objektive Erfolg übertrifft nach 
unseren Erfahrungen nur wenig den ähnlicher Präparate, 
insofern als es wohl etwas schneller zum Abklingen der 
Gelenkerscheinungen kommt, jedoch Rezidive oder Er¬ 
krankungen des Herzens nicht häufiger als sonst ver¬ 
mieden werden Dies ist, da das Apyron nichts weiter 
als eine wasserlöslich gemachte Azetylsalizylsäure ist, 
wohl auch nicht zu verlangen. 

Zur Illustrierung der klinischen Wirkungen des 
Apyrons sollen einige Krankengeschichten 
im Auszuge folgen: 

No. 1. E. K. 32 J a h r e a I t. Erkältete sich im 
Februar und leidet seitdem an Schmerzen in den Ge¬ 
lenken. Kam ins Lazarett am 9. Mai. Das linke Fuss- 
gelenk ist stark geschwollen. Das rechte Knie ist eben¬ 
falls geschwollen. Ausserdem Schmerzen im linken Ell¬ 
bogen, wo bei der Aufnahme kein Befund feststell¬ 
bar war. 

Am Herzen wurde der erste Ton an der Spitze als 
unrein festgestellt. Temperatur 39,1 Grad. 

Diagnose: Polyarthritis acuta. 

Therapie: Packungen, Schwitz¬ 
bäder, Aspirin 4 mal 1,0 g pro die. 

Am 18. Mai war die Temperatur normal. Gelenke 
abgeschw'olien. Schmerzen angeblich noch sehr stark. 
Am 19. steigt die Abendtemperatur wieder auf 37,3 Grad. 
So bleibt das Verhalten unter Aspirin-Medikation un¬ 
verändert bis zum 26 , wo das Aspirin durch Apyron 


’) W. Jansen: Therapie der Gegenwärt 1914, Heft 2, Seite 58. 
s ) Vergl. Pinczower, Therapeutische Monatshefte 1910. 

Digitized by Google 


ersetzt wird. Jetzt lassen die Schmerzen schnell nach, 
sodass Patient am 1. Juni aufstehen kann. Am 5. Juni 
klagt Patient wieder über Schmerzen, sodass E. K , der 
einige Tage ohne Medikamente auskam, wieder Apyron 
bekommt. Am 7. Juni ist eine geringe Schwellung des 
rechten Grundgelenkes des kleinen Fingers nachweisbar. 
Einige Tage später ist auch das rechte Handgelenk 
wieder geschwollen. Am 15. Juni kommt es zu einer 
kleinen Temperatursteigerung, aber bereits am 17. ist 
objektiv kein krankhafter Befund mehr zu erheben. 
Patient gibt auch keine Beschwerden mehr an. Töne 
am Herzen rein, aber dumpf. 

DasAspirin, das Patient zwar gut 
ertrug, hatte nach den akuten Er¬ 
scheinungen keinen Erfolg mehr, 
besonders auch nicht als schmerz¬ 
stillend. Hier griff das Apyron mit 
gutem Erfolg ein. Es verhinderte zwar nicht 
die Rezidive, jedoch beeinflusste es sie günstig. 

N o. 2. R. S., 31 Jahre alt. Hatte 1910 einen 
Gelenkrheumatismus. Ende April 1915 erkrankte er mit 
Schmerzen in den Gelenken. Im Lazarett wurde auch 
eine Affektion des Herzens festgestellt. Er bekam 
Aspirin und Digalen. Am 5. Juni wurde er zu mir ver¬ 
legt. Neben zahlreichen neurasthenischen Erscheinungen 
war Schwellung ohne Rötung am linken Handgelenk, 
Knie und Fussgelenk feststellbar. Am Herzen leise 
Töne, sonst ohne Befund. 

Diagnose: Polyarthritis. 

Therapie: Apyron. 

Am 9. Juni gibt Patient spontan an, dass er das 
Apyron besser vertrage, als das Aspirin. Am 13. war 
an keinem Gelenke mehr eine Schwellung vorhanden. 
Allerdings klagte Patient noch über Schmerzen in der 
rechten Schulter. 

Das Bemerkenswerte an diesem Fall ist, dass Patient, 
der ein starker Neurastheniker ist, von selbst angibt, 
ihm bekomme Apyron besser als Aspirin. Ausser¬ 
dem fällt die prompte Wirkung des 
Apyrons ins Auge, denn bereits nach 
8 Tagen war Patient ohne klinische 
Erscheinungen, während er mit As¬ 
pirin ohne Erfolg über einen Monat 
behandelt worden war. 

Noch ein Beispiel möge die bessere Verträglichkeit 
des Apyrons illustrieren. 

No. 3. A. H., 28 Jahre alt. Leidet seit 
seinem 12. Jahre an jährlich rezidivierendem Gelenk- 
■ rheumatismus. Am Herzen bei seiner Einlieferung am 
23. März typischer Befund einer Mitralstenose. Schwellung 
und Rötung am linken Fuss-, rechtem Knie- und an den 
Fingergelenken beiderseits. Temperatur 38,2 Grad. 

Diagnose: Gelenkrheumatismus 

und Mitralstenose. 

Therapie: Aspirin und Bäder. 

Die Temperatur sank schnell. Im übrigen änderte 
sich der Befund nur wenig. Am 25. März wurde der 
Patient zu mir verlegt. Hier bekommt der- Patient die¬ 
selben Dosen Apyron (3 mal 1 g pro die). Auch mit 
Apyron wurde keine wesentliche Besserung erzielt. Wohl 
aber wurde das Mittel lieber genommen und besser ver¬ 
tragen, da Patient nach Aspirin öfters Ohrensauen und 
Brechreiz gehabt hatte; nie aber nach Apyron. 

Die Krankenblätter, aus denen eine prompte Wirkung 
des Apyrons analog solchen Fällen, die mit Aspirin oder 
ähnlichen Mitteln behandelt wurden, hervorgeht, will ich 
hier übergehen und mich mit der kurzen Mitteilung be¬ 
gnügen, dass sowohl leichte, als auch schwere Fälle be¬ 
handelt wurden. Dagegen möchte ich noch eine Kranken¬ 
geschichte hier anführen, wo sich unter unseren Augen 
ein schwerer Herzfehler entwickelte. 

No. 4. F. S., 27 Jahre alt. Hatte vor 8 Jahren 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




142 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 15. 


einen Gelenkrheumatismus, mit dem er 16 Wochen zu 
Bett lag. A m 24. M a i meldete er sich wegen Schwellung 
und wegen Schmerzen beider Fuss- und Kniegelenke 
krank. 

Aufnahmebefund: Kräftiger, gut ernährter, grosser 
Mann. Über der Lunge Giemen. Herz o. B. Fuss- 
und Kniegelenke stark geschwollen und gerötet. 

Diagnose: Gelenkrheumatismus. Bronchitis. Therapie: 
Schwitzen. 4x1,0 Apyron. 

28. Mai: Die Rötung ist geschwunden. Schwellung 
zwar zurückgegangen, aber noch immer erheblich. Die 
Schmerzhaftigkeit ist bedeutend gebessert. Kleine Be- 
wegungen, die bei der Einlieferung unmöglich waren, 
können ausgeführt werden. I. Ton an der Spitze unrein. 

3. Juni: Die Beweglichkeit in den Gelenken ist 
eine gute. Die Schwellung der Fuss- und Kniegelenke 
ist verschwunden; dagegen ist das rechte Schultergelenk 
geschwollen. Die Temperatur ist langsam gefallen. 

8. J u n i: Starke Kreuzschmerzen. Temperatur 38, 3. 

9. Juni: In der Nacht bekam Pat. starkes Schütteln. 
Er fühlt sich sehr elend und sieht verfallen aus. 

Herz: Rechte Grenze: linker Rand des Brustbeins; 
linke Grenze: ein Querfinger breit ausserhalb der Brust¬ 
warzenlinie: obere Grenze: 4. Rippe. Im 6. Intercostal- 
raum fühlt man ein deutliches Schwirren. Hier hört 
man in der Mammillarlinie ein langgezogenes systolisches 
Geräusch. 

Puls: beschleunigt, stark gespannt, massig gefüllt. 

11. Juni; Temperatur gestiegen auf 39,5°. F'uss- 
und Kniegelenke sind stark geschwollen. 

13. Juni: An Stelle der Apyron-Tabletten bekommt 
Pat. 3 mal täglich 1 Ampulle subkutan. An den Ge¬ 
lenken keine Veränderung. Herzbefund wie am 9. 

17. Juni; Fuss- und Kniegelenke sind wieder frei. 
Dagegen ist das rechte Handgelenk geschwollen. Das 
systolische Geräusch ist leiser geworden.I 

19. Juni: Plötzlicher neuer Temperatur-Anstieg 
auf 40,2. Das rechte Handgelenk und die Fingergelenke 
sind stark geschwollen. Pat. klagt über die Apyron- 
spritzen, die er durch Tabletten zu ersetzen bittet. Die 
Injektionsstellen sind gerötet und ein wenig geschwollen. 

28. J u n i: Sämtliche Gelenke sind frei von Schwellung 
und Rötung. Herzbefund unverändert. 

Meine Erfahrungen mit Apyron möchte ich dahin 
zusammenfassen, dass wir in demselben ein Mittel be¬ 
sitzen, das vor Azetylsalizylsäure (Aspirin) den Vorzug 
der Wasserlöslichkeit und des neutralen Geschmackes 
besitzt, dabei auch in allen Fällen angewandt werden 
kann, wo Azetylsalizylsäure indiziert ist. Über meine 
Erfahrungen mit Apyron zu subkutanen Injektionen kann 
ich noch nicht berichten mit Ausnahme von einem Falle, 
wo die Injektion vor der Darreichung per os keine Vor¬ 
teile bot, ausserdem der Patient infolge von Herzschwäche 
das Mittel wie Salizylpräparate überhaupt nicht gut er¬ 
tragen konnte. Im allgemeinen konnte 
Apyron nach meinen Erfahrungen selbst 
da noch mit Erfolg weiter verabreicht 
werden,-wo Azetylsalizylsäure (Aspirin) 
wegen unangenehmer Nebenwirkungen 
vorzeitig ausgesetzt werden musste. Nur 
möchte ich noch erw’ähnen, dass ich bei gewissen neur¬ 
algischen Fällen z. B. bei Ischias, eine prompte Wirkung 
nicht beobachtet habe. 


Digitized by Google 


Fortschritte auf dem Gebiet der Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische Übersicht von l)r. B 1 ü m e 1, Halle a. S., Spe/.ialarzt für 
Hals- und Lungenkrankheiten. 

1. Tuberkulose. 

Verhütung und Bekämpfung der 
T u b e r k u 1 o s e. 

Diegrösste Arbeit dieser Art fällt 
den Fürsorgestellen zu. Denn von unseren 
zirka 700000 Tuberkulösen können im Jahre nur un¬ 
gefähr 61000 Erwachsene in Heilanstalten behandelt 
werden. Also mehr wie "/ Jt der Kranken 
bleiben an ihrem Wohnort und bieiben, da sie meist 
ärmeren Bevölkerungsschichten angehören, zum grössten 
Teil den Fürsorgestellen überlassen. Wir haben jetzt 
in Deutschland 1416 solche Stellen. Der Ilauptwert ist 
auf Untersuchung der Familienangehörigen zu legen, 
denn die Tuberkulose überträgt sich am häufigsten aut 
die, die mit Schwindsüchtigen zusammen wohnen und 
schlafen. Loeffler(l) empfiehlt Tuberkulin- 
Dispensarien nach W i 1 k i n s o n. Ich kann 
mich dieser allgemeinen Empfehlung nicht anschliessen. 
Bisher war die Arbeit der Fürsorgestellen in Deutsch¬ 
land mehr beschränkt auf den Schutz der Ge¬ 
sunden vor den Kranken und auf 
Stellung der Frühdiagnose. Das muss 
auch so bleiben, wenn die Fürsorgestellen Wert darauf 
legen, durch die Ärzte gefördert zu werden. Eine Kon¬ 
kurrenz dürfen sie nicht sein, Behandlung ist 
also nicht ihre Sache. Natürlich gibt es 
Ausnahmen, z. B. auf dem Lande. Hier ist gewöhnlich 
nur ein Arzt ansässig, der sich also selber Konkurrenz 
macht. Er kann, wenn er will, die Tuberkulinbehandlung 
an Besuchern der Fürsorgestellen unentgeltlich ausführen 
und zwar mit sehr gutem Erfolg, wie mich der Bericht 
der Fürsorgestelie Bockwitz im Kreise Lieben, 
werda (1800 Einwohner, Leiter: Dr. Kühne) lehrte- 
In Halle werden in der Fürsorgestelle mit Tuber¬ 
kulin diejenigen Personen n a c h behandelt, die auf 
öffentliche Kosten in Anstalten gewesen 
sind. — In Österreich sind vor allem durch die Be¬ 
mühungen von S u e s s für die Bahnangestellten Für¬ 
sorgestellen mit ambulanter Tuberkulinbehandlung ein¬ 
gerichtet worden. 

Von dem steigenden Wert der Fürsorgestellen er¬ 
zählen ihre Berichte. So hatte Stettin (2) im letzten 
Jahre 1540 Erstuntersuchte, davon waren 36 Proz. von 
Ärzten gemeldet. Pischinger (3) be¬ 
richtet aus Aschaffen bürg ebenfalls über 
steigende Zahlen. Sehr klar unterrichtet uns Liebe 
(4) in seinem kleinen Schriftchen: „Die Schwindsucht 
und ihre Bekämpfung“ über den Gegenstand. 

Über den Wert der Tuberkulosebe¬ 
kämpfung im Säuglingsalter hören wir 
von Effler-Danzig (5), dass von 58 Säuglingen 
in Familien mit offener Tuberkulose 33 schon im Säug¬ 
lingsalter infiziert waren. Es zeigte sich, dass die Kinder, 
deren Familien schon eine Belehrung über Verhütung 
der Ansteckung und Isolierung in der Wohnung erfahren 
hatten, ehe die Kinder zur Welt kamen, am wenigsten 
durch Schwer-Infektionen gefährdet waren. Weniger 
gut waren die Verhältnisse dort, wo erst nach der 
Geburt, am schlechtesten dort, wo überhaupt die Ver- 
hütungsmassregeln nicht bekannt waren. Die Isolierung 
des Kranken oder des Neugeborenen in oder ausser 
dem Hause ist dringend zu fordern, denn die Tuber¬ 
kulosebekämpfung im Säuglingsalter 
ist von entscheidendem Wert für die 
gesamte Tuberkulosebekämpfung. 
(Ref. kann dem nur beipflichten, und hält deshalb 
Säuglingsheime, die die Kinder sofort nach 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Sr. 15. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


143 


der Geburt aus der Familie herausnehmen, für ein 
dringendes Erfordernis. Für ein- und zweijährige Kinder 
ist ja die Ansteckung am gefährlichsten. Altere Kinder 
kann man tagsüber in Bewahranstalten g-ben, nachts¬ 
über in Schlafhäuser.) Nicht so zweckmässig ist es, 
die Kinder erst in späteren Jahren aus der Familie 
herauszunehmen, wie es der sächsische Volks- 
heilstättenverein in der Kinderkolonie 
Adelsberg tut. Er nimmt Kinder über sechs Jahre, 
die krank oder gefährdet sind, solange auf, bis sie ent¬ 
sprechend gekräftigt sind, oder die häuslichen Verhält¬ 
nisse sich gebessert haben. Die Kinder werden in 
Gartenbau, Landwirtschaft und im Hause beschäftigt. 

I C k e r t (6). Ich würde auch empfehlen in F'orm des 
Oeuvre Grancher die Kinder aufs Land in gesunde 
Familien zu geben, wie es die Breslauer Fürsorge¬ 
stelle tut, diese Einrichtung hat den Vorzug der Ein¬ 
fachheit und Billigkeit. 

Sehr bemerkenswerte Feststellungen macht Dörner 
(7) in einer Arbeit, die vergleichende Untersuchungen 
über Tuberkuloseverbreitungin 2 ver¬ 
schiedenen Bezirken Badens bringt. Es 
handelt sicli um je 10 Orte, in denen die Verhältnisse 
vor 1880 und nachher, also vor und nach Einführung 
vermehrter Industrie, verglichen werden. Im Kehler 
Kreis ist die Bevölkerung während der Zeit grössten¬ 
teils bei landwirtschaftlicher Arbeit geblieben, während 
im Schwetzinger Kreis die landwirtschaftliche 
Beschäftigung vor der industriellen stark zurücktrat. 
Hier nahm auch die Wohnungsdichtigkeit stärker zu 
und die Ernährung änderte sich insofern, als die land¬ 
wirtschaftlichen Produkte nicht wie im andern Kreis 
ineist am Orte blieben, sondern in die grossen Städte 
abwanderten. 

Während nun in P r e u s s e n der Gipfel der 
Iuberkulose-Sterblichkeit für beide Geschlechter im er¬ 
werbsfähigen Alter liegt, und bei den Männern die 
Sterblichkeit in dieser Zeit durchweg höher ist als bei 
den Frauen, sind die Verhältnisse für Baden andere. 
Die Werte sind für das weibliche Geschlecht im erwerbs¬ 
fähigen Alter durchweg höher als für das männliche, der 
Gipfel der Sterblichkeit fällt allerdings auch in dies Alter 
und die Abnahme ist in diesen Jahren beim männlichen 
Geschlecht stärker als beim weiblichen. 

Für das Wachsen der Tuberkulose¬ 
sterblichkeit ist vor allem die Um- 
gestaltungder wirtschaftlichen Ver¬ 
hältnisse mit ihren Folgen verant¬ 
wortlich. Sie haben hier eine Übersterblichkeit 
der Frau bewirkt, die sich besonders im erwerbsfähigen 
Alter zwischen 20 und 30 Jahren zeigt und in dem 
Schwetzinger Bezirk 3 mal so gross ist wie in 
dem mehr landwirtschaftlich tätigen Kehler. 

In einer wirkungsvollen Prophylaxe 
liegt auch nach Dörner der Schwerpunkt der Tuber¬ 
kulosebekämpfung. Die Heilstätten können aber 
nach dieser Richtung hin nicht wirken, denn sie 
nehmen ja gerade die Kranken nicht auf, die eine ernste 
Gefahr für ihre Umgebung bilden, die Schwerkranken. 
Dann können sie — und das habe ich selbst immer 
wieder betont — nur einem geringen Teil der Tuber¬ 
kulösen die Möglichkeit einer wirklichen Heilung geben. 
Lud selbst bei diesen ist der Erfolg zweifelhaft, da sie 
wieder in die ungesunden Verhältnisse, in denen sie 
krank geworden sind, zurückkehren (s. auch 8). 

Da die Frau sich auch an der Industriearbeit be¬ 
teiligt, ist ihre Übersterblichkeit vor allem auf über¬ 
mässige Inanspruchnahme ihrer Kräfte 
zurückzuführen. F'ür Besorgung der Hauswirtschaft, 
Kinderpflege, Betreiben von etwas Landwirtschaft und 
Mitarbeit in der Industrie reichen eben ihre Kräfte nicht. 
Im Vordergründe der Industrie steht in dem fraglichen 

Digitized by Google 


Kreise die Zigarrenmacherei, in der die 
Hälfte aller Arbeiter unter 20 Jahren alt und 61,6 Proz. 
dieser Jugendlichen Frauen sind. Die Betätigung in 
dieser Arbeit führt zu einem vorzeitigen Siechtum, erstens 
weil diese Arbeit besonders schädlich ist, dann weil bei 
keiner anderen Industriearbeit Muskelkräfte so wenig 
beansprucht werden, endlich, weil die Arbeit in gebückter 
Haltung, abgeschlossen von der Luft geleistet wird. 
Ausserdem werden krüppelige und kranke Personen in 
dieser Arbeit am meisten beschäftigt. 

Weil also ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse, 
die die Widerstandsfähigkeit des Körpers untergraben, 
die Tuberkulosesterblichkeit steigern, liegt die Bekämpfung 
der Tuberkulose als Volkskrankheit vor allem auf wirt¬ 
schaftlichem Gebiet. 

Der ungünstige Einfluss der tuberkulösen Mutter 
auf das Kind ist am grössten im 1. und 2. Lebensjahr, 
und demgemäss ist die Sterblichkeit hier sehr hoch. 
Mit zunehmendem Alter lässt aber dieser ungünstige Ein¬ 
fluss immer mehr nach und die Tuberkulose scheint beim 
Erwachsenen da am häufigsten aufzutreten, wo die In¬ 
fektionsgefahr in der Jugend am geringsten war. Früh¬ 
zeitige Infektion, wenn sie der Körper erträgt, schafft 
eben eine gewisse Immunität gegen spätere Infektionen. 
Diese kann aber nicht mehr ausreichen, wenn der Körper 
in seiner Widerstandsfähigkeit durch Krankheiten, Auf¬ 
enthalt in schlechten Wohnungen, Arbeitsüberhäufung, 
Unterernährung geschädigt wird. Dann ist anzunehmen, 
dass nicht nur die schon im Körper haftenden Tuberkel¬ 
bazillen Gelegenheit zur Vermehrung und pathogenen 
Wirksamkeit haben, sondern der Körper auch den von 
aussen ihn treffenden Masseninfektionen, die von Schwer¬ 
tuberkulösen ausgehen, erliegt. 

Deshalb ist eine Förderung der gesundheitlichen 
Entwicklung des Körpers und eine Isolierung der 
Schwertuberkulösen erforderlich, ebenso wie eine Sa¬ 
nierung der Wohnungs Verhältnisse 
auf dem Lande (vor allem Kampf gegen die Un¬ 
sauberkeit). 

Dörner führt die Arbeit von D i e t z (9) für 
die L.-V.-A. Hessen an, der die Sanierung eines Be¬ 
zirkes versuchte durch Wohnungs-Fürsorge, Bekämpfung 
des Alkoholismus, durch Gewährung von Bädern, Milch¬ 
frühstück an die Schuljugend, durch Zahnpflege usw. 

Wichtig ist die Beschaffung von Bauplätzen, billige 
Hergabe von Grund und Boden durch die Gemeinden. 
Das ist auch, wie ich zu meiner Freude feststellen kann, 
schon von den Behörden aufgefasst worden. Denn 
Halle hat z. B. soeben Bestimmungen erlassen, die 
auf eine Förderung des Kleinwohnungsbaus 
abzielen. Die Stadt gewährt an gemeinnützige Bau¬ 
vereinigungen oder private Unternehmer, die Klein- 
wohnungsbauteu errichten und deren dauernde Benutzung 
zu diesem Zweck sicher stellen, billigen Grund und 
Boden, soweit städtisches Gelände in Betracht kommt, 
sogar zum Selbstkostenpreise. Dann unterstützt sie die 
Bauenden bei Beschaffung der Grunderwerbs- und Bau¬ 
kapitalien und zwar durch Bürgschaftsübernahme für 
Kapitalien bis zu 80 Proz. der entstandenen Grund¬ 
erwerbs- und Baukosten, Gewährung von ersten und 
zweiten Hypotheken, Übernahme von Geschäftsanteilen 
gemeinnütziger Baugenossenschaften und durch Be¬ 
günstigungen bezügl. der Strassenausbau- und Kanali¬ 
sierungskosten. 

Solche Massnahmen sind auch andernorts durchzu¬ 
führen und im Kampfe gegen die Tuberkulose sehr zu 
empfehlen. Doch nun zurück zu Dörner! Nach 
ihm entspricht die hohe Kindersterblichkeit auch hoher 
Tuberkulosesterblichkeit, infolge der durch die Infektion 
häutiger akut verlaufenden Tuberkulosefälle, wie infolge 
der schlechten überfüllten Wohnungen und der Unsauber¬ 
keit, die der Entwicklung der Tuberkulose gleich günstig 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A‘ 
URBANA-CHAMPAIGN 






144 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 15. 


sind. Ferner ist es für die Kindergesundheit von grossem 
Nachteil, wenn die P'rau durch Teilnahme an der Industrie 
von der Fliege und Aufzucht der Kinder ferngehalten 
wird. 

Der starke Rückgang der Tuberkulosesterblichkeit 
im höheren Alter und die Zunahme der Krebsfalle ist 
wohl darauf zurückzuführen, dass Krebsfälle früher 
weniger erkannt und als „Auszehrung“ der Tuberkulose 
zugezählt wurden. Deshalb ist die Abnahme der Tuber¬ 
kulosesterblichkeit mehr nach der Sterblichkeit im er¬ 
werbsfähigen Alter zu beurteilen. 

Aus dieser kurzen Besprechung der Dö r n e r sehen 
Arbeit geht hervor, wie reich sie an Anregungen ist. 
Es kann deshalb nur empfohlen werden, sie möglichst im 
Original nachzulesen. Vollmer-Köln (8) macht 
auf die jetzt viel erörterte Tatsache aufmerksam, dass 
die T u berkulosesterblichkeit im sch ul¬ 
pflichtigen Alter seither eher steigt 
als fällt. Man sollte deshalb mehr Wert auf ihre 
Bekämpfung legen: 1. durch Unterweisung von Lehrern 
und Eltern über Gefahr und Eigentümlichkeit der Tuber¬ 
kulose; 2. durch Fernhalten gefährdeter (nicht gefähr¬ 
dender? Ref.) Lehrer und Kinder von der Schule; 
3. durch Sorge für gesundheitlich freie Abwicklung des 
Unterrichtsbetriebes, um die körperliche Widerstands¬ 
fähigkeit von Kind und Lehrer zu kräftigen. Diese 
Forderungen sind natürlich vor allem durch Schulärzte 
im Hauptamt zu fördern. 

So wertvoll diese Anregungen sind, muss ich doch 
dagegen betonen, dass die Herausnahme des 
Gesunden oderKranken aus der Fa¬ 
milie schon vor der Schulzeit noch 
wichtiger ist. (s. o.) 

Der Ansicht ist auch K n o 1 1 (9). In 30 Proz. der 
in die Heilstätte A e g e r i eingewiesenen Züricher 
Kinder konnte er eine Infektionsgelegenheit zu Hause 
nachweisen. • Er fordert deshalb eine Entfernung der 
Ansteckungsquelle aus dem Lebenskreis des Kindes, be¬ 
vor es aus der Anstalt zurückkehrt. Allerdings macht 
die Infektionsgelegenheit allein nach K n o 1 1 noch 
keine manifeste Tuberkulose. Viel zur Erwerbung der 
Tuberkulose tragen die ökonomischen Verhältnisse mit 
ihren auf die Widerstandsfähigkeit wirkenden Umständen, 
die Zahl der Geschwister, das Alter und die Lebens¬ 
haltung der Eltern bei. Ungünstig ist, wenn die Mutter 
älter, oder der Altersunterschied zwischen den Ehegatten 
sehr gross ist oder beide Eltern bei der Geburt des 
Kindes älter sind. 

Von den Wohnungen, aus denen die Kinder kamen, 
waren 72 Proz. zu beanstanden, und nur 4,0 Proz der 
Kinder waren ausreichend gestillt worden. Der Grund 
hierfür lag zum grossen Teil an der Beschäftigung der 
Mutter ausserhalb des Hauses. (Frauenarbeit 
siehe oben.) 

Die Trennung der Kranken von den Gesunden 
wird immer mehr durchzuführen gesucht. So haben 
Charlottenburg, Köln und Stettin be¬ 
sondere Tuberkulosekrankenhäuser 
gebaut und Berlin ist ihnen mit der neueröffneten 
F riedrichstadt-Klinik unter der Leitung 
von Artur Mayer nachgefolgt. M. (10) macht 
besonders darauf aufmerksam, dass jetzt tj 184 der 
Reichsversicherungs-Ordnung vor¬ 
sieht, dass Kassenmitglieder — auch 
ohne ihre Zustimmung — bei offner 
Lungentuberkulose möglichst in ein 
Krankenhaus überwiesen werden 
sollen. Diese Bestimmung, nach der viel mehr ge¬ 
handelt werden sollte, ist für die Angehörigen von 
ausserordentlich grossem Wert, und wenn dem Tuber¬ 
kulösen Räume, wie sie Berlin, Charlotten¬ 
burg und andere Städte gebaut haben, zur Verfügung 

Digitized by Google 


stehen, wird er sie auch aufsuchen. Er darf sich nur 
nicht selbst als lästiger, kaum besserbarer Kranker be¬ 
trachtet, sehen. 

Schmittmann-Düsseldorf(ll) berichtet über 
die günstigen Erfahrungen, die die Landesversicherungs- 
Anstalt Rheinland damit gemacht hat, dass sie 
schwerkranke Tuberkulöse in besondere Ab¬ 
teilungen kleiner Krankenhäuser und in 
besondere Krankenhäuser grosser 
Städte aufnahm. So wurden im Jahre 1907: zu¬ 
sammen 162, im Jahre 1912: zusammen 521 Per¬ 
sonen dort verpflegt. Die Kosten betrugen im 
Durchschnitt 2 Mk. den Tag. Die Invalidenrente 
wurde mit zur Deckung verwendet. Dagegen wurde 
— und das möchte Referent als besonders wertvoll 
und zweckmässig betonen — den Angehörigen eine 
laufende Unterstützung gezahlt, damit die 
Kranken auch eingeliefert wurden. Um ihnen den Auf¬ 
enthalt angenehm zu machen und sie festzuhalten, ist 
gute ärztliche Behandlung und liebevolle Pflege nötig. 
Leichte Arbeit, eine gewisse Zerstreuung, Liegekur, 
etwas Bewegungsfreiheit müssen den Kranken gewährt 
werden. Beim Bau solcher Heime ist darauf zu sehen, 
dass sie nicht zu teuer werden, damit auch Ortsverwal¬ 
tungen und Armen verbände die Häuser benutzen. 

Vielleicht wäre ein Zwang zur Unter¬ 
bringung bei denen anszuüben, die ihre Familiesehr 
gefährden. Auch Fürst (12) beschäftigt sich mit der 
Verteilung der offenen und geschlossenen Tuberkulose 
in München. Für den geringen Rückgang der Tuber¬ 
kulosesterblichkeit im Kindes- und schulpflichtigen Alter 
macht er mit Kaup unsere soziale Gesetzgebung ver¬ 
antwortlich. Denn die Invalidenrentner verlieren beim 
Aufsuchen eines Krankenhauses gewöhnlich ihre Rente. 
Um diese der F'amilie zu erhalten, bleiben sie zu Hause 
und übernehmen Wirtschaft und Kinderpflege. Sie 
sorgen also für immer neue Ansteckungen. In Berlin 
starben nach Fürst 52 Proz. aller an Tuberkulose 
Gestorbenen in Krankenhäusern, in München 
nur 30 Pro z. und wie ich hinzufügen möchte in 
Halle noch weniger, zirka 25 Proz. Da die Heil¬ 
stätten diesen Kampf nicht besonders unterstützen und 
fördern können, empfiehlt Fürst: 1. Schaffen von ge¬ 
eigneten Isolieranstalten, am besten von kleinen Pflege¬ 
heimen für die Endstadien der Tuberkulose. 2. Gründung 
von Wohnhäusern für Tuberkulöse in besonderen Stadt¬ 
bezirken nach den Beispielen von Stockholm und 
K ö 1 n. 3. Heranziehung von Hauspflegerinnen bei Er¬ 
krankung der Frau in der Familie. 4. Anmeldung der 
aus städtischer Krankenhauspflege in die Familie zurück¬ 
kehrenden Kranken mit offener Tuberkulose (an die 
Fürsorgestelle zur weiteren Überwachung). — Ich kann 
mich der Empfehlung von Tuberkulose - Wohnhäusern 
nicht in dem Masse anschliessen, weil das Herausbringen 
der Ansteckungsquelle aus der Familie d imit nicht er¬ 
reichtwird. Die übrigen Vorschläge Fürst’s sind sehr 
zu empfehlen. Wichtig ist, dass den Familien der In¬ 
validenrentner ein Teil der Rente in Form von An¬ 
gehörigenunterstützung belassen bleibt. 

Einen gleichfalls sehr zweckmässigen Vorschlag 
macht Neubert (13). Er wünscht die Einrich 
tung von Arbeitsplätzen für tuberkulöse In¬ 
validen gegen Stundenlohn, vielleicht auch gegen Zu¬ 
schüsse, die sich nach der Grösse der Familie richten 
Möglich wäre es auch, dass man noch für ein geringes 
Geld Mittagessen lieferte, um so den Invaliden den ganzen 
Tag über ausserhalb des Hauses an seiner Beschäftigungs¬ 
stelle festzuhalten. Als geeignete Arbeiten kämen im 
Sommer Gartenarbeiten, im Winter Papierarbeiten. 
Kisten-Nageln, Korb- und Rohrflechten in Betracht. 
Neubert schlägt solche Beschäftigungen vor, deren 
Erzeugnisse sich vor dem Vertrieb keimfrei machen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Vr. 15. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 145 


lassen. Selbstverständlich können sich solche Einrich- meisten Fällen liegen Jahre zwischen der Gewährung der 
tungen nicht selbst erhalten, sondern bedürfen der Zu- Invalidenrente und dem Ableben, und der Wunsch sich 
schüsse von Gemeinden. (Ich würde als Beschäftigung zu beschäftigen, wird von hustenden Kranken, die 
noch Buchbinder. Schreibstubenarbeit u. a. empfehlen.) schwere körperliche Arbeit nicht mehr verrichten können, 
Ich halte den Gedanken für sehr gesund. Wir in der Fürsorgestelle täglich gehört. Auch für die Ge- 
vermindern so tagsüber die Ansteckungsgefahr für die sunden wäre solch Arbeitsplatz nach der Richtung hin 
Familie, ohne neue Ausgaben. Denn was wir jetzt an nützlich, dass Heimarbeit oder Beschäftigung im Nahrungs- 
Armenunterstützungen geben, würden wir so für geleistete mittelgewerbe von den Tuberkulösen nicht in dein bis- 
Arbeit zahlen. Das wäre in sittlicher und menschlicher herigen Umfange getrieben würde. 

Beziehung ein entschiedener Fortschritt. Denn in den ' Foitsetzung folgt. 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Die stärksten Nerven. 

Eine Plauderei von Dr. med. Ratner, Wiesbaden. 

Irgend jemand tat den Ausspruch, dass im gegen¬ 
wärtige Weltkriege nur, wer die stärksten 
.Verven hat, siegen werde. Nach 70/71 hiess es: 
„Der tüchtigste Volksschullehrer hat gesiegt“. Jetzt 
aber soll es von den starken Nerven abhängen. Die 
Neurologen und Seelenärzte, welche ihre eigenen Nerven 
im Dienste um die Erhaltung der ihrer Mitmenschen 
ruinieren, dürfen sich darauf etwas zugute tun. Von 
ihnen und ihrer Tüchtigkeit also hängt der Endsieg im 
Völkerringen ab ... ! Sonst pflegen sich die Nerven¬ 
ärzte keiner besonderen Gunst zu erfreuen, man 
begegnet ihnen eher mit Misstrauen, man verkennt ihre 
besten Absichten. Ja.was sind denn eigent¬ 

lich „starke“ Nerven? Bekanntlich sollen ja die Wilden 
die „stärksten“ Nerven besitzen . . . , denn sie sind von 
der Kultur, welcher die Schuld an unserem „nervösen 
Zeitalter“ zugeschrieben wird, nicht beleckt, sind nicht 
„von des Gedankens Blässe angekränkelt . . . Und 
dennoch haben sie sich in diesem Krieg bewährt? Mit 
nichten! Sie unterlagen auch sonst im Kample mit der 
„zivilisierten“ Rasse. Was ist es also, das den Aus¬ 
schlag gibt? Wie muss es mit den „starken“ Nerven 
beschaffen sein ? Es ist ja einerseits wahr, dass die 
grossen Ansprüche, welche die Kultur an das Nerven¬ 
system stellt, das ewige Hasten und Jagen, das stete 
Bestreben dem Konkurrenten um eine Nasenlänge voraus 
zu sein, dasselbe aufreiben, „abnützen“. Allein anderer¬ 
seits sind es aber gerade die Segnungen der 


Kultur, welche das Nervensystem konservieren, erhalten. 
Vor aliem sind es die grossen Errungenschaften der 
Technik, wel che Menschen kraft ersparen 
— und mithin übergrosse Anstrengung vermeiden lassen. 
Sodann ist es die fortgeschrittene Heilkunde, die moderne 
Hygiene und Prophylaxe, welche die Nerven schonen, 
evtl, die verloren gegangene Elastizität derselben 
wiederherstellen lehren. Die Schul- 
h y g i e ne vollends lehrt, durch fach - und 
sachgemässe Erziehung, durch a 1 1 s e i t i g e 
Ausbildung die Erwerbung einer harmonischen 
Geistes- und Gemütsverfassung. Und darauf kommt es 
hauptsächlich an. Was die alten Römer zu den Kar¬ 
dinaltugenden neben der Tapferkeit und der 
virtus zählten, nämlich die moderitas, d. h. die M ässi gu n g 
oder wie Horaz sich so schön in der bekannten Ode 
ausdrückt: „aequam, inemento, rebus in arduis servare 
mentem oder Kaltblütigkeit, — das hat eine vernünftige 
moderne Erziehung im Auge. Das wilde Drauflosgehen, 
der Chauvinismus, der wütige Hass — ist kein 
Patriotismus. Man kann, wie Zeus, dem 
Gegner grollen, zürnen, aber trotzdem die 
Vernunft nicht verlieren. Blinde Wut ist ein Zeichen 
der Ohnmacht. 

E)arin also besteht die Stärke der Nerven: sich 
beherrschen, die Situation objektiv 
überschauen — und das Nötige planmässig ge¬ 
schehen lassen. Hindenburg ist das beste Beispiel da¬ 
für. Und darum mag wohl der Ausspruch vom Siege 
der stärksten Nerven in diesem Sinne sich be¬ 
wahrheiten ! 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

K. Greif: Die Dysphagie und ihre liehandlung bei der 
Larynxtuberkulose. ((';asopis lekarüo ceskv’ch 1914. Nr.25 26.) 

In der Klinik Frankenberger in Prag hewiihrte sich folgender 
Vorgang: Bei leichter und schwerer Form der Tuberkulose 
wird Mentholöl aufgepinselt; sind Ulzerationen vorhanden, wird 
Orthoform appliziert. Bei den schweren Formen leistet die 
passive Hyperaemie gute Dienste, jedoch muss der Allgemein- 
zugtaud noch eine gute Rrognose erlauben. Bei den kackek- 
tischen, sub fiucm vitae befindlichen Fällen mit Dysphagie 

Digitized by Google 


und Otalgie können nur Injektionen eines Anaesthetikums in 
den Nervus laryngeus superior Linderung verschaffen. Greif 
injizierte hei 18 Fällen (17 Tuberkulosen, 1 Karzinom) ein 
Gemisch von Eukain ß und 80 °/ 0 igen Alkohol (0.15 : 30) und 
erzielte 17 mal ein Verschwinden der Dysphagie und immer 
eine Beseitigung der Otalgie. Die Besserung hielt bis zu 20 
Tagen an. (Auch mit der Heliotherapie werden in leichteren 
Fällen Besserungen erzielt.) G. Mühlstein- Prag. 

J. Hnätek: Zur Diagnose der rin Malum Itustii vortän- 
schcnden Erkrankungen der obersten Hnlswlrbrl. ((jasopis 
lekaruo cesk^ch. 1914. Nr. 24.) 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









146 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 15. 


Steifigkeit der Halswirbelsäule, die zur Unbeweglichkeit 1 
des Kopfes führt und wegen Schmerzen den Kranken zwingt, 
beim Aufrichten und Niederlegen des Kopfes denselben zwischen 
beide Hände zu fassen, bezeichnete Rust als pnthognomonisch 
für Caries des Atlas und des Epistropheus. Man fand dieses 
Symptom auch schon bei Karzinom und Fraktur. Hmitek 
beschreibt nun je einen Fall von Gelenkrheumatismus, Syphilis 
und Gicht; bei allen 3 Fällen deckten sich die klinischen 
Symptome und die Lokalisation des Krankheitsprozesses mit dem 
Malum Ruslii; man muss demnach stets auch an ein „Pseu- 
domalum“ Ruslii denken. G. M ü h 1 s t e i n-Erng. 

F. R. M ü h 1 h a u s- München, Belichte über Neuer¬ 
scheinungen auf ilem (iebicte (1er Chirurgie und Orthopädie. 
1. Taschenbuch des Feldarztes. III. Teil: Kriegsorthopädie von 
Prof. Dr. F. Lange und Prof. Dr. J. Trumpp. Lehmann’s 
Verlag, München. 

Trumpp und Lange haben sich der dankenswerten Auf¬ 
gabe unterzogen, den Ärzten, die ohne speziell orthopädische 
Kenntnisse au Stellen arbeiten, wo derartige Kenntnisse er¬ 
forderlich sind, ein Buch an die Hand zu geben, in dem in 
übersichtlicher Form mit guten Abbildungen das Wesentliche 
der Orthopädie klargelegt wird, sodnss auch der Nichtorthopäde 
in der Lage ist, sich die nötige orthopädische Behandlungs¬ 
methode auzueignen und dadurch wirkungsvoll dazu beizutragen, 
die Schäden dieses Krieges durch Bekämpfung des drohenden 
Krüppeltums zu verringern. 

Trumpp gibt im ersten Kapitel des Buches eine vorzügliche 
und genaue Schilderung der Transportorganisation der Ver¬ 
wundeten vom Augenblicke der Verwundung bis zur Ankunft 
im Ileimatlazarett, wobei ihm seine persönlichen im Felde ge¬ 
wonnenen Erfahrungen eine kritische Würdigung dieser Frage 
gestatten Ausgehend von der Tatsache, dass schon die Art 
des Transportes auf den weiteren Wundverlauf ihre Wirkung 
ausiibt — zumal hei Verletzungen, bei denen eine spätere 
orthopädische Behandlung gegeben ist, ist man bestrebt, die 
Verwundeten möglichst wenig umzubahren. Als ideale Forderung 
wäre in Lösung dieser Frage aufzustellen, Schwerverwundete 
auf der zu Anfaug belegten Bahre bis zur einsetzenden Heimats¬ 
behandlung zu belassen. Das ist natürlich nur ausführbar bei 
Tragen, die dem Verwundeten ein bequemes Liegen für längere 
Dauer gestatten. Die Hängemattenlragbahre nach Lange und 
Trumpp erfüllt diese Forderung vollkommen. Der Transport 
auf Wagen ist heutzutage in erster Linie auf die Kraftwagen 
übergegangeu, da sie sich vermöge grösserer Geschwindigkeit 
besserer Fahrbereitschaft und schonungsvollerer Transportmög¬ 
lichkeit den Pferdewagen in jeder Beziehung überlegen erwiesen 
haben. Mit Verweis auf das diesbezügliche, ausführlichere 
Buch von Flemming schildert Trumpp mit guten Abbildungen 
unterstützt die einzelnen Systeme der Krankenkraftwagenein¬ 
richtungen, die neben vollkommener Raumausnützung eine gute 
Federung der aufgehängten Bahren erstreben sollen. Eine Be¬ 
schreibung der Beförderungsart auf Eisenbahn und Schiff durch 
einerseits glänzend eingerichtete Lazarettzüge, andererseits durch 
die erschütterungsfreie Transportierung auf dem Wasserweg 
beschliesst das erste Kapitel, dem sich die Kapitel der rein¬ 
orthopädischen Fragen anschliessen. 

Das Kapitel der Behandlung von Schussfrakturen wird 
von beiden Autoren gemeinsam besprochen. Welche von den 
verschiedenen Schienensystemen in den vorderen Sanitäts 
formationen zur Anwendung kommen mögen, immer muss das 
Anlegen solcher Verbände unter dem Gesichtspunkte vor sich 
gehen, auch genaueste Fixation berstellen zu wollen. Es haben 
sich mancherlei Deformitäteu manifestiert, die den Verwundeten 
zum Krüppel werden Hessen, die aber vielleicht durch früh¬ 
zeitig schärfere Erkenntnis wesentlich hätten gemildert werden 
können. Da bis jetzt noch keine brauchbaren Methoden aus- 
gearbeitet sind, Schussfrakturen der grossen Röhrenknochen 
schon in den vordersten Formationen in wirksame Extension 
mit gleichzeitiger, transportsichernder Fixation zu nehmeu, muss 
man sich darauf beschränken, wenigstens unbedingte Fixation 
des verletzten Extremitätenabschnittes mit den benachbarten 
Gelenken zu erreichen, um dem Patienten sowohl Schmerzen zu 
ersparen und ihm hierdurch die zur Abwehr der Infektion 
nötige Körperwiderstandsfähigkeit zu erhalten, als auch um J 

Digitized by Google 


eine grössere Dislokation der Fragmente zu verhindern. Beides 
sind Faktoren, die für die weitere funktionelle Vollwertigkeit, 
der betreffenden Extremität von grösster Bedeutung sind. Lange 
konstruierte daher eine sehr praktische billige Fixations- Trans¬ 
portschiene aus Bandeisen und Pappdeckelhülsen. Die Forderungen 
die er an eine brauchbare Feldschiene Btellt, Einfachheit, all¬ 
gemeine Verwendbarkeit, Billigkeit, gute Fixation, leichtes Ge¬ 
wicht, schnelles Anlegen, Verbandwechsel in der Schiene 
und Sparsamkeit des Verbandmaterials erfüllt Lange’s Trans¬ 
portschiene in brauchbarer Weise. Die Überschenkelschiene 
soll durch Flexionsstellung im Kniegelenke noch gleichzeitig 
Extensionswirkung erzielen im Prinzip der Beugung über die 
kürzere Unterlage. Ähnlich sind die Schienen, die Lange bei 
Schussfrakturen der oberen Extremität verwendet. 

Fixntionssehienen sollten auch für den weiteren Transport 
in die Heimat überall da Verwendung finden, wo im Feld¬ 
lazarett aus irgendwelchen Gründen auf die Anlage eines 
Gipsverbandes verzichtet werden muss. — Und die Tatsache, 
dass nicht alle Schussfrakturen im Feldlazarett in Gips fixiert 
werden können, zeigt sich oft, sei es wegen starken Andrangs 
Verwundeter, sei es infolge ungenügender technischer Ein¬ 
richtungen und Kenntnisse hierzu. L. und T. schildern den 
Lange'schen Gipstisch, seine Improvisierung, das Anlegen von 
Gipsverbänden usw, sodass es dem hierin weniger erfahrenen 
Feldarzt sehr erleichtert wird, diese Technik richtig anzuwenden. 

Schon der Arzt im Feldlazarett soll, wenn irgend nur 
möglich, anstreben, bei Schussfrakturen mit grösserer Ver¬ 
kürzung neben genauer Fixation Extensionswirkung zu geben; 
denn je früher die Extension swirkuug 
ein setzt, desto bessere Resultate lassen 
sich für die Folgezeit erzielen. Bis jetzt 
kommt für einen Exteusioustranspoit lediglich noch der exten¬ 
dierte Gipsverband in Fiage, der jedoch wegen der verursachenden 
Schwierigkeiten nur selten Verwendung findet. Daher gelangen 
die meisten Schussfrakturen entweder in einfachem Gips oder 
geschient mit Winkelstellung der Fragmente in die Heimats¬ 
lazarette, wo sie oftmals noch von einer Hand in die andere 
übersiedeln, bevor sie zur endgülligen Behandlung kommen. 
Das ist ein Fehler, der besonders in der Anfangszeit des Krieges 
gemacht wurde. Schussfrakturen müssen sofort, wenn möglich 
mit Umgehung dazwischenliegender Etappen- und Kriegslazarette 
in die innere Heimat abgeschoben werden und hier sollen so¬ 
fort mit Verbandstechnik vertraute Arzte die endgültige Be¬ 
handlung übernehmen- So wird es gelingen, dem Übel der 
Extremitätenverkürzung wirksam zu begegnen. Es ist bekannt, 
dass öfiers selbst einfache, subkutane Knochenbrüche der unteren 
Extremität, die vom Felde eiugeliefert werden und bei denen 
schon eine längere Zeit nach der Verletzung verstrichen ist, 
Verkürzung manifestieren lassen. Das gibt zu denken, lässt 
sich aber bei unseren heutigen Transportverbänden und den 
grossen Entfernungen der Kriegsschauplälze nicht vermeiden. 
Wird dann in der Heimat in dem Stadium einer wenn auch 
nur geringen Konsolidation die gebräuchliche Extensionsmethode 
angewandt, so kann zwar sehr oft die Verkürzung noch reduziert 
werden, jedoch meistens auf Kosten der Gelenkbänder und 
Gelenkkapsel, die ihrerseits auf diese starken Streckverbände 
gewöhnlich mit Schlottergelenksbildung antworten unter der 
Prognose einer späteren Arthritis deformans. Darum sollte man bei 
Frakturen, die nicht sofort vom Feld- in Heimatlazarette ver¬ 
bracht werden und bei denen somit schon eine längere Zeit 
nach dem Trauma verflossen ist, mit der Anwendung von sehr 
starken Zugverbänden vorsichtig sein uud den Ausgleich der 
Verkürzung eher einer später vorzunehmenden Osteotomie über¬ 
lassen. So wird der diffizile Apparat der Gelenke nicht ge¬ 
schädigt und die Möglichkeit der späteren Arthritis deformans 
beseitigt. Anders verhält es sich mit Schussfraktureu, die 
frisch vom Feld ins Heiraatlazarett gelangen. Trumpp und 
Lange haben die von der Friedenspraxis übernommene Scheu, 
eiternde Frakturen mit Korrektion der Fragmentstellung im Sinne 
der Extension zu behandeln, überwunden und damit glänzende 
Resultate erzielt, sodass sie grundsätzlich auch jede eiternde 
Fraktur mit starker Deformierung sofort nach der frühzeitig u 
Einlieferung extendieren Bei der Art von Kriegsverletzungen 
mit grossen Wundverhältnissen ist eine Eiterabflussverlegung 
durch Exteusion weniger zu befürchten, tritt dennoch Eiter- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 15. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


147 


verhaltung ein, so kann durch Gegeninzision leicht ein neuer 
Abflusskanal gebildet werden. Trurapp und Lange fordern in 
Wundbehandlung der frühzeitig extendierten Schussfrakturen 
konservatives Vorgehen. Auch hier glaube man nicht unter 
allen Umständen Knochen- und Geschosssplitter entfernen zu 
müssen, indem dadurch gleichzeitig neue Lymphspalten den 
Infektion eröffnet werden. Lediglich gute Drainage ist neben 
guter Extension in Fixation die Hauptforderung. Dass das 
Verfahren der Extension frischer vereiterter Schussfrakturen 
seine Berechtigung hat, beweisen auch die guten Resultate, die 
u. a Bade, Biesalski, Hohmann und Bier hiermit gemacht, 
wenngleich andere Chirurgen wiederum vor dem Redressieren 
vereiterter Schussfraktureu warnen. Immerhin bedeutet die 
Methode von Lange und Trumpp einen Fortschritt auf dem Ge¬ 
biete der Frakturenbehandlung. Vom orthopädischen wie 
chirurgischen Standpunkt muss ja unter allen Ümständeu ein 
möglichst exakter Ausgleich der Verkürzungen angestrebt werden 
Wenn nun gefordert wird, Schussfrakturen älteren Datums 
lediglich in gute Fixation zu nehmen, und den Ausgleich der 
späteren Osteotomie, ev. der früher möglichen parakallösen 
Osteotomie zu überlassen, so hat dies Verfahren entschieden 
auch seine anerkannte Berechtigung. Man soll mit Ausführung 
dieser Operation nicht gar zu lange warten, da durch die Ver¬ 
kürzung des Extremitätenabschnittes eine entsprechende Ver¬ 
änderung in anatomischer und physiologischer Richtung der 
betreffenden Organe stattgefunden hat, andererseits muss man 
wieder Sicherheit der Abwesenheit von virulenten Infektions¬ 
trägern in der alten Narbe — besonders bei der kallösen 
Osteotomie haben. Bei dieser Therapie fallt fort, was schon 
oben angedeutet wurde: die Gefahr der überstreckten Gelenk¬ 
bänder und Gelenkkapsel mit der Prognose der späteren Arthritis 
deformans. Solange unsere gebräuchlichen Extensionsmethoden 
noch darauf beruhen, die Streckwirkung des Zuges auf dem 
Wege der Gelenkbänder an den frakturierten Knochen zu leiten, 
ist die Gefahr der Kapseldehnung gegeben Natürlich ver¬ 
ringert sich diese Gefahr, je früher die Fraktur in Extension 
kommt. Ist einmal auch nur geringe Konsolidation eingetreten 
— und erfahrungsgemäss setzt die Kallusbildung auch bei 
vereiterten Frakturen durch die ausgedehnte Periostreizung der 
Schussfrakturen meistens sehr frühzeitig und vermehrt ein — 
so sollte der Ausgleich der Verkürzung um jeden Preis nicht 
das Ziel der Therapie sein, da durch übermässigen, wochenlang 
liegenden Streckverband die Gelenke überdehnt werden, in den 
meisten Fällen ein Erguss stattfindet und sich zu dem Leiden 
der doch nicht ganz ausgeglichenen Verkürzung die Möglich¬ 
keit der späteren Arthritis deformans gesellt. Kommt man 
mit einem massigen Streckverband nicht zum endgültigen Ziel, 
so extendiere man m. E. nicht weiter, sondern begnüge sich 
vorläufig mit der besseren Stellung der Fragmente und greife 
später zur Osteotomie. 

Es sei gestattet, auch an dieser Stelle auf die Hülsen- 
exteDsion vou Oppenheim hinzuweisen, ein Verfahren, das die 


grösste Beachtung finden sollte; denn vielleicht kann es mit 
Hilfe dieses Verfahrens gelingen, bei vielen Fällen von Knochen¬ 
brüchen die Zugwirkung unter Ausschaltung der Gelenke direkt 
aut den verletzten Knochen wirken zu lassen, sodass die Mög¬ 
lichkeit der Schlottergelenksbildung ausgeschlossen bleibt 

Wie die Behandlung der Schussfrakturen gespannte Auf¬ 
merksamkeit der Chirurgen und Orthopäden und aller derer, 
die an solcher Stelle arbeiten, erforderte, ebenso ist in dem¬ 
selben Masse für eine möglichst vollständige Beseitigung der 
Rückstände von Knochen- undGelenkverletzungen durch intensive 
mediko-mechanische Behandlung zu sorgen. Lange und Trumpp 
geben in ihrem Buch eine vorzügliche, fachmännische Anleitung 
zur Behandlung von Kontrakturen und Gelenksversteifungen. 
Es kommt nicht nur darauf au, dass die Verwundeten ihre 
rorgeschriebenen Übungen an Apparaten zur aktiven und 
passiven Mobilisierung der Gelenke ausführeD, sondern es bedarf 
ärztlicher Kontrolle (an Hand von Zeichnungen) und genaue 
Beobachtung der Gelenke vor und nach den Übungen, ’im 
auch wirklichen Nutzen zu erreichen. Rohe Versuche, Gelenke 
zu mobilisieren, sind unter allen Umständen zu vermeiden und 
haben meistens gegenteiligen Erfolg. Der Pat. soll zwar über 
die Wirkung der Mobilisationsübungen an seinen Gelenken 
durch hierbei leicht auftretende Schmerzen eine Kontrolle haben, 


Digitized 


sv Google 


jedoch müssen die Schmerzen nach Beendigung der Übung 
aufhören und dürfen keine Rötung und Schwellung des Ge¬ 
lenkes zur Folge haben. Unterstützt werden die mediko-mecha- 
nischen Übungen durch Heissluft-Massage, Quarzlampe, Bäder 
und Myoboratorbehandlung. Es ist oft erstaunlich, welch’ 
glänzende Resultate sich im Laufe einer derartigen intensiven 
Behandlung ergeben, wobei jedoch eiserner Fleiss und Energie 
des Patienteu für den guten Erfolg mitbestimmend ist. 

Ergeben sich auch trotz fleissiger raediko-mechan. Übungen 
keine Besserungen über ein bestimmtes Stadium, so rät Lange 
zu einem früher viel angewandten Verfahren, dem vorsichtigen 
Versuch der weiteren Mobilisation in Narkose. Erfolge hierbei 
bleiben aber immer sehr unbestimmt. 

Bei Nervenschussverletzungen besteht die Aufgabe darin, 
bis zum Zeitpunkt der operativen Restitution, die nicht vor 
2—4 Monaten stattfindet, durch sinngemässe Schienung eine 
Überdehnung der von dem gelähmten Nerven innervierten 
Muskelgruppe zu verhindern. Nervenoperationen sollen nur 
von erfahrener Hand ausgeführt werden Vor Ablauf von 
8 Monaten kann bei der langsamen Heilungstendenz der zer¬ 
störten Nervenbahnen von keinem endgültigen Resultat einer 
Nerveunaht gesprochen werden. Diese Zeit wird mit mediko- 
mechanischen Übungen und Elektrisieren ausgefüllt. 

Im Schlusskapitel bespricht Lange die orthopädischen 
Hilfsapparate, Einlagen und künstlichen Glieder Interessant 
ist die von östereichisehen Ärzten Eiseisberg, Hoehenegg und 
Spitzy abweichende Haltuüg gegenüber der sog. Immediat- 
prothesen der unteren Extremität Lange und Trumpp gehen 
von der Erkenntnis aus, dass die zeitweiligen Gips- und Leder¬ 
behelfsprothesen als erster Beinersatz dem Pat. besonders ein¬ 
drucksfähig bleiben, und der Pat. sich zu stark an diese Gang¬ 
methode gewöhnt, sodass er für seinen endgültigen Beiuersatz 
Gangeigentümlichkeiten mitbringt, die den zweckmässigen Ge¬ 
brauch einschränken 

Das Buch von Lange und Trumpp gibt in seinem Inhalt 
und Zusammensetzung eine vorzügliche Übersicht über den 
heutigen Stand der orthopädischen Behandlungsmethoden in 
Rücksicht auf den Krieg. Jeder Arzt, der an Stellen arbeitet, 
wo orthopädische Kenntnisse erforderlich sind, wird das Er¬ 
scheinen dieses Buches mit Freuden begrüssen. Dem Buch ist 
die weiteste Verbreitung zu wünschen. Vielleicht berücksichtigen 
die Verfasser in einer der nächsten Auflagen den Stand der 
heutigen Protheseutechnik noch ausführlicher, um auch auf 
diesem Gebiet der Kriegsorthopädie einen guten Leitfäden zu 
gehen. 

2. Taschenbuch des Feldarztes. I. Teil: Kriegschirurgie von 
Prof. Dr. A. Schönwerth. Vierte, neubearbeitete Auflage. Leh- 
mann’s Verlag, München. 

Das Buch verdankt seine Entstehung einem Bedürfnis des 
Nichtchirurgen, der aus seiner Disziplin herausgenommen sich 
im Feld den veränderten Anforderungen gegenübersieht. Es 
will nichts Neues bringen und macht keinen Anspruch darauf, 
Lehrbuch zu sein, jedoch will es Begleiter und Berater für den 
Arzt sein, der unseren Truppen in nicht stabilen Formationen 
folgt. Dass das Buch in kurzer Zeit seine vierte Auflage er¬ 
lebte, beweist seine Notwendigkeit. 

Dieser vermehrten Auflage hat Schönwerth in dem ersten 
Teil, der besonders dem nichtchirurgischen Feldarzt gewidmet 
ist, seine persönlichen Kriegserfahrungen zugrunde gelegt und 
bespricht an Hand von guten Abbildungen die Verschiedenheit 
der Wundversorgung sowohl auf dem Truppen Verbandsplatz, 
Hauptverbandsplatz als auch im Feldlazarett in knapper, jedoch 
vollkommen ausreichender Form. Schadlose Transportfähigkeit 
der Verwundeten aus den vordersten Sanilätsformationen (T. 

V. P. und H. V. P.) zu erreichen, ist das Leitmotiv der Wund¬ 
versorgung dieser Stellen. Hier kein Suchen nach Geschossen, 
keine Sondierung der fast durchweg als infiziert geltenden 
Schusswunden, auch nicht zu Diagnosezweckeu. Kein Ab¬ 
trägen eines Hirn verfall es, hier keine Laparotomie. Genaueste 
Fixierung von Frakturen, Gelenkschüssen und grossen Weich¬ 
teilzerstörungen, absolut tadelloses Anlegen der Verbände zur 
Verhütung sekundärer Infektion, Technik der Unterbindung 
verletzter grösserer Gefasse und der prophylaktischen Tracheo¬ 
tomie, Einfühlen des Katheters und Injektionen müssen in 
erster Linie die Tätigkeit der Ärzte auf T. V. P. und H. V. P. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





148 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 15. 


bei Massenandrang der Verwundeten sein, während dem Feld¬ 
lazarett wegen günstigerer äusserer, die Asepsis garantierender 
Verhältnisse die weiteren dringlichen chirurgischen Massnahmen 
Vorbehalten sein sollen. Hier ist in den meisten Fällen Revision 
der Wunde geboten; desgl. ist Verbandwechsel bei den grössten¬ 
teils vollständig durchbluteten und damit Infektionsausbreitung 
zulassenden Verbänden angezeigt Im Feldlazarett ist bei 
Schädelverletzungen — Tangential- und Steckschüssen — mit 
bedrohlichen Erscheinungen unbedenklich Entfernung der 
Knochen- und Geschosssplitter auszuführen, Hiimatothorax mit 
Empyembildung durch Rippenresektion zu öffnen und Amputation 
bei schwerer Infektion auf die einfache, offene Stichmethode 
auszuführen. 

Schönwerth rät bei Schussverletzungen der Bauchhöhle zur 
strangkonservativen Behandlung, indem er nur bei schweren 
Blutungen innerhalb der Bauchhöhle Operation im Feldlazarett 
anrät, da die Verbandsplätze für Laparotomien wegen äusserer 
Verhältnisse durchaus ungeeignet sind. Nach Sch. Ansicht 
können Bauchschüsse nur innerhalb der ersten C Stunden nach 
der Verletzung operativ behandelt werden. Diese vor und zu 
Anfang des Krieges allgemein gültige Regel hat bekanntlich 
im weiteren Laufe des Krieges seine unbestrittene Gültigkeit 
für viele Chirurgen verloren, und die vergleichenden Statistiken 
aus der neuesten Literatur haben für eine Anzahl Chirurgen 
die operative Therapie der Bauchschüsse den Spontanheilungen 
gegenüber als das erstrebenswerte Ziel gezeigt Man ist der 
Meinung, dass es doch weniger als Zufallserscheinung anzusehen 
ist, dass eine Bauchverletzung mit Perforation des Darmtraktus 
operativ zur Heilung kommt — in einigen Fällen wurde 
36 Stunden nach der Verletzung mit Erfolg laparotomiert — 
als dass eine solche Verletzung spontan heilt. Jedoch ist zur 
Laparotomie ein gut ausgebildeter, erfahrener Fachmann er¬ 
forderlich, um die Erfolgsmöglichkeit auf ein Maximum zu 
bringen. So wird für den nichtchirurgischen Feldarzt kaum 
die Lage gegeben sein, eine Laparotomie zum Verschluss von 
Darmperforation auszuführen. Jedenfalls sind die Angaben, 
die Schönwerth über das Verhalten eines Feldarztes gegenüber 
Bauchschüssen macht, für den nichtchirurgischen Arzt auf den 
Verbandsplätzen vollkommen angezeigt, doch muss m. E. der 
Feldarzt wissen, dass er dem Verwundeten durch möglichst 
schnelle Abtransportierung in das nächste laparotomiefähige 
Feldlazarett den grössten Dienst erwiesen hat. 

In einem gesonderten Kapitel spricht Sch. über Unter¬ 
bindungen und Aufsuchen grösserer Gefässe. Die topographi¬ 
schen Verhältnisse werden durch entsprechende Abbildungen 
in anschaulicher Weise klar gelegt. 

Ein Situationsplan über die militärische Einteilung der 
vorderen Sanitätsformationen beschliesst den ersten Teil des 
Buches, 

Der 2. und 3. Teil entstammen verändert dem „Vade¬ 
mekum für den praktischen Arzt“ von demselben Verfasser. 
Beide Teile unterstützen den ersten Teil durch weitere Aus¬ 
führungen, schildern besonders ausführlich die chirurgischen 
Behandlungsmethoden und bilden für den Nichtchirurgen eine 
zweckmässige Ergänzung in Erklärung der Technik der vorzu¬ 
nehmenden Massnahmen. 

Die Durchführung der kurzen Übersicht der Kriegschirurgie 
für den Feldarzt ist vorzüglich. Schönwerth’s Buch wird ein 
brauchbarer Berater für jeden nichtchirurgischen Feldarzt sein] 


Bücherschau. 

Georg Büchner - München, Angewandte Jonenlelire. 
(München 1912. — Verlag, J. F. Lehmann. — 155 Seiten.) 

Gewaltiger und einschneidender ist seit den Tagen der 
Reformation kaum ein anderer Zeitabschnitt gewesen als der 
heutige. Nicht bloss auf politischem, militärischem, wirtschaft¬ 
lichem Gebiet: auch im Reich des synthetischen und analytischen 
Denkens. Macht sich dort das Bestreben beraerklich, von einer 
vorwiegend atomistisch-mechanistischen Weltanschauung zu einer 
mehr philosophisch-religiösen zurückzukehren, so sucht die neue 
Jonteu-Lehre die letzten Vorgänge in der belebten wie nicht¬ 
belebten Substanz zu entschleiern, und indem sie darlegt, dass 


hier wie dort die gleichen Vorgänge und Gesetze herrschen, 
weist sie den suchenden Geist ganz von selbst über ihr Gebiet 
hinaus: Der nun einmal nicht wegzuleugnende Unterschied 
zwischen lebendig und tot muss dann eben in eiuer verschiedenen 
Anordnung dieser Gesetze und Vorgänge bestehen, und diese 
verschiedene Anordnung erfordert ihrerseits besondere Einflüsse, 
welche hinter den Dingen und Vorgängen liegen. 

Von der Natur der Lösungen geht die neue Lehre aus und 
führt über die Gesetze des osmotischen Drucks und der elektro¬ 
lytischen Dissoziation in die Tiefen der Elektrochemie bezw. der 
elektrochemischen Physiologie 

Für uns Ältere ist das Lesen dieses Buches nicht ganz 
leicht. Neue Bilder, neue Vorstelluugsreihen entrollen sich auf 
jeder Seite. Allein wir können uns dem nicht entziehen, wenn 
wir mit dem weiterschreitenden geistigen Leben Schritt halten 
wollen. Man ist versucht, die neue Wissenschaft mit G a 1 v a nis 
Entdeckung zu vergleichen und Du Bois — Reymonds 
Worte auf sie zu übertragen; dass sie in der Welt der Physiker 
und Physiologen den gleichen Sturm und die gleichen nach¬ 
haltigen Wirkungen entfalten werde, wie der dermalen tobende 
Sturm im politischen Gefüge Europas. Buttersack. 


P. G. U n n a-Hamburg, Chemie der Zelle. (Festschr. 
z. Feier des 25 jähr. Bestehens des Eppendorfer Krankenhauses. 
Leipzig - Hamburg, Leop. Voss. 1914. — 20 Seiten mit 1 färb. 
Tafel.) 

L a e n n e c hat einmal gesagt: „Rien n’est plus interessant 
dans une Science que la marche nteme de cette Science.“ — 
Die vorliegende Abhandlung des verdienten Forschers ist eine 
deutliche Illustration dazu. Sie führt uns vor, wie in organi¬ 
scher Entwicklung seit den Zeiten der Entdeckung der Zelle 
unsere Kenntnisse dieser Gebilde sich erweitert und vertieft 
habeu. Unna zeigt, wie es durch verschiedene Farbstoffe 
gelingt, die verschiedenen Elemente der Zelle zu erkennen, 
und durch Lösungsmittel, sie der chemischen Analyse zuzu- 
führen. So stellt sich ihm „jedes Zellelement als ein Mosaik 
von sauren und basischen, sauerstoflspeichernden und -ver¬ 
zehrenden Eiweissen“ dar. 

Wir registrieren das mit vielem Scharfsinn Erarbeitete 
mit Dank, werden aber die Zelle nicht als ein Mosaik ver¬ 
schiedener Eiweissarten betrachten, sondern als einen Organis- 
muss im kleinen, wenn man will, als einen /i- oder gar (tit- 
Kosmos. Während der Weltkrieg langsam unser Verständnis 
für die Lebensgesetze in der Völkeipliysiologie und -Psychologie 
weckt, sehen wir andererseits die Grenzen des Lebens sich bis 
ins molekulare Gebiet vorschieben. Fürwahr, eine grosse Zeit 
auch in den Wissenschaften ! Buttersack. 


Erich Harnack - Halle a. 8 , Die gerichtliche 
Medizin mit Einschluss der gerichtlichen Psychiatrie and der 
gerichtlichen Beurteilung von Versicherungs- und Unrallsachen. 
(Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft 1914. — 448 Seiten. 
Preis Mk. 12.—, gebunden 13.50.) 

Victor Cousin hat einmal gesagt: „Le raisonnement 
est un instrument aussi bon pour l’erreur que pour la vörite.“ 
Bücher, wie das vorliegende, schützen vor falschem Raisonne¬ 
ment. Harnack hat in Gemeinschaft mit Prof. H a a s 1 e r 
und Prof. S i e f e r t (Halle) ein Werk geschaffen, welches 
Medizinern und Juristen in eleganter Sprache und in klarer 
überzeugender Darstellung die für das Forum erforderlichen 
Tatsachen und Gedankengänge vermittelt. 

Ganz besonders wertvoll erscheint mir die von Professor 
S i e f e r t bearbeitete gerichtliche Psychiatrie mit der pracht¬ 
vollen Besprechung der Frage der Zurechnungsfähigkeit. Es 
wäre zu wünschen, dass recht viele Juristen sich diese Aus¬ 
führungen zu eigen machten. 

Bei der ausgedehnten Entwicklung des Versicherungs¬ 
wesens wird vielen das betr. Kapitel aus der Feder von Prof. 
H a a s 1 e r willkommen sein. 

Die Entwicklung der Dinge nach dem Krieg wird das 
Werk noch mehr schätzen lehren, als man heute vielleicht an¬ 
nimmt. 

Der Druck ist vorzüglich. Buttersack. 

_irinirsl t_ 


Digitized by Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

URBANA-CHAMPAIGN 








33. Jahrgang. 


1915/16. 


Tortscbrim der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Tachmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser. G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 16 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige lnseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. in b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


10. März 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Behandlung einer schweren Schussverletzung 
aus der Kieferstation von Geh. Rat Prof. Dr. 

Warnekros, Berlin. 

Von Zahnarzt Schoppe r. 

Bild 1. Grenadier K. wird 10 Tage nach seiner 
Verwundung, da er zirka 8 Tage auf der Reise war, in 
ziemlich erschöpftem Zustande in ein Berliner Lazarett 
eingeliefert. Ein Gewehrschuss hat fast den ganzen 
Unterkiefer mit Mundboden, Kinn und Unterlippe fort¬ 
geschossen, rechts ist noch ein Kieferstumpf mit den 
beiden letzten, noch festen Molaren, links nur der auf- 


B i 1 d II zeigt einen am ersten Tage in Eile mit 
Hülfe einer plastischen hartwerdenden Abdruckmasse 
angelegten Notverband, der am Kopfe befestigt ist. 
Er ist dem Patienten eine Wohltat, hebt ihm die Zunge, 
erleichtert ihm das Sprechen und die Nahrungsaufnahme 
wesentlich, indem er das Schlucken ermöglicht, und 
wirkt hierdurch auch psvchisch sehr vorteilhaft auf den 
Verletzten ein. Nachdem die Wunde gereinigt worden, 
wird mit Hilfe der Leitungs-Anästhesie des Mandibularis 
die rechtsseitig bestehende starke Kieferklemme beseitigt. 
Der Kieferstumpf mit den beiden Zähnen war voll¬ 
kommen disloziert, nach oben und innen verzogen und 



steigende Ast mit einem lockeren Weisheitszahn stehen 
geblieben. Die Zunge hat den Halt verloren, ist nach 
unten gesunken. Im Oberkiefer sind die Zähne teilweise 
ausgeschossen und zerschmettert, der harte Gaumen ist an 
der Grenze zum weichen durchlöchert. Der Patient 
vermag nicht zu schlucken, die Ernährung ist auch nicht 
durch Schlundsonde, sondern nur durch Schlauch in den 
Magen möglich, Sprache unverständlich. 

Die Behandlung richtet sich zunächst darauf, den 
Allgemeinzustand physisch und psychisch zu heben 
durch möglichste Wiederherstellung der Mundfunktionen, 
insbesondere Ermöglichung der Nahrungsaufnahme und 
Wiederherstellung des Sprachvermögens. In zweiter 
Linie die Wundheilung, die Behandlung und Erhaltung 
und richtige Einstellung der Kieferstümpfe und Zähne 
und die vorläufige Prothese in Rücksicht auf eine spätere 
plastische Deckung der Weichteildefekte durch den 
Chirurgen einzurichten. 

Digitized by Google 


in dieser Lage fest und unbeweglich geworden und 
störte erheblich. Nachdem die Anästhesie die Spannung 
der Muskulatur aufgehoben, gelingt es allmählich, den 
Kieferstumpf in seine normale Lage zur Artikulation 
mit den Antagonisten des Oberkiefers zu reponieren und 
durch sofort angebrachte technische Drahtvorrichtung 
in Verbindung mit dem Verband so festzuhalten. Patient 
kann den Kieferstumpf nun bewegen und nach Anlegen 
des ganzen Notverbandes sofort aus der Flasche trinken. 
In den nächsten Tagen wird der provisorische Verband 
verbessert, die Zahn- und Kieferbehandlung in Angriff 
genommen. Der Gaumendefekt wird durch eine ein¬ 
fache Gaumenplatte, mit Klammern an den Zähnen ab¬ 
nehmbar befestigt, verschlossen und damit ein Eindringen 
von Speisen und Flüssigkeiten vom Munde in den Nasen¬ 
raum verhindert. Die Zähne und Wurzeln des Ober¬ 
kiefers werden auf das sorgfältigste konservierend be¬ 
handelt, verlorenes durch Stiftzähne und Goldkronen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 











150 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 16. 


ersetzt, sodass der Oberkiefer bald wieder her¬ 
gestellt ist. Der Unterkiefer bekommt eine Prothese, 
auf der rechten Seite an den noch festen Zähnen be -' 
festigt, auf der linken gegen den Oberkiefer augelehnt. 
Dem Muskelzug, der die Kiefernstümpfe dislozieren 
würde, muss durch mechanische Vorrichtungen entgegen¬ 
gearbeitet werden. 

Bild III zeigt die Wunde verheilt und den ent¬ 
standenen und zu deckenden Defekt. 

Bild IV. Die Unterkieferprothese, die später als 
Unterlage für die Plastik dienen soll und der zu 
schaffenden Kinnpartie die Konfiguration geben soll, vor 
allem dem Patienten die Nahrungsaufnahme ermöglicht, 
besonders auch dadurch, dass sie den verloren ge¬ 
gangenen Mundboden wiederherstellt und die Zunge hält. 

Bild V. Eine prothetische Deckung des Defektes, 
von Künstlerhand (Frau Oberbürgermeister Reiche, 
Berlin) modelliert, die den Defekt vorläufig bis zur 
plastischen Arbeit des Chirurgen schliesst und dem 
Patienten bis dahin einigermassen die verloren ge¬ 
gangenen Teile auch in der Funktion ersetzt. Die Pro¬ 
these besteht aus vulkanisiertem Kautschuk, wird am 
Kopfe und mit einem Verband, zur Aufsaugung des 
Speichels mit Gaze gepolstert, befestigt. Der Verband 


Einmal konnten die Streptokokken nur eine Begleit¬ 
erscheinung, eine Misch - Infektion bedeuten: dagegen 
sprach jedoch der positive Befund auch in scheinbar un¬ 
komplizierten Fällen. Dann sprach wohl gegen ihre 
ätiologische Bedeutung der Umstand, dass Streptokokken¬ 
infektionen im allgemeinen keine Immunität hervorrufen, 
wie wir sie beim Scharlach nach überstellen der Krank¬ 
heit anzunehmen gewöhnt sind, sondern im Gegenteil 
eher eine Disposition zu Neu - Erkrankungen schaffen: 
allein es könnte sich vielleicht um einen von dem ge¬ 
wöhnlichen Eiter - Streptokokkus verschiedenen und nur 
morphologisch ihm ähnlichen Erreger handeln. Versuche 
ihn mit unsern feinen bakteriologischen Untersuchungs¬ 
methoden zu differenzieren, sind allerdings bisher nicht 
gelungen und die serologischen Prüfungen mittels Ag¬ 
glutination und Komplementbildungsreaktion haben seine 
ätiologische Bedeutung für den Scharlach nicht zu be¬ 
weisen vermocht. Interessant sind, wie hier eingeschaltet 
werden möge, die vereinzelt bei Scharlach und zwar nur 
während der Erkrankung gefundenen positiven Wasser¬ 
mann-Reaktionen, die zuerst von Much in Hamburg 
angegeben, dann lebhaft bestritten und nun wieder bei 
der Untersuchung von 55 Scharlachpatienten in 18 Fällen 
von Jakobowicz (1904 Jahrb. f. Kinderheilkunde 



kann so luftdicht angelegt werden, dass mit Hülfe der 
Oberlippe der Luftabschluss erreicht ist und hiermit die 
Saugefähigkeit wieder hergestellt ist. Dadurch ist es dem 
Patienten möglich, zu rauchen, zugleich ein Beweis, wie 
wesentlich ihm für die Ernährung damit geholfen worden. 

Die Wiederherstellung der Mundfunktionen durch 
zahnärztliche Arbeit hat den Patienten lebensfähig er¬ 
halten und eine wohltätige psvchische Einwirkung aus¬ 
geübt. Für alle, auch die schwersten Kiefer-Verletzungen 
sind damit vertraute Zahnärzte hinzuzuziehen, die mit 
ihren technischen Hülfsmitteln den Erfolg gewährleisten. 
Der Chirurg und der Zahnarzt müssen Zusammen¬ 
arbeiten. 

Fortschritte in der Erforschung des Scharlach. 

Von Dr. Julius S t ra u ss - Mannheim, z. Z. Stabsarzt am Reserve¬ 
lazarett Nürtingen. 

Die Ätiologie des Scharlach ist bis heute trotz ein¬ 
gehendster Forschung noch in Dunkel gehüllt. Von den 
bei dieser Erkrankung mikroskopisch bisher nachgewie¬ 
senen und als ursächlich angenommenen Bakterien hat 
sich keines in allen oder nur den meisten Fällen nach- 
weisen lassen; aber alle Forschungen haben die überaus 
häufige Anwesenheit von Streptokokken sowohl im Blut 
als im Nasen-Rachen-Sekret ergeben. An diese Tatsache 
hat man nun verschiedene Schlussfolgerungen geknüpft. 


Bd. 79) bestätigt wurden; die Reaktion trat in diesen 
Fällen gewöhnlich nach dem Abklingen der akuten Sym¬ 
ptome ein und verschwand wieder nach Ablauf der 
Krankheit. Der ursächlichen Bedeutung der Strepto¬ 
kokken suchte man durch das Tierexperiment näher zu 
kommen. Die Übertragung des Scharlach - Virus auf 
Affen ist auf verschiedene Art versucht worden. 1904 
hatte Grün bäum mitgeteilt, dass ein Schimpanse, 
den er mit einem Tonsillar- Abstrich von einem Scharlach- 
kranken im Rachen infiziert hatte, an einer Angina ton¬ 
sillaris und Roseola erkrankt war; dann erschienen 1911 
drei Arbeiten, die den Schluss gestatteten, dass der 
Scharlach bei Affen experimentell erzeugt werden kann. 
Die Übertragung war zum Teil mit dem Blut Scharlach¬ 
kranker, zum Teil mit dem Zungenbelag oder Angina- 
Abstrich erfolgt; die Krankheitssymptome bei den Affen 
waren akute Temperatursteigerungen, Drüsenschwellung, 
Himbeerzunge und eine nachfolgende lamellöse Ab¬ 
schuppung. Die Exantheme selbst waren weniger cha¬ 
rakteristisch. Von einer andern Seite fasste Schleiss- 
ner seine Versuche an (1915, Jahrb. f. Kinderheilkunde 
Bd. 81): er verwendete lediglich Reinkulturen von Schar¬ 
lachstreptokokken als Infektionsmaterial; die Stämme 
waren aus Leichenblut eines am 2. Tag verstorbenen fou- 
droyanten Scharlachfalles, aus dem Eiter einer schweren 
Scharlach-Otitis, aus Venenpunktionsblut und schliesslich 
von Scharlach-Anginen gewonnen. Als Infektionsmodus 
wählte er, um den natürlichen Verhältnissen möglichst 


Digitized by 


Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


















\ T r. 16. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


151 


nahe zu kommen, die Einblasung- der Kulturen mittels 
eines Gebläses in Rachen und Nase der Versuchstiere, 
wobei besonders auf die Tonsillen reichlich Infektions¬ 
material gebracht wurde. Hei 12 von 27 Versuchen ge¬ 
lang eine Infektion, die sich in Fieber, Angina, Exan¬ 
them und Himbeerzunge äusserte und nach 10— 12 Tagen 
zu grosslamellöser Abschuppung führte Sämtliche Tiere 
blieben am Leben. Durch Einpinselung ihres Rachen¬ 
sekrets war ihre Erkrankung wieder auf gesunde über¬ 
tragbar. Versuche, erkrankte Tiere zu reinfizieren, ge¬ 
langen nicht, so dass eine Immunität zu bestehen scheint. 
Ebenso misslangen alle Versuche, mit keimfreien Filtraten 
der Bouillon-Kulturen zu infizieren. Schl eissner 
glaubt damit die letzte der Koch sehen Forderungen 
zum Nachweis der Spezifität des Krankheitserregers er¬ 
bracht zu haben. Immerhin sind wohl seine positiven 
Erfolge nicht zahlreich und nicht eindeutig genug, um 
ein abschliessendes Urteil zu ermöglichen. 

Bei dieser Unsicherheit der ätiologischen Grundlage 
steht der Theorie natürlich noch reichlich Spielraum 
zur Verfügung und sie hat sich nach den verschiedensten 
Seiten hin entwickelt. Am gründlichsten ging hier 
Szontagh vor (1913, Med Klinik Nr. 41), der die 
Spezifität der Erkrankung überhaupt negiert und ihre 
eigentümlichen Erscheinungen als anaphylaktische Re- 
aktionserscheinungen eines sensibilisierten Individuums 
auffasst. „Wenn zu der einfachen Angina noch Über¬ 
empfindlichkeitserscheinungen hinzutreten, so entsteht 
das Proteusbild, das man mit dem Namen der Skarla-1 
tina belegt hat. Sie ist keine kontagiöse Erkrankung, I 
wie ihm seine Erfahrung zeige. Veranlasst wird sie 
durch einen ubiquitären Erreger bei besonderer Dispo¬ 
sition des Erkrankten; eine Immunität gibt es nicht.“ 
Im Jahrbuch f. Kinderheilkunde 1914, Bd. 80 kommt 
Szontagh noch einmal auf seine Theorie zurück in 
einem Aufsatz „Das Kontagiositätsproblem“. Er geht 
von der Kontagiosität der Masern aus, die weder im 
Stadium der Inkubation noch der Rekonvaleszenz an-' 
steckend seien; auch durch Gegenstände seien sie nicht 
übertragbar. Der Mechanismus der Kontagiosität setze 
also unbedingt ein volabiles Kontagium voraus, die An -•• 
nähme eines lebenden Giftes (Bakterien, Kokken) reiche 
hierzu nicht aus. Die Kontagiosität des Kranken be¬ 
ginne erst in dem Momente, in welchem die im Or¬ 
ganismus entstandenen Toxine an den Schleimhäuten 
und der Haut ihre Wirkung entfalten, mit andern 
Worten, wenn der Körper Sensibilisations Erscheinungen 
zeige; das ansteckende Agens müsse an die Reaktions¬ 
körper gebunden sein. Es sei also zur Übertragung der 
Krankheit auf einen andern gleichfalls eine Disposition 
Voraussetzung und zwar in Form einer Sensibilisation, 
die häufig durch alimentäre Störungen veranlasst sei. 
Ähnlich seien die Verhältnisse bei der Skarlatina.“ — 
Biese ketzerischen Ansichten müssen natürlich den leb¬ 
haftesten Widerspruch hervorrufen, insbesondere weil 
mit ihnen unsere sämtlichen Absonderungs- und Des¬ 
infektions-Massnahmen vollkommen in Frage gestellt 
würden. Gewiss müssen nicht sämtliche Menschen in 
der Umgebung eines Scharlachkranken von der Infektion 
befallen werden und gewiss ist ein Individuum zeitweise 
der Infektion unzugänglich, ohne dass damit gewähr¬ 
leistet wäre, dass es nicht später einmal von der Krank¬ 
heit ergriffen würde. Das ist eben der für jede In¬ 
fektionserkrankung vorauszusetzende Begriff der Dis¬ 
position, dessen Grundlagen uns freilich noch nicht klar 
liegen. Auch zur Erklärung der Masern-Kontagiosität 
bedarf es wohl nicht dieser komplizierten Annahme. 
Einmal sind doch einige, wenn auch nicht sehr zahlreiche 
Fälle der Übertragung von Masern durch gesunde Dritte 
nachgewiesen. Und zur Erklärung der mangelnden In¬ 
fektiosität im Inkubationsstadium können wir uns doch 
ganz gut in Analogie mit andern Infektionen vorstellen, 

Digitized by Google 


dass es im allgemeinen der Entwicklung und Vermehrung 
der Keime im menschlichen Körper bedarf, um eine 
Übertragung auf andere zu ermöglichen und dass diese 
Entwicklung erst mit dem Auftreten der ersten klinischen 
Symptome im Prodromalstadium gegeben ist. 

Die Annahme, dass es bei Scharlach keine Immuni¬ 
tät und Infektiosität gäbe, steht doch in krassem Wider¬ 
spruch zur alltäglichen Erfahrung. Gewiss kommen 
Zweit- und Mehr-Erkrankungen bei einem Individuum 
vor. In einem Aufsatz von Lämmerhirt (1913 
Med. Klinik Nr. 37) wird erwähnt, dass er unter etwa 
400 Fällen 3 mal eine Neu - Erkrankung gesehen habe, 

H e u b n e r unter 358 : 6, H e n o c h nur 1, Ba¬ 
gin s k y nur vereinzelte. Auch F i s c h 1 gibt an, 
dass er in 20 Jahren nur 1 mal eine zweimalige Er¬ 
krankung an Scharlach gesehen habe. Vor einigen 
Jahren habe ich ein Kind mit 7 Jahren an typischem 
Scharlach behandelt, das ich 3 Jahre zuvor an gleich¬ 
falls sicherem Scharlach in Behandlung hatte; und ein 
andermal sah ich ein Rezidiv bei einem 3 jährigen Kind 
in der 6. Woche auftreten, das wie die vorhergehende 
Erkrankung ohne Komplikation verlief. Aber diese 
Vorkommnisse ausbleibender Immunität gehören zu den 
Ausnahmen, von denen keiner unserer ärztlich - wissen¬ 
schaftlichen Erfahrungssätze frei ist. Für die Konlagio- 
sitat des Scharlach weiss wohl jeder Arzt Beispiele an¬ 
zuführen und jedes Krankenhaus mit seinen durch irr¬ 
tümliche Scharlach-Aufnahmen veranlassten Haus-Infek¬ 
tionen. Freilich darf dies wie gesagt nicht dahin er¬ 
weitert werden, dass jeder, der mit einem Scharlach¬ 
kranken zusammenkommt, selbst daran erkranken müsse, 
wenn er die Krankheit nicht schon vorher überstanden 
hat; das ist ja glücklicherweise bei keiner Infektions¬ 
krankheit der Fall. Immerhin ist soviel richtig, dass 
gerade beim Scharlach diese Verschonung der der In¬ 
fektionsmöglichkeit Ausgesetzten und überhaupt der 
Modus der Weiterverbreitun^ ganz besondere Eigen¬ 
tümlichkeiten oft aufweist. Es ist oft unmöglich, die 
Krankheitsquelle aufzufinden, auch wenn wir daran 
denken, dass die in der Umgebung Scharlachkranker 
auftretenden einfachen Anginen (an die sich übrigens 
auffallend häufig gleichfalls Nephritis anschliesst) die 
Träger und Überträger des Krankheitskeimes darstellen 
können. Wir wissen noch nicht, ob und wie lange dieser 
an leblosen Gegenständen haftet und mit ihnen über¬ 
tragen wird. F i s c h 1 („Vom Scharlach“ 1913 Med. 
Klinik Nr. 9) führt einen Fall seiner Praxis an, bei dem 
er aus den verschiedensten Gründen darauf schliessen 
zu können glaubt, dass eine Mutter, die etwa 3 Wochen 
nach Genesung ihrer beiden Kinder vom Scharlach selbst 
daran erkrankte, sich diese Infektion durch Benützung 
eines Darm-Irrigators zugezogen habe, der vorher bei 
ihren kranken Kindern in Gebrauch gewesen war. Auch 
wodurch ein Scharlachkranker die Infektion auf den 
andern überträgt, ist durchaus nicht festgestellt. Dass 
dies bei Beginn der Krankheit, in den Anfangsstadien, 
viel weniger leicht der Fall ist als später zur Zeit der 
Rekonvaleszenz, erhellt aus manchen Erscheinungen. In 
einer Einzimmer - Wohnung sah ich vor einigen Jahren 
das eine von 2 Kindern, ein 3 jähriges Mädchen, an Schar¬ 
lach erkranken, ohne dass das andere, ein vierjähriger 
Junge befallen wurde. Die Kinder waren, wie unter 
diesen Umständen selbstverständlich, in dieser Zeit in 
innigster Berührung miteinander. Am 5. Krankheitstage 
gelang es mir endlich, die Mutter von der Notwendig¬ 
keit zu überzeugen, das erkrankte Kind ins Kranken¬ 
haus zu verbringen. Der kleine Junge blieb gesund. Als 
aber nach etwa 6 Wochen das vollkommen genesene 
Mädchen wieder ins Haus resp. ins Zimmer zurückkam, 
erkrankte am 4. Tag ihrer Heimkehr auch der Junge. 
Ähnliche Fälle, nur vielleicht nicht so klar beweisend 
wie dieser, sind ja als Heimkehr - Fälle in der Literatur 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








152 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 16. 


ausserordentlich' häutig erwähnt. K o k a 1 1 , Stadt- 
physikus in Brünn, berichtet aus den Jahren 1908 u. 09 
von 20 Fällen, in denen Kinder nach 43 50 tägigem 

Spital-Aufenthalt nach etwa 5-14 Tagen zu Haus Ge¬ 
schwister angesteckt haben, trotz eingehender häuslicher 
Desinfektion. Auch B a g i n s k y teilte im „Verein 
für innere Med.“ 1912 eine Reihe von Beobachtungen 
mit, dass Kinder nach 6 wöchentlichem Krankenhaus- 
Aufenthalt zu Haus Infektionen verursachten. Da man 
glaubte, dass vielleicht die Abschuppung das Krankheits¬ 
gift weiter verbreitete, hat man eine möglichste Des¬ 
infektion der äusseru Haut durch Seifenwaschungen, 
Sublimatbäder usw. vörzunehmen gesucht und insbe¬ 
sondere in England hat M i 1 n e durch Einreibungen 
des ganzen Körpers mit Eukalyptus-Öl diese Heimkehr¬ 
fälle zu verhüten gesucht. Allein eingehende Nachunter¬ 
suchungen mit diesem Mittel zeigten die Erfolglosigkeit 
des Verfahrens und es ist wohl anzunehmen, dass die 
Erreger hauptsächlich im Nasenrachenraum der Genesen¬ 
den sich aufhalten. Seine Reinhaltung durch Gurge¬ 
lungen und Spülungen wird daher möglichst ange¬ 
strebt. 

Es ist klar, dass gerade bei einer Krankheit, deren 
spezifischer Erreger noch nicht festgestellt ist und deren 
Identität deshalb nicht bakteriologisch bewiesen werden 
kann, um so mehr Wert auf die klinischen Erscheinungen 
gelegt werden muss und dass diese zu diagnostischen 
Zwecken deshalb aufs eingehendste untersucht werden, 
insbesondere mit Rücksicht darauf, ob nicht die eine 
oder andere Krankheitserscheinung als pathognomonisch 
angesehen werden könnte. Ich möchte in dieser Arbeit, 
die in erster Linie die Erforschungen der letzten Jahre 
berücksichtigen will, von der Betrachtung der altbe¬ 
kannten klassischen Erscheinungen des Scharlach ab- 
sehen: dem plötzlichen Beginn mit hohem Fieber, Er¬ 
brechen, Angina, Drüsensctnvellungen, dem En- und 
Exanthem, Himbeerzunge usw. Sehr häufig ist die 
Frage zu entscheiden, ob ein vorhandenes Exanthem 
ein arzneiliches, ein septisches oder sonst infektiöses, 
ein Serum - Exanthem ist oder ob es sich um Scharlach 
handelt. Umber hat 1912 (Med. Klinik Nr. 8) die 
Urobilinogen - Reaktion des Harns zu diesem Zw eck 
empfohlen in Form der Ehrlich’ sehen Amidobenzal- 
dehyd-Reaktion. 10 Tropfen des Reagens zu 10 ccm 
frisch gelassenen Urins hinzugefügt färbt diese in der 
Kälte schön rot. Er fand die Reaktion zum Unterschied 
bei sonstigen Exanthemen in 96 "/„ der Scharlach-Fälle 
positiv und Hesse aus der Jochmann’ sehen 
Klinik bestätigt die Wichtigkeit dieser Urobilinogen- 
Reaktion zur Differentialdiagnose. 

Es hängt diese Reaktion höchstwahrscheinlich mit 
einer anderen Beobachtung zusammen, auf die Rach- 
R e u s s in einer Arbeit über „Scharlach und Ikterus“ hin¬ 
gewiesen haben. Sie finden fast regelmässig bei Schar¬ 
lach eine ikterische Verfärbung, eine Gelbtönung der 
Haut, die auf dem Höhepunkt des Ausschlags am deut¬ 
lichsten ist und dann allmählich verschwindet. Sie bildet 
eine wesentliche Komponente der typischen Scharlach¬ 
farbe. Sie ist wohl einerseits auf eine Leberschädigung, 
andrerseits auf einen erhöhten Zerfall von roten Blut¬ 
körperchen insbesondere in der Haut zurückzuführen. 
In der Tat gelang es mir, seitdem ich darauf achtete, 
in den meisten Fällen ausgesprochenen Scharlach-Exan¬ 
thems diesen leichten gelblichen^ Schimmer auf seinem 
Höhestadium zu konstatieren. Übrigens^? enthalten die 
Lehrbücher schon seit Henoch den Hinweis auf diese 
Gelbtönung des Scharlach-Ausschlags. 

Eine-weitere differentialdiagnostische Handhabe bot 
D ö h 1 e mit der Bekanntgabe der Leukozvten-Ein- 
schlüsse. Als solche beschrieb er 1911 eigentümliche 
Einschlüsse, die er bei Scharlach-Kranken in den poly¬ 
nukleären Leukozyten fand und die er für pathognomo- 

Digitizedby CjOOQIC 


nisch hielt. Die Einschlüsse haben verschiedene Form, 
bald kleine und grössere kugelige Körperchen, bald 
mehr längliche Stäbchen oder halbmondförmige Gebilde, 
meist mehrere (2—4) in einem Leukozyten. Sie treten 
bald nach Beginn der Erkrankung auf, nehmen nach 
dem 3. Tag ab und verschwinden meist nach dem 10. 
Tag. Sie sind als Reaktionsprodukte der Zelle auf 
toxische Produkte der Bakterien autzufassen, vielleicht 
auch als Zerfallsprodukte von Spirochäten. Döhle 
spricht sich über ihre diagnostische Bedeutung dahin 
aus : Finden sich im Blut von scharlachverdächtigen 
Kranken, das in den ersten Tagen nach Ausbruch der 
Krankheit zur Untersuchung kommt, die Leukozvten- 
Einschlüsse nicht, so ist es kein Scharlach ; finden sie 
sich, so ist es höchstwahrscheinlich Scharlach. Mit dieser 
Einschränkung nach der positiven Seite hin wird der 
Wert dieses diagnostischen Hilfsmittels auch von den 
meisten Nachuntersuchern bestätigt. Resanoff 
(1914) kommt nach Untersuchungen an 646 Kindern 
(darunter 325 Scharlachkranken) zu dem Schluss, dass 
der positive Befund zur Diagnose nicht genügt, dass 
aber der negative mit ziemlicher Sicherheit gegen Schar¬ 
lach spreche; auch Isenschmid und S ehe¬ 
rn e n s k y kommen bei ihren Untersuchungen zu dem¬ 
selben Resultat. Auch dem sonstigen Verhalten des 
Blutbild:s bei Scharlach hat man vermehrte Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt und Roth bestätigt in seinen „zvto- 
logischen Untersuchungen bei Scharlach“ die schon früher 
festgestellte Tatsache, dass in den meisten Fällen eine 
beträchtliche Vermehrung der eosinophilen Leukozyten 
bestehe, während von einer allgemeinen Leukozytose 
nicht gesprochen werden kann. 

Des weiteren hat dann L e e d e ein differential- 
diagnostisches Merkmal für Scharlach angeben zu können 
geglaubt, das in der Literatur als das Rumpel- 
Leede’ sehe Zeichen vermerkt wird. Er staut den 
Arm des Patienten 10—15 Minuten lang wie bei Bier’ 
scher Stauung. In der Haut der Ellenbeuge finden sich 
alsdann zahlreiche Petechieen. Ein negativer Ausfall 
der Probe soll auch hier last sicher gegen Scharlach 
sprechen, der positive kann nur im Zusammenhang mit 
andern Symptomen zur Diagnose des Scharlach ver¬ 
wendet werden. Übrigens machte schon v. P i r q u et 
im Abschnitt „Scharlach“ des Pfaundler- 
Schlossmann’ sehen Handbuches 1906 darauf 
aufmerksam, dass man manchmal in den Falten der 
Haut (Achsel, Ellenbogen) feinste Blulpunkte bemerke, 
die rein mechanisch zu erklären seien. „Man kann diese 
Erscheinung sehr gut künstlich hervorrufen, wenn man 
zwischen beide Daumen und Zeigefinger einen Haut¬ 
kegel aufhebt und presst. Die Haut gesunder Kinder 
muss man sehr stark kneifen, um eine Blutung hervor¬ 
zurufen; jede hyperämische Haut aber gibt solche 
Blutungen, wenn auch nicht so leicht als die Haut beim 
Scharlach. Der Unterschied ist aber nicht genügend 
markant, um dieses Symptom differentialdiagnostisch ver¬ 
werten zu können.“ 

Feer machte auf die sog. Nagellinie aufmerk¬ 
sam, eine quer vom Nagelbett aus gegen die Peripherie 
vorrückende Riefe, welche sich mit beginnender Des¬ 
quamation bildet und diese um Monate überdauert, so 
dass aus ihrem Vorhandensein retrospektive auf über¬ 
standenen Scharlach geschlossen werden könne. Allein 
F i s c h 1 hält dieses Zeichen nicht für verlässlich, da 
es bei Scharlach oft vermisst und von ihm z. B. bei 
Typhus beobachtet wurde. Übrigens sagt Feer selbst 
in seinem Lehrbuch (1914), dass man ähnliche Nagel¬ 
veränderungen nach vielen akuten Krankheiten sieht, 
aber selten so ausgesprochen Ihre Gegenwart kann 
z. B. bei Nephritis Bedeutung erlangen zur nachträg¬ 
lichen Diagnose von Scharlach. 

So kann man keinem dieser von verschiedenen 
Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 16. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


153 


Forschern angegebenen Zeichen eine direkt beweisende 
Bedeutung für die Diagnose des Scharlach zusprechen 
Die eigentümliche Verlaufsform des Scharlachs, bei 
dem so häufig scheinbar unabhängig vom Verlauf der 
ersten Attacke und durch einen gesunden Intervall von 
ihr getrennt in der 3. Woche neue und unerwartete 
Krankheitszeichen auftreten, haben immer wieder zu 
neuen Theorien als Erklärung dieses merkwürdigen Ver¬ 
laufs geführt; die alte Anschauung, dass die Nephritis 
durch die Ausscheidung der Krankheitprodukte entstehe, 
genügte nicht mehr, als man fand, dass gleichzeitig mit 
ihr oder auch ohne sie andere Symptome auftreten 
können. Cederberg (1914 Herl. Kl. W. Nr. 2) 
erklärt die primären Symptome als toxische, vom Pri- 
mär-Affekt ausgegangene, die späteren als durch Anti¬ 
körper veranlasst. Am eingehendsten betrachteten diese 
Verhältnisse P o s p i s c h i 1 1 und W e i s s in einer 
grösseren Arbeit über Scharlach. Sie fassen diese 
Krankheit als eine rekurrierende auf, ohne sich über 
den Modus näher zu äussern oder eine Erklärung dafür 
zu versuchen. Nach Ablauf der meist kurz dauernden 
Störungen des Krankheitsbeginns tritt, so ist ihre Auf¬ 
fassung, eine Ruhepause in allen Krankheitsäusserungen 
ein ; es erscheint das charakteristische ,,grosse Intervall“. 
Dann wird das Kind von neuem krank : sie nennen dies 
„das zweite Kranksein“, in welchem die Nephritis nur 
eine Teilerscheinung ist. Diese wie alles übrige darin, 
ist keine Nachkrankheit, sondern die Scharlacherkrankung 
selbst, die noch in vollem Gange ist. Hierher gehören 
1. Fieber, 2. Drüsenschwellungen, 3. Veränderungen des 
Rachens, 4. Nephritis, 5. das Scharlach-Herz. Es ist 
jedenfalls ausserordentlich verdienstlich, die Aufmerk¬ 
samkeit auf die verschiedenen Formen der Gefahren in 
dieser Zeit des Scharlachs zu lenken, die sich bisher 
fast allein auf die Nieren konzentriert hatte. Gerade 
mit Bezug auf ihre Erkrankung haben die Arbeiten dieser 
Forscher, übrigens in Bestätigung früherer Angaben, an 
einem grossen Material von 1372 frischen Scharlach- 
lällen den Beweis zu erbringen gesucht, dass die Diät, 
insbesondere die fleischlose Diät, ohne jeden Einfluss auf 
die Verhütung der Scharlach - Nephritis sei. Sie haben 
von den 1372 Fällen die Hälfte mit Milchdiät, die Hälfte 
mit Fleischdiät (Suppe, Braten, gesottenes Fleisch) er¬ 
nährt und zwar alternierend je nach der Aufnahme; 
dabei zeigte sich keinerlei Unterschied bezüglich der 
Entstrhung der Nephritis; die Verfasser kommen daher 
zu dem Schlüsse, dass wir keinerlei Einfluss auf die 
Verhütung dieser Komplikation hätten. Trotz des Be¬ 
weiswertes dieser grossen Zahlen möchte ich aus prak¬ 
tischen Erfahrungen heraus dieser Ansicht nicht bei¬ 
treten. Denn auffallend schwere Formen von Scharlach- 
Nephritis, zum Teil mit anschliessender Urämie, und im 
Verhältnis zu den behandelten Scharlachfällen eine auf¬ 
fallend grosse Zahl sah ich bei solchen Kindern, deren 
Scharlach von den Eltern nicht erkannt und die daher 
ohne therapeutische Behandlung, insbesondere auch ohne 
Bettruhe und Diät geblieben waren. Im Einklang mit 
der Meinung der beiden Forscher würde eine Unter¬ 
suchung B o d e ’ s stehen (1914 Jahrb. f. Kdh. Bd. 79); 
er hat unter 3500 Scharlachfällen, die im Laufe der 
Jahre 1899- 1912 im Rigaer Kinderspital behandelt 
wurden, die Verteilung der Nephritis in 360 Familien 
mit 830 Gliedern untersucht und konnte dabei eine 
zweifellose Familiendisposition konstatieren, eine Tat¬ 
sache, auf die vor ihm M a t h e s an der Hand von 
.■1000 Fällen des Hamburg-Eppendorfer Krankenhauses 
hingewiesen hatte. Er kommt zu dem Schluss, dass es 
Familien gibt, in denen die Scharlach-Nephritis gehäuft 
vorkommt. Da^ Beobachtungen bei Infektionen ge¬ 
schlossener Kreise (Anstalten, W’aisenhaus) nicht dafür 
sprechen, dass etwa die ^gleichartige Qualität des infi¬ 
zierenden Virus für dieses gehäufte Auftreten der Schar- 

Digitized by Google 


lach-Nephritis in bestimmten Familien in Frage komme, 
glaubt er, dass die familiäre Disposition in F'orm here¬ 
ditärer Nierenschwäche hierbei eine Rolle spiele. 

Die Frage des Einflusses der Diät auf den Verlauf 
des Scharlach führt uns bereits hinüber auf das Gebiet 
der Therapie. Eine Reihe neuer Heilmittel wurden in 
den letzten Jahren in ihrer Einwirkung auf den Verlauf 
des Scharlach geprüft. So haben Hi rschfeld er 
und S c li 1 u t z das Äthvlhvdrocuprein (Optochin) ver¬ 
sucht (Berl. Kl. W. 1915 Nr. 38), ohne einen Einfluss 
auf den Verlauf insbesondere auf die Fieberdauer kon¬ 
statieren zu können. Daiber (Med. Kl. 1911, Nr. 10) 
empfahl Jodipin-Einspritzungen, doch sind seine Beob¬ 
achtungen zu wenig eingehend, um irgendwelche Be¬ 
weiskraft zu haben. Dann hat man vor allem das Sal- 
varsan in den Bereich der Scharlach-Therapie zu ziehen 
versucht. Glaser (Deutsche med. W. 1914, Nr. 38) 
meint, dass drei Tatsachen die Behandlungsversuche des 
Scharlach mit Salvarsan rechtfertigen : Der in manchen 
Fällen positive Ausfall der Wassermann’ sehen 
Reaktion auf der Höhe der Krankheit, die gute Be¬ 
einflussung schwerer nekrotischer Entzündungsprozesse 
im Rachen wie der Angina Vincenti durch das Salvar¬ 
san und die Erfolge des Mittels bei verschiedenen Pro- 
tozoen-Krankheiten, da möglicherweise auch der Schar¬ 
lach-Erreger unter sie zu zählen sei. Er sah bei der 
Dosierung von 0,1 g Salvarsan auf 10 kg Körpergewicht, 
z. T. intravenös z. T. subkutan verabreicht, einen 
günstigen Einfluss auf die Scharlach - Angina, auf das 
Fieber und die Benommenheit, keine Beeinflussung der 
Komplikationen, insbesondere nicht der septischen Er¬ 
scheinungen. Als unangenehme Neben - Erscheinungen 
beobachtete er in der Hälfte der .Fälle Schüttelfrost, 
Erbrechen und Durchfall. Vor ihm hatte insbesondere 
L e n z m a n n bei 20 schweren Fällen die intravenöse 
Applikation von Salvarsan vorgenommen und dabei 
gleichfalls lytischen Temperaturabfall, Besserung des 
Allgemeinbefindens, insbesondere aber schnelle Abhei¬ 
lung der Rachenaffektion und Verhütung weiterer 
Komplikationen feststellen zu können geglaubt. Auch 
Kle mperer bei Behandlung von 39 Fällen und 
Jochmann bei 117 Fällen bestätigten den günstigen 
Einfluss des Salvarsan auf den Verlauf der nekrotischen 
Angina bei Scharlach, ohne dass sie eine Beeinflussung 
des Auftretens von Nachkrankheiten hätten beobachten 
können. Lenzmann hat dann 1914 in der Ther. 
d. Ggw. über 47 schwere Fälle berichtet, die unter An¬ 
wendung von Neosalvarsan bis auf 2 zur Heilung kamen. 
Er gab davon 0,15 intravenös täglich oder jeden 2. Tag, 
bis ein deutlicher Erfolg eintrat, höchste Gesamt¬ 
menge 0,8. 

Sehr pessimistisch spricht sich B a r a sc h (D. med. 
W. 1915 Nr. 1) über unsere therapeutische Beeinflussung 
des Scharlach im Hinblick auf seine „Zehn Jahre der 
Scharlachstatistik“ aus, da er von keinem Mittel eine 
wesentliche Beeinträchtigung der Mortalität konstatieren 
kann. 

Bei dieser Sachlage dachte man schon längst daran, 
eine Serum - Behandlung des Scharlach zu versuchen. 
Und es sind in dieser Beziehung hauptsächlich zwei Wege 
beschritten worden. Einmal ging man von der Über¬ 
zeugung der Streptokokken-Infektion beim Scharlach aus 
und versuchte die Wirkung spezieller Streptokokken- 
Sera, dies ist der Weg hauptsächlich Mosers und 
A r o n s o n s. Zum andern versuchte man mit Rück¬ 
sicht auf unsere Unkenntnis des Erregers das Serum 
von Scharlach - Rekonvaleszenten zur Heilung frischer 
Fälle zu verwenden. 

Die Erfolge mit dem Moserschen Serum erscheinen 
nicht gerade absolut beweisend, aber doch höchst be¬ 
achtenswert. Moser ging bei der Darstellung seines 
Serums von der Vorstellung aus, dass die Streptokokken 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






154 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr lf). 


des Scharlachs eine Gruppe mit spezifischen Eigen¬ 
schaften darstellen. Er verwendete daher zur Immuni¬ 
sierung der Pferde nur solche Streptokokken, welche 
aus dem Herzblute von an Scharlach Verstorbenen rein 
gezüchtet sind. Er züchtet den Streptokokkus zum Un¬ 
terschied vom Serum Aronsons auf der Bouillon ohne 
Tierpassage weiter, um zu vermeiden, dass derselbe in 
seinen Eigenschaften verändert werde. 

Ein Nachteil, der dem Moser sehen Serum bis 
jetzt anhaftet, sind die grossen Dosen (mindestens 200 g), 
welche noch zur deutlichen Heilwirkung notwendig sind 
und die eine häufige Entstehung der Serum - Krankheit 
zur Folge haben. Schick berichtet daher von der 
Wiener Klinik, dass er dort nur in den schwersten 
Fällen das Serum anwende, dass er aber unzweifelhaft 
günstige Erfolge davon gesehen habe; insbesondere sei 
seine Wirkung auffallend gut bei den rein toxischen 
Fällen, doch müsse die Injektion in den ersten 3 Krank¬ 
heitstagen vorgenommen werden. Zuletzt hat noch 
Axenow im Jahrb. f. Kdh. 1015, Bd. 81 über 1335 
Fälle des Petersburger Kinderspitals berichtet, die mit 
dem M o s e r sehen Serum 1905 - 13 behandelt wurden, 
von im ganzen 21 000 aufgenommenen Scharlachfällen. 
Von den Behandelten starben 27,3 11 /„, eine an sich ge¬ 
wiss hohe Zahl, aber doch günstig insofern, als nur die 
Kinder mit schlechter Prognose mit Serum behandelt 
wurden. Er verlangt gleichfalls zur Erzielung einer 
Wirkung Anwendung in den ersten 3 Tagen in einer 
Menge von nicht unter 150cbcm, die auf einmal appli¬ 
ziert werden soll. Unter diesen Bedingungen sah er Ab¬ 
fall der Temperatur, Besserung des Allgemeinzustandes, 
des Pulses und der Atmung, dagegen keine Beeinflussung 
der Komplikationen. 

Noch vielversprechender sind die Versuche mit Re¬ 
konvaleszenten-Serum, die insbesondere an der Frank¬ 
furter medizinischen Universitäts - Klinik vorgenommen 
wurden. Re iss und Mertz haben zuletzt darüber 
in der Münchn. Med. Woch. 1915, Nr. 35 ausführlich be¬ 
richtet. Als Indikation für die Anwendung des Serums 
gilt nur die primäre Scharlach - Intoxikation und zwar 
wurden vom 1. 8. 14 bis 1.8. 15 von 413 Scharlach¬ 
fällen nur 33 akut toxische mit Serum behandelt (3 Todes¬ 
fälle, wovon jedoch 2 bei der Beurteilung ausscheiden). 
Das Hauptmerkmal für die Wirkung des Serums war 
die völlige Umkehr des Gesamtzustandes: die Zyanose 
verschwand, der Puls wurde kräftig, regelmässiger und 
weniger frequent, die Atmung ruhig, das Bewusstsein 
hellte sich auf. Die Temperatur fiel nach 1 —14 Stun¬ 
den kritisch ab, um meistenteils fast normal zu bleiben. 
Die Infusion erfolgte intravenös in Menge von 50 bis 
100 ccm. Auch mit Normal-Serum trat Erfolg ein, aber 
nicht so prompt; ebenso in 2 Fällen mit Moser-Serum, 
wobei jedoch ein Serum - Exanthem auftrat. Bei allen 
Injektionen trat '/ 4 — V, Stunde post inj. Schüttelfrost auf, 
der iu 3 Fällen zu vorübergehendem Kollaps führte. 
Bei der Methode der Herstellung und Verabreichung ist 
bemerkenswert; Als Blutspender benutzt man Scharlach¬ 
rekonvaleszenten der 3. bis 4. Krankheitswoche (18. bis 
24. Tag), die sonst gesund insbesondere frei von Lues 
und Tuberkulose sind, deren Verlauf nicht septisch war 
und die seit einiger Zeit fieberfrei sind. Man entnimmt 
der Armvene bei Kindern 100, bei Erwachsenen 200 ccm 
Blut mittels Kanüle von mittlerem Kaliber direkt in 
Zentrifugengläser unter peinlichster Asepsis. Nach lstün- 
digem Zentrifugieren wird das Serum abpipettiert und 
in einem sterilen Glaskolben gesammelt, dann je 25 bis 
50 ccm in sterilen Glasampullen unter Zusatz von 5 Trop¬ 
fen 5 proz. Karbollösung eingeschmolzen, nachdem vor¬ 
her eine Probe zur Prüfung der Sterilität entnommen 
ist. Im Eisschrank aufbewahrt kann das Serum bis zu 
4 Monaten benutzt werden. Die Infusion des Serums 
muss intravenös erfolgen, 50 ccm beim Kinde, mehr je 

Digitized by Google 


nach der Schwere des Falles. Ihre Technik wird von 
den Verfassern genau angegeben. Als Indikation wird 
noch einmal der schwere Zustand des primären Schar¬ 
lach angegeben, bestehend im Versagen des Zirkulations- 
Apparates und schwerer Beeinträchtigung der psychischen 
Funktionen, während die sekundären Komplikationen 
(Drüsen-Abszesse, Endokarditis, Urämie) durch das Serum 
nicht beeinflusst werden. Als Zeit sind die ersten 4 bis 
5 Tage der Erkrankung als geeignet zur Injektion an¬ 
zusehen. 

Wenn auch diese günstigen Resultate einer Rekon¬ 
valeszenten - Serum - Therapie noch der weiteren Be¬ 
stätigung bedürfen und der Wirkungskreis dieser Me¬ 
thode von vornherein ein beschränkter zu sein scheint, 
so sind sie doch ausserordentlich wertvoll, da sie die 
Hoffnung auf Hilfe eröffnen gerade für die Fälle, denen 
gegenüber unsere Ohnmacht uns bisher am deutlichsten 
zum Bewusstsein kommt 


Fortschritte auf dem Gebiet der Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische Übersicht von l)r. B 1 ü m e 1, Halle a. S., Spezialarzt für 
Hals- und Lungenkrankheiten. 

Fortsetzung 

Auf die Schädlichkeiten des Alkoholismus 
wird von Knoll (9) und Holitscher (14) hinge¬ 
wiesen. In Trinkerfamilisn fand der erste öfter schlechte 
Wohnungen, schlechte Lebenshaltung und Tuberkulose. 
Holitscher fand, dass Trinker, d. h. solche, die 
täglich 3 Liter Bier oder gleiche Mengen Alkohol in 
Form von Schnaps zu sich nehmen, im Alter von lh 
bis 25 Jahren unter tuberkulösen Heilstättenpfleglingen 
nur 5 Proz. sind, im Alter von 25 — 30 Jahren 20,5 Proz., 
zwischen 35 und 45 Jahren 39 Proz. und über 45 Jahre 
64 Proz., d. h. der Tuberkulöse wird in den meisten 
Fällen nicht Alkoholiker, aber der Alkoholiker läuft Ge¬ 
fahr, tuberkulös zu werden, weil seine Widerstandsfähig¬ 
keit gegen die Tuberkulose im höheren Alter sehr stark 
abnimmt. Die Nüchternheit ist auch der Grund, wes¬ 
halb bei Frauen im höheren Alter die Sterblichkeit viel 
geringer ist als beim Manne. 

Sehen wir im Alkoholismus der Eltern auch für die 
Kinder eine wesentlich grössere Krankheitsbereitschaft 
für Tuberkulose, so verschlechtert erbliche Belastung 
mit Tuberkulose allein nach Curschmann (15) die 
i Prognose durchaus nicht. In Friedrichsheim 
machten die erblich Belasteten 20 Proz. aus, standen 
aber nicht anders da wie die Nichtbelasteten. Nach 
Curschmann prädisponiert zwar die 
hereditäre Belastung für die Erwerbung 
jder Tuberkulose, fördert aber gleich- 
■zeitig das Weiterschreiten der erwor¬ 
benen Krankheit nicht. Nein, eher begünstigt 
sie die Besserung und Heilung. Curschmann 
nimmt daher an, dass bei den sogenannten Belasteten 
eine von den Eltern überkommene, oder auch vielleicht 
durch öftere kleine, wieder überwundene Infektionen 
erworbene immuntätsfördernde Eigenschaft besteht. 
Andererseits werden allerdings diese Immunitäts¬ 
bestrebungen des Organismus infolge der erhöhten Ex¬ 
position gelegentlich durch massive Infektionen gestört, 
die zur manifesten Erkrankung führen. 

H a r t’s Feststellungen über die Disposition 
der Lungenspitzen zur Tuberkulose 
werden von Küchenhoff (16) zu stützen gesucht. 
Nach ihm führen der hohlrunde und der runde Rücken 
zu leichten kypholischen Krümmungen des oberen Teiles 
der Brustwirbelsäule und damit zur Raumbeeinträchtigung 
der Lungenspitzen. Die Folge ist eine persistierende 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









Nr. 16. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


155 


S c h m o r 1 ’ sehe Rinne und die Birch-Hirsch- 
f e 1 d ’ sehe Verkrümmung des hinteren oberen Spitzen¬ 
bronchus. Die tuberkulöse Infektion der Lungen erfolgt 
auch duichaus nicht immer in der Spitze. Die Spitzen¬ 
tuberkulose 'zeigt aber sehr oft die Neigung voranzu¬ 
schreiten, während die primäre Tuberkulose der übrigen 
Teile meistens zur Ausheilung neigt. Die Gründe dafür 
müssen hauptsächlich in mechanischen Verhältnissen 
liegen. 

Einen neuen Beitrag zur Pathologie der Tuberkulose 
liefert Hart (17). Er fand bei 63,4 Proz. der Sek¬ 
tionen kranke Lungenspitzen. (L u b a r s c h : 62,2 Proz., 
Arth 68 Proz., ßeitzke 51,4 Proz.) Die Unter¬ 
schiede erkären sich aus örtlichen Verschiedenheiten. 
Wichtig ist, dass nicht wie durch N a e g e 1 i bei fast 
allen Sektionen von Erwachsenen Tuberkuloseerschei¬ 
nungen gefunden wurden. In der Hälfte der Fälle fand 
Hart geheilte und latente Tuberkulose, in den anderen 
fortschreitende. Im höheren Alter kamen kaum noch 
progrediente, sondern meistens nur noch latente Fälle 
vor. Die Tuberkuloseinfektion ist also um so ungefähr¬ 
licher, je vorgeschrittener das Lebensalter ist, in dem 
sie einen Menschen befällt. R ö m e r’s Ansichten 
können ganz zu Recht bestehen, denn die gefundenen 
Spitzenherde waren vielfach jünger. Am meisten 
sprechen mechanische Verhältnisse für 
die erhobenen Befunde. 

2. Diagnostik. 

In der Tuberkulindiagnostik wird in 
letzter Zeit von den verschiedenen Formen wieder mehr 
die subkutane bevorzugt. Die Reaktion am 
Krank hei tsherd wäre das Einzige, das diese 
Bevorzugung rechtfertigen kann Ich sah sie nicht oft 
genug, um mich nicht in den meisten Fällen mit der 
Pirquet sehen Hautprobe begnügen zu können. 
Auffällig ist, dass auf eine Rundfrage der „Medizinischen 
Klinik“ die Mehrzahl der Autoren antwortete, dass sie 
auf a k t i v e Tuberkulose schliesse, wenn die Sub¬ 
kutanprobe positiv sei. Die Anstaltsärzte 
und Tuberkulosespezialisten stehen meistens in einem 
gewissen Gegensatz zu dieser Ansicht. 

Welche Vorsicht man gebrauchen muss, will man 
die Impftuberkulose des Meerschwein¬ 
chens zur Sicherung der Diagnose heranziehen, darauf 
weist Feyerabend (19) hin. Es fanden sich unter 
den Versuchstieren mehrfach tuberkulöse Meer¬ 
schweinchen und es Hess sich nachweisen, dass die 
Ansteckung auf eine kranke Ziege zurückzuführen war. 
Her Bazillus wies den Typus bovinus auf. 

Mit den Abderhaldenschen Dialysier- 
v erfahren arbeiten Jessen (20) und Gumpertz 
(21). Die Versuche förderten bemerkenswerte Ergeb¬ 
nisse zutage, wenn sich auch sicher ein diagnostischer 
Schluss weder aus dem positiven noch aus dem nega¬ 
tiven Ausfall der Reaktion ziehen lässt. Nur soviel lässt 
sich sagen, dass die Abderhalden sehe Reaktion 
besonders unter Anwendung von tuberkulösen Organen 
als Antigen entschieden häuliger bei Tuberkulose positiv 
ausfällt als bei anderen Erkrankungen, aber auch bei 
diesen kommt sie nicht so selten vor. 

Über einen modifizierten Komplementbindungs¬ 
versuch berichten Zweig und G e r s o n (22). Sie 
fanden positiven Ausfall in 72 Proz. der Fälle, vor allen 
auch bei Frühfällen. Für die Praxis wäre natürlich die 
Methodik nocli zu umständlich, wenn sie sich bei Nach¬ 
prüfungen anderer bewährte, müsste sie doch den Kliniken 
und Laboratorien Vorbehalten bleiben. 

Die Frage der Tuberkelbazillen Im Blut 
wird in ruhigen Formen weiter erörtert. M o e v e s (23) 
konnte bei 70 Proz. der tuberkulösen Meerschweinchen 
>rn Tierversuch Tuberkelbazillen nachweisen. Rauten- 

Digitized by Google 


b e r g (24) kommt zu dem Schluss, dass ein regelmässiges 
Vorkommen von Tuberkelbazillen im strömenden Blut 
des Menschen in Abrede gestellt werden muss, sogar bei 
Miliartuberkulose gibt es Perioden ohne nachweisbare 
Bazillaemie. 

Der Forscher bestätigt damit ebenso wie die letzten 
Autoren und jüngst auch Artur Mayer (25) die 
Seltenheit der Bazillaemie. Mayer fand sämtliche 
Tierversuche negativ. Eine sehr wichtige Feststellung 
machte er bezüglich der Mobilisierung von 
virulenten Bazillen durch Tuber¬ 
kuli n i n j e k t i o n. Sie liess sich nicht erweisen, 
im Gegensatz zu den früheren Feststellungen von Ra- 
binowitsch und Bacmeister. Das spräche 
für die Ungefährlichkeit der Subku¬ 
tan p r o b e. Mayer stellte auch fest, dass die 
tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen in der Milch stillender 
Frauen keine Tuberkelbazillen sind. Das Finden von 
Tuberkelbazillen im Blut — — so betont M ayer mit 
der Mehrzahl der übrigen Autoren — — ist für die 
Diagnose und Prognose der Tuberkulose gleich- 
g il 1 t i g. 

Zur Sicherung der Diagnose bei Erwachsenen, bei 
denen kein Sputum zu erhalten ist und vor allem in der 
Paediatrie empfehlen Schöne und Weissen- 
f e 1 s (26) Atherausschüttelungen der Faeces, deren 
Bodensatz — sie werden vorher mit Wasser verrührt 
und zentrifugiert — gefärbt wird. Die Bazillen stammen 
— — entgegen Rabinowitsch — — nicht aus 
der Galle, sondern aus verschlucktem Sputum her. Die 
Bestimmung des Eiweissgehalts vom Sputum und 
dessen Wert für Prognose und Diagnose nimmt noch 
immer einen verhältnismässig breiten Raum ein. Ich 
wies schon früher darauf, dass seine vorsichtige Be¬ 
wertung hier und da m i t helfen kann zur Diagnose und 
Schwankungen manchmal prognostisch verwertet werden 
können. Sich nur auf solche Diagnose festlegen, nur 
sie entscheiden lassen, hiesse verhängnisvolle Irrtümer 
begehen Warme Fürsprecher sind der Eiweissreaktion 
des Sputums in Gelderblom (27) und M e 1 i k - 
j a n z (28) entstanden. Während der erste sich dahin 
entscheidet, dass das Auftreten von Eiweiss im Sputum 
bei Lungentuberkulose von einem frischen Prozess in 
der Lunge zeugt und die Schwankungen im Eiweiss¬ 
gehalt prognostische Schlüsse zulassen, hält der letzte 
die Eiweissprüfung für ein wichtiges Frühzeichen der 
Lungentuberkulose und ein ebenso wichtiges progno¬ 
stisches Zeichen.-Auf der anderen Seite lehnt 

Schneider - Bonn (29) die Eiweissprüfung bei 
Lungentuberkulose als nicht spezifisch ab. Denn sie 
versagte bei mehr als 15 Proz. Sie hängt mit dem 
Eitergehalt des Sputums zusammen und hat keine be¬ 
sondere diagnostische Bedeutung. 

M a 1 i v a - Greifswald (30) bringt bemerkenswerte 
Beiträge zur ChemiedesSputums. Er unter¬ 
suchte die N.-Ausscheidung, meist bei offenen Tuber¬ 
kulosen, in dem er die Hämoptoiker ausschloss. Er 
fand, dass der N.-Gehalt des Sputums für den einzelnen 
Fall mit ziemlich gleichbleibender Form der Erkrankung 
innerhalb der klinischen Breite eine recht konstante 
Grösse ist. Eine Zunahme des N.-Gehalts ist wohl zu¬ 
meist auf eine Steigerung der exsudativen Vorgänge 
zurückzuführen. Beim Vergleich verschiedener Patienten 
lässt sich aber durch die chemische Bestimmung nicht 
erkennen, wieviel auf den begleitenden, nicht spezifischen 
Katarrh kommt, auch beim Vergleich verschiedener 
Krankheiten wie Tuberkulose, Pneumonie in Lösung, 
Bronchiektasien usw. ist in differentialdiagnostischer Be¬ 
ziehung die einzelne Stickstoffbestimmung unbrauchbar. 
Bei ein und derselben Person kann jedoch die zahlen- 
mässige Darstellung des Stickstoffgehalts einen Anhalts¬ 
punkt geben, ob Fortschreiten der Erkrankung und 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A' 
URBANA-CHAMPAIGN 









Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 16. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


157 


schon zu der Zeit, in der die Wundbehandlung noch nicht 
abgeschlossen ist. Bei der Anlegung von Verbänden ist dafür 
zu sorgen, dass die nichtverletzten Gelenke beweglich bleiben 
und dass die Muskulatur möglichst wenig leidet Das was 
gesund ist, muss gesund bleiben! 

Für die Nachbehandlung der Folgezustände nach Ver¬ 
wundungen und Verletzungen ist die Güte des Massagepersonals 
ausschlaggebend. Ein wirklich gut ausgebildeter Masseur und 
Heilgymnast ersetzt die besten Apparate; es fehlt uns aber selbst 
in grossen Krankenhäusern durchaus an derartigen Leuten. 
Auf die Massage und Heilgymnastik wird von uns in Deutsch¬ 
land noch zu wenig Gewicht gelegt; der Grund hierfür ist da¬ 
rin zu suchen, dass unsere Aerzte in der Massage und Heil¬ 
gymnastik nicht genügend ausgebildet werden. 

N e u m a n n. 


Innere Medizin. 

Ehret, Zur Kenntnis der Herzschädigungen bei Kriegs¬ 
teilnehmern. (M. Med. Wscbr. Feldärztl. Beil. 20, 18. V. 15.) 

Der Prozentsatz von 6,6 Herzkranken erscheint ein sehr 
beträchtlicher; er ist entschieden grösser als im bürgerlichen 
Krankenmaterial Dies entspricht der Tatsache, dass der Krieg 
an das Herz weit grössere Anforderungen stellt, als der Zivil¬ 
beruf, wo das Gefühl des „nicht mehr können“ sich früher in 
Ruhe umsetzen darf und kann, abgesehen davon, dass noch 
andere Schädlichkeiten, Alkohol, Rauch, vielleicht im Felde eine 
grössere Rolle spielen und auf die dauernd überanstrengten 
Herzen noch ungünstiger einwirken, als dies im Frieden der Fall 
ist. Weiter unten im Kap Herzmuskelerkrankungen 
(treten öfter scheinbar ohne richtige Ursache auf, nachdem 
fieberhafte Erkrankung, z. B Angina, vorhergegangen war). 

„Starkes Rauchen und Alkoh dgenuss scheinen bei Leuten mit 
überstandener Infektion besonders ungünstig zu wirken.“ — 
„Ebenso häufig wie akute Schädigungen finden sich chronische Ver¬ 
änderungen des Herzmuskels bei aus dem Felde ein gelieferten 
Kranken mit Herzbeschwerden. Als Ursache der bestehenden 
chronischen Myocarditis Hessen sich fast in sämtlichen Fällen 
entwender vorangegangener Gelenkrheumatismus oder Alkohol¬ 
missbrauch (2 Fälle von richtigem sogenannten Münchener 
Bierherz) oder Syphilis uachweisen.“ N e u in a n n 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

K. B a i s c h-Stuttgart, Erfolge der Mesothorlumbehand- 
lung bei 100 Uternskarzinoinen. (Sonderdruck a. d. Münchener 
med. Wochenschr. 1915, Nr. 49. i 

Seit Februar 1914 hat Verf. alle Uterus und Scheiden¬ 
karzinome mit verschwindenden Ausnahmefalleii mit Mesothorium 
und Radium behandelt und mit den ersten 100 Fällen die Be¬ 
handlung abgeschlossen, wovon der erste Fall 1% Jahre, der 
hundertste Fall sechs Monate zurückliegt und genaue Kontrolle 
über diese Fälle geübt. 

Von Dauerresultaten spricht Verfasser folgerichtig nicht, 
sondern hält seine Ergebnisse lediglich für die Frage der 
Strahlenbehandlung operabler und beginnender Karzinome mass¬ 
gebend. 

Verf. teilt diese Fälle unter dem Gesichtspunkte der Aus¬ 
breitung des Karzinoms und der Operabilität in 3 Gruppen ein. 

Erste Gruppe, die völlig inoperablen Fälle in der Zahl 
von 43. Hiervon sind 20 gestorben, 22 sind ungeheilt geblieben 
nur 1 Pat. geheilt. Bei letzterer handelte es sich um ein 
Rezidiv nach abdomineller Radikaloperation. 

Zweite Gruppe, Eben noch operable Fälle mit nicht bis 
zur Beckenwand reichender karzinomatöser Infiltration eines 
oder beider Parametrien in der Zahl von 20 Fällen. Davon 
sind 4 gestorben, 6 ungeheilt, 10 geheilt. Bei den geheilten 
Fällen war makroskopisch oder palpatorisch nichts Verdäch¬ 
tiges mehr nachzuweisen, demnach vorläufig 50° 0 Heilung. 

Dritte Gruppe. Auf den Uterus beschränkte, gut operier¬ 
bare Karzinome in der Zahl von 37 Fällen. Davon — der 
älteste liegt 1 8 / t Jahre, der jüngste 6 Monate zurück — sind 
5 gestorben, 4 ungeheilt, 28 geheilt, demnach vorläufig 
'5" o Heilung. Von diesen 37 Fällen waren acht beginnende 
Fälle, wo das Karzinom nur auf eine Muttermundslippe be -1 

Digitized by Google 


schränkt war, welche sämtlich innerhalb einer Zeit von 22—6 
Monaten geheilt sind. 

Von 57 °/ 0 operablen Patienten sind also 9 gestorben, 
demnach wären nach dem Prozentsatz der Mortalität der er¬ 
weiterten Karzinomoperation, welcher 16% mindestens beträgt, 
diese Patienten nach Verf. bereits früher als nach der Strahlen¬ 
behandlung gestorben, wobei die Operabilität in gleicher Höhe 
wie bei Wertheim, Schauta, Krönig und Döderlein steht. 
Verf. bespricht noch 13 Fälle von Rezidiv nach früheren 
vaginalen oder adominellen Totalexstirpationen, von denen 
4 geheilt, 4 ungeheilt und 5 gestorben sind, ferner 15 Korpus¬ 
karzinome, von denen 4 gestorben und 11 geheilt wurdeu, 
welche eigentlich in die aufgezählten drei Gruppen hineinge¬ 
hören. 

Nachdem Verf. die immer noch nicht abgeschlossene 
Technik der Mesothorium-Radiumtherapie kurz dargelegt, fasst 
er auf Grund seiner klinisch einwandfreien Beobachtung dieser 
100 Fälle seine diesbezüglichen Erfahrungen wie folgt zu¬ 
sammen; 

1. Radium und Mesothorium versagt bei völlig inoperablen 
Fällen, bilden aber das beste Palliativmittel. 

2. Die bei operablen Fällen erzielten vorläufigen Heilungen 
übertreffen bisher die durch Operation in derselben Beobach¬ 
tungszeit erreichbaren Resultate. 

3. Operable Fälle geben eine um so günstigere Prognose 
je weniger weit das Karzinom vorgeschritten ist. 

Diese vorläufigen Resultate des Verf. bilden eine ganz 
bemerkenswerte Ergänzung der im fahre 1913 auf der denk¬ 
würdigen Hallenser Tagung der deutschen Gesellschaft für 
Gynaekologie erstatteten ersten Berichte über die Strahlenbe¬ 
handlung hei Uteruskarzinom, zu welcher Verf. bereits damals 
Beitrag leistete. E k s t e i n - Teplitz-Schönau. 

Dr. W. R a u s c h - Stuttgart, Heilung eines Vnlva-Karzi- 
nonis mit dem Zeller'srben Verfahren. (Sonderdruck aus der 
Münchener mediz. Wochenschrift 1915, Nr. 47.) 

Verf. behandelte eine messerscheue Patientin, bei welcher 
er und Professor B a i 8 c h - Stuttgart ein Caucroid der Clitoris 
nnd des rechten Labiuras ohne inguinale Drüsenschwellung 
konstatiert hatten, nach dem Zeller’schen Verfahren. 

Nach vier Wochen war das 14 Tage nach Applikation 
der Zeller’schen Pasta in toto nekrotisierte Cancroid heraus¬ 
gefallen, die dadurch entstandene granulierende Höhle völlig 
überhäutet Während dieser Zeit waren die regionären Lymph- 
drüsen zu einem hühnereigrossen Paket augeschwollen, welche 
sich durch Röntgenbehandlung wesentlich verkleinerten. Eine 
mikroskopische Untersuchung der erkrankten Teile wurde nicht 
vorgenommen. Nach % Jahreu war das Cancroid noch geheilt 
die Lyniphdrüsen jedoch noch vergrössert. Pat. hat um 15 Pfund 
zugenommen Auf Grund dieser Erfahrung will Verf. das 
Zeller'scbe Verfahren wieder in Erinnerung bringen. (Die 
Pasta gleicht der von Cosmi Hebra. Ref.) 

E k s t e i n - Teplitz-Schönau. 


Medikamentöse Therapie. 

Scheffen, Romauxan, ein eisenhaltiges Nähr- und Kräf¬ 
tigungsmittel. (Kl. therap Wochenschr. 1915, Nr. 43.) 

Das Romauxan wurde im besonderen in einigen Fällen 
von Schulanämie, Skrofulöse, Neurasthenie, Anämie nach Blut¬ 
verlusten, Chlorose und Morbus Basedow, verabreicht. Ausser¬ 
dem wurde es mit gutem Erfolge bei mehreren in der Ent¬ 
wicklung zurückgebliebenen kleineren Kindern angewandt. Ein 
11/ 2 jähriges Kind, das schwer zahnte und häufig an Krampf¬ 
anfällen litt, erhielt 3 Monate lang Romauxan. Die Zahnung 
▼erlief leichter, die Krampfanfälle blieben nach 4 Wochen 
gänzlich aus. Nach 3 Monaten war eine Gewichtszunahme 
vou 7 Pfund zu verzeiclmeu. 

Bei stillenden Müttern ist Romauxan ebenfalls ein nicht 
zu unterschätzendes Unterstützungsmittel. 

Das Romauxan ist als ein ausgezeichneter Blutbildner und 
als vorzügliches Nähr- und Kräftigungsmitte! zu bezeichnen. 
Es ist sehr gut bekömmlich und kann hei Erwachsenen und 
Kindern in den verschiedensteu Formen Anwendung finden. 
Der Kostenpunkt ist sehr mässig. N e u m a n n. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





158 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN*. 


Nr. 16 


Bücherschau. 

Carl Oppenheimer - Berlin - Grunewald, Stolf- 
wcehselfermente. (Sammlung Vieweg, Heft 22. — Braunschweig 
1915. — 92 Seiten, Mk. 2.80.) 

Der Verlag Fr. Vieweg & Sohn in Braunschweig bespricht 
in handlichen Heften Tagesfragen aus deu Gebieten der Natur¬ 
wissenschaften und Technik. So hat sich z B. Heft 3 mit 
dem Blöriotflugapparat, Heft 6 mit Brennereifragen, Heft 13 
mit Kalenderwesen beschäftigt. Im vorliegenden Heft bespricht 
Oppenheimer die beim Stoffwechsel tätigen Fermente. 
Unter Stoffwechsel begreift er 1. die synthetischen Vorgänge in 
der lebendigen Substanz. 2. die Abnutzungsvorgänge durch 
Hydrolyse. 3. den Energie-Verbrauch durch Oxydationen. 

Die Fermente kann man sich teils ziemlich lose im Zell- 
innern denken, teils fester mit dem Protoplasma verbunden 
und nur bei dessen plötzlicher Zertrümmerung erhältlich. Eine 
dritte Gruppe von Fermenten ist überhaupt nicht von der 
lebenden Substanz zu trennen. 

Oppenheimer führt den Leser mit sicherer Hand 
in dieses Gebiet, das noch voller Fragen und Rätsel ist, und 
erweckt in ihm sicherlich die Überzeugung, dass die Zukuuft 
der Physiologie zum guten Teil dieser Mikrochemie angehört, 
an deren Wiege wir offenbar stehen. Was mag in 25 Jahren 
aus den Ansätzen von heute geworden sein? „La Science ne 
progiesse qu’en se dötruisant tous les 25 ans“ (Pasteur). 

Buttersack. 

Prof. Dr. H. G o c h t, Anleitung zur Anfertigung von 
Schienenverhänden. Mit 35 Textabbildungen. 20 Seiten. 
(Verlag von Ferd. Enke, Stuttgart. Preis 1.20 Mk.) 

Del' Verfasser schildert in dieser kurzen Broschüre eine 
bestimmte Art von Schienenverbandstechnik, die ihre praktischen 
Erfolge während der ersten 6 Kriegsmonate in den vorderen 
Sanitätsformationen ergeben hat und demzufolge im besonderen 
den Forderungen dieser Formationen angepasst worden ist. 
Hier kann in Zeitabschnitten einer enormen Verwundetenver- 
sorgung nur ein sorgsam und einfach durchgeführtes Schema 
seine Aufgabe erfüllen, das mit den einfachsten Behelfsmitteln 
in kürzester Zeit die bestmöglichste Abtransportierung der Ver¬ 
wundeten garantiert, während spezifisch individuelle Behandlung 
der einzelnen Fälle doch den weiter zurückliegenden Lazaretten 
oder der weniger beanspruchten Zeit im Interesse des schnelleren | 
Abtransportes überlassen bleiben muss. Besonders gilt an den 
vorderen Stellen für Extremitäteufrakturen das: „nil nocere‘‘in 
Beziehung auf den Transport. G. geht hierbei in erster Linie 
von dem Grundsatz aus der unbedingten Immobilisation des 
verletzten Extremitätenabschnittes mit Einbeziehung der an 
grenzenden Geleukpartien, fordert Fensterung oder Brückeu- 
verbände bei ausgedehnten Zerstörungen, warnt vor dem Ge¬ 
brauch der Volkmann’schen Schiene zu Immobilisationszvvecken 
und schafft hauptsächlich mit Schusterspan, Bandeisen und 
Mullbinden einen brauchbaren, billigen Ersatz der Cramer- 
schiene. Seine biegsamen Bandeisen-Spanschienen werdeu in 
verschiedenen Längen auf Vorrat hergestellt, sodass die Ver¬ 
wendungsmöglichkeit dieser Schiene bei Extremitätenfrakturen 
durch Zusainmenbiuden einzelner Schienen unbegrenzt ist (ähn¬ 
lich der Cramerschiene) und eine schnelle Versorgung der 
Verwundeten gestattet. Iu mit guten Abbildungen und mit Mass- 
verhältnissen belegten Schemata gibt Verfi eine klare Uebersicht 
über diese Verbandstechnik. Besonders gut erscheint mir der 
Immobilisationsverband der unteren Extremität mit dem am 
Talo-Crural-Gelenk senkrecht stehenden kurzen Schienen, die 
gleichzeitig zur Fixation des Fussgelenkes in rechtwinkliger 
Stellung benützt werdeu und somit schon frühzeitig eine Spitz- 
fussstellung bekämpfen. Die kleine Broschüre erfüllt voll¬ 
kommen den Zweck, eine Anleitung zur Anfertigung von brauch¬ 
baren Transportschieneuverbänden zu geben. Eine kritische 
Besprechung anderer Schienensysteme enthält diese Broschüre 
nicht. F. R Mühlhaus - München. 

The Svedberg (Upsala), Die Materie. (Ein 
Forschungsproblem in Vergangenheit und Gegenwart. Deutsch 
von Dr. H. Finkeistein. Leipzig 1914. Akadem. Verlagsg. 
162 S., Mk. 6.50 bezw. 7.50.) 


„Man kann Bich über alles verständigen, nur nicht über 
Dinge, an welche das menschliche Begriffsvermögen nicht hin¬ 
anreicht, und gerade über solche Begriffe hat man 18 Jahr¬ 
hunderte hindurch gestritten.“ Dieser Satz unseres grossen 
M o 1 t k e wird durch die vorliegende Studie aufs neue illustriert. 
Der gelehrte Verfasser führt uns in anregender Weise durch 
die Jahrtausende und legt dar, wie man sich seit den Griechen 
bis auf die heutigen Forscher mit dem Problem der Materie 
abgefunden hat. Gewiss sieht unsere dermalige Wissenschaft 
anders aus als jene von Anaximenes, Heraklit, 
Anaxagoras usw. Allein bei genauerem Zusehen er¬ 
kennt man doch, dass wir uns noch im gleichen Vorstelluugs- 
kreis bewegen. Das ist auch weiter nicht wunderbar: liegen 
doch nur kaum 90 Generationen zwischen uns und jenen 
Denkern. 

Das flüssig geschriebene Buch wird jeden fesseln, ebenso¬ 
wohl durch seinen Inhalt, wie durch die Gedanken, die sich 
unwillkürlich darüber hinaus daranknüpfen. 

Bu 11 e r b a c k. 

W. Wund t, Sinnliche und übersinnliche Welt. (Alf. 
Kröners Verlag 1914. Leipzig 423 S., Mk. 8.— bezw. 9.) 

Nur mit Ehrfurcht nimmt man ein Buch zur Hand, in 
welchem ein Forscher von welthistorischer Bedeutung am Ende 
eines arbeitsreichen Lebens gewissermassen sein Glaubensbe¬ 
kenntnis ablegt. Die Kritik macht halt vor einer Persönlich¬ 
keit, wo diese sich selbst als organisches Produkt von Geschichte, 
Erkenntnistheorie und Metaphysik gibt. Erscheinungen wie 
W u n d t sind Geschenke der immer tätigen Schöpfung, die 
uns fördern, indem wir sie studieren. 

Gerade in unseren Tagen fragt sich gewiss manch einer, 
ob wir in einem Chaos, in einem allgemeinen Zusammenbruch 
leben, oder ob hinter den Ereignissen voll Schrecken irgend 
eine leitende Hand steht Gewiss ist das, was W u n d t über 
die verschiedenen möglichen Weltbilder sagt, über Sein und 
Erscheinung, Sein und Bewusstsein, in dem positivistischen 
Kapitel: Wahrheit und Wirklichkeit, und in dem metaphysischen: 
Die Einheit des Seins, von bleibendem Wert. Aber für den 
Augenblick fesseln doch wohl die „überindividuellen Einheiten“ 
als die ewigen Richtkräfte der sittlichen Welt im geschichtlichen 
Leben den Leser am meisten. Wenn W u n d t von der ab¬ 
geklärten Höhe seiner philosophischen Warte darlegt, wie 
„selbst das unseren sittlichen Wertgefühlen Widerstreitende 
als ein Faktor geschichtlicher Entwicklung ein wichtiges Motiv 
sittlicher Entwicklung werden kann,“ so eröffnet er uns be¬ 
ruhigende Aussichten in die Zukunft, Das Bewusstsein, dass 
die Zeiten des Leids nur Durchgangsstationeu sind, erfüllt uns 
mit neuem Mut und Zuversicht. 

Freilich ist damit das Gebiet der exakten Naturwissenschaft 
weit überschritten. Aber ist sie wirklich das einzige, des menseh- 
j liehen Geistes würdige Forschungsgebiet ? — Die Not der Zeit 
lehrt uns, Blicke hinter die Kulissen des Wäg- Sicht- und 
Mikroskopierbaren zu tun. Wer in und nach dem Krieg die 
religiösen, metaphysischen Bedürfnisse seines Herzens befriedigen 
will, wird in W u n d t s Testament einen treuen Führer 
finden. Buttersack. 


P. G. Unn a - Hamburg, Ille Sauerstotforte und Reduk- 
tlonsorte. (Arch. f. mikroskop. Anatomie, Band 87, Abt. 1 
8. 96—150 mit 6 Tafeln. 1915. Friedr. Cohen, Bonn.) 

Im Verfolge seiner biochemischen Studien kommt Unna 
mit Hilfe einer Methylenblau-Rongalitweissfärbung dazu, in 
den Geweben Reduktionsorte (Keratin, Myosin, Neurin) und 
Sauerstofforte (Granoplasma, Kernkörperchen, saure Kerne, 
Knorpelgrundsubstanz i nachzuweisen. Bei den letzteren kann 
man wieder labile und stabile unterscheiden, in welch letzteren 
sich ständig und automatisch Peroxydsauerstoff aufspeichert. 

Die Arbeit ist in der Hauptsache färbetechnisehen Er- 
eröterungen gewidmet, bringt aber auch manches allgemein 
Interessante, z. B. die abnorme Sauerstoffverteilung iu und 
nach dem Tode, die Wirkung von Giften, die Zerstörung der 
Leukozyten durch die Gonokokken, so dass in Umkehrung der 
| üblichen Vorstellungen Unna die Phagokokken den Phago- 
1 zyteu gegenüberstellt. Butters ack. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbucbdrucker, Langensalza 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33 Jahrgang. 


1915/16. 


Tortsdirim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg. 


Unter Itiitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig 


Nr. 17 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff 4 Co., G. m. b. H , Berlin NW. 87. — Alleinige Inseratenannahme durch 20. März 
Qelsdorf 4 Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. ; 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Vom Rechte des Arztes zur Verweigerung des 
Zeugnisses und des Gutachtens. 

Von Dr. Hans Lieske, Leipzig. 

Bekanntlich bedroht das Strafgesetzbuch ') den un¬ 
befugten Geheimnisbruch des Arztes mit Strate. 

Weiter berechtigt die Strafprozessordnung *) die 
Arzte zur Verweigerung des Zeugnisses hinsichtlich 
dessen, was ihnen bei Ausübung ihres Berufes an¬ 
vertraut ist. 

In diesen beiden Thesen kann eine Zweifelsfrage lie¬ 
gen. Ihre Lösung aber führt, wenn sie richtig ist, zu 
einer gewissen Inkonsequenz. Vorerst die Frage. Sie lautet: 

Dürfen Arzte hinsichtlich des ihnen Anvertrauten 
überhaupt Zeugnis ablegen, wenn sie hierzu nicht aus¬ 
drücklich ermächtigt sind, oder bindet nicht vielmehr 
das Schweigegebot des Strafgesetzbuches absolut, so 
dass jede Kundgabe von Berufsgeheimnissen unbefugt 
ist ? 

Hier greift der unzweideutige Wortlaut der Prozess¬ 
ordnung aufklarend ein, sofern er zur Geheimhaltung 
des Anvertrauten vor Gericht zwar berechtigt, nicht 
aber verpflichtet. Also ist Ablegung oder Verweigerung 
des Zeugnisses in des Arztes freies Ermessen gestellt. 

ln der Angabe eines von dem Richter geforderten 
Zeugnisses kann eine „unbefugte“ Offenbarung in straf¬ 
rechtlichem Sinne nie begründet sein. 3 ) 4 ) „Auch 
wenn der Zeuge durch sein Reden einen noch so gro¬ 
ben Vertrauensbruch seinem Gewährsmann gegenüber 
begeht, darf und muss das Gericht sich über solchen 
Verrat hinwegsetzen und den das Geheimnis unbefugt 
Preisgebenden als Zeugen vernehmen .“'-) Das Stau¬ 
nen ob solcher Lösung ist nur allzuberechtigt. Ver¬ 
gegenwärtigt man sich den Zweck des Verbots des 
Geheimnisbruches, so muss die Durchbrechung jenes 
Prinzips der Pflicht zur Verschwiegenheit schlechterdings 
unerfindlich erscheinen. Der Kranke soll um seiner 
selbst willen, wie letzten Endes zugunsten des an einer 
durchgreifenden, erfolgreichen Gesundheitspflege auf 
das lebhafteste interessierten Staates in vollstem Ver¬ 
trauen zur Diskretion seines medizinischen Beraters ab¬ 
solute Offenheit walten lassen können. Eine solche 
Möglichkeit zu garantieren, wurde der Geheimnisbruch 
unter Strafe gestellt. Natürlich hat nun kein Patient 
am Verborgenbleiben von Krankheiten, deren Be¬ 
kanntwerden ihm gleichgültig sein kann, irgend welches 
Interesse. Erst wenn Erkrankungen in Frage kommen, 
die in den Augen der Mitwelt dem Kranken zum 
Nachteil oder zur Unehre gereichen, erst dann 
setzt das Schutzbedürfnis ein. In demselben Augenblick 

Digitized by Google 


aber hakt auch das Gesetz aus. Den höchsten Prozent¬ 
satz der Leiden, die jeder davon Befallene ängstlich 
verbergen möchte, stellen natürlich die sog. „geheimen 
Leiden“, also vor allem die Geschlechtserkrankungen. 
Wie nötig gerade hier rückhaltlose Offenheit tut, weiss 
jeder Mensch. Hier müssen also die gesetzgeberischen 
Kautelen insonderheit einsetzen, um einen starken Ver¬ 
trauensschutz zu verbürgen. 

Geschlechtskranke können aber um ihrer Krankheit 
willen recht leicht m Gerichtsverhandlungen wegen er¬ 
littener Beleidigungen oder angeblich oder auch tat¬ 
sächlich verübter Körperverletzungen verwickelt werden. 
Der Arzt wird solchenfalls meist der einzige Zeuge von 
Belang sein. Zweifellos verbessert es also seine Position 
dem Kranken gegenüber erheblich, wenn ihn das legislato¬ 
rische Postulat absoluter Diskretion deckt. Die Vorschrift 
der Strafprozessordnung über die Berechtigung zur Able¬ 
gung des Zeugnisses muss danach eine Sinn- und Zweck¬ 
widrigkeit manifestieren. Es ist deshalb vorgeschlagen 
worden, durch Gesetzesnormen dafür zu sorgen, dass 
das Geheimnis nur in einem engen Kreis bekannt und 
dadurch der an der Geheimhaltung Interessierte mög¬ 
lichst nicht geschädigt wird. Ein solcher Ausweg 
scheint nach Finger*) auch den Wünschen der Arzte 
zu entsprechen, um ihre Gewissenskollisionen als Zeugen 
vor Gericht zu mindern. Hierdurch meint Finger auch 
dem Übel steuern zu können, dass de facto zum Scha¬ 
den der Rechtspflege die Aussage meist verweigert wird. 
Über den Schaden für die Rechtspflege zufolge der 
Zeugnisverweigerung lässt sich indes streiten. Bei 
der Regelung der Zeugnispflicht verdienen vornehmlich 
zwei Interessenten legislarorische Betrachtung, es ist 
der Dritte, der das Geheimnis dem Zeugen anver¬ 
traut hat und der Staat, der gern in das Geheimnis 
eindringen möchte. Weshalb der selber gar nicht 
interessierte Zeuge die Entscheidung darüber ab¬ 
geben soll, ob das Geheimnis gewahrt wird, ist 
schlechterdings nicht einzusehtn. Entweder erscheint 
das Vertrauensverhältnis dem Staat als der Respektierung 
bedürftig: dann darf er es nicht durch den Vertrauens¬ 
mann nach Lust und Belieben verletzen lassen : oder es er¬ 
scheint ihm nicht als so wichtig, dass die strafprozes¬ 
suale Wahrheitsforschung darunter leiden müsste; dann 
darf er nicht dem Vertrauensmanne zu Liebe von dem 
Eindringen in das Geheimnis Abstand nehmen. Nicht 
der Geheirr*iisempfänger ist es ja. auf den es ankommt, 
sondern der Geheimnisgeber, nicht dem Schutze jenes, 
sondern dem Schutze dieses gilt das Beweisverbot 7 ). 
Der hier proklamierten Forderung, nach welcher sich 
der Staat unter Berücksichtigung der kundgetanen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





160 


Fortschritte; de:r Medizin. 


Nr. 17 . 


Antithesen für ein aut-aut entscheiden soll, gebührt 
gewiss Beifall. Sonst würde eine Nervosität der Kran¬ 
ken und der Ärztewelt, geboren oder gepflegt, die zu 
dem Nutzen einer dem 'Arzt bewilligten alternativen 
Entscheidung ausser jedem Verhältnis steht. 

In der Erkenntnis der Notwendigkeit eines Wandels 
des heutigen Zustandes ist man schliesslich auf den 
Vorschlag verfallen, dass der Inhalt ärztlicher Zeugen¬ 
aussagen nie zur Grundlage werden dürfe eines zum 
Nachteile des Subjekts des Geheimnisses etwa einzu¬ 
leitenden Strafverfahrens. Ein Beispiel hierfür: 

Der H. ist we.;en Körperverletzung der N. angeklagt, 
weil ihm zur Last gelegt wurde, dass er sie infiziert 
habe. Solchenfalls soll nun die Aussage des Arztes 
der N., der bei dieser schon früher eine Krankheit 
wahrgenommen hat, wohl im Prozess gegen H. zu dessen 
Freispruch verwertet werden dürfen, nicht aber die 
Grundlage eines neuen Verfahrens gegen die N. bilden 
können.") Mir scheint, hier wird auf Umwegen ein 
Resultat gesucht, zu dem ein gerader Weg führt. 
Bleiben wir einmal bei dem gegebenen Beispielsfalie 
und vergegenwärtigen wir uns dazu, dass der Richter 
zu einer Verurteilung nur kommen darf bei der vollen 
Überzeugung von der Schuld des Angeklagten: eine 
geschlossene Indizienkette ist hierzu also erforderlich. 
Nun muss aber der Richter bei dem Manko einer 
ärztlichen Zeugenaussage immer mit der Möglichkeit 
rechnen, dass die angeblich Angesteckte bereits infiziert 
war, dass also die Infektion nicht von dem Inkulpaten 
ausgegangen ist oder auch, dass letzterer schliesslich 
von seiner Krankheit überhaupt nichts gewusst hat. 
Ein lückenloser Schuldbeweis wird darum kaum jemals 
lücken, er würde denn mit Hilfe des Arztes erbracht, 
onach muss die Überzahl der Fälle eine Freisprechung 
ergeben, ohne dass um ihrer Herbeiführung willen dem 
Arzte die Berechtigung einer Zeugenaussage über an¬ 
vertraute Dinge eingeräumt zu werden braucht. Kaum 
konstruierbare Ausnahmen aber vermögen natürlich 
eine Durchbrechung des Prinzips der absoluten Ge¬ 
heimniswahrung nimmermehr zu motivieren. Sollte man 
fürder also das Zeugnis des Arztes über ihm an ver¬ 
traute Dinge bei der Erforschung der Schuld ausschal¬ 
ten wollen, so wäre dem Werte der Genehmigung zum 
Verrate des Anvertrauten damit jede Basis endgültig 
entzogen. De lege ferenda wird nach alledem 

eine Änderung der Strafprozessordnung auch in dieser 
Richtung lebhaft zu erwägen sein, wobei es den 
Stimmen und den gemachten Erfahrungen der Ärzte 
beschieden ist, den Reformatoren die bedeutungsvollsten 
Anregungen zu geben. 

Doch nun zurück zum heutigen Rechte. 

Wen will das Strafgesetz in seine Satzungen ein¬ 
beziehen, wenn es den Ärzten ein Zeugnisverweigerungs¬ 
recht einräumt? Diese Frage kann den Vertretern 
der medizinischen Wissenschaft nicht gänzlich gleich¬ 
gültig sein. Vielmehr haben sie ein berechtigtes Inter¬ 
esse daran, den Kreis möglichst eng gezogen zu sehen. 
Denn was für die Schweigepflicht des Strafgesetzbuches 
gilt, das gilt auch von dem Schweigerecht der Straf¬ 
prozessordnung. Der Staat würde, unterstellte er aus¬ 
schliesslich die Ärzte dem Gesetze, damit die Aus¬ 
übung der Heilkunde seitens der geprüften Medizinal¬ 
person fördern 9 ). Und dies tut er auch tatsächlich. 
Denn nach der Gewerbeordnung dürfen sich aus¬ 
schliesslich geprüfte Medizinalpersonen Ärzte nennen. 
Es muss aber angenommen werden, das die Schöpfer 
des Strafgesetzes die allgemein gültigen termini technici 
in dem Sinne angewandt haben, in dem sie alferwärts ver¬ 
standen werden. Der Eimvurf, dass namentlich Natur¬ 
ärzte und Kurpfuscher durch Indiskretionen grosses 
Unheil stiften können und deshalb mit Fug und Recht 
dem Gesetze untertan sein müssten, geht fehl. Freilich I 

Digitized by Google 


will das Gesetz durch das Zeugnisverweigerungsrecht 
der Verhinderung der Heilung von Menschen steuern. 
Wenn es dabei aber ausschliesslich die berufenen Ver¬ 
treter der Heilkunde ins Auge fasst, so ' hat es den 
Schutzwürdigen gegenüber genug getan. Denen, die 
ihre Genesung " an inkompetenter Stelle suchen, erteilt 
das Gesetz aber wie dargelegt, in seinen Normen gleich¬ 
sam einen Ratschlag, indem es die rechte Quelle unter¬ 
streicht. 

Auch den im Ausland approbierten Ärzten wird man 
das Zeugnisverweigerungsrecht abzusprechen haben. 
„Es ist unrichtig zu glauben, dass Approbation durch 
einen ausserdeutschen Kulturstaat der in Deutschland 
erfolgten Approbation rücksichtlich der Bestimmungen 
der Strafprozessordnung gleichzustellen sei. Die 
Gewerbeordnung dokumentiert, dass nach der in 
ihr vertretenen Anschauung nur die in Deutschland 
erfolgte Approbation genügende Garantien bietet 1 "). 
Verfechter der entgegengesetzten Auffassung haben dem¬ 
gegenüber daran erinnert, dass in Deutschland eine 
bedeutende Anzahl weiblicher Ärzte praktiziert. Diesen 
war früher die Erlangung inländischer Qualifikation 
durch die deutsche Gesetzgebung verschlossen, was zur 
E'olge hatte, dass, wie Auerbach ") ausführt, die weib¬ 
lichen Ärzte fast alle im Auslande nach Beendigung 
regelrechter medizinischer Studien das Staatsexamen 
bestanden und ihre Approbation als Ärzte dortselbst 
erlangten. Ein vor längerer Zeit ergangener Beschluss 
des Frankfurter Landgerichts (Frankfurter Zeitung vom 
24. 8. 1001) hat nun den im Ausland approbierten Ärz¬ 
tinnen (und Ärzten) das Zeugnisverweigerungsrecht ab¬ 
gesprochen. Die in einem solchen Entscheid liegende Härte 
soll nicht verkannt werden, solange er gegen die wirkt, 
denen trotz ihres Vollbesitzes der an sichdazu erforderlichen 
Qualitäten gesetzliche F'ormalien die Approbation ver- 
schliessen. Seitdem aber der Erlangung der inländischen 
Qualifikation nichts mehr im Wege steht, hat der ge¬ 
kennzeichnete Gerichtsentscheid seine rigorose Wirkung 
zum guten Teil ein^ebüsst. Soweit man nicht also da¬ 
für kämpft, allen mit der „Heilung“ des Publikums sich 
befassenden Personen ein Recht zur Verweigerung des 
Zeugnisses zu geben, sondern dieses Recht für den er¬ 
strebt, der „der Heilkunst und Heilwissenschaft sich 
berufsmässig widmet und nach Erledigung regelmässiger 
wissenschaftlicher Studien ein wissenschaftliches Staats¬ 
examen abgelegt hat“, hat die hier gestreifte Streit¬ 
frage bei der heutigen Gesetzgebung für die Ärztewelt 
kein brennendes Interesse mehr. 

Weit wichtiger ist die Feststellung, was der Arzt 
als ihm anvertraut zu betrachten hat, bezw. wieweit er 
unter Berufung auf das ihm bei Ausübung seines Berufs 
Anvertraute sein Zeugnisverweigerungsrecht ausdehnen 
darf. Der Zweck des Gesetzes führt ohne weiteres da¬ 
zu, nicht ausschliesslich die unter der Auflage der Ge¬ 
heimhaltung mitgeteilten Tatsachen vor Gericht ver¬ 
schweigen zu dürfen. Der Patient kann zu der Bitte 
um Diskretion schon deshalb ausserstande sein, weil 
er die Natur seines Leidens oft garnicht kennt. Soll 
hier nicht Vernunft zum Unsinn werden, so wird man 
annehmen müssen, dass das Diskretionsersuchen dadurch 
ersetzt wird, dass sich der Kranke in des Arztes Be¬ 
handlung begibt und dem Arzte dadurch einen Einblick 
in seinen körperlichen Zustand verschafft, vorausgesetzt, 
dass dieser Einblick dem Arzte den Schluss nahelegt, 
dem Kranken möchte eine Kundgabe des Leidens, 
wenn er es kennte, unangenehm oder nachteilig sein. 
Lässt sich ein solches Interesse des Kranken an der 
Verschwiegenheit des Arztes vernünftigerweise nicht 
einmal mutmassen, so hiesse es unter Umständen den 
Begriff des Anvertrauens überspannen, obschon ich zu¬ 
gebe, dass man hierüber zweifelhaft sein kann. Meines 
Erachtens aber involviert ein Anvertrauen doch wohl 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







161 


Nr. 17. FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


eine Mitteilung, die man nur einem bestimmten Adres¬ 
saten, keinesfalls aber jedem Menschen machen würde. 
Wenn also ein Arzt bei H. erzählt: „Ich komme eben 
von ihrem Freunde V., der Ärmste hat sich den Fuss 
verstaucht“, so wird der Arzt vernünftiger Deutung zu¬ 
folge nichts ihm „Anvertrautes“ preisgegeben haben. 
Freilich kommt man bei solcher Terminologie unter Um¬ 
ständen leicht ins Uferlose, während es doch zweck¬ 
dienlich ist, gerade hier scharf umrissene und möglichst 
eng gesteckte Grenzen zu ziehen. 

Natürlich ist der Arzt nicht lediglich im Hinblick 
auf körperliche oder geistige Gebrechen seines Patienten 
zeugnisverweigerungsberechtigt. Vielmehr gilt sein Recht 
zur Verweigerung der Aussage eben rücksichtlich aller 
Dinge, die ihm bei der Ausübung seines Berufs an¬ 
vertraut sind. Exempla docent. 

Ein Arzt kommt zu einem Kranken und konstatiert 
eine schwere Gemütserkrankung. Hierdurch wird er zu 
Fragen nach der Entstehungsgeschichte der Krankheit ver¬ 
anlasst, wobei er von dem gänzlichen Vermögensverfall 
der Familie Kenntnis erhält. Zweifellos bildet auch 
diese Kundgabe ein Objekt des Zeugnisverweigerungs¬ 
rechtes. — Ein zweiter Fall. 

Der zu dem Patienten gerufene Arzt stellt Lues fest. 
Er erörtert angesichts dessen die Frage nach der heredi¬ 
tären Belastung und hört, dass schon der Vater Syphi¬ 
litiker war. Solchenfalls wäre dem Arzt auch gegen¬ 
über dem Vater des Patienten bei Erörterungen über 
den Gesundheitszustand ein Zeugnisverweigerungsrecht 
erwachsen; beruht doch auch hier seine Mitwisserschaft 
auf dem ihm bei Ausübung des Berufs Anvertrauten. 
Das Strafrecht nimmt an, im Zweifel gelte das dem 
Arzte in der Praxis Mitgeteilte als ihm anvertraut, eine 
Annahme, die in gleichem Masse auf die Strafprozess¬ 
ordnung zutrifft. Letzten Endes entscheidet natürlich 
nur das Gepräge des einzelnen F'alles, ob der Patient 
zum Arzte, oder ob der Mann zum Mann gesprochen 
hat. Kuriert der Arzt einen Kranken, der ihm beiläufig 
erzählt, er habe sich in zwei Wochen zu duellieren, so 
kann man nicht sagen, der Arzt habe von dem Duell 
in seiner Eigenschaft als solcher Kenntnis bekommen 

Kürzlich hatte sich übrigens das Reichsgericht mit 
der hier behandelten Frage zu befassen. Ohne damit 
wesentlich Neues auszusprechen, erklärte es unter dem 
8. Oktober 1909 1! ) angesichts der Verweigerung des 
Gutachtens seitens des Dr. A., der sich dabei auf seine 
Pflicht zur Verschwiegenheit berufen hatte, die Wei¬ 
gerung für berechtigt. Denn der Arzt durfte sein Gut¬ 
achten nicht nur in Ansehung dessen verweigern, was 
ihm bei Ausübung seines Berufs mündlich oder schrift¬ 
lich von Person zu Person anvertraut war, sondern auch 
bezüglich anderer Wahrnehmungen, die er bei der in 
Frage kommenden Gelegenheit infolge seiner Zuziehung 
als Arzt gemacht hatte. Hinsichtlich des Verteidigers 
sagen die Motive ausdrücklich, zur Verweigerung des 
Zeugnisses genüge es, dass der Zeuge in seiner Eigen¬ 
schaft als Verteidiger von der betreffenden Tatsache 
Kenntnis genommen habe. Nach dem Zwecke des Ge¬ 
setzes muss das Gleiche aber auch für Ärzte gelten. 

Dieses Urteil leitet über zu einigen Worten über 
die Pflicht zur Erstattung und die Befugnis zur Ver¬ 
weigerung von Gutachten. Zur Abgabe medizinischer 
Gutachten sind die Ärzte nach § 7*- Abs. 1 St. P. O. 
verpflichtet. Dort heisst es : 

„Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Er¬ 
nennung Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von 
Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist, 
oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das 
Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begut¬ 
achtung ist, öffentlich zum Erw r erbe ausübt oder wenn 
er zur Ausübung derselben öffentlich bestellt oder er¬ 
mächtigt ist.“ 

Digitized by Google 


Nach dLser Wortfasssung ergibt sich die Notwendig¬ 
keit, auch nicht mehr praktizierende Ärzte der Pflicht 
zur Erstattung von Gutachten zu unterwerfen, weil sie 
„zur Ausübung der Wissenschaft öffentlich ermächtigt 
sind.“ Ein Ausspruch des ü. L. G. München vom 16. 
November 1897 verpflichtet auch Universitätsprofessoren, 
sich als Sachverständige vernehmen zu lassen, wenn die 
Wissenschaft, deren Kenntnis Voraussetzung der Begut¬ 
achtung ist, Gegenstand ihrer Lehraufgabe ist. ”) Die 
Tätigkeit des Gutachters aber erstreckt sich auch auf 
die Vornahme der zur Abgabe des Gutachtens erforder¬ 
lichen, sachverständigen Untersuchung. 

Über das Gutachtenverweigerungsrecht lässt sich nach 
Kenntnisgabe des Rechts zur Verweigerung des Zeug¬ 
nisses nichts Neues sagen. Es genügt hier der Hinweis 
auf § 76 St. P. O. Er lautet: 

„Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, 
das Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachver¬ 
ständigen zur Verweigerung des Gutachtens. Auch aus 
anderen Gründen kann ein Sachverständiger von der 
Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbunden 
werden.“ Nach den Ausführungen Belings '*) wird nun 
die Bedeutung des Rechts zur Auskunftsverweigerung 
häufig dadurch illusorisch gemacht, dass die Praxis 
keinen Anstand nimmt, Durchsuchungen und Beschlag¬ 
nahmen vorzunehmen, um als Beweismittel für die 
Untersuchung bedeutungsvolle Gegenstände zu Tage 
zu fördern. „Weigert z. B. ein Arzt sein Zeugnis über 
die vertraulichen Mitteilungen, die ihm der Patient ge¬ 
macht hat, so wird einfach dem Arzte das Kranken¬ 
journal weggenommen und an der Hand der dort enthal¬ 
tenen Aufzeichnungen das Nötige doch ermittelt.“ 

Ein solches Vorgehen ist indes durchaus ungesetzlich. 
Die Strafprozessordnung schliesst vielmehr gegenüber 
den zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten 
dieses Zwangsmittel ausdrücklich aus. 

») § 300. 

*) § 52. 

“) Vergl. Löwe, St. P. O, Berlin 1907, 12. Aull. S. 298. 

*) Vergl. auch Olshausen, St. G. B. Berlin 1910, S. 1240, wo¬ 
selbst die Zweifelhaftigkeit der Frage anerkannt wird. 

E ) Beling, die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitsforschung 
im Strafprozess. S. 20. 

8 ) Finger in der vergleichenden Darstellung des deutschen und 
ausländischen Strafrechts. Bes. 7. Bd. VIII, S. 3Ö7. 

') Beling, 1. c. 

8 ) Finger I. c. 

') Finger S. 354 

,0 ) P.otschild in Goldammers Archiv, 45. Jahrg. S. 419. 

") Jur. Wochenschrift Bd. 3 1 , S. 381 ff 

’*) Abgedruckt in der deutschen Juristenzeitung 1910, Nr. 1, S. 81. 

18 ) Löwe, S. 338. 

") 1. c. 


Fortschritte auf dem Gebiet der Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische Übersicht von Dr. Blümel, Halle a. S., Spe/.ialarzt für 
Hals- und Lungenkrankheiten. 

Fortsetzung 

3. Physikalische Behandlung. 

Über die Auswahl der Lungenkranken 
für die Volksheijstätte bringt Grau-Rons- 
dorf (41) eine gute Zusammenfassung. Hervorheben 
möchte ich daraus die Forderung, dass die Sichtung 
durch ein Zentralkrankenhaus geschehen soll. — -- 
Schultes-Grabowsee (42) berichtet über den 
Krankenzugang in der von ihm geleiteten Volksheilstätte. 
Von den Patienten hatten 32 Proz. eine offene, 70 Proz. 
überhaupt eine Tuberkulose. Bei 12,8 Proz. war es 
zweifelhaft, ob eine Tuberkulose bestand, 17,2 Proz. 
waren nicht tuberkulös. Sonst wird bei dem 
Durchschnitt der Anstalten die Zahl der Nichttuber- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




162 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN' 


Nr. 17. 


kulösen auf 5 Proz. geschätzt, weil genaue Beobachtungs- 
Stationen die Aufnahme Gesunder verhüten. — — Ich 
halte das, wie schon oben ausgeführt, einstweilen nur 
für einen Wunsch; seine wirkliche Durchführung liegt 
noch in weiter Ferne. Keinem wäre sie willkommener 
wie uns Tuberkuloseärzten in der Praxis. Denn wir 
sehen wie einerseits immer noch gedrängt wird, vom 
Publikum aus, nach Neuerrichtung von I leilunstulten, 
anderseits die ganze Not aber daher kommt, dass die 
Nichttuberkulösen den Kranken den Platz wegnehmen; 
denn wenn l / 3 der Aufgenommenen keine sichere Tuber¬ 
kulose hat, könnten soviel Tuberkulöse jedes Jahr mehr 
aufgenommen werden. Erst damit hätten wir ein Urteil 
über die wirkliche Leistung des Heilverfahrens. Denn 
was nützt uns eine Erfolgsstatistik, in der nach 5 Jahren 
50 Proz. Dauererfolge vorhanden sein sollen, wobei aber 
über die Hälfte von Nicht-Tuberkulösen gestellt werden. 
Dem Anstaltsarzt ist aus den Verhältnissen kein Vor¬ 
wurf zu machen. Er hat einen schweren Stand in der 
ganzen Sache. Und schliesslich bildet sich bei ihm sicher 
eine gewisse Einseitigkeit in der Beurteilung der Fälle 
heraus, die bei einer so weitgehenden Spezialisierung ja 
gar nicht zu vermeiden ist. Wer lange in Anstalten 
war, merkt das am besten, wenn er wieder in die 
Praxis tritt. 

Vergleichende Betrachtungen über wichtige K limate 
bei der Tuberkulosebehandlung werden von 
Schröder und Müller (43) mitgeteilt. Es wurden die 
Klimatypen von Wyk auf Föhr (feucht - kühles See¬ 
klima), Schömberg (Mittelgebirge), Frankfurt a. 
Main (Niederungsklimal, Nizza (trocken-warmes See¬ 
klima) und Davos (Höhenklima) verglichen. Danach 
gibt es Klimaoptima für Tuberkulose in Mitteleuropa 
nicht. Es lassen sich aber hier in den verschiedensten 
geographischen Lagen bald nach der einen, bald nach 
der anderen Richtung hin die klimatischen Eigenschaften 
und Vorzüge finden, die für unseren Kampf gegen die 
Tuberkulose gleichwertig benutzbar sind. Im übrigen 
heilt — — und in alledem kann Referent Schröder 

voll beistimmen-die Tuberkulose in unserem 

heimischen Klima genau wie überall, wenn 
der Kranke an geeigneten Plätzen mit zweckmässigen 
Einrichtungen für seine Kur richtig und sachgemäss be¬ 
handelt wird. Ein spezifisch Tuberkulose heilendes 
Klima gibt es nicht, aber das Klima kann ein wichtiges 
Unterstützungsmittel unserer Therapie bilden. Vorerst 
werden wir Mühe haben, das Publikum hiervon zu über¬ 
zeugen. Viele Wirkungen, die lediglich Folge der Heraus¬ 
nahme aus der Umgebung und des Sanatoriumaufenthaltes 
überhaupt sind, werden dem Klima fälschlich zuge¬ 
schrieben. Welche Fehlschlüsse hier gezogen werden 
davon überzeugen wir uns am besten, wenn wir die in 
Heilanstalten erzielten Erfolge mit denen vergleichen, 
die die Kranken am selben Ort, wenn sie sich nur in 
privater Verpflegung dort befinden, haben. Es ist eben 
doch das Zweckmässigste, wenn man seine Kranken 
wegschickt, sie nicht in offene Kurorte, sondern in gut 
geleitete Anstalten zu geben, auch lieber in deutsche 
Anstalten als in offene noch so schön gelegene ausser- 
deutsche Kurorte, trotz der guten Erfolge, über die 
Bratz (44) aus Nervi berichtet. 

In der Ernährung Lungenkranker sind wir 
mehr und mehr von der Mast mit tierischem Eiweiss 
abgekommen. Da ist es um so bemerkenswerter, wenn 
Hornemann und Thomas (45) bei verschiedener 
Fütterung von Schweinen zu dem Ergebnis kommen: 
die reichliche Eiweissernährung übt eine direkt schützende 
Wirkung gegen die Tuberkulose aus. 

Die Sonnenlichtbehandlung hat sich in der 
Therapie der chirurgischen Tuberkulose schnell Bürger¬ 
recht erworben. Bei Anwendung in der Lungentuber¬ 
kulosebehandlung ist Vorsicht nötig. Darauf weist auch 



v. Schrötter (46) hin, der im übrigen vor allem den 
Vorzug der natürlichen gegenüber der künstlichen Be¬ 
sonnung betont. Wir haben es ja bei der Lungentuber¬ 
kulose zumeist mit Erwachsenen, weniger mit Kindern 
zu tun, das Verschicken an andere Orte wird hier also 
schwieriger und kostspieliger sein. Deshalb werden wir 
das Gute nehmen müssen, wo es sich findet und auch 
die künstliche ,,H ö h e n sonn e“ statt der oft nicht aus¬ 
reichend verfügbaren natürlichen benutzen. Wie weit 
das bei Lungentuberkulose von Nutzen ist, muss ein 
eingehendes Studium erst lehren. Ob wir uns den be¬ 
geisterten Empfehlungen von Krüger-Plauen (4J) 
in ganzem Umfange anschliessen können, erscheint noch 
dahingestellt. Ich bin mit Nachprüfungen über den 
Gegenstand beschäftigt. 

Über gute Erfolge bei Behandlung von Lungen¬ 
tuberkulose mit Röntge nstra hlen berichten de la 
Camp und Küpferle (48). Die Hauptsache ist eine 
richtige Anwendung. Man nimmt harte Strahlen, wählt 
das Bestrahlungsfeld ungefähr 20 qcm gross und 15 bis 
25XOberflächeneinheiten bei 18—22 cm Fokusentfernung. 
Zu grosse Dosen geben zu starke Allgemein- und Lokal¬ 
reaktionen. Die Pause zwischen den einzelnen Be¬ 
strahlungen soll 2—8 Tage betragen. Alle erkrankten 
Teile werden einmal durchbestrahlt. Die Autoren be 
handelten 15 Fälle, davon 7 des 2., 4 des 1. Stadiums. 
Diese letzten werden alle sehr günstig beeinflusst, auch 
von den 7 Fällen des 2. Stadiums wurden 4 geheilt in 
3^3 l / 2 Monaten. Zuerst wird eine Zu-, daun eine all¬ 
mähliche Abnahme der katarrhalischen Erscheinungen 
wahrgenommen. Anstelle der tuberkulösen Granulationen 
entwickelt sich ein Bindegewebe. 

Den Wert hydrotherapeutischer Massnahmen 
bei Lungentuberkulose schildert B ri ege r-B erli n (44). 
Er verwirft die schematische und verlangt eine Wasser¬ 
behandlung von Fall zu Fall. Sie bildet nach seiner 
Ansicht mit einen Hauptbestandteil der Tuberkulose¬ 
behandlung. 

Eine zusammenfassende Arbeit über die neuen im- 
muniserenden und therapeutischen Mittel gibt Junker- 
Cottbus (50). Von Rosenbachs Tuberkulin und 

I. K. Spengler sah er keinen bedeutenden Einfluss, 
auch in der Chemotherapie sind die Erfolge noch nicht 
bedeutend. Gold in Form von Aurum kalium cyanat. 
hat einen mehr elektiven Einfluss wie Kupfer, ist aber 
differenter als dies. Für die allgemeine Praxis sind die 
Mittel noch nicht reif. Hier steht wie auch sonst die 
physikalisch-diätetische Behandlung noch ganz im Vorder¬ 
runde, vielleicht neben einer sachgemässen Tuberkulin¬ 
ehandlung. (s. u.) 

4. Tierexperimente zur spezifischen 
Behandlung. 

Fuchs-Kaufbeuren (51) fand, dass ein Schutz 
gegen Erkrankung oder Heilung bei bestehender Tuber¬ 
kulose bei Meerschweinchen durch Tuberkulin nicht zu 
erzielen war. Aronsohn-Berlin (52) stellt folgende 
Betrachtungen an: der Nachweis der hypothetischen 
Antikörper, die das unschädliche Tuberkulin in ein Gift 
überführen, könnte geliefert werden 

1. durch die Methode der Komplementablenkung; 

2. durch die Möglichkeit, normale Tiere durch die 
Vorbehandlung mit Tuberkulin zu sensibilisieren; 

3. durch die passive Übertragung der Tuberkulin- 
empfindlichkeit von tuberkulösen Tieren au f ge¬ 
sunde. 

Die völlig eindeutigen Experimente waren negativ 
und schliessen mit Sicherheit das Vorhandensein von 
Reaktionskörpern (Ambozeptoren) im Serum, die für das 
Giftigwerden des Tuberkulins verantwortlich zu machen 
sind, aus. Die Tuberkulinwirkung ist demnach nicht 
als anaphylaktischer Vorgang aufzufassen. A. erklärt die 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 17. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


HO 


Reaktion so: die in allen Bakterienleibern enthaltenen 
Gifte bewirken eine Schädigung der Leukozyten, die in 
allen tuberkulösen Herden zahlreich vorhanden und be¬ 
sonders vulnerabel sind. Sie gehen durch Injektion 
kleiner Mengen von Bakterien zugrunde Dies Zu¬ 
grundegehen der vveissen Blutkörperchen führt zu den 
lieberhaften Allgemeinreaklionen. Bei der Anwendung 
des Tuberkulins für Heilzwecke ist deshalb ein immuni¬ 
sierender Erfolg, was den Tierversuch betrifft, nicht zu 
erreichen. Der günstige klinische Erfolg kann nur in 
der Anregung auf die Leukozyten gesehen werden. 

Durch lösliche Substanzen, auf welche Art sie auch 
immer aus den Tuberkelbazillen hergestellt sein mögen, ist 
keine Immunisierung gegen Tuberkulose zu erreichen. 
Immunisierende Wirkung kommt nur den 
Vollb akt eri en zu, und zwar 1. den schonend ab¬ 
getöteten, 2. den in ihrer Virulenz künstlich abge¬ 
schwächten, 3. den für den betreffenden Organismus 
avirulenten (Friedmanns Bakterien). Durch weitere 
experimentelle Forschung ist zu entscheiden, welche 
dieser drei Methoden für die Behandlung des Menschen 
zu empfehlen ist, (dass es die F r ie d m a n n sehe in der 
jetzigen Form nicht ist, darüber s. weiter unten.) 

5. Allgemeines über Tuberkuline. 

Allgemeines über Tuberkulin bringt Ruppel (53). 
Die Träger der spezifischen Wirkung sind nach ihm 
1. Nukleinsäure, 2. Nuklein, 3. Nukleoalbumin. Im übrigen 
sind Deyke und Much mit ihren Partialantigenen 
|s. früh. Referat) einen Koch analogen Weg gegangen. 
Much (54) selbst berichtet ausführlicher über seine Be¬ 
strebungen, die einzelnen Partialantigenen durch Auf- 
Schliessung des Tub e r ke lb az i 11 u s therapeutisch 
wirksam zu machen. Die Auflösung ist durch die Milch¬ 
säure gelungen, wie hier früher schon ausgeführt. M. 
weist auch nach, dass im Tierkörper bazillenautlösende 
Stoffe vorhanden sind. Es scheint sich bei der Tuber¬ 
kulose um eine zelluläre Immunität zu handeln. Bei 
Tuberkulin ist das säurelösliche Partialantigen allein im¬ 
stande, tuberkulöse Meerschweinchen zu töten. An die 
Erythrozyten ist die zelluläre Immunität sicherlich nicht 
gebunden. (Spengler vertritt in seinem I.-K. die ent- 
gegengesetzte Ansicht, wohl zu Unrecht. Ref.) 

6. Erfahrung mit spezifischen 
Präparaten. 

Arima (55) fand, dass sich die Tuberkelbazillen 
im strömenden Blut vermindern und schliesslich ver¬ 
schwinden, infolge Tuberkulinbehandlung (also keine 
Mobilisierung). Die Dosen müssen aber ziemlich gross 
sein (0,5—1 ccm). Die Dauer der Tuberkulinbehandlung 
soll 6—8 Monate betragen. 

v. H olten-Friedrichsheim (56) verwandte 
l'uberkulol. Die spezifische Behandlung ergab gegen¬ 
über Nichtspezifisch - Behandelten z. B. im 3. Stadium 
38 Proz. gegen 33,7 Proz. Arbeitsfähige. Tuberkulol 
enthält das Tuberkulosegift sehr rein, in unveränderter 
Form und dabei stark konzentriert, v. H. behandelte 
580 Fälle mit allen 3 Arten Tuberkulol (A, B, C). 
Der rasche Injektionstypus, jeden 3. Tag spritzen, um 
tu hohen Dosen zu kommen, wurde wieder verlassen. 
Die besten Erfolge gab Tuberkulol-C. Trotz der 
unangenehmen Begleiterscheinungen der Reaktionen 
glaubte v. H. gerade nach stärkeren Reaktionen 
eine wesentliche Besserung des Lungenbefundes ge¬ 
sehen zu haben. Die grossen Dosen schaffen die 
besten Erfolge. Die Bazillen verloren bei Tuber- 
kulinbehandlung 26 Proz., bei Tuberkulolbehandlung 
30,65 Pro/.., sodass bei der letzten Therapie eine Über¬ 
legenheit von 14,6 Proz. herauskommt. Auch die klinischen 
Erfolge waren wesentlich bessere. 

Iche verwende seit zirka 4 Jahren fast ausschlieslich 
luberkulol. So überlegene Wirkungen sah ich 
allerdings nicht, glaube auch kaum, dass man sie so 

Digitized by Google 


statistisch erfassen kann. Über die Vorzüge des Präpa¬ 
rates gegenüber anderen (s. 57 u. 58). Die Stärke der 
verschiedenen Tuberkulinpräparate verglich Kollert 
(59). Durch intrakutane Impfung am Menschen lässt 
sich eine Stärkeskale der Tuberkuline feststellen, 
die unseren klinischen Erfahrungen auch fast entspricht. 

Sc h u lz-C harlo t tenbu rg (60) empfiehlt wieder 
das Ei se n tuberk ul in , weil es alle spezifischen Be¬ 
standteile des Tuberkulins enthält, und wegen seiner ge¬ 
ringen toxischen Wirkung sehr gut ambulant anzuwenden 
ist. (Das Präparat ist eben ein stark abgeschwächtes 
Alttuberkulin, daher seine mildere Wirkung. Ref.) 

Sehrgünstige Berichte liegen über dasRosenbachsche 
Tuberkulin vor, bei chirurgischer Tuberkulose von 
Lichtenstein (61) und Cuno (62), bei Lungentuber¬ 
kulose von Bergmann-Posen (63). Die Autoren 
beginnen fast alle mit Originallösungen des Präparates, 
während ich bei Lungentuberkulose jedenfalls rate, mit 
der zehnfachen Verdünnung anzufangen. Auch meine 
Erfahrungen waren gute. Gesteigert wird am besten 
um die Hälfte der vorhergehenden Dosis, in bis 
1 wöchigen Zwischenräumen. 

Gleichfalls günstig wird über ein neueres Mittel, das 
Tuberkulose in ucin-W eleminsky berichtet. 
Pachner-Meran (64) ist allerdings nicht sehr 
kritisch in seiner Meinungsäusserung. Er behandelte 
86 Fälle in der Anstalt, nachdem er das Präparat schon 
früher in der Ambulanz gebraucht hatte. Es ist schwer, 
da grösstenteils die subjektiven Besserungen betont 
werden, sich von der Wirksamkeit des Mittels den rich¬ 
tigen Begriff zu machen. Ich bin der Ansicht, dass 
man das mit anderen Präparaten auch erreicht. Gegen 
Tuberkulin hat der Autor ein Vorurteil. Es kommen 
nach ihm dafür nur 1. und 2. Stadien in Betracht, und 
auch diese nur, wenn sie unkompliziert sind. Das ist 
ungerechtfertigt und zeugt von einer völligen Verkennung 
der Lage. Nach anatomischen Begriffen entscheiden 
wir die Anwendung des Tuberkulins schon lange nicht 
mehr, sondern nach klinischen. Und da können dritte 
Stadien mit mancherlei Komplikationen noch sehr dank¬ 
bare Gegenstände der Behandlung sein. Also von dem 
Standpunkt aus ist eine Empfehlung anderer Präparate 
nicht gerechtfertigt. 

Kritischer urteilt Guth-Kladno (65). Er arbeitete 
mit Tuberkulomuzin-Weleminsky purum, das 
4 mal so stark ist wie das alte Präparat. Er sah einen 
sehr schnellen Rückgang der katarrhalischen Erschei¬ 
nungen und empfiehlt das Mittel besonders für 2. und 
3. Stadien und für fieberhafte Fälle. Man beginnt mit 
einem Teilstrich der 1 prozentigen Lösung und steigt 
anfangs um das Doppelte, dann um die Hälfte, bis 
deutliche Stichreaktion auftritt, in Zwischenräumen von 
1—2 Wochen. Fieber und Allgemeinreaktionen sind zu 
vermeiden. Bei Stillstand oder fehlender Besserung ist 
eine Tuberkulinkur anzuschliessen. Besonders ist das 
Mittel bei Dr üsen tube rk ul os e und dort, wo andere 
Präparate versagen, anzuwenden. (Ich bin mit Nach¬ 
prüfungen des Präparates beschäftigt.) 

Über Tuberkulose des Kindesalters gibt Müller- 
Berlin (66) eine allgemeine Übersicht, die ihn auch eine 
günstige Prognose für das F riedmannsche Tuber- 
kulosemiltel stellen lässt. Inzwischen sind aber die 
praktischen Erfahrungen doch andere geworden. So 
berichten Vulpius und Laubenheimer (67) über 
sehr ungünstige Erfahrungen. V. sah in keinem von 
46 behandelten Fällen eine Änderung, die man hätte 
dem neuen Mittel zuschreiben können. Aber er erlebte 
einmal einen Todesfall und einmal einen sehr be¬ 
drohlichen Kollaps nach der Simultaninjek¬ 
tion. Er hält da3 Präparat eben für sehr giftig und 
widerrät, es in die Blutbahn selbst zu bringen. L. unter¬ 
suchte 13 Ampullen des Mittels. Davon enthielten nur 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Ä 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. I/. 


164 FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


zwei die Schildkrötenbazillen in Reinkultur, der Inhalt 
der übrigen zeigte sieb stark verunreinigt mit ver¬ 
schiedenen Arten von Bakterien, darunter mit solchen, 
die sich im Tierversuch als sehr virulent erwiesen, wie 
Staphylococc. pyogenes aureus Dass die intravenöse 
Injektion eines derartigen Materials die schwersten Er¬ 
scheinungen hervorruten kann, ist ohne weiteres selbst¬ 
verständlich. -Meine eignen Erfahrungen an 7 Fällen 

von Lungentuberkulose decken sich mit den Ergebnissen 
von Vulpius: lauter Versager. In einem Falle 
( 1 . Stadium der Tuberkulose, kräftiges sonst gesundes 
hSjähriges Mädchen) erlebte ich einen so lebensbedroh¬ 
lichen Kollaps nach der Simultaninjektion, dass ich auf 
die weitere Anwendung des Mittels verzichtet habe und 
seine allgemeine Anwendung in der Praxis dringend 
widerraten muss. 

Die ambulante Tuberkulinbehandlung wird be¬ 
sonders von Suess-Wien (08) befürwortet. Er berichtet 
von ihrer Anwendung in den Fürsorgestellen der Öster¬ 
reichischen Staatsbahn. 

Zwei neue Formen der Anwendung des Alttuber¬ 
kulins oder des Tuberkulins Beraneck werden empfohlen. 
Sahli bevorzugt den Tuberkulinschnepper, Pet ru sch ky 
Einreibungen in die unverletzte Haut. Über 
die erste Methode berichtet Dü bi (09). Mit dem 
Schnepper werden multiple Stichreaktionen erzeugt, auf 
die ein Tropfen Tuberkulinlösung ausgestrichen wird. 
Die Konzentration der Tuberkulinlösung wechselt von 
1 Proz. steigend immer um das Doppelte der vorigen 
Konzentration. Die Reaktionen sind sehr verschieden, 
von einer Papel bis zum knotigen Infiltrat. Bei Ver¬ 
impfung auf alte Stellen sind die Reaktionserscheinungen 
heftiger. In Zwischenräumen von 3 Tagen wird die 
Dosis solange gesteigert, bis ohne Allgemeinreaktion 
gute Lokalreaktion erzielt wird. Dann wird durch Ver¬ 


mehrung der Impfstellen die Dosis gesteigert, weil bei 
Verteilung auf mehrere Mautstellen die Allgemeinreaktion 
geringer wird. Die Erfolge sind sehr günstig. 

Ich habe mir den Sa h I i sehen Schnepper angeschafit 
und bin mit Nachprüfungen beschäftigt, erwähne aber, 
dass man eine ähnliche Therapie schon früher machte, 
denn seit Jahren ist uns die Pirquetsche Impfung ge¬ 
läufig, die ich in Form der P e tru s c h ky sehen Modi¬ 
fikation anwende, mit der Spitze einer Kanüle wird ein 
liegendes Kreuz, dessen Striche je 1 — 1'/, cm lang sind, 
gekratzt. So lassen sich sehr einfach die kutanen 
Impfungen auch ausführen, sind auch schon von anderen 
(W a 11 e r s t e i n) so angewandt worden. Man nimmt erst 
die Konzentration geringer, dann vergrössert man die 
Impfschnitte, dann vermehrt man sie, indem man parallel 
dem einen und dem anderen Strich einen zweiten, 
dritten usw. macht. Wie weit Sahli’s Methode hier 
überlegen ist, muss die Zeit erst lehren. 

Viel Wert hat die P e t r u sc h ky sehe (70, 71) Me¬ 
thode der Tuberkulineinreibung, weil sie den 
Zweck hat, den Kranken selbst, wenn auch unter zeit¬ 
weiliger Kontrolle des Arztes, die Behandlung ausführen 
zu lassen. In Familien, in denen Tuberkulose vorge¬ 
kommen ist, ist die Behandlung an allen Personen mit 
positivem Pirquet durchzuführen. Wo eine offene Tuber¬ 
kulose in der Wohnung ist, wünscht P., dass alle jüngeren 
Familienmitglieder prophylaktisch behandelt werden. 
Das Verfahren ist zur Mas s e nbeha n d 1 u ng sicher 
sehr geeignet. Das Tuberkulin wird durch Glyzerin¬ 
zusatz verdünnt: eine Lösung 1 : 25, eine 1 :5 und das 
reine Präparat werden angewandt. Es wird alle drei 
Tage eingerieben, abwechselnd auf den Unter- und 
Oberarmen. Bei Entzündungen der Haut sind 10 Tage 
Pause, bei Temperatursteigerungen ebensolche Zwischen¬ 
räume, oder ein Zurückgehen in der Dosis nötig. 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Die Kompressionsfraktur des Calcaneus als 
typische Seekriegsverletzung. 

Von Magnus, Marburg. 

Die Verletzung wurde im Anschluss an ein See¬ 
gefecht bei 7 Leuten beobachtet; zweimal war die 
Fraktur doppelseitig, dreimal kompliziert. Für die 
Actiologic massgebend war der Umstand, dass allemal 
im nächstuntern Raum eine Granate schwersten Kali¬ 
bers krepiert war. Dadurch hatte sich das dünne Deck 
mit grosser Gewalt und Schnelligkeit nach oben be¬ 
wegt und dem darauf stehenden Manne die Fusswurzel 
zerschlagen. — Die Therapie bestand im Redrasse- 
ment, das jedoch wegen der Fettemboliegefahr erst 
nach zwei Wochen erfolgen darf, Fixierung der Spitz- 
fuss-Klumpfussstellung im Gipsverband, der allmäh¬ 
lich in eine offene Lade übergeht, und von der vierten 
Woche ab in funktioneller Behandlung; Bettruhe bis 
zum Ablauf des zweiten Monats, dann Plattfusseinlage 
für mindestens ein Jahr. Erfreuliche Endresultate. 

(M. Kl. 47 / 15 .) Autoreferat. 

Exanthem und Rezidiv bei Meningitis epidemica. 

Von M. Morgenstern, Assistenzärztin. 

Zwei Fälle von Meningitis epidemica, die rezi¬ 
divierend verliefen. Eine Patientin hatte bei jedem Rezi¬ 


div ein typisches Exanthem, dessen differential dia¬ 
gnostische Unterscheidung vom Flecktyphus-Exanthem 
besprochen wird. (D. in. Wschr. 46 . 15 .) 

Autoreferat. 

Beitrag zur plastischen Operation des Daumen¬ 
ersatzes. 

Von Dr. Hochammer 

Durch Explo ion eines Granatzünders wurde einem 
Jungen die rechte Hand sehr schwer verstümmelt, der 
Zeigefinger und Mittelfinger wurden samt den Meta- 
karpen abgerissen, desgleichen der Daumen samt dem 
Os multangulum maj. und min. Die ganze Hand be¬ 
stand demnach nurmehr aus dem vierten und fünften 
Finger, von denen beim v ierten Finger das Grundge¬ 
lenk stark versteift war. Da in diesem Zustande die 
Hand völlig wertlos war, entschloss sich Dr. Hör- 
liammer. den Daumen durch eine Transplantation einer 
grossen Zehe zu ersetzen, damit die Hand wieder 
einige Greiffähigkeit erlange. Die Zehen-Transplanta- 
tion wurde nach dem Prinzip von Nicoladoni vorge¬ 
nommen nur mit der Modifikation, dass die grosse 
Zehe vom entgegengesetzten Fusse bezogen wurde und 
die Lappenbildung nicht dorsal, sondern seitlich ge¬ 
schah. Dadurch wurde einerseits die Lage für den 
Patienten eine überaus leicht erträgliche und anderer¬ 
seits bot der grosse ovale seitliche Lappen der grossen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


Digitized b) 


Google 








Nr. 17. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


165 


Zehe eine sehr breite Ernährungsfläche. Die An¬ 
frischung an der Hand wurde entsprechend dem brei¬ 
ten Lappen vorgenommen. Bei der Transplantation 
wurde die Strecksehne und Beugesehne der Zehe, eben¬ 
so die Gelenkkapsel mit den entsprechenden Gebil¬ 
den am Daumen vereinigt. Die Exartikulation der Zehe 
wurde im Grundgelenk vorgenommen. Nach 17 Tagen 
erfolgte die Durchtrennung der Ernährungsbrücke, 
ohne dass irgend welche Zirkulationsstörungen am 
transplantierten Daumen eintraten. Der fixierende 
Gipsverband wurde an einem Galgen suspendiert, was 
von dem Patienten überaus angenehm empfunden 
wurde. 

Das Resultat war ein ausserordentlich zufrieden¬ 
stellendes, denn obwohl die ganze DaumenbaUen-Mus- 
lculatur fehlte, kann der Junge trotzdem nicht unbe¬ 
deutende aktive Beugung und Streckung des Daumens 
an der Basis machen und der Knabe ist imstande, 
mit dem Daumen und den beiden Fingern Gegen 
stände zu erfassen und festzuklammern, so dass er wieder 
Stabübungen beim Turnen macht und mit der rechten 
Hand schreibt. 

Es ist dies der erste Fall, bei dem die Zehe vor¬ 
der anderen Seite bezogen wurde und wo bei einer so 
ausgedehnten Verletzung und beim Fehlen der Daumen 
ballen-Muskulatur eine Transplantation vorgenommen 
wurde. 

Die Entfernung der Zehe hat dem Patienten nicht 
die geringste Beeinträchtigung des Gehvermögens ver¬ 
ursacht, (M. m. Wschr. 49, 15) 

Autoreferat. 

Primäres, generalisiertes Spindelzellsarkom der 
Lymphdrfisen. 

Von Prof. D. P- v. Bau 111 garten -Tübingen. 

Verfasser berichtet über einen Fall von Sarkoma- 
tose der Lymphdrüsen, der klinisch, von Naegeli 
beobachtet/ unter dem Bilde einer „Lymphadenosis 
aleukaemica“ auftrat. Die mikroskopische Unter 
suchung zweier probeexzidierter Knoten ergab aber in 
beiden statt des erwarteten lymphadenoiden Gewebes 
die Struktur eines typischen fasikulären Spindelzcll- 
sarkoms. Die Krankheit führte i 3 / 4 Jahr nach dem 
Hervortreten der ersten Drüsenschwcllungen unter 
liydropischcn Erscheinungen, Zyanose und Dyspnoe 
zum Tode. Wiederholte Blutuntersuchungen hatten bei 
normaler Gesamtleukozytenzahl eine fortschreitende 
starke Verminderung der Lymphozytenzahl 
nachgewiesen (Naegel i). 

Durch die Sektion und die sehr genaue mikro¬ 
skopische Untersuchung der Leichenorgane wurde 
festgestellt, dass hier der bisher noch nicht beschrie¬ 


bene Fall eines primären, generalisierten Spindelzcll- 
sarkoms der Lymphdrüsen vorlag. Ausser in den 
letzteren war es nur noch in der Brust haut zur 
Bildung eines etwas grösseren Knotens und zahlreicher 
kleiner Knötchen von Spindelsarkomgewebe gekom¬ 
men. 

Pathologisch-anatomisch steht der beschriebene Ge¬ 
schwulstfall unter den sonstigen allgemeinen geschwulst 
förmigen Erkrankungen des lymphatischen Systems 
der sogenannten Lymphosarkomatose am näch¬ 
sten. Das „Lymphosarkom" ist allerdings histologisch 
kein eigentliches Sarkom, sondern ein Lymphozytom 
oder Lymphoblastom (Ribbert), aber immerhin doch 
eine echte Geschwulst, keine blosse Hyperplasie des 
lymphadenoiden Gewebes, wie die leukämischen und 
aleukämischen Lymphadcnosen cs sind. Die primär 
multiple Entwicklung in den Lymphdrüsen, das Fort 
schreiten von einer Lymphdrüsengruppe auf die andere 
bis zu mehr oder weniger vollständiger Ueberflutung 
dos gesamten lymphatischen Apparates teilt der vor¬ 
liegende Fall ebenso mit den Fällen von generalisieren¬ 
dem Lymphosarkom, wie die fast ausschliess¬ 
lich e Verbreitung auf dem Lymphweg. Es ist bisher 
diese grosse Neigung der Ausbreitung auf dem Lymph- 
wege mit Zurücktreten der Ausbreitung auf dem Blut¬ 
wege als eine Eigentümlichkeit des sog. L y m p h o - 
sarkoms gegenüber dem echten Sarkom betrachtet 
worden. Der vorliegende Fall lehrt aber, dass auch 
ein typisches Sarkom ganz das gleiche Verhalten zeigen 
kann. In dieser Feststellung ist die Be¬ 
deutung der mit geteilten Beobachtung be¬ 
gründet. Die Kliniker und die pathologischen Ana¬ 
tomen werden künftig in Fällen von allgemeinen ge- 
schwulstförmigen Erkrankungen des lymphatischen 
Systems, welche von den bekannten Lymphomatösen 
klinisch und makroskopisch-anatomisch mehr oder weni¬ 
ger abweichen, an ein primäres generalisiertes Spindel- 
zellsarkom (Lymphomatosis sarcomatosa fusicellularis) 
zu denken haben. (Berl. kl. Wschr. 47 / 15 .) Autoreferat. 

Der Fuss- und Zehenverband. 

Von Dr. F. Schultze, Duisburg. 

Bei Anwendung des Gipsverbandes wurde bisher 
wenig Wert auf die Behandlung der Zehen gelegt. 
Der von F. Schultze angegebene Fusszehengipsver- 
band sorgt für eine sichere korrekte Haltung der Zehen 
im Verband. Vorbedingung ist die vorherige Korrek¬ 
tur der Zehen, welche sehr selten sich normal verhal¬ 
ten. Die Methode ist nicht allein wertvoll bei den 
schwersten Fussdeformitäten, sondern auch bei der Be¬ 
handlung eines jeden Fusses im Gipsverbande. 

(D. med. Wschr. 1915 .) Autoreferat. 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Fr i e d ema n n-Berlin: I)i«‘ Bedeutung der Anaphylaxie 
für den prakt. Arzt. — (Ther. d. Gegw. 1915/XII.) 

Die Abhandlung stellt eine wertvolle und erschöpfende 
Arbeit dar, welche den ärztlichen Praktiker in kurzen, klaren 
Zügen über ein schwieriges, ihm sehr wissensnotwendiges Ge¬ 
biet der modernen Heilkunde unterrichtet, und zerstreut wirk¬ 
sam die pessimistischen Gedanken, welche bei vielen Ärzten 
hinsichtlich der Serumbehandlung wegen der fatalen Mög¬ 
lichkeit anaphylaktischer Erscheinungen Platz gegriffen hatten. 

Digitized by Google 


Ausgedehnte prophylaktische Seruminjektionen gelegent¬ 
lich der letzten Berliner Diphtherie-Epidemie hatten nämlich 
die Befürchtung rege gemacht, ob durch diese vorbeu¬ 
gende Maßnahme nicht etwa eine zweite, therapeuti¬ 
sche, Injektion unmöglich oder doch sehr gefahrvoll ge¬ 
macht würde. 

Anaphylaxie ist ein Zustand von „Schutzlosigkeit“ des 
Körpers infolge Überempfindlichkeit gegen die Einspritzung 
artfremden Eiweißes. Dieser als „Serumkrankheit“ bezeichnete 
Symptomenkomplex (Fieber, Erbrechen, Drüsen- und Gelenk¬ 
schwellungen, Ödeme, Exantheme!) hat bei Erstinjizierten eine 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



166 


FORTSCHRITTE EIER MEDIZIN. 


Nr. i; 


8—13 tägige Inkubation, bei Zweitinjizierten eine viel kürzere, 
nämlich von einigen Stunden (bei „sofortiger“ Reaktion) bis zu 
3—4 Tagen (bei sogen, „beschleunigter“ Reaktion). 

Der einmal mit Pferdeserum gespritzte Mensch ist gegen 
dieses Serum „überempfindlich“ und antwortet auf den Ein¬ 
tritt von rferdeseruni in seine Blutbahn mit der Serum¬ 
krankheit. Diese Überempfindlichkeit beruht auf dem Auf¬ 
treten von Eiweiß-Antikörpern, die vom gespritzten Menschen 
gebildet werden, und, mit Pferdeserum zusammentreffend, un¬ 
ter giftigen Erscheinungen reagieren. 

Bei Erstinjizierten ist der Eintritt der Vergiftung nach 
der erwähnten, langen Inkubation möglich, wenn der gespritzte 
Körper die von ihm erzeugten Antikörper ins Blut geschickt 
hat, wo sie mit noch vorhandenen Resten des Pferdeserums 
Zusammenstößen können. 

Anders bei Zweitinjizierten, wenn die Reininjektion wenige 
Wochen nach der ersten Spritzung stattfindet: hier stößt 
das neue Pferdeserum auf die bereits im Blute vorhandenen 
Antikörper und verursacht rascheste Reaktion. 

Nur langsam gelangen die Antikörper wieder zum Ver¬ 
schwinden aus dem Organismus. Intravenöse Spritzung von 
Meerschweinchen führt stürmisch unter Krämpfen und Dyspnoe 
zum Tod der Tiere: pathologisch-anatomisch findet sich 
starke Lungenblähung, auf Krampf der Bronchialmuskulatur 
beruhend. 

Erliegt nun aber das Tier dem anaphylaktischen Shock 
nicht, was bei bloß subkutaner Einverleibung oder bei unzu¬ 
reichenden Serummengen der Fall ist, so tritt wieder Verlust 
der Uberempfindlichkeit ein: das Tier ist gegen weitere Serum¬ 
injektion geschützt: Antianaphylaxie. 

Die erwähnte hochgradige Oberempfindlichkeit der Meer¬ 
schweinchen drohte nun auf die Serumbehandlung beim Men¬ 
schen einen lähmenden Einfluß zu nehmen. 

Eine derartige Übertragung der Ergebnisse des Tierex¬ 
perimentes auf den Menschen ist indes durchaus vorschnell, 
da nach allen klinischen Erfahrungen die menschliche Ana¬ 
phylaxie nicht entferntest vergleichbar ist, vielmehr praktisch 
gar nicht in Betracht kommt, besonders nicht beim Diph¬ 
therie-Serum, bei dem als prophylaktische Dosis die geringe 
Serummenge von 1 ccm genügt. Es konnten in Deutschland 
während der ganzen Zeit der Serumbehandlung bloß 2 Fälle 
von Serumtod festgestellt werden, von denen der eine Fall 
sogar ein erstgespritztes Kind betraf! 

Immerhin muß der Arzt auf anaphylaktische Erscheinun¬ 
gen als Beigabe der Serumtherapie vorbereitet sein. 

Eine solche Serumkrankheit tritt zunächst auf bei be¬ 
stehender Serum-Idiosynkrasie, zu welcher Asthmatiker eine 
gewisse Neigung zeigen. 

Für Reinjektionen kommen ferner folgende Gesichts¬ 
punkte in Frage: 

1. Zeitabstand zwischen 1. und 2. Injektion. 

Die Überempfindlichkeit tritt nicht vor dem 6. Tage 
nach der 1. Injektion auf. Eis können daher Reinjek¬ 
tionen, wie z. B. namentlich bei Diphtherie, in kurzen 
Zwischenräumen ohne anaphylaktische Reaktion schad¬ 
los ausgeführt werden. Ähnlich liegen die Dinge bei 
den wiederholten, kurzfristig folgenden Injektionen bei 
Genickstarre. 

2. Dauer des anaphylaktischen Zustandes. 

Sie ist nicht genau bestimmbar. Meist ist die Über¬ 
empfindlichkeit nach 6 Monaten erloschen, Bestehenblei¬ 
ben bis zu 5 Jahren jedoch bekannt. 

3. Art der zweiten Serumzufuhr. 

Der direkte Weg durch die Vene ist als gefahrvoller 
zu meiden zugunsten der subkutanen bezw. intramusku¬ 
lären Injektion. 

4. Menge des 2. Serums. 

Um diese möglichst gering zu halten, sind starke, 
hochwertige Sera zu wählen, bei denen schon mit geringen 
Serummengen genügende Antitoxinmengen einverleibt wer¬ 
den können. 

Um aber gleichwohl größere Serummengen geben zu 
können, stumpft man die Überempfindlichkeit erst durch 
eine kleine Injektion von weniger als tödlicher Dosis ab, 
macht das Versuchstier auf diese Weise wieder unemp¬ 
findlich und gibt dann die große Dosis. 

In Anwendung dieses Grundsatzes auf den überem¬ 
pfindlichen Menschen injiziert man vor der großen thera¬ 
peutischen Gabe erst eine kleine Serummenge von 1 ccm, 

Digitized by Google 


die nur geringe anaphylaktische Beschwerden auslösen 
wird, und dann, nach 4 Stunden, die volle Heildosis. 

5. Zur Prophylaxe ist nach mehrfachen Vorschlägen 
nicht Pferde-, sondern Rinder- oder Hammelserum°zu 
nehmen. 

Die Überempfindlichkeit Lst eine streng spezifische. 
Diesem theoretisch wohldurchdachten Vorschlag steht in¬ 
des die relativ hohe Giftigkeit der in Aussicht genomme¬ 
nen Tiersera hinderlich gegenüber. - 
Die Heilerfolge der Serumbehandlung und die Erfolge der 
prophylaktischen Injektion sind, wie Verf. auch statistisch 
im Einzelnen schlagend nachweist, so glänzend, daß die zwei 
einzigen Todesfälle durch Serum gar nicht in Betracht kommen, 
übergroße Ängstlichkeit vor Anaphylaxie darf nie abhalten, 
die nach Umständen lebensrettende Injektion auszuführen. 
Trotzdem muß der Arzt über die möglichen Gefahren der 
Injektion genau unterrichtet sein. 

V i e r n s t e i n-Kaisheim. 


Innere Medizin. 

Strauß. Prof. Bert.: Zuckcriiifnsinnon hei Cholera. — 
(Ther. d. Gegw. 1915, X.) 

Verfasser hat, wie bei schweren Nierenerkrankungen, mit 
durchschlagendem Erfolge auch bei Cholera zu intravenösen 
Infusionen einer isotonischen Traubenzuckerlösung gegriffen 
(wiederholte Dosen einer etwa 4*/s °/o igen, sterilen, wässrigen 
Lösung chemisch reinen Traubenzuckers bei 40° Wärme). 
Bei bestehender Herzschwäche wurden 5—10 Tropfen einer 
Adrenalinlösung 1:1000 zugesetzt. 

Wegen der enorm nierenschädigenden Wirkung Lst da¬ 
gegen nach Verfasser, entgegen herkömmlicher Übung, von 
Kochsalzinfusionen dringend abzuraten. 

Die Zuckerlösung hat nicht allein nutritiven WVrt (2 
Liter 4 '/ ä pb iger Lösung liefern 360 Kalorien!), sondern wirkt 
hauptsächlich giftverdünnend und zirkulationsanregend. 

Zur Ausführung der Infusion benutzt Verfasser die von 
ihm schon früher angegebene Venenpunktionsnadel, die auch 
vielfach Verwendung bei der heutigen Salvarsantherapie ge¬ 
funden hat. 

Verfasser sieht in der Traubenzuckerlösung auch das ge¬ 
eignetste Mittel bei anderen schweren Intoxikationen und In¬ 
fektionen mit Nierenschädigung. Der Traubenzuckerlösung ge¬ 
bührt unbedingt der Vorzug vor der physiologischen Kochsalz¬ 
lösung. V i e r n s t e i n-Kaisheim. 

J. Boas, Prof., Berlin: Meine Erfahrungen über die 
Behandlung der Cholelithiasis.-—(Ther. d. Gegw. 1915/XII.) 

Verf. beschuldigt den Krieg „mit seinen gewaltigen Ein¬ 
wirkungen auf das Nervensystem, mit seinen elementaren Um¬ 
wälzungen der wirtschaftlichen Verhältnisse, der Lebens- und 
Ernährungsbedingungen“, daß er bei Militär wie Zivil eine 
im Frieden ungekannte Krankheitshäufung gezeitigt habe. Die# 
gelte auch für die Cholelithiasis, die spezifische Krankheit 
verheirateter Frauen, welche eben wieder vom Kriege am 
meisten getroffen seien, was in verschiedenster Weise, durch 
Sorgen, wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Vernachlässi¬ 
gung der Gesundheit Anlaß gebe zur Entwicklung von Gallen¬ 
steinleiden oder zum Wiederaufflackern alter Prozesse. 

Ziel der Therapie ist: Entfernung der Steine und Be¬ 
seitigung der steinbildenden Faktoren. 

In beider Hinsicht leiste die Chirurgie unstreitig Jas 
Beste, wogegen die innere Medizin in ihrem Können be¬ 
scheidener sei. 

Ihre Aufgaben sind: Lösung der Steine, oder wenigstens 
Entfernung derselben aus Blase und Gallenwegen sowie Ver¬ 
hütung von Steinneubildung. 

Die innere Behandlung der Choieiithiasis hat dreierlei 
Erfordernissen gerecht zu werden: 

1. Der Kupierung des Anfalles. 

2. Der Schaffung eines Latenzstadiums. 

3. Der Bekämpfung oder Beseitigung von Komplikationen. 

Hinsichtlich der Kupierung des Anfalles betont 

Verf. mit Recht und in sehr verdienstlicher Deutlichkeit 
daß die geübte durchgängige Anwendung narkotischer, krampf- 
8tillender| Mittel ohne zwingenden, durch die Heftigkeit der 
Attacke gegebenen Grund, ein unvernünftiger Eingriff in da# 
Selbsthilfebestreben der Natur ist, sich des oder der Fremd¬ 
körper zu entledigen. Statt Gebrauchs der Morphiumspritze 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 17. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


11>7 


sei der Patient aufzuklären, daß er aus geduldigem Ertragen 
der Schmerzen des Anfalles größeren Vorteil ziehe als aus 
einer Morphiumdosis, dank der die Steine liegen blieben. Man 
suche mit kleinsten narkotischen Dosen auszukommen und 
behelfe sich mit heißen Applikationen, Tees. Außerordentlich 
erfolgreich erweist sich die bei den Ärzten beinahe unbe¬ 
kannte lokale Blutentziehung (Blutegel oder Skarifikationen 
mit Bierscher Stauung über der Gallenblase!). 

Bezüglich Schaffung des Latenzstadiums führt 
Boas aus: Ein spezifisches Mittel fehlt. Lösung der Steine 
durch chemische Mittel ist ein „naiver Gedanke", der Ver¬ 
such ihrer Entfernung durch Cholagoga (Chologen, Cholelysin, 
Eunatrol, Probilin) braucht dagegen nicht absolut nutzlos zu 
sein. 

Hinweise für die einzuschlagende Therapie werden durch 
die Betrachtung der den Anfall auslösenden Bedingungen ge¬ 
geben: habituelle Obstipation, Funktionsstörungen des Magens, 
Achylia gastrica, bei welch letzterer halbverdauter Magenin¬ 
halt ins Duodenum gelangt und dort durch mechanische Kom¬ 
pression des Duct. choledochus oder durch Mikrobeneinwande¬ 
rung veranlassend wirkt. Ebenso können Art und Menge der 
Ingesta auslösend werden: bei dem zumeist nächtlichen Auf¬ 
treten der Anfälle ist kein Zweifel an dem Konnex der Anfälle 
mit Überladungen des Magendarmkanals. Disponierend wirkt 
endlich Enteroptose. 

Dadurch steht stets die diätetische Behandlung 
im Vordergründe, welche Verf. im Einzelnen bespricht. 

Ergänzend tritt der Gebrauch von Mineralwässern 
hinzu. Verf. nimmt in dieser Beziehung einen bemerkens¬ 
werten, vom Herkömmlichen erheblich abweichenden, indes 
von ihm ausgiebig begründeten Standpunkt ein: Die Kurort¬ 
behandlung in Dauer von 4 Wochen in Karlsbad ist ungenü¬ 
gend, wenn sie von der Rückkehr ins alte Leben abgelöst 
wird! Die Kur muß erzieherisch auf das ganze nachherige 
Verhalten und Leben wirken. Bezüglich der Art der Quellen 
hängt Verf. nicht sklavisch am Glauben an Karlsbad, sondern 
bevorzugt ebensosehr, wenn nicht noch mehr, Marienbad, 
Tarasp, Mergentheim. Der Brunnengenuß, um wirksam zu 
sein, muß aber auf l / 2 , sogar 1 Jahr als „Dauerkur“ ausge¬ 
dehnt werden, da nur dann Aussicht auf Latenz bestehe. Von 
Mergentheimer Karisqueile hat Verf. die besten Erfolge ge¬ 
sehen. 

Skeptisch ist die innere Behandlung dann zu beurteilen, 
wenn Konkremente nach ihrem Austritt aus der Gallenblase 
den Choledochus obturieren, wobei die Gefahr der Cholämie 
auftaucht, oder wenn schwere entzündliche Prozesse in der 
Blase oder den Gallenwegen bestehen. 

Letztere heilen zwar oft selbst bei stürmischen Erscheinun¬ 
gen, Fieber, Schüttelfrösten, aus, wobei Diät, Eisblase und 
mäßig Narkotika anzuwenden sind. In schweren Fallen ist 
systematische Kalomel-Behandlung durch mindestens 4 Wochen 
(3x täglich 0,1 unter Beachtung der Stomatitis!) zu wählen 
und ergibt ausgezeichnete dauernde Heilerfolge. 

Für die innere Therapie recht unfruchtbar erscheinen 
chronische Cholezystitis sowie Verwachsungen. 

Verf. geht sodann zur Erörterung der Indikationen zur 
Operation über: 

Immer wiederholte, therapeutisch erfolglos bekämpfte An¬ 
fälle mit konsekutivem Kräfteverfall und Gefahr des Morphi¬ 
nismus; schwere berufliche Beeinträchtigung; Ikterus mit Ver¬ 
legung des Choledochus ist absolute Indikation zu frühester 
Operation. Ebenso absolut zu erachten sind chronische Chole¬ 
zystitis und Pericholezystitis, die, innerlich behandelt, nie 
Dauerheilungen ergeben. 

Über Rezidive nach Galiensteinoperationen sagt Verf. zum 
Schlüsse, es sei schwer zu entscheiden, ob eß sieb jedesmal 
um echte Steine oder um Adhäsionsbildungen handle. Die 
Chirurgen sprächen auch von Neurosen. Durch die moderne 
Cystektomie und lange Hepatikusdrainage sind Rückfälle übri¬ 
gens seltener und in ihren Erscheinungen weit milder als die 
ursprünglichen Beschwerden. Selbst von Chirurgen wird bei 
Rezidiven, und auch zur Nachkur nach Operation, ein Brun- 
nengebrauch, wie z. B. in Karlsbad, angeraten. 

V i e r n s t e i n-Kaisheim. 

Chirurgie und Orthopädie. 

Dr. 0. Ort h. Traumatische rechtsseitige Reetusruptur. 

(M. Kl. 1916, Nr. 1, S. 12.) 

Digitized by Google 


Ein Mann verspürte beim Sprung in den Sattel unten 
rechts im Bauch einen Schmerz, der beim Husten sehr stark 
war. Nach kurzer Ohnmacht Erholung. Nachher wurde er von 
einem steigenden Pferd, das er halten sollte, in die Höhe 
gezogen und verspürte sofort an dieser früheren Stelle einen 
intensiven Schmerz, der ihn am Gehen hinderte. Befund: 
harter fester Tumor im rechten Rektus unter dem Nabel, 
Dämpfung darüber, weiches Abdomen, kein Zeichen einer Darm¬ 
verletzung, Brechreiz. Operation: vollständige Ruptur des 
rechten Rektus mit Zerreissung von Ästen der epigastr. inf. 
Naht. Heilung nach 10 Tagen. 

Differentialdiagnostisch kommt bei kleinen Rissen mit 
Beteiligung der Apeneurose eine direkte Hernie in Frage. 
Brechreiz: durch Reizung des Peritoneums durch den Blut¬ 
erguß zu erklären. 

v. S c h n i z e r. 

A. Kirchenberger: Zur Frage der Schiidelschüsse. 
(Münch, med. Wochenschrift Nr. 4, 1916.) 

Verfasser rät, zwar ausreichend zu operieren, dabei aber 
jede überflüssige Schädigung zu meiden. Weitaus die meisten 
Fälle können in Lokalanästhesie mit Kokainersatz — Adrenalin 
operativ behandelt werden, wobei die Schockwirkung einer 
Narkose ausgeschaltet wird. Sko[K)lamin anzuwenden wird 
widerraten wegen Erhöhung des Blutdruckes als auch wegen 
Atmungsstörungen. Die Schnittführung verlängert bei Tangen¬ 
tialschüssen die Schußwunde nur um weniges, bei Durch¬ 
schüssen genügt Verbindung von Ein- und Ausschuß. Periost¬ 
abhebung hat nur im Bezirk der zu entfernenden Knochen¬ 
partie zu geschehen, um Taschenbildung und Nekrose zu ver¬ 
hüten. Alle Schädelschüsse sind möglichst sofort einem ope¬ 
rationsfähigen Lazarett zuzuführen und dort mindestens zwei 
Wochen zu stationieren. 

N o w a k o w s k i-Posen: Beitrag zur Bekämpfung von 
Kollapsen hei Ausgeblnteten. 

Intravenöse und subkutane Kochsaizinfusionen haben bei 
ausgebluteten Kriegsverletzten nicht den Erwartungen ent¬ 
sprochen, die man nach den Erfahrungen der Friedenspraxis 
zu stellen berechtigt war. 

N. sieht mit Garre den Grund hierfür in der durch 
Strapazen verminderten Herzkraft der Verwundeten. 

N. verwendet daher Tropfeinläufe, wodurch der Flüssig¬ 
keitsersatz auf natürliche Weise und besser vor sich geht und 
die Herzkraft weniger stark beansprucht wird. 2—3 Liter 
Kochsalzlösung pro die läßt man einlaufen. Die Ausführung 
der Tropfeiniäufe kann wegen der nicht erforderlichen Steri¬ 
lität dem Sanitätspersonal überlassen bleiben. Treten bei Aus¬ 
gebluteten Kollapse auf, so lassen diese sich wiederholenden 
Kollapszustände wirksam beeinflussen durch mehrmalige In¬ 
halation von Sauerstoff, der aus den Sauerstoffbomben mit 
dem Drägerschen Inhalationsapparat appliziert wird. 

N. hat mit dieser kombinierten Einlaii[-Inhalations-Me¬ 
thode bei Kollapsen Ausgebluteter gute Erfolge erzielt. 

M ü h 1 h a u s. 

M Ö h r i n g: Eine Schiene für den Kriegsgebrauch. 

(M. m. Wschr. 4. 16.) 

Bis jetzt ist die Einführung einer Einheitsschiene bei 
den vorderen Sanitätsformationen noch nicht erfolgt und ßo 
ist es auch in vielen Fällen der Findigkeit der betreffenden 
Stellen überlassen, Schienensysteme auszuarbeiten, die den 
Anforderungen am vollkommensten zu entsprechen schei¬ 
nen. M. nimmt hierzu verzinkten Eisendraht von 4—6 mm 
Durchmesser und Steifgaze. Die Technik der Herstellung ist 
einfach und billig und findet Verwendung für obere als 
auch für untere Extremität. Durch das Anlegen der mit noch 
feuchter Steifgaze bedeckten Schiene modellieren sich die 
Konturen des betreffenden Gliedabschnittes in diese Schiene 
ein, wodurch die Fixation noch besonders gesichert wird. 

F. R. M ü h 1 h a us-München. 


Augenheilkunde. 

Prof. Dr. E 1 s c h n i g-Prag. Kriegsverletzungen >les Au¬ 
ges. (M. Kl. 1915, Nr. 20.) 

Präexistente Augenerkrankungen, die erst im Felde be¬ 
kannt wurden oder Zufallsbefunde bei Verwundeten usw. 
waren ziemlich zahlreich: hochgradige Myopie ohne Aus¬ 
gleich durch Gläser, Choriditis, Retinitis pigmentosa Hom- 
hautnarben, sogar beiderseits, 2 Fälle von Stauungspapille 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








168 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 17 . 


infolge von Tumoren, und zwar durchaus bei Soldaten die 
von der Front kamen. Verfasser zieht darauf den (nach den 
Erfahrungen des Referenten keineswegs so allgemeingültigen) 
Schluß, daß die gegenwärtige Kampfweise im allgemeinen 
an Sehtüchtigkeit und organisches Nervensystem des Solda¬ 
ten relativ geringe Anforderungen stelle. 

Recht zahlreich waren die indirekt durch Kriegsverlet¬ 
zungen erzeugten bekannteren Augenerkrankungen infolge 
schwerer Schädelverletzungen, dann Hemianopie, Parese der 
oculopapillaren Fasern des Sympathicus. 

Recht interessant sind einige schwere Fälle mit schweren 
Allgemein-Störungen ohne Verwundung infolge von Granat¬ 
explosionen in nächster Nähe: Commotio cerebri mit Störun¬ 
gen der Psyche und der vasomotorischen Sphäre: auffallend 
weite oder ungleiche Pupillen mitunter alternierend beide« 
bei normaler Reaktion mit fehlenden, sonst bei der traumati¬ 
schen Neurose beobachteten Ermüdungserscheinungen im Ge¬ 
sichtsfelde. Gleichzeitig regelmäßige hysterische Stigmata. 
Recht interessant ist ferner ein Fall von langsam in 7 Wochen 
zunehmender Neuritis optica nach Durchschuß entlang der 
Schädelbasis. Heilung durch Unterbindung der Carotis interna 
(Aneurysma). 

2 mal kam Exophthalmus zur Beobachtung durch chroni¬ 
sche Periostitis der orbita, bezw. durch Aneurysma arterio- 
venosum der Carotis interna im Sinus cavernosus nach Schu߬ 
verletzung bedingt. Verhältnismäßig häufig waren die hysteri¬ 
schen Anomalien des Sehorgans im Anschluß an kleine 
organische Läsionen, die sich schwer unterscheiden von den 
simulierten Sehstörungen. Bei beiden erzielten starke fara- 
dische Ströme bald wieder Diensttauglichkeit. Verhältnismäßig 
gering waren die schweren Zertrümmerungen des Auges, die 
meist gleich letal endeten. Zu erwähnen sind weiterhin die 
an schwere Kriegsverletzungen sich anschließenden Nasemneben- 
höhlenaffektionen. 5 Fälle von Tränensackblennorhoe. 

Gering an Zahl waren Trachom und Augengonorrhoe 
(1 mal), während über Erwarten groß die Zahl kleiner Ver¬ 
letzungen des Auges waren: Chorioidalruptur. Wichtig ist 
darin der Glaskörperersatz, den Verfasser 3 mal bei Fremd¬ 
körperverletzung angewandt hat. 

Wird dies frühzeitig bewerkstelligt, so können viele Augen 
mit traumatischen Glaskörperblutungen gerettet oder in ihrer 
Form erhalten werden. 

Verfasser verlangt für alle Verwundeten-Stationen, nament¬ 
lich an den sogenannten Quarantäne-Stationen Augenärzte als 
Konsiliarärzte. v. S c h n i z e r. 


Medikamentöse Therapie. 


Glanduitrin-Tonogen wird nach Ansicht des Verf. künftig¬ 
hin ausgedehnte Verwendung finden. 

(Referent kann au3 eigener Erfahrung bei einem schwer¬ 
sten Falle von Asthma bronchiale, sowie einem Falle von 
Oedema pulmonum bei einem Basedow-Kranken bestätigen, 
daß die Injektion von Adrenalin unbeschadet der promp¬ 
ten kupierenden Wirkung, mit sehr peinlich empfundenen 
Nebenerscheinungen verknüpft ist, wie starkes Schwindel- und 
Ohnmachtsgefühl, Angt, und Klopfen in den Ohren, ein Kom¬ 
plex, dem indes nach ca. 15 Minuten schon eine profuse 
Expektoration mit sofortiger subjektiver und objektiver Besse¬ 
rung zu folgen pflegt.) 

V i e r n s t e i n-Kaisheim. 


Bücherschau. 

Wilh. Ostwald, Moderne Naturphilosophie. I. Die 
Ordnungswissenschaften. (Akad. Verlagsg. in Leipzig 1914. — 
410 8., Mk. 12. — bezw. 13,60 ) 

Zu den interessantesten Erscheinungen unserer Zeit gehört 
unstreitig Wilhelm O s t w a 1 d. Ob sein Charakterbild 
in der Geschichte schwanken wird, ist mir zweifelhaft; da er¬ 
scheint er wohl eher als Typus des Übergangsmenschen vom 
XIX. zum XX. Jahrhundert, stolz auf die Leistungen seiner 
Wissenschaft uud stolz auf sie vertrauend in die Zukunft 
blickend. In der Gegenwart freilich schwankt sein Bild aller¬ 
dings in erheblichen Breiten; denn den Idola theatri, wie 
Bacon die Meinungen der Schulen nannte, spielt er übel 
mit, und das ist allen denen höchst unbequem, die gewöhnt 
sind, auf eines Meisters Worte zu schwören. 

Das vorliegende Buch behandelt nach einer geistreichen 
Einleitung über das Philosophieren und seine Schwierigkeiten 
die Erfahrung, die Sprache und ihre Unzulänglichkeit, die Be¬ 
griffe und die Sinne. Im wesentlichen ist das Buch aber der 
Logik und der Mathematik gewidmet. 

Je nach den Zeitumständen sind noch 2 weitere Bände 
über die energetischen und die biologischen Wissenschaften in 
Aussicht genommen. Vielleicht fragt mancher: was gehen 
mich die Ordnungswissenschaften und die ganze Naturphilo¬ 
sophie an? Zumal iu der dermaligen Zeit, in welcher die Er¬ 
eignisse mit ungeahnter Energie an uns heranbranden, ist der 
Sinn wenig auf das kontemplative Gebiet eingestellt. Wer 
aber dennoch Müsse zum Lesen findet, wird seine helle Freude 
haben an der Urwüchsigkeit des Denkens und an der glänzenden 
Darstellung. Buttersack. 


Bela Purjesk: Therapeutische Erfahrungen mit Glan- 
duitrin-Tonogen, mit besonderer Berileksiehtigung hei Asthma 
bronchiale. — (Ther. d. Gegw. 1915, X.) 

Auf der inneren Klinik der Universität Klausenburg (Un¬ 
garn) angestellte Versuche mit Glanduitrin-Tonogen bei Asth¬ 
ma bronchiale fielen zufriedenstellend insofern aus, als das 
Mittel, subkutan bezw. intravenös einverleibt, stets und sicher 
imstande war, die Dauer des einzelnen Anfalles abzukürzen, 
nicht aber, die zeitlichen Zwischenräume zwischen 2 Anfällen 
zu verlängern. In letzterer Hinsicht erwies sich das Präparat 
vielmehr wirkungslos. Dagegen gelang es mit ihm auch in 
Fällen von kardialer und nephritischer Dyspnoe, sowie bei 
Ödema pulmonum verschiedenen Ursprungs, immer rasch die 
bedrohlichen Symptome zum Schwänden zu bringen. 

Glanduitrin-Tonogen enthält in 1 ccm 0,2 mg Extrakt der 
Glandula pituitaria, sowie 0,0005 mg Adrenalin. 

Adrenalin wirkt nach den bisherigen Untersuchungen durch 
Reizung der peripheren Nervenendigungen, Glanduitrin dage¬ 
gen, indem es direkt an den Muskeln angreift. Beide haben 
vorübergehend Blutdrucksteigerung zur Folge. Die Wirkung 
auf den Bronchialbaum ist in einer Erweiterung der Bronchiolen 
mit lebhafter Sekretion und erleichterter Expektoration zu 
sehen. 

Der Adrenalin-Bestandteil des Präparates bringt nach An¬ 
nahme des Verf. einen die günstige Gesamtwirkung vorüber¬ 
gehend störenden Nachteil mit sich, weil in den meisten Fällen 
unmittelbar nach Einverleibung des Tonogens Herzbeklem¬ 
mung, Angstgefühl, Blässe, Ohrensausen und Schwindel sich 
zeigte, auch Brechreiz, Stuhl- und Harndrang. Diese Er¬ 
scheinungen schw’anden jedoch raschest und machten der er¬ 
wünschten Endwirkung Platz. 


Notiz. 

Tagesordnung zur Ausserordentlichen Tagung des 
deutschen Kongresses für Innere Medizin am 1. und 
2. Mal 1916 in Warschau. 

Montag, 1. Mai, 9’/ 2 Uhr: Eröffnungssitzung. 

Abdominal typhus. Referenten: General Oberarzt 

Geheimrat v. Krehl; Generalarzt Hünermaun. 

P aratyphus. Referent: Generalarzt Geheimrat Stintzing. 
Herzkrankheiten bei Kriegsteilnehmern. 

Referent: Professor Wenckebach. 
Nierenentzündungen im Felde. Referent: 

Generaloberarzt Geheimrat HirBch. 

Zur Diskussion eingeladen: Stabsarzt d. R. Prof. Bruns; 

Oberarzt Dr. Jungmann. 

Abends Kameradschaftliches Beisammensein. 

Dienstag, 2. Mai, 9 Uhr: 

Fleckfieber. Referent: Generaloberarzt Prof. Brauer. 
Biologie der Laus. Referent: Prof. Hase. 

Zur Diskussion eingeladen : Dr. Munck. 

Schutz des Heeres gegen Cholera Referent: 

Oberstabsarzt Prof. Hofmann. 

Ruhr. Referenten: Generaloberarzt Geheimrat Matthes; 
Geheimrat Prof. Kruse. 

Anschliessend an die Sitzungen und, wenn erforderlich, 
am 3. Mai werden Führungen durch die ständigen und kriegs- 
mässigen medizinischen und sanitären Einrichtungen und An¬ 
stalten Warschaus veranstaltet. 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 


'ERSITY OF ILLINOIS AT 
RBANA-CHAMPAIGN 


Digiti: 






33. Jahrgang. 


ang. IfllS/lfi. 

Tortscbritte der IDedizin. 


Unter mitwirkung bercorragcndtr fadmnner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 18 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H., Berlin NW. 87. — Alleinige Inseratenannahme durch 
Qelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


30. März 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Mittelrheinische Chirurgenvereinigung. 

Sitzung vom 8 . und 9. Januar 1916 zu Heidelberg'. 

Vorsitzender: Prof. M. W i 1 m s. 

Bericht von Prizatdoz. Dr. Franke- Heidelberg. 

8. Januar 1916. Nachmittags. 

i. Kopfschüsse: Herr Guleke Strassburg. 
Einleitender Vortrag. 

G. wählt die Einteilung in Diametral-Tangential- und 

Steckschüsse, die zugleich bestimmend ist für unser ver¬ 
schiedenartiges Eingreifen. Bei den Diametral¬ 
schüssen ist die Verletzung von Schädel und Hirn 
meist so schwer, dass der Tod sofort eintritt. Nur 
wenn ein verhältnismässig kleines Geschoss Knochen 
und Gehirn mit verminderter Gewalt glatt durch¬ 
schlägt, ohne lebenswichtige Zentren zu treffen, be¬ 
kommen wir die Verletzten in Behandlung. Einschuss 
durch Haut und Knochen meist klein, Ausschuss eben¬ 
so. gelegentlich auch etwas grösser. Zertrümmerung des 
Gehirns verhältnismässig gering mit wenig kleinen 
Knochensplittern, da die Splitter vom Ausschuss nach 
aussen fortgerissen werden. Deshalb Gehirnödem ge¬ 
wöhnlich viel geringer als bei Tangentialschüssen. Bei 
aseptischem Verlaufe kann ohne weiteres Heilung ein- 
treten, auch wenn zeitweise Hirnbrei abfloss. Kommt 
eine Infektion, so ergreift sie selten den ganzen Schuss¬ 
kanal, häufig aber die Mitte desselben. 

Aehnlich liegen die Verhältnisse beim Steckschuss, 
der in gewissem Sinne einen abgesehwächten Durch¬ 
schuss darstellt. Fragmente der Tabula interna meist 
grösser u,nd in nächster Nähe des Einschusses. Bei 
noch matterem Auftreffen kann das Geschoss im. oder 
dicht hinter dem Knochen auf der intakten Dura liegen 
bleiben ; die Lamina interna ist dann stets mehr zertrüm¬ 
mert, als die externa. Auch wenn nur die Aussenseite des 
Knochens getroffen wurde oder selbst wenn die äussere 
Haut intakt blieb (Prellschuss) findet man die Ta¬ 
bula interna sehr häufig frakturiert. Die Erscheinun¬ 
gen sind zunächst gering, sofern keine lebenswichtigen 
Zentren getroffen wurden, im weiteren Verlaufe aber 
entsteht um das steckengebliebene Geschoss häufig 
ein Abszess. 

Die relativ schwersten Veränderungen an Knochen 
und Gehirn findet man bei den Tangential- und Seg- 
mentalschüssen, weil grosse Teile des Knochens her¬ 
ausgesprengt und die Knochenstücke senkrecht zum 
Schusskanal oft weit in das Gehirn auseinandergestreut 
werden. Daher auch sehr ausgedehntes posttraumati- 

Digitized by Google 


sches Hirnödem und als dessen Folge mehr oder weni¬ 
ger grosser Prolaps. Dieser Prolaps hat zunächst wenig 
zu bedeuten, in den meisten Fällen aber kommt später 
die Infektion dazu und neben dem traumatischen das 
entzündliche Hirnödem. Der Prolaps wächst dann 
rapid, verschliesst die ganze Schädelöffnung, behindert 
den Abfluss und kann durch Abschnürung am Knochen¬ 
ring gangränös werden (gefährlicher Prolaps nach 
W i 1 m s). Sofortige Operation kann noch helfen, wenn 
es gelingt, den Abfluss aus der Wunde in Gang zu 
bringen und die Eiterherde in der Tiefe zu entleeren. 
Sonst Tod an Encephalitis oder Meningitis. Auch 
-pater bestehen noch Gefahren für diese Patienten 
durch Zysten oder Abszesse, die sich an Stelle des ver¬ 
loren gegangenen Gehirnteiles unter der Narbe entwik- 
keln können, und die im besten Falle stets zurückblei¬ 
bende ausgedehnte Narbe zwischen Gehirn und Schä¬ 
delwunde führt häufig zu Epilepsie. Endlich ist später 
noch der meist zurückbleibende Defekt im Schädel¬ 
knochen zu beseitigen. Die Frage, ob man operieren 
soll oder nicht muss entschieden werden auch mit Rück¬ 
sicht auf die Schädigungen, die einer ausgiebi 
gen Trepanation folgen können. Wenn nicht gerade 
Hirnbrei aus der Wunde fliesst, so lassen oft die kli¬ 
nischen Erscheinungen und die äussere Untersuchung 
der Wunde keinen sicheren Schluss auf die Art und 
die Schwere der Verletzung zu. Deshalb ist prinzipiell 
jede Schädelschusswunde zu revidieren und erst nach 
dieser genauen Orientierung die Indikation für das 
weitere Vorgehen zu.stellen. Je grösser die Hirnläsion 
und das Loch in der Dura, desto grösser die Gefahr 
der Infektion, die wir gerade mit unserem Eingriff 
bekämpfen wollen. Deshalb dürfen wir bei kleinem 
Ein- und Ausschuss konservativ verfahren; das ist bei 
der Mehrzahl der Durchschüsse. Abszesse, die wir mit 
unserm Eingriff doch nicht erreichen würden, kom¬ 
men bei diesen Fällen ohnehin häufig in der Mitte 
des Schusskanals im Gehirn vor. Die äusseren Wun¬ 
den sollen aber auch bei diesen Fällen exzidiert, even¬ 
tuell vorgequollenes Hirn und Knochensplitter ent 
fernt und die Wunden lose tamponiert werden, um 
eine sekundäre Infektion von aussen zu vermeiden. 

Aehnlich verhalten sich die Steckschüsse, bei denen 
aber das Geschoss, wenn irgend möglich, entfernt wer¬ 
den sollte und zwar sofort bei der Wundversorgung, 
wenn es in der Knochenwunde liegt und ohne weiteres 
erreichbar ist. Im übrigen ist vor breiter Trepana¬ 
tion frischer Fälle zur Geschossextraktion ohne Rönt¬ 
genbilder zu warnen. Nur Zeichen von Infektion 
berechtigen bei Steckschüssen zur breiten Eröffnung 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 18. 


l?0 


des Schädels, ohne dass man auch dann unter allen 
Umständen die Extraktion des Geschosses erzwingen 
müsste. Abszesse um das Geschoss und auch sonst 
in unerreichbarer Tiefe des Schusskanales führen 
öfters zur tödlichen Meningitis. 

Bei den viel schwereren Verletzung durch Tangen¬ 
tialschüsse muss immer operiert werden und zwar mög¬ 
lichst früh, weil beim Zuwarten die Infektionsgefahr 
steigt und die Orientierung im Gehirn schwerer wird 
bezüglich dessen, was gesund oder zertrümmert ist. 
Strengste Asepsis und eine gewisse chirurgische Tech¬ 
nik sind unerlässlich. Alles infektiöse Material muss 
entfernt werden, die gequetschten Wundränder werden 
exzidiert, aber das Loch im Schädel nicht zu stark er¬ 
weitert, weil sonst die Gefahr der Meningitis steigt. 
Zum Schluss wird die Höhle im Gehirn mit dem Fin¬ 
ger ausgetastet und dabei alle Knochensplitter entfernt. 
Kochsalzausspülung, nicht unter Druck, erleichtert die 
Reinigung. Die Wunde wird mit weichem Drain ver¬ 
sorgt und bleibt offen, da mit der primären Naht, 
wie sie Stich, Schmieden und Bäräny emp¬ 
fahlen, nur schlechte Erfahrungen gemacht wurden. 
Auch andere Methoden der Drainage leisten zweifellos 
gutes, wenn man sie beherrscht und richtig anwendet. 
Nach der Operation tritt fast stets als Folge des Trau¬ 
mas Hirnödem und ein Prolaps auf, den man aber 
nicht durch kompinierende Verbände oder gar durch 
Abtragen bekämpfen darf, denn er verschwindet spon¬ 
tan, wenn nicht entzündliche Erscheinungen dazu kom¬ 
men. Im letzteren Falle wächst der Prolaps rapid, die 
Pulsation in ihm hört auf, weil sich sein Stiel am zu 
eng werdenden Knochenring einklemmt und der Pa¬ 
tient bietet das Bild des Hirnabszesses. Nur eine schnell 
vorgenommene zweite Operation mit ausgiebiger Er¬ 
weiterung der Knochenwunde, Eröffnung und Ablei¬ 
tung des Herdes in der Tiefe kann dann noch helfen. 
Exzision eines Stückes aus der Decke des Hirnabs¬ 
zesses hat Wilms empfohlen, um den längeren Eiter¬ 
abfluss zu sichern. Meningitis und progrediente Ence¬ 
phalitis sind die zwei gefürchtetsten Komplikationen 
im weiteren Verlauf und beide können noch nach Mona¬ 
ten auftreten. Auch die eitrige Meningitis kann aus¬ 
heilen, allerdings in seltenen Fällen. Die frühzeitige 
Lumbalpunktion ist nicht zu empfehlen, weil man durch 
sie die Infektion ausbreiten kann. Man soll vielmehr 
zuerst den Ausgangspunkt der Meningitis suchen und 
breit eröffnen. Im weiteren Verlauf sind dann wieder¬ 
holte Lumbalpunktionen nützlich. Urotropin wurde 
lange Zeit ohne jeden Nutzen gegeben. 

Auch nach vielen Monaten droht den Patienten 
noch Hirnabszess und Zyste; oft ohne dass jemals 
irgend welche Erscheinungen bestanden, kommt plötz¬ 
lich das schwere Krankhcitsbikl. Das Auffinden des 
Abszesses durch die äussere Untersuchung ist zu¬ 
weilen so schwer, dass wir die Probepunktion trotz 
ihrer Gefahren nicht ganz entbehren können. Entlang 
der Nadel wird dann sofort inzidiert, ohne vorher zuviel 
Eiter abzusaugen. Die Prognose der Abszesse ist keine 
gute, auch bei zartestem Vorgehen. Immerhin wurden 
von 22 Fällen 7 vorläufig gerettet. 

Eine weitere Spätfolge ist die Epilepsie, die wohl 
am besten durch Ablösen der Narbe und Implantation 
eines Fettlappens zu behandeln ist. 

Nach alle dem ist die Prognose immer ernst und 
besonders mit der Wiedereinstellung in den 
Dienst kann man nicht vorsichtig genug sein. Ver¬ 
wundete mit schweren Schädel- und Hirnschüssen dür¬ 
fen nicht wieder zurück an die Front. Auch bei den 
leichteren Fällen, bei denen die Dura intakt blieb, 
sollte man sehr vorsichtig sein, selbst wenn die 
Knochenlücke wieder geschlossen ist. 

Diskussion: Plerr Wilms: Ein Teil der 

Digitized by Goosle 


frischen Schüsse kann genäht werden. Beide Wege 
sind richtig. 

Herr Ernst demonstrierte an der Hand von 
Schnitten durch das Gehirn entsprechender Fälle 
(photographiert und als Diapositiv projiziert), den Weg, 
auf dem sehr häufig nach Abszessen die Meningitis 
entsteht. Es erfolgt nämlich oft der Durchbruch des 
Eiters in einen Ventrikel; von da aus kriecht die Eite¬ 
rung entlang der Plexus choreoidei an die Schädel 
basis. 

Herr Passow: Die Drainage muss richtig ge¬ 
macht werden, dann sind verschiedene Methoden mög¬ 
lich. Unter Umständen kann man doch frische Wun 
den nähen. Die Leute sollen lange liegen bleiben. 
Besonders zu unterstreichen ist, dass die Leute mit 
grossen Ausnahmen nicht wieder dienstfähig 
werden. Sie sind eine Gefahr für sich selbst und die 
Truppe. 

Herr v. Beck berichtet über 70 behandelte 
Schädelschüsse. 3 Fälle von tangentialem Infanterie¬ 
schuss, die er frisch bekam, hat er sofort genäht und 
sie sind geheilt. Frische Verletzungen soll man nicht 
drainieren, Abszesse drainieren, aber nicht tamponieren. 

Herr Colmers betont mit Guleke die ernste 
Prognose. Man soll nach Bäräny frische Fälle von 
Tangentialschüssen nähen. Auch Steck- und Durch¬ 
schüsse haben recht trübe Prognose. 

Herr König ist mit der Naht frischer Fälle nicht 
einverstanden. Die schlimmsten Fälle, die er gesehen 
hat, waren die verschlossenen, und er hält es deshalb 
für leichtsinnig, wenn man die Bäränysche Methode 
allgemein empfiehlt. 

Herr Steinthal unterscheidet 3 Formen der 
Abszesse und zwar 1 . Rindenabszesse, die gut werden 
nach Inzision, nicht nach Punktion; 2 . subkortikale 
Abszesse, die gleichfalls meist gut werden nach In 
zision; 3 . exzentrisch der Wunde subkortikal liegende 
Abszesse, die alle nicht gut werden. Der Transport 
soll vermieden werden, besonders der, oft auf Drängen 
der Leute vorgenommene, Transport von einem Re¬ 
servelazarett zum andern. 

Herr Hotz bemerkt demgegenüber, dass transpor¬ 
tierte Schädelschüsse oft nicht direkt nach dem Trans¬ 
port, sondern später erkranken. 

2 . Herr Hotz: Ueber Schädelplastik. 

Die Indikationen für die Operation sind gegeben 
durch zarte leicht verletzbare Narben, durch ent¬ 
stellende grosse Narben, durch Narben, die eine Ver¬ 
letzung des Gehirns zulassen, endlich durch Epilepsie 
und psychische Beschwerden. Es ist wichtiger zu 
fragen, w ann soll operiert werden, als w i e soll man 
operieren und da ist zu betonen, dass man nur ausge¬ 
heilte Fälle operieren sollte. 

Nach der Grösse der Lücke im Knochen unter¬ 
scheidet man etwas willkürlich 1 . rinnenförmige kleine 
Defekte. 2 . mittlere bis etwa daumengliedgrosse, 3 . ganz 
grosse bis handtellergrosse. Epilepsie machen unter 
diesen am meisten die mittleren. Man findet bei der 
Operation in der Tiefe straffe Narben und Verwach 
sungen. Bei diffusen ödematösen Narben kommt es 
nicht zu Epilepsie. Deshalb ist ein diffuses Oedent 
besser, als die Fettplastik. Die Epilepsie findet 
man am häufigsten bei Verwachsungen über der 
motorischen Zone und sie tritt oft sehr früh¬ 
zeitig auf. Bei Epilepsie und geheilten W'unden 
soll man plastisch Vorgehen mit Knochendeckung, bei 
offenen Wunden mit Epilepsie ist die Revision der 
Wunde ohne Plastik zu wählen. Auch frische Fälle 
hat Hotz plastisch gedeckt, um Epilepsie zu vermei¬ 
den und hat tatsächlich keine Epilepsie kommen sehen. 

Unter den Plastiken hat die Autoplastik den Vor 
zug vor der Heteroplastik. An der Stirne wurde die 
Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 










Mr. 18. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


171 


freie Knochentransplantation gewählt, um weitere 
entstellende Narben zu vermeiden. Es wurden mit Vor¬ 
teil die nötigen Stücke tangential der Vorderseite der 
Klavikula entnommen. Am behaarten Schädel wurde 
die Methode von Garre benutzt und 19 mal der 
Periostlappen direkt auf das Gehirn gelegt. Bei der 
Bildung des Lappens ist grosse Wärmeerzeugung durch 
das Instrument zu vermeiden und man bedient sich 
am besten des Meisseis. Eine Fcttplastik unter dem 
Periostlappen wurde nur gemacht bei den Fällen mit 
straffer Narbe, nicht aber bei denen mit ausgedehntem 
Oedem des Gehirns. 

Diskussion: Herr Perthes: Oberflächliche 
Tangentialschüsse (zum Vortrag Guleke) werden 
besser nicht operiert, weil sie nach dem Eingriff nicht 
besser werden und das rührt davon her, dass die 
Schädigung im Gehirn bei diesen Fällen oft nicht unter 
der äusseren Verletzung, sondern an einer weit entfern¬ 
ten Stelle im Gehirn liegt. 

Zur Plastik der Dura (Vortrag Hotz) nimmt 
Perthes Netz, weil dieses eine gesunde unterletzte 
Oberfläche hat. Darüber macht er die Knochenplastik. 
Der Schädel soll ganz geschlossen werden. Er hat bis¬ 
her 5 Fälle von Epilepsie so behandelt: den ersten 
im Jahre 1912 . In 3 Fällen hörten zunächst die 
Krämpfe nicht auf, sondern erst später nach einer 
Reihe von Monaten. Unter sorgfältiger Auswahl der 
Fälle, die vor allem nicht infiziert sein dürfen, ist die 
prophylaktische Operation, wie sie von Hotz ausge¬ 
führt wurde, wohl angezeigt. 

Herr Reich hat derbe Narben oder Zysten nur 
zweimal unter 25 Fällen gefunden. An der Grenze 
des Defektes ist die Vernarbung besonders stark. Das 
Narbenödem stammt her von einem behinderten Blut 
und Lymphabfluss. Es kann lange Zeit bestehen blei¬ 
ben und sich noch nach 1 — i 1 /* Jahren finden. Es 
können sich daraus Arachnoideal- oder Kortikalzysten 
entwickeln, denn man findet in der Umgebung der 
Zysten oft noch das Oedem oder aber es bilden sich 
daraus feste Narben. Bei ausgebrochener Epilepsie 
soll man operieren und zwar nicht nur die Lücke 
schliessen. Die Frühoperation bei den Schädeldefekten 
ist zu empfehlen, denn es bestehen oft latente Beschwer¬ 
den, die nach der Entlassung der Patienten schnell zu- 
nehmen. Den primär gedeckten Fällen dagegen geht 
es oft am besten. Unter 25 Fällen waren 7 mit Abs¬ 
zessen, von denen einer starb. Im ganzen 3 heilten 
nicht primär. Das Oedem muss exstirpiert und der 
entstehende Defekt plombiert werden. 

Herr G. B. Schmidt: Man soll nach Horsley 
bei Abszessen nicht punktieren oder schneiden, sondern 
mit einem stumpfen Instrument vorgehen. und wenn 
man Eiter findet, durch spreizen des Instrumentes die 
Lücke erweitern; das ist am schonendsten. Bei Aus¬ 
tauschgefangenen hat er eine Reihe von Fällen ge¬ 
sehen, die in Frankreich mit Silberplatten plastisch ge¬ 
deckt wurden. Nur bei einem lag die Platte noch an 
Ort und Stelle. Alle andern hatten sie in der Tasche. 

Wenn er selbst plastische Operationen macht, so 
legt er den Hautschnitt zickzackförmig durch die 
Narbe, weil dann die Ränder besser ernährt sind. 

Herr Hof mann (Mannheim): Freie Transplanta¬ 
tionen können nekrotisch werden und ferner in den 
Defekt einsinken. Die Müller-Königsche Methode mit 
gestielten Lappen macht Wülste und die kahle Stelle 
der Narbe bleibt bestehen: Wegen der Dicke der 
l-appen ist die Orientierung oft schwer. Bei dünnen 
Knochen kann man beim Abmeisseln zu tief kommen 
'md einen neuen Defekt machen. Das Verfahren von 
Oarre mit gestielten Lappen der Haut und einen 
darunter für sich gestielten Periostknochenlappen ist 
besser. Demonstrationen von nach den verschiedenen 

Digitized by Google 


Methoden operierten Fällen. Eine Lähmung, die früher 
bestand und sich zurückgebildet hatte, kann nach der 
Plastik wieder auftreten. Zum Schluss bespricht er 
eine eigene Methode der Plastik, bei der die äussere 
Narbe exzidiert und darunter zur Deckung der Knochen¬ 
lücke ein brückenförmig gestielter Periostlappen ge¬ 
bildet wird. 

Herr Lexer (Jena): Es muss bei der Deckung 
des Defektes auch die Narbe am Hirn entfernt und die 
entstehende Lücke durch Fett ausgefüllt werden. Peri¬ 
toneum wird schwielig. Die freie Transplantation ist 
gut, aber sie muss richtig ausgeführt werden. Gute 
Blutstillung ist unerlässlich, das Fett darf nicht ge¬ 
quetscht werden und es darf auch zu keiner ,,leichten 
Infektion“ kommen, sonst gibt es immer Narben. Die 
Technik soll jeder so machen, wie er sie am besten 
kann. Er selbst nimmt Fett in Verbindung mit dem 
Periostknochenstück von der Vorderfläche der Tibia 
und legt die Fettschicht nach innen. Die dünne Fett¬ 
schicht an der Vorderseite des L-nterschenkels genügt. 

Man soll mit der Deckung recht lange warten, 
mindestens ’/s — S U Jahre, denn es gibt noch oft kleine 
Abszesse in älteren Narben. Eine Reihe alter Narben, 
die Lexer exzidierte und bakteriologisch untersuchen 
liess, gab viel positive Resultate. 

3 . Bei einer kurzen Diskussion über das Thema 
„a n t i s e p t i s c h e Wundbehandlung“ ohne ein¬ 
leitenden Vortrag, befürwortet Herr Ritter das aus¬ 
giebige Exzidieren aller frischen Wunden. Damit ver¬ 
meidet man Gasphlegmonen. Auch Stauung tut gutes. 
Er wäscht und bürstet nach der Umschneidung die 
Wunden aus und behandelt sie weiter mit Perubalsam 
oder Wundöl (Knoll). Man muss darnach fleissig ver¬ 
binden. 

Es sprechen zu dem Thema weiter: Herr v. Beck, 
Ende r len, Teutschländer, Aschoff.Wilms, 
Hotz, Simon, König, Perthes, Franke, Col- 
mers, Hagemann, Nicht alle stimmen mit Ritter 
in diesem radikalen Vorgehen überein. 

4 . Ueber Gasphlegmone, Herr Hage¬ 
ln a n n. Einleitender Vortrag. 

Es gibt verschiedene Typen unter den Gasphleg¬ 
monen und deshalb liegen auch mancherlei Versuche 
der Klassifizierung vor. Die Unterscheidung nach epi- 
faszialen und subfaszialen Formen von Payr ist nicht 
gut. Das gibt es bei allen Phlegmonen und ist kein 
Unterschied in den einzelnen Fällen. Besser ist die 
Einteilung von Kausch: 1 . in leichte Formen, bei 
denen die Muskeln wenig beteiligt sind, die Haut in¬ 
takt und das Allgemeinbefinden gut ist und die in 
Heilung ausgehen; 2 . schwere Formen mit zweifelhaf¬ 
tem Ausgang; 3 . fudroyante Formen mit tödlichem 
Ausgang. 

Nach eigenen Beobachtungen unterscheidet Hage¬ 
mann auch 3 Formen und zwar: 1 . Im Vordergründe 
steht die Gasbildung. Das klinische Bild ist das einer 
mehr oder weniger schweren Infektion. Kein Geruch; 
Beschwerden gering. Im weiteren Verlaufe zunder- 
artiger Zerfall der Muskulatur, Verschlechterung des 
Allgemeinbefindens, event. Tod. 

2 . Die Gasbildung ist gering. Als erstes Symptom 
findet man Schmerzen distal von der Wunde. Starker 
Geruch, oft kommen vereinzelte Gasblasen aus der 
Wunde. Die Muskulatur in fauligem Zerfall wie bei 
einer Wasserleiche, aber nicht wie Zunder. Frühzeitige 
Gangrän. Ausgedehnte Thrombose der Gefässe. Tem 
peraturen hoher als bei 1 . 

3 . Im Vordergründe steht die Eiterung. Der experi¬ 
mentelle Gasbrand Fränkels entspricht am meisten 
der Form 1 . Im Tierexperiment ist Kombination von 
Gasbildern und Eiterkokken besonders schwer im 
Gegensatz zum Menschen, wo bei Eiterbildung das 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







172 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. IX 


Krankheitsbild leichter zu sein pflegt. Aber nicht nur 
der Fränkelschc Bazillus kann das Krankheitsbild her- 
vorrufen, sondern beispielsweise auch anärobe Strepto¬ 
kokken. Daher das verschiedene Krankheitsbild. 
Sicheres ist indessen darüber noch nicht zu sagen. 

Die Therapie ist gleichmässig für alle drei For¬ 
men. Bei subkutanen Phlegmonen macht man, wenn 
möglich, Schnitte vom gesunden ins gesunde. Bei 
tiefen Phlegmonen wird die Wunde erweitert und alle 
Muskelinterstitien vollständig gespalten unter sorg¬ 
fältiger Schonung der Nerven und Gefässe. Wo dies 
radikale Verfahren nicht zum Ziele führt, nützt auch die 
Amputation nichts. Amputiert wurde nur bei gleich 
zeitig bestehenden Zertrümmerungen der Knochen und 
bei Verletzungen der grossen Gefässe, oder wenn be 
reits ausgedehnte Gangrän eingetreten war. 

Die Prognose ist nicht so schlecht als es anfangs 
schien. Die frühzeitige Diagnose ist wichtig und der 
Schmerz ein besonders charakteristisches Frühsym¬ 
ptom. 

Prophylaktisch von Bedeutung ist die Behandlung 
Irischer Granatsplitterverletzungen, die besonders zur 
Gasphlegmone disponieren. Die Wunden müssen ge¬ 
spalten und ihre Taschen erweitert werden. Dann 
wurde mit Karbolwasser ausgespült. 

Diskussion: Herr Gar re: Die Muskelinter¬ 
stitien, soweit sie erkrankt sind, zu spalten, ist wichtig. 
Es wurde z. B. in manchen Fällen vom Knie bis zum 
Fuss durchgespalten. 

Herr Simon hat ein Jahr nach der Verletzung und 
5 Monate nach Heilung aller Wunden und Fieberlosig- 
keit bei einer komplizierten Fraktur Knochennaht ge¬ 
macht. Gleich nach der Verletzung hatte ein Gasabs¬ 
zess bestanden. Gasphlegmone und Tod nach 70 Stun¬ 
den waren die Folge. Es müssen noch Bakterien in 
den Geweben gewesen sein. 

Herr v. Beck spricht von der chronisch gan- 
gräneszierenden progredienten Phlegmone, die patho¬ 
logisch anatomisch auf einer Thrombophlebitis beruht, 
ausgehend von Kleiderresten in der Wunde. Baktero- 
logisch findet man Anärobe und Strepto- oder Staphylo¬ 
kokken. Grosse Inzisionen und oft auch die Amputa¬ 
tion führen nicht immer zum Ziel. Der Exitus erfolgt 
dann meist nach 3—4 Monaten. 

Herr Aschoff: Bei tödlich verlaufenden Fällen 
ist die Ursache immer eine reine Intoxikation, keine 
Sepsis; denn wenn man 1—2 Stunden nach dem Tode 
die Sektion macht, findet man nirgends im Blut und 
den Organen Bakterien oder Gasblasen. 

Eine scharfe Trennung zwischen malignem Oedem 
und Gasphlegmone ist nicht vorhanden. Es gibt Ueber- 
gänge von einem zum andern. Deshalb ist es möglich, 
dass wir mit der Impfung weiterkommen auch bei der 
Gasphlegmone und dass uns dabei die Erfahrungen 
am Tier über den Rauschbrand nutzen. 

Herr Ritter hält daran fest, dass sich bei seinen 
Fällen auch schon 2 Stunden nach dem Tode immer 
Gasblasen in den inneren Organen fanden. 

Herr Wullstein: Bei der Sektion von Gas 
phlegmonen findet man keine Thrombose der Gefässe. 
Die Gangrän hat ihre Ursache in der Spannung der 
Gasblasen im Gewebe. 

Herr M e i s e 1: Bei langsam verlaufenden Gas¬ 
phlegmonen fehlt der Schmerz. Dann kann das Rönt 
genbild die Gasansammlung in der Tiefe frühzeitig 
aufdecken (Demonstration). 

Herr Sauerbruch: Nach experimentellen Unter¬ 
suchungen kann man unter aseptischen Kau- 
telen Gasbildung hervorbringen, und es kann dabei 
Gangrän auftreten einfach durch mechanische Schädi¬ 
gung der Gewebe. Das stimmt zur klinischen Beobach¬ 
tung (W ullstein). 

Digitized by Google 


Die Anschauung von Aschoff, dass der Tod bei 
der Gasphlegmone durch Intoxikation erfolgt, ist die 
richtige. 

Es folgen zum Schluss des eisten Abends noch 
eine Reihe von Demontrationen, die aber zum kurzen 
Referat meist nicht geeignet sind. 

5 . Herr Drümer demonstrierte sein Instrumen¬ 
tarium der Röntgenstereoskophie und Lagebestimmung 
von Geschossen. 

6 . Herr M ei sei das Verfahren zur Bestimmung 
von Fremdkörpern mit Hilfe eines aufgelegten Gitters. 

7 . Herr S t e i n t h a 1 zeigt eine Reihe von Gesichts¬ 
verletzungen an der Hand von projizierten Diaposi¬ 
tiven, vor und nach der Plastik. 

iS. Herr Wilms zeigt die von Zinser ange¬ 
fertigte künstliche Nase. 

9- Herr Hacke nbruc h bespricht seine be¬ 
kannte Methode des Gipsverbandes mit Distraktions 
klammern, den er jetzt nur noch mit Watte polstert. 
Er ist immer anzuwenden für alle Frakturen. Man muss 
distrahieren solange bis der Patient ohne Schmerzen 
umhergehen kann. Die Gelenke werden auch nach Zer¬ 
trümmerung sofort beweglich. Er legt nach der Sitzung 
selbst einen solchen Verband an. 

10 . Herr Krämer demonstriert seinen aseptischen 
Schnellverband. 

11 . Herr Heidenhain zeigt seine Trepanations- 
instrumentarium: eine verbesserte Fraise und ein ver¬ 
bessertes Dalgrensches Instrument. 

12 . Herr Wullstein zeigt zwei Patienten mit 
alten Frakturen an der unteren Extremität, bei denen 
er Verkürzungen von 7 und 9 cm mit Hilfe der Stein- 
mannschen Nagelung vollständig ausgleichen konnte. 


Fortschritte auf dem Gebiet der Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische Übersicht von Dr. B 1 ü ni e 1, Halle a. S., Spezialarzt für 
Hals- und Lungenkrankheiten. 

Fortsetzung 

7. Spezifische Chemotherapie. 

Grosse Fortschritte für die Behandlung der 
Tuberkulose sind auf diesem chemotherapeutischen Wege 
bisher nicht erzielt worden. Darauf macht auch 
Meissen (72) aufmerksam in einem sehr gut unter¬ 
richtenden Aufsatz über Kupferanwendung iin Tier¬ 
versuch und am Menschen. Bei Lungentuberkulose sah 
auch Eggers-Bonn (73) nicht sehr eindeutige Wir¬ 
kungen. Er behandelte 15 Fälle, davon die Hälfte mit 
Erfolg. Das Kupfer wurde in Form von Einreibungen 
und Pillen gegeben. 

Sehr viel bessere Erfahrungen sind in der 
Behandlung der Hauttuberkulose mit Kupfer¬ 
mitteln gesehen worden. Die grössten Fortschritte 
verdanken wir hier Strauss-liarmen (74, 75), der 
unermüdlich für die Anwendung des Kupfers eintritt. 
Und wenn man seine Erfolge nach den Kranken¬ 
geschichten und den Abbildungen beurteilt, muss man 
sie ausgezeichnet nennen. Strauss benutzt sogenannte 
Lekuzytsalbe, eine Lezithin - Kupfer - Verbindung mit 
10 Proz. Cykloform. Die äussere Kupferbehandlung 
wird mit der inneren kombiniert und zwar gibt man 
dragierte Pillen, die 5,0 mg Kupfer enthalten, dreimal 
täglich eine bis dreimal täglich zwei. Eggers (73) 
sah ebenfalls bei lupösen und verrukösen Ulcerationen 
sehr günstige Resultate. 

Meine wenigen persönlichen Erfahrungen haben 
mich bei Lungentuberkulose die Behandlung 
einstellen lassen. Die intravenöse Behandlung 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 18. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


173 


habe ich nach wenigen Injektionen aufgegeben. Die 
Einnahme des Rupfers per os verschlechterte den Appetit 
sehr, ebenso aber leider auch die Inhalation. Strauss 
war so liebenswürdig, mir durch die Firma Bayer & Co. 
die Präparate zur Verfügung stellen zu lassen. Ich habe 
aber die Versuche zum grössten 'Peil eingestellt. Am 
besten gefallen hat mir noch die Inhalation einer Kupfer- 
einulsion. Ich wandte sie in 6 Fällen an, musste sie 
aber in allen Fällen wegen der dvspeptischen Wirkungen 
weglassen. Die zirka 8 Wochen, in denen die Behand¬ 
lung durchgeführt wurde, ergaben in allen F'ällen eine 
erhebliche Beschränkung des Auswurfes, in manchen 
Fällen, trotzdem sie schon monatelang in Behandlung 
waren, um 70 Proz. Das war eine einwandfrei merk¬ 
bare Veränderung. Die katarrhalischen spezifischen Er¬ 
scheinungen änderten sich allerdings nur in 2 Fällen so, 
dass man auskultatorisch eine Abnahme feststellen konnte. 
Nach diesen Erfahrungen halte ich bei Lungentuber¬ 
kulose der Kupferbehandlung in der jetzigen Form die 
Tuberkulinbehandlung für weit überlegen. Denn den 
Magen müssen wir uns leistungsfähig erhalten bei unsern 
Kranken. 

8. Operative Behandlung. 

Über die Fortschritte auf dem Gebiet der Lungen¬ 
chirurgie berichtet Borchard (76) im Zusammen¬ 
hänge. D e n e k e (77) und B r e c c i a (78) berichten 
über die Frage des künstlichen Pneumothorax. 
Samson (70) bringt dazu eine neue Kasuistik. Er 
betont vor allen die soziale Indikation, wenn 
Zeit zur Liegekur und Geld zur Anstaltskur fehlt. Bei 
Erkrankungen der gesunden Seite, vor allem wenn sie 
sich im Unterlappen finden, ist der Pneumothorax nicht 
angebracht 13 von 22 Fällen wurden sehr günstig be¬ 
einflusst, besonders viel sehr schwere Fälle. Alle wurden 
entfiebert. Bei 7 verlor sich der Auswurf ganz. 5 mal 
fand sich eine Pleuritis, als Folge zu hohen Drucks, 
wie S. meint. — Ich kann der Empfehlung des Pneu¬ 
mothorax nur zustimmen. Auch meine Erfahrungen sind 
in über der Hälfte der Fälle günstige. 

Real-Dav os (80) berichtet über einen bei be¬ 
stehender Schwangerschaft angelegten Pneumothorax, 
der jedenfalls der Grund war, dass die Kranke Sectio 
caesarea und Wochenbett sehr gut überstand. 

Ausführlicher möchte ich auf die Brunssche 
A r b e i t (81) eingehen, die der Theorie des 
Pneumothorax gewidmet ist. Die Bedeutung 
der Zirkulationsverminderung für die Heilungsvorgänge 
in den tuberkulösen komprimierten Lungen liegen da¬ 
rin: 1. in der komprimierten luftleeren Lunge vermag 
das Blut sich weder mit Sauerstoff anzureichern, noch 
seine Kohlensäure abzugeben. Sauerstoffmangel aber 
erschwert empfindlich die Lebensbedingungen der Tuber¬ 
kelbazillen, die bekanntlich ein ganz ausserordentlich 
grosses Sauerstoffbedürfnis haben. 2. Die Verlangsamung 
der Blutzirkulation hat natürlich auch eine Verlang¬ 
samung der Lvmphbewegung im Gefolge. Damit aber 
ist die Ausbreitung der Tuberkelbazillen in die Nach¬ 
barschaft auf Blut- und Lymphbahnen erschwert. 3. Durch 
die Veranlagung der Biut- und Lvmphbewegung sind 
auch die Resorptionsbedingungen für die Toxine der 
Tuberkelbazillen wesentlich verschlechtert. Das sieht 
man am ersten durch das schnelle Nachlassen der 
toxischen Erscheinungen (Fieber, Nachtschweisse, Ab¬ 
magerung, Appetitlosigkeit). 

Dagegen beruht die in der komprimierten Lunge 
vorhandene Gewebsneubildung nicht auf der Zirkulations¬ 
verlangsamung. Sie ist kein Zeichen einer Heilungs¬ 
tendenz, sondern trägt durchweg entzündlichen Charakter. 
Sie zeigt sich in Verdickung der Pleura pulmonalis, 
Hineinziehung breiter Septen dieses Bindegewebes in 
das Lungengewebe hinein, Bildung von entzündlichen 

Digitized by Google 


Infiltraten in der Umgebung der Bronchen, die sich von 
da in die Umgebung der die Bronchen begleitenden Ge- 
fässäste fortsetzen. Es kommt also zupleu- 
rogener Wucherung desinterlobulären 
und broncho jener Vermehrung des peri¬ 
bronchialen Bindegewebes in d e r kom¬ 
primierten Lunge. Aber das entzündliche ge¬ 
wucherte Stützgewebe kann in erkrankten Lungen die 
bindegewebige Abgrenzung der tuberkulösen Herde 
fördern, also die Kollapstherapie kann doch auf diesem 
Umwege den Heilungsvorgang unterstützen. 

Durch Kompression werden auch in den gesunden 
Lungenlappen allerdings die kleinen Bronchien zusammen¬ 
gedrückt (K a u f m a n n) und obliterieren zum Teil. 
Das ist nach der Beendigung der Pneumothorax-Be¬ 
handlung hinderlich, tritt aber bei dem sonstigen Erfolg 
der Behandlung mehr in den Hintergrund. 

Die Einengung der Lungenstrombahn führt ander¬ 
seits zu einer Hypertrophie des rechten Herzens, wenn 
sich auch die Gefässe der nicht komprimierten Lunge 
etwas erweitern und dadurch einen gewissen Ausgleich 
schaffen. 

Mayer-Berlin empfiehlt die extra- und intra¬ 
pulmonale Pneumolyse, wenn wegen Verwachsungen 
ein Pneumothorax nicht möglich ist. Seine Technik ist 
ähnlich der früher von Bär und Jessen hier be¬ 
schriebenen. — Gwerder (83) empfiehlt statt solider 
dauernder Plomben temporäre, in Form von geschlossenen 
oder gestielten Gummiblasen, die man von aussen auf¬ 
blasen kann, um so auch eine langsame Ablösung der 
Pleura zu erzielen. (Im Tierversuch erprobt.) 

9. Medikamentöse Behandlung. 

Die Zahl der Veröffentlichungen ist gegen früher 
auffallend gering geworden, ein gutes Zeichen dafür, 
dass die medikamentöse Behandlung zu Gunsten der 
anderen Methoden an Boden verliert. A 1 exander- 
Berlin (84) wandte mit sehr gutem Erfolg Kampfer 
an als Anhydrotikum, Antipvretikum und als eiterungs¬ 
hemmendes Mittel (gleich den Terpenen). Bei schwerei 
chronischer Herzinsuffizienz mit Bronchitis gibt er täglich 
0,1—0,2 Kampfer, geht bestehendes Fieber bei Tuber¬ 
kulose nicht herunter, gibt er täglich Dosen von 0,03, 
0,05 bis zu 0,2 Kampfer. Über die Erfolge der Kamp¬ 
ferbehandlung bei fiebernden Tuberkulösen wurde hier 
schon früher aus der von Ritter geleiteten Heilan¬ 
stalt sehr Günstiges berichtet. R. gibt 1 —2 ccm Ol. 
camphorat. täglich. 

Seifeneinreibungen werden seit Jahren 
bei Skrofulöse vor allem angewandt, auch Sudian- 
Krewel (Sapo kalin. compos. mit Schwefel) hat sich 
vielfach bewährt. Allerdings so glänzende Erfahrungen, 
wie sie Mosberg (85) beschreibt, sah ich nicht. Zur 
Massenbehandlung empfehle ich eher die Petrusch ky- 
sche Tuberkulinbehandlung (s. o) Sie wirkt unzweifel¬ 
haft zuverlässiger. — Ob die von F i s c h e 1 und 
Schönwald (86) empfohlenen Jod-Kampfer-Guaja- 
kolseife „Sputolysin“ zur perkutanen Anwendung als 
Expektorans, Husten, Schmerzen stillendes und ent- 
fieberndes Mittel sich bewährt, darüber habe ich keine 
eignen Erfahrungen. Wenn ich mich an das Praevalidin 
seligen Angedenkens erinnere und an das Cerometum 
von Stepp, so ist allerdings mein Vertrauen gering. 
Ich empfehle daher eher die sonst gebräuchliche An¬ 
wendung von jedem einzelnen Konstituens. 

10. Behandlung der Komplikationen. 

Mautz-Edmundstal (87) untersuchte die 
Magenfunktion bei 100 Phthisikern. 

In über der Hälfte der Fälle wurde gestörte Motilität 
gefunden, bei */, zu geringe Säurewerte. Von diesen 
wies wieder V, sogar Anacidität auf. llvper- 
acidität zeigten nur 3 Fälle. Die Anacidität war zumeist 

bei vorgeschrittenen Fällen vorhanden (hier fand sie 

6 al TT. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







174 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 18 


auch P e r m i n, s. mein oben erwähntes Buch). 50 Proz. 
der Untersuchten hatten subjektive Beschwerden. Er¬ 
folg brachten 3 mal wöchentliche Magenspülu n g en 
mit Kochsalz oder bei Hvperacidität mit Karlsbader Salz. 
Medikamente oder Stomachika brachten keinen Erfolg. 

Als neues Antidiarrhoikum. auch für Phthisiker, empfiehlt 
Weil (88) R e s a I d o 1 - Baver (Resorcinbenzoyl 
Carbonsäureester). 

Grosse Verdienste um die Erforschung der Ver¬ 
hältnisse bei Pleuritis hat sich Königer-Er- 
langen (89) erworben. Nach ihm sind alle idiopathi¬ 
schen Pleuritiden nahezu tuberkulöser Herkunft. Günstige 
oder ungünstige Wirkung der Pleuritis ist durch mecha¬ 
nische Ursachen allein nicht zu erklären. Fis ist eine 
chemische Wirkung vorhanden. Die mechanischen Ver¬ 
hältnisse beeinträchtigen aber oft die günstige physiolo¬ 
gische Wirkung der Pleurareaktion. Diese Kenntnis ist 
sehr wesentlich für die Behandlung, weil man versuchen 
soll, mit der Heilung der Pleuritis auch die Tuberkulose 
zum Stillstand zu bringen. Gewisse Fälle weit vorge¬ 
schrittener oder rasch fortschreitender Tuberkulose wird 
man nicht, andere aber, besonders Anfangsfälle, schon 
punktieren. Es ist deshalb von Fall zu Fall zu unter¬ 
scheiden, ob die mechanische Wirkung einen besonderen 
Reiz schafft. 

Eine neue, von Schmidt -Halle empfohlene 
Technik bei der Pleurapunktion wandte Bessel-Lorck 
(90) an. Man punktiert und insuffliert gleichzeitig und 
kann so grosse Flüssigkeitsmengen in einer Sitzung, 
ohne dass es zu Kollaps kommt, entfernen. Wiederan¬ 
sammlung des Exsudats und Adhaesionsbildung wird 
nicht immer vermieden, aber der Krankheitsverlauf wird 
im allgemeinen abgekürzt. Man kann die Flüssigkeit 
durch Luft oder Stickstoff ersetzen. (Luft genügt nach 
Schmidts und eigenen Erfahrungen); um Wiederan¬ 
sammlung zu verhüten, muss man darauf achten dass 
das Exsudat völlig entfernt wird, dass möglichst am 
tiefsten Punkt sich die Einstichöffnung des Troikars 
befindet. Das erreicht man durch Lagerung zwischen 
zwei Betten, wie es Schmidt empfiehlt, oder wie 
ich es auch übe, dadurch dass man den Kranken in 
gewissen Lagen die den Abfluss des letzten Flüssig- 
keitsrestes erlauben, mit Hilfe einer anderen Person 
halten lässt. Vor allem ist wichtig, dass wir dreist Luft 
einfliessen lassen und nicht wie früher das sorglich ver¬ 
hüten. 

Über die chirurgische B eh a n diu ng der 
tuberkulösen Pleuraexsudate schreiben 
Spengler und Sauerbruch (91). Bei allen I 
grösseren Lungenherden, die nach bestehenden An¬ 
schauungen für die Pneumothoraxbehandlung geeignet 
sind, empfehlen sie die teilweise Entfernung der Flüssig¬ 
keit und eine entsprechende Stickstoffnachfiillung. Auch 
bei pleuritischen Ergüssen, die keine Neigung zur 
Resorption zeigen, ist diese Behandlung anzuwenden. 

Bei Exsudaten in den offenen Pleuraraum kommt früh¬ 
zeitige und ausgiebige Eröffnung der Brusthöhle in 
Frage. Bei Pyopneumothorax: Entfernung des 
Exsudats durch Punktion, später extrapleurale Thorako- 
plastik über dem unteren Abschnitt des Brustkorbes.! 

Nach einigen Wochen nimmt man die Verkleinerung des 
Thoraxabschnittes in derselben Weise vor. Die Resultate 
sind ausgezeichnete, wenn man sich erinnert, dass die 
Fälle früher immer ganz verloren waren. Von 13 Fällen 
starben 3 unmittelbar infolge des Eingriffes, 3 weitere 
später. Die anderen sind durchgekommen, vier von 
ihnen sind sogar wieder praktisch arbeitsfähig. 

Mayer- Berlin (92) beschäftigt sich mit den 
Exsudaten, die nach Anlegung eines 
Pneumothorax im Laufe der Nachfüllungen 
auftreten. Bei 48 Operierten sah er in 18 Fällen ein 
Exsudat. Zwischen Drucksteigerung und Exsudatbildung | tanen 

Digitized by Google 


bestehen gewisse Beziehungen. Fast immer sehen wir 
zu Beginn Fieber, das sehr lange anhalteu kann. M. 
nahm chemische, serologische und zvtologische Unter¬ 
suchung des Exsudats vor. Nach ihm spricht Eiweiss¬ 
gehalt für ein entzündliches Exsudat. Er steigt mit 
zunehmendem Druck und sinkt mit Beginn der Resorption. 
Die Pleura ist ganz erheblich in ihrer Resorptionsfähig- 
keit geschädigt durch die herabgesetzte Resorption der 
Lunge und vielleicht eine Laesion der Pleura. Exsudate 
mit reichlichen eosinophilen Zellen zeigen im Gegensatz 
zu den daran ärmeren eine deutliche Neigung zur Re¬ 
sorption. Es gibt keinen einheitlichen Typus der Exsu¬ 
date, sondern 4 verschiedene. — Die Behandlung besteht 
in baldiger Entfernung und Ersatz des Exsudats durch 
Stickstoff. Aber wegen der Erhöhung des Druckes ist 
Vorsicht geboten. Deshalb wird die Autosero- 
t h e r a p i e empfohlen, die subkutane Injektion eines 
ccm des Exsudats. Die Wirkung beruht auf dem Ge¬ 
halt von spezifischen Antistoffen im Exsudat, deshalb ist 
auch der Erfolg verschieden Bei septischen Exsudaten 
empfiehlt M. Spülung mit Kochsalz oder solche mit 
—1 prozentiger Lysoformlösung. Mit den Stickstoff- 
nachfüllungen muss natürlich ausgesetzt werden. 


I. Teil 

der Literaturangaben. 

1. Löffler. Welche Massnahmen sind zur weiteren 
Eindämmung der Tuberkulose als Volkskrankheit erforderlich? 
(D. m. W. 1913, Nr. 50.) 

2. Jahresbericht 1912/13 des Vereins zur Bekämpfung der 
Tuberkulose in Stettin. 

3. Pischinger. Jahresbericht 1912 der Auskunfts¬ 
und Fürsorgestelle für Lungenkranke in Aschaflenburg. 

4. Liebe. Die Schwindsucht und ihre Bekämpfung. 
Turmbücherei Band 6. Preis 30 Pfg, 38 S. 

5. E f f 1 e r. Die Tuberkulosebekämpfung im Säuglings¬ 
alter; Erfolge, Mittel, Aussichten. (D. m. W. 1914, Nr. 7 
und 8.) 

0. I e k e r t. Die Bewahrung des Kindes vor der Tuber¬ 
kulose. (D m. W. 5 913, Nr. 46.) 

7. D ö r n e r. Vergleichende Untersuchungen über Tuber¬ 
kuloseverbreitung in 2 verschiedenen Bezirken Badens. (Beitr. 
z. Kl. d. Tbk. Band 30, Heft 1.) 

8. Vollmer Die Tuberkulose im schulpflichtige« 
Alter und ihre Bekämpfung (ebenda, Band 29. Heft 3.) 

9. K n o 1 1. Die „Skrofulösen 1 der Züricher Heilstätte 
von 1885 bis 1911 (ebenda). 

10. M a y e r. Die Friedrichstadtklinik für Lungenkranke 
zu Berlin. (Berlin, 1914, Verlag August Hirschwald.) 

11. Schmitt man n. Die Unterbringung Tuberkulöser 
im vorgeschrittenen Krankheitsstadium in Invalidenheimen für 
Tuberkulose (Tuberculosis, 1913, Nr. 9) 

12. Fürst Welche Vorschläge ergeben sich aus der 
Verteilung der offenen und geschlossenen Formen von Tuber¬ 
kulose in- und ausserhalb der städtischen Krankenanstalten 
M ü n c h e n s für die Bekämpfung der Tuberkulose in München’ 
(Zschr. f. Tbk Band 21. Heft 5.) 

13 N e u b e r t. Über Arbeitsplätze für tuberkulöse In¬ 
validen (Tuberkulosis, 1914 Heft 2.) 

14. Holitscher. Alkoholismus und Tuberkulose. 

(Beitr. z Kl. d. Tbc. Band 29 Heft 2.) 

15. flurschmann. Die erbliche Belastung als patbo- 
gnostischer Faktor für die Entstehung der Lungentuberkulose 
und ihre Bedeutung für den Verlauf der Erkrankung (Tuber- 
kulosis, 1914, Nr. 2). 

IC. Kiichenhoff. Über die Bedeutung von Wirbel¬ 
säulenanomalie für die Entstehung von Lungentuberkulose. 
(Beitr. z. Kl. d. Tbc. Band 29 Heft 2.) 

17. Har t. Beitrag zur Pathologie der Tuberkulose. (M. 

| Kl. Nr. 50, 1913.) 

18. Umfrage über die diagnostische Bedeutung der subku- 
Tuberkulinreaktiou. (M. Kl. 1913, Nr. 48.) 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Mr. 18. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


175 


19. Feyerabend. Über spontane Meerschweinchen- j 
tuberkulöse. (Beitr. z. K. d. Tbc. Band 29 Heft 1.) 

20. J e s s e n. Über Untersuchungen n.it dem Abtier- 
h a i d e n sehen Dialvsierverfahren bei Tuberkulösen (ebenda 
Band 28. Heft 3.) 

21. Gumpertz. Erfahrungen mit dem Abder- 
h a 1 d e □ sehen Dialysierverfahren bei Tuberkulose ebenda, 
Band 30. Heft 1). 

22. Zweig und G e r s o n. Zur Serodiagnostik der 
Tuberkulose (ebenda, Band 29. Heft 3). 

23. M o e w e s Tuberkelbazillen im Blut. (D. m. W. 
1914, Nr. 10.) 

24. R a u t e n b e r g. Zur Frage der Bazillaemie bei 
Tuberkulose (ebenda). 

25. Mayer Über das Vorkommen von Tuberkelbazillen 
im strömenden Blute und in der menschlichen Milch. (Zschr. 
f. Tbc Band 21, Nr. 5.) 

26 Schöne und VV eissenfeis. Nachweis und 
Bedeutung der Tuberkelbazillen in den Faeces (ebenda, Bd. 21.1 
Nr. 3l. 

27. G e 1 d e r b 1 o m. Über den Eiweissgehalt im Sputum 
Tuberkulöser. (D. m. W. 1913, Nr. 41.) 

28. M e 1 i k j a n z. Die quantitative Eiweissbestimmung 
im Sputum in ihrer Bedeutung für die Diagnose und Prognose 
von Lungenkrankheiten. (Beitr. z. Kl. d. Tbc. Band 30. 
Heft 1.) 

29. Schneider. Die diagnostische Bedeutung des 
Nachweises von Eiweiss im Sputum von Lungenkranken. 
iZentralblatt für innere Medizin 1913, Nr. 4L) 

30. M a 1 i v a. Beitr. z. Chemie des Sputums (Deutsches 
Archiv f. kl Medizin. Band 112. Heft 3 und 4). 

31. B 1 ü m e 1. Über Kollapsinduration der rechten 
Lungenspitze bei chronisch behinderter Nasenatmung und ihre 
Differentialdiagnose gegen Tuberkulose der Lunge iM. m. W. 
1908, Nr. 30.) 

32. B 1 ü m e 1 Aktuelles auf dem Gebiet der Lungen¬ 
tuberkulose. (M. m. W. Nr. 51, 1913.) 

33. B 1 ü m e 1. Die Fehldiagnose „Lungentuberkulose“ ! 
bei Erkrankungen der oberen Luftwege. (Fortschritte der 
Medizin 1913. Nr. 27 und 28.) 

34. Richter. Bemerkungen zur Diagnose der be¬ 
ginnenden Lungenspitzentuberkulose. (D. m. W. 1913, Nr. 31.) j 

35. L i t z n e r. Zur Diagnostik und Klinik der nicht- j 


tuberkulösen Erkrankungen der Lungenspitzen. (M. m. W. 
1913. Nr. 44.) 

30. B 1 u m Über Lungenspitzenkatarrhe nichttuberkulöser 
Natur. (Zschr. f. arztl Fortbldg 1913. Nr. 24.) 

37. Z i c k g r a f. Kritische Bemerkungen zur Auslese 
von Lungenheilstättenpatieuteu. (Zentralblatt für inn. Medizin 
1913. Nr. 12.) 

38. M e n z e r. Rheumatismus und Tuberkulose (B kl. 
W. 1913. Nr. 48.) 

39. N o h 1. Rheumatismus tuberculosus und andere 
Fälle larvierter Tuberkulose. (Beitr. z. Kl <1. Tbc. Band 29. 
Heft 2.) 

40. v H o e s s 1 i n. Klinisch - röntgenologische Unter¬ 
suchungen über Lungen kavernen mit Flüssigkeitsspiegel. 
(Deutsches Archiv für klinische Medizin. Band 112 Nr. 5 
und 6.) 

41. Grau. Über die Auswahl für die Volksheilstätten. 
(Tuberkulosis 1913. Nr. 11.) 

42. Sch u 1 t e 8. Der Krankenzugang in einer deutschen 
Volksheilstätte im ersten Halbjahr 1913. (560 Fälle.) Sonder¬ 
druck für die Tuberkulosekonferenz in Berlin). 

43 Schröder und v. Müller. Vergleichende Be¬ 
trachtung wichtiger Klimate für die Tuberkulosetherapie. (Zschr. 
f. Tbc Band 21. Heft 6.) 

44. B r a t z. Bericht über die Erfolge der Behandlung 
Tuberkulosekranker im Winter 1912/13 in Nervi. (Ebenda. 
Band 21. Heft 3.) 

45. Hornemann und Thomas. Ernährung bei 
Tuberkulose im Tierexperimeut. (D. m. W. 1913. Nr. 48.) 

46. v Schrotte r. Zur Heliotherapie der Tuberkulose 
(M. Kl. 1913. Nr. 51.) 

47. Krüger Zur Tuberkulosebehandlung (mit Quarz¬ 
licht). (Allgem. mediz. Zentralzeitung 1914 Nr. 5 u. 6.) 

48. de l a Camp und K ii p f e r 1 e Über die Be¬ 
handlung der Lungentuberkulose mit Röntgenstrahlen. (M. Kl. 
1913. Nr. 49.) 

49. B r i e g e r. Lungentuberkulose uud Hydrotherapie. 
(D. m. W. 1913 Nr. 50.) 

50. Junker Neuere immunisierende und medikamen¬ 
töse Tuberkulosemittel. (Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 
1913. Nr. 23.) 

51. Fuchs. Tierexperimentelle Untersuchungen über 
Tuberkulose. (M. m. W. 1914. Nr. 4 ) 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Prof. E h r e t - Strass bürg i. E„ Zur Kenntnis der Herz- 
o-hädigungen bei Kriegsteilnehmern. (Münch, m. Wochenschr. 
1915, Nr. 20 S. 689—692.) 

Verfasser legt seine Erfahrungen aus dem Marinelazarett 
Hamburg nieder. Er hat ganz bestimmte Herzschädigungen 
gesehen: Herzmuskelschwäche, nervöses Herzklopfen (rein 
psychogen oder durch Gifte), Herzmuskel- und Herzklappenerkran¬ 
kungen und dann häufiger als im Frieden jugendliche Arterio¬ 
sklerose infolge der Kriegsstrapazen. v. S c h n i z e r. 

Hase brock, Herzschwäche bei Kriegsteilnehmern. 
(Hamburger Ärztekorrespondenz Nr. 17. 1915.) 

Verfasser gibt gelegentlich einer Diskussion folgende 
Deutung der Herzdilatation : im Kreislauf bestehen zwei hinter¬ 
einandergeschaltete Druckpumpen: eine periphere vasomotorische 
und eine zentrale: das Herz. 

Im Normalen sind unter Vorherrschaft des Herzens die 
Pumpen aufeinander abgestimmt. Die geschwächte Herzpumpe 
aber versagt im Autfangen und in der Weiterbeförderung und 



nun verursachen die Triebkräfte der peripheren Pumpe er¬ 
weiternde Innendruckstauung und damit Dilatation. 

v. 8 c h n i z e r. 

Dr. Trappe, Ein sehr altes und einfaches aber sehr wirk¬ 
sames Verfahren zur Bekämpfung der Läuseplage im Felde. (M. 

m. Wochenschr. 1915, Nr. 37, S. 1266.) 

Der Ilauptsitz der Läuse bezw. der Nissen ist in den. 
Rockkragen, um den Hosenbund herum und in den Nähten- 
der Schritte. Verfasser schlägt Belehrung der Mannschaften- 
über die Nissen, die die wenigsten kennen, vor und mecha 
nische Entfernung und zwar offiziell täglich 1, 2 Stunde. 

Damit will er wenigstens im Sommer den DampfsteriliBier- 
apparat überflüssig machen. Das Verfahren ist meiner Er¬ 
fahrung nach nicht sicher genug. Erfolg bei der Entlausung, 
die gründlich und doch in verhältnismässig kurzer Zeit vor sich 
gehen kann, verspricht eine sofortige gründliche Reinigung des 
Körpers und Dampfsterilisation der Ausrüstuug nicht des ein¬ 
zelnen, sondern der ganzen Belegschaft und gründliche Reini¬ 
gung des Quartiers, endlich regelmässiges Waschen der Stroh¬ 
säcke v. Schniter. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








176 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 18 


Chirurgie und Orthopädie. 

Dr. H. Hasebrock, Der atavistische Kpannmigsliiss 
als Ursache von Fussbeschwerden mul Felddlrnsiuntüchtigkeit. 
(Münch, m, Wochenschr. 1915, Nr. 29, 8. 997.) 

Es bandelt sieh um eine durch eine angeborene dispositio¬ 
nelle Hypertonie bestimmter Muskeln bedingte Neigung zur 
Einnahme einer Stellung des Fusses, die an Hohlklauenfuss 
und pes equino varus anklingt. Charakteristisch ist auch das 
Ausspannen der Hacksehne, die einer Fusshebung über einen 
rechten Winkel energisch widerstrebt Also eine richtige 
Neurose-Therapie: Beseitigung der Druckempfindlichkeit durch 
energische, individualisierende Massage und eine besondere 
Stützsohle. Im Felde Sohleneinlagen mit Korkkeil. 

v. S c h n i z e r. 

Prof. Dr. F. Jessen- Davos, Die operative Behand¬ 
lung der l.ungentiiberkiilose. (Würzburger Abhandlungen XV. 
Band 4. u 5. Heft.. Würzburg, Verlag von Curt Kabitzsch, 
1915.) 

Verfasser gibt ein Bild des gegenwärtigen Standes der 
Chirurgie der Lungentuberkulose, die heute schon unentbehrlich, 
weil die vorgeschrittene Lungentuberkulose zum grösseren Teile 
ein mechanisches, also ein konstitutionellbakterielles Problem 
ist und die bei strenger Indikation nur ein sehr kleines Risiko 
erfordert. Es wird besprochen, die Exstirpation der tuber¬ 
kulösen Lunge bei isolierten bindegewebig abgegrenzten oder 
totalen Kavernen eines Lappens bezw. einer Lunge, die Eröffnung 
einer Kaverne (schlechte Chancen), der künstliche Pneumo¬ 
thorax. Hier ist es interessant auf die Indikationsstellung 
näher einzugehen. Sichere Indikation liegt vor bei schwerer 
einseitiger Erkrankung mit geringen oder keinen Adhäsionen 
bei gesunder anderer Seite. Erlaubte Indikation : bei schwerer 
Erkrankung einer Seite mit frischen oder nicht zu alten 
Adhäsionen und gesunder anderer Seite oder bei geringer Er¬ 
krankung der anderen Seite möglichst ohne Zerfall (am besten 
Oberlappenerkrankung) oder bei schwerer Erkrankung einer 
Seite ohne Adhäsionen mit bedrohlicher protrahierter Blutung, 
wenn die andere Seite gesund ist 

Zweifelhafte Indikation: Schwere Erkrankung einer Seite 
und wenig zerfallene Erkrankung des anderen Unterlappens, 
von schwerer Blutung einer Seite bei nicht zu grosser Er¬ 
krankung der anderen unter Voraussetzung vorübergehender 
Dauer des Pneumothorax. Gegenindikation : Ausgedehnte zer¬ 
fallene Erkrankung der besseren Seite oder feste dicke ausge¬ 
breitete Schwarte auf der für den Pneumothorax in Frage 
kommenden Seite oder schwere Komplikationen anderer Organe. 
Zu beachten dabei: Larynxtuberkulose wird durch den Fortfall 
der Sputumpassage nach dem Pneumothorax nur gut beeinflusst 
und : oft sind Diarrhoen und Albuminurien Tuberkulöser nur 
Ausdruck der Intoxikation. 

Des weiteren werden besprochen die extrapleurale Thorako- 
plastik, die Kavernenplombierung und Pleurolyse, die Phreniko¬ 
tomie und Dehnung des Sympathikus, Unterbindung der Art. 
pulmon. und verwandte Methoden und die Operationen an der 
oberen Brustapertur. v. S c h n i z e r. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Franz und Kühner: Über die Impfung von Schwange¬ 
ren, Wöchnerinnen und Neugeborenen. (Aus der Hebammen¬ 
lehranstalt in Wien.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 13, Heft 
3 und 4.) 

Die anläßlich vermehrter Blatterngefahr in der Anstalt 
vorgenommenen Pocken-Iinpfungen lassen folgende allgemeine 
Schlußfolgerungen zu: In einem wenn auch geringen Teile 
der Fälle wird durch Vakzination der schwangeren Mutter 
eine Unempfänglichkeit für Vakzine beim Neugeborenen her¬ 
vorgerufen. Die Impfung des Neugeborenen ist mit keinerlei 
Schädigung verbunden; die Eevakzination der Schwangeren 
und Wöchnerinnen unterscheidet sich in ihrem Verlauf nicht 
von dem anderer Erwachsener. S t r a u ß-Mannheim. 

Specht, Über die Geburt bei Minderjährigen. (Zentral¬ 
blatt f. Gyn 1916 Nr. 3.) 

Vorliegende Arbeit, welche später noch ausführlicher und 
mit vollständiger Literaturangabe erscheinen soll, behandelt ein 

Digitized by Google 


für den praktischen Arzt ungemein wichtiges Thema und ist 
für ein Referat infolge dieser seiner Wichtigkeit nicht gut 
geeignet. 

Deshalb soll auf diese höchst aktuelle Arbeit die Aufmerk¬ 
samkeit aller Praktiker gerichtet werden. Specht kommt 
auf Grund seiner Beobachtung von 2 t Erstgebärenden im Alter 
von höchstens 10 Jahren zu folgenden Schlusssätzen: 

Die Menstruation tritt bei mindetjährigen Erstgebärenden 
früher auf, das Becken eilt in seiner Entwicklung durchschnitt¬ 
lich dem Alter voraus, Länge und Gewicht der Kinder nehmen 
mit dem Alter der Mutter zu. Knabengeburten überwiegen die 
von Mädchen. Günstiger als normal waren: weniger häufige 
Schwangerschaftsbesehwerden, kürzere Dauerder Geburt, seltenere 
Dammverletzungen, geringerer Blutverlust, geringere kindliche 
Morbidität, geringere mütterliche Morbidität und Mortalität im 
Wochenbett. 

Ungünstiger als normal waren: häufigeres Vorkommen der 
Eklampsie, Beckenendlagen, Wcbenschwäehe untl Frühge¬ 
burten. 

Normalen Verhältnissen gleich waren die Häufigkeit der 
Kunsthilfe und die kindliche Mortalität. 

Specht sali die Geburten der Minderjährigen zum wenigstes 
nicht ungünstiger als eine normale Geburt verlaufen. 

E k s t e i n - Teplitz-Schönau. 

Salus- Prag, über mein erfolgreiches Vorgehen beim 
Di'.mmschutz. (Zentralblatt f Gyn. 1916, Nr. 3. 

Verf. erlebte bei dem in Seitenlage nach allgemein aner¬ 
kannten Vorschriften ausgeführten Dammschutz besonders hei 
Erstgebärenden Dammrisse zweiten auch dritten Grades. Aus 
diesem Grunde ging Verf. zu einem Verfahren über, welches 
er bei aufeinanderfolgenden 20 Geburten, auch Zangenentbin- 
dungeu mit vorzüglichem Erfolge an wandte und deshalb den 
Geburtshelfern zur Nachprüfung vorlegt 

Nach den bisherigen Verfahren obliegt es dem kindlichen 
Schädel den Damm zu dehnen, Verf. will aber diese Dehnungs- 
arbeit nicht mehr dem Schädel so ganz überlassen, sondern 
hat diese Dehnung mit seinen Fingern unterstüzt, wie folgt: 

Sobald der Schädel am Beckenhoden angelangt, zwischen 
Schamlippen sichtbar ist, führt Verf. zwischen Schädel uud 
Damm zwei Finger der rechten Hand ein, dreht dieselben bei 
Beginn der Presswehen so, dass die Handfläche gegen den 
Damm der Kreissenden gewendet ist. Diese beiden Finger 
werden während der Wehe den Damm entlang geführt, so 
zwar, dass der Damm durch diese Gleitbewegung eben stärker 
gedehnt wird als dies der Schädel allein zuwege bringt. In der 
Webenpause werden die Finger entfernt, bei einsetzenden Press¬ 
weben jedoch wieder eingeführt, ja sogar statt zwei, vier Finger 
und so die Dehnung des Beckenbodens fortgesetzt. 

Bei besonders hartgespanntem Damme wird neben dieser 
Dehnung noch eine Art Massage in Form einer Erschütterung?- 
dehnung vom Verf. empfohlen. Dieser Erweiterung des in 
jedem folgenden Zeitabschnitte von dem nachrückenden Schädel 
beanspruchten Danmiabschnittes durch vorher erfolgende Deh¬ 
nung durch zwei bis vier Finger der rechten Hand führte Verf. 
auch bei Zangeuentbindung mit Erfolg durch 

(Den Hebammen, welche 95 Proz. der normalen Geburten 
leiten, sind derartigeManipulationen quoad infectionem strengstens 
untersagt. Ref ) E k s t e i n - Teplitz-Schönau. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Zoltan Barabäs: Sensible Störungen bei postdiplitheriti- 
schen Lähmungen. (Jahrb. f. Kinderh. 82, Nr. 6.) 

Bei Untersuchungen an 16 Fällen schwerer postdiphthe- 
ritischer Lähmungen konnte der Verfasser in etwa der Hälfte 
der Fälle gleichzeitig dissoziierte sensorische Lähmungen fest- 
steilen und zwar die Herabsetzung resp. die Aufhebung des 
Schmerzgefühls bei unveränderter Erhaltung der übrigen Ge¬ 
fühlsqualitäten. Die Aufhebung des Schmerzgefühls war in 
diesen Fällen eine vorübergehende und prognostisch ohne Be¬ 
deutung. S t r a u ß-Mannheim. 

E. Meyer-Königsberg: Funktionelle Nervenstörungen 
bei Kriegsteilnehmern nebst Bemerkungen zur traumatisch) 1 !' 
Neurose. (Deutsche medizin. Wochenschrift, Nr. 51. 131-ä- 1 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


177 


Nr. 18. 


Der in einem wissenschaftlichen Verein gehaltene Vor¬ 
trag knüpft an an eine vorjährige gleichartige Veröffent¬ 
lichung, deren Erfahrungen sich jetzt erweitert haben. Unter 
1126 Aufnahmen fand M. 148 solche, die er „als Psychgenien, 
fiathologische, psychogene Reaktionen oder hysterische Störun¬ 
gen“ rechnet. 128 waren Kranke mit psychopathischer Ver¬ 
anlagung, die offenbar sehr weit umgrenzt wird, denn „bei 
etwa einem Drittel von ihnen beobachteten wir ausgesprochene 
pathologische Reaktionen teils auf körperlichem Gebiet, ii 
Form von Anfällen, Zittern und dergl. mehr, teils unter dem 
Bilde pathologischer Erscheinungen als Erregungs-, Depres- 
sions- und auch öfter Dämmerzustände“. 76 Fälle endlich 
waren darunter, die M. als traumatische Neurose auffaßt, und 
mit denen M. sich besonders eingehend beschäftigt. Aller¬ 
dings sei die Frage nach dem Verlauf der traumatischen 
Neurose noch nicht einer abschließenden Beantwortung zu¬ 
gänglich. Verfasser vertritt dann den Standpunkt, daß zwar 
die Begehrungsvorstellungen bei der traumatischen Neurose 
bis zu einem gewissen Grade imstande seien, die lange Dauer 
und die schwierige therapeutische Beeinflußbarkeit der trau¬ 
matischen Neurose zu bedingen, daß sie aber die eigentliche 
Ursache der Erkrankung nicht abgäben. 47 traumatische Neu¬ 
rosen waren vor dem Kriegsdienst entstanden, von denen 
nur 5 noch eine Steigerung im Felde erfahren hatten. Die 
übrigen 29 waren im Kriege entstanden, und zwar 17 mal 
nach Kopfverletzungen, 5 mal nach anderen Verletzungen, der 
Rest waren einfache Unfälle. Bei einem Drittel aller trau¬ 
matischen Neurosen, die im Kriege entstanden waren, waren 
Geistes- oder Nervenkrankheiten vorausgegangen und mehrfach 
andere mitwirkende Momente, wie chronischer Alkoholismus, 
zu beschuldigen. Zum Schluß spricht Meyer die tröstliche 
Ansicht aus, daß die nervösen Kriegserkrankungen uns ge¬ 
zeigt haben, wie sehr die seelischen Erschütterungen »und 
die kolossalen körperlichen Anstrengungen ein mit einem hoch 
organisierten Nervensystem ausgestattetes zivilisiertes Volk 
zwar affizieren kann, aber wie widerstandsfähig sich dennoch das 
heranwachsende Geschlecht, dem der Unkenruf der Entartung 
so oft vorausgegangen war, gezeigt hat. 

Wern. H. Becke r-Herborn. 

Jolly: über die Dienstfäliigkeit und Kentenfrage bei 
nervenkranken Soldaten. (Münchener medizinische Wochen¬ 
schrift, Nr. 50, 1915.) — 

Im Gegensatz zu Meyer kennt Jolly nur einen sehr eng 
umschriebenen Kreis, in den er seine wenigen Fälle von 
traumatischer Neurose hineintut. Er hält Kapitaiabfindung 
statt fortlaufender Rente für die einzig richtige Art der Ver¬ 
sorgung. Im übrigen enthält der recht lesenswerte Aufsatz 
Auslassungen über alle möglichen Formen von Nervenkrank¬ 
heiten, sogar die Geisteskrankheiten werden gestreift. Das 
Reservelazarett in Nürnberg I enthält offenbar ein großes dies¬ 
bezügliches noch dazu sehr fluktuierendes Material, das Ver¬ 
fasser eingehend studiert hat. Auch 5 Abbildungen illustrieren 
seine Ausführungen. Wern. H. Becke r-Herborn. 

Sauer, Enuresis und Hypnose im Felde. (Münch. Medi-. 
zia. Wochenschrift, Nr. 3, Feldärztliche Beilage, 1916.) 

Verf. polemisiert zunächst scharf gegen Boehme, der 
die Enuresis mit „einseitigen, übertrieben spezialistischen“ 
Maßnahmen behandelt sehen wolle. Die Vielheit der von 
Boehme empfohlenen Therapie beweise allein schon „die ganze 
Ratlosigkeit, die auf dem Gebiete der Enuresistherapie heute 
noch herrscht“. Verf. hält allein die Hypnose für zweckmäßig, 
rühmt seine Erfolge in dieser Hinsicht und empfiehlt, es ihm 
nachzumachen. „In jeder Division, zum mindestens in jedem 
Rorps, werden sich Ärzte finden, die hypnotisieren“. 

Man wird im allgemeinen sich mehr auf Sauers als auf 
Boehmes Seite stellen. Jedoch erscheint es Ref. gewagt, allein 

Hypnose das Wort zu reden. Warum soll nicht auch die 
»achsuggestion in vielen Fällen genügendes leisten? — Die 
pauptsache ist doch, daß der Patient Autoritätsglauben be- 
s |tzt, den ernsten Willen zum Gesundwerden hat und daß er 
daß der Arzt sich große Mühe mit ihm und seiner 
Heilung gibt. Dazu wird sich eine Lokalbehandlung nicht 
ganz immer vermeiden lassen, wodurch dann also das „Re¬ 
gister“ Boehme doch noch wieder zu Ehren käme. Im übrigen 
muß man natürlich Sauer Recht geben, der die Enuretiker 
statt dem Urologen dem Nervenarzt zugeführt sehen will, 
solange die Sache rein nervös ist, was Sauer durch den Erfolg 
«der Mißerfolg der Hypnose feststellen will. Da muß ich noch 


einmal widersprechen: nicht der Erfolg der neurologischen 
Behandlung darf maßgebend sein, sondern die vorherige Fest¬ 
stellung de« Urologen, daß ein organisches Leiden nicht vor¬ 
liege; so halten wirs doch in andern Fällen auch. 

Wern. H. Becke r-Herborn. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Wilhelm Klehmet: Wohlstand und Säuglingssterb¬ 
lichkeit. (Zeitschrift f. Säuglingsfürsorge Bd. 8, Nr. 10/11.) 

In einer Anzahl bereits früher erschienener Arbeiten wur¬ 
den auf Anregung von Prof. Peiper in Greifswald für die 
Provinz Pommern die einzelnen für die Säuglingssterblich¬ 
keit als ursächlich in Betracht kommenden Faktoren: Geburts¬ 
ziffer, Bevölkerungsbewegung, Familienstand, Jahreszeit, Woh¬ 
nungsklima, Stillwert behandelt. In der vorliegenden Arbeit 
untersucht der Verfasser durch Vergleich der Steuervertei- 
lung und der Säuglingssterblichkeit in den einzelnen Re¬ 
gierungsbezirken unter genauer Berücksichtigung der einzel¬ 
nen Stadt- und Landgemeinden, ob ein gesetzmäßiger Zu¬ 
sammenhang zwischen Wohlstand und Säuglingssterblichkeit 
sich feststellen lasse, wie er von anderer Seite für gewisse 
Städte konstatiert ist und im allgemeinen wohl als sicher an¬ 
genommen werden darf. Es ist interessant, daß bei dieser 
ins einzelne gehenden ,Untersuchung für Pommern/ein derartiger 
gesetzmäßiger Zusammenhang nicht festgestellt werden konnte. 
In den Landgemeinden zeigt sich für Köslin-Land das merk¬ 
würdige Resultat, daß die Ziffer der Säuglingssterblichkeit 
um so niedriger ist, je ärmer der Kreis, während für den 
Regierungsbezirk Stettin-Land dieser Satz keine Gültigkeit hat; 
in den Stadtgemeinden läßt sich ein gesetzmäßiger Einfluß 
der Wohlhabenheit auf die Säuglingssterblichkeit weder in gün¬ 
stigem noch in ungünstigem Sinn konstatieren, während die Ab¬ 
hängigkeit der Säuglingssterblichkeit von der Höhe des Still¬ 
wertes für die einzelnen ländlichen und städtischen Kreise 
in die Augen springt. Es ist sicher, daß nicht die Armut 
an sich der ausschlaggebende Faktor für die Höhe der Säug¬ 
lingssterblichkeit ist, sondern daß dabei eine Reihe von Ur¬ 
sachen zusammen wirken. S t r a u ß-Mannheim. 


Augenheilkunde. 

Prof. Dr. A. El s ch n i g -Prag, Snpraokulure Irlsrepositiou. 
(Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, Februar—März 
1915) 

Eine Methode der Lösung, die Interessenten im Original 
nachlesen müssen. v. 8 c h n i z e r. 

Privatdozent Dr. Cords (Bonn). Der Wert der Bindc- 
hautdecknng im Kriege. (Münch. M. Wschr. 1915, Nr. 35, 
S. 1196.) 

Verfasser bespricht seine Erfahrungen aus einem Kriegs¬ 
lazarett: in 34 Fallen führte er Bindehautdeekungen aus. Da¬ 
von waren 10 Verletzungen durch Artilleriegeschosse, 6 durch 
Handgranaten, 10 durch Minen, 1 durch Gewehrgranate, 

2 anderweitig. 

Die im übrigen bekannte Technik müssen Interessenten 
im Original nachlesen. Verfasser erzielte 13 mal einen brauch¬ 
baren Visus, 7 mal nach Starextraktion, 9 mal einen Visus¬ 
rest. Hiervon 6 mal dichte Glaskörpertrübungen, 1 mal hin¬ 
terer Polstar, 1 mal totale Aniridie. 12 Augen blieben blind, 
2 mal Panophtalmie, 3 mal Glaskörperabszeß, 1 mal Horn¬ 
hautvereiterung, 2 mal chronische Uveitis, 4 mal tiefe Ver¬ 
letzungen. Sympathische Ophthalmie kam nie vor. Verfasser 
schreibt der Bindehautdeckung Schutz vor sekundären Infek¬ 
tionen und sympathisierender Entzündung zu, namentlich wenn 
sie nicht zu lange nach der Verletzung ausgeführt wird. Die 
lebende Bindehaut ist das beste Antiseptikum, die beste Aseppis. 

v. S c h n i z e r. 

E. v. S h r a m 1 i k - Freiburg-B., Argyrose des Tränen¬ 
sacks. (Klinische Monatsbl. f. Augenheilkunde 1915, April— 
Mai.) 

An der Hand eines Falles führt Verfasser aus, dass die 
modernen Silbersalze Protargol und Argyrol die Schleimhaut 
besonders gefährden und warnt davor Silberverbindungen längere 
Zeit hindurch ohne ständige Kontrolle in den Bindehautsack 
einzuträufeln. v. S c h n i z e r. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A' 
URBANA-CHAMPAIGN 



178 


Nr. 18 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Bücherschau. 

Oberarzt Dr. Erich Plate u. Dr. August Dethleffsen: 
Die (tliysiknlische Therapie iin Feld- und Heimlazarett. (Mit 
90 Abbildungen Taschenbuch des Feldarztes V. Teil. J. F.j 
Lehmanns Verlag, München 1910, 188 S. Preis 4 Mk.) 

Als 5. Teil des rühmlich bekannten Taschenbuches des 1 
Feldarztes ist jetzt die physikalische Therapie in Feld und 
Heimlazarett von Oberarzt Dr. E. P 1 a t e u. Dr. August 
Dethleffsen erschienen. Iu ausserordentlich klarer 
Sprache und knapper Zusammenfassung bringt das Buch auf 
188 Seiten eine enorme Menge von Wissen und praktischer 
Kenntnis. Alles, was das Buch bringt, beruht auf eigener 
Erfahrung und ist gründlich erprobt, und auf Grund dieser 
reichen Erfahrung sind eine Reihe sehr brauchbarer Apparate 
konstruiert Es ist genau angegeben, iu welcher Weise diese 
benutzt werden sollen. Es ist also nicht nötig, erst mühsam 
zu experimentieren, sondern man braucht sich bei ihrer Be¬ 
nutzung nur an Plates klare Vorschriften zu halten. Das 
Hauptgewicht legen die Autoren aber nicht auf diese Apparate, 
nein, sie gehen gerade auf die einfachsten Verhältnisse ein, wie 
sie das Feldlazarett und die Privatpraxis bieten. Gleich im 
Feldlazarett, bei frischen Wunden, soll von der physikalischen 
Therapie Gebrauch gemacht werden, nicht erst in den späteren 
Stadien der Verwundung. Es kommt alles darauf an durch ihre 
Anwendung der Bildung von zu starkem Narbengewebe und von 
Versteifungen vorzubeugen. Die Verff. weisen mit Nach¬ 
druck auf die Erfahrungstatsache der Schwierigkeit der Be¬ 
handlung von Narbengewebe hin. Die Bedeutung der Mediko- 
mechanik wird ja mehr und mehr erkannt. Grossen Wert 
legen die Verff. noch darauf, die Funktion der Muskeln genau 
zu prüfen. (Beobachtung beim Ausziehen und Nacktgehen). 
Auf die Bedeutung der Funktion der Muskeln für die Gelenke 
ist in jüngster Zeit auch von Weintraud hingewiesen 
worden. Wie wichtig diese ist, erhellt z. B. auch aus den 
häufigen Plattfussbeschwerden. Bei diesen sind nach- Ansicht 
der Autoren in erster Linie Fussübungen am Platze und nicht 
Plattfusseinlagen. Von den vielen Kunstgriffen der Praxis 
möchten wir noch erwähnen die Lösung der Muskelkontrakturen 
im Bad, den schrägen Sitz bei versteifter Hüfte, die Lagerung 
der Kranken im Bett bei Ischias und Beinwunden, die 
Unterstützung durch Sandsäcke, die Wechselduschen durch 
Giesskannen und die Sandbäder. Nach kurzen einleitenden 
Bemerkungen über Schwitzprozeduren und Massage besprechen 
die Verf. systematisch die Anwendung der physikalischen 
Therapie in den verschiedenen Stadien der Verwundungen, um 
dann schliesslich zur Behandlung der inneren Organe und Er¬ 
krankungen des Nervensystems, der Bewegungsorgane, Rheuma¬ 
tismus, Ischias und der Gelenke überzugehen. Bei der Be¬ 
sprechung der Arthritis chronica infectiosa weisen sie ganz be¬ 
sonders auf die Tatsache hin, dass die meisten Gelenkergüsse 
steril sind und dass deshalb vor der sinnlosen Punktion der 
Gelenke nicht oft und nicht dringlich genug gewarnt werden 
kann. Eine Warnung, der sich Ref. nur durchaus auschliessen 
muss. Einige Ratschläge für die Einrichtung eines kleinen 
Institutes für physikalische Therapie bilden den Schluss des 
vorzüglichen kleinen Buches. 90 ausgezeichnete, instruktive 
Abbildungen von Apparaten, Behandlungsverfahren und dia¬ 
gnostisch wertvollen Fällen erhöhen seinen Wert noch erheblich. 
Es wird seinen Weg machen und vielen Ärzteu daheim und 
im Felde ein willkommener Helfer sein und wird sicher unge¬ 
zählten Verwundeten und Kranken zur Genesung verhelfen. 

H. G r ä f - Hamburg. 

Neuere Medikamente. 

Jodmetalerrin : 7,5% Jod, 7,5 % Eisen, 8% Phosphorsäure 
Resorption findet erst im Darme statt. 


Indikationen: Skrofulöse, Rhachitis, Anämie bei 
Lues, Hauterkrankuugeti. 

Dosis: 3—4 mal tägl. 1 — 2 Tabletten vor oder nach 
der Mahlzeit mit Wasser oder Milch, für Kinder die Hälfte. 
Originalglas 50 Tabletten ä 0,25 g. (Dr. Wolf & Co , Elber¬ 
feld.) 

Jodostarln : Unter den organischen Jodpräparaten, die für den 
internen Gebrauch bestimmt sind, weist Jodostarin das 
Dijodid der Tarinssäure, den maximalen Jodgehalt von 
47,5% auf. Trotzdem ist seine Toxizität ausserordentlich 
gering; Kaninchen vertragen bis zu 4 g pro Kilogramm 
Körpergewicht. Es kommt in Form von Tabletten ä 0,5 
in den Handel. Dieselben sind vollständig geschmack- und 
geruchlos, belästigen den Magen nicht, da sie erst im alka¬ 
lischen Darmsaft gespalten werden und das Jod von hier 
aus zur Resorption gelangt. Sein Indikatiousgebier umfasst 
alle Fälle der Jodtherapie. 

Jodothyrln: Jodverbindung aus der Schilddrüse, Bräunlich 
weisses, fast geruchloses, nach Milchzucker schmeckendes 
Pulver. 1 g der Substanz gleich 0,3 mg Jod. Organische 
Jodverbindung. Enthält den wirksamen Bestandteil der 
Hammel-Schilddrüse. Einziges derartiges Präparat mit genau 
bestimmtem Gehalt an Jodsubstanz. Bei Kropf, Myxoedem, 
Cretinismus, Fettsucht, bei der fettleibigen Form der Bleich¬ 
sucht, Ekzem, engl. Krankheit der Kinder. 

Dosis: Für Erwachsene 0,3 g 2 —6 mal täglich; für 
Kinder 0,3 g 1—3 mal täglich — langsam steigend. — Jodo- 
thyrintabletten ä 0,3 g. Nr. XXV Originalpackung. (Bayer.) 

Jodsotopan : 

Che m. Kons titution: Jodeiseupräparat mit sedativer 
Wirkung, ca. 20% Jod. (Siehe Sotopan.) 

Wirkungsweise: Wie alle Jodpräparate, ist aber durch 
die Bromwirkung besonders wirkungsvoll und völlig ausnüü- 
bar und durch Ca-Gehalt frei von Intoxikationswirkucg 
(kein JodismuB). 

Res orption: Eine gute und ohne Nebenerscheinung. 

Indikationen: Wie alle Jodpräparate : Arterio¬ 
sklerose, Angina pectoris, stenokardische Erscheinungen, Asthma 
bronchiale, Bronchitis, Emphysem, Struma; Skrofulöse, Lue* 

Art der Darreichung: Rp. Tabl. Jodsotopan 
Dos. I. (30 Tabletten.) Ds. 3 —6 mal täglich 2—4 Tabletten 
nach den Mahlzeiten zu nehmen. (Verfürth-München.) 

Jodtropon : 

Chemische Konstitution: Jod fest organisch 
gebunden an Eiweiss des Tropon. 

Resorptionsverhältnisse und Wirkungsweise: 
Das Jod wird im Magen und Darm nicht frei, übt somit 
keine Reizwirkung aus; es wird vielmehr in seiner Verbindung 
mit Eiweiss resorbiert, sodass das Jod in gebundener, un¬ 
giftiger Form im Blute kreisend au den Ort der Wirkung, 
in die Gewebe des Körpers gelangt. Die Ausscheidung im 
Urin erfolgt ebenfalls in organischer Bindung; nur geringe 
Spuren verlassen den Körper in anorganischer Form. Hier¬ 
durch werden die Erscheinungen des Jodismus vermieden 
und mit kleinen Joddosen gute Heilerfolge erzielt. 

Art der Darreichung und Dosierun g: In 
Tabletten ä 0,05 g Jod, täglich 4 —6 Stück. Nur in Aus¬ 
nahmefällen (maligne Lues) ist die Verordnung einer höheren 
Gabe erforderlich; bei Arteriosklerose wird mit 1—2 Tabletten 
pro die begonnen und in schweren Fällen allmählich auf 
8 —10 Tabletten gestiegen. Aber auch wesentlich grössere 
Dosen werden wochen- und monatelang gut vertragen. 

Bemerkenswert ist der angenehme, nicht an Jod 
ennuernde Geschmack (leicht nach Ananas). 

Indikation: Vollwertiger, von Nebenwirkungen freier 
Ersatz des Jodkali bei allen Krankheiten, in denen Jod an- 
gezeigt ist. (Troponwerke Mülheim.) 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





1915/16. 


33. Jghrgftng. 


Tomftrim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg 


Unter mitwirkung beruorragender Tadmänner 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


I Erscheint am IO., 20. und 30. jeden Monats zun) Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Nr. 19 Verlag Johndorff & Co., 0. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige lnseratenannahme durch 

Gelsdorf & Co., 0. m b. H., Annoncenbureau, Eberswaide bei Berlin. 


10. April 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Mittelrheinische Chirurgenvereinigung. 

Sitzung vom 8 . und 9. Januar 1916 zu Heidelberg. 

Vorsitzender: Prof. M. Wilms. 

Bericht von Privatdoz. Dr. Fr a n k e - Heidelberg. (Schluss.) 

9 . Januar 1916 . Vormittags. 

1 . Herr Perthes: Komplizierte Frakturen. Ein¬ 
leitender Vortrag. 

Unter den komplizierten Schussfrakturen sind 
nicht alle infiziert, wenigstens praktisch nicht, und an 
der Hand eines grossen zu einer Statistik verarbeite¬ 
ten Materials hat sich gezeigt, dass mehr Infanterie¬ 
ais Granatverletzungen aseptisch heilen. Dazwischen 
stehen die Frakturen durch Schrapnell. Auch die Mor¬ 
talität verhält sich ähnlich, nur übertreffen in dieser 
Hinsicht die Verletzungen durch Schrapnell noch die 
durch Granate. Die Mortalität ist bei den einzelnen 
Körperregionen die grösste am Kniegelenk. Unter den 
einzelnen Formen bedarf es eines besonderen Hinweises 
auf die Fälle, bei denen ein ganzes Stück aus dem 
Knochen herausgesprengt wurde. Da muss eine Ver¬ 
kürzung Zurückbleiben und wenn beispielsweise am 
Vorderarm, von zwei Knochen nur der eine in dieser 
IVeise verletzt wurde, so kann im weiteren Verlauf 
zur Vermeidung einer schlechten Stellung eine Opera¬ 
tion am gesunden Knochen nötig werden. Ferner sieht 
man zuweilen typische Biegungsfrakturen entstehen, 
wenn das Geschoss mit grosser Gewalt durch die 
Weichteile nahe am Knochen vorbeiflog, ohne ihn 
selbst zu berühren. 

Die Behandlung hat in erster Linie die In¬ 
fektion zu bekämpfen. Der Transport schadet den 
Verletzten. Die Fraktur muss inmobilisiert werden 
und bereits vorhandene Temperatursteigerungen können 
nach der Ruhigstellung ohne weiteres verschwinden. 
Grosse Granatverletzungen soll man vorher operativ 
behandeln, säubern und offen lassen. Ax hausen hat 
die Operation aller Zertrümmerungen, auch durch In- 
fanterieschüsse entstandener, verlangt; die Asepsis 
könne dabei lax sein. Auf diesem extremen Stand¬ 
punkte steht Perthes nicht, denn die durch Infan¬ 
teriegeschoss zersprengten Knochenstücke sind asep 
tisch im Gegensatz zu den Granatverletzungen. Und 
die Knochensplitter werden als wertvolles Material ein¬ 
gebaut bei der Heilung. Pseudoarthrosen ?ind dadurch 
seltener. Die Wunden sind während des Sommers offen 
und mit Sonnenbestrahlung behandelt worden. Die 
Behandlung muss an den einzelnen Orten eine ver¬ 
schiedene sein. Im Feldlazarett soll man im wesent- 

Digitized by Google 


liehen fixierende Verfahren und nicht die Extension 
verwenden, weil man unverhofft zum Abtransport ge¬ 
zwungen werden kann. Der Wundverband muss ohne 
Abnahme der Fixierung möglich sein. In dieser Be 
ziehung steht der Gipsverband obenan, gefenstert oder 
mit Bügeln. Für den Oberarm ist die Schiene nach 
Borchers besser. Goldammer verlangt immer die 
Schiene als ersten Verband, bis sich das Schicksal 
des Patienten entschieden habe, besonders bis man 
sähe, ob Eiterung eintritt oder nicht. Das ist nach 
Perthes falsch, denn es begünstigt die Infektion. 
Auch in den Hauptverbandsplätzen soll gegipst wer¬ 
den, besonders bei Oberschenkeln und unter den Ver¬ 
hältnissen wie sic im Osten waren. Der Einwand, dass 
die Möglichkeit der Kontrolle fehle, ist nicht zu¬ 
treffend. Auch Ruhe und Gips sind in der vorderen 
Linie bei der Sanitätskompagnie möglich. 

In den Heimatlazaretten kommt dann die Sorge 
um richtige Stellung und Mobilisierung der Gelenke. 
Da ist deshalb mehr dem Extensionsverband in Semi¬ 
flexion der Vorzug zu geben, nach der Steinmannschen 
Methode besonders dann, wenn man wegen der Wunde 
keine Heftpflasterstreifen anbringen kann und bei ver 
alteten Fällen. Kombinationen von Fixierung und Ex¬ 
tension, wie die Extensionslatte nach v. Hacker, 
die Langsche Schiene usw. kommen nur für kurze 
Transporte und bei den Verhältnissen des Westens 
in Betracht; der Extensionsgipsverband nach Lange 
fixiert nur die Situation, die beim Anlegen bestand und 
macht die Gelenke immobil. Der Hackenbruchsche 
Gipsverband hat diese Fehler nicht, kann aber nur 
von sorgfältig geschulten Aerzten verwendet werden. 

Die operative Behandlung von frischen Schuss- 
frakturen ist nicht zu empfehlen wegen der Infektions¬ 
gefahr. 

Unter 1045 Fällen sind 57 gestorben, davon an 
Tetanus 13 , Gasphlcgmone 6 , Sepsis 25 (darunter 10 
ausgehend vom Kniegelenk), septischen Blutungen 11 
(alle am Oberschenkel), Empyem 1 , Embolie 1 . 

Amputiert wurden 44 Fälle. 

Sequester soll man nicht zu früh entfernen, denn 
sie begünstigen die Kallusbildung. 

Höhlen im Knochen behandelt man, wie bei der 
Osteomyelitis durch Bildung einer flachen Mulde, am 
Oberschenkel besser durch Hineinlegen gestielter Mus¬ 
kellappen. 

Pseudoarthrosen sind am häufigsten am Oberarm. 
Der Gallus kann ausserdem lange biegsam bleiben; 
daher muss man lange Zeit nachkontrollieren, wenn 
die Patienten schon aufstehen um nachträgliche Ver- 

UNIVERSITY 0F ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 








180 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 19. 


biegungen zu vermeiden. Auch Refraktionen im Kallus 
können auftreten selbst bei aseptischer Heilung und 
zwar meist nach 3 Monaten, aber auch noch nach 
11 Monaten. 

Unter 4276 gesammelten Fällen von Knochen und 
Gelenkschüssen sind 1638 wieder dienstfähig gewor¬ 
den, darunter über 100 Oberschenkelfrakturen. Es be¬ 
darf intensiver Weiterarbeit auf diesem Gebiete. 

Diskussion: Herr Borchers: Demonstration 
an Patienten. Modifikation des Middeldorf sehen Drei¬ 
ecks aus einer Kramerschiene, 80 cm lang, 10 cm breit. 
Die Innenrotation des Oberarms wird vermieden. Der 
Wundverband bei liegender Schiene ist stets möglich. 

Herr Colmers verwendet bei seinen Gipsver¬ 
bänden Bügel aus Schmiedeeisen, die weite Strecken 
der Extremität frei lassen und Eingriffe bei liegendem 
Verband möglich machen. Die Gipsbinden muss man 
selbst machen. Fehlt es einmal an Gips, so kann man 
für kurzen einmaligen Transport mit Latten schienen; 
auch für den Oberschenkel genügen 2 Latten, die eine 
von der Achselhöhle zum äusseren Knöchel, die andere 
vom Brustbein bis zum Knie. 

Herr Guradze spricht für den Langeschen Gips 
verband. 

Herr Dürner behandelte Oberschenkelfrakturen 
im Sitzbett, so dass beide Beine liegen wie auf einem 
planum inclinatum duplex. Man kann überall dazu beim 
Verbinden, kann früh bewegen und grosse Schübe von 
Verletzten schnell erledigen. Das Oberschenkelstück 
muss zu verlängern sein. Die Dislokation gleicht sich 
bei der Methode aus. 

Herr W u 11 s t e i n : Der Langesche Gipsverband 
stammt von Dollinger. Den Verband von Dümer ver¬ 
wendet er selbst oft. Demonstration einer improvisier¬ 
ten Schiene für die untere Extremität, in der man auch 
extendieren kann. Strecken durch Schrauben oder 
Federzug; auch als Gehverband zu benutzen. 

Herr Hackenbruch: Bei Defektschüssen 
braucht man keine Verkürzung zu bekommen. Der 
Markkallus arbeitet am meisten bei der l'eberbrük- 
kung des Defektes, wird aber erst spät fest. Früh¬ 
zeitiges Gehen ist dabei von Nutzen. Lobt seinen Gips 
verband mit Klammen. 

Herr König: Die Frakturen sind oft infiziert, 
auch Infanterieschüsse. Deshalb müssen Fenster in 
den Gipsverband. Richtige Fixierung ist gegen In 
fektion sehr wichtig. Man sollte den Soldaten eine 
leichte Schiene mitgeben in den Schützengraben, wie 
sie König selbst angab, damit sie sich nach der Ver¬ 
letzung sofort selbst schienen können. Mastisol auf die 
Wunde zu schmieren ist vom Uebel. Der Gipsverband 
soll in der Heimat abgenommen werden und dann 
mobile Methoden folgen. Steinmannsche Nagelung 
hat er viel mit Erfolg angewandt. Schmerzen in der 
Fraktur sind ein Zeichen dafür, dass der Kallus noch 
nicht fest ist. Der Kallus geht in erster Linie aus vom 
Periost und nicht vom Mark. Im Röntgenbild muss 
man kontrollieren ob der Kallus schon fertig ist, be¬ 
vor der Patient aufsteht. 

Herr Perthes: Mangel an Kalksalzcn ist nicht 
allein massgebend für die Refraktur, die in einem 
seiner Fälle noch auftrat nach 3 Monaten des Um 
hergehens. Im Lang eschen Gipsverband kann man 
Frakturen nicht weiter ausgleichen. 

Herr Ahrens: Zur Behandlung von Knochen¬ 
höhlen ist der S c h e d e sehe Blutschorf nach Desin 
fektion der Höhle mit Jodtinktur zu empfehlen. Bei 
drohender Infektion des Schorfes kann Biersche 
Stauung oft noch die Situation retten. Auch Beck sehe 
Paste wurde mit Erfolg zur Plombierung von Knochen 
höhlen verwendet. 

Herr Guleke lobt den Gipsverband. Die zuerst 


Digitized by Google 


verwendete Extension hat er aufgegeben, weil Pseud- 
arthrosen dabei häufig sind. Das Fenster muss der 
in den Gips schneiden, der den Verband anlegte, damit 
es nicht übersehen wird. Die Nagelcxtension darf man 
nicht machen bei Fällen, die eventuell transportiert 
werden müssen, also nicht in den Feldlazaretten. Das 
Ausräumen aller Knochensplitter ist nicht gut. Es gibt 
Pseudarthrosen und Verkürzungen. Guleke hat dar¬ 
nach einmal eine Verkürzung von 20 cm gesehen. 
Ausserdem reizen Sequester zur Kallusbildung. Wenn 
man extendiert, so darf man wegen der drohenden 
Pseudarthrose nicht zu energisch vorgehen. Die Opera¬ 
tion einer Pseudarthrose soll man erst vornehmen, wenn 
die Fistel geheilt ist, aber dann nicht zu lange warten, 
weil die Knochenatrophie fortschreitet und die Muskeln 
sich retrahieren. Gelegentlich macht er die Drahtnaht, 
aber nicht immer. Freie Transplantation von Periost 
oder Knochen soll man frühestens 6 Wochen nach 
Heilung der Wunden machen. Am Vorderarm soll 
man bei Pseudarthrose eines Knochens nicht am ge¬ 
sunden resezieren, sondern in die Lücke des kranken 
Knochen interponieren. Besser noch ist eine seitliche 
Ueberbrückung des Defektes, weil die Interposition 
am Vorderarm technisch schwierig ist. 

2 . Herr Ludloff hat ein Verfahren von Edin- 
ger zur Ueberbrückung von Defekten im Nerven am 
Menschen angewandt. Es werden die beiden Nerven¬ 
enden in ein mit Gallerte gefülltes Arterienröhrchen 
gesteckt. Der Erfolg ist gut, selbst in desolaten Fällen. 
Die Funktion kommt früh, schon nach etwa 6 Wochen. 
Man muss darauf achten, dass ganz frische Nerven- 
querschnitte in die Gallerte kommen. Braun in Mel¬ 
sungen liefert die Röhrchen. Passende Kaliber müssen 
ausgesucht werden. 

3 . Herr Stoffel: Bei Einbettung von Nerven im 
Narbengewebe muss man nicht nur die peri-, sondern 
auch die endoneurale Neurolyse machen. Das ist tech¬ 
nisch oft sehr mühsam, am leichtesten bei frischen 
Fällen. Umscheidung mit Kalbsarterie ist der Faszie 
vorzuziehen, denn ein mit Faszie umscheideter Fall 
bessert sich nur sehr langsam. Der Erfolg beginnt in 
diesen Fällen oft sehr früh, zuweilen schon am Abend 
nach der Operation zu kommen. 

Dann Demonstration von Fällen querer Nerven¬ 
naht. Auch an einem Ischiadikus nach 35 Tagen be¬ 
ginnende Funktion. Ein quer genähter Ulnaris bekam 
in ganz rätselhafter Weise noch am Abend des Opera¬ 
tionstages seine Funktion zurück. Beweisend für die 
Funktion des Nervus ulnaris sind Kontraktionen des 
Musculus Flexor carpi ulnaris. 

4 . Herr Gunkel: Bildung von Strecksehnen der 
Hand aus Faszienstreifen. Demonstration eines operier¬ 
ten Falles mit guter Funktion. 

5 . Herr Baisch: Operative Behandlung von Ge¬ 
lenkverletzungen. Demonstration. 1 . Einer Arthrodese 
in Abduktionsstellung bei schwerer Zertrümmerung des 
Schultergelenkes; 2 . mobilisierte Gelenke durch Faszien¬ 
lappen-Interposition. (Ellenbogen und Kniegelenke in 
je zwei Fällen.) 

6 . Herr Hagemann zeigt eine Schiene für Patien¬ 
ten mit Radialisiälunung. die die Grundglieder der 
Finger elastisch in Streckstellung bringt und die Hand 
wieder brauchbar macht. 

7 . Herr Heidenhain: Röntgenbehandlung 
eiternder Fisteln. Bei subkutanen Eiterungen in reni¬ 
tenten Fällen, wo ein Sequester oder ein Fremdkörper 
als Ursache auszuschliessen ist, sollte man es mit 
Röntgenbestrahlungen versuchen. In einigen Fällen 
gutes Resultat und schnelle Heilung, in anderen Besse¬ 
rung, in dritten kein Erfolg. Die Bedingungen für die 
Wirkung sind ganz unklar. Behandlung mit kleinen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 19. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


181 


Dosen. Alte Fisteln mit der Methode zu behandeln, 
ist zwecklos. 

8 . Herr Port (Heidelberg): Kieferbrüche und Kie¬ 
ferplastik. Zusammenarbeit von Chirurgen und Zahn¬ 
arzt ist sehr wichtig. Stücke vom Unterkiefer und Zähne 
müssen möglichst geschont und erhalten werden. Die 
Wunden jauchen oft sehr stark. Berieselung mit Malle- 
brein wird empfohlen, welches vor Wasserstoffsuper 
oxyd den Vorteil hat, dass es nicht schäumt. Ver 
schleppte Fälle sind im Resultat viel schlechter als 
von vornherein richtig behandelte. Die Granatsplitter¬ 
verletzungen sind die schlimmeren. Der Unterkiefer ist 
häufiger verletzt als der Oberkiefer. Demonstration der 
Schienen für Unterkieferfrakturen an Gipsmodellen und 
an Patienten. Nach der Kieferbehandlung folgt event. 
die Plastik der Weichteile durch den Chirurgen. 
Demonstration von Patienten. Die Heilung der Unter 
kieferfraktur ist oft nach 6 Wochen noch nicht be 
endet. Man soll die Patienten mindestens 3 Monate 
beobachten. Auf Einzelheiten des Vortrages einzu¬ 
gehen, wäre nur an der Hand von Abbildungen mög¬ 
lich. 

9 . Herr Dupuis zeigt im Aufträge von Herrn 
Geh. Rat Passow künstliche Nasen und Ohren, die 
zweifellos die Leistungen der Chirurgen an Schönheit 
wohl immer übertreffen. 

10 . Herr E. Schmidt: Demonstration von Mus- 
kelplastiken. 

1 . Deltoideus ersetzt durch die vordere obere Partie 
des Trapecius. Technik der Operation nicht 
leicht. Resultat genügend. Der Patient hatte 
die Benützung des Pectoralis major verweigert. 

2 . Deltoideus ersetzt durch den lateralen Trizeps¬ 
kopf. Resultat wiederum befriedigend. Der 
Patient hatte die Benützung der Rumpfmuskeln 
verweigert. 

3 . Kurzer Bizepskopf überpflanzt auf die Sehne 
des Trizeps als Ersatz des letzteren. Resultat 
gut. 

4 . Naht des Nervus medianus. Ulnaris und radialis 
in der Achselhöhle. Der N. musculocutaneus 
wurde in den schweren Narben nicht gefunden. 
Daher Ersatz des Musculus biceps aus der vor¬ 
deren Partie des latissimus dorsi. Erfolg der 
Muskelplastik gut. Nervenheilung noch nicht 
abgeschlossen. 

11 . Herr Propping i. V. von Herrn Rehn: 
Leber Amputationen. Man darf nicht zu konservativ 
sein in der Extremitätenchirurgie, um zu vermeiden, 
dass man Patienten an Sepsis verliert, statt zu ampu¬ 
tieren. Wendet sich gegen die Amputation mit dem 
einzeitigen Zirkelschnitt und macht selbst Hautfaszien¬ 
lappen. 

Diskussion: Herr Brodnitz: Demonstration 
eines Instrumentes zum Zurückhalten der Weichteile 
bei Amputationen. Herr Borchers ist gleichfalls 
gegen den einzeitigen Zirkelschnitt. Lappenschnitte 
sind vorzuziehen, wenn auch der Stumpf kürzer wird. 
Die Heilung geht damit schneller vor sich und das 
Resultat ist sicherer wenn man im gesunden operiert. 
Bei frischen Fällen besteht noch keine Phlegmone und 
diese Indikation für den einzeitigen Zirkelschnitt fällt 
dabei fort. Auch die Reamputation chronisch granu¬ 
lierender Stümpfe ist nicht so leicht und kein kleiner 
Eingriff, bei dem oft Infektion der Wunde eintritt. 
Das Resultat des einzeiligen Zirkelschnittes kann ge¬ 
bessert werden durch Heftpflasterzug, aber das ist auch 
kein Grund für ihn, denn der Zentimeter Knochen hat 
nur Wert, wenn der Stumpf sehr kurz ist, z. B. hoch 
oben am Oberschenkel und das ist auch die Domäne 
dos Zirkelschnittes. Nach der Amputation werden keine 

Digitized by Google 


Nähte gemacht, sondern zwischen die Lappen wird 
lose Gaze gelegt. 

9 . Januar 1916 . Nachmittags. 

1 . Herr W u 11 s t e i n : Prothesen. Einleitender 
Tortrag. 

Es ist unmöglich die Ausführungen des Vortragen¬ 
den kurz zu referieren, in denen er den Ersatz der oberen 
und unteren Extremität behandelte, gestützt auf ein 
grosses Demonstrationsmaterial. Man sah, wie fieber¬ 
haft an diesem Kapitel gearbeitet wird, und wie viel 
Brauchbares bereits entstanden ist. Trotzdem schliesst 
W ullstein: Wir dürfen unsere Erwartungen nicht 
zu hoch schrauben, nicht Künstler auf der Prothese 
bewundern und glauben, Gott weiss wie weit wir schon 
gekommen wären. Was der Durchschnittsmensch mit 
der Prothese leistet, muss uns massgebend sein und 
wir müssen viel weiter kommen. Wir werden noch Jahre 
brauchen, um das Nötige für die einzelnen Berufe zu 
finden. Die LTebungswerkstätten müssen viel Berufs¬ 
zweige lehren, damit die Leute Gelegenheit haben, 
das zu finden, wozu sie ihre Neigung treibt, denn zweier¬ 
lei muss man lieben im Leben: die Ehefrau und den 
Beruf. Der Beruf wird am besten so gewählt, dass das 
verlorene Glied nicht mehr in Betracht kommt. Dann 
werden die Leute Vollarbeiter und haben vollen Lohn. 
Eine Rente sollen sie ausserdem haben dafür, dass sie 
täglich die Chikanen der Prothese ausstehen und auf 
mancherlei Vergnügen verzichten müssen. Erst wenn 
die Arbeitsprothesen weiter gediehen sind, werden wir 
in der Berufswahl freier. Die Lehrzeit soll für die 
Leute verkürzt werden, im allgemeinen vielleicht auf 
1 Jahr; für manche Berufe, z. B. Dreher, genügen schon 
3 Monate. Wir selbst aber müssen auf diesem Gebiet 
nicht nur Aerzte, sondern Sozialpolitiker sein. 

1. anganhaltcnder Beifall folgt den Ausführungen. 

Diskussion: Herr M e y b u r g zeigt eine Reihe 

von Behelfsprothesen wie sie im Res.-Lazarett in Ett¬ 
lingen unter seiner Leitung angefertigt werden. 

Herr Perthes zeigt Gehbänkchen zum Ersatz 
von Krücken, genannt Handkrücken. 

2 . Herr Wilms: Nervenverletzung und 
Naht. Einleitender Vortrag. 

Man soll früh operieren, denn man verkürzt damit 
die Krankheitsdauer, hat keine Distraktion der Nerven¬ 
enden, keine Schwielen und kann eingesprengte 
Knochenstückchen leicht entfernen, ohne den Nerven 
resezieren zu müssen. Ausserdem sind die Nerven¬ 
enden gewöhnlich nach dem Ausschuss zu abgewichen 
und das ist sehr ungünstig für die Heilung. Die Naht¬ 
stelle muss umscheidet werden, am besten mit prä¬ 
parierten Arterien. Faszie macht Schwielen. Auch 
Muskel und Fett sind zur Umscheidung denkbar; Fett 
ist besser als Muskel. Gute Asepsis und Technik 
sind nötig. Geht die Naht nicht, dann muss man dem 
Nerven eine Brücke bauen, am besten mit Arterien¬ 
röhrchen (E ding er). Einpflanzen der Stümpfe in 
einen benachbarten Nerven nach Hofmeister ist 
wohl nicht so gut, ebenso nicht das Umschlagen eines 
Nervenlappens. Die z. T. sehr schnellen Erfolge sind 
noch unklar. Diskussion: Herr Arnsperger hat 
bei älteren Verletzungen Nervenlösungen gemacht und 
zwar auch endoneurale. Resultate gut. Nur ein Miss¬ 
erfolg. 

Her Guleke ist für Frühoperation. Warnt vor 
Faszie zur Einscheidung und nimmt selbst Muskel. 
Unter 48 Fällen von Nervennaht hat er 10 Misserfolge. 

In 38 Fällen hat die motorische Funktion wieder be¬ 
gonnen. Bis zum Beginn der Wiederherstellung ver¬ 
gingen bei Naht in der Achselhöhle 5—6 Monate, am 
Oberarm 4 Monate, am Vorderam ein Vierteljahr. 

Herr S t e i n t h a 1: Die Indikation zur Operation ist 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






182 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 1«) 


gegeben i. durch vollständige Lähmung mit totaler 
Entartungsreaktion, 2 . wenn sielt eine partielle Läh¬ 
mung nach einiger Zeit nicht bessert, 3 . wenn sich 
Paresen verschlechtern. 4 . bei schweren neuritischen 
Erscheinungen. 

Eine Kontraindikation liegt vor t. bei partieller Ent¬ 
artungsreaktion, denn der Operation kann komplette 
Lähmung folgen, 2 . bei noch bestehender oder erst 
kürzlich abgeschlossener Eiterung. 3 . wenn sich Pare¬ 
sen bessern, 4 . wenn sich lange Zeit Sequester aus- 
stossen und Schwielen bilden, 5 . bei schwerer Degenera¬ 
tion der Muskeln, denn es sind dann meist die grossen 
Gefässc verletzt gewesen, 6 , bei partiellen Lähmungen 
die funktionell wenig stören, 

bericht über 153 Fälle darunter 18 Nervenaus¬ 
lösungen, 5 ohne Erfolg, 2 ohne Nachricht. 1 i ge¬ 
bessert. — 40 Nervennähte. Bei der Plastik lassen 
alle Methoden im Stich ausser der S t o f f e 1 sehen. 
Von den 40 Fällen wurden 11 gebessert. Im Frieden 
hat man bei der Naht 70 »0 Erfolge berechnet. Im 
Kriege sind es weniger wegen der Schwere der Ver¬ 
letzungen. Immerhin ist das Resultat besser, als man 
anfangs dachte. Man soll nur saubere Schnitte anein¬ 
ander bringen, dann topographisch nähen nach Stoffel 
und nur das paraneurale Gewebe fassen mit der Naht. 
Einscheidung der Naht in Fett oder Muskel oder 
Faszie. Die Resultate sind mit Einscheidung besser. | 
Ueber die Auffaserung hat Steinthal noch keine 
Erfahrung. 

Herr Bittrolff: Tierversuche über das zur Um¬ 
scheidung verwendete Material ergaben: ln Formol 
gehärtete Kalbsarterien und zelluloidähnliches Material 
sind gut. Fett bringt wechselnden Erfolg; Faszie und 
Muskel machen starke Schwielen und sind unbrauchbar. 

Herr Rost berichtet über die Resultate der Ner¬ 
vennaht an den Patienten der Klinik in Heidelberg. 
1 . Indikationsstellung wie Steinthal. Ganz leichte 
Fälle wurden nicht operiert.. 2 . Bezüglich der Zeit ist 
es ziemlich gleichgültig ob man in den ersten Tagen 
oder nach Monaten operiert, aber zu lange soll man 
nicht warten. 3 . a) Man darf den Nerven stark deh¬ 
nen, b) Umscheidung verhindert Verwachsungen. Ohne 
dieselbe sind die Resultate schlecht, c) Auf die innere 
Topographie der Nerven wird nicht Rücksicht genom¬ 
men ohne sichtliche Fehler. 4 . Nachbehandlung wichtig 
und zwar individuell, nicht in Massenbetrieben. 

Herr Stoffel bespricht eine Methode der Ner 
vennaht, die Spannung vermeidet., Am geeignetsten 
sind die Fälle mit ausgesprochener Narbenspindel. Ver¬ 
ständlich nur mit Zeichnungen. 

Herr Edinger: Die Tubulation allein nützt 
nichts, weil schon die kleinste Blutung den Nerven 
beim Auswachsen stört. Durch seine Röhrchen soll 
der Wachstumswiderstand fortgenommen, nicht allein 
die Leitung gemacht werden; denn Nervensubstanz 
kann man im Agar auswachsen lassen. Mit dem Ver¬ 
fahren hat in 14 Fällen keiner versagt. 

Herr Ahrens nahm bisher nur Faszie zur Ein¬ 
scheidung und will jetzt Edinger versuchen. Waren 
bei seinen Fällen zwei Nerven nebeneinander verletzt, 
so legte er beide in eine Scheide, damit auch die 
Neurotisation von einem auf den andern möglich war. 

Herr Heile: Das Resultat der-Querschnittsnaht 
war bei seinen Fällen nie eine vollständige Heilung, 
sondern nur eine mehr oder weniger partielle. Seine 
Edinger-Fälle sind noch zu frisch. Ein gewisser Pessi¬ 
mismus ist wohl berechtigt und darauf muss man die 
Acrzte aufmerksam machen, ferner darauf, dass der 
Erfolg lange braucht. 

Herr Auerbach befürwortet sehr die Frühopera¬ 
tion, ausgenommen ganz leichte Fälle. Gallalit wird vor 
3—4 Monaten nicht resorbiert und bewährt sich zur 

Digitized by Google 


Einscheidung der Nerven. Die Resultate werden be 
urteilt mit H eile. Schussverletzungen können die Ner¬ 
ven auf weite Strecken schädigen, oft bis ins Gang¬ 
lion. Daher rührt wohl die Renitenz mancher Fälle. 
Die präexistenten Anastomosen, besonders am Arm, 
müssen grösser sein, als man sich .erstellt. Ambu¬ 
lante Behandlung der Operierten ist bald möglich, denn 
die Leute können bald arbeiten und brauchen keine 
Krankenhauspflcge. Da kann man sparen. Die Fälle 
sollen möglichst in einer Hand bleiben. 

Herr M ei sei hat bisher Faszienrohre mit Blut 
gefüllt und zur Plastik verwendet. Resultate schlecht. 

Herr Ludloff: Die Besserung ist durch pra- 
existente Anastomosen allein nicht zu erklären, denn 
sonst müssten sic auch bei jeder Tubulierung auf- 
treten. 


Beiträge zur Hefetherapie mit „Biozyme“. 

Von Dr. med. A. Oinsburg, Berlin. 

Die Verwendung der Hefe zu therapeutischen 
Zwecken, die schon im grauen Altertum bekannt, dann 
aber lange Zeit in Vergessenheit geraten war, hat in 
den letzten Jahrzehnten eine aussei ordentliche Ver¬ 
breitung gefunden. Schon Hippokrates hatte zwar 
nicht die Hefe selbst, wohl aber die Hefe-Asche zu 
Spülungen der weiblichen Geschlechtsteile empfohlen. 
Die Verwendung der ungebrannten Hefe finden wir 
j zuerst bei Dioskurides, sodann aber vornehmlich bei 
Plinius erwähnt, und zwar hebt der Letztere besonders 
die ausserordentlich günstige Wirkling derselben bei 
Hautleiden und Hautausschlägen hervor. Auch in 
späteren Zeiten finden wir die therapeutische Ver- 
5 wendung der Bierhefe und Weinhefe häufiger in der 
Literatur erwähnt. 

Es ist nicht leicht, die Ursache zu erklären, warum 
dann geraume Zeit die Hefetherapie fast völlig in 
Vergessenheit geriet, da doch ihre Verwendung ver¬ 
hältnismässig einfach und ihre Erfolge unbestreitbar 
günstige waren. Es mag dies zum Teil daran gelegen 
haben, dass man mit dem Aufblühen der Pharmakologie 
mehr zur Verordnung der sonstigen Arzneistoffe schritt 
und die biologischen Präparate vernachlässigte, zum 
Teil mag auch der Umstand dazu beigetragen haben, 
dass die frische Bierhefe sich nicht lange hält und 
täglich frisch beschafft werden musste, solange man 
noch keine Dauer-Hefe-Präparate kannte und dass auch 
der fade Geschmack der frischen Hefe vielen Patienten 
zu widerlich war. 

Zweifellos bedeutete daher die Herstellung von 
Trockenhefe-Präparaten einen wesentlichen Fortschritt, 
der die Wiedereinführung der Hefetherapie ganz 
wesentlich unterstützt hat. Wir besitzen jetzt bereits 
eine ganze Anzahl derartiger Präparate, welche trotz 
ihrer verschiedenen Fehler und Mängel, über die weiter¬ 
hin zu sprechen sein wird, mit recht guter Wirkung 
verordnet werden. In Betracht kommt vor allen 
Dingen die örtliche Anwendung bei gynäkologischen 
Affektionen, sowie besonders die innerliche Anwendung 
bei Hautkrankheiten, Furunkulose, und auch bei 
Diabetes. 

Erst vor wenigen Jahren wurde durch eine Reihe 
sehr interessanter Versuche festgestellt, dass die meisten 
der im Handel befindlichen Trockenhefe-Präparate 
nur eine ganz minimale Hefewirkung entfalten können, 
da bei den Herstellungsverfahren erhebliche Fehler 
begangen werden. In den meisten Fällen wird zur 
Herstellung der Trockenhefe-Präparate die Bierhefe, 
das Abfallprodukt der Brauereien, benutzt. Nun 
bestehen aber die Bierhefezellen, last ausschliesslich 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



\'r. 1<). 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


183 


aus toten und kranken Zellen, welche dann natur- 
pemäss durch die bei der Fabrikation unumgänglich 
notwendigen Reinigungsprozesse und sonstigen Proze- 
iluren noch mehr geschädigt werden. 

Im Gegensatz zu den meisten Ilefepräparaten wird 
die „Biozyme“, das Hefepräparat der Firma \’ial & Uhl- 
mann in Frankfurt a. Main, nicht aus der Bierhefe, 
sondern aus rein gezüchteter, mit speziellen Nähr¬ 
salzen ernährter Kulturhefe hergestellt. Während bei 
verschiedenen der bekannten Trockenhefe-Präparate 
arosse Mengen von Kartoffelstärke oder Maisstärke 
fast bis 50 beigemengt sind, ist Biozyme ein hoch¬ 
wertiges Trockenhefe-Präparat, welches keinerlei 
Stärkezusatz, dagegen fast nur lebende Hefezellen 
enthält und in bezug auf seine Wirkung etwa der vier¬ 
fachen Menge frischer Hefe entspricht. 

Es sind verschiedentlich Gärversuche mit den 
bekannten Präparaten vorgenommen worden, z. B. 
in der Grossherzoglichen chemischen Prüfungs¬ 
anstalt in Darmstadt, im Laboratorium der Landes¬ 
heilanstalt Uchtspringe, von Dr Brachmann (Ärztliche 
Rundschau 1013 Heft 4), die alle zu dem überraschen¬ 
den Ergebnis geführt haben, dass die prozentualen 
V’ergleichszahlen, welche sich aus zahlreichen Gärkraft-I 
bestiminungen ergaben, bei den verschiedenen bisher 
gebräuchlichen Trockenhefe-Präparaten zwischen 1,2 ! 
und 2,4 % schwankten, bei Biozyme aber 100,0 */„ 
erreichten, d. h. mit anderen Worten, dass die Gär-1 
kraft der gewöhnlichen Trockenhefe-Präparate ganz 
minimal war, während die Gärkraft der Biozyme 
nachweislich der Gärkraft der vierfachen Menge frischer 
Bäckerhefe entspricht. 

Das gleiche Resultat ergaben auch die mit ver¬ 
schiedenen Trockenhefe-Präparaten angestellten Ver- ! 
suche zur Bestimmung des Verlustes an Kohlensäure 
bei Zusatz von 1 gr Trockenhefe zu 25 ccm Trauben¬ 
zuckerlösung. Der durch Entwicklung von Kohlen¬ 
säure resultierende Gewichtsverlust betrug bei Biozyme 
nach 3 Stunden 0,440, nach 6 Stunden 0,055, nach 
0 Stunden 0,085, nach 24 Stunden 1,033 gr, während 
bei Anwendung der übrigen Trockenhefe-Präparate 
sich nach 3 Stunden nur 0,000 bis 0,011, nach 6 Stunden 
nur 0,010 bis 0,020, nach 0 Stunden nur 0,015 bis 0,021 
und nach 24 Stunden nur 0,021 bis 0,056 gr Kohlen¬ 
säure entwickelten. Diese Versuche dürften 
schlagend beweisen, dass die Biozyme den gebräuch¬ 
lichen Hefepräparaten an Wirksamkeit bedeutend über¬ 
legen ist. 

Die praktischen Versuche am Krankenbett bestätigten 
in der Tat die Richtigkeit der Laboratoriumsversuche. 
Ich hatte Gelegenheit, die Präparate in zahlreichen 
Fällen von Furunkulose, Dermatosen verschiedener 
Art anzuwenden und war in allen Fällen von dem 
Erfolge ausserordentlich befriedigt. Auch bei Patienten, | 
bei denen bereits Hefekuren mit anderen Präparaten 
vergeblich angewendet worden waren, war der Erfolg 
oft ein überraschender. 


1. 24-jähriger Kaufmann leidet seit seinem 14. Lebens¬ 
jahre an ..unreinem Blut“. Fortwährend Bildung von Furunkeln 
an allen möglichen Körperteilen, gegen die bisher alles Mögliche 
vergeblich angewandt worden ist. Meist gingen die Furunkel 
unter Anwendung von Zugpflastern von selbst auf, oft aber 
musste auch ein geschnitten werden. Äusserlich sind schon 
allerlei Salben versucht worden, auch Bäder mit verschiedenen 
Ingredienzien hatten wenig Erfolg Innerlich ist ebenfalls schon 1 
viel versucht worden. Zeitweise brachte Schwefelblüte Besserung 
Arsenkuren waren ohne jede Wirkung. Auch eine Hefekur 


mit einem trockenen Hefepulver hat der Patient schon durch-! 


gemacht, doch weiss er sich des Namens des Präparates nicht 
mehr zu erinnern. Der Erfolg dieser Hefekur war ebenfalls 
gleich Null. Ich verordnete Biozyme, das ohne Schwierigkeit 


Digitized by 



genommen wurde und schon in kurzer Zeit wesentliche Besserung 
herbeiführte. Als der Patient in meine Behandlung kam, hatte 
er auf dem Rücken und Gestüts zusammen drei grosse Furunkel, 
während man an etwa sieben Stellen die Überreste geheilter 
Furunkel sehen konnte und an zwei Stellen bereits die Anfänge 
neuer Furunkel sich zeigten. Auf dem linken Oberschenkel 
ebenfalls ein grosser Furunkel, ebenso ein solcher von mittlerer 
Grösse im Nacken. Bei gleichzeitiger Lokalbehandlung der 
Furunkel mit Breiumschlägen und essigsaurer Tonerde (nach 
dem jeweiligen Zustande) erhielt der Patient viermal täglich 
l /j Teelöffel voll Biozyme Die vorhandenen Furunkel heilten 
innerhalb eines Zeitraumes von etwa 10 Tagen ab, es bildeten 
sich sodann nach einander noch drei neue, erst ein solcher 
auf dem Nacken, dann einer im Rücken und auf dem Gesäss 
Als diese abgebeilt waren, bildete sich kein neuer Furunkel 
mehr. Nach etwa drei Monaten suchte der Patient mich wieder 
auf. Nachdem er die Kur seit etwa drei Wochen unterbrochen 
hatte, hatte sich im Rücken ein neuer — allerdings nur kleiner 
Furunkel gebildet. Ich liess gleich wieder Biozyme weiter ge¬ 
brauchen mit dem Resultat, dass der Furunkel schnell abheilte, 
und der Patient während der nächsten Zeit bisher freige¬ 
blieben ist. 

2. Ella G , 24 Jahre alt, ziemlich blutarm und schwäch¬ 
lich, leidet seit einer ganzen Reihe von Jahren an sehr unreiner 
Haut, häufigen Pickeln und Mitessern im Gesicht, auf der 
Brust und Rücken. Augenblicklich hat sie zwei etwa hasel- 
uussgrosse Knoten im Gesicht, einen gleichen zwischen den 
Schulterblättern und ausserdem zahlreiche rote entzündete Flecken 
im Gesicht und auf der Brust. Zahlreiche Salben waren ohne 
Erfolg Der Stuhlgang lässt sehr zu wünschen übrig. Auch 
in diesem Falle hatte die Biozyme-Kur, die örtlich durch An¬ 
wendung von Zinkpaste unterstützt wurde, einen recht erfreu¬ 
lichen Erfolg. Die Furunkel heilten schnell ab, die Pickel 
schwanden allmählich, die Haut wurde frischer und glatt. Als 
nach längerer Zeit sich wieder einige Hautuureinigkeiten zeigten, 
genügte eine kurze Kur mit Biozyme, dieselben schnell wieder 
zu beseitigen. 

3. Fritz S, 35 Jahre alt, leidet seit anderthalb Jahren an 
einem chronischen Ekzem an der rechten Hand. Die bisherige 
Behandlung mit den verschiedenen Salben brachte vorüber¬ 
gehend geringe Besserung. Trockenhefebehandlung innerlich mit 
einem ziemlich weitverbreiteten Trockenhefepräparat ohne Er¬ 
folg. Ich gab Biozyme innerlich, liess allerdings gleichzeitig 
eine örtliche Behandlung mit Teersalbe wieder beginnen, die 
bereits früher mit vorübergehender Besserung angewandt worden 
war. Der Erfolg war ausserordentlich günstig. Schon nach 
14tägiger Behandlung war die Tendenz zur Abheilung des 
lästigen Ekzems deutlich zu erkennen. Nach insgesamt nicht 
ganz drei Monate währender Behandlung war das Ekzem völlig 
verschwunden. 

In zahlreichen ähnlichen Fällen waren die Erfolge 
gleich günstige. Ich möchte daher den Kollegen die 
Anwendung dieses neuen Trockenhefe-Präparates 
angelegentlich empfehlen, da dasselbe nachweislich vor 
den bisher gebräuchlichen Trockenhefe-Präparaten 
folgende Vorzüge besitzt : 

Es besteht nicht aus Bierhefe, sondern aus reiner 
mit besonderen Nährsalzen gezüchteter Kulturhefe und 
enthält keinerlei Zusatz von Stärke, es enthält fast 
nur lebende Hefezellen und ist in bezug auf Gärkraft der 
frischen Hefe gleichwertig ; ja sogar entspricht in dieser 
Hinsicht I gr Biozyme 4 gr frischer Hefe. Besonders 
bemerkenswert ist, dass Biozyme nach meinen Er¬ 
fahrungen das einzige I Iefepräparat ist, welches einen 
leidlichen Geschmack hat. Von zahlreichen Patienten 
wurde es deswegen bevorzugt. 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 











184 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 19. 


Fortschritte auf dem Gebiet der Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische Übersicht von Ur. B I ü m e I, Halle a. S., Spezialarzt für 
Hals- und Lungenkrankheiten. 

Schluss. 

Über Hämoptoe berichtet zusammenfassend 
Hochhaus-Köln (98). Hervorgehoben sei auch, 
dass er auch auf den verschiedenen Ursprung der 
Blutung hinweist, wie Nase, Nasenrachenraum, Kehikopf, 
Bronchen, kruppöse und bronchopneumonische Lungen¬ 
entzündung, Lungentumoren, — Stauungen, — Lungen¬ 
infarkt, Arteriosklerose der Lungenarterien, Aneurysma. 
Als Therapeutika werden die bekannten, hier öfter be¬ 
sprochenen Mittel, vor allem Kochsalz, auch intravenös 
(5 ccm, einer 1U prozentigen Lösung) Gelatine, Pferde¬ 
serum, Pneumothorax empfohlen. 

Über tuberkulöse Perikarditis bringt 
Wolff-Hamburg (94) eine eingehende Studie. 
Die Erkrankung entsteht zumeist durch Fortleitung von 
den benachbarten Lymphdriisen des Mediastinums, des 
Hilus, von der Pleura u. a., teils ist sie hämatogenen 
Ursprungs. Von 16 genau registrierten Fällen von 
tuberkulöser Perikarditis waren 8 unter, 8 über 60 Jahr 
alt. Die Erkrankung ist also bei älteren Personen nicht 
so selten. Bei 20 von 21 Fällen handelte es sich um 
eine fibrinöse, nur einmal um eine rein seröse Ent¬ 
zündung. Bei 7 von 16 F'ällen wurde ein Ausgangs¬ 
punkt für die Tuberkulose nicht gefunden. Das anato¬ 
mische Bild der tuberkulösen Perikarditis ist wenig prä¬ 
gnant, in allen Fällen wurde eine mikroskopische Ünter- 
suchung vorgenommen. Bei älteren Leuten ist bei Peri¬ 
karditis fibrinosa beim Fehlen von anderer Ätiologie an 
Tuberkulose zu denken. Die Prognose ist keine absolut 
schlechte. Der Prozess kann unter Verwachsung des 
Herzbeutelblattes, unter Verkalkung der Synechien aus¬ 
heilen. 

Schönberg (95) berichtet über einen Fall von 
primärer Nieren tuberkulöse und be¬ 
tont, dass für die Ätiologie der Schrumpfniere auch die 
Tuberkulose herangezogen werden muss. 

von Muralt-Davos (96) betrachtet die 
nervösen undpsychischen Störungen 
der Lungentuberkulosen. Er fand eine 
leichte Ermüdbarkeit bei psychischen und phy¬ 
sischen Leistungen. In diesem Zustand zeigten sich die 
Kranken leicht empfindlich und reizbar, auch sonst 
stach eine gewisse Feigheit, Überempfindlichkeit gegen 
Schmerzen und Wehleidigkeit hervor, eine gewisse 
Willensschwäche. Auch eine grosse Suggestibilität be¬ 
stand. Der Grund der geschilderten Störungen liegt 
nach v. M. in der Intoxikation des Körpers mit Tuber¬ 
kuloseproteinen. 

Ich bin der Ansicht, dass diese Erscheinungen wie 
Schlüsse teils infolge der Anstaltsbehandlung auftraten. 
In Görbersdorf sah ich das auch. Aber nach 
meinen Erfahrungen in der freien Praxis unterscheiden 
sich die Tuberkulösen bezüglich ihrer Psvche durchaus 
nicht nachteilig von anderen Chronisch-Kranken. In 
der Anstalt fehlt ja auch das geeignete Vergleichungs¬ 
material. Ich möchte deshalb diese schon sonst als 
tuberkulöse Intoxikationen beschriebenen Zeichen nicht 
in dem Umfange bestätigen. Wir sehen solche schwer¬ 
toxischen Erscheinungen natürlich bei Tuberkulose, 
aber auffällig zumeist bei hochfiebernden, akuten 
F'ormen. 

Engel- Berlin (97) bringt einen Beitrag zur 
Behandlung der Skrofulöse. Sie entsteht nach 
ihm auf dem Boden einer exsudativen Diathese. Die 
letzte behandeltinan unter Vermeidung von Überernährung, 
indem man den Genuss von Milch, Eiern, Fett, auch 
der Kohlehydrate einschränkt. Dagegen gibt man viel 
Fleisch, und vom 2. Jahre ab nur 4, vom dritten ab nur 

Digitized by Google 


3 Mahlzeiten. Man muss aber Unterschiede machen, ob 
es sich um eretische, meist magere oder torpide, fette, 
pastöse Kinder handelt. Den ersten gibt man 5 bis 6 
Mahlzeiten, lässt abends '/* 1 Sahne auf einmal trinken, 
der dann, da er die Nacht über verdaut wird und so 
keine Appetitsstörung macht. Im übrigen werden emp¬ 
fohlen : Tuberkulinbehandlung, Lebertran (nicht mehr 
wie 2 Esslöffel täglich), Schmierseife (2—3 mal wöchent¬ 
lich), Aufenthalt an der See, im Hochgebirge, vor allem 
in der Sonne. 

Behandlung mit Röntgenstrahlen führte 
Bittrolff - Heidelberg (98) bei Rippen- 
und Brustbeintuberkulose aus. Von 30 
F'ällen erhielt er über 21 später Nachricht. 17 Mit¬ 
teilungen waren davon verwertbar. 11 Kranke waren 
davon geheilt geblieben, 2 wahrscheinlich geheilt, 3 
wesentlich gebessert. Die Erfahrungen können als 
ausserordentlich günstig bezeichnet werden, wenn man 
bedenkt, wie lange Jahre sonst oft Fisteln bestehen 
bleiben. 

II. Nichttuberkulöse Erkrankungen. 

Über Keuchhusten liegen 3 Arbeiten mir vor, eine 
gute allgemeine bringt Ritter-Berlin (99). Er 
empfiehlt von Medikamenten am meisten das Bromoform, 
daneben zweckmässige Ernährung, Freiluftbehandlung, 
möglichst ohne Ortswechsel, und wenn der Ort ge¬ 
wechselt wird, dann unter Abschluss von den gesunden 
Kindern, Ochse nius-Chemnitz (100) wendet 
eine fast tägliche Pinselung des Rachens 
mit 1 —2 prozentiger Argentum nit ri cum- 
Lösung an. Er sah davon sehr gute Erfolge, so 
Abkürzungen des Verlaufs in der Art, dass Anfälle 
nach drei Wochen nicht mehr auftraten. Intensität und 
Anzahl der Anfälle lassen bald nach, wenn die Pinselung 
frühzeitig schon vorgenommen wird. — Gramer- 
Zehlendorf (101) empfiehlt Droserin- 
tabletten, 2 bis 3 stündlich eine, je nach dem 
Alter. Die Tabletten enthalten das peptonisierende 
Ferment der Droseraceen, fleischfressender Pflanzen. 

Hötzel-Sauberbac h (102) wandte bei Pneu¬ 
monien Ol. camphora t. in Dosen von je 
10 ccm, (bei Kindern 5) an, früh und abends. Er sah 
davon ausgezeichnete Wirkungen, meistens erfolgte eine 
Lysis und zwar am 3. oder 4. Tag. Diese Behand¬ 
lung wurde vor 2 bis 3 Jahren aus Amerika empfohlen. 
Im allgemeinen hat sie sich nicht eingebürgert. Ich 
ziehe auch bei Pneumonien 1—2 stündliche Kampfer¬ 
gaben vor, die man zeitweise zweckmässig mit Koffein 
(0,2 subkutan) wechseln lässt. Wir nehmen eine spezi¬ 
fische Wirkung nicht in dem Sinne wie H. an, wohl 
aber eine Wirkung, die dahin geht, dass ein guter er¬ 
regender und tonisierender Effekt auf den peripheren 
Kreislauf erzielt wird. Und diese Regulierung wollen 
wiV ja bei dem meist sehr geschädigten peripheren Kreis¬ 
lauf erreichen. (Da die Kampferwirkung im Laufe 
einer Stunde ungefähr auftritt, erscheint es notwendig, 
um dauernd eine Wirkung zu haben, 1—2 stündlich die 
Dosen zu wiederholen.) 

Von anderen Erkrankungen der Lunge wird 
noch der Echinoccocus besprochen. Behren- 
roth-Greifswald (103) empfiehlt für die Diagno¬ 
stik vor allem das Rnntgenverfahren, weil es mit seiner 
Hilfe leicht gelinge, die kreisrunden intensiven Schatten 
der Zysten zu finden. Die Behandlung ist bei para- 
pleural gelegenen Herden eine chirurgische, bei zentral 
gelegenen eine konservative. 

Einen neuen transportablen Apparat zur Einatmung 
komprimierter und Ausatmung in verdünnte Luft emp¬ 
fiehlt Spiess (104). Bei Behandlung von Asthma 
bronchialeundEmphyse m bewährte sich S teiner- 
Budapest (105) Lipojodin-Ciba. Das Mittel 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


185 


Nr. 19. 


ist von angenehmem Geschmack, macht keine Magenbe¬ 
lästigungen, und wird langsam und gleichmässig resor¬ 
biert. Man gibt täglich 1 bis 2 Tabletten (Originalglas 
zu 10 Tabletten 1 Mark, zu 20 Stück 1,90 Mark). Im 
Anschluss an diese Empfehlung weist St. auf das hin, 
was für die Güte eines Jod mittels aus¬ 
schlaggebend ist: 1. die Verbindung soll in 
Fetten und Ölen löslich sein, 2. die Jodbindung soll so 
fest sein, dass sie von verdünnten Säuren und Laugen 
keine Veränderung erleidet, 3. die Resorption der Ver¬ 
bindung und Abspaltung des Jods soll gleichmässig 
langsam vor sich gehen. 4. Die Substanz soll starke 
lipotrope und neurotrope Eigenschaft besitzen, also 
polytrop sein. J o d k a 1 i ist nicht sehr geeignet, 
weil es nur in Wasser löslich ist. Resorption und Aus¬ 
scheidung erfolgen auch sehr rasch. (In 4 — 5 Minuten 
nach Einnahme im Speichel und Urin nachweisbar, nach 
12 Stunden sind schon 40 bis 50 Proz. des einge¬ 
nommenen Jodkalis entfernt.) Nicht besser sind die 
Jodalbumine wie Jodomenin (Jodbismutalbumin mit 
4,5 Proz. Jodgehalt), Projodin (jodiertes Milchalbumin 
mit 6,0 Proz., Jodtropon (Jodalbumin) mit 3 Proz. 
Jodalbacid (jodöses Eialbumin) mit 5,6 Proz., Jodeigon 
(grösstenteils unorganisch gebunden) mit 20 Proz , Jod- 
g 1 i d i n e (organisch gebunden) mit 3,5 Proz. Jod¬ 
gehalt. Sie werden ebenso schnell resorbiert und aus¬ 

geschieden wie Jodkali und sind dabei unverhältnis¬ 
mässig teuer, besonders, wenn man den Jodgehalt 
des Jodkalis (75 Proz.) mit dem dieser Mittel vergleicht. 
Dagegen besitzen die Jodfettsäure Ver¬ 
bindungen starke Speicherungsfähig- 
k e i t. Sie zerfallen in solche mit niedrigem Jodgehalt 

(J o d i v a 1 : 17 Proz., J o d i p i n 10 und 25 Proz., 

Sajod i n 26 Proz.) und solche mit hohem Jodgehalt 
wie L i p o j o d i n (41,06 Proz. Jod). Sajodin soll 
nach St. den Nachteil besitzen, eine Kalziumseife zu 
sein und deshalb häufiger Magendarmstörungen zu 
machen; auch soll es sich infolge zu langsamer Jodab¬ 
spaltung zu lange aufspeichern und so unkontrollierbai e 
Joddepots bilden. Demgegenüber soll die Jodab¬ 
sonderung aus Lipojodin sehr gleichmässig vor sich 
gehen (Beginn nach 120 Minuten und Ende in 70 bis 
90 Stunden) und das Mittel eine 10 fache Lipo- 
tropie und Leurotropie besitzen als Sajodin, (Bei 
Jodival und Jodkali begann die Ausscheidung nach 
10 bis 20 Minuten und endete nach 30 bis 46 Stunden, 
bei Sajodin nach 3 bis 5 Stunden und endete 
in zirka 140 Stunden). Ich würde das nun für kein 
so grosses Unglück und für keinen Nachteil des 
Präparates halten, sondern möchte Jodipin und Sajodin 
abgesehen von den sonst noch erwähnten Nachteilen als 
brauchbare Jodpräparate empfehlen. Der Vorzug des 
Lipojodins bleibt natürlich bestehen. Überlegen ist ihm 
eber noch das Jo dostarin mit 47,5 Jodgehalt, das 
in Tabletten von 0,25 g in den Handel kommt. Es 
enthält in jeder Tablette 0,16 g Jod gegenüber 0,012 g 
in einer Tablette Lipojodin. Dabei kosten 20 Tabletten 
nur 1,60 Mark. Hätte also Jodostarin, was mir nicht 
bekannt ist, dieselbe Speicherungsfähigkeit w'ie Lipo¬ 
jodin, so würde das Präparat weit billiger in der An¬ 
wendung sein, da es in einer Tablette mehr wie den 
10 fachen Jodgehalt besitzt. Jedenfalls kommt alles auf 
die Verträglichkeit, Lösungsverhältnisse und Spei¬ 
cherungsfähigkeit an, nur das kann der Grund sein, dass 
man mit den gegenüber den grossen Jodmengen des 
Jodkali kleinem Jodkonsum ebenso günstige Wirkungen 
erzielt. Ich habe das Lipojodin wie das Jodostarin in 
über 100 Fällen seit Jahresfrist mit allerbestem Erfolg 
angewandt und die anderen Mittel zumeist verlassen. 
Zweckmässig ist es, mit grösseren Dosen der Präparate 
zu beginnen, so in den ersten beiden Tagen mit je 4 
Tabletten, dann je drei, dann e zwei, um dann auf zwei 


Digitized by Google 


mal ! /j z u bleiben, um nach 14 Tagen mal einige Tage 
ganz jodfrei zu leben. 

Cloetta (106) arbeitete über experimentelle Patho¬ 
logie und Therapie des Asthma bronchiale und 
fand: die Expirationsbehinderung und ebenso die er¬ 
schwerte Inspiration ist ausschliesslich auf Funktions¬ 
störung der Bronchialmuskulatur zurückzu¬ 
führen. Es erhöht sich beim Bronchokonstriktions- 
(Asthma) Anfall das Expirationsvolumen (Residual- und 
Reserveluft), sodass die Inspiration von einer erhöhten 
Mittellage aus einsetzen muss. Durch Injektion von 
Atropin und Adrenalin wird dieser pathologische Zu¬ 
stand wieder rasch in den normalen zurückverwandelt. 
Als Erklärung für diesen dyspnoischen Zustand des 
Asthmatikers ist auszuführen: 1. die erhöhte, ungewohnte 
und unökonomische Arbeitsleistung; 2. die Vergrösserung 
des gesamten Volumens der Lunge und dementsprechend 
eine Erschwerung der Zirkulation, die ihrerseits wieder 
eine Mehrleistung des rechten Ventrikels verlangt; 

3. eine subjektive sensible Quote, bewirkt durch das an¬ 
dauernd vermehrte Volumen des Brustkorbes bezw. 
seines Inhalts entsprechend den Druck- und Zerrungs¬ 
erscheinungen. 

Curschmann-Mainz (107) teilt einen Fall von 
Bronchotetanie beim Erwachsenen mit. Bisher sind 
die Fälle vor allem bei Säuglingen beschrieben worden. 
Der Kranke litt seit Jahren an Bronchialasthma, hatte 
aber alle Zeichen einer latenten Tetanie (Chvostek- und 
Erbsches Zeichen). Auf Kalziumgaben (Kalzium lactic. 
1,0 viermal täglich) verschwanden die Anfälle. Kalzium 
dämpft die Erregbarkeit des zentralen und peripheren 
Neurons und wirkt sekretionshemmend. Das Mittel muss 
monatelang fortgereicht werden, der Organismus kann 
es in erheblichen steigenden Mengen zurückhalten, z. B. 
(in 59 Tagen 64 g). Später kann man auf 2—12 g den 
Tag zurückgehen. Adrenalin ist hier kontraindiziert. 

Ebenfalls Kalzium in Form von Chlorkdzium 
crystall. pur. (100:500 Aqu. dest 3mal täglich einen 
Teelöffel) in einem V 4 Glas Wasser) empfehlen 
Emmerich und Loew (108). Das Mittel bewährte 
sich in allerdings monate-, ja jahrelanger Anwendung 
als Heilmittel bei Heufieber. Auch andere Vorzüge 
rühmen ihm die Autoren nach: Erhöhung der körper¬ 
lichen Leistungsfähigkeit, Besserung des Schlafes, Hebung 
der Widerstandsfähigkeit gegen Infektionskrankheiten, 
Steigerung der Diurese und damit Gewichtsabnahme, 
i Leider sind diese Empfehlungen in die Tagespresse so¬ 
fort übergegangen, und ich werde z. B. fortgesetzt um 
die Verordnung dieses Allheilmittels angegangen: Noch 
unangenehmer ist, dass Autoren, ungewollt natürlich, zu 
Schrittmachern für ein anderes Mittel wurden, das jetzt 
mit Riesenreklame an Lungentuberkulose vertrieben 
wird: das Kalziol. Das ist im Interesse unserer 
Kranken sehr zu bedauern. Aber nach dem famosen 
Beispiel, das neulich im Reichstag gegeben wurde, wo 
ein Abgeordneter — — natürlich Nichtarzt — — den 
Reichskanzler nach dem Stande der Anwendung von 
„M a 1 1 e b r e i n“ fragt und ihm gleichfalls einige 
sehr empfehlende Worte mit auf den Weg gibt, nimmt 
uns ja nichts mehr Wunder. Die ablehnende Antwort 
des Dezernenten war die richtige. Es würde eine bei¬ 
spiellose Reklame werden, wenn in dieser Form für 
medizinische Präparate gewirkt würde. Hier traf es ja 
nun ein Mittel, über dessen Unbrauchbarkeit bei der 
Tuberkulosebehandlung ich schon in früheren Referaten 
ausführlich sprach.) 

II. Teil 

der Literaturangaben. 

52. A r o n s o h n. Experimentelle Untersuchungen über 
Tuberkulin und Tuberkulose. (D. m. W. 1914, Nr. 10.1 

53 Kuppel. Tuberkuline. (D. m. W. 1913, Nr. 50.) 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



188 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 19 


sich erstreckt, dass sie ferner bei sich normal verhaltenden 
Menschen immer in der gleichen Weise eintritt und nur bei 
Schädigungen des Zentralorgans durch allerlei Einflüsse in ver¬ 
änderter, ja völlig umgekehrter Weise eintritt. 

S t r a u s s - Mannheim. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

G. Klemperer, l’rovldoforra bei DiphtherlebaziUenträgern. 

(Ther. d. Ggwart. 1916, Heft 1). 

Zur Anwendung gelangte die Pinselung mit unverdünnter 
5°/ 0 Tinktur des Providoforms und zwar wurden alle Patienten, 
die am Schluss der dritten bis vierten Krankheitswoche noch 
nicht bazilleufrei waren, vier bis acht Tage lang 'täglich einmal 
mit der Tinktur energisch im Hals gepinselt Die Wirksamkeit 
des Providoforms entsprach ungefähr derjenigen der Jodtinktur. 
Als ein in allen Fällen wirksames Mittel ist auch das Provido- 
form nicht zu bezeichnen. S t r a u s s - Mannheim. 

Dr. E r n s t Schloss, Zur Therapie der Khachitis. (J. 
f. Kinderhk., 83. Bd, Heft 1 u. frühere). 

In zahlreichen schon früher veröffentlichten Stoffwechsel- 
Versuchen hatte Schloss, zum Teil in Gemeinschaft mit Frank, 
die Wirkung des Lebertrans, der Kalksalze und der gleich¬ 
zeitigen Verabreichung beider auf den Salzstoffwechsel des 
Säuglings untersucht und stellt nun als Resultat zusammen¬ 
fassend fest: Beim Brustkind ist das Resultat der alleinigen 
Lebertrauzugabe nicht eindeutig, die Möglichkeit einer günstigen 
Wirkung jedoch festgestellt. Bei der alleinigen Kalktherapie' 
(Calc. acetic) wird nur die Kalk-, nicht auch die Phosphorsäure¬ 
bilanz verbessert; bei kalk- u. phosphorhaltigen Präparaten 
(Tricalciumphosphat oder organische Präparate wie Plasmon, 
Tricalcol) bessern sich beide. Das Maximum der Wirksamkeit 
im Stoffwechselversuch kommt jedoch immer der kombinierten 
Behandlung mit Lebertran und Kalkphosphorpräparaten zu. 
Gauz ähnlich ist das Resultat der Stoffwechsel versuche bei 
künstlich genährten Kindern. Die günstige Wirkung setzt sich 
auch nach Aussetzen der Therapie noch fort. 

S t r a u s s - Mannheim 


Medikamentöse Therapie. 

v. Thurner und Fr. Th. Münzer, Über Carbovent, 
eine neue Tierkoble. (Die Ther. d Ggwart 1916, Heft 1). 

Die Verfasser sahen gute Resultate bei typhösen Prozessen 
von der Verabreichung von 2—3 Esslöffel Kohle in 1 2 Liter 
Wasser pro Tag. S t r a u s s - Mannheim. 

G. Klemperer, Solarson, ein wasserlösliches Arsen¬ 
präparat aus der Elarsongruppe. (Ther. d. Ggwart 1916, lieft 1). 

1 °/ # ige Solarsonlösung in langsam steigenden Mengen 
subkutan injiziert hatte günstige Wirkung in Fällen von sekundärer 
Anämie, allgemeiner Schwäche, Neurasthenie und Neuralgie. 

S t r auss- Mannheim. 


BQcherschau. 

F nabender, Oie technischen Grundlagen der Elektro¬ 
medizin. (Verlag von Friedrich Viebig & Sohn, Brauuschweig.) 

Mit Recht weist der Verfasser darauf hin, dass der Arzt, 
der sich mit Elektromedizin beschäftigt, auch die physikalischen 
Grundlagen, wenigstens einigermassen beherrschen muss, der 
Techniker, bezw. der Physiker muss mit dem Mediziner Zu¬ 
sammengehen. Sie müssen sich gegenseitig zu ergänzen suchen. 
Man muss zugeben, dass es F assbender gelungen ist, in 
der vorliegenden Schrift die teilweise recht schwierigen physi¬ 
kalischen Probleme auch einem auf diesem Gebiete weniger 
bewanderten leicht fassbar zu machen, ohne ihn mit Neben¬ 
sächlichem zu stark zu belasten. 

Es werden nacheinander abgehandelt die Diathermie, die 
elektrische Temperaturmessung in der Medizin, die Röntgen¬ 
technik und der Elektrokardiograph. N e u m a n n. 

Steckei, Der Wille zum Sehlal. (Altes und Neues 
über Schlaf und Schlaflosigkeit Ein Vortrag. Wiesbaden, 
Verlag von J. F. Bergmann, 1915, Preis 1.40 Mk.) 

Es ist eigentlich erstaunlich, wie wenig wir über den 


Schlaf, über das Zustandekommen des Schlafes und über die 
während desselben sich im Gehirn abspielenden Vorgänge 
wissen. Bei der Lektüre des Stecke 1'sehen Buches kommt 
dem Leser das so recht zum Bewusstsein. S t e c k e 1 hat in 
sehr anziehender Weise das Wenige, was wir physiologisch 
wissen, zusammengelragen und manches Eigene dazugegeben. 
Man folgt seinen Ausführungen gern und es ist recht interessant, 
sich von dem Traumdeuier S t e c k e 1 über Schlaf und Träume 
belehren zu lassen und aus seinen Ausführungen zu ersehen, 
wie so manche leichte Brücke aus dem Reiche des Aberglaubens 
hiniiberführt in das Gebiet der festbegrüudeten Wissenschaft. 

N e u m a n u. 

Röhmheld, Von militärärztiicher Beurteilung und Behand¬ 
lung der Magen- uud üarmkrankheiten im Krieg. (Sep. Druck 
aus Deutsche med. Wochenschrift, 47, 1915.) 

Iu den sehr beachtenswerten Ausführungen tritt der Ver¬ 
fasser dafür ein, die an Magen- und Darmkrankheiten leiden¬ 
den Kriegsbeschädigten besonders hierfür eingerichteten Laza¬ 
retten zuzuführen, weil nur auf diese Weise das Heer von 
der unnötigen Belastung durch früher oder später doch un¬ 
brauchbar werdende Verdauungskranke bewahrt wird. In den 
allgemeinen Lazaretten kann auf diese Kranken meist nicht 
die nötige Zeit verwandt werden und es kommt dann nicht zu 
einer klinisch exakten Diagnose, welche aber für die Prognose 
und damit auch für die Frage der Dienstbrauchbarkeit und die 
Form der Dienstfähigkeit absolut notwendig ist. 

N e u m a n n. 


Neuere Medikamente. 

Jotbion: Dijodhydroxypropan. Dicke, schwach gelbliche 

Flüssigkeit von eigenartigem Geruch und neutraler Reaktion. 
Jodgehalt ca. 80 “/„. In Wasser fast unlöslich, iu Alkohol, 
Äther und fetten Ölen leicht löslich. 

N eues J odprä parat für epider malische 
Anwendung. Ersatz für interne Jodkalimedikation, 
sowie für Jodtinktur, Jodkalisalbe, Jodvasolimente etc. Vor¬ 
treffliche Resorbierbarkeit (bis zu 50 °/o) bei gleichzeitigem 
Fehlen übler Nachwirkungen. Bei tertitiiren syphilitischen 
Aflektionen, Knochenhaut- und Gelenkentzündungen, Blut¬ 
ergüssen, Drüsenanschwellungen, Pleuritis, Bronchialasthma, 
Arteriosklerose, Prostatitis, Nebenhodenentzündung, tuber¬ 
kulösen Periostitiden usw. In der Gynäkologie als Ersatz 
für Ichthyol, Thigenol usw. 

Anwendung: Zum Einpinseln auf die Haut in 5 
bis 10 bis 20“/ 0 iger Verdünnung mit Olivenöl oder mit 
Alkohol-Glyzerin (3—5%) zum Einreiben in Form von 
5—10—20%iger Lanolin-Vaselin-Salbe. Bei Metritiden : 
2% >ge Vaginalkugelu („Jovagin' 1 der Austria-Apotheke in 
Wien). (Bayer.) 

Isatophan : 8-Methoxy-2-Phenylchinolin-4-carbonsäure. 

Indikationen: Siehe Atophan. Isatophan hat bei 
gleicher Wirkung einen besseren Geschmack als Atophan. 

Anwendung uud Dosierung: Vgl. Atophan. 

Originalpackung: Röhrchen zu 20 Tabl. ä 0,5 g. 
Chemische Fabrik auf Aktien (vorm. E. Schering). 

Isoprul: Trichlorisopropylalkohol. Leicht flüssige, schon bei 
gewöhnlicher Temperatur sublimierbare Kristalle von kampfer¬ 
artigem Geruch und etwas stechendem Geschmack. In Alkohol 
uud Äther ist Isopral leicht, in kaltem Wasser zu ca 3 % 
löslich 

Hypnoticum u. a. Ersatz für Chloralhydrat, geringe 
Wirkung auf die Herztätigkeit. Besondere Indikationen: 
Epilepsie, Eklampsie der Kinder. 

Dosis: 0,5—0,75 —I g bei leichter und mittelschwerer 
Schlaflosigkeit; 1—1,5 bis 2 g bei Erregungszuständen. 

Darreichung: In Lösung mit Aq. menth. pip. am 
besten in Form von Dragees. Als Klysma mit schleimigen 
Vehikeln. Einreibungen iu 50%iger Lösung (mit Alkohol 
und Ricinusöl). (Bayer.) 

Isopraltabletten ä 0,25 resp. 0,5 g. Nr. X oder Nr. XX. 
Originalpackung. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang. 


1915/ttf. 


Tortscbrim der Medizin. 


Unter Iflitwirkuitg hervorragender Tadtnänner 

lierausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt- Leipzig 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt 


Nr. 20 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr || 

Verlag Johndorff & Co., 0. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch ]| 20. April 

Gelsdorf & Co., 0. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. K 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Neueres zur Klinik der Nephritis. 

Von Dr. O. Löffler. 

Nach einem Vortrag im ärztlichen Verein zu Frank¬ 
furt a. M., am 3. Januar 1916. 

Der Ausbau der pathologischen Physiologie und 
ihr Einfluss auf fast alle Gebiete der inneren Medizin 
brachte im letzten Jahrzehnt einen grossen Wandel 
unserer klinischen Betrachtungsweise. Während man 
es früher als höchstes Ziel ansah. alle Krankheits- 
Äusserungen auf bestimmte pathologisch-anatomische 
Zustandsbilder zurückzuführen, ging das Streben immer 
mehr dahin, festzustellen, inwiefern die Funktion 
der einzelnen Organe bei bestimmten Erkrankungen 
sich ändere. Die daraus sich ergebende Einteilung 
mancher Organ-Erkrankungen nach f u n k t i o - 
nellen Gesichtspunkten hat zweifelsohne 
nicht nur auf die medizinische Wissenschaft, sondern 
auch auf unser therapeutisches Handeln vielfach be¬ 
fruchtend gewirkt. Ich darf in diesem Zusammenhang 
nur kurz an die 'Neueinteilung der Ernährungsstörungen 
in frühestem Kindesalter auf Grund von Stoffwechsel 
versuchen und Belastungsproben durch Finkeistein 
und seine Schule erinnern; man gibt heute wohl allge¬ 
mein zu, dass diese Ergebnisse auf pädiatrischem Ge¬ 
biete allein schon einen starken Erfolg der neuen klini¬ 
schen Beobachtungsweise darstellen. Wie Sie in der 
vorletzten Sitzung in zwei Vorträgen hörten, sind viel¬ 
fältige Untersuchungen im Gange, um auch die von 
jeher sich schwierig gestaltende Einteilung der ent- 
zündlich-degenerativen Nierenerkrankungen nach dem 
unterschiedlichen Verhalten gegenüber verschiedenen 
Funktionsprüfungen endlich in befriedigender Form 
durchzuführen. Diese Versuche und Untersuchungen 
waren an die Namen Schlayer und Monakow 
im wesentlichen gebunden. Die Ergebnisse dieser be¬ 
deutsamen Forschungen haben in mehr als einer Rich¬ 
tung keine restlose Befriedigung erweckt; sie haben 
vor allem den Wunsch, für die bei den Nephropathien 
so schwierigen Prognosen-Stellungen bessere Hand¬ 
haben zu erhalten, in der Hauptsache unerfüllt ge¬ 
lassen. Die Mitteilungen des Herrn von Noorden, 
der aus der reichen Fülle seiner persönlichen Erfah 
rungen einiges berichtete, waren zwar geeignet, die 
Erwartungen auf die Förderung der Prognosenstel¬ 
lung durch funktionelle Methoden, namentlich die J o d - 
kali- Probe neu zu beleben. Bedauerlicherweise stehen 
gerade bei der Jodkali-Probe, wie ich noch des Näheren 
zu zeigen haben werde, die Ergebnisse des Herrn von 
Noorden mit denen Volhards nicht im Einklang. Ob 


Digitized by 


die Divergenz sich etwa aus der unterschiedlichen 
Methodik der Jodkali-Probe erklären lässt, bedarf noch 
der Nachprüfung. Aber wir dürfen nicht übersehen, 
dass in der Frage der Prognose nur ein Teil des 
1 Nephritis-Problems verankert liegt; noch wichtiger ist 
auf diesem, in den letzten Jahren viel erörtertem Ge¬ 
biete die Diagnostik. Hier nun werden wir immer 
wieder zu einer pathologisch-anatomischen Betrach- 
j tungsweise gedrängt werden, nicht etwa nur aus Freude 
am Systematisieren, sondern aus wissenschaftlichen 
und praktischen Gründen. Zunächst wird es stets das 
Jdeal ärztlichen Schaffens bleiben, Krankheits-Aeusse- 
rungen auf ihre pathologisch-anatomische Grundlage 
zurückzuführen; dann aber können wir auch nur eine 
einigermassen verlässliche Voraussage über den Ver- 
,lauf, besonders der Nierenerkrankungen treffen, wenn 
wir bestimmte funktionelle Störungen auf ganz be- 
! stimmte vorübergehende oder dauernde Zustands¬ 
änderungen der Niere selbst und ihrer beiden wesent¬ 
lichen Einrichtungen, Tubuli und Glomeruli, zurück¬ 
zuführen vermögen. Aus diesen Bedürfnissen heraus 
wird der Kliniker immer wieder zu den bis vor kurzem 
üblichen Einteilungen der entzündlich-degenerativen 
Nierenerkrankungen nach pathologisch-anato¬ 
mischen Prinzipien gedrängt werden. Und deshalb 
müssen auch die Arbeiten des Mannheimer Internisten 
Volhard zur Frage der Bright’schen Nierenkrank¬ 
heit das grösste Interesse nicht nur der forschenden, 
sondern auch der praktisch tätigen Aerztewelt finden. 
Volhard glückte es in steter Zusammenarbeit mit dem 
Prosektor Fahr ein System der Nephropathien auf¬ 
zustellen, das die Funktionsstörungen der beiden Nie- 
ren-Abschnitte, aber auch der mit ihnen in innigem 
Zusammenhang befindlichen anderen lebenswichtigen 
Organe, Gefässsystem, Herz und Hirn aus ganz be¬ 
stimmten pathologischen Veränderungen dieser Organe 
erklärt. Volhard kam zu seinen Ergebnissen durch 
Benutzung einerseits der gleichen funktionellen Prü¬ 
fungsmethoden, wie sie von Schlayer und Monakow 
angewandt wurden; andererseits aber zog er in den 
Kreis seiner eingehenden Beobachtungen alle uns von 
früher herbekannten krankhaften Symptome bei Nieren¬ 
leiden: Oedeme, spezif. Gewicht und Harnmenge bezw. 
deren Abweichung von der Norm, Albuminurie, Augen- 
hintergrunds-Veränderungen, lcrankhafte Erscheinun¬ 
gen vonseiten des Herzens, der Gefässe und Nerven; 
als von ihm speziell geübte Untersuchungs¬ 
methoden imponieren uns dann noch die Konzen¬ 
trationsprobe, die Prüfung des Wasseraus¬ 
scheidungsvermögens und ganz besonders die 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 






190 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 20. 


genaueste Beobachtung des Blutdrucks 
bei den verschiedenen Gruppen von Nieren¬ 
erkrankungen. Ueber die Wirkung dieser Untersuchun¬ 
gen wird im weiteren Verlaufe noch einiges zu sagen 
sein. Jedenfalls wird die Heranziehung bekannter 
Symptome und unschwer durchzuführender Unter¬ 
suchungen gerade dem Praktiker das Volhard’sche 
System von vornherein sympathisch machen. Was nun 
aber die auf Grund umfassender Einzelbeobachtungen 
getroffenen Diagnosen für jeden beachtenswert macht, 
ist der schon berührte Umstand, dass Volhard durch 
die Zusammenarbeit mit dem pathologischen Anatomen 
die Gelegenheit hatte, eine grosse Anzahl der von ihm 
gestellten Diagnosen durch den autoptischen Befund 
zu überprüfen und bestätigt zu finden. Ein rascher 
Blick auf die von Volhard vorgenommene Neugrup¬ 
pierung der Nephropathien zeigt uns eine 
Dreiteilung in a) degenerative Erkrankun 
ge.n oder Nephrosen, b) entzündliche Er¬ 
krankungen oder Nephritiden, c) arterioskle¬ 
rotische Erkrankungen oder Sklerosen. Bei den 
Nephritiden ist eine Unterteilung in 2 wesentlich ver¬ 
schiedene Formen zu beachten, in die diffusen Glomeru¬ 
lonephritiden und die herzförmigen Nephritiden, bei 
den Sklerosen eine Zweiteilung in blande oder gutartige 
und in bösartige Sklerosen, welch letztere kurz als 
„Kombinationsform“ bezeichnet werden. 

Und nun lassen Sie mich versuchen, in tunlichster 
Kürze darzulcgen, durch welche charakteristischen 
Merkmale sich die 3 bisher unter dem Begriff der 
Bright’schen Nierenkrankheiten subsummierten Er- 
krankungsgruppen und ihre Unterabteilungen von 
einander unterscheiden, durch welche Hilfsmittel wir 
die Unterscheidung in der Praxis herbeizuführen ver¬ 
mögen, und inwiefern unser diagnostisches und progno¬ 
stisches Können durch das neue System gefördert wird. 

Den breitesten Raum in Volhards klinischer Metho¬ 
dik nimmt die Blutdruckbestimmung ein, der 
wir darum unser besonderes Augenmerk zuzuwenden 
haben. Durch sie allein können wir die Gruppe der 
Nephrosen ohne Blutdrucksteigerung von der grossen 
Mehrzahl der Nephritiden mit Blutdrucksteigerung 
unterscheiden; und weiterhin genügt die Beachtung 
gradueller Unterschiede in der Höhe des gesteigerten 
Blutdrucks, allerdings unter gleichzeitiger Berücksich¬ 
tigung auffälliger Herzveränderungen, um der 3. 
Gruppe, den Sklerosen, eine Sonderstellung zu sichern. 
Als obere Grenze des normalen Blutdrucks betrachtet 
Volhard Werte von 110—120 mm Hg bei Erwachsenen. 
Steigerungen darüber sind zu beachten, als ausgeprägte 
Hypertension aber erst Werte von 140 mm Hg an zu 
betrachten. Die höchsten Blutdruckwerte, bis 280 mm 
Hg, werden von den Sklerosen verursacht, ausserdem 
auch von manchen diffusen Nephritiden im Endsta¬ 
dium. Im 2. Stadium der diffusen Nephritis war der 
höchste beobachtete Wert 240 mm Hg und von 32 
Fällen stiegen überhaupt nur 5 über 200 mm Hg; im 
akuten Stadium der diffusen Nephritis hielt sich der 
Blutdruck fast immer unter 180—200 mm Hg. Fast 
noch wichtiger jedoch als die absolute Höhe des Blut¬ 
drucks und wertvoll zumal in prognostischer Hinsicht 
ist die Beachtung seiner Konstanz oder andererseits 
Labilität. Das erhellt am deutlichsten wohl aus der 
Tatsache, dass die Fortdauer des Blutdrucks nach einer 
scheinbar abgelaufenen akuten Nephritis den Schluss 
zulässt, dass die entzündlichen Nierenveränderungen 
in Wirklichkeit fortdauern. Wir sollten ange¬ 
sichts der prognostischen Wichtigkeit des 
Blutdrucks bei der diffusen Nephritis es 
uns darum zur Regel machen, häufige Blut¬ 
druckbestimmungen anzustellen und zwar 
wiederholt in zeitlichen Zwischenräumen 


Digitized by 


auch bei den gleichen Erkrankungsfällen. 
Dies ist um so dringlicher zu fordern, als die sogen, 
transitorischen Hypertonien, die unter unserer Behand¬ 
lung zur Norm absinken, oftmals doch den Beginn 
einer konstanten Hypertonie als Ausdruck dauernder 
Nierenschädigung darstellen. Von schlimmster Pro¬ 
gnose sind plötzliche Schwankungen des Blutdrucks nach 
oben, die Pal als Gefässkrisen bezeichnet hat; sie er¬ 
eignen sich bei den schwersten Nephritiden und Kom¬ 
binationsformen und weisen dann stets auf eine 
drohende Katastrophe in Gestalt einer Urämie bezw. 
Eklampsie oder einer Hirnblutung ev. Erweichung hin. 
Die Blutdrucksteigerung fehlt, wie wir schon sahen, 
bei den Nephrosen, ausser wenn zufällig einmal eine 
akute Sklerose zu einer degenerativen Nierenerkran 
kung hinzutritt oder wenn es bei den durch metalli¬ 
sches Gift bedingten nekrotisierenden Nephrosen gleich 
im Beginne zu Urämie kommt und durch letztere 
dann Hypertension ausgelöst wird; die Hypertonie fehlt 
weiter in den seltenen Fällen von ganz leichter, rasch 
vorübergehender diffuser Glomerulitis, sodann bei der 
ganzen 2. Abteilung der Nephritiden, den herzförmigen 
Nephritiden, die hauptsächlich durch den Mangel des 
Blutdrucks gegenüber diffusen Entzündungen gekenn¬ 
zeichnet sind; schliesslich kann die Blutdruckerhöhung 
fehlen auch bei diffuser Nephrose stärkeren Grades, 
wenn extrarenale Einflüsse, wie hohes Fieber, toxische 
Herz- und Gefässschwäche die allgemeine Gefäss- 
reaktion hinanhalten. Da Herzschädigung bei den 
schweren Formen von Nephritis und der Kombinations¬ 
form der Sklerose keine Seltenheit sind, und so eine 
geringe oder fehlende Blutdrucksteigerung vorgetäuscht 
werden kann, hat beispielsweise Monakow die hohe 
Wertung der Blutdruckmessung für die Einteilung der 
Nephropathien nicht gutgeheissen. Doch mit der ja 
stets erforderlichen Kritik werden wir dieses einfach 
zu erhebende Symptom in der überwiegenden Mehr¬ 
zahl der Fälle diagnostisch verwerten können. 

Grade weil aber dieses Symptom nicht immer ein¬ 
deutig ist, müssen wir uns um so eindringlicher den 
anderen krankhaften Erscheinungen und Ergebnissen 
funktioneller Prüfungen zuwenden. Wir haben in einem 
früheren Vortrage gehört, dass die S c h 1 a y e r’s c h e 
Schule aus der verzögerten Ausscheidung von J o d k a 1 i 
auf eine Schädigung der gewundenen Harnkanälchen, 
aus verzögerter und quantitativ unvollkommener Milch 
Zuckerausscheidung auf eine Erkrankung der Glomeruli 
schloss. Da liegt die Erwartung wohl nahe, dass wir 
die Nephrosen des Voihard'schen Systems an der Jod 
k a 1 i-Probe, die Nephritiden und Sklerosen an dem Aus¬ 
fälle der Milchzucker--Probe erkennen müssten, 
Volhard hat denn auch in grösstem Massstabe die 
einfache Jodkali-Probe durchgeführt, viel weniger, aber 
zur Urteilsbildung doch genügend oft, die Milchzucker¬ 
einspritzungen. Die Beschränkung Volhards bei der 
letzteren Probe rührt, wie ich hervorheben möchte, da 
her, dass er nach Milchzucker-Lösung-Injektion in die 
Blutbahn, obwohl diese unter den grössten Kautelen 
vorgenommen war, wiederholt Hämaturie von Wochen 
langer Dauer erlebte. Bedenken wir zudem, dass nach 
den Erfahrungen des Herrn von Noorden sich auch 
wiederholt nach Milchzuckereinspritzungen Schüttei 
froste einstellten, so werden wohl Wenige Neigung 
verspüren, dieses diagnostische Verfahren bei ihren 
Patienten anzuwenden. Zudem erscheint die Anstel¬ 
lung dieser Schlayerschen Untersuchungen nach dem 
Ergebnis von Volhards Versuchen mit diesen körper¬ 
fremden Substanzen nicht als eine wissenschaftliche 
Notwendigkeit. Milchzucker wurde bei den Nephrosen 
schon verzögert ausgeschieden, obwohl dieses für Ge- 
fässschädigung sprechende funktionelle Prüfungsmittel 
der Erwartung nach normal hätte ausgeschieden wer 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 20. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


191 


den sollen; Volhard macht nun hier die Konzession, 
dass die anatomisch normalen Gefässe wahrscheinlich 
funktionell geschädigt waren und dadurch positive 
Milchzucker-Proben ergaben. Die Milchzucker-Aus¬ 
scheidung erfolgte nämlich bei allen übrigen Nephro¬ 
pathien des Volhardschen Systems der Erwartung ge¬ 
mäss verzögert und zwar im wesentlichen um so mehr, 
je stärker die Gefässe geschädigt waren. Diese Ergeb¬ 
nisse lassen also die Milchzucker-Probe als äusserst 
feines Reagenz auf Gefässschädigung erkennen, machen 
sie aber zu differential-diagnostischen Zwecken völlig 
ungeeignet. — Und wie steht es mit Volhards Ergeb¬ 
nissen bei der Jodkali-Probe? Jodkali wurde gerade 
bei sicheren Nephrosen mit hochgradiger Tubulischädi 
gung innerhalb 48 Stunden ausgeschieden, was Vol¬ 
hard noch als normal auffasst (in Uebereinstimmung 
mit Schlayer), während bei Nephritiden aller Stadien 
und Ausdehnung seine Ausscheidung bis zu 80 Stun¬ 
den verzögert war und auch bei gutartigen wie bösarti¬ 
gen Sklerosen bis zu 75 Stunden, einmal bis 95 Stun¬ 
den sich hinzog. Der Mangel an Gesetzmässigkeit bei 
der Jodkali-Ausscheidung zeigt sich aber auch darin, 
dass ohne ersichtlichen äusseren Grund die Ausschei¬ 
dungsdauer im gleichen Falle merkwürdig wechselte 
und zwar nach Rückgang aller übrigen krankhaften 
Symptome mitunter länger währte als auf der Höhe der 
Krankheit. Dies alles macht leider die Verwendbarkeit 
des Jodkali zu Zwecken der Prognose illusorisch. Ein 
weiterer Missstand, den Volhard feststcllen musste, 
ist der, dass Jod sowohl wie Milchzucker in der Aus¬ 
scheidungsdauer von extrarenalen, besonders kardialen 
Umständen abhängig sind. 

Nachdem also unsere Erwartungen auf die Hilfe 
der Schlayerschen Proben für die Differentialdiagnose 
zwischen Nephrosen und Nephropathien mit Gefäss¬ 
schädigung enttäuscht wurden, dürfen wir es um so 
mehr begrüssen, dass zwei leicht zu erhebende und all 
bekannte Symptome die Diagnostizierung von 
Nephrosen ermöglichen, — wenigstens unschw-er in 
deren Stadium I und II. Diese beiden Symptome sind 
Oedeme bezw. Höhlen-Hydrops und hochgradige 
Albuminurie. Wo diese beiden vereint vorhanden 
sind, dürfen wir mit Sicherheit Degeneration der Tu- 
buli-Epithelien annehmen; und wenn dann Blutdruck- 
steigerung fehlt, können wir die reine Form der Neph 
rose diagnostizieren, ist dagegen der Blutdruck ge¬ 
steigert, so müssen wir die sogenannte „Mischform“ 
annehmen, kurz gesagt Nephrose plus Nephritis, 
in seltnen Fällen und bei begründetem Verdacht auf 
universelle Arteriosklerose, allenfalls auch Nephrose 
plus Sklerose. Differentialdiagnostisch wichtig gegen¬ 
über den Nephritiden ist noch, dass der Urin bei 
Nephrosen Blut weder chemisch noch mikroskopisch 
nachweisbar enthält. 

Nachdem wir nun so die Nephrosengruppe von 
den anderen Nephropathien, wie ich denke, klar abge¬ 
grenzt haben, lässt sich nur noch wenig über die 
Symptomatologie der Nephrosen selbst 
sagen. Der Urin enthält bei den Nephrosen, wie schon 
erwähnt, viel Eiweiss und zwar meistens 10—20°/ O o. 
Entsprechend hoch ist das spezifische Gewicht, näm¬ 
lich 1030—1050. Die Urinmenge ist im Stadium I 
und II gering. Die Höhe der Albuminurie, die geringe 
Urinmenge im Oedem-Stadium und die Oedeme selbst 
erwecken wohl bei den meisten von vornherein den 
Verdacht, dass eine schwere Nierenschädigung vor¬ 
liegen müsse. Dieser Schluss ist zunächst einmal be¬ 
züglich der Oedeme irrig. Nach Volhards Auffassung 
v °n der Genese der Haut- und Höhlenwassersucht ist 
diese extrarenal, deutlicher gesagt vaskulär bedingt; 
indirekt ist sie allerdings auf die Niere zurückzuführen, 
insofern als die krankhafte Durchlässigkeit der Gefässe 

Digitized by Google 


auf die Wirkung toxischer Stoffe zurückzuführen ist, 
die bei der Degeneration der Tubuli-Epithelien ent¬ 
stehen. Im übrigen ist im Stadium I und II einzig die 
CI-Ausscheidung im Urin gestört, und auch 
diese Erscheinung — die uns therapeutisch zur Be¬ 
schränkung der Cl-Einfuhr in der Nahrung bestimmt — 
darf nicht als die Folge geschädigter Nierenfunktion 
betrachtet werden; vielmehr ist auch die NaCl- Re¬ 
tention nach Volhard extrarenal bedingt und 
im engsten Zusammenhang mit dem Mechanismus der 
Oedeme, lässt darum mit dem Nachlassen der Oedeme 
ihrerseits nach. Dass die Nierenfunktion im akuten 
und während des grössten Teils des chronischen 
Stadiums bei den Nephrosen nicht gestört ist, beweisen 
uns die verlässlichsten Prüfungen der Nieren- 
funktion, nämlich die Bestimmung des Rest-N 
im Blute, des Wasserausscheildungs-Ver- 
mögens und der Konzentrationskraft der 
kranken Niere. Auf Methodik und Bedeutung dieser 
Prüfungen will ich nachher noch zu sprechen kommen. 

Jetzt zunächst noch etwas vom III. oder End¬ 
stadium der Nephrosen, das anatomisch charak¬ 
terisiert ist durch narbige Schrumpfung des 
Organs. Die Diagnostik dieses dritten Stadiums ist 
wesentlich schwieriger, weil meistens kein Oedem mehr 
besteht und dann auch die Albuminurie nur gering 
ist. Gekennzeichnet ist dieses Stadium durch Polyurie 
und niedriges spezifisches Gewicht von 1003—1005, 
ganz wie bei den Endstadien der Nephritis und Sklero¬ 
sen, wenn es bei diesen zur Schrumpfung kommt. Das 
dritte Stadium der Nephrosen unterscheidet sich aber 
von dem der anderen beiden Gruppen unverkennbar 
— durch das Fehlen der Blutdruckerhöhung. 
Eine gewisse Schädigung der Nierenfunktion ist an 
der Einschränkung des Konzentrationsvermögens in 
diesem Stadium erkennbar, aber die Erhaltung des 
guten HX)- und N-Ausscheidungsvermögens zeigt uns, 
dass die Funktionsstörung auch im Endstadium keine 
grosse ist — ganz im Gegensatz zu dem der übrigen 
Gruppen. Darum ist auch die Prognose der Nephrosen 
als relativ gut zu bezeichnen. Auch bei chronischem 
Verlaufe und Ausgang in Schrumpfung erfolgt der 
Tod solcher Patienten nicht durch Versagen der Niere. 

Nur weniges ist über die Unterart der Nephrosen, 
die nekrotisierenden Nephrosen des Vol¬ 
hardschen Systems zu bemerken. Sie sind die Folge 
der Einverleibung exogener, ungeformter Gifte und 
ihr Prototyp ist die „Sublimat-Niere“. Ihre Diagnose 
ergibt sich wohl in der Regel aus der Anamnese. 
Klinisch stimmen sie mit den eigentlichen Nephrosen 
durch die fehlende Hypertonie der Gefässe überein, 
unterscheiden sich aber von diesen durch die mangelnde 
Oedemneigung. Im Verlaufe unterscheiden sich die 
leichteren Vergiftungen, die nach anfänglicher Polyurie 
und geringer Albuminurie zur Norm zurückkehren, von 
den ganz schweren, rasch zum Exitus führenden Fällen, 
bei denen hochgradige Oligurie und Albuminurie oder 
sofort Anurie dem Krankheitsbilde das ernsteste Ge¬ 
präge geben; in diesen letzteren Fällen kommt es — 
entgegen der Regel — zu Blutdrucksteigerungen, die 
aber reflektorisch von der Anurie, nicht von den Nieren- 
gefässen ausgelöst ist. 

Wenden wir uns nunmehr den am häufigsten uns 
beschäftigenden entzündlichen Nierenerkrankungen, den 
Nephritiden zu. so interessiert uns am lebhaftesten 
die Unterabteilung, der die überwiegende Mehrheit dör 
Nephritiden zugehört; sie umfasst die Fälle, bei denen 
eine diffuse Glomerulitis vorlicgt. Charakterisiert 
sind sämtliche Glomcrulo-Nephritiden, wie Sie sich 
erinnern wollen, durch Blutdruckerhöhung verschiede¬ 
nen Grades und verschiedener Konstanz. Im übrigen 
bestehen manche Unterschiede, je nachdem wir es mit 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




192 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 20. 


dem akuten oder I. Stadium, dem chronischen II. oder 
dem Endstadium, gen. Stadium III, zu tun haben. Die 
beiden letzteren Stadien gehen stets aus dem akuten 
hervor. Das klingt im ersten Augenblicke vielleicht 
selbstverständlich, ist es aber nicht, wenn wir bedenken, 
"wie oft wir in der Praxis chronische Nephritisfälle des 
II., ja des Endstadiums zu Gesicht bekommen, bei 
denen weder von ärztlicher Seite noch von den Patien¬ 
ten selbst das in solchen Fällen leichte Stadium der 
akuten Entzündung beobachtet worden war. Wichtiger 
noch ist die Beherzigung dieser Tatsache des Be¬ 
ginnes jeder Nephritis mit einem akuten 
Stadium, aus praktischen, in dem Begriffe Prophy¬ 
laxe gipfelnden Gründen. Die Fälle, bei denen das 
akute Stadium latent bleibt, sind besonders bedauerlich, 
weil uns bei diesen meistens die Möglichkeit rechtzeiti¬ 
ger therapeutischer Massnahmen und damit auch eine 
Beeinflussung des ganzen Krankheitsverlaufes benom¬ 
men ist. Glücklicherweise sind das die Ausnahmen und 
gewöhnlich tritt die akute Nephritis mit merklichen 
Symptomen in Erscheinung. Da ist zunächst die Häma¬ 
turie zu nennen, die fast immer gleich zu Beginn vor¬ 
handen ist, während sie bei den Nephrosen fehlt und 
die auch bei dem chronischen Stadium 11 durch ihr 
Auftreten jeweils auf ein akutes Rezidiv hinweist. Die 
Albuminurie ist bei den reinen Nephri¬ 
tiden meistens geringgradig; höhere Grade 
sprechen für Kombination mit Nephrose, für die sogen. 
„Mischformen", diese sind jedoch nicht ohne wei¬ 
teres als prognostisch ungünstiger zu betrachten; die 
Prognose verschlechtert sich nur dann, wenn neben 
hochgradiger Albuminurie auch hoher Blutdruck und 
starke Oedeme gefunden werden. Was nun die Oedem- 
frage bei der akuten Glomerulonephritis und den Neph¬ 
ritiden überhaupt anbelangt, so kann ich sie int Sinne 
Volhards kurz dahin beantworten, dass das Oedern 
bei der Nephritis nur fakultativ vorkommt. Es gibt 
viele Nephritisfälle, die dauernd ohne Hydrops ver¬ 
laufen. Starker Hydrops spricht jedenfalls für „Misch¬ 
form“. Die Harnmenge ist im Anfänge der akuten 
Nephritis, auch ohne dass Oedern vorhanden ist, ge¬ 
ring und das spezifische Gewicht dabei ziemlich hoch. 
Kommt es gleich zu Anurie, wie ich dies unlängst erst 
in einem Falle von schwerstem Scharlach erlebte, dann 
ist die Prognose übel. Von ungünstiger prognostischer 
Bedeutung ist auch niedriges spez. Gewicht bei Oli¬ 
gurie. In solchen Fällen liegt bereits im akuten Stadium 
Niereninsuffizienz vor. Im allgemeinen aber ist die 
Nierenfunktion im akuten Stadium nicht oder nur wenig 
beeinträchtigt. Die zuweilen zu beobachtende Funk¬ 
tionsbeschränkung betrifft das H.O - A u s s c h e i- 
dungs vermögen. Da dessen Bestimmung eine sehr 
einfache, bei der nötigen Kritik aber durchaus verläss¬ 
liche Methode der Funktionsprüfung darstellt, so lassen 
Sie mich das von anderer Seite hierüber Vorgetragene 
noch rasch etwas erweitern. Die durch Verabreichung 
von i 1 /* Liter Wasser erfolgende H a O-B e 1 a s t u n g s- 
probe kann ergeben, dass das Ausscheidungsvermö¬ 
gen der Niere für H 2 0 „qualitativ" oder „quantitativ“ 
beeinträchtigt ist. Man spricht von einer qualitativen 
Schädigung, wenn nicht nach 2 Stunden die grössere 
Hälfte der aufgenommenen Flüssigkeit und nach 4 
Stunden diese fast ganz ausgeschieden ist; in quanti¬ 
tativer Hinsicht geschädigt nennt man das H 2 0 -Aus- 
scheidungsvermögen, wenn in 24 Stunden noch nicht 
einmal die 1 '/ 2 Liter ausgeschieden sind, in solchem 
Falle spricht man auch von verschleppter Diurese. Da 
bei Oedem-Neigung extrarenale Momente in der IDO- 
Ausscheidung bezw. Verhaltung die Hauptrolle spielen 
und nicht die Nierenfunktion, so ergibt sich von selbst, 
dass man bei Oedem-Bereitschaft die Wasserbelastungs- 
Probe nicht anstellen kann. Im akuten Stadium der 

Digitized by Google 


Nephritis finden wir nun mitunter die als verschleppte 
Diurese bezeichnetc Ausscheidungsstörung in qualita¬ 
tiver Hinsicht. Für die Therapie ergibt sich 
daraus eine Mahnung zur V o r r s i c h t mit der 
üblichen Flüssigkeitszufuhr in solchen Fällen, da sonst 
das Herz zu schwer belastet wird. Volhard hält auf 
Grund eigner Beobachtung die Gefahr der Herzinsuffi¬ 
zienz bei der akuten Glomerulonephritis für gar nicht 
gering. Eine weitere recht ernste Gefahr im Verlaufe 
der akuten Nephritis ist — abgesehen von dem schon 
erwähnten raschen Eintritt tödlicher Anurie — das 
Auftreten von Eklampsie. Sie führt zwar im allgemeinen 
nur bei der Schwangerschaft-Nephritis zum Exitus, 
kann aber bei schwachen Herzen auch sonst bedroh¬ 
lich werden. Diese eklamptischen Zufälle der akuten 
Glomerulo-Nephritis scheidet Volhard scharf von den 
echt urämischen Zuständen infolge schwerer Nieren¬ 
insuffizienz und von den pseudourämischen Anfällen 
bei den Nieren-Skleroscn. Da man alle diese Zustände 
früher als urämisch bczeichnete, betont Volhard mit 
Recht, dass der Begriff Urämie nur für die Fälle 
reserviert werden darf, wo hochgradige N.-Retention 
im Blute nachgewiesen wird. Bei Pseudourämie handelt 
es sich im Gegensatz dazu um vorübergehende Spasmen 
der Hirngefässe und deren Folgen, bedingt wahrschein¬ 
lich durch Vermehrung des Adrenalin im Blut. Bei 
den mit Reiz- oder Ausfalls-Erscheinungen von seiten 
des Gehirns verknüpften eklamptischen Anfällen oder 
deren Aequivalenten handelt es sich, wie es Widal 
wohl am treffendsten ausdrückt, um Chlorurämie und 
dadurch bedingtes intra- oder cxtrazelluläres Hirnödem. 
Beachtenswert ist die m. W. von anderer Seite bisher 
nicht veröffentlichte Beobachtung Volhards, dass leichte 
Grade von Oedemen bei hohem Blutdrücke zu Eklamp 
sie disponieren, starkes und fehlendes Oedern ihren 
Ausbruch weniger befürchten lassen. Abgesehen von 
den eben geschilderten Gefahren, verlaufen die meisten 
akuten diffusen Nephritiden günstig, d. h. sie gehen 
meist in kürzerer oder längerer Zeit in Heilung über. 
Monate lang kann es bis zu der doch noch eintretenden 
Heilung bei den „Mischformen“ dauern. 

Nicht selten geht jedoch die akute Nephritis in 
ein chronisches Stadium über. Wir erkennen 
dies, wie schon früher erwähnt, an der Persistenz 
der Blutdrucksteigerung. Bei chronischem 
Verlaufe beobachten wir zunächst ein Stadium, das 
relativ symptomarm ist, auf jeden Fall aber keine Er¬ 
scheinungen von Niereninsuffizienz aufweist und ge¬ 
rade dadurch sich charakterisiert. Die Albuminurie ist 
in diesem Krankheits-Abschnitt meistens recht gering. 
Hämaturie finden wir selten; desgleichen Oedeme leich¬ 
teren Grades. Nur die Nykturie d. h. Verlegung der 
hauptsächlichen Harnausscheidung auf die ^Nachtzeit, — 
ein Symptom, auf das zuerst Quinke hinwies, bringt 
auch den Laien mitunter auf den Verdacht, dass seine 
Niere nicht gesund ist. Sie ist auch in dieser Phase 
der Ausdruck einer leichten Schädigung des H., 0 - 
Ausscheidungs-Vermögens, das übrigens beim Be¬ 
lastungsversuch mitunter „überschiessend“ ist, insofern 
als in den ersten 4 Stunden mehr als 1 l / 2 Liter Urin 
ausgeschieden werden. Wenn die Nephritiker im 2. 
Stadium nicht einer interkurrenten Krankheit erliegen, 
so gelangen sie mit der Zeit in das gefürchtete 3. oder 
Endstadium, das durch zunehmende Nierenfunktions¬ 
störung ausgezeichnet ist. Wie lange es bis zum Ein¬ 
tritt dieses Stadiums dauert, — das hängt ausschliesslich 
von der Heftigkeit der akuten Nephritis und der 
Grösse des nach ihrem Ablaufe noch vorhandenen funk¬ 
tionstüchtigen Nierenrestes ab. Klinisch bietet uns auch 
hier wieder am ehesten die Blutdruck -Be stim- 
mung eine Handhabe für die Beurteilung, 
wie rasch oder langsam das chronische Stadium ver- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 20. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


193 


laufen wird. Je niedriger der Blutdruck, desto günsti¬ 
ger ist im allgemeinen die Prognose, aber schliesslich 
kommt es doch dahin, dass ein grosser Teil der Glorne- 
ruli ausgeschaltet ist und nur noch ein kleiner Rest 
des Nierengewebes die seine Kräfte übersteigenden Auf 
gaben leisten soll. So beobachten wir dann die als 
äusserste Kraftanstrengung zu betrachtende, aber doch 
minderwertige .,Diurese des Nierenrestes“. Ihr Merk¬ 
mal ist Verlust der Variabilität in der Funktion 
der Niere. Die Variabilitäts-Fähigkeit oder Unfähig¬ 
keit erkennen wir durch die planmässige Beobachtung 
des spezifischen Gewichtes des Urins, das seinerseits 
wieder der Ausdruck für die Konzentrations-Fähigkeit 
der Niere ist. Ihre Prüfung bietet uns zusammen mit 
der des vorhin erörterten FLO-Ausscheidungsvermö- 
gens einen gewissen Ersatz für die verlässlichste, aber 
umständlichste Funktionsprobe, die wir in der Be 
obachtung des N-Ausscheidungsvermögens besitzen. 
Für die Feststellung des Konzentrations¬ 
vermögens mittels des spezifischen Gewichtes gibt 
es zwei Möglichkeiten: nämlich i. die Beobachtung 
der Spontan Variationen der innerhalb 24 Stun¬ 
den entleerten Einzelportionen des Urins und 2. die 
weit mehr besagende Probe auf die maximale Kon¬ 
zentrationsfähigkeit der Niere während einer 
dem Patienten auferlegten Trockendiät. Letztere 
macht uns von Zufälligkeiten ziemlich unabhängig und 
sie allein wenden wir darum, wenn wir einigermassen 
wissenschaftlich beobachten wollen, zur Prüfung der 
Variabilität der Nierenfunktion an. — falls der oft unbe¬ 
zwingbare Durst der chronischen Nephritiker dies ge¬ 
stattet. Bei der Konzentrationsprobe nun finden wir 
im 3. Stadium den Verlust der Variabilität, die Er¬ 
scheinung der sogen, echten Hyposthenurie. Das 
spezifische Gewicht bleibt trotz Trockendiät bei leid¬ 
licher d. h. in dieser Phase gewöhnlich vermehrter 
Urinausscheidung niedrig (1006—1005); späterhin, wenn 
dann bei weiterer Verschlimmerung die Polyurie sich 
in eine Pseudonormalurie verwandelt, zeigt sich eine 
Fixation des spez. Gewichtes auf 1010 1013. Neben 

dem Konzentrationsvermögen der Niere leidet im End 
Stadium der diffusen Nephritis auch das H, 0 -Ausschei 
dungsvermögen, doch erst später als das Konzentra¬ 
tionsvermögen. Schon berührt habe ich ein weiteres 
für das Endstadium der diffusen Nephritis als patho- 
gnomisch zu bezeichnendes Symptom die Polyurie. 
Die allgemeine Anschauung vom Wesen dieser Polyurie 
geht heute wohl dahin, dass sie eine zwangsmässige 
Folge des eingeschränkten Konzentrationsvermögens 
ist. bedingt durch die Verhaltung von Kochsalz und 
N im Blute. Durch grössere Urinmengen sucht die 
Niere noch die Einbusse von Konzentrationskraft aus¬ 
zugleichen. Solange ihr dies gelingt, kommt es darum 
nicht zu Insuffizienz-Erscheinungen; erst wenn die 
Niere mehr und mehr erlahmt, kommt es zu den für 
das Leben gefahrvollen Graden namentlich von- N- 
Verhaltung, zur gefährlichen Erhöhung des N-Spiegels 
im Blute. Ueber die Bedeutung der Rest N-Besti m- 
mung im Blute für die Funktionsprüfung der kran¬ 
ken Niere hat Herr Günzburg kürzlich ja eingehend 
gesprochen. Darum möchte ich dem nur hinzufügen, 
dass auch die zahlreichen Volhard’srhcn Untersuchun¬ 
gen in dieser Richtung die Ueberlegenheit der Rest 
N-Bestimmung in diagnostischer und prognostischer 
Beziehung über alle anderen Prüfungsmethoden erge¬ 
ben haben. Insbesondere erhellt aus seinen Versuchen 
aufs deutlichste, dass die Bestimmung der N Bilanz 
allein uns kein verlässliches Bild von der Anspruchs¬ 
fähigkeit der kranken Niere für die Eiweissschlacken 
der Nahrung und damit für die bedeutsamste Nieren 
funktion gibt. Es kann mitunter N-Gleichgewicht bei 
Erhöhung des Rest N- im Blute konstatiert werden, j 

Digitized by Google 


Das Gegenteil habe ich allerdings dieser Tage erlebt, 
eine negative N-Bilanz von 0,5%, bei 23 mgr. Rest- 
N. Dies zeigt, dass die N-Bilanz auch nicht unter¬ 
schätzt werden darf. Weiterhin fand aber Volhard die 
bedenkliche Tatsache, dass die prozentige N-Konzen¬ 
tration im Urin kaum beträchtlich schien in Fällen, 
deren Rest-N-Spiegel für Azotämie sprach. Von 
den Rest-N-Untersuchungen Volhards verdient noch 
die Feststellung vermerkt zu werden, dass wir aus 
der Höhe des Rest N-Spiegels nicht ohne weiteres 
auf die Gefahr der Urämie schliessen dürfen; er fand 
nämlich noch bei einem Rest-N-Werte von 195 mgr. 
in 100ccm Blut günstigen Ausgang. Im allgemeinen 
freilich schliesst hoher Rcst-N-Spiegel die Neigung zur 
Urämie in sich. Neben diesen Erscheinungen schwer¬ 
ster Nicren-Insuffizienz im Endstadium der diffusen 
Nephritis kommt es auch zu Symptomen schwerer Herz¬ 
insuffizienz, dadurch zu Atemnot, kardialen Oedemen 
und Stauungsbronchitis, doch ist dies ebenso bekannt 
wie das häufige Vorhandensein von Augenhintergrund- 
Veränderungen in dieser Krankheits-Phase. Das Ende 
pflegt dann auch gewöhnlich unter dem Bilde der 
Herzinsuffizienz zu erfolgen oder es kommt zu einem 
echten urämischen Zustande, der sich durch Foetor uri- 
nosus, Hinfälligkeit, dyspcptische Erscheinungen, Mus¬ 
kelunruhe verrät und schliesslich in grosse Atmung 
und Koma ausklingt. 

Nur weniges brauche ich von den herdförmi¬ 
gen. durch Bakterien selbst, nicht ihre Toxine ver¬ 
ursachten Nephritiden zu sagen. Ihre beiden Un¬ 
tergruppen, die septisch-interstitielle und die bei in¬ 
fektiöser Endokarditis in seltenen Fällen beachtete 
embolische Herdnephritis pflegen symptomenlos von 
seiten der Niere zu verlaufen, die Grundkrankheit be¬ 
herrscht das Krankheitsbild; nur zufälliger Albumen- 
befund und zuweilen Nierenschmerzen können uns an 
eine herdförmige Nephritis denken lassen, die stets 
durch fehlenden Blutdruck sich von einer diffusen 
Nephritis unterscheidet. Die etwas häufigere Unter¬ 
gruppe der herdförmigen Glomeruloneph¬ 
ritis akuter und chronischer Natur ist gleichfalls 
durch fehlende Blutdrucksteigerung von der diffusen 
Nephritis unterschieden, gibt sich aber als Entzündung 
im Gegensatz zu Nephrosen — durch häufige rezi 
divierende Hämaturie zu erkennen. Diese Hämaturien 
sind im chronischen Stadium zuweilen regelmässig 
mit Nierenkoliken verknüpft, daher der Name „Neph¬ 
ritis dolorosa“. Sonst verlaufen sie völlig uncharakte¬ 
ristisch mit keinerlei Zeichen gestörter Nierenfunk¬ 
tion, ohne Oedeme und mit ganz geringer oder fehlen¬ 
der Albuminurie. Ihre Prognose ist entsprechend gut. 

Lassen Sie mich nun noch rasch das Wesentliche 
der Nierensklerosen skizzieren, der III. Gruppe 
des Volhardschen Systems. Sklerose der kleinen und 
kleinsten Nierengefässe gab der Krankheitsgruppe be- 
rechtigtermassen die Bezeichnung, da sie das Primäre 
bei der ganzen Erkrankung sind; Symptome der Ar¬ 
teriosklerose überhaupt sind es, die im Symptomen- 
komplex beherrschend vorwiegen und zwar manch 
mal in einem Alter, in dem man sonst noch keine 
Arteriosklerosen vermutet, nämlich schon vor dem 30. 
Jahr. Bei der 1. Untergruppe, der blanden Sklerose, 
weist überhaupt in vielen Fälle t nur der hohe Wert 
der arteriellen Hypertonie auf die Erkrankung der 
Nieren hin und selbst Albuminuri \ wenigstens renal 
bedingte, fehlt sehr oft. Dagegen machen sich kardiale 
und vaskuläre Erscheinungen für Kranke und Arzt 
in dieser Gruppe oft beunruhigend bemerkbar. Eine 
besondere, eben durch die Nierensklerose bedingte 
Note erhalten die Herzerscheinungen dadurch, dass 
wir relative Insuffizienz des muskelstarkcn, meist hoch¬ 
gradig hypertrophischen Herzens beobachten. Diese 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






1<M 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 20. 


besondere Form der Insuffizienz ist dadurch ausge¬ 
zeichnet, dass sie sich lange Zeit nicht bemerkbar 
macht, dass weder Beschleunigung noch Irregularität 
noch Stauungen auf Herzschädigung hinvveisen. Zeit¬ 
weiliges Druck- oder Schwindelgefühl, Klopfen in den 
Ohren während der Nacht, kardiales Asthma weisen in 
diesen Fällen meist zuerst auf die richtige Spur. Wenn 
dann im II. und III. Stadium die Herzinsuffizienz 
•stärkere Grade annimmt, kommt es natürlich zu den 
Ihnen ja allen bekannten Aeusserungen des insuffizien¬ 
ten Herzens, das aber bei der blanden Nierensklerose 
auffallend lange therapeutisch beeinflussbar bleibt; ein 
Symptom soll nach Volhard allerdings bei seinem Auf¬ 
treten die Prognose trüben — der Pulsus alternans. Auf 
seiten des Gefässsystcms zeigt sich die Sklerose vor 
allem durch aus heiterem Himmel erfolgende Blutun¬ 
gen oder lokale Erweichungen im Gehirn, dann aber 
vor allem durch die von Volhard als Pseudo urä 
m ie bezeichneten, durch Gcfässspasmen bedingte, vor¬ 
übergehende heftige Schwindelanfälle, Aphasien, Amau¬ 
rosen, lokale Lähmungen oder Krämpfe. Der Verlauf 
dieser blanden Nierensklerosen ist überaus chronisch, 
ausschliesslich von der Herzkraft abhängig. Auch bei 
der 2. Untergruppe der .Nierensklerosen, die als narbige 
genuine Schrumpfniere der Kliniker bezeich¬ 
net worden ist, von Volhard wegen der Vereinigung 
von Sklerosen und herdförmiger Glomerulonephritis 
kurz Kombinationsform genannt wird, kann das 
Krankheitsbild zunächst und zwar Jahre lang dem der 
blanden Sklerosen entsprechen. Mit einem Schlage 
jedoch ändert sich der Zustand dieser vorwiegend dem 
männlichen Geschlecht angehörenden Kranken mit 
„Kombinationsform“ in dem Augenblicke, wo die 
Nierenentzündung hinzutritt; dabei braucht letztere gar 
nicht ausgedehnt zu sein. Die vorher kräftigen, oft 
polyzythämischen Kranken werden plötzlich blass und 
grau, ihr Blut ausgesprochen anämisch, sic verfallen 
sichtbar körperlich und geistig, oft innerhalb weniger 
Wochen und nun überstürzen sich alle die bei der 
blanden Sklerose schon erwähnten krankhaften Er¬ 
scheinungen vonseiten des Herzfcns und der Gefässe, 
nur dass sie dazu noch viel bedrohlicher in Erschei¬ 
nung treten, und insbesondere die Störungen im Be¬ 
reiche der Hirngcfässe häufig zu schweren psychischen 
Störungen führen; und zu diesen Aeusserungen des 
schwer geschädigten Kreislaufapparates treten nun 
noch in zunehmendem Grade die beim Endstadium der 
diffusen Nephritis geschilderten schweren Insuffizienz 
erscheinungen vonseiten der Niere. So kommt es bei 
den Fällen von Kombinationsformen meist innerhalb 
weniger Wochen, im günstigsten Falle innerhalb Jahres¬ 
frist zu einem jämmerlichen Ende entweder durch 
Herzinsuffizienz oder Apoplexie, gewöhnlich aber durch 
echte Urämie. In prognostischer Hinsicht ist wichtig, 
dass Volhard fast bei allen diesen Kombinationsformen 
im Beginne des Umschlags der blanden Sklerose in 
die maligne eine ausgesprochene Neuroretinitis fest 
stellen konnte. Mit Auftreten dieses Symptoms erfährt 
die Prognose traurigste Gestaltung, da — wie Volhard 
sagt - - die schleichende Nephritis unbekannter Aetio- 
logie, die eine vorher arteriosklerotische Niere befällt, 
trotz rechtzeitiger Behandlung eine stets unheilbare 
Krankheit ist. 

Ich bin am Schlüsse meines Ueberblickes über 
die Ergebnisse der Volhardschen Arbeiten angelangt 
und will nur noch die nahe liegende Frage beantwor¬ 
ten, ob und inwieweit das neue System für die Nephro¬ 
pathien die oft beklagten Schwierigkeiten zu beheben 
vermag? Ich hatte mehrfach in der letzten Zeit Ge¬ 
legenheit, in der Privatpraxis, im Gumpertzschcn Sie¬ 
chenhaus und in dem dieser Anstalt angegliederten 
Vercinslazarett bei Nierenkranken die Probe aufs 

Digitized by Google 


Exempel zu machen. 3 Fälle von chronischer Nephrose, 
3 von diffuser Nephritis im II. Stadium, 2 Sklerose¬ 
fälle entsprachen gut den Volhardschen Einteilungs¬ 
prinzipien. Dabei zeigte uns ein aus dem Ftelde er¬ 
schöpft heimgekehrter 21 jähriger Infanterist, wie 
schwierig unter Umständen auch bei sorgsamster Beob¬ 
achtung Diagnose und Prognose werden können. Bei 
ihm stieg der Blutdruck bis vor etwa 14 Tagen nie 
über 115 mm Hg, cs bestand ganz geringgradige 
Albuminurie und erst nach stundenlangem Zentrifu¬ 
gieren wurden mehrere granulierte Zylinder und Ery¬ 
throzyten gefunden, dabei aber bestand Zwangspolyurie 
und fielen Konzentrations- und Wasserproben sowde 
N-Bilanz unbefriedigend aus. Im Anfänge war das 
Herz nach beiden Seiten dilatiert und das Gesicht etwas 
gedunsen. Aus dieser Herzschädigung dürfte sich die 
Verschleierung der Blutdrucksteigerung erklären, die 
nun doch vor 14 Tagen erstmals in einer Höhe von 
133 mm Hg festzustellen war. Es geht dem Patienten 
nach energischer Diät und Bettruhe zwar etwas besser 
und doch muss ich nach den seitherigen Beobachtun¬ 
gen annehmen, dass eine diffuse Glomerulonephritis 
im III. Stadium und zugleich Myokard Veränderungen 
am Herzen vorliegen. Dieser Fall hat mir so recht vor 
Augen geführt, dass in atypischen Fällen selbst bei 
Anlehnung an das Volhardsche System die ganze 
Stufenleiter klinischer Lintersuchungsmethoden ein¬ 
schliesslich der Rest N-Bestimmung, insbesondere auch 
häufige Blutdruckbestimmungen nötig sind, 11m uns 
zu einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose und Prognose zu 
bringen. Halten wir diese sich unter Umständen er¬ 
gebende Notwendigkeit im Auge, hüten uns also, allzu¬ 
viel von dem neuen System zu verlangen und zu er¬ 
warten, so wird es sich nach meiner Ueberzeugung 
auch bei weiterer Nachprüfung bewähren, unsere Dia¬ 
gnosen- und Prognosenstellung künftighin leichter und 
klarer gestalten. 

Ueber die Anwendung von „Togal“ bei Rheuma¬ 
tismus, Gicht und Erkältungskrankheiten. 

Von Dr. med. O 11 e n d o r f, ordinierender Arzt ar. einem 
Reservelazarett 

Man ist in den letz.ten Jahren mehr und mehr von 
der ausschliesslichen Salizylbehandlung bei Rheumatis¬ 
mus abgekommen: zwar verwendet man in geeigneten 
Fällen noch immer gern die „Mixtura antirheumatica“, 
welche bekanntlich im wesentlichen aus Natrium sali- 
cvlicum besteht, wo es aber irgend angeht, sucht man 
statt dessen kombinierte Präparate anzuwenden, denen 
die toxischen Eigenschaften der reinen Salizylsäure 
fehlen. 

Die grosse Beliebtheit, welcher sich auf allen Ge¬ 
bieten der modernen Therapie die kombinierten Arznei¬ 
mittel erfreuen, ist ja nicht nur auf ihre bequeme Dosie¬ 
rung zurückzufiihren, sondern vor allen Dingen auf den 
Umstand, dass bei derartigen Kombinationen die Wir¬ 
kungen der einzelnen Komponenten sich gegenseitig 
erhöhen und verstärken, sodass es mit Hilfe dieser 
zusammengesetzten Medikamente in den meisten Fällen 
gelingt, mit verhältnismässig kleinen und vollkommen 
unschädlichen Dosen der darin enthaltenen differenten 
Stoffe denselben Effekt zu erreichen, zu dessen Er¬ 
langung früher grössere — oft bereits toxisch wirkende 
Dosen einer der Komponenten nötig waren. Durch 
Anwendung der kombinierten Arzneimittel werden also 
auf ziemlich einfache und bequeme Weise die schäd¬ 
lichen Nebenwirkungen und unangenehmen Begleit¬ 
erscheinungen der früheren Medikation ausgeschaltet. 

Besonders wichtig ist dies gerade bei der Salizyl¬ 
säure, diesem Spezifikum für Rheumatismus und rheu- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 20. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


105 


matische Erkrankungen der verschiedenen Art. Ich 
erinnere mich noch jener jetzt längst vergangenen Zeiten, 
in denen man fast jedem Rheumatismuskranken so grosse 
Dosen Salizyl einverleibte, dass die ersten Y'ergiftungs- 
erscheinungen,Ohrensausen, Herzklopfen, Magenreizungen 
eintraten. Und ich bin überzeugt davon, dass manche 
im Verlaufe eines Gelenkrheumatismus eingetretene Herz¬ 
affektion ganz gut hätte vermieden werden können, 
wenn die Salizylsäure in etwas vorsichtiger Dosierung 
gegeben worden wäre. 

Heutzutage wird eine reine Salizyltherapie bei 
Rheumatismus wohl nur noch ganz vereinzelt verordnet. 
Unter den modernen Rheumatismus - Mitteln möchte ich 
nun die Kollegen besonders audh auf das ,,Togal“ hin- 
weisen, ein kombiniertes Arzneimittel, welches sich nach 
meiner Erfahrung ausgezeichnet bewährt hat. 

„Togal“ ist sehr zweckmässig aus mehreren Stoffen 
zusammengesetzt, deren günstige Wirkung bei rheuma¬ 
tischen und gichtischen Erkrankungen allgemein bekannt 
ist. Es besteht nach den Untersuchungen des vereidigten 
Handelschemikers Dr. W i n c k e 1 in München im 
wesentlichen aus folgenden Substanzen : 

64 , 3 % Acidum acetylosalicylicum, 

4 , 06 % Chinintannat, 

12,6 % Lithimnsalicylat, 

6,6 % Stärke, 

10 , 6°/ 0 Asche, in der Hauptsache aus Magnesia usta 
oder Magnesiumsuperoxyd und aus Bolus 
bestehend. 

Über die Wirkung der Salizylsäure bezw. des 
Acidum acetylosalicylicum haben wir bereits oben ge¬ 
sprochen. Dass Chinin ein sehr gutes Antineuralgicum 
ist, ist ebenfalls bekannt. Daneben übt es eine toni- 
sierende Wirkung auf die Magenschleimhaut aus, die ja 
durch ausschliessliche Salizylanwendung leicht geschädigt 
wird. 

Die Lithiumsalze bewirken bekanntlich eine ver¬ 
mehrte Harnsäure-Ausscheidung, sodass ihre Anwendung 
besonders bei Gicht wertvoll ist. Sicherlich besteht 
aber auch bei den meisten Formen des Rheumatismus 
eine Ansammlung von Harnsäure, die durch diese Kom¬ 
ponente des Togal gelöst und ausgeschieden werden 
dürfte. 

Der Zusatz von Magnesium - Superoxyd und Bolus 
ist sehr zweckmässig, um Verdauungsstörungen und 
abnorme Gärungserscheinungen zu verhindern und eine 
günstige Resorption des Mittels durch den Magendarm¬ 
kanal herbeizuführen. Aber abgesehen hiervon kommt 
auch dem Magnesium-Superoxyd nach meinen Beobach¬ 
tungen eine günstige Wirkung auf die Oxydationsvor¬ 
gänge im Organismus zu. Dieselben werden durch den 
im Körper abgespaltenen Sauerstoff angeregt und ge¬ 
fördert, es tritt eine Lösung und Ausscheidung der an¬ 
gesammelten Harnsäure und sonstigen Stoffwechsel¬ 
schlacken ein, und durch die Sauerstoffzufuhr wird die 
Verbrennung im Körper gefördert, dadurch die ver¬ 
mehrte Bildung von Harnsäure usw. verhütet. 

Aus der Zusammensetzung des „Togal“ ergibt sich 
ohne weiteres das Indikationsgebiet, welches für seine 
Anwendung in Betracht kommt. Ich habe es vornehm¬ 
lich verordnet bei Rheumatismus, und zwar sowohl Ge¬ 
lenkrheumatismus als auch Muskelrheumatismus, Gicht, 
Neuralgie, Neuritis, Ischias, Influenza und fieberhafter 
Mandelentzündung. Die Wirkung war durchweg eine 
recht gute. Irgendwelche toxische Erscheinungen oder 
unangenehme Nebenwirkungen habe ich nicht beobachtet. 
Selbst von Herzkranken wurde es gut vertragen, ohne 
dass Herzbeschwerden auftraten. 

Einige wenige der von mir beobachteten Fälle 
möchte ich im folgenden kurz schildern: 

l. Ernst K., Kaufmann, 36 Jahre alt, leidet seit 
etwa 10 Jahren ausserordentlich häufig an Muskelrheu- 

Digitized by Google 


matismus in den verschiedenen Muskelgruppen, insbe¬ 
sondere bei Witterungswechsel treten die Beschwerden 
oft so heftig auf, dass der Patient meist mehrere Tage 
das Bett hüten muss. Salizyl hilft an sich recht gut 
gegen die Schmerzen, doch verträgt der Patient nur 
sehr geringe Dosen, da er bei grösseren Dosen sofort 
sehr heftiges Herzklopfen und äusserst unangenehme 
Magen-Darm-Reizungen bekommt. Er hat daher einen 
grossen Widerwillen gegen alle Salizylpräparate und 
erklärte mir, lieber die Schmerzen aushalteo zu wollen, 
als die unangenehmen Nebenwirkungen des Salizyls zu 
ertragen; insbesondere scheut er sich vor den danach 
eintretenden Herzbeklemmungen und Angstgefühlen. — 
Ich verordnete Togal, und zwar zunächst dreimal täg¬ 
lich 1 Tablette und als diese Dosis gut vertragen wurde, 
ging ich zu dreimal täglich zwei Tabletten über. Es 
traten keinerlei ungünstige Nebenwirkungen auf, die 
Schmerzen in den befallenen Muskeln Hessen sehr schnell 
nach, und schon nach 8 Tagen konnte der Patient seinen 
Dienst wieder vollkommen versehen. 

2 . Hans D., 38 Jahre alt, leidet seit etwa 6 Jahren 
an harnsaurer Diathese, die sich wiederholt in gichtischen 
Beschwerden verschiedener Art bemerkbar macht. Er 
kam in meine Behandlung mit sehr starker Anschwellung 
des rechten Oberarms, besonders der Schultergegend, 
sehr heftigen furchtbar quälenden Schmerzen in den 
befallenen Teilen. Der Arm war hierdurch völlig ge¬ 
brauchsunfähig. Auch dieser Patient hat grosse Ab¬ 
neigung gegen Salizyl, da er dasselbe bei früheren Be¬ 
schwerden schon wiederholt angewandt hat und danach 
stets recht unangenehme Nebenerscheinungen, ins¬ 
besondere auch Herzbeschwerden zu beklagen hatte. 
Ich verordnete dreimal täglich zwei Tabletten Togal 
neben einer örtlichen Behandlung mit Heissluft und ge¬ 
eigneten Einreibungsmitteln. — Die Wirkung war auch 
in diesem Falle eine recht günstige; in den ersten drei 
Tagen trat allerdings nur eine merkliche Linderung der 
vorhandenen Schmerzen ein, während die Schwellung 
und Gebrauchsunfähigkeit des Armes noch blieb. So¬ 
dann aber zeigte sich rasche Besserung dieser Symptome. 
Hand in Hand damit ging eine reichliche Ausscheidung 
von Harnsäure und harnsauren Salzen im Urin. Auch 
kohlensaure Salze wurden im Harn in reichlicher Menge 
gefunden. Das spezifische Gewicht desselben betrug 
1029 , der Gesamtsäuregehalt 94 (mit 1 : 10 Normal 
Natronlauge gemessen). Nach insgesamt dreiwöchent¬ 
licher Behandlungsdauer war der Arm wieder vollkommen 
bewegungsfähig. 

3 . Artur W., 42 Jahre alt, früher stets gesund ge¬ 
wesen, erkrankte infolge von Erkältung (Durchnässung) 
an äusserst heftiger Ischias. — Die Schmerzen waren so 
heftig, dass der Patient sich nicht im Bett umdrehen 
konnte. Auch das Aufrichten im Bett war ihm nur 
unter sorgfältiger Unterstützung und unter grossen 
Schmerzen möglich. 

Der sonst kräftige Patient war vollkommen hülflos 
geworden. Da die Schmerzen geradezu unerträglich 
waren, musste er zweimal täglich eine Morphium-Injek¬ 
tion erhalten. Aspirin, das er bereits selbst vor meiner 
Ankunft in grösseren Dosen genommen hatte, brachte 
zwar reichliche Schweisssekretion, jedoch nur geringe 
Linderung der Beschwerden hervor. Ausserdem stellte 
sich danach Ohrensausen und völlige Appetitlosigkeit, 
verbunden mit Übelkeit und Erbrechen ein. Letzteres 
war besonders unangenehm, da bei den durch das 
Brechen verursachten Körperbewegungen die Schmerzen 
sich erheblich steigerten. Ich verordnete neben örtlicher 
Anwendung von Heissluft und Einreibungen Togal, 
dreimal täglich drei Tabletten. Die Schmerzen Hessen 
schon am zweiten Tage etwas nach; am vierten Tage 
waren sie einigermassen erträglich und steigerten sich 
nur gegen Abend wieder so sehr, dass noch eine 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Fortschritte der Medizin*. 


Nr. 20. 


100 


Morphium-Einspritzung gemacht werden musste. Doch 
genügte es an diesem und den beiden folgenden Tagen, 
dem Patienten, der an den ersten Tagen zweimal täg¬ 
lich 0,04 Morphium, insgesamt also 0,0K pro die be¬ 
kommen hatte, einmal abends 0,02 zu geben. Vom 
siebenten Tage ab konnte infolge der günstigen Wirkung 
des Togal auf Morphium verzichtet werden, nur am 
neunten, zwölften und vierzehnten Krankheitstage stei¬ 
gerten sich die Schmerzen wieder, so dass abends noch 
je eine kleine Injektion von 0,02 gegeben werden 
musste. Von dann ab konnte Morphium ganz fort¬ 
gelassen werden. Die Besserung schritt dann ganz all¬ 
mählich und langsam weiter fort, und nach insgesamt 


vier Wochen war der Patient wieder voll arbeitsfähig. 
Gerade in diesem recht schweren Fall hat mir das Togal 
ausgezeichnete Dienste geleistet. 

Erwähnen möchte ich noch, dass ich das Togal 
ferner häufiger mit sehr gutem Erfolge bei Neuralgien, 
besonders auch bei Trigeminus-Neuralgie verordnet habe, 
ebenso bei Migräne, und sodann als Ersatz tür Aspirin 
bei fieberhafter Mandelentzündung, fieberhaften Bron¬ 
chialkatarrhen und den verschiedenen influenzaartigen 
Erkrankungen. In allen Fällen leistete das Präparat 
recht gute Dienste, so dasss ich es den Kollegen zur 
Nachprüfung angelegentlich empfehlen kann. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Hi rschfeld (Berlin), Beiträge zur Behaudlung <ler 
Nierenkranken. (Berl. kl. Wschr. 46/15.) 

Die Ereiguisse der Arbeit lassen sich in folgenden Sätzen 
zusammenfässen: 

Durch eine sehr eiweissarme Kost, die etwa 40 g Eiweiss 
im ganzen und 30 g resorbierbares Eiweiss und ungefähr 5 g 
Kochsalz enthält, gelingt es bei Nierenkranken, und zwar be¬ 
sonders in Fällen von Schrurapfnieren, eine weitgehende 
Besserung zu erzielen. Die Nahrung besteht vorzugsweise aus 
Vegetabilien, Kartoffeln, Reis, grünem Gemüse, Sahne, Zucker, 
und grossen Mengen von Obst in jeder Form. 

Der Urin sinkt dabei zumeist auf 3 / 4 1 in 24 Stunden, 
die Reaktion ist dabei meist alkalisch oder amphoter, seltener 
noch schwach sauer. In diesem letzteren Fall kann der Urin 
durch Gaben von 1 — 2 g Natrium bicarbonicum oder Natrium 
citricum täglich alkalisch gemacht werden. Zugleich mit dem 
Eintritt der alkalischen Reaktion verringert sich oft der Ei¬ 
weissgehalt sehr rasch und kann iu einzelnen Fällen sogar 
völlig verschwinden. 

Der Harn enthält bei dieser eiweissarmen Kost in 24 
Stunden etwa 5 g N (— 11 g Harnstoff), 5—0 g Kochsalz 
und an festen Bestandteilen im ganzen ungefähr 26 g gegen¬ 
über 60—70 g, die bei ei weissreicher Ernährung entleert 
werden. Das spezifische Gewicht schwankt zumeist zwischen 
1011 und 1014. 

Eine Senkung des Blutdruckes stellt sich bei der eiweiss- 
und salzarmen Ernährung in der grossen Mehrzahl der Fälle 
nach etwa 2 Wochen ein. 

Bei Verabreichung einer eiweissreichen Mahlzeit an Nieren¬ 
kranke, die derartig eiweissarm einige Wochen ernährt waren, 
stellt sich in der Regel mehrere Stunden später eine Polyurie 
ein. Muskeltätigkeit verlangsamt das Eintreten dieser Harnflut. 
Bei Störungen in der N-Ausscheidung wird auch durch die ge¬ 
steigerte Muskeltätigkeit die Ausfuhr von Stickstoff verlangsamt. 
Reichlichere Eiweisskost empfiehlt sich daher bei Nephritikern 
nur dann, wenn sie unmittelbar darauf möglichste Körperruhe 
halten. 

In den folgenden Aufsätzen will H. noch genauer auf die Art 
und Weise der Ernährung, den Einfluss einzelner Nahrungs¬ 
mittel, die Anzeigen und Gegenanzeigen dieser Behandlungs¬ 
methode eingehen und einige auf diagnostischem und thera¬ 
peutischem Gebiet liegenden Ergebnisse mitteilen. 

N e u m a n n. 


Chirurgie und Orthopädie. 

F. R. Mühlhaus - Res. Laz. München K. Berichte 
über Neuerscheinungen auf dem Gebiete der Chirurgie und 
Orthopädie. — Sauerbruchs willkürlich bewegliche Hand. 

Die Versuche, die Muskel- und Sehnenreste eines Ampu¬ 
tationsstumpfes als Kraftquellen für die willkürliche Bewegung 


von künstlichen Gliedern auszunutzen, reichen auf die siebziger 
Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück. Doch gelangten alle 
früheren Versuche über theoretische Bedeutung nicht zum 
praktischen Erfolg. 

Sauerbruch - Zürich hat nun die Methode der Kraft¬ 
verwertung der kontraktilen Stumpfmuskulatur des Armes neuer¬ 
dings praktisch umgesetzt und auch in kurzer Zeit schon er¬ 
mutigende Resultate erzielt 

Sein Verfahren gliedert sich in einen chirurgischen und 
einen technischen Teil. 

Der chirurgische Abschnitt kann als gelöst angesehen 
werden und es sei iu Kürze das interessante Verfahren der 
operativen Ausbildung der koutraktionsmässig wirkenden Muskel 
oder Sehnengruppen angedeutet. Im Gegensatz zu früheren 
Autoren bilden für Sauerbruch Muskel- uud Sehnen¬ 
gruppen, nicht einzelne Sehnen- oder Muskelbäuche den Kraft¬ 
ausgangspunkt. Durch diese Zusammenziehung mehrerer 
Muskelsysteme ist ein wirkungsvolleres Kraftvermögen gesichert. 
Würde man z. B. an einem längeren Unterarmstumpf die ein¬ 
zelnen Sehnen einzeln ausnutzen, so wäre als Resultat vielleicht 
eine kompliziert-bewegliche Hand, die funktionelle Kraft des 
Faustschlusses aber jedenfalls so minimal, dass praktisch-wirk¬ 
same Ausnutzung dieser Hand nicht möglich wäre. 

Nehmen wir einen längeren Oberarmstumpf an, so schafft 
Sauerbruch aus den beiden Antagonistenguppen 2 vor¬ 
springende Kraftwülste, die durch eine längsverlaufende Haut¬ 
brücke von einander getrennt sind. Zum Ilerausheben der 
Wulste ist erforderlich, dass die Absetzung des Knochens primär 
auch ausgiebig erfolgte und die Weichteilmassen bei der Ampu¬ 
tation bestmöglich geschont sind. 

Die Kraftwülste werden längs durchbohrt und durch sie 
hindurch mittels Kornzauge ein plastisch-gebildeter Hautkanal 
gezogen. Gebildet wird dieser Kanal entweder aus der Haut 
des Oberarmes selbst, in dem ein 1—2 cm breiter Hautstreifen 
gestielt abpräpariert wird, der eingewendet und eingenäht 
polartig durch den Muskelwulst gezogen wird, oder der Kanal 
wird aus der Thoraxwand entliehen. Die freien Wände der 
Hautkanäle werden somit von der Hornhautschieht gebildet, 
wordurch der Kanal schadlos belastungsfähig wird. 

Durch den Kanal wird ein Elfenbeinstab gelegt, der durch 
seitliche Scheiben fixiert bleibt. Ein Bügel setzt an deu Enden 
des Stabes an und vermittelt die Kraftübertragung zur künst¬ 
lichen Hand. 

So ist die chirurgische Vorarbeit zweckmässig erledigt. 
Sauerbruch hat durch fleissiges Üben bei seinen Pat. ganz 
beträchtliche Kraftleistungen aufzuweisen. Es beträgt z B. die 
Hubkraft der Muskelstumpfkontraktion an einem Oberarm bei 
4—6 cm Kontraktionsverkürzung 10 kg. 

Bei Amputationen der Friedenschirurgie und bei annehm¬ 
baren Verhältnissen der Kriegschirurgie lässt sich die Bildung 
der Muskelwülste und der Hautkanäle mit der Amputation in 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN'. 


147 


Nr. 20. 


einer Sitzung erledigen, was bisher natürlich nur in Nnch- 
operationeu geschah. 

Die Frage der praktischen Anwendung kann ihre völlige 
Lösung erst finden, wenn es orthopädisch-technisch gelungen 
ist, ein künstliches Glied herzustelleu, das auch die volle Aus¬ 
nutzung der chirurgisch freigewordenen Kraft garantiert. Bis¬ 
her ist dies noch nicht gewünscht gelungen, aber es steht zu 
hotten, dass der rege Eiter auch diese Schwierigkeit über¬ 
winden hilft. 

Macht nun die Methode Sauerbruchs die bis jetzt neu¬ 
geschaffenen Prothesen wertlos? Ich glaube, diese Frage, all¬ 
gemein gehalten, verneinen zu können Denn es handelt sich 
ja bei der geschilderten Methode nicht um ein prinzipiell 
die orthopädische Prothesentechnik umstürzendes System, 
sondern um eine wertvolle Bereicherung des älteren Prothesen- 
systents durch Ausnutzung ruhender Kräfte und somit Be¬ 
lebung der toten Prothesen. Dadurch verliert der Prothesen¬ 
träger immer mehr das Gefühl, in seiner Prothese lediglich ein 
maschinelles Verbindungsstück mit dem Arbeitsobjekt zu sehen. 
Ausserdem sind auch alle bisher ausgelieferten Prothesen noch 
nicht aus den Anfangsstadien ihrer Entwicklung heraus, sodass 
sich nt. E. nach leicht eine Kombination dieser Arten im An¬ 
schluss an Sauerbruchs Verfahren hersteilen lässt. 

Ich konnte mich bisher augenscheinlich nur von dem 
chiiurgischen Teil der S a u e r b r u c h s c h e n Methode in¬ 
formieren, bin aber nach dem, was ich gesehen habe und was I 
ich von berufener Seite über die technisch-praktische Ver¬ 
wendungsmöglichkeit erfahren habe, auch der Meinung, dass! 
die Methode Sauerbruchs nicht nur dazu dienen wird, in 
Verbesserung der „Gesellschaftsprolhese“ zweckdienlich zu sein, 1 
snndern dass das wichtigere Kapitel der Arbeitsprothesenfrage 
auch seinerseits brauchbare Verwendungsgebiete für sie auf¬ 
weist. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

E 1 i s Este n-Molle, Lund. Prof. Dr., Aktivs oder ab¬ 
wartende Eklampsiebehandlung ? (Monatsschrift für Geburts¬ 
hülfe und Gynäkologie. Band XLIII. Heft 2. Februar 

me.) 

Auf Grund der neueren Erkenntnis, dass das Ei die 
Gift«juelltä für Eklampsie bildet, sollte jede Eklamptica sofort 
entbunden werden. Dadurch sank die trühere Mortalität von 
20—25 0 0 auf etwa 10—15 °/ 0 . Stroganoff und 
Zweifel empfehlen statt der Schnellentbindung eine modi¬ 
fizierte Narkosenbehandlung mit guten Erfolgen, 5— 8° „Mor¬ 
talität. Diese Erfolge sind besser als die Vf’s, welcher mit 
einer individualisierenden aktiven Behandlung bis 190S 9,76 "z,, 
bis 1915 13,lG°/ 0 Mortalität hatte. 

Verf unterzog darauf hin die Eklampsiebebandktng in 
den letzten «Irei Jahren einer erneuten Prüfung, um dadurch ’ 
die Unsicherheit in der Behandlung der Eklampsie aus der 
Welt zu schatten. Die Geschichte der Eklampsie lehrt, dass 
G. Veit mit Narkosebehandlung mit Morphium 3,3° „ Mor¬ 
talität erzielte, später aber viel schlechtere Resultate hatte, 
v. Winkel hatte hei exspektativer Behandlung 7,0" 0 , später 
21,8°/ 0 Mortalität, während N acke bloss 3,8 r ' „ Mortalität 
bei aktiver Behandlung erzielte. Nach Lichtenstein 
sind die bisher erschienenen Eklanipsiestatistiken irreführend, 
indem bei Frühentbindungen nur in 1 / 1 der Fälle die Anfälle | 
aufhören, so dass die Sterblichkeit nach Frühentbindung nicht 
wesentlich besser ist als nach anderen Methoden, weil die 
Wochenbettseklampsie eine relativ hohe Mortalität aufweist 
Bei der Frühentbindung spielt nach L i c h t e n s t e i n die 
Blutentziehung, nicht die Entfernung des Eies für die Eklampsie 
die Hauptrolle, womit Lichtenstein die abwartende Behandlung 
argumentiert. Verf. weist diese Argumentierung Lieh t e n- 
s te i ns zurück und begründet dies damit, dass die Eklampsie 
nicht vom ersten Anfall zu datieren ist, der nur das erste 
Symptom der Krankheit ist, welche nach Paul Par als 
Eklampsismus eben schon vorher vorhanden ist, ohne dass Anfälle 
eintrelen. Verf. hat in 31 Fällen Symptome von Ekiampsis- 
mus 1 Tag bis 5 und mehrere Wochen von dem ersten An¬ 
lall konstatiert. Dasselbe konnten Al heck und Leopold 
Mayer feststellen. Damit glaubt Vf. die Argumentierung. 

Digitized by Google 


Lichten Steins zu widerlegen. Wenn auch die Resultate 
Zweifels und Stroganoffs zu Gunsten der ah- 
wartenden Methode sprechen, kann Vf. die aktive Behandlung 
nicht verlassen, vom Grundsatz ausgehend, dass nur die Ent¬ 
fernung des Eies, von welchem die Krankheit ausgeht, die 
Krankheit beseitigen kann Verf. stellt auf dem Standpunkt, 
die Schwangerschaft noch vor dem Auftreten der Anfälle zu 
unterbrechen, wo trotz klinischer interner Behandlung die 
Symptome des Eklampsismus nicht zurückgehen. Verf. hat 
dies in 28 Fällen in den letzten 3 Jahren getan, welche in 
einer Tabelle dargestellt werden. Das Resultat für die Mütter ist 
ein gutes, alle Mütter haben die Geburt durchgemacht, gesund 
oder gebessert die Klinik verlassen Für die Kinder betrug die 
Mortalität 26"„. Lichtenstein 37,3° „ Die Technik 
des aktiven Verfahrens, welche Verf. nnwandte, war in 5 Fällen 
der vaginale Kaiserschnitt, in 23 Fällen der Blasenstich, dem 
Verf. dabei den Vorzug gibt, weil «lie Narkose als schädlich 
ausgeschaltet werden kann. Der Blasenstich wird so ausge¬ 
führt, dass die Portio im Spekulum eingestellt, durch Hegar- 
stifte soweit geöffnet wird, dass mit einer Hackenzange die Blase 
eingerissen werden kann. 

Verf. hält auf Grund seiner diesbezüglichen Erfahrungen 
die Beweisführung für die ahwartende Eklampsiebehandlung 
für keineswegs unanfechtbar und sieht die Aufgaben einer 
rationellen Eklampsiebehandlung nicht in der Richtung der 
Narkosenbehandlung, sondern in einer Verbesserung der aktiven 
Methode In dem Masse als die Schwangerschaft wegen 
Eklampsismus unterbrochen wird, in demselben Masse wird 
auch die Eklampsie seltener werden. 

E k s t e i n -Teplitz. 

Psychiatrie und Neurologie. 

Zoltan Bambus, Sensible Störungen bei postdiphtheriselien 
Lähmungen. (Mitteilung aus der mit dem Stephauie-Kinder- 
Spital verbundenen pädiatrischen Universitätsklinik in Budapest. 
Vorstand: Hofrat Dr. Johann v. Bokay o ö. Professor). (Jahr¬ 
buch f Kinderli. 32. Bd., C. Heft) 

Die Prüfung der Sensibilität hei Kindern ist schwierig, 
weshalb denn auch bei den meisten Autoren nur ungenaue An¬ 
gaben über sensible Auslalle bei der Kinderdiphtherie zu finden 
sind. Bei allen von B a r a h ;t s mitgeteilten Fällen kamen 
mehr oder minder erhebliche motorische Lähmungen, ungefähr 
in der Hälfte «1er Fälle auch sensible Störungen vor. Diese 
hatten den Charakter einer dissozierten sensorischen Lähmung: 
Aufhellung der Schmerzempfindlichkeit hei normalem Verhalten 
der übrigen Empfindungsijualitäten. Mit Besserung der klinischen 
Erscheinungen kommt nach und nach das Gefühl für Schmerz 
wieder. Wegen ihres transitorischen Charakters kann die Erop- 
findungsstörung nicht in gleiche Linie gestellt werden mit der 
dissoziierten sensorischen Lähmung hei Tabes und Syringomyelie. 

Braun- München. 

Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

G. B e s s a u , Eher Ernährungsstörungen ex correlatlone. 
(Aus der Kinderklinik de kgl. Universität Breslau.) Monats¬ 
schrift 1. Kinderh. XIII. Bd. Nr. 10. 

Verfasser behandelt in seinen sehr lesenswerten Aus¬ 
führungen ein wichtiges Kapitel des Ernährungsproblems: das 
gegenseitige Verhältnis der einzelnen Nährstoffe in der Nahrung 
und ihre Stellung in der Pathologie der Ernährungsstörungen, 
ex alimentatione. Im Gegensatz zum Erwachsenen fallen beim 
Säugling schon ganz geringe Korreiationsänderungen der Nähr¬ 
stoffe ins Gewicht, Die einzelnen Bestandteile der künstlichen 
Säuglingsnahrung sind an sich harmlos, erst eine Verschiebung 
ihres gegenseitigen Verhältnisses in der Nahrung vermag die 
Bedingungen für das Entstehen einer akuten oder chronischen 
Ernährungsstörung zu liefern Von einer isolierenden Be¬ 
trachtung der einzelnen Nährstoffe ist gerade hei den chronischen 
Ernährungsstörungen kein Gewinn zu erhoffen, vielmehr nur 
von der Würdigung unzweckmässiger Korrelation der Bestand¬ 
teile der Kuhmilch. 

Voraussetzung für das Entstehen der alimentären akuten 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








198 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 20. 


Ernährungsstörung ist die Gärung, für das Entstehen einer 
chronischen (Milchnährschaden) die Fäulnis. Bessau stellt da¬ 
mit einen „Faulnährschaden“ dem Gärnährschadeu gegenüber. 

Braun- München. 

G. J. Huiit, Uber den Weg der Inrektion bei der Pyelocy- 
slitis der Säuglinge. (Aus dem Säuglingsheim in s’Gravenhage). 
(Jahrbuch f, Kinderh. 32. Bd , 0. Heft) 

H u e t beobachtete eine pyelocystitische Endemie — wie 
seiner Zeit Trumpp im Anschluss au Enteritis follicularis — 
nach einer Bronchitis von grippeartigem Charakter ohne l)arni- 
erscheinungen. Aus den Begleitumständen schliesst Verfasser, 
dass es sich bei den von ihm beobachteten Fällen um eine 
descendierende Form der Pyelocystitis gehandelt habe, hält es 
aber für unwahrscheinlich, dass alle Pylocystiden auf gleiche 
Weise entstehen. Braun- München. 

Ernst Schloss: Zur Therapie der Rachitis. Schluss¬ 
mitteilung. (Aus dem Grossen Friedrichs-Waisenhaus der Stadt 
Berlin in Rummelsburg [Chefarzt, Prof. Erich Müller]). (Jahr¬ 
buch f. Kinderh. 32. Bd , 0 Heft.) 

Verfasser, der in den vorangegangenen Veröffentlichungen 
seine Versuche über die Wirkung von Lebertran und Kalk¬ 
salzen auf den Stoffwechsel bei Rachitis nutgeteilt hat, zieht in 
der vorliegenden die Bilanz aus den Resultaten seiner Versuchs¬ 
reihen. Die Versuche wurden bei Ammen-, Fett- und Eiweiss¬ 
milch vorgenommen. Bei der Analyse wurden in allen Ver¬ 
suchen vorwiegend Kalk, Phosphorsäure und meist auch Stick¬ 
stoff berücksichtigt. 

Als Ergebnisse seiner Versuche bei natürlicher (Frauen¬ 
milch) Ernährung sind hervorzuheben : Alleinige Zugabe von 
Lebertran scheint günstig zu wirken. Kalk allein ist nicht 
brauchbar, sondern nur in der Verbindung mit phosphorhaltigeu 
Präparaten und zwar mit anorganischen (besonders Tricalcium- 
phosphat) oder organischen. Im Anfaugsstadium scheint die 
Zugabe von Lebertran zu diesen anorganischen oder organischen 
Kalkphosphorpräparaten nötig, im Heilungsstadium überflüssig 
zu sein. Phosphorlebertran besitzt keineu Vorzug vor Leber¬ 
tran, sie sind vollkommen gleich zu setzen. 

Braun- München. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

Grabley, Paul (Berlin-Woltersdorfer Schleuse.) Zur 
Literatur und Kasuistik der Mineralsalztlierupie. (Ztschr. f. 
physik. u. diät. Therap. XIX. 1915. 12. Heft. S 453 — 369 ) 

Es ist eine alte Beobachtung, dass jede neue wissenschaft¬ 
liche Erkenntnis ihre Wellen in das Gebiet der praktischen 
Medizin branden lässt. So auch die Elektro- und Biochemie, diese 
jüngsten Kinder der Molekular-Physik und -Chemie Jeder kennt 
heutzutage die Theorie der Lösungen, wobei dieSalze in ihre feinsten 
Teile, die Jonten, zerfallen, welche mit ungeheuerer Geschwindig¬ 
keit das Lösungsmittel durcheilen und indem sie auf die Be¬ 
grenzungen treffen, dort den osmotischen Druck ausüben, und 
indem sie elektrisch geladen sind, als Elektrone elektrische 
Spannungen erzeugen. 

Die im engsten Raume enthaltenen Energien lassen alle 
Kalorien weit hinter sich, die wir durch die Verbrennungs¬ 
prozesse gewinnen können, und so musste eine Bewegung ein- 
setzen, welche diese Dinge für die Heilung des kranken Men¬ 
schen nutzbar machen will. 

Der vorliegende Aufsatz schildert diese Bewegung auf 
Grund von 9b Literatur-Nummern. Zugleich ist Grabley 
auch selbst dabei beteiligt. Denn er hat ein besonderes Mineral¬ 
salzgemisch eingeführt und berichtet von wunderbaren Er¬ 
folgen bei schlecht heilenden Wunden, ausgedehnten Knochen¬ 
verletzungen, Kriegsneurosen, Erschöpfungszuständen, Rachitis, 
Neurasthenie, Lymphatismus, Anämieen, Obstipation, Fettsucht, 
Gicht, Arteriosklerose, DiabeteB. Natürlich muss man das Ge¬ 
misch lange genug nehmen. 

Die chemischen Überlegungen sind ohne Zweifel richtig. 
Nur glaube ich, dass die Rechnung ohne die physiologische 
Eigonwilligkeit des Organismus angestellt ist. Indessen, da an 
Kranken der genannten Arten kein Mangel herrscht, so kanu 
ja der Beweis der tatsächlichen Wirksamkeit des Präparates 
relativ bald erbracht sein. Buttersack. 


Wichtige gerichtliche Entscheidungen. 

1 Ungerechtfertigte Entlassung eines leitenden Anstaltsarztes. 

(Nachdruck verboten.) 

Die Beklagte hatte durch Vertrag vom 27. Dez 1907 den 
Kläger zum Leiter ihrer Anstalt bestellt. Sie kündigte zum 
.30. Juni 1911, schloss aber am 30. März 1911 mit dem 
Kläger einen neuen Vertrag, wonach er nur Dirigent für die 
Fürsorgearbeit sein sollte, während die eigentliche Leitung der 
Anstalt dem bisherigen Assistenten und stellvertretenden Leiter 
Professor Dr. L übertragen wurde. Der neue Vertrag sollte 
bis zum 30. Juni 1914 gelten und am 1. Juli 1911 in Kraft 
treten. Auf Grund einer Revision der Arbeitsräume und wegen 
des Inhaltes von drei Denkschriften des Klägers kündigte ihm 
die Beklagte Ende Sept. 1911 ohne Einhaltung einer Kün¬ 
digungsfrist. Der Kläger erhob daraufhin Klage auf Fest¬ 
stellung der Vertragsfortdauer und Zahlung des Gehaltes bis 
zum Vertragsablaufe im Betrage von 22 000 ,H. Die Vor- 
inatanzen gaben der Klage statt Das Berufungsgericht machte 
insbesondere die Zahlung des Gehalles vom 1. Okt. 1911 ab von 
einer Eidesleistung des Klägers über seinen Verdienst nach der 
Entlassung abhängig. Das Reichsgericht verurteilte dagegen 
die Anstalt unbedingt zur Zahlung. Aus den 
Gründen: 

Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die von der Be¬ 
klagten behaupteten Tatsachen, nämlich die Aneignung von 
Privatvorteilen auf Kosten der Anstalt, der Inhalt der zum 
Teil schwere Beleidigungen des Vorsitzenden und anderer Mit¬ 
glieder des Kuratoriums enthaltendeu Denkschriften und die 
damit zusammenhängenden Vorgänge, an sich geeiguet seien, 
einen wichtigen Gruud zur fristlosen Kündigung des Dienst¬ 
verhältnisses nach § 626 BGB. zu bilden. Es kommt abec 
auf Grund einer eingehenden Würdigung des Ergebnisses der 
Verhandlung zu dem Schlüsse, dass die gegen den Kläger fest¬ 
gestellten Tatsachen weder einzeln für sich noch alle zusammen 
die fristlose Kündigung rechtfertigten. Die Würdigung ent¬ 
spricht dem § 286 ZPO. Ein wichtiger Grund im Sinne des 
§ 626 BGB. liegt vor, wenn nach Lage der Umstände dem 
einen Teil nicht zuzumuten ist, das Vertragsverhältnis wider 
seinen Willen fortzusetzen. Ein Verschulden des anderen 
Teils ist dabei grundsätzlich ebensowenig erforderlich, als eine 
Schädigung desjenigen, der kündigen will. Das ist aber vom 
Berufungsgericht nicht verkannt worden. Wenn es an ver¬ 
schiedenen Stellen hervorhebt, dass eiu schuldhaftes oder 
schädigendes Verhalten des Klägers nicht nachgewieseu sei, 
so erklärt sich dies daraus, dass dem Kläger ein solches Ver¬ 
halten von der Beklagten vorgeworfen worden war, und ergibt 
als die Meinung des Berufungsgerichts auch nur, dass das Ver¬ 
halten des Klägers in den fraglichen Punkten bei dem Mangel 
eines Verschuldens oder eines Schadens nicht so schwerwiegend 
sei, um die Kündigung im vorliegenden Falle zu rechtfertigen. 
Das Berufungsgericht verkennt ferner nicht, dass die Stellung, 
die dem Kläger in den Verträgen eingeräumt war, eine Ver¬ 
trauensstellung war, die nur bei Fortdauer des Vertrauens und 
gegenseitiger Achtung bestehen konnte. Wenn es dabei nicht 
besonders hervorhebt, dass der Kläger, was namentlich für die 
Verwendung von Vorräten, Einrichtungen und Angestellten der 
Beklagten zu Privatzwecken des Klägers in Betracht kam, auch 
alles unterlassen musste, was sein Ansehen bei den unter¬ 
geordneten Angestellten zu untergraben geeignet war, so folgt 
daraus nicht, dass das Berufungsgericht diesen Gesichtspunkt 
übersehen hat. Das Berufungsgericht lässt endlich nicht un¬ 
beachtet, dass der Kläger, was seine Ausführungen in den 
Denkschriften betrifft, nicht durch sein Verhalten den Mit¬ 
gliedern des Kuratoriums ein weiteres Zusammenarbeiten mit 
ihm unmöglich machen durfte. Bei der Prüfung der Frage, 
ob die in den Denkschriften erhobenen Angriffe einen wichtigen 
Grund im Sinne des § 626 BGB bildeten, darf aber nicht ein¬ 
seitig davon ausgegangen werden, wie diese Angriffe von den 
Angegriffenen empfunden wurden. Die Beklagte kann dem 
Kläger einen begründeten Vorwurf nicht aus Äusserungen 
machen, die eine durch das Verhalten ihrer eigenen Organe 
hervorgerufene, nach den Umständen gerechtfertigte Kritik 
enthalten, und auch insoweit, als dies nicht zutrifft, muss be¬ 
rücksichtigt werden, wie der Kläger die Verhältnisse ansah 
und nach den ihm bekannten Umständen ansehen durfte. 

Urteil des RU. vom 4. Jan. 1916. III. 184/1915 

tMitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Berthold, Leipzig.: 

__ 


Digitizeü by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

URBANA-CHAMPAIGN 



33 Jahrgang. 


1915/16. 


Tomcbritte der mcdizin. 


Unter mitwirkung hervorragender Tacbtnänner 


L Brauer, 

Hamburg. 


L. von Criegern, 

Hildesheim. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M. 


herausgegeben von 

L. Edinger, 

Frankfurt a/M. 


L. Hauser, 

Darmstadt. 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 21 


Erscheint am IO., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige lnserateuamialime durch 30, April 
Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswatde bei Berlin. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Eine neue Operationsmethode des Mastdarm¬ 
vorfalls der Frau. 

Von Prof. Dr. Albert Sippe! (Frankfurt a. Main). 

Der ausgebildete Mastdarmvorfall der Frau gehörte 
von jeher zu den Dingen , welche man unter dem Be¬ 
griffe der „Crux medicorum“ zusammen zu fassen pliegte 
Noch mehr freilich war es die Crux mulierum 1 Ausserst 
qualvoll für die von ihm Heimgesuchten und dabei ein 
für den Arzt nur schwer oder überhaupt nicht zu be¬ 
seitigendes Übel — das war das traurige Bild, welches 
der Mastdarmvorfall der Frau in früheren Zeiten bot 
Sehr zahlreich sind die operativen Vorschläge, welche 
man im Laufe der Jahre zur Beseitigung des Leidens 
gemacht hat. Die grosse Zahl dieser Vorschläge be¬ 
weist, dass keiner derselben eine wirkliche Lösung der 
Frage brachte. Entweder waren sie nur für einzelne 
Fälle geeignet, oder sie brachten nur unvollkommenen 
Erfolg, oder aber der Erfolg war ein nur vorüber¬ 
gehender mit früher oder später eintretendem Rezidiv. 

Es gibt nach Art der Entstehung und nach dem 
anatomischen Verhalten zwei verschiedene For¬ 
men des Mastdarm Vorfalls. Die eine kommt 
zustande, indem zunächst die unmittelbar über dem Anus 
befindliche Partie des Rektum, also die Pars analis, vor 
die Afteröffnung heraustritt, und nach und nach immer 
höher gelegene Abschnitte der Pars pelvina und even¬ 
tuell der Flexur folgen. Der Vorfall beginnt 
also unten uud schreitet nach oben fort. 
Die besten operativen Erfolge bei dieser Form des 
Prolapses ergab seither die Methode von L. Rehn und 
D e 1 o r m e. Sie besteht in einer zirkulären Ablösung 
der Schleimhaut von dem vorgefallenen Stück des Darms, 
beginnend am Analrand und fortschreitend bis zur Spitze 
des Vorfalls. Durch Katgutnähte wird die entstehende 
manschettenartige Wunde zu einem ringförmigen Wulst 
zusammengezogen, sodass der vorher auf der Spitze des 
Vorfalls gelegene Schleimhautwundrand mit dem Haut- 
rand der Afteröffnung vereinigt wird. Hierdurch wird 
der Vorfall zurückgebracht. Der ringförmige Wulst 
gibt eine meist genügende Stütze gegen das Wieder- 
herabtreten des Darms. Wirklich normale Ver¬ 
hältnissewerden auf diesem Wege nicht 
erreicht. 

Die zweite Art des Mastdarmvorfalls der Frau ent¬ 
steht, indem zunächst der oberste Abschnitt der vor¬ 
deren Wand der Pars pelvina recti herabtritt. Er stülpt 
sich in den unterhalb gelegenen Darmteil hinein, zieht 
seine benachbarten und die oberhalb gelegenen Partien 
nach und tritt durch die Pars analis hindurch und aus 

Digitized by Google 


dem Amis heraus, sodass eine vollständige Invagination 
der Pars pelvina recti und bei stärkeren Graden der 
Entwickelung, der unteren Teile der Flexur durch die 
Pars analis hindurch stattfindet. Diese letztere bleibt, 
da sie mit ihrer Umgebung, dem Levator ani, in fester 
Verbindung stellt, in ihrer normalen Lage. Man fühlt 
demnach oberhalb des Analrandes rings herum das Mast¬ 
darmrohr in der Länge von einigen wenigen Zenti¬ 
metern erhalten und, am oberen Rande dieses Ringes 
die Umschlagstelle des invaginierten prolabierten Darm¬ 
abschnitts. Während also bei der ersten Form des 
Masldarmvorfalls das ganze Rektum vom Analrand ab 
aufwärts herabtritt, bleibt bei der zweiten Form die 
Pars analis an normaler Stelle. Besteht ein solcher Vor¬ 
fall lange Zeit hindurch, so kann schliesslich durch den 
anhaltenden Zug des prolabierten Darmabschnitts auch 
die Pars analis von ihrer Unterlage gelöst und mit 
herabgezogen werden, sodass das Endresultat das gleiche 
ist, wie bei der ersten Entstehungsweise. Jedenfalls 
aber kommt diese zweite Form im Gegensatz zur 
ersteren in der Weise zustande, dass sie mit dem Herab¬ 
treten des obersten Rektumabschnitts be¬ 
ginnt und von oben nach unten fort¬ 
schreitet. 

Mit dem Herabtreten des Rectum ist bei beiden 
Formen eine starke Dehnung der Douglas ’ sehen 
Falten, ein starkes Ilerabtreten des Douglas ’ sehen 
Raumes und eine Dehnung und Lösung der Verbin¬ 
dungen des Rektum mit seiner Umgebung ver¬ 
bunden. 

Diese 2te Form des Mastdarmvorfalls, die Invagi- 
nationsform, wie ich sie nennen möchte, ist, so 
lange die Pars analis an normaler Stelle bleibt, mit der 
Rehn-Delorme sehen Methode nicht zu heilen. Man 
müsste die Naht und Wulstbildung in das Lumen des 
Darms oberhalb der Pars analis verlegen. Das scheint 
technisch nicht ausführbar. Wenn dies trotzdem mög¬ 
lich wäre, so würde der stützende und verengernde 
Ringwulst oberhalb des Sphinkter und Levator ani zu 
liegen kommen. Dadurch aber würde die ungenügende 
Stützkraft der Beckenbodenmuskulatur kaum verstärkt 
werden. 

Vor jetzt 2 s / 4 Jahren, als mir die Aufgabe gestellt 
wurde, einen faustgrossen derartigen Invaginationsprolaps 
mit erhaltener Pars analis bei einer 61 jährigen Frau zu 
heilen, entwarf ich einen Operationsplan, der 
ausging von der Aetiologie und dem Ent¬ 
stehungsmechanismus des Leidens, und 
der den Zweck hatte, die normalen Ver¬ 
hältnisse wieder herzustellen. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
_ URBANA-CHAMPAIGN 







200 


FORTSCHRITTE HER MEDIZIN 


Nr. 21. 


Den Beginn nimmt diese Form des Vorfalls, wie 
schon gesagt, an der vorderen Wand des obersten, am 
Douglas’ sehen Raum gelegenen Abschnitts der Pars 
pelvina recli. Sie erschlafft, wird gedehnt und buchtet 
sich in das Darmlumen hinab. Ihr tolgt das Rektum in 
seiner ganzen Circumferenz. Gleichzeitig werden die 
Douglas’schen Falten gedehnt, der Douglas selbst wird 
stark herabgezogen und kann bei hochgradiger Ent¬ 
wickelung des Vorfalls in diesen herabtreten. Zugleich 
findet natürlich eine Lockerung und Lösung der Ver¬ 
bindungen des Rektum mit seiner Umgebung statt. 
Mein Plan erstrebte nun eine Wiederverengerung und 
Straffung der gedehnten und erschlafften vorderen Mast¬ 
darmwand, eine feste Verankerung derselben auf ihrer 
Umgebung und ein Verlagern des Douglas’schen Raumes 
nach oben an seine normale Stelle. Erreicht wurde 
dies gesteckte Ziel auf folgende Weise : Reposition des 
Vorfalls. Mediane Spaltung der hinteren Scheidenwand 
in ihrer gesamten Länge und, daran anschliessend, des { 
Dammes. Der Schnitt dringt durch bis zum Douglas¬ 
peritoneum, der vorderen Mastdarmwand, dem Levator 
und dem Sphinkter ani. Fortsetzung des Schiritts nach 
oben durch den untersten Teil der hinteren Cervix wand 
bis zum Peritoneum. Auseinanderklappen der Wunde 
und breites Freilegen der vorderen Mastdarmwand und 1 
der vorderen Muskel faszienplatten des Levator ani. 
(Mm. puborectales). Emporschieben des uneröffneten 
Douglasperitoneum. Vernähung der vorderen Mastdarm¬ 
wand zu Längsfalten, bis eine genügende Straffung und 
Verengung erzielt ist. Vereinigung der Cervixwunde 
mit 2 Saturen, welche die vordere Mastdarm wand breit 
mit fassen und auf die hintere Cervixwand fixieren. 
Vereinigung der Scheidenwundränder durch eben solche 
die vordere Mastdarmwand breit mitfassende Nähte bis 
herab zur Höhe des Levator ani. Dann von unten nach 
oben fortschreitend Vereinigung der beiden Schenkel 
des Levator durch Nähte, welche ebenfalls die vordere 
Mastdarmwand breit mitfassen und so auf der hinteren 
Levatorfläche verankern. Vereinigung der übrigbleiben¬ 
den Scheidendammwunde wie bei einer Colpoperineo- 
rhaphie. 

Der lange Zeit hindurch vorhanden gewesene grosse I 
Vorfall halte eine dauernde Dehnung und Erschlaffung 
des Sphinkter ani bewirkt und damit ein Incontinentia 
alvi. Es wurde deshalb der im Vorstehenden geschil¬ 
derten Operation eine dreieckige Anfrischung der hinteren 
Rektaluand hinzugefügt mit der Basis aussen am Ilaut- 
rand, der Spitze im Rektum. Vereinigung dieser Wunde 
wie bei Colporhaphia posterior. 

Die Heilung dieser Operationswunden erfolgte ohne 
jede Temperaturerhöhung durchweg per primam. Nur 
die beiden untersten im Mastdarmlumen gelegenen Nähte 
schnitten etwas durch und vernarbten dann unter Gra¬ 
nulationsbildung. Der Vorfall ist dauernd (bis jetzt 
2 3 , 4 Jahr) beseitigt. Palpation vom Rektum aus ergibt 
vollkommen normale Verhältnisse Der in der ersten 
Zeit nach der Operation nicht völlig genügende Sphink- ; 
terenschluss wurde bald normal. Ich nehme an, dass I 
dies darauf beruht, dass der nicht mehr durch den Pro¬ 
laps dauernd gedehnt gehaltene Schliessntuskel seinen 
Tonus wieder erlangt hat. Alles in allem genommen 
ist die Frau gesund, als hätte sie nie einen Mastdarm¬ 
vorfall gehabt. 

Inzwischen wurde vor 3 / 4 Jahren ein zweiter Mast- 
darmvoifall bei einer jüngeren Frau nach derselben 
Methode operiert. Es handelte sich um die gewöhnliche 
von unten nach oben fortscheitende Form des Prolapses. 
Auch dieser Fall ist dauernd vollkommen geheilt. 

Voraussetzung für die Erzielung eines guten Erfolgs 
mit meiner Methode ist, dass die inneren Genitalien 
mit samt dem Levator ani soviel Halt haben, dass eine 
Verankerung des Rektum an ihnen eine genügende 


Digitized by 


Google 


Stütze findet. Sind , wie in unserem ersten Fall, die 
Scheidenwände erschlafft, so fügt man eine vordere und 
hintere Colporhaphie hinzu. Ist auch der Haltapparat 
des Uterus insuffizient, so ist eine breite feste V’entri- 
fixtir des Uterus anzuschliessen. Damit hat eine Tuben- 
sterilisation Hand in Hand zu gehen, wenn es sich um 
eine Frau im gebürfahigen Alter handelt. — 

Die notwendige Festigung des Levator erfolgt, wo 
sie fehlt, durch die einen Teil der Operation bildende 
Naht dieses Muskels von selbst. Die Nähte müssen mit 
dauerhaftem Jodkatgut ausgefuhrt werden. 

Beschränkt sich das Leiden auf die unteren Ab¬ 
schnitte des Rektum, wie dies bei dem gewöhnlichen 
von unten nach oben zu entstehenden Prolaps der Fall 
sein kann, so ist es nicht nötig, die mediane Spaltung 
der hinteren Scheidenwand bis in das Scheidengewölbe 
oder gar bis in die Cervix fortzusetzen. Es genügt 
eine Inzision, welche der Ausdehnung des prolabierten 
Rektumabschnitts entspricht. 

Ich glaube, dass die bei der Operation angewen¬ 
deten Prinzipien richtig sind. Der Dauererfolg in beiden 
Fällen bestätigt es. Ausserdem hat die Methode den 
Vorzug, tatsächlich die normalen Verhältnisse wieder zu 
schaffen. Ein weiterer Vorzug ist ihre relative Gefahr¬ 
losigkeit. 


Neuere Arbeiten über die Chemie und Physiologie 
der Eiweisskörper. 

Von Dr. Egon Eicltwald. 

Vor einiger Zeit hat W i 1 1 s t ä t t e r in einem 
zusammenfassenden Referat über das Chlorophyll und 
die Blütenfarbstoffe ausgeführt, dass die organische 
Chemie die Periode der Strukturchemie mehr oder 
weniger bereits überwunden hat und sich von Tag zu 
Tag immer entschlossener an die Erforschung der 
eigentlichen lebendigen Substanzen heranwagt. Ausser 
für die erwähnten Forschungen Willstätters 
gilt dies noch für eine Reihe anderer Arbeiten. Arbeiten 
über den Blut- und Gallenfarbstoff, solche amerikanischer 
Forscher über Nucleinsäuren, Arbeiten über Fette, Lipo¬ 
ide und Eiweisskörper beweisen, wie sehr man am 
Werk ist, aus der im Verlauf des vorigen Jahrhunderts 
geschaffenen Strukturchemie die Folgerungen zu ziehen 
für die Substanzen der Organismen. 

Wir wollen uns hier kurz über ein für den Arzt be¬ 
sonders wichtiges Spezialgebiet, das Gebiet der Eiweiss¬ 
körper orientieren und vor allem einen Blick tun auf die 
Probleme, die heute innerhalb der Eiweisschemie- 
und -physiologie im Vordergrund des Interesses stehen. 
Zunächst handelt es sich darum, ein Urteil über die Zu¬ 
sammensetzung der einzelnen Eiweisskörper zu 
gewinnen. Der entscheidende Schritt in der analytischen 
Erforschung des Eiweisskomplexes wurde 1901 von 
Emil Fischer durch die Entdeckung der so¬ 
genannten Estermethode getan. Bei der Zersetzung 
des Eiweiss mit Hilfe von Säuren oder durch Fermente 
entstehen ausser den das Eiweiss zusammensetzenden 
Amidosäuren noch zahlreiche andere Verbindungen, die 
zum Bestand des Eiweissmoleküls gehören. Eine 
Trennung von diesen Verbindungen sowie auch der 
einzelnen Amidosäuren untereinander war im allgemeinen 
nicht möglich, bis E. Fischer fand, dass die Ester 
einer Reihe vom Amidosäuren z. B. von Glycocoll, 
Alanin, Leucin sich unter vermindertem Druck leicht 
destillieren und von dem zurückbleibenden Gemisch 
abtrennen lassen. Durch diese Methode wurde es dann 
möglich, einen wenigstens vorläufigen Einblick in die 
quantitative Zusammensetzung zahlreicher Eiweisskörper 
zu gewinnen. Man zersetzte das Eiweiss zunächst mit 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
_ IJRBANA-CHA MPAIGN 



N T r. 21. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


201 


Salzsäure, veresterte das Zersetzungsprodukt sodann reaktion. Da die höheren Eiweisskörper zu den kollo- 
mit Alkohol und gasförmigem Chlorwasserstoff und idalen, nicht dialysierbaren Stoffen gehören, so ver- 
trennte die erhaltenen Ester durch Destillation ab. Man [ mögen sie eine tierische Membran nicht zu durchdringen, 
fand so als neue Eiweissbausteine vor allem eine dem Es wird also in der Aussenflüssigkeit, die die Membran 
Leucin sehr ähnliche Substanz, das sogenannte Nor- umspült, keine Reaktion mit N'inhydrin eintreten (Blau- 
leucin. fürbung beim Kochen eines Peptons mit Xinhydrin- 

Für die Amidosäuren mit aromatiscliem Kern, wie lösung). Sobald aber der Eiweisskörper eine Zer- 
Tyrosin und Phenylalanin, sowie für Diaminosäuren, wie Setzung, einen Abbau erleidet, entstehen dialysable Pep- 
Lysin, Ornithin, sowie für das Arginin Histidin und tone, die durch den Dialysierschlauch passieren und 
Trvptophan hatte man besondere Abscheidungs- I jetzt mit N’inhydrin eine mehr oder weniger intensive 
methoden mit Phosphorwolframsäure resp. Quecksilber- Blaufärbung geben. 

salzen. Auf einem gänzlich andern Prinzip fusst die von 

In der physiologischen Forschung wurde bald ein Abderhalden viel benutzte optische 
anderes Problem der Eiweisschemie von grösserer He- Methode. Alle Eiweisskörper sind optisch aktive Sub¬ 
deutung; nämlich die analytische Erkennbarkeit einer stanzen d h. sie drehen die Ebene des polarisierten 
wenn auch geringen Abspaltung v o n A m i d o- Lichtes. Aber diese Drehung ist verschieden je nach 
säuren aus einem grösseren Komplex. Ebenso der Natur des Eiweisskörpers. Findet also durch fermen¬ 
wichtig ist der Nachweis, dass sich aus einem höheren tative Zersetzung ein Abbau des Eiweisses statt, so wird 
Eiweisskörper z. B. einem Pepton eine wenn auch ge-. man in einem hinlänglich exakten Polarisationsapparat 
ringe Menge freier Amidogruppen gebildet hat. eine Änderung der optischen Drehung konstatieren 

Nach E. Fischer besteht das Eiweiss ja aus können. Es ist dies wohl eine der exaktesten Methoden, 
zahlreichen Amidosäuren, die polvpeptidartig miteinander den Abbau eines Eiweisskörpers festzustellen, 
verbunden sind z. B. 1 Da es uns hier darum zu tun ist, auf einem sehr 

engen Raum gleichsam programmatisch die Hauptpro¬ 
bleme der modernen Eiweissforschung darzulegen, so 
müssen wir das sehr interessante und praktisch wichtige 
OH. i Gebiet der Eiweissspaltung verlassen und uns kurz dem 

Bei der Einwirkung von eiweissspaltenden Fer-1 synthetischen Gebiet zuwenden. Zw ei Richtungen sind 
menten sowie hydrolysierenden Chemikalien findet eine ; es da, che hauptsächlich von Belang sind: Die che- 
Aufspaltung nach folgendem Schema statt; i nt i s c li e und fermentative Synthese. 

CH, NH,. CO — NH . CI 1 ^ CO -f II. OCH. = NH, CO I Die chemische Synthese sucht vor allem durch die oben 

OH Oll | erwähnte Methode der Polypeptiddarstellung Amido- 

+ NH,CH,CO säuren in möglichst hoher Zahl und von möglichst ver- 

OII. schiedener Zusammensetzung aneinanderzufügen. Auch 

Mit andern Worten: Es hat sich eine freie Amido- sucht sie die Amidosäuren selbst synthetisch zu gewinnen, 
gruppe gebildet. Dies ist für fast alle bekannten Amidosäuren gelungen. 

Auf dem Nachweis dieser freien Amidogruppe be- Eine besondere Schwierigkeit lag darin, dass in der 
ruhen die beiden wichtigsten Methoden zur quantitativen Natur die Amidosäuren nur als optisch aktive Körper 
Verfolgung der Eiweissspaltung : Die S ö r e n s e n’sche j Vorkommen, mit Ausnahme natürlich des Glycocolls, 
Formoltitration und die van Slyk e’sche Methode aber es macht heute keine Mühe mehr, diese optisch 
mit Hilfe von Natriumnitrit. aktiven Formen darzustellen. Indem man nun diese 

Die Sör e nsc n’sche Methode fusst darauf, dass Amidosäuren nach den Methoden der Polypeptid-Synthese 
die Amidosäuren durch die Wirkung der basischen NH, miteinander vereinigt, hat man schrittweise immer mehr 
Gruppe nicht als Säuren titrierbar sind. Wohl aber ist eiweissähnliche Körper erhalten. E. Fischer hat 

dies der Fall, wenn man zu ihrer Lösung vorher For- ein Polypeptid aus 18 Amidosäuren , A b d e r - 

maldebyd hinzusetzt. Der Formaldehyd reagiert dann h a 1 d e n und F o d o raus 19 Amidosäuren dargestellt, 
nach folgender Formel mit der Amidogruppe : Diese Polypeptide geben die Biuretreaktion d. h. Violett- 

CH, NH,. C.O + HCO = CH,. CO + H.ü. j färbung mit Kupfersulfat und Kalilauge, eine Reaktion, 

OH H N . CH, OH die nur höhere Eiweisskörper geben. Auch sonst haben 

Die NH,-Gruppe ist jetzt durch den Formaldehyd , diese Polypeptide bereits zahlreiche Eigenschaften mit 

ihrer basischen Eigenschaften beraubt und die Amido- Peptonen gemeinsam. 

säure wie jede andere Säure titrierbar. Hat man also | Die Synthese derartiger ..Riesenmoleküle“ ist keines- 
v o r dem Zusatz des Formaldehyds auf den Neutral-, wegs eine wissenschaftliche Spielerei. Ihr Wert liegt 
punkt eingestellt, so kann man nach dem Zusatz die daiin, dass man in ihnen dem Eiweiss, speziell den Pep¬ 
vorhandenen Amidosäuren mit grosser Schärfe be- tonen in vieler Hinsicht nahestehende Verbindungen hat, 
stimmen. - deren Zusammensetzung man bis ins Kleinste kennt. 

Diese Methode zählt zu den wichtigsten analytischen ' Es ist dadurch möglich, viele, besonders phvsikalisch- 
I lilfsmitteln der modernen Eiweisschemie. Ebenso wert- I chemische Probleme der Ei Weissforschung mit einer ganz 
voll ist die v. Slyk e'sche Methode. Sie beruht dar- j anderen Bestimmtheit zu bearbeiten, als dies bei den 
auf, dass eine Amidogruppe mit salpetriger Säure zu- ihrer Zusammensetzung nach unbekannten natürlichen 
sammengebracht Stickstoff entwickelt. Produkten der Fall ist. 

CO CH, NH, + HNO, = ILO + CO . CH, OII + N,. Notwendige Vorbedingung ist allerdings, dass im 

OH OH natürlichen Eiweiss in der 'Fat polypeptidartige Ver- 

Den entwickelten Stickstoff fängt man in einem bindungen vorliegen. Dieser Nachweis ist deshalb nicht 
kalibrierten Gefäss auf und berechnet aus seinem Volum leicht, weil bei einer hinreichend kräftigen Aufspaltung, 
die Anzahl der in einem Eiweissgemisch vorhandenen wie sie nötig ist, um zu den niederen, bekannten Poly- 
Amidogruppen. Man kann auf diese Art ganz genau peptiden zu gelangen, leicht eine vollständige Spaltung 
den Fortschritt der Eiweissverdauung, bei der immer ; bis zu den Amidosäuren eintritt. Durch sehr vorsichtige 
mehr freie Amidogruppen auftreten, verfolgen. [ Zersetzung haben E. Fischer und E. A b d e r - 

Auch einige qualitative Eiweissreaktionen für den j h a I d e n trotzdem diesen sehr wichtigen Nachweis 
\ erlauf der Eiweiss- und Polvpeptidspaltuug müssen wir zu führen vermocht und aus der Seide z. B. das Glycyl- 
kurz betrachten : Berühmt geworden ist die Ninhydrin- 1 d-alanin, aus Elastin des 1 -Leucy 1 -d-alanin gewonnen. 

Original from 


Glvcvlglvcin CH, NH .. CO — NH .CII C ° a , u * 2 , M °- 
■ - ” - ‘ OII lekulen 

Glycocoll: CIL NH, .CO 


Digitized by 


Google 


UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









202 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 2! 


Hierdurch erst ist streng wissenschaftlich die Be¬ 
rechtigung erwiesen worden, die Ergebnisse der Poly- 
peptidforschung auf das Eiweiss zu übertragen. 

Langsamer sind die Fortschritte der fermen¬ 
tativen Eiweisssynthese. Sehr viele Ferment¬ 
reaktionen sind sogenannte umkehrbare Reaktionen d. h. 
es wird z. ß. durch eine Peptase, ein eivveissspaltendes 
Ferment, nicht nur Eiweiss gespalten, sondern auch 
unter veränderten Bedingungen aus den Spaltstücken 
wieder Eiweiss zusammengesetzt. B r a i 1 s f o r d 
Robertson sowie Abderhalden konnten 
solche Bedingungen realisieren; da aber nur ganz ge¬ 
ringe Mengen Eiweiss sich gebildet haben, so kommt 
diesen Versuchen vorläufig noch keine besondere Be¬ 
deutung zu. 

Es ist klar, dass derartig umfangreiche Arbeiten, 
wie sie die moderne Eiweissforschung geleistet hat, von 
einschneidender Wirkung auf die Lehre vom Eiweiss¬ 
stoffwechsel sein mussten. Auch hier nur kurz das 
Allernotwendigste. 

Zunächst wurde der Nachweis geführt, dass zur Er¬ 
nährung statt Eiweis ein Gemisch der verschiedenen 
Amidosäuren vollständig ausreichend ist. Damit ist 
nicht gesagt, dass der Abbau im Magendarmkanal auch 
wirklich allemal so weit geht, und die Darmwand keine 
höher zusammengesetzten Verbindungen, Polypeptide 
oder gar Peptone passieren lässt. Wohl aber ist dadurch 
der Nachweis von den hohen synthetischen Eigen¬ 
schaften des Organismus geführt. \ or allem ergibt sich 
von da aus ein ganz anderes Verständnis der so¬ 
genannten arteigenen Substanzen. Die Serologie 
hatte zum ersten Male diesen Begriff schärfer um¬ 
schrieben. Erst durch den Nachweis, dass ein sehr 
weitgehender Abbau des Eiweiss im Magendarmkanal 
stattfindet, wird es jedoch verständlich, w i e der Orga¬ 
nismus es anfängt, aus einem beliebigen Nahrungs- 
eiweiss arteigenes Eiweiss darzustellen. So nämlich, dass 
er zunächst eine weitgehende Zersetzung des Nahrungs- 
eiweisses herbeiführt und dann nachträglich aus dem 
Zersetzungsgemisch sich mit Hilfe seiner Fermente das 
arteigene Eiweiss aufbaut. W. Berg 1 ) hat auch 
morphologisch den Nachweis der Eiweisssynthese aus 
stark abgebautem Eiweiss führen können. Er wies 
nach, dass nach Verfütterung von Erepton d. h. ver¬ 
dautem Eiweiss sich sehr bald in der Leber hungernder 
Kaninchen Eiweissablagerungen morphologisch erkennen 
Hessen. 

Der grosse Wert dieser Lhitersuchungen Hegt 
aber auf einem andern Gebiete. Im Laufe der letzten 
Jahre hat man immer deutlicher erkannt, dass man mit 
den üblichen schematischen Begriffen über die Natur 
der Nahrungsmittel nicht mehr ausreicht. Forschungen 
über Beri-beri, Skorbut sowie andere Krankheiten haben 
ergeben oder wenigstens höchst wahrscheinlich gemacht, 
dass ausser den bisher bekannten Gruppen noch andere 
Stoffe unbekannter Natur notwendig sind, um ein 
dauerndes Gleichgewicht zu erhalten. Für das Eiweiss 
ist aber durch die genauere Kenntnis seiner Zusammen¬ 
setzung klar geworden, dass man das Eiweiss in seiner 
Bedeutung für die Ernährung keineswegs als einen 
Komplex setzen darf, der in allen Fällen der gleiche ist, 
sondern dass man die Zusammensetzung des 
Eiweiss aus den einzelnen Amido¬ 
säuren berücksichtigen muss. Es kann offenbar sehr 
wohl der Fall sein, dass der Organismus hinreichende 
Menge der einen Amidosäure zur Verfügung hat, jedoch 
infolge des Mangels einer andern Komponente nicht 
imstande ist, das fürihtt notwendige Eiweiss aufzubauen. 
Offenbar muss, wenn dies der Fall ist, arteigenes Eiweiss 
das geeignetste Ernährungsmaterial liefern und in der 

*) Biochem. Zeitschr. öl. 428. 1914. 

Digitized by Google 


Tat führen Stoffwechselversuche, die Ch. Wolf 1 ) aus 
geführt hat, zu diesem Ergebnis. 

Neuere Arbeiten Abderhalde n’s greifen die 
Frage in umfassender Weise an. Sie sind in der W eise voll- 
führt worden, dass den Versuchstieren, meistens Ratten, 
ein Gemisch aller nötigen Amidosäuren gegeben wurde, 
jedoch diejenige Amidosäure, deren Einfluss man 
studieren wollte, aus dem Gemisch vorher entfernt wurde. 
Da diese Entfernung technisch häufig grosse Schwierig¬ 
keiten darbot, so sind, wie Abderhalden selbst 
betont, die Versuche nicht immer hinreichend eindeutig. 
Soviel geht jedoch daraus hervor, dass der Organismus 
nicht imstande ist, einzig mit Amidosäuren der alipha¬ 
tischen Reihe auszukommen. Die aromatischen Amido¬ 
säuren, wie Tyrosin und Phenylalanin sind lebensnot¬ 
wendige Substanzen; eine dieser Verbindungen ist 
wenigstens tür die Herstellung des Eiweissmoleküls un¬ 
entbehrlich. Dasselbe ist der Fall für Tryptophan. Für 
andere Amidosäuren, wie Histidin, Lysin, Arginin, lässt 
sich noch kein abschliessendes Urteil fällen. 

Es erübrigt sich, auf die Bedeutung hinzuweisen, 
die derartige Versuche auch für die Pathologie haben 
Sobald durch irgendeine Stoffwechselstörung der nor¬ 
male Verlauf der Ernährung auch nur für eine der 
notwendigen Amidosäuren durchbrochen wird, müssen 
Störungen der mannigfaltigsten Art die Folge sein. Dass 
solche Störungen möglich sind, wissen wir. Beim 
Cystinuriker wird Cystin 

CH,—S -S CH,, beim Alkaptouriker 
CH.NH 2 CH NH, 

CO CO 

Ol I OH 

Ilomogentisinsäure, augenscheinlich durch Störung des 
Stoffwechsels der aromatischen Amidosäuren, ausge¬ 
schieden. Auch Ausscheidung von Diaminoverbindungen 
ist in der Pathalogie bekannt. 

Es ist wahrscheinlich, dass die steigende Erkenntnis 
der Chemie und Physiologie der Eiweiskörper uns noch 
weitere derartige Anomalien auffinden und zu den 
symptomatischen Erscheinungen in Beziehung sitzen 
lässt. Die Anwendung auf die Therapie ergäbe sich 
dann von selbst. 


Oie Geburtenabnahme und der Weltkrieg. 

Von Dr. Heinrich Pudor. 

„Die stetig zunehmende und unter 
den gegenwärtigen Verhältnissen ganz 
naturgemäße Geburtenabnahme be¬ 
droht des deutschen Volkes Zukunft 
mehr als alles jetzige Wüten seiner 
Feinde.“ C. C Eiffe. 

Der Zug der Völker geht von Ost nach West. 
In dieser Richtung erfolgten die grossen Kriegszüge 
des Altertums, in dieser Richtung erfolgte die Völker¬ 
wanderung, in dieser Richtung erfolgt heute der Druck 
von Asien auf Europa — und in dieser Richtung er¬ 
folgt auch die Völkerungsabnahme. Die Frucht 
barkeit der Völker ist am grössten in Ostasien und 
sie nimmt, je weiter man nach Westen fortschreitet, 
desto mehr ab. Im russischen Osten ist sie noch 
so gross, dass Russland sich sogar die Opfer dieses 
Weltkrieges 1914/16 leisten kann — im westlichen 
Frankreich ist sie beinahe auf den Nullpunkt ange¬ 
langt. In Deutschland ist sie, wie bekannt, immerhin 
noch ganz „anständig“, aber wir dürfen uns darüber 
keiner Täuschung hingeben, dass mit jedem Jahr die 
slawische Bevölkerungsgefahr, — wie gesagt trotz der 
Verluste des Krieges — für uns bedrohlicher wird 
und die asiatische Gefahr näher rückt: Schon beginnen 

a ) Biochem. Zeitschr. 03. 58. 1914. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 21. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


203 


die Engländer des Ostens China zu japanisieren und 
zu militarisieren. Und wir dürfen uns auch darüber 
keiner Täuschung hingeben, dass die Verluste, die uns 
der männermordendc Krieg bringt, nicht nur unsere 
augenblickliche Bevölkerungszahl herabsetzen, son 
dem auch der nächst künftigen Bcvölkerungsvcrmeh- 
rung Abbruch tun, selbst dann, wenn es wahr ist, 
dass die Völker nach Kriegen die Tendenz der Bevölke¬ 
rungszunahme zeigen. Die Verluste sind eben doch 
zu beträchtlich. Dazu kommt, dass infolge der Be 
glcitumständc des Krieges wie mangelhafte Ernäh¬ 
rung, die Säuglings- und allgemeine Sterblichkeit 
grösser wird. In London soll die Säuglingssterblich¬ 
keit nach den „Times" im ersten Vierteljahr >915 
50 % höher gewesen sein, als im vorangegangenen 
Jahr. In Deutschland war die Geburtenzahl schon vor 
dem Kriege auf etwa 2S auf das Tausend gesunken ') 
gegenüber 42,6 im Jahre 1S76 und sie dürfte gegen 
wärtig auf etwa 20, wenn nicht noch tiefer, weiter ge¬ 
sunken sein. In Frankreich beträgt die Geburtenzahl 
nach einer Statistik des Pariser „Journal“ nur noch 
den fünften bis sechsten Teil der Geburtshäufigkeit 
vor dem Kriege und war doch damals schon niedrig 
genug. Auffällig und nur als eine Art letzter Selbst¬ 
hilfe der Natur zu erklären ist dabei der stark stei¬ 
gende Geburtenüberschuss der Knaben gegenüber dem 
der Mädchen. 

Nachdem aber Russland durch Gesetz vom 5. Nov. 
1906 die Agrarreform Stolypin-Kriwoschein einge¬ 
leitet hat, ist wie gesagt anzunehmen, dass es einen 
noch so unglücklichen Ausgang dieses Krieges ver¬ 
hältnismässig rasch überstehen wird und wir wollen 
sehr auf der Hut sein, zu glauben, dass die russische 
Gefahr durch das Vorrücken unserer Heere selbst bis 
Kiew und bis zum Peipus auf absehbare Zeit beseitigt 
wäre. Das kommt vor allem auf den Friedensschluss 
an! Aber jedenfalls ist hundertmal zu wiederholen, dass 
die jährliche Quote der russischen Bevölkerungsmeh 
rung in den letzten Jahren bis zu 3 Millionen Men¬ 
schen betragen hat, gegenüber etwas mehr als 0,8 
Millionen in Deutschland, dass die russische Bevölke¬ 
rung seit 1870 sich mehr als verdoppelt hat — sic 
wurde 1870 auf etwa 80 Millionen geschätzt, sic be¬ 
trug nach der Volkszählung von 1896 mehr als 125 
Millionen und sie beträgt heute über 170 Mill. *) — 
dass die schon erwähnte Agrarreform das ganze Land 
einer Neugeburt entgegenführt und dass die sibirische 
Kolonisation zu einer Quelle der Kraft für ganz Russ¬ 
land wird: man rechnet allein für Westsibirien für 
das nächste Jahrzehnt mit einer Bevölkerung von 20 
bis 25 Millionen Menschen. Dabei ist. wie das Verbal 
ten der sibirischen Regimenter im Kriege zeigt, auch 
die „Qualität“ dieser sibirischen Bevölkerung eine vor 
ziiglichc, und wir werden einen Fehler begehen, wenn 
wir uns damit trösten und darauf stützen wollen, dass 
wir an Qualität ersetzen, was wir an Zahl einbüssen. 
So ganz Unrecht hat also Bernhard Shaw nicht, als 
er den europäischen Krieg als den europäischen Selbst 
mord zu Gunsten Russlands bezeichnete. 

Was sollen wir also tun? Die Mittel und Wege, 
die ergriffen werden müssen, sind zahllos und eins 
muss ins andere greifen und von den verschiedensten 


Richtungen aus muss dem gesteckten Ziele nachge¬ 
gangen werden — vom Mutterschutz, Säuglingshygicn ■ 
ois zur Wohnungshygiene, von der Geburtenprämie 
bis zur Junggescllenstcuer, von der allgemeinen Ge¬ 
sundung der Lebensweise und Ertüchtigung der Kräfti¬ 
gung der Gesamtbevölkerung bis zur Entindustriali- 
sicrung und Wiedererrichtung der Bevölkerunggs- 
existenz auf der Grundlage des Landbaues, von der 
Ausrottung des Prostitutionsübels b : s zur sittlich-reli¬ 
giösen, ins Innerste greifenden Wieder- und Neuge¬ 
burt des Volkes! 

Das Steckenpferd der Bevölkerungs-Enthusiasten 
ist bisher immer der Säuglingsschutz und der Mutter¬ 
schutz gewesen und zweifellos sind die Vorschläge, 
die in dieser Richtung z. B. die deutsche Vereinigung 
für Säuglingsschutz und ihr Vorsitzender v. Bchr- 
Pinnow gemacht hat *), sehr beachtenswert. 

Aber die Wurzel des Uebels treffen sie nicht und 
die Quelle des Heilstromes finden sie nicht. Das er¬ 
hellt schon daraus, dass das alte Rom, als es in der 
Lex I’oppaca die Junggesellensteuer und die Geburten¬ 
prämie einführte, dem Untergang trotzalledem ent¬ 
gegenging. Verfasser hat selbst schon vor Jahren, als 
er (im Jahre 1907) die Monatsschrift „Kultur der 
Familie“ herausgab, diese und andere Vorschläge ge¬ 
macht und er hat vor allem darauf hingewiesen, dass 
der Ausgang aller dieser Reformen in einem Wiederauf¬ 
bau und Neuaufbau des Familienideals liegen müsse 
und dass vor allem die Familien, aus denen die Ge¬ 
burten, soweit sic Daseins- und Geschlechteraussich¬ 
ten haben -), hervorgehen, wieder fester gegründet wer¬ 
den müssen. Die Kraft des Staates und Volkes wurzelt 
in der Familie. Die Sicherheit des Bestandes eines 
Staates hängt von der Qualität seiner Familienorgani¬ 
sationen ab. Deutschland ist grösser geworden als 
Frankreich, weil cs einen tieferen Familiensinn und 
demzufolge einen reicheren Kindersegen und folglich 
auch mehr Soldaten hatte als Frankreich, in welchem 
der Malthusianismus die Familien und das Volk zu¬ 
grunde gerichtet hat. Auch England dankt seine bis¬ 
herige Grösse wesentlich dem ausserordentlich ent¬ 
wickelten Familiensinn seiner Bewohner. Und Amerika 
wiederum ist gross geworden, weil es von beiden, vom 
Deutschen und vom Engländer, den Familiensinn er¬ 
erbte. Sonst wäre es längst aus den Fugen gegangen. 
Uebcrall, wo Völker zugrunde gehen, liegt die Ur¬ 
iache in der Zerstörung des Familienlebens, vergleiche 
Spanien, die Länder des Orients, das alte Rom. Auch 
ein Vergleich zwischen dem Familienleben in Russ¬ 
land und demjenigen in Japan ist nach dieser Rich¬ 
tung interessant. Weiter war die ausserordentliche Kul- 
turbiütc des alten Hellas nur möglich, Weil das Familien¬ 
leben in Griechenland heilig war, vergleiche die. Odyssee 
und Ilias, welche beide die grossartigsten Hymnen 
auf die Heiligkeit des Familienlebens sind. Selbst die 
hohe Blüte der italienischen Renaissance basierte nebst¬ 
bei auf einer tiefinnerlichen Erneuerung des Familien¬ 
lebens, wie man an den ewig wertvollen künstlerischen 
Darstellungen des Familienlebens von Malern wie 
Rafael unter dem Namen „Heilige Familie“ siebt. 

Wenn wir aber vorhin sagten, dass die Grösse 
Deutschlands auf die Festigkeit der deutschen Familien 
Organisation, auf der Wahrheit. Echtheit. Innerlichkeit 


') Sie betrug beispielsweise in München 

im Jahre 1 80 ;) 5,7 pro Hundert 

» „ 1900 3,5 „ 

„ „ 1909 2,7 „ „ 1 

„ „ 1911 1,7 „ 

(vergi. Heudelnug, die ehelose und unehelose Fruchtbarkeit mit be¬ 
sonderer Beriicksichiigung Ungarns, München l<ä 9. und üroih und 
Hahn, Säuglingsverhältnissc in Bayern, Zeitschr. d. kgl. Bayr Statist, 
l-andesamts, 1910, Heft 1 ). 

S J Nach dem Russ. Stat. Jahrbuch von 1910 betrug sie im Jahre 
1858 74,6 im J. 125,9 und im J 163,8 Millionen 


Digit ized by 


Google 


M Wir führen die wichtigsten an: 1 Baldiger Erlall eines 
Wohnungsgesetzes. 2 Höhere Besoldung an Verheiratete und be¬ 
sonders an kinderreiche Angestellte. 3 Schwangerenhilfe und Still¬ 
geld 4 Bestrafung der Anpreisung von Verhütungsmitteln. 5. Zwangs¬ 
weise ReichsmuUerschaftsversichermig. 6. Reichsammengesetz. 7. Steuer 
für Unverheiratete und stärkere steuerliche Heranziehung der kinder¬ 
losen Ehepaare. . 

ä ) Es werden nach der Statistik im Deutschen Reiche jährlich 
etwa 180,060 uneheliche Kinder geboren. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 21 . 


204 


und Herzlichkeit des deutschen Familienlebens beruhe, 
so ist auf der anderen Seite nicht zu bezweifeln, dass 
auch an den Eichbaum deutschen Familienlebens die 
Axt gelegt ist, dass viel Unwahrheit, Aeusserlichkeit, 
Falschheit. Lüge sich eingeschlichen hat — statt dass 
dieses Familienleben immer mehr vertieft werde, immer 
mehr gefestigt, immer mehr beinnerlicht werde und 
immer mehr das gesamte Volk umfasse. Der Mal¬ 
thusianismus hat sich schon seit mehr als 25 Jahren 
wie ein Gift in das deutsche Familienleben eingefressen. 
Der immer stärker werdende Existenzkampf hat ihm 
die materiellen Grundlagen genommen. Philosophische 
Wahnsysteme und falsch verstandene oder falsch aus 
gelegte und falsch angewandte sozialistische Systeme 
haben an seinen theoretischen Grundlagen gerüttelt. 
Dazu kam der allgemeine Zug der Oberflächlichkeit 
und Aeusserlichkeit. Die Autorität der Kirche ging 
vielfach verloren, ohne dass etwas Besseres an die 
Stelle treten konnte. Das Schlimmste war vielleicht 
dies, dass die heranwachsenden Geschlechter dem 
Schutze der Familie entrissen und in Schulen unter¬ 
richtet (weniger erzogen) wurden, in denen das Familien 
leben keine oder nur eine ganz untergeordnete Be¬ 
rücksichtigung erfuhr. 

Was heisst das, „Familien-Kultur“ ? Kultur heisst 
auf deutsch Pflege. Also um Pflege der Familie und 
des Familiensinnes handelt es sich. Im weiteren Sinne 
umfasst die Kultur das ganze Gebiet der Gesittung 
und des inneren, geistigen Lebens eines Volkes. Also 
will „Familien-Kultur“ das Familienprinzip in Anwen¬ 
dung bringen auf die Kultur, auf das innere und 
geistige Leben des Volkes und auf seine Gesittung. 
Ja, Kulturprinzip soll geradezu als Familienprinzip ge¬ 
fasst und behandelt werden. Alle wichtigen Kultur¬ 
fragen sollen nach dem Wert, den sie für das Fami¬ 
lienprinzip haben, geprüft werden. Das letztere, als 
der wahre „Rocher de bronce“ (Felsen von Erz) soll 
der Prüfstein der Kultur, zunächst unserer deutschen 
Kultur werden. Prof. Tönnies sagte: „Aller Kultus 
ist ja ursprünglich Haus und Herd-Kultus. Von Haus 
und Herd darf auch der Kultus sich erneuern.“ Das 
Wort Familie ist also in dem Wort Kultur eigentlich 
schon enthalten. Im deutschen Volkscharakter ist der 
Sinn für Familienleben tief ausprägt. „Das grösste 
Werk, das du tun kannst, ist eben dies, dass du dein 
Kind recht erziehest.“ 

Natürlich müssen für einen grösseren Kinderreich¬ 
tum der Familien auch die wirtschaftlichen Bedingun¬ 
gen geschaffen werden. 

Also auf der einen Seite staffelweise Erhöhung der 
Steuern für kinderarme Familien und Junggesellen 
und auf der andern Seite Beamtenbesoldung abge¬ 
stuft nach der Anzahl der Kinder. Hierfür einzutreten 
ist Sache einer nationalen Familienpolitik. Und Fami¬ 
lienpolitik brauchen wir in weit höherem Masse als 
Kolonialpolitik. Unser nationales Blut im Lande zu 
erhalten und so zu pflegen, dass jeder männliche 
Stämmling eine Familie mit sechs Buben gründet, 
deren jeder das gleiche tut, und hierfür die wirtschaft¬ 
lichen und sozialen Bedingungen zu schaffen, das ist 
das Wichtigste, was wir tun können, vom Standpunkt 
unseres Volkes, unseres Vaterlandes und unserer 
Rasse. 

Man wage nur an die Zustände zu denken, die uns 
das grossstädtische Wohnungswesen nach dem Kriege 
bringen wird! Auf der einen Seite unerschwingliche 
Mieten, auf der andern alle Missstände einer unheil¬ 
vollen Gründerperiode, die schon jetzt ihre Schatten 
vorauswirft. Dabei weist der grosse Berliner Verein 
für Kleinwohnungswesen darauf hin, dass die Säug¬ 
lingssterblichkeit in den Mietskasernen, besonders in 
den Seitenflügeln ohne Querlüftung, erschreckend hoch 

Digitized by Google 


sei. Er gibt auch Mittel zur Bekämpfung der Miss¬ 
stände ') an. 

Oder man denke an die schon jetzt jeder ratio¬ 
nellen Bevölkerungspolitik Hohn sprechende amtlich 
geduldete gewerbsmässige Unzucht. Erwähnt sei hier¬ 
bei, dass Verfasser in dem Aufsatz zur Straffreiheit 
der gewerbsmässigen Unzucht in der Zeitschrift „Der 
Gerichtssaal“ (81. Bd. 4.-6. H.) nachdrücklich für die 
Aufhebung jeder Art gewerbsmässiger Prostitution ein 
getreten ist und dass der Sächsische Landesverein für 
Innere Mission in Uebereinstimmung mit dem Deut¬ 
schen Sittlichkeitsverein gefordert hat, dass die ge¬ 
werbsmässige Unzucht als solche mit klaren Worten 
unter Strafe gestellt wird, und dass insbesondere grund¬ 
sätzlich die in der gegenwärtigen Reglementierung 
und Kasernierung liegende amtliche Duldung der Pro¬ 
stitution aufgehoben wird. — Nicht nur das Zeugen und 
Gebären schafft diejenigen Menschen, welche wir für 
diesen Völkerkampf brauchen, sondern vor allem das 
Bilden, Pflegen und Erziehen der Kinder innerhalb 
der Familiengemeinde. Denn nicht allein Körperkraft, 
sondern sittliche Kraft ist notwendig. Die Körperkraft 
stand immer gerade, wenn die Völker vor dem Ruin 
standen, in Gestalt von Athletentum auf der Höhe, wie 
beim alternden Rom. Aber gerade bei den Germanen 
war es immer die Uebereinstimmung der leiblichen 
und sittlichen Kraft und Grösse, die sie hat Grosses 
vollbringen lassen .... 1813 ebenso wie zu alten Zei- 
*en, als sie das Römertum überwanden und ebenso zu 
den Zeiten der Wikinger auf Island, ebenso zur Zeit 
der Blüte der Hansa. Es ist keine Frage: Wir sind 
konstitutionell so weit heruntergekommen, dass wir zu 
sittlichem Ernst unfähig geworden sind. Es 
fehlt rein physiologisch an Rückgrat. Das eigentlich 
Rassenmässige ist bereits in Verfall geraten. Deshalb 
dieses furchtbare, den tiefer Blickenden mit Erschüt¬ 
terung schlagende Komödie-Spielen. Und fast scheint 
es schon zu spät, aufs neue den Versuch zu machen, 
sittliche Grundsätze unserem Volke wie Eisen ins 
Blut giessen. Aber der Versuch soll gemacht werden. 
Vielleicht heisst es auch hier: wenn die Not am gröss¬ 
ten. ist uns Gott am nächsten. Und unser Volk hat sich 
immer erst ermannt, wenn es am tiefsten darniederlag. 

Erfreulicherweise hat die deutsche Staatsregierung 
auf die Resolution des Abgeordnetenhauses in einem 
Nachtragsetat für 1913 kinderreichen Unterbeamten 
und mittleren Beamten mit einem 3000 Mk. nicht über¬ 
steigendem Gehalt in allen Verwaltungen unter Ab¬ 
stufung nach der Zahl der Kinder Teuerungszulagen 
zu gewähren .... beschlossen, dieser Resolution jetzt 
keine Folge zu geben, jedoch in eine eingehende Prü¬ 
fung der Frage der Gewährung von Familienzulagen 
einzutreten, zu welchem Zweck zunächst die Grund 
läge hierfür beschafft wird, die nur eine geeignete 
Statistik geben kann. An und für sich steht man der 
Gewährung von Familienzulagen durchaus sympathisch 
gegenüber, zumal der Rückgang der Geburten jede 
Massnahme als notwendig erscheinen lässt, die dieser 
bedrohlichen Erscheinung Einhalt zu tun geeignet ist. 

In Australien, wo auf 1000 Frauen zwischen 15 
und 50 Jahren 110 Geburten kommen (gegenüber 145 
in Deutschland) ist am 10. Oktober 1912 ein Gesetz 
zur Gewährung von Mutterschaftsprämien in Kraft ge¬ 
treten, welches wie der „Tag“ vom 14. Juni 1913 be 
richtet, bestimmt, dass jede in Australien wohnhafte 


>) 1. Erneute Inangriffnahme der Realkreditfrage. 

2. Erhöhung des bestehenden Wohnungsfürsorgefonds. 

3 Ausdehnung der öffentlichen Hilfe auf die Kleinwohnungy 
fürsorge , 

4. Übernahme der Sicherheiten für Zweite Hypotheken ain 
Kleinwohnungsbauten; seitens der ReichsversicherungsaustaU 
und Landesversicherungsanstalten. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr- 21. 


205 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


F'rau das Recht hat, bei einer staatlichen Kasse den 
Betrag von hundert Mark zu erheben, wenn sie 
einem Kinde das Leben schenkt, welches in 
Australien oder an Bord eines von oder nach 
Australien gehenden Schiffes geboren wird. Kein 
Anrecht auf die Prämie haben Frauen und Mädchen 
asiatischer Abstammung oder der australischen farbi 
gen Arbeiterbevölkerung. Diese Einrichtung ent¬ 
spricht dem neuerdings scharf hervortretenden Bestre¬ 
ben, Australien nur mit Angehörigen der weissen Rasse 
zu bevölkern. Bis i. März 1913 sind bereits 40150 
Gesuche gestellt und 38 704 gewährt worden. Dies 
entspricht einem Prozentsatz von etwa 90 0/0 aller Ge¬ 
burten. 

Nach der Revue Medicale betrug die mittlere 
Lebensdauer in den Ländern Europas im Durch 
schnitt in ganz Europa 39 Jahre. Im einzelnen ergaben 
sicli folgende Altersdurchschnitte: 


Schweden und 

Jahre 

Norwegen 50 

Monate 

"■> 

Dänemark 

48 

2 

I rlancl 

48 

I 

England und 

Schottland 45 

5 

Belgien 

44 

11 

Schweiz 

44 

4 

Holland 

44 

0 

Russland 

45 

7 

Frankreich 

45 

6 

Preussen 

39 

4 

Italien 

39 

2 

Portugal 

36 

0 

Rumänien 

35 

11 

Griechenland 

35 

4 

Oesterreich 

34 

2 

Bulgarien 

35 

7 

Türkei 

35 

5 

Spanien 

32 

4 


Während in Spanien die mittlere Lebensdauer iS 
fahre unter derjenigen in Schweden und Norwegen 
liegt, gibt cs Hundertjährige, Achtzig- und Sechzig- 
jährige in Spanien annähernd so viele wie in Skan¬ 
dinavien. Der Grund soll darin liegen, dass die Kin¬ 
dersterblichkeit in Spanien besonders gross ist. In 
Schweden dagegen werden 89 0/0 aller neugeborenen 
Kinder durch die Mutter oder durch eine Amme ■) er¬ 
nährt (in England 77 0/0 [?], Holland 650/0, in Frank¬ 
reich 61 >/, o/o, Preussen 58‘/ 2 , Italien 57, in Oester¬ 
reich 56, in Spanien 52). 

Also die Kurve der durchschnittlichen Lebens¬ 
dauer entspricht derjenigen der Säuglingsernährung. 
Zufolge der hygienischen Massnahmen ist indessen das 
durchschnittliche Lebensalter der Bevölkerung gestic 
gen .... im Jahrzehnt 1870 bis 1880 lebte ein Deut 
scher durchschnittlich 35,85 Jahre, im Jahrzehnt 1900 
bis 1910 aber 44,82 Jahre, und auf dieser Hinauf¬ 
setzung des durchschnittlichen Lebensalters beruht 
seit 1876 unsere Bevölkerungszunahme, nicht also etwa 
auf der Zunahme der Geburten, wie in Russland und 
Ostasien. 

Aber auch dies alles trifft noch nicht den Punkt, 
an dem zwecks Beseitigung des Geburtenrückganges 
der Hebel angesetzt werden muss: das Volk selbst 
als solches muss wieder an der Scholle angekettet 
werden, es muss sozusagen der Erde und es muss 
dem Lande wiedergegeben werden: Zur Natur, zur 
Mutter Erde und zum Lande müssen wir zurück . . . . 
dort liegen die Quellen der Fruchtbarkeit für Volk und 


■) Schweden hat sich deshalb auch vordem durch besonders 
fruchtbare Ehen ausgezeichnet. Man lese P. Fahlbeck’s Buch über 
den schwedischen Adel, wonach die durchschnittliche Ehe des schwe¬ 
dischen Adels 10—12 Geburten aufwies. 

Digitized by Google 


Völker von Anbeginn bis in alle Ewigkeit. Und des¬ 
halb ist eins der wichtigsten Hilfsmittel zur Bevölke¬ 
rungsvennehrung die Wiederaufhebung der Freizügig 
keit. Kein Zweifel, Deutschland ist in den letzten 
Jahrzehnten in seiner Agrar- und Mittelstandsgesetz¬ 
gebung abwärts geschritten, den Weg entlang, den 
England ihm vorausgegangen ist: mit welchem Erfolge 
zeigt der drohende Untergang, dem England jetzt ent- 
1 gegengeht. Das Schicksal aller Völker, die zur In¬ 
dustrialisierung und Lfeberindustrialisierung und Kapi¬ 
talisierung übergehen und einem flüchtigen glänzenden 
Entwicklungsrausch die Dauer ihrer Existenz zum 
Opfer bringen ! Moltke hat einmal gesagt: das Deutsche 
Reich kann zugrunde gehen, ohne dass ein Schuss 
fällt, nämlich wenn die deutsche Landwirtschaft zu 
gründe geht. Aber auch die ungesunden Erscheinun¬ 
gen der Ueberindustrialisierung und des Grossstadt- 
und Grossindustriestadtwesens können nur dadurch be¬ 
hoben werden, dass das Land und der Landbau und 
die Landwirtschaft sowohl in ihrer volkswirtschaft¬ 
lichen Bedeutung als in ihrer eminenten kulturellen, 
volksorganischen und volkaufbauenden Bedeu¬ 
tung mehr zu Worte kommen. Gerade wir Deutschen 
sind unserer Vergangenheit nach und unserer Volksbe¬ 
schaffenheit nach ein landbauendes Volk, und von 
ganzem Herzen und von ganzer Seele ein Acker 
bauvolk, und unsere Zukunft liegt nicht nur auf 
dem Wasser und nicht in der Luft und nicht 
in der Stadt, sondern auf dem Lande. Aus 
dein Lande und der Landwirtschaft kommt das ge¬ 
sunde Blut, kommt die Nachkommenschaft, kommt der 
Nachwuchs für unser Heer, kommt auch zum grossen 
Teil der Nachwuchs für die Industriearbeiterschaft. 
Und endlich kommt aus dem Lande —- unser täglich 
Brot. Zudem stehen alle unsere Industrien mit dem 
Lande insofern in engstem Zusammenhang, als sie ihr 
Rohmaterial aus dem Lande erhalten, vom Erz bis zu 
den Spinnstoffen. 

Die deutsche Landwirtschaft — zu ihrem höchsten 
Ruhme kann es gesagt werden, hat gerade in den 
letzten Jahrzehnten ihre grossen Aufgaben erfüllt, denn 
sie hat, abgesehen davon, dass sie uns ein starkes Jung¬ 
deutschland, reichlichen Nachwuchs, gesundes Blut 
und gesunde Lebensauffassung geschenkt und erhal¬ 
ten hat, uns ernährt, sie hat bis zu 95 0/0 die deutsche 
Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt. 

Wenn nun in Berlin im Jahre 1907 38,26 °/o der 
ortsanwesenden Bevölkerung zugewandert war, und in 
Hamburg 36,070/0, so hat Ostpreussen von den hier ge¬ 
borenen Menschen 25,67 ®/<> der ortsanwesenden Be¬ 
völkerung abgegeben. Bei dieser Gelegenheit mögen 
auch folgende überaus wichtigen Zahlen angeführt wer¬ 
den: Von allen Stadtgebürtigen Deutschlands waren 
im Jahre 1907 7,54 0/0 auf dem Lande ansässig — 
d. h. fast alle Stadtgeborenen bleiben in den Städten. 
Aber von allen Landgebürtigen gingen 30,49 % in die 
Städte. Also fast ein Drittel des jährlichen Bevölke¬ 
rungswachstums geht dem Lande verloren! Und 'wei¬ 
ter beachte man im Zusammenhang mit der Freizügig¬ 
keit und dem Heimaissinn, dass nur 50,87 % aller 
Ortsanwesenden des Reiches in ihrer Geburtsgemeinde 
ansässig waren: das heisst, die Hälfte wird der Hei¬ 
mat untreu! 

Wenn uns nun aber der Weltkrieg in seinem Frie¬ 
densschluss Neuland im Osten bringen sollte, dann 
kann, ebenso wie das Neuland im Westen die In¬ 
dustrialisierungsgefahr noch vergrössert, die Agrarisie- 
rung unseres Volkes in die Wege geleitet werden, dann 
können die Gefahren der bisherigen industriellen Ent 
vvicklung beseitigt, dann kann der Landhunger unseres 
Volkes, wie er gottlob noch vorhanden ist, gestillt 
werden und der Familienanbau auf der Scholle wird 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 21. 


20(> 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


uns neue Fruchtbarkeit, wird uns jede gewünschte 
Volksvermehrung bringen — auf dem einzigen von der 
Natur gegebenen Wege. Und cs wird mit dem Volke 
sein, wie cs mit dem einzelnen Menschen ist und wie 
es mit dem Riesen Antäus war, der, wenn immer er 
sich schwach fühlte, die Erde berührte und bei ihr 
sich neue Kraft holte: so werden auch Völker neu¬ 
geboren. 

Und das sind alles nichts weniger als Utopien oder 


Phantasien — nur noch eine einzige nüchterne Tat¬ 
sache sei angefühlt: in Ostpreussen ist die Tauglich- 
keitszitler mehr als das Doppelte so hoch als in 
Berlin. Die Frage des Wiederaufbaues der deutschen 
Wehrkraft aber ist für sich allein so notwendig und 
dringend, dass der hier vorgeschlagene Weg der Hei¬ 
lung von der mangelnden Fruchtbarkeit des Volkes 
auch von diesem Gesichtspunkt aus Erfüllung fordert. 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie. 

H e 1 1 y-Würzburg: Pathologische und epidemiologische 
Kriegsbeobachtungen. — (M. m. W.-Sch. 1916, Heft 3. 

Feldärztl. Beil.) 

Bei dem hohen Stand der ärztlichen Wissenschaft der 
Mittelmächte sind epidemische Seuchenausbreitungen glücklich 
vermieden worden. Gleichwohl haben sieh durch das Ab- 
strömeu zahlreicher Fälle von allen Fronten Erfahrungen über 
Infektionskrankheilen ergeben, die im Frieden nicht oder nur 
bei bedeutenden Epidemien zu machen gewesen wären. 

So wurden ungewöhnliche Krankheitsbilder, wie hämorrha¬ 
gische Typhusroseolen, die zur Verwechslung mit Fleckfieber ver¬ 
leiten konnten, beobachtet, ferner das Auftreten grosser, erhabener 
papulöser, Roseolen, möglichenfalls im Zusammenhang mit vorauf- 
gegangener Schutzimpfung entstanden. Abnorme Verhältnisse 
zeigten sich weiterhin in der ausserordentlichen Bösartigkeit der 
Masern im ersten Kriegswinter, die sehr zahlieich mit abszediereuden 
Pneumonien und exitus letalis in der 1. Krankheitswoche kom¬ 
pliziert waren. Es handelte sich um Bosniaken, in dereu Heimat 
Masern selten sind, und die deshalb von Haus aus der immu¬ 
nisatorischen Wirkung entbehren. — Das gewöhnlich als un- 
charakteristisch angegebene Obduktionsbild des Tetanus liess 
Hirn- uml Meningealödem ersehen, rote Hepatisation beider 
Unterlappen, Muskelzerreissungen im Oberschenkel und Zwerch¬ 
fell mit Hämorrhagien, Erscheinungen, welche indes fehlten, 
sobald der Tetauus durch schwere septische Prozesse vou der 
Wunde aus kompliziert war — Verf. schildert noch eine länd¬ 
liche Choleraepidemie, verursacht durch eineu Urlauber, wobei die 
Übertragung der Vibrionen vom Brunneu des einen Gehöftes 
durch einen Abzweigkanal ins Nnchbargehöft stattfand. Im 
Abzweigkanal wurde Wäsche gereinigt — Die Wiedergabe von 
3 Blatternautopsien bildet den Schluss der interessanten kurzen 
Hinweise auf die Eigenart und Neuigkeit mancher unserer dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen des Krieges. 

V iern stein - Kaisheim. 


Bakteriologie und Serologie. 

Adle r: Der diagnostische Wert der Gonokokkcnvukzine. 
— (Mcb. rn. W.-Sch. 1916, Heft 3.) 

Für die praktisch so wichtige Frage der Dauerausheilung 
der Gonorrhoe ist der Nachweis der Gonokokken im Ausfluss, 
in Flocken, im Harn oder Prostatasekret bezw. das Fehlen von 
Gonokokken von ausschlaggebender Bedeutung. Eine lediglich 
mikroskopische oder selbst urethroskopisehe Untersuchung des Ge¬ 
heilten erweist sich dabei aber als unzuverlässig Deshalb hat Verf. 
hei einigen Hunderten ,.geheilter“ Gonorrhoiker Gonokokkenvak¬ 
zine, „Gonargin“, intramuskulär in die Glutäen eingespritzt, u. zw. 
in der hohen „diagnostischen“ Dosis von 50 — ICO Millionen 
ahgetöteter Keime (Diedosis therapeutica ist sehr viel niedriger!) 
Nach dieser „provokatorischen Vakzine-Injektion“ sah Verf. oft 
noch Gonokokken in deu Sekreten wieder auftrete n, 
deren Nachweis uaturgemäss mikroskopisch geführt wurde. Es 
erschien nur beachtenswert, dass es sich vielfach um Degene- 
rationsformen von Gonokokken handelte, um gequollene, kugelige. 


oder kleinere, geschrumpfte Eli mente, die vom Normaltyp auch 
durch ihre meist extrazelluläre l.age abwichen. Der vor der 
Vakzine-Injektion schon völlig ausgehliebene Ausfluss trat viel¬ 
fach reichlich und eitrig durch die Vakzination wieder auf. 
Aber selbst wenn er in einzelnen Fällen ausblieb, liess 
infolge der Injektion die uretbroskopieche Untersuchung 
dennoch verdächtige, gerötete Stellen der Harnröhrenschleim- 
haut erkennen, die die Anwesenheit von Gonokokken verrieten. 
Die Gonokokken pflegten nach der Einspritzung in 1—9 
Tagen zu erscheinen. 

Verf. weist wiederholt auf die Wichtigkeit der beschriebenen 
Degenerationsformen von Gonokokken für die Diagnose der 
Gonorrhoe bin. V i e r n s t e i n-Kaisheim 


Innere Medizin. 

S t r a s s e r, Alois (Wien): Zar Diagnose des Flecktyphus. 
(Ztschr. f. physik u. diät. Therapie XIX 1915. 11. Heft 
S. 321—326.)' 

Str. zeigten einem erkrankten Arzt, bei welchem zwei hervor¬ 
ragende Kliniker die Diagnose: Flecktyphus abgewiesen hatten, 
wie schwierig u. U. die Erkennung dieser Krankheit ist. Die 
sichere Infektionsquelle (ein Konzentrationslager), die Inkuba¬ 
tionszeit, das ausgedehnte Exanthem mit petechialer Umwand¬ 
lung, das Fehlen der Darinsymptome, die grnu belegte Zunge, 
der rapide Verfall der Herzkraft, die quälende Schlaflosigkeit 
mit Delirien Hessen den Verf. an seiner Diagnose festhalten. 

Eine gleichzeitige Spiralfraktur des Tibia erschwerte das 
Krankenlager und die Behandlung. Buttersack. 

F 1 e i n e r - Heidelb , Prof.: Situs vlsccrum inversus mit 
Eventralion des reehtsgelagerten Magens und Stainingsektasie der 
Speiseröhre. — (Mchn m Weh-Sch. 1916, Heft 1) 

Fall von regelmässigem Erbrechen von Jugend auf bei 
einer 27 jährigen verheirateten, und einmal regelrecht gravid 
gewesenen Dame, bei der wegen Diagnose auf Sanduhrmagen 
die Gastro-Enterostomie angeraten worden war. 

Die klinische und genaue röntgenologische Untersuchung 
ergab, dass die rechte Zwerchfellkuppe abnorm hoch stand bei 
normaler Lage der Brustorgane, während der ganze Magen 
nach rechts und oben in den freien Kaum der Kuppe gerückt 
war. Die durch diese Aufwärtsschiebung und Rechlsverlagerung 
zu lang gewordene Speiseröhre knickte seitlich ab und buchtete 
sich sackartig aus, so dass in Wirklichkeit bloss Speiseröhren¬ 
erbrechen aus dem Blind sack bestand, während erst der Über¬ 
lauf des Genossenen aus dem Sacke in den Magen gelangte 
Letzterer liess im Gegensatz zur ursprünglichen Annahme keine 
motorische Insuffizienz erkennen. Der Dickdaim war ganz 
nach links verlagert. 

Fleiner, der den Zustand primär als eine Entwicklungs¬ 
hemmung der rechten Lunge auflasst mit konsekutiver Raum- 
ausnutzung in der Bauchhöhle, riet vou Operation ab, da 
motorische Insuffizienz in keiner Weise vorliege, und hielt 
Spülungen des Speiseröhrenektasie für ausreichend, um sauere 
Gärung des dort stagnierenden Inhalts zu verhindern, und 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 21. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 207 


damit das saure Erbrechen zu bekämpfen bezw. auf ein Mindest¬ 
mass zu beschränken. 

Instruktive Röntgenbilder sind der Arbeit beigegeben. 

Vi ernstein - Kaisheim. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Hohmanu, F. Lange und S c h e d e - München: 
Krleesorthopädie in der Heimat. 

Im ärztlichen Verein-München gehaltene Vorträge. Hoh- 
mann betont die Wichtigkeit der Abduktionlagerung der betr. 
Extremität auf längere Dauer, wenn es sich um Beschädigungen 
des Humeruskopfes handelt Hierdurch kommt es zur beab¬ 
sichtigten Deltoideus- und Gelenkkapselverkürzung, Schlotter¬ 
gelenksbildung wird verhütet und es wird aktive Bewegung 
des Armes bis zur Horizontalen erreichbar. 

In einem Fall von Schussfraktur des Schenkelhalses, die 
durch Gips- und Extensionsverbände nicht zur Konsolidation 
zu bringen war, erzielte H. durch Nagelung des Schenkelhalses! 
mit einem vernickelten Stahlnagel von 8 cm Länge in Ab¬ 
duktion- und Innenrotationstellung das Resultat. 

Schede stellt Schussfrakturen vor, bei denen es ihm 
gelang durch Infraktion eine erhebliche Verminderung der 
Verkürzung zu erhalten. Für Infraktion sind nur Fälle ge¬ 
eignet. bei denen die Verkürzung in erster Linie auf allzu 
wiukliger Frngmentstellung basiert. Zu achten ist dabei auf 
tadellose Fixation des proximalen Fragmentes, wahrend die In¬ 
fraktionsbewegung das distale Fragment abduziert. Die Neu- 
stelluug wird durch Gipsfixation sicher gestellt. 

Bei grossen, frischen Knochendefekten rät Sch., zunächst, 
wenn irgend möglich, von der Ausräumung der Knochensplitter 
abzustehen, da ihm die lebendigen Knochensplitter als Inseln 
im Knocheudefekt erscheinen, von denen der periostalcallöse 
Zusammenschluss des Defektes nur begünstigt wird. 

Lange zeigt eineu Fall, wo es gelang, eine 0,5 cm 
betragende Verkürzung des Femurs durch Z-förmige, paracallöse 
Usteotomie auf 1,5 cm zu reduzieren. Die durch die Z-förmige 
Durchtrennung ermöglichte Verlängerung wurde in stark 
extendiertem Gipsverband zur Konsolidation gebracht. 

Bei einer einfachen Schenkelhalsfraktur wurde nach mehr¬ 
maligen vergeblichen Versuchen unter Kontrolle des Röntgen¬ 
schirmes eine Verhakung der Fragmente erreicht, die eine Ver¬ 
meidung der coxa-vara-Bildung resultieren liess. 

F. R. M ü h 1 h a u s-München. 

G. Hohmaiui, F. Lange und F. Schede in 
München: Kriegsorthopädie in der Heimat. Fortsetzung. 

Schede bespricht orthopädische Apparate, wobei er zuerst 
<lie Wichtigkeit der individuellen Plattfusseinlagen betont. Die 
Verwendung von Einlagen ist nicht nur bei ausgesprochenem 
Plattfuss angezeigt, sondern überhaupt bei allen Schmerzen, die 
infolge Belastung des Fusses auftreten. 

Bei Spitzfussstellung nach Ischiadicus- oder Perouaeusver- 
letzung gilt unser Hauptaugenmerk der Verhütung des Über¬ 
ganges dieses schlaffen Spitzfusses in das Stadium des kontrakten 
Spitzfusees, wie wir ihn bei Verkürzung der Achillessehne und 
Wadenschussverletzung erleben. Da in diesem Stadium die 
Dorsalflexion des Fusses behindert ist, die Belastungsmomente 
des Fussgewölbes in andere Richtungen treten, so wird einer¬ 
seits der Gang hinkend, andererseits treten pathologische Ver¬ 
änderungen an den Metatarsal-Köpfchen in Form einer Periostitis 
auf. Daher muss der Spitzfuss dauernd in Dorsalflexion ge¬ 
halten werden sowohl im Bett, als auch bei ambulanten Patienten 
durch Schienen nach Schede und Lange und durch 
endgültige Schienenschuhe. 

Gehapparate zur Fixierung und Entlastung des Beines 
finden Anwendung bei schlecht und langsam konsolidierenden 
Frakturen bei Gelenkentzündungen, bei Belastungsdeformitäten 
und bei Lähmungen nach Verletzung der Wirbelsäule. 

Lange weist bei der Besprechung von Prothesen auf die 
Notwendigkeit hin, den Bau der Prothesen nicht, wie es in 
Friedensräten üblich war, ausschliesslich den Bandagisten zu 
überlassen, sondern fordert zu diesem wichtigen Kapitel aktive 
Mitarbeit der Ärzte. F. R. M ü h 1 h a u s-München. 


F. D e r g a n z-Laibach: Beitrag zur Peritonitistherapie. 

Die Ätherauswaschungsmethode der perionitisch erkrankten 
Bauchhöhle, die auf den Franzosen S o u 1 i g o u x zurück¬ 
führt, ist auch für Verf der Beschluss iu der chirurgischen 
Versorgung der Bauchhöhle durch Eingiessen von 50—200 
Äth. sulf. pur. Da das Gefässsystera der Haut und des Ge¬ 
hirnes als ektodermale Gebilde im antagonistischen Gleichgewicht 
zum Gefässsystem des entodermal entstehenden Intestinaltraktus 
steht, wird der durch die Entzündungsreizungen der Bauchhöhle 
gestörteGefässgleichgewichtszustand wiederhergestellt durch Äther¬ 
reizung der gelähmten Vasokonstriktoren des Darmes. Bald ein¬ 
setzende Rötung des Gesichtes und Belebung des Sensoriuras sind 
die markanten Zeichen für verstärkten Füllungszustand des Gefäss- 
systems der Haut und des Gehirnes. 

Der nach den Ätherwaschungen beobachtete und bei der 
Norm verweilende Temperaturabfall, der auch bei Fällen 
stärkster pathologischer Veränderungen manifestierte, bedarf 
noch der theoretischen Klärung. 

D. hat auch bei Fällen primärer Synovitis serosa oder 
purulenta mit der Ätherwascbuug gute Erfolge gesehen. 

Zu beachten ist, dass bei äthergewaschenen Patienten 
Narkotika in der weiteren Behandlung auszuschliessen sind, 
da der durch starke Ätherapplikation für Narkotika hyper- 
sensibilisierte Körper durch die zu intensive Wirkung der 
Narkotika (Morphin) geschädigt werden könnte. 

Gleichwohl die theoretische Seite der Ätherwaschmethode 
noch der weiteren Klärung bedarf, steht Verf. geschützt durch 
zahlreiche brillante Erfolge nicht davon ab, diese Methode 
wärmstens zu empfehlen. 

F. R. Mühlhaus - München. 

P. J a n s s e n - Düsseldorf: Die abschliessende Sequestro- 
tomie nach Scbussfraktur. 

Das für die in Heiniatlazarett cn chirurgisch tätigen 
Arzte so wichtige Kapitel der chronischen Knochenfisteln 
nach Schussfraktur bespricht J. in klarer, überzeugender Weise. 
Immer zahlreicher werden die Bilder der dauernd sezernierenden 
Fisteln, die eine Unmenge Verbandstoff erfordern, die Pat. 
sichtlich herunterbringen und oft die so notwendige medico- 
mechanische Nachbehandlung immer weiter hinausschichen. 

Diesem Zustand vermag nur die wirklich gründliche 
operative Revision der WundverhältnisBe ein endgültiges Ende 
bereiten. Der Fremdkörper — und stets handelt es sich um 
Fremdkörper, die die Eiterung unterhalten — müssen entfernt 
werden, da die spontane Abstossung der Sequester, Geschoss- 
Splitter oder Kleiderfetzen auf mechanische Hindernisse stösst. 

Durch Röntgenaufnahmen in verschiedenen Ebenen erhält 
man ein klares Bild der Knochen Verhältnisse in bezug auf den 
Fremdkörper. Gute Unterstützung hierin findet man durch 
Injektion in die Fistel von Wismut-Paraffin. Bei der Operation 
erweist sich als brauchbare Wegleitung zur Sequesterhöhle eine 
Injektion von konzentrierter steriler Methylenblaulösung. Ein 
unbedingtes Erfordernis ist es, ausgiebig zu operieren durch 
Schnittführung weit ins Gesunde. So nur schafft man den 
nötigen Überblick, so nur ist aus dem Gesunden heraus 
Orientierung im veränderten Krankheitsgewebe möglich, nur 
so wird der Knochen breit und rinnenförmig unter Periost¬ 
schonung aufgemeisselt und der Sequester zum ,,Hernusfallen“ 
freigemacht. Jede Naht ist zu meiden. Lockere Tamponade 
und Ausgiessen der Operationswunde mit K n o 1 l’s granu¬ 
lierendem Wundöl wird ein Ausfüllen der Wunde mit ge¬ 
sunden Granulationen von unten herauf bewirken. 

Die zeitliche Indikation zur radikalen, abschliessenden 
Sequeslrotomie richtet sich nur nnch der kallösen Festigung 
der Fraktur, worüber das Studium der Röntgenplatte Auf¬ 
schluss gibt. 

Die Scheu vor der breiten Freilegung des Eiterherdes 
muss überwunden werden. Lediglich Narbenölfnung und Aus¬ 
kratzen mit dem Löffel wird nicht zum Aufhören der Sekretion 
aus der Fistel führen. Die breite, radikale Sequestrotomie 
wird Arzt und Pat. viel Mühe und Verdruss ersparen. 

F. R. M ü h 1 h a u s-München. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



208 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 21. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Rot hacke r-Jena: Einige Fälle von Hypertliyreoidls- 
inus, darunter 3 von akutem Basedow bei Kriegsteilnehmern, 
zur Stütze der neurogenen Entstehung dieser Krankheit. — 
(M. m. W.-Sch. 1916, Heft 3, Feldärztl. Beil.) 

Schilderung von 6 Basedow-Fällen, die auf nervöser 
Grundlage akut entstanden, und nach Wegfall des nerven¬ 
erregenden Momentes ausheilten, darunter 3 Militärpersonen. 
Ursachen waren: psychische Erregung familiärer Natur, Über¬ 
arbeitung beim Studium, Aufregungen durch Trommelfeuer, im 
Schützengraben, bei langdauernder Artilleriebeschiessung. 

Durch die dargelegten Fälle erhielt die „neurogene“ 
Theorie Oswalds von der Entstehung des Basedow eine 
neue Stütze. Oswald behauptet im Gegensatz zu den Ver¬ 
tretern der „thyreogenen“ Richtung, deren Haupt Möbius 
ist, und die erst jüngst durch Abderhaldens Fermeut- 
nachweise gefestigt worden zu sein scheint, dass für die Ent¬ 
stehung von Basedow ausser der Schilddrüsenhypersekretion 
immer eine nervöse Disposition in Form eines irgendwie ge¬ 
schädigten Nervensystems vorhanden sein müsse: Das Primäre 
sei stets ein durch irgendwelche extrathyeroidal gelegene Ursache 
gesgbädigtes Nervensystem; erst sekundär komme durch die Ein¬ 
wirkung des Schilddrüsensekretes die Struma zustande. Die 
Schilddrüse erfahre ihre Impulse vom Nervensystem, sie sei in 
dieses „eingeschaltet“ und wirke sozusagen als Multiplikator, 
indem sie ein das Nervensystem ansprechendes Produkt 
liefere. 

Vergl. hierzu Oswalds Arbeit in Mch. m W.-Sch. 1915, 
Heft 27! Viernstein - Kaisheim. 

Sauer- München: Enuresl« und Hypnose im Felde. — 
(Mch. m. W.-Sch. 1916, Heft 3, Feldärztl. Beil) 

Yerf. hält die Enuresis, welche im Felde als nocturna, 
wie auch — seltener — diurna vorkommt, für eine Neurose, 
u. zw. hysterische oder neuraetherische Erscheinung, die viel¬ 
fach vererbt ist, manchmal seit früher Jugeud besteht, manch¬ 
mal erst im Felde plötzlich (Explosion einer Granate!) auftritt. 
Die Annahme eines urologischen Leidens ist nicht gerecht¬ 
rechtfertigt. 

Die Hypnose gibt als einzige Behandlungsmethode günstige 
Erfolge schon in 1—3 Sitzungen. Dabei wird von anderen 
Massnahmen, insbes. ivon Dienstbefreiung, selbst von der Be¬ 
schränkung der Getränkezufuhr, völlig abgesehen. Die hypnotische 
Behandlung ist ganz unbedenklich und sollte im Felde aus¬ 
gedehnt geübt werden, wofür in allen Formationen gewiss geübte 
Ärzte ausreichend vorhanden wären. Hartnäckigere Fälle jedoch 
wären hinter der Front in Lazaretten einer tiefergehenden psycho¬ 
therapeutischen Behandlung zu unterwerfen. — 

(Referent verfügt aus eigener Tätigkeit in letzter Zeit über 
einen Enuresis-Fall bei einem schwer psychopathischen Straf-, 
gefangenen, der nach einer unerheblichen Kontusion in der 
Gegend des Perineums ohne jede nachweisbare anatomische, 
organische Erkrankung bezw. Verletzung Enuretiker wurde, 
wobei im Lazarett die Erscheinungen unter psychischer Beein¬ 
flussung rasch in 1—2 Tagen vollständig verschwanden, 
um jedoch bei Rückkehr des Mannes zur alten Arbeit (Land¬ 
wirtschaft) sofort wiederzukommen. Simulation ist ausge¬ 
schlossen.) Viernstein - Kaisheim. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Rascher: Atropin bei Eklampsia infantum. -— (Mchn. 
m. W.-Sch. 1916, Heft 1.) 

Verf. injizierte bei einem Mädchen mit hochgradigem 
eklamptischen Anfall während dessen Dauer 0,0001 Atropin- 
sulf., indem er rasch den Inhalt einer Ampulle von 0,001 Ge¬ 
halt mit 9 ccm gekochten Wassers mischte, und hiervon eine 
Pravazspritze voll aufsaugte: Prompter Erfolg! 

Verf. regt weitere Versuche an und verweist auf die an 
gleicher Stelle veröffentlichten Erfahrungen Bösl’s mit 
Methylatropin bromat. (Mch. m. W.-Sch. 1907, Heft 37). 
Letzteres sei wegen relativer Ungiftigkeit bei Kindern zu be¬ 
vorzugen. Viernstein - Kaisheim. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

Nadel, Valy,: Lichtbehandlung schwerer Phlegmonen. 
(Ztschr. f. phvsik. u. diät. Therapie XIX. 1915. 11. Heft 

S. 332—-342.) 

Bestrahlungen mit elektrischem Blaulicht (5—6 Blau¬ 
lampen, bis zu 4 Stunden) brachte derbe, fortschreitende Phleg¬ 
monen zum Stehen und zur Erweichung, so dass man mit 
kleinen Einschnitten zur Entleerung der Verflüssigungen aus¬ 
kam. Sequester stiessen sich rascher ab, schlecht heilende 
Wunden reinigten sich und begannen, gut zu granulieren. 

Nebenwirkungen traten nicht auf. 

Die auf 14 Krankengeschichten basierte Arbeit bestätigt 
damit schon mehrfach Mitgeteiltes. Wenn einmal die Hände 
der Chirurgen nicht bloss das Messer fuhren, sonderu auch 
die strahlenden Energien verwenden, wird die Chirurgie der 
Zukunft ein wesentlich anderes Aussehen annehmen. 

Buttersack. 

A r n o 1 d-Leipzig: Über Blutveränderungen bei der 
Tiefenbestrnhluug maligner Tumoren. (Münch, m. Wochenschrift 
1916, Nr. 5.) 

Die am hämatopoetischen Apparat im Tierexperiment be¬ 
obachteten Vorgänge, dass schon nach wenig energischer Rönt¬ 
genbestrahlung Kernzerfall, bindegewebige Entartung des 
lymphoiden Gewebes und Untergang der Zellen der Milzpulpa 
und des Knochenmarkes auftritt, liaben des weiteren spezifisch¬ 
analysierte Veränderungen im Blutstrom konstatieren lassen 
derart, dass unmittelbar nach der Bestrahlung eine polynukleäre 
Leukozytose einsetzt, während die Lymphozyten eine mehr oder 
weniger intensive Verringerung anzeigen. Nach Ablauf einiger 
Tage zeigt eine Blutbestimmung wieder normale Zahlenwerte. 
Da u. a. W ö h 1 e r auch beim Menschen schon nach Be¬ 
strahlung von l'/j—3 Minuten Dauer regelmässig einsetzende 
Hyperleukozytose sah. so wurde es natürlich, dass die Kenntnis 
dieser Blutbestandteilsänderung neben rein theoretischem Interesse 
zur praktisch-angewandten Bedeutung kam 

So schildert Verf, dass am Krankenhaus Skt. Georg-Leipzig 
auf Veranlassung von Lä w e n bei der Bestrahlung maligner 
Tumoren regelmässig die Blutveränderung festgestellt wurde. 

Die Geschwülste — operabele wie inoperabele Fälle — 
wurden freigelegt und nach Exzisiou oder bestmöglichster Ent¬ 
fernung der Geschwulstmassen direkt unter Oöenlassen dev 
Operationswunde 1—2 Stunden bestrahlt, um einerseits einen 
hohen Nutzeffekt der applizierten Strahlendosis zu erhalten, 
andererseits um zu verhüten, dass grössere Mengen der Abbau¬ 
produkte des bestrahlten Tumors resorbiert werden können. 
Die Leukozytenzahl wurde vor und nach der Operationsbe¬ 
strahlung bestimmt, desgleichen bei den späteren perkutanen 
Nachbestrahlungen. 

Dabei ergab sich, dass nach den ersten Bestrahlungen die 
Leukozytenwerte gewaltig anschnellten (in einigen Fällen um das 
3 — 4 fache wie vor der Betralilung), die neutrophilen Leukozyten 
dagegen massig anstiegen und Myelozyten, die an sich schon 
sehr häufig als pathologische Bestandteile im Blutstrom kar- 
zinomatöser Fälle zirkulieren, stärkeren Anstieg dokumentierte« 
Nach mehreren Bestrahlungen (7—8) zeigen auch die Leuko¬ 
zyten merkliche Tendenz zum Abfall unter die Norm, was 
Verf. auf eine Schädigung resp. Erschöpfung des leukopoetischen 
Apparates durch Röntgenstrahlen zurückführt. 

Daraus ergab sich für Verf. der Grundsatz, nicht zu be¬ 
strahlen, wenndie Leukozyten unter 4000 zählen, sondern erst? 
durch Interponiereu einiger Ruhetage normale Zahlenwerte ab¬ 
zuwarten. 

Umgekehrte Erscheinungen, dass nach Bestrahlung statt 
Hyperleukozytose Hypoleukozutose einsetzt, finden ihre Er¬ 
klärung in Schädigung des lymphatisch-myeloischen Systems 
durch die im Tumor gebildeten Toxiue oder durch Zerfalls¬ 
elemente. 

Für die praktische, energische Tiefenbestrahluug resultiert 
aus den Darlegungen Arnolds, vor und nach Bestrahlung 
sowohl Leukozyten, als auch Myelozyteu und Lymphozyten 
zahlenmässig zu kontrollieren, um hierdurch vor Spätschädigungen 
durch Röntgenstrahlen bewahrt zu bleiben. 

F. R. M ü h 1 h a u s - München. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




33. Jahrgang 


1915/16. 


fomcbrim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg. 


Unter Mitwirkung hervorragender Tathmänner 


Iterausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M Darmstadt 


C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 22 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zuni Preise von 8 Mk. für das Halbjahr jj 
Verlag Johndorff & Co., 0. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenanuahme durch 10. Mai. 
Qetsdorf & Co., O. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Lieber die Behandlung der umschriebenen 
Ausfallssymptome bei den Schußverletzungen 
des Gehirnes. 

Von Prof. Kurt Goldstein Frankfurt a./M. 

Die Behandlung der Schussverletzungen des Schä¬ 
dels und des Gehirnes gehört zu den schwierigsten 
Aufgaben, vor die der Krieg uns Aerzte gestellt hat. 
Hat es der Chirurg vorwiegend mit der Behandlung 
der Verletzung selbst und ihrer direkten Folgen, der 
Gefahren, die in der Infektion, in der Knochenlücke 
usw. liegen, zu tun, so interessieren den Neurologen, 
der ja die Verletzten gewöhnlich erst zu sehen bekommt, 
wenn die chirurgische Behandlung im wesentlichen ab 
geschlossen ist, die Funktionsstörungen, die durch Zer 
Störung des Hirngewebes bedingt sind. Mit ihrer Be¬ 
handlung möchte ich mich hier etwas näher beschäfti 
gen. Auch hierbei möchte ich mich auf die Bespre¬ 
chung der Behandlung der umschriebenen 
Ausfallserscheinungen beschränken, wie sie 
durch den umschriebenen Hirndefekt bedingt sind. 
Nicht, als ob ich die Behandlung der allgemeinen zere¬ 
bralen Funktionsstörungen für weniger bedeutungsvoll 
hielte — im Gegenteil, sie erscheint mir besonders 
wichtig und deshalb einer eingehenden Erörterung be 
dürftig. Das würde aber über den Rahmen dieses 
kleinen Aufsatzes hinausgehen, in dem ich — einer 
freundlichen Aufforderung der Schriftleitung der ,,Fort¬ 
schritte“ gern folgend — vor allem die Behandlung 
der lokalisierten Störungen besprechen möchte. Ich 
werde an den Allgemeinerscheinungen allerdings nicht 
ganz vorübergehen können, weil sie, wie wir sehen 
werden, sich auch bei den Verletzten mit umschriebe¬ 
nen Störungen oft mehr oder weniger ausgesprochen 
finden. 

Die Zahl der Verletzten mit umschriebenen Aus 
fallserscheinungen ist in diesem Kriege eine ausser¬ 
ordentlich grosse. Die enorme Durchschlagskraft der 
Geschosse lässt diese oft durch den Schädel und d is 
Gehirn hindurchgehen und umschriebene Defekte an 
ihnen erzeugen, ohne das Gehirn in seiner Gesamtheit 
schwer zu schädigen. Als Effekt hiervon treten die ver¬ 
schiedensten umschriebenen Ausfälle auf wie: einfache 
Lähmung, Apraxie, Aphasie, Anarthrie, Anästhesie, 
Alexie, Agraphie, Agnosie verschiedener Art, Seelen 
blindheit, Tastlähmung, umschriebene Störungen des 
Gedächtnisses, besonders der Merkfilhigkeil, Störungen 
der Willensregungen, der Aufmerksamkeit usw. Es ist 
wohl keine Frage, dass all diese Störungen, wenn sie 
bestehen bleiben, geeignet sind, den Verletzten in 


schwerster Weise für sein ganzes Leben zu schädigen 
und ihn ähnlich wie ein körperlicher Defekt, ja noch 
mehr wie ein solcher, zu einem Krüppel machen. So 
wird ein Kranker mit einer Aphasie in den meisten 
Fällen seinem Berufe nicht mehr nachgehen können, 
ja fast zu jedem Berufe unfähig sein. Das gleiche gilt 
von dem Ausfall der geübten Bewegungen, wie wir ihn 
bei Apraktischen finden, von der Tastlähmung, von 
den Störungen der Merkfähigkeit, der Willensregung 
usw. 

Was sollen wir nun gegen diese umschriebenen 
Störungen tun? Sollen wir sic der Heilkraft der Natur 
überlassen, und einfach abwarten, ob eine Wieder¬ 
kehr der Funktion eintritt oder nicht? Es ist keine 
Frage, dass ein Teil der Störungen schon nach kurzer 
Zeit sich von selbst bessert. Aber dies ist keineswegs 
immer der Fall; ja, cs bleibt eine recht grosse Zahl von 
Verletzten zurück, bei denen die Ausfälle von selbst 
gar nicht oder sehr unvollkommen und erst nach sehr 
langer Zeit zurückgehen. Sollen und können wir hier 
nicht in irgend einer Weise unterstützend eingreifen? 
Wir können es durch eine geeignete Ucbungs- 
behandln n g. Es wird davon meistens abgesehen, 
weil die Aerzte dem Erfolg einer solchen pessimistisch 
gegenüberstehen. Sie sehen einerseits in der An- 
j strengung, die die Uebungsbehandlung mit sich bringt, 
eine Gefahr für die Verletzten, sie sagen sich anderer¬ 
seits, was gut wird, wird auch von selbst gut und ein 
wirklicher Erfolg von der Uebungsbehandlung sei 
kaum zu erwarten. Beide Argumente sind nicht stich¬ 
haltig. Die Gefahr einer Uebcranstrengung lässt sich 
durch eine zweckmässige Gestaltung der Uebungsbe¬ 
handlung sehr wohl vermeiden. Wenn man im beson¬ 
deren auf den psychischen und körperlichen Allgemein¬ 
zustand weitgehende Rücksicht nimmt — was eigent¬ 
lich selbstverständlich ist — so besteht diese Gefahr 
überhaupt kaum. Was das zweite Argument betrifft, 
so beruft man sich gewöhnlich auf die allerdings recht 
dürftigen Erfolge der Uebungsbehandlung bei ähn¬ 
lichen Zuständen aus der Friedenspraxis. Nun ist auch 
hier dieser Standpunkt meiner Meinung nach nicht 
gerechtfertigt. Setzt man die allerdings sehr viel Zeit 
und Geduld erfordernde Behandlung nur lange genug 
fort, so erreicht man auch hier viel mehr als allgemein 
angenommen wird.') Andererseits liegen hier die Aus¬ 
sichten für eine Besserung viel ungünstiger als bei 
unseren Hirnverlctzten. Das Neuerlernen verloren ge¬ 
gangener Leistungen setzt eine beträchtliche I.eistungs- 


Digitized by 


Google 


*) cf. hierzu bes. die Arbeiten Gutzmanns. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILÜN0IS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








210 


Fortschritte der Medizin. 


Kr. 22. 


fiiliigkcit des nicht zerstörten Gehirnes voraus. Grade 
diese ist aber bei den lokalisierten Erkrankungen im 
Frieden immer mehr oder weniger beeinträchtigt, 
handelt cs : ch doch gewöhnlich um Folgen von Er¬ 
krankungen, die das ganze Gehirn schädigen, wie Ar 
teriosklerose, Tumoren usw. oder um alte Individuen, 
deren Geh: ne an sich nur eine reduzierte Leistungs¬ 
fähigkeit und vor allem Rcstitutionsfähigkeit besitzen, 
ln dieser Hinsicht liegen aber die Verhältnisse bei 
unseren Hirnverletzten ganz anders und zwar beson 
ders günstig. Es handelt sich von vornherein um be 
sonders leistungsfähige, gesunde, jugendliche Gehirne, 
der umschriebene Defekt braucht das übrige Ge¬ 
hirn gar nicht besonders geschädigt zu haben. Es 
scheint mir kein Zweifel darüber, dass das jugend¬ 
liche Gehirn eine sehr beträchtliche Fähigkeit zum 
Neuerwerb von Leistungen besitzt. Wenn eine Besse¬ 
rung nicht eintritt, so liegt das daran, dass das 
Gehirn nicht in der geeigneten Weise zum 
Neuerwerb angeregt worden ist. Diese ge 
eignete Anregung ist unbedingt notwendig. Es ist aber 
falsch, zu sagen, die Natur helfe sich selbst; was gut 
wird, wird auch von selbst gut. Der Verletzte muss viel¬ 
mehr wie das Kind lernen, und er kann das noch weni¬ 
ger wie das Kind ohne äussere Hilfe, weil ihm die 
Unbefangenheit des Kindes fehlt, die diesem das Lernen 
im einfachen Verkehr mit der Umgebung so erleichtert. 
Unsere Hirnverletzten sind oft sehr geniert, schlicsscn 
sich wegen ihres Defektes, der ihnen sehr wohl zum 
Bewusstsein kommt, von der Umgebung ab. Dadurch 
fixiert sich der Defekt immer mehr. Es ergibt sich dar¬ 
aus, dass es zu verwerfen ist, diese Kranken nach 
Abschluss der chirurgischen Behandlung einfach in die 
Heimat zu entlassen. 

Nur eine systematische Uebungsthera- 
pie bietet dem Ilirn verletzten die Mög¬ 
lichkeit, seinen Defekt wieder a u s zü¬ 
gle i c h e n. 

Diese Anschauung beruht nicht nur auf theoreti¬ 
scher Uebcrlegung, sondern findet ihre Bestätigung 
in den Erfahrungen, die derjenige, der die L T ebungs- 
behandlung in richtiger Weise ausführt, zu seiner 
Freude immer wieder machen kann. Wochen und 
Monate lang hat der Verletzte im Lazarett gelegen, 
ohne dass sich jemand um den Funktionsdefekt küm¬ 
mert und ohne dass eine nennenswerte Besserung des¬ 
selben eintritt. Nun kommt er zur Uebungsbehandlung. 
Nach kurzer Zeit, oft schon nach den ersten 
Hebungen, tritt eine fortschreitende Besserung ein. Die 
kurze Mitteilung der folgenden Beobachtung möge 
dies illustrieren. 

30 jähriger Oberlehrer. Schussverletzung am 2. April 1915. 
Rechtsseitige Hemiplegie, Vollständiger Sprachver- 

1 u s t. Verständnis erhalten. Nach 3*/j Monaten, während 
denen die Wunde heilte, der Allgemeinzustand gut wurde, noch 
völliges Fehlen der Lautbildung. Die Worte ach 
Gott, ach ne erhalten. 

Am 14 Juli 1914 Beginn der Ü b u n g s be¬ 
ll a n d 1 u n g. Übungen zur Bildung der einzelnen Laute 
durch Ablesen vom Munde des Lehrers, Abtasten etc. I n 
wenigen Tagen werden einzelne Laute 
wie nt, p, t, n, f, ch, a gelernt, manche nach den ersten Übungen. 

7 Tage nach Beginn der Übung kann 
der Pat. fast alle Laute sprechen, ja sogar 
schon einzelne Worte, namentlich nachsprechen und lesen, 
14 Tage nach dem Beginn schon eine ganze Reihe Worte. 

2 Monate nach dem Beginn lernt er an der 
Hand eines Bilderbuches in 8—14 Tagen eine 
grosse Zahl von Worten. Die Sprache bestellt noch 
aus einzelnen Worten. 

2 3 Monate nach Beginn kann er schon 

k 1 e i ne S ä t z e bilden, meist spricht er agrammatisch. Die 
grammatischeKonstruktion wird jetzt besonders geübt. 5 Monate 


nach Beginn tler Behandlung ist Pat. imstande 
sieb gut zu verständigen, aucli der grammatische Auf¬ 
bau :st besser. Die Besserung schreitet dauernd weiter fort 

ln diesem Falle ist es eindeutig zu beweisen, dass 
der Verletzte vor Beginn der Uebungsbehand¬ 
lung trotz der Monate langen Behandlung im Laza 
reit und trotz Heilung der Wunde und gutem allge¬ 
meinen Befinden so gut wie nichts von den ver¬ 
lorenen Funktionen von selbst w i e d e r g e - 
wonnen hat, aber sofort nach Einsetzen 
der Uebungsbehandlung überraschend 
schnell die ersten Laute zu bilden lernte 
und dann dauernd gute Fortschritte 
machte, so dass er nach 14 Tagen fast alle 
Laute sprechen konnte und nach wenigen 
Monaten im Stande war, sich zu verständi¬ 
gen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass der Verletzte 
ohne Uebungsbehandlung noch heute ebenso weit wäre 
wie vor Beginn derselben oder jedenfalls keine wesentlichen 
Fortschritte gemacht hätte. Der Fall ist um so beweisen¬ 
der, als es sich um einen intelligenten, gebildeten 
Mann handelt, der sich seines Defektes bewusst war, 
darunter sehr litt und wenn es ihm möglich gewesen 
wäre, sehr gerne seine verlorenen Funktionen allein 
wieder gewonnen hätte. Er selbst ist auch davon über¬ 
zeugt. dass er den Erfolg nur der Uebungsbehandlung 
zu verdanken habe. 

Selbst wenn aber nicht, wie im vorliegenden Falle, die 
Besserung wirklich nur der Uebungsbehandlung zu dan 
keil ist, sondern eine Besserung auch von selbst auftritt, 
so erleichtert die Behandlung doch jedenfalls den Neu¬ 
erwerb und beschleunigt damit die Heilung. Auch 
dann ist sie also segensreich. Deshalb müssen wir für 
die lokalisierten psychisch-nervösen Defekte die Uebungs- 
behandlung ebenso fordern, wie sie bei körperlichen 
Verletzungen jetzt eine Selbstverständlichkeit ist. Der 
artige Ueberlegungen haben bei verschiedenen Aerz- 
ten den Wunsch wach werden lassen, clie Uebungs¬ 
behandlung in systematischer Weise auszuüben. So 
haben auser mir 1 ), soweit ich unterrichtet bin, beson¬ 
ders Hartmann'-) in Graz, Po p p e lr e u t e r - 1 ) in 
Köln. Gutzmann 4 ) in Berlin, Frösch eis 5 ) in Wien 
(letztere beide ausschliesslich für Sprachgeschädigle) 
eine systematische Uebungsbehandlung in die Wege 
geleitet. 

Die Uebungsbehandlung muss sich auf eine ein¬ 
gehende psychologische Analyse des De¬ 
fektes wie der erhaltenen Funktionen und die Unter¬ 
suchung des allgemeinen psychischen Zustandes sowie 
eine genaue Feststellung des körperlichen Zustandes 
des Kranken stützen; je mehr sie all diesen Momenten 
angepasst wird, desto mehr wird sie erreichen. Es 
wird deshalb nur der sachkundige, spezialistisch 
ausgebildete Neurologe zum Lehrer des 
Hirn verletzten berufen sein. Aber er wird sich 
zweckmässiger Weise mit dem Pädagogen zu gemein¬ 
samer Arbeit verbinden. Gerade der Pädagoge wird 
bei der Auswahl der Methoden des Unterrichtes, so¬ 
wie bei seiner rein technischen Ausgestaltung ein 
sehr wertvoller Berater und Mitarbeiter des Arztes wer¬ 
den. Hier ersteht ein neues, ungemein aussichtsreiches 
Feld gemeinsamer Arbeit des Arztes und des Päda¬ 
gogen. Die Behandlung ist selbst bei nur wenigen 
Kranken ausserordentlich zeitraubend und anstrengend. 


’) Übungsschulen für Hirnverletzte Zentralbl. f. chiurg u me¬ 
chanische Orthopädie 1915 

2 ) München md. Wochenschr. 19’.5. 

3 ) Erfahrungen und Anregungen zu einer Kopfschuss-Invaliden- 
fürsorge. Heusers Verl. 1915. 

4 ) Berl. Klin. Wochenschr 1915. 

‘) Medizin. Klinik 1915. N. 50. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Ä 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 22. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


211 


cs dürfte deshalb am zweckmässigsten sein, wenn sich 
eine Reihe von Personen zu gemeinsamer Arbeit ver¬ 
binden — etwa ein sachkundiger Arzt mit mehreren Päda¬ 
gogen oder einem Pädagogen und mehreren ge¬ 
eigneten Laien — und die ganze Einrichtung nach Art 
einer Schule gestaltet wird. Auf Einzelheiten der 
Organisation dieser Schule für Hirnverletzte 
sowie der Behandlung kann ich hier natürlich nicht 
cingehen; ich möchte nur einige wesentliche Punkte 
hervorheben : Die B e h a n d 1 u n g muss absolut 
individuell sein. Die Defekte sind, in den ein 
zelnen Fällen so verschieden, dass jeder Verletzte oe- 
sonders behandelt werden muss. Mit dem Einzel¬ 
unterricht wird zweckmässig ein gemeinsamer 
Unterricht, vor allem in den Elcmentarfächern 
verbunden. Auch sollte immer Gelegenheit zu körper 
lieber Beschäftigung, Handfertigkeit und Werkstättcn- 
nnterricht vorhanden sein, was nicht nur für die Besse¬ 
rung der Lähmungen, sondern auch zur Hebung des 
psychischen und körperlichen Allgemeinzustandes sehr 
wertvoll ist. 

Bei der Auswahl der zu behandelnden Kranken 
sind die Fälle mit organischen Störungen von 
denen mit funktionellen zu trennen. Letztere 
bedürfen einer gesonderten Behandlung. Ebenso ist 
auf die neben den organischen Störungen bestehenden 
funktionellen Störungen besonders zu achten. 

Die Behandlung soll möglichst frühzeitig 
begonnen werden. Ich halte es nicht für notwendig 
und nicht für berechtigt, bis zur vollständigen Hei 
lung der Wunde und bis zum Verschwinden aller zere¬ 
bralen Allgemeinerscheinungen, wie Schwindel, Kopf 
schmerzen, abnorme Ermüdbarkeit. Krämpfe usw. zu 
warten. Wir würden dann bei dem oft monatelangen Be¬ 
stehen dieser Allgemeinerscheinungcn erst sehr spät, 
zu spät, mit der Uebungsbehandlung beginnen können. 
Selbstverständlich wird aber, wenn wir so frühzeitig 
mit der Behandlung beginnen, neben derselben eine Be¬ 
sonders genaue, ärztliche Beobachtung einhergehen 
müssen. Nur eine solche kann überhaupt die Kranken 
vor einer Schädigung und den Arzt vor Misserfolgen 
schützen. Man sollte es nie vergessen, dass es sich 
bei unseren Hirn verletzten um kranke und 
nicht um gesunde Individuen handelt, die 
etwas lernen sollen. Deshalb wird die Uebungs- 
schule auch am besten im Rahmen eines Lazarettes 
errichtet, in dem für eine ärztliche Behandlung in 
jeder Hinsicht gesorgt werden kann. Allerdings wird 
man. wenn möglich, die Schule räumlich von den Kran 
kensälen trennen, schon um in den Verletzten das Ge¬ 
fühl zu erzeugen, dass sie nicht mehr als Kranke be¬ 
trachtet werden, was zweifellos von Vorteil für ihren 
nervösen Gesamtzustand ist. 

Dieser nervöse Gesamtzustand, die leichte Erreg¬ 
barkeit, die psychische und körperliche Ermüdbar¬ 
keit, sowie die Störungen des Gedächtnisses, im beson- 
sonderen der Merkfähigkeit für frische Eindrücke usw. 
— kurz die Störungen, die wir als Folge der neben 
dem lokalen Defekt bestehenden Allgemeinschädigung 
des Gehirnes fast in jedem Falle finden, erschweren die 
Behandlung der lokalisierten Defekte oft in hohem 
Masse, sie zwingen uns immer nur kurze Zeit die 
Uebungen fortzusetzen und sie dafür öfter am Tage 
zu wiederholen, was natürlich die Organisation des 
ganzen Unterrichts kompliziert. Sie sind auch für den 
Erfolg der ganzen Uebungsbehandlung von sehr 
wesentlicher Bedeutung. Unsere Verletzten verhalten 
sich infolge der Allgemeinstörungen ähnlich wie die 
Hirnverletzten, die von vornherein keine lokalisierten 
Ausfälle haben. Auch wie deren Leistungsfähigkeit 
später sein wird, darüber ist heute noch kein sicheres 
Urteil zu fällen. Was die militärische Dienstfähigkeit 

Digitized by Google 


betrifft, so wird nur in ganz seltenen Fälen, man könnte 
sagen fast nie die Felddienstfähigkeit wieder erlangt. 
Die meisten Hirnverletzten werden inilitärdienstuntaug- 
iich. Aber auch in der Ziviltätigkeit wird ihre Arbeits¬ 
fähigkeit gewöhnlich keine volle werden, selbst wenn es 
gelingt, den umschriebenen Defekt fast vollständig zu 
beseitigen. Es wird natürlich unser Ziel sein müssen, 
den Kranken soweit zu bringen, dass er in seinem 
früheren Beruf wieder tätig sein kann. Das wird nur 
in den leichteren Fällen oder unter besonders günsti¬ 
gen Umständen der Fall sein. Nicht selten werden wir 
zufrieden sein müssen, wenn der Verletzte überhaupt 
wieder arbeitsfähig wird und wenn er imstande sein 
wird, einen neuen Beruf auszuüben, der seiner sozialen 
•Stellung, seiner Bildung einigermassen entspricht. Man 
wird sich dabei nach der Art des vorliegenden Defektes 
und seiner Ersetzbarkeit durch andere Leistungen rich¬ 
ten müssen und die Behandlung schon im Hinblick 
auf den künftigen Beruf einrichten. Leider wird aber 
nicht einmal dieses Ziel immer zu erreichen sein. 
Es wird eine Zahl von Verletzten bleiben, die nicht 
einmal mehr arbeitsfähig in irgend einem Berufe wer 
den. Auch dann ist aber unsere Arbeit nicht umsonst 
gewesen. Wir müssen bei den Heilbestrebungen der 
IIunverletzten von anderen Gesichtspunkten ausgehen 
als bei den körperlich Verletzten, und zwar deshalb, weil 
diese, so bedauernswert sie uns erscheinen, doch, selbst 
wenn sie dauernde körperliche Defekte behalten, viel 
besser daran sind als wie die Ilirnverletzten, die nicht 
nur an ihrem Körper geschädigt sind, sondern 
an dem Edelsten, was der Mensch besitzt, an 
ihrer Seele. Sie werden durch ihren Defekt nicht nur 
leistungsunfähig, sondern laufen Gefahr, aus der Ge¬ 
meinschaft ihrer Mitmenschen ausgeschlossen zu wer¬ 
den und sogar die Möglichkeit eines wirklichen Zu¬ 
sammenlebens mit ihren nächsten Angehörigen einzu- 
büssen und so völlig zu vereinsamen. Selbst wenn es 
in einem Falle nur gelingen sollte, durch die Uebungs- 
behandlung dem Verletzten allein diese Beziehungen 
zu erhalten, so lohnt doch die aufgewandte Mühe, zu 
der wir verpflichtet sind. Glücklicherweise wird aber 
die Zahl derer, bei denen wir nicht mehr erreichen, 
voraussichtlich eine kleine sein. 


Neue Beobachtungen und Erfahrungen mit 
bekannten Medikamenten. 

Von E. Otto, Frankfurt a. Main, 
über günstige Erfolge mit A d a 1 i n als Sedativum 
und leichtes Hypnotikum in Gegenden, deren klimatische 
Verhältnisse das Wohlbefinden des Europäers durch 
allgemeine nervöse Unruhe und Schlaflosigkeit beein¬ 
trächtigen, berichtet Dr. Arnold M a s a r i y-Mün- 
chen in Nr. 28 1914 der Münchener medizinischen Wochen¬ 
schrift. Er beobachtete an sich selbst, an Neuankömm¬ 
lingen und auch an länger anwesenden Europäern 
im südlichen und nördlichen Ägypten sowie in den 
höheren Regionen der Sierra Nevada die günstige 
Wirkung des Adalins bei der ganz allgemein auftreten¬ 
den Erscheinung, dass Europäer trotz starker körper¬ 
licher Ermüdung infolge der hohen Temperatur und des 
milden Klimas weder Nachts noch am Tage Schlaf fin¬ 
den können. Er hält es zur Erleichterung der Akklima¬ 
tisation für Fatienten und Gesunde, die nach tropischen 
Ländern reisen, für unentbehrlich. Ebenso günstige 
Resultate erzielte er mit Adalin bei raschem Übergange 
aus Tiefland in Hochgebirge. Die hierbei stets auf¬ 
tretenden Störungen der Atmung und des Herzschlages 
wurden fast völlig ausgeschaltet. Es gelang ihm wieder- 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 






212 


Nr. 22. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


holt den Ausbruch einer Bergkrankheit zu unterdrücken 
durch das Darreichen von 0,5 Adalin pro Nacht 3 bis 
4 Tage hintereinander. Er empfiehlt, gestützt auf 
diese Erfahrungen, das Adalin für genannte Zwecke. 
und fordert zu weiteren Beobachtungen auf. 

Seine Erfahrungen mit dem Antigonorrhoikum 
Choleval in der dermatologischen Universitätsklinik 
zu Prag teilt Privatdozent Dr. E. Klausner in Nr. 50 1015 
der Münchner medizinischen Wochenschrift mit. 
Choleval, über das wir bereits berichteten, ist ein 
kolloidales, 10"/o Argentum enthaltendes Silberpräparat I 
mit gallensaurem Natrium als Schutzkolloid und wird 
nach den Angaben von Dufanx bei Merck in Darmstadt 
in Tablettenform hergestellt. Bisher kam es durch 
Löhlein (Klin. Montshefte für Augenheilkunde) gegen 
Blennorrhoe und gonorrhoische Augenerkrankuugen in 
Anwendung. Klausner verfolgte die Anregung 
Dufaux's das Präparat wegen seiner gonokokkentötenden 
und sekretlösenden Eigenschaften, die durch 
eine adstringierende Wirkung erhöht wird, bei der 
Behandlung der llarnröhrengonorrhöe des Mannes 
zur Anwendung zu bringen. Bei ca. 200 Patienten, 
die er dauernd kontrollieren konnte, Hess er 
dreimal täglich '/, und '/. "/ 0 Cholevallösungen 
spritzen und die Flüssigkeit 10 Minuten auf die Schleim¬ 
häute einwirken. In allen Fällen brachte er die 
Gonorrhöe in 3-4 Wochen zur Heilung, mitunter 
schon in 14 Tagen. Er Hess jedoch stets, um durchaus 
sicher zu gehen, die Einspritzungen 4 Wochen lang 
durchführen, besonders bei chronischen Erkrankungen, 
die seit vielen Monaten vergeblich mit den üblichen 
Antigonorrhoicis behandelt worden waren, Kompli¬ 
kationen leichter Art traten nur in 3 Fällen ein 
und waren von den Patienten selbst verschuldet. 
Die Worte D u f a u x ’s, dass „das Choleval schneller, 
radikaler und glatter als alle bekannten Tripper¬ 
mittel die Gonorrhöe der Harnröhre zur Heilung bringt“ 
findet Klausner nach seinen Beobachtungen völlig 
bestätigt. 

Spezial-Präparate. 

Nach und nach beginnt sich eine Wirkung des 
Krieges in der medikamentösen Therapie insofern zu 
zeigen, als der Zuwachs an neuen chemischen Präparaten, 
die der Behandlung Kranker dienen sollen, geringer 
wird. Kein Einsichtiger wird in dieser Tatsache einen 
Schaden oder einen Verlust sehen. Von den ungeheuer 
vielen Neuerscheinungen der letzten Jahre waren doch 
nur sehr wenige berufen die medikamentöse Therapie 
wenigstens einige Zeit zu beeinflussen. Die überwiegend 
grosse Mehrzahl versank nach kurzem wieder in den 
Abgrund der Vergessenheit, ohne dass eine Lücke 
geblieben wäre. Die Hoffnung, dass der Krieg auch auf 
diesem Gebiete eine erwünschte gründliche Reinigung 
bringen würde, hat sich zwar nicht ganz erfüllt. Die 
Verminderung der Zahl der Neuerscheinungen ist aber 



Anders verhält es sich mit den Spezialitäten oder 
Spezialpräparaten. Vor mir Hegt ein Prospekt einer 
med.-chem. Fabrik in Stuttgart-Cannstatt, der mit nicht 
weniger als 25 neuen natürlich wortgeschützten Namen 
ebenso viele Neuheiten bringt, die im Grunde genommen 
gute alte Bekannte jedes praktischen Arztes sind und 
deshalb keinen Anspruch haben können ihrer schönen 
Namen wegen als eine Bereicherung des Arzneischatzes 
gelten zu dürfen. Es ist schwierig in solchen Fällen 
die Spreu vom Weizen zu trennen, denn es soll nicht 
verkannt werden, dass eine gute Komposition ebenfalls 
einen Fortschritt bedeuten und einen medikamentösen 
Wert repräsentieren kann; eine gewissenhafte Bericht¬ 
erstattung vermeidet es jedoch den an sich beschränkten 
Raum einer Zeitschrift wie der vorliegenden mit der 

Digitized by Google 


Aufzählung unendlich vieler neuer Medikamenten- 
bezeichnungen noch mehr einzuengen. Es würde 
geradezu das Gegenteil der Absicht herbeiführen, wollte 
man dem Leser zumuten, alle Bezeichnungen der fast 
täglich auftauchenden Neuerscheinungen durchzusehen 
und womöglich zu behalten. Die richtige Auswahl wird 
hier im Interesse des Lesers liegen und durch dessen 
Vermittlung auch der Allgemeinheit zu Gute kommen. 
Wir unterlassen es aus diesen Gründen die oben er¬ 
wähnten 25 nomina nova einzeln aufzuführen. An ge¬ 
eigneter Stelie werden die geigneten Präparate ange¬ 
messene Erwähnung finden. Dies gilt auch für die un¬ 
gezählten Neuheiten gleicher Art anderer Hersteller, 
sofern nicht ein Wirkungswert von berufener Seite fest- 
uestellt worden ist. Der Berichterstatter glaubt hierdurch 
dem Leserkreise der „Fortschritte der Medizin“ nur 
einen Dienst zu erweisen. 

„Studien über den Einfluss mehrerer 
Salze auf den Fortpflanzungsprozess“ 
betitelt sich eine Arbeit weiland Rudolf Emmerich 
und Oskar Löw, die in Bd. 84 des „Archiv für 
Ilvgiene“ das Ergebnis eingehender, vergleichender 
Versuche über die Wirkung der Zufuhr von Calciumchlorid 
bei Tieren auf deren Zeugungskraft und Lebensfähigkeit 
der Brut schildert. An Hand zahlreicher Tabellen über 
den Wirkungswert von Chlorkalzium, Chlorkalium, 
Chlornatrium und Chlormagnesiumzusatz zur Fütterung 
stellen die beiden Autoren durch Ermittlung der Zahl 
und des Gewichtes der geworfenen Tiere einen wesent¬ 
lichen Unterschied zu Gunsten des Chlorkalziumzusatzes 
fest. Sie gehen bei ihrer Arbeit von den bisherigen 
Erfahrungen der K a 1 z i u m therapie aus. In allen 
Fallen bei Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen 
erzielten sie bei einer regelmässigen Zugabe von 7,5 mg 
der Salze bei der Chlorkalziumreihe die grössten Er¬ 
folge gegenüber der Verabreichung der anderen ge¬ 
nannten Salze und der zusatzlosen Kontrolle. Sie be¬ 
stätigten damit den grossen Einfluss, den man bisher 
schon bei der Zufuhr von Chlorkalzium zum tierischen 
Organismus festgestellt hatte. Sie reichten kristallisiertes 
Salz in wässeriger Lösung. 

Für den Gebrauch beim Menschen sind eine grosse 
Zahl Präparate entstanden, die bezwecken den metall¬ 
ischen adstringierenden Geschmack des Salzes zu 
beseitigen und eine gleichmässige genaue Dosierung zu 
ermöglichen. Verschiedene davon wurden an dieser 
Stelle bereits genannt; es entstehen aber fortgesetzt noch 
neue Präparate für diesen Zweck, die den anderen zu¬ 
mindest nicht nachstehen. 

Die Firma Goedecke & Co. Leipzig und Berlin, 
die bekannte Herstellerin der Gelonida Tabletten, bringt 
nach den Angaben des Prof. Dr. Sticker-Berlin unter 
dem Namen San o calci n, Calciumglycerophosphat und 
Calciumlactophosphat in Ampullen auch in Verbindung 
mit Tuberkulin und mit Arsen in den Handel, über die 
schon berichtet wurde 

Unter dem Namen N o r in a 1 i n stellt die che¬ 
mische Fabrik Helfenberg A. G. 0,75 g schwere Ta¬ 
bletten her, die je 0,25 g kristallisiertes Ca CL enthalten. 
Dieselben kommen in Glaszylindern ä 15 Stück in den 
Handel zum Preise von 60 Pf. Sie entsprechen in Bezug 
auf Dosierung und angenehmes Einnehmen den Chlor- 
kalzium-Compretten (MBK) der Firma E. Merck, 
Darmstadt, über die Prof. Dr. Seifert, Würzburgin 
Nr. 27 1015 der Münchener medizinischen Wochenschrift 
gutachtend berichtet. Zur Pharmacia elegans zu 
rechnen ist das Glykalzium effervescens Ritsert, das 
eine nicht zerfliessliche, aber wasserlösliche kristallisierte 
Lactose-Verbindung des Chlorkalziums darstellt. 
Man lässt 3-4 mal täglich einen Kaffeelöffel oder ein 
Massglas voll, wie es jeder Flasche beigefügt ist, ent- 
Ori: iral fre i 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


213 


weder trocken oder in einem Glase frischem Wasser, Pyfenolsirup, hergestellt von der che- 
Mineralwasser, Wein, Milch usw. nehmen. Dieses mischen Fabrik Goedecke & Co., Berlin, wird 3—6 mal 

Brausesalz enthält ca. 20 0 / 0 Calcium chloratum crystalli- täglich Erwachsenen esslöffel-, Kindern teelöffelweise 

satum. Jedenfalls bildet es das Medikament in der be- gegeben und kommt in Flaschen zu ca. 150 g a 2 Mk. 

kommlichsten und leichtest zu nehmenden Form und in den Handel. Neben rascher Wirkung bei Pertussis, 

ist für die Privatpraxis bestens zu empfehlen. Asthma und Pneumonie verbindet es angenehmen Ge- 

Gleichem Zwecke dienen die Calcium-Quellen in schmack mit der bequemsten Pyrenoldarreichung. 
Bad-Sodenthal im Spessart und Bad-Suderode im Harz. Nachdem einzelne Krankenkassen das Digalen aus 
Man gibt von beiden Wässern bei jeder Hauptmahlzeit ihrem Verordnungsbereiche gestrichen haben, bringt die 
40 g, und lässt die Kur längere Zeit - nach Angaben Firma Fauth & Co., Mannheim ihr Herzmittel Disotrin 
des Badearztes ein Jahr lang fortsetzen. jn Erinnerung. Dasselbe kommt in Tropfen, Tabletten 

und Ampullenform in den Handel. Eine besonders 
Neuheiten. kräftige Dosis wird als Collaps-Disotrin nur in Am- 

Seit kurzem erscheint das in Tablettenform weit be- P u H en geliefert, 

kannte Pyrenol auch in Form von Sirup, der die ex- 

pektorierende und antifebrile Wirkung des Pyrenols mit 
der sedativen des Eriodiktyon- Extraktes verbindet. 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Ein Beispiel zur Wirkung der Sapo viridis. 

Exempla docent. 

Ein Mädchen, von keiner Seite belastet (Vater und 
Mutter zur Zeit noch in guter Verfassung, zählen zu¬ 
sammen 157 Jahre) war im ersten Lebensjahre durch 
eine damals epidemisch bei Kindern herrschende Proc- 
titis an den Rand des Grabes gebracht worden. Kaum 
hatte sie sich etwas davon erholt, als über Nacht fast 
ohne sonstige Krankheitserscheinungen eine Anschwel¬ 
lung der Lymphdrüsen am Halse bei ihr entstand, so 
dass die ganze Halsseite vom Ohr bis zum Schlüsselbein 
davon ausgefüllt wurde und so das richtige Bild der 
Scrofa sich darbot. Einzelne weiche Stellen dessen auch 
an die baldige Notwendigkeit eines chirurgischen Ein¬ 
griffes denken. 

Vorerst wollte ich es aber mit der Schmierseife versu¬ 
chen, die ich, je etwa einen Teelöffel voll täglich, später 
jeden dritten Tag morgens vor dem Bade mittels der 
befeuchteten Hand, zehn Minuten lang in den Rücken 
einreiben liess*). Der Erfolg war ein höchst erfreulicher, 
denn nach kaum zwei Monaten war jeder Rest von Ver¬ 
härtung oder Anschwellung verschwunden. Nachdem 
das Kind dann im 9. Jahr eine schwere Diphteritis 
überstanden hatte, erkrankte sie im 12. an einer Con- 
junktivitis, der man anfangs wenig Beachtung schenkte. 
Als aber nach und nach Verschlimmerung eintrat und 
Trübung der Hornhaut und Lichtscheu entstand, wurde die 
Mithilfe eines erprobten hiesigen Augenarztes in Anspruch 
genommen. Aber trotz seiner energischen Behandlung 
verschlimmerte sich der Zustand immer mehr, so dass man 
schliesslich das Schlimmste befürchten musste. In dieser 
Not erinnerte ich mich der früheren günstigen Erfolge 
der Schmierseife. Gleich die erste Abendeinreibung 
hatte einen glänzenden Erfolg. Denn am anderen 
Morgen waren die Lider nicht, wie seither, verklebt, und 
die Lichtscheu gänzlich geschwunden, dass die Augen 
freudig geöffnet wurden. Die Besserung ging dann so 
rasch vorwärts, dass man glaubte, da sich gerade grosser 
Familienbesuch ankündigte, das Weitere der Natur über¬ 
lassen zu können. Nach ein paar Tagen machte sich 
aber wieder eine bedenkliche Verschlimmerung durch 

*) Ich bin später davon abgekommen, auf die Einreibung ein 
Bad folgen zu lassen, weil es mir schien, dass die Wirkung dadurch 
abgeschwächt würde. (Verf) 

Digitized by Google 


Auftreten neuer Reizerscheinungen bemerklieh, dass 
man eilig wieder zu dem bewährten Mittel greifen musste, 
und mit dessen Hilfe wurde dann auch volle Heilung 
ohne bleibenden Schaden erzielt. Die Leidende hat 
sogar noch später als Dilettantin der Malkunst Aner¬ 
kennenswertes geleistet. 

Sie wuchs sich dann zu einer stattlichen Erscheinung 
aus mit besonders entwickeltem Haarwuchs, der bis 
fast zur Kniekehle reicht, dass sie sich wie in einen 
Mantel darein hüllen kann. Sie klagte nur über häufige, 
körperliche Ermüdung, während die ziemlich spät einge¬ 
troffenen Catamenien eher etwas zu stark waren. Es 
wurden verschiedene Eisenpräparate dagegen versucht; 
den meisten Erfolg hatte einmal eine planmässige Kur 
mit der Dürkheimer arsenigen Maxquelle. 

Im 25. Jahre hat sie sich verheiratet und nach 
einem halben Jahr trat Gravidität ein, die im allgemeinen 
regelmässig verlief, mit Ausnahme eines zuletzt allzu¬ 
starken Leibesumfangs, als dessen Ursache ein Ubermass 
von Fruchtwasser sich bei der Entbindung erwies. 

Das Kind, ein wohlausgebildeter Knabe, gedieh 
anfangs prächtig an der Mutterbrust. Leider drohte 
trotz guten Willens, diese natürliche Nahrungsquelle 
nur zu bald zu versiegen und es musste die Flasche 
zur Hilfe genommen werden. Da stellte sich nun bald 
bei dem Kind eine unliebsame Störung der Verdauung 
ein. Hartnäckige Verstopfung wechselten ohne sicht¬ 
bare Ursache mit ebensolchem Durchfall, wozu sich oft 
auch noch plötzliches Ausbrechen der Nahrung gesellte, 
und gar manchmal musste der arme Schelm wegen 
drohenden Darmkatarrhs auf Hungerdiät gesetzt werden. 
Schlimmer aber war noch, dass bei der Mutter bald nach 
Absetzung des Säuglings die Catamenien als geradezu 
Gefahr drohende Hämorrhagien sich wieder einstellten. 
Ein zu Rat gezogener Frauenarzt stellte allgemeine Er¬ 
schlaffung der Beckenweichteile fest und verordnete das 
Tragen eines Pessars, worauf die Blutungen sich einiger- 
massen verringerten, aber immer noch für die Zeit 
mehrtägige Bettruhe notwendig machten. 

Ich war von allem Anfang an der Überzeugung, 
dass die hartnäckigen Verdauungstörungen bei dem 
Kind auf ererbter Veranlagung zu skrofulöser Erkran¬ 
kung der Verdauungsorgane beruhe. Für meine des- 
fallsitren Vorschläge musste ich jedoch längere Zeit das 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


214 


Nr. 22 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Schicksal des Propheta in patria über mich ergehen lassen. 
Erst als im Beginn des dritten Jahres bei sonst präch¬ 
tiger Leibesentvvicklung eine bedenkliche Neigung für 
Kniebohrer sich einstellte, fand ich Gehör und es wurde 
die übliche Schmierseifeneinreibung zur Anwendung 
gebracht. 

Jetzt, nach etwa 4 Monaten erfahre ich, dass seit 
dieser Zeit bei dem Knaben jede Störung der Ver¬ 
dauung verschwunden ist und er jetzt jede gemischte 
Kost, auch ungekochtes Obst verträgt, das ihm vorher leider 
immer vorenthalten blieb. Wichtiger aber noch ist die 
Nachricht, dass die Mutter sich jetzt so wohlfühle, wie seit 
Jahren nicht mehr, dass Schwere und Müdigkeit in den : 


Gliedern ganz verschwunden seien, so dass sie frei und 
ungehemmt ihren häuslichen Aufgaben nachkommen 
könne und dass sie demnächst das Pessarium abzulegen 
gedenke. — Nach meiner Überzeugung ist dieser Erfolg 
allein darauf zurückzuführen, dass die Mutter mit eigener 
Hand die Einreibung bei dem Sohn besorgt hat. Ich 
habe schon früher und erst kürzlich wieder darauf hin¬ 
gewiesen, dass gerade die an Schweissdrüsen reiche, 
innere Handfläche besonders geeignet ist, um die Sapo 
viridis dem Körper und der Nährtlüssigkeit desselben 
zuzuführen. — Sapienti sat. 

Dr. Kappesser, Darmstadt 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie. 

Unna: Eine guto Doppclfärbuns für gewöhnliche und 
saure Kerne. (Ztsclir. f Wissenschaft! Mikroskopie und für 
mikroskop. Technik. Bd. 31, 1914, S. 289.) 

Die Alkohol-Celloidin-Schnitte kommen 5 Minuten in 
Böhmer sehe Mischung (Hämateinlösung und Alaun) 
werden dann extra 10 Minuten lang in Lei tun gs wasser gespült: 
dann sind alle Kerne blau. Dann Umfärbung aller Kerne 
in rot: 20 Minuten in l°/ 0 Safraninlösung (Marke 0. Grübler), 
Abspülen in Leitungswasser und Differenzierung in einer 
Mischung von Tannin (25°/ n ) und Pikrinsäure l # /, 0 2—5 
Minuten lang je nach der Dicke des Schnitts. Dann 10 Min. 
in Wasser: gewöhnliche Kerne blauviolett, Mitosen und Kera- 
tohyalin dunkelblauviolett. Kernkörperchen und saure Kerne 
gelbrot bis braunrot. v. Schuizer. 

Prof. Axhausen -Berlin: Die deformierende Gelenk¬ 
entzündung. (Arthritis deformans im Lichte neuer Forschung) 
(Ber! klin. Wchschr. 1915, Nr. 47.) 

Die Auffaserung und Abschleissung des Knorpels ist, wie 
Verfasser experimentell bewiesen hat, eine Folge der Nekrose. 
Verfasser will dies keineswegs als allseitig unantastbar hinstellen, 
sondern diese seine Anschauung nur P o m m e rs und 
v. Slubenrauchs Angriffen gegenüber verteidigen. 

v. Schnizer. 

Eisenmenger, Rud., (Hermannstadt): Die künstlich 
erzeugten Intraabdominalen Druckschwankunsen als vielseitige Heil¬ 
faktoren. (Ztsclir. f. physik. u. diät. Ther. XIX. 1915. 11. Heft, 
S. 326-331.) 

Der Titel enthält alles Wesentliche. Verf hält sein Ver¬ 
fahren — ich glaube mich an einen vor Jahren von ihm 
konstruierten Apparat zu erinnern — für angezeigt bei Herz¬ 
schwäche aller Art, bei sekretorischer und motorischer In¬ 
suffizienz des Magen-Darmtraktus und seines Drüsenapparats, 
bei Plethora abdominalis, gastrischen Krisen, bei Emphysem 
und chronischer Bronchitis, Lungenödem, Bronchialasthma und 
Schlaflosigkeit. Buttersack. 


innere Medizin. - 

Prof. H Straus s- Berlin. Einflüsse des Kriegs auf die 
Verdauungskrankheiten. (Jahreskurse für ärztliche Fortbildung. 
März 1915.) 

Abgesehen von Typhus und Dysenterie fand man wohl 
durch die Art der Nahrung bedingt eine Reihe von Ulcera 
ventriculi und duodeui sowie Choleliliiiasis, die monatelang und 
länger lateut waren, wieder manifest werden. Dasselbe gilt 
für chirurgische, auch akut hämorrhagische Kolitis und 
chronische Typhlitiden. Leicht verständlich sind ferner die 
psychogenen Magenerkrankungen. 

Digitized by Google 


Von grösserer Bedeutung als diese sind die akuten Darm¬ 
katarrhe, oft Dysenterie ähnlich, aber nicht auf dieser Grund¬ 
lage. Bemerkenswert war dabei in manchen Fällen eine an 
Appendizitis erinnernde Druekempfindlichkeit in der Blinddarm¬ 
gegend und die seltene aber prognostisch ernste Komplikation 
mit Gelenkrheumatismus. Der bakteriologische und der klinische 
Begriff Ruhr decken sich keineswegs. Ausschlag gibt die 
bakteriologische bezw. serologische Untersuchung. Bedeutungs¬ 
voller als im Frieden sind die Begriffe des disponierenden 
Moments und der individuellen Widerstandskraft 

Therapeutisch besteht wohl noch die alte Regel, die Be¬ 
handlung mit einem Abführmittel zu beginnen (Colomel, Ricinusj. 
Neuerdings sind jedoch diesen DesinfektioDsbestrebungeu gegen¬ 
über die Adsorptionsbestrebungen (Bolus alba und Tierkohle 
mit Bitterwasser) in Vordergrund getreten. 

Die von manchen Autoren geübte Calomeltherapie in 
häufigen kleinen Dosen, die C a n t a n i sehe Klysmenbehand¬ 
lung und die Tanniupräparale haben in der neueren Literatur 
keine besondere Empfehlung erfahren. Wohl aber schätzt 
Verfasser Dermatol-Opiumklistiere und Heideibeerpräparate. 
Ausserdem Wärme und Analeptica. v. Schnizer. 

E Lehmann, Prof., Tübingen: Paratyphus A im 
Felde. — (Mchn. m W -Sch 1916, Heft 3, Feldärztliche 
Beilage.) 

Eine auf 27 Heeresangehörige sich ausdehnende Epidemie 
im Bereiche des Festungsgebietes Ulm war in ihrem Ursprung 
auf einen Soldaten zurückzuleiten, der Dauerausscheider vou 
Para A-Bazillen war 

Para-A (Bazillus entdeckt 1898 von G w y n) ist im 
Frieden in Deutschland im Gegensatz zum ubiquitären Typhus 
sehr selten gewesen, und muss vielmehr als ein Fieber der 
Tropen und Sublropen aufgelasst werden. 

Im gegenwärtigen Kriege wild er von den exotischen Hilfs¬ 
truppen unserer Feinde eingeschleppt. Auch die vordem im 
Frieden beobachteten Fälle ereigneten sich an der Westgrenze 
und an der Küste, wie z. B. der Fall des Hamburger Heizers, 
ein Beweis, dass überseeische Einschleppung gegeben ist. 

Auch der für die Ulmer Epidemie auzuschuldigende deutsche 
Bazillenträger, ein Kriegsfreiwilliger, war denn auch 1906 —11 
als Fremdenlegionär in Nördafrika gewesen, woselbst Para¬ 
typhus A schon sehr häutig vorkommt. Noch bedeutendere 
Frequenz weist Indien auf, dessen Truppen die vermittelnde 
Rolle spielen können, ebenso Japan. 

Bei dieser Sachlage ist auch hei uns mit zahlreicheren Er¬ 
krankungen jetzt zu rechnen, was bei dem nicht immer gut¬ 
artigen Verlauf der Infektion Anlass zu besonderer Vorsicht 
gibt. Andrerseits verläuft die Erkrankung zumeist leicht, oder 
larvieit, im Bilde der Bronchitis und Infi tenza, wodurch ein 
Übersehen leicht möglich wird, und zu einer grösseren Aus¬ 
dehnung der Infektion führen kann. Die Isolierung des Bazillus 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 











FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


215 


Nr. 22. 

aus dem Stuhle ist sehr schwer, leicht dagegen aus dem Blute. Der Knochendefekt wird mit dem Luer nie unter Taler- 


Nach allem ist Paratyphus-A entgegen bisheriger Annahme 
kein Nahrungsmittelvergifter, sondern er wird durch Kontakt 
mit Bazillenträgern übertragen. Er ist von Paratyphus-B 
strengstens zu trennen. Viernstein -Kaisheint. 

Steiner: tlber Fremdkörper in den unteren Luftwegen 
und ihre Entfernung. (Prag. m. Wchschr. 1915. Nr. 23.) 

An der Hand einiger recht interessanter Fälle spricht 
Verfasser den direkten Methoden der Besichtigung der unteren 
Luftwege das Wort und zwar möglichst frühzeitig angewandt 
von berufner Hand Bei aspirierten Knochenslückchen läsBt 
das Röntgenbild häufig im Stich: Das Fehlen eines Schattens 
kann nicht für das Nichtvorhandensein eines Knochens ver¬ 
wertet werden Anders bei metallischen Fremdkörpern (Nägeln). 
Hier ist der positive Bildbefund ohne weiteres pathognomonisch, 
hei negativem Ausfall ist falls Anamnese und subjektive Er¬ 
scheinungen auf einen Fremdkörper hinweisen, auch bei 
fehlenden sonstigen klinischen Erscheinungen die Broncho¬ 
skopie zur Stellung der Diagnose zu verwerten. Diagnostisch 
für die Anwesenheit eines Fremdkörpers in Trachea und 
Bronchien ist ein trockener, harter, heiserer Husten. Ebenso wichtig, 
wichtiger jedenfalls als der perkutorische und auskultatorische 
Befund sind die nach dem im Anfang meist stürmischen Er¬ 
scheinungen, denen ein längeres relatives Wohlbefinden folgt, 
auftreteuden Symptome: nicht wieder verschwindender Husten 
mit blutigem, später auch übe’riecheudem Auswurf. Sehr 
wichtig ist die Anamnese: Prof. Pick- Kiel bespricht einen 
Fall: ein 14jähriger Knabe hatte einen Knochen verschluckt 
und wurde, da nichts darauf hinwies und die Röntgenplatte 
nur einen undeutlichen als Granulation angesprochenen Schatten 
ergab, angeblich wegen Diphtherie tracheotomiert und monatelang 
vergebens dekanuliert, bis der Fremdkörper schliesslich aus¬ 
gehustet wurde. 

Im allgemeinen soll sowohl bei akuten wie bei chronischen 
oft monatelang dauernden Fällen nicht lange zugewartet 
werden, sondern möglichst früh nach dem diagnostisch sichersten 
und therapeutisch rationellsten Mittel, derTracheobronchoskopie 
gegriffen werden. v. Schnizer. 

Dr. Orth: Nekrotisierende Cholezystitis typhosa. (D. med 
Wchschr. 1915. Nr. 47.) 

An der Hand eines Falles demonstriert Verfasser die 
seltene Cholezystitis typhosa, einer schweren, ganz akut im 
Deferveszenz-Rekonvaleszens-Stadium im Lebergallengang ein¬ 
setzenden Infektion deszendierenden Charakters I für Typhus 
typisch). Die Infektion trug auch zur Entstehung von Gallen» 
stein bei (erhöhter Cholesteringehalt des Blutes im Üeferveszens- 
Stadium). Die bei der Operation gefundenen Verhältnisse 
sprachen mikro- wie makroskopisch für einen Irischen Fall. 

v. Schnizer. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Rumpf: Die Hernien der linea alba im Kriege. 
(M. med. Wochenschr. 1915. Nr. 31. S. 1070.) 

Verfasser widerspricht der Ansicht des Dr. Plaschkes- 
Wien, wonach die Hernien im Kriege zugenommeu haben 
sollen, gestützt auf seine Untersuchungen bei Mannschaften. 
Darnach entstehen, ebenso wie die Unfallpraxis im 
Frieden zeigt, Schenkel- und epigastrische Hernien meist 
unbemerkt und sind nur äusserst selten als Unfallfolge an¬ 
zusehen. v. Schnizer. 

O. Witze 1-Düsseldorf: Die Schädetlistel und der Gehirn¬ 
abszess nach Schussvcrletzung. 

Die ungeheure Gefahr hei Schüdelfisteln liegt in der 
Progrediens des latenten Gehirnabszeszes zum Ventrikel, ohne 
dass besondere klinische Anzeichen hierauf aufmerksam machen 
können, da die Raumveränderung im Gehirn nur auf in Flüssig¬ 
keit umgesetzier Substanz, nicht auf produktiv Hiuzukommendem, 
Beengendem beruht. Deshalb ist besonders den noch nicht aus¬ 
reichend trepanierten Hirn-Schädelverletzungen grösste Auf¬ 
merksamkeit zuzuwenden und jede Fistel, die nur massig und 
oftmals noch zeitweise sezerniert, erfordert nochmals gründliches, 
chirurgisches Eingreifen, 

Digitized by Google 


grosse erweitert; die Dura muss mindestens auf 1 , cm in der 
peripheren Begrenzung des infiltrierten Duraabschnittes gut 
übersichtlich sein. Absolute Blutstillung ist erforderlich. Die 
infiltrierte Dura wird abgetragen, vorsichtig etwaige Knochen¬ 
splitter entfernt. Zu beachten bleibt, dass die Dura über die 
membranöse Verwachsung mit der Granulationsfläche hinaus 
nicht verletzt wird, da anderenfalls die Eröffnung des Iiiter- 
meningealraumes mit Ausfluss von Liquor gegeben ist. Wird 
der anliegende Abszess bei der oberflächlichen Reinigung nicht 
entleert, so suche man nur bei bedrohlichen Symptomen, ihn 
sofort zu eröffnen. 

Durch die ausgiebige Freilegung des Fistelausganges 
werden die allg. Druck Verhältnisse geändert, der progrediente 
Abszess wird seinen Weg von der Richtung des Ventrikels 
weg zur Oberfläche nehmen und die katastrophale Perforation 
in das Ventrikelsystem bleibt verhindert. 

F. R. Mühlhaus - München. 

v. Tappeiner Greifswald: Erfahrungen bei malignen 
Phlegmonen. (D med. Wsch. 1915, Nr. 51.) 

Entgegen den sonst während des Feldzuges publizierten 
Ansichten, die nur einen graduellen Unterschied annehmen, 
trennt Verfasser die Gasphlegmone scharf von der noch bös¬ 
artigen mit livider bis ins Dunkelbraune spielende Verfärbung 
der Haut-Inkubation: bei der ersteren 2—4 Tage, bei der 
letzteren l / 2 —1 Tag. 

Meist Folge von Sprengstücken von Granaten, Schrapnells 
und Minen, sind es mit Stein- und Holzteilen und mit 
lehmiger Erde verunreinigte unter den unbedeutenden Haut¬ 
wunden buchtenreiche ausgedehnte Weichleizertrümmerungen 
zeigende Wunden. Beide Phlegmonen können nebeneinander 
Vorkommen. 

Die erstere darf nicht verwechselt werden mit dem nicht 
selten namentlich bei Verletzungen der platten Muskeln des 
Rückens und Bauches auftretenden Hautemphysem Beste 
Therapie: ausgedehnte Spaltung vom Gesunden bis ins 
Gesunde, offene Wundbehandlung. Feste Tamponade ist 
immer von Schaden. Bei gleichzeitigen Kuochenbrüchen rettet 
oft nur frühzeitige Amputation. v. Schnizer. 

Geh. Med.-Rat Prof. W i t z e 1 - Düsseldorf: Die Auf¬ 
gaben und Wege für den Hand- und Armersatz der Kriegs¬ 
beschädigten. (Münch, med. Wchschr 1915. Nr. 44. S. 1991.) 

Die Leistungen der teueru, leicht verletzlichen Prothesen 
älteren und neueren Datums sind im Grunde genommen 
keineswegs besser als die der einfachen Arbeitsarme, weil auf 
wesentliche Kosten der Kraft hiermit nur ganz bestimmte Ge¬ 
schicklichkeiten erreicht werden, die für den Arbeiter weniger 
von Belang sind. 

Für den Arbeiter eignet sich nach den Düsseldorfer Er¬ 
fahrungen am besten der genauer beschriebene, den anatomischen 
Bau und die bisherige Schulweisheit gänzlich nichtachtende 
J a g e n b e r g’sche Arbeitsarm, ein am Arm und der 
Schulter festangefügtes Hebelstück mit verschiedenen in einem 
Sack mitgenommenen Werkzeugen, auf die vom Körper her 
möglichst viel Kraft und Geschicklichkeit übertragen werden 
kann. Natürlich ist ein Sonntagsarm nötig. 

v. Schnizer. 

Sanitätsrat A u 1 1 e r und Dr. E. Moste. Der Gips- 
verband bei Oberarmfrakturen. (D. med Wchsch. Nr. 51. 
1915.) 

Die Verfasser machen bei Oberarmfrakturen auf den 
G 1 ä s s n e r sehen Gipsverband aufmerksam, der dadurcli 
dass er Schultergelenk und Thorax mit einbezieht, den Streck¬ 
verbänden und auch den Triangelverbänden überlegen ist, 
weil er die Fixation der Frakturenden besser garantiert und 
den Kranken nicht ans Bett fesselt. 

Technik einfach: Gipsbinden auf Tiikot- oder Flanell- 
binden, Schutz hervorragender Knochenenden und der Atem- 
bewegungen des Thorax durch Watte, Verstärkung durch 
Schusterspan und Längstouren. Material 42 Fälle. 

v. Schnizer. 

E r 1 a c h e r-Graz: Beiträge zur Kontraktiirenbehandlumr. 

Eine Rekapitulation des von Schede angegebenen Ver¬ 
fahrens der Dauerbehandlung von Kontrakturen mittels ent- 

Origirtal ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 22. 


21 fi 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


sprechender Apparate. Verf. empfiehlt, diese Dauerbehandlung 
mit gleichzeitiger Bierscher Stauung zu kombinieren und täg¬ 
lich galvanische Reizung der betreffenden Muskelgruppen aus¬ 
zuführen. F. R. MQhlhau s-München 

K. Wohlgerauth: Zur Pathologie und Therapie der 
llnterselienkelgeschwiire. 

Dr. H. Wohlgemuth: Dymal in der Krieg-cbirurgie. 
(Berliner klin. Wchschr. 1915, Nr. 45.) 

Behandlung der Unterschenkelgeschwüre: Trocken verband 
mit Dymal. Derselbe leistet auch bei Streifschüssen mit 
grossen und grösseren Substanzverlusten und bei Höhlen¬ 
wunden mit starker Sekretion Gutes. v. Schnizer. 


Ohrenheilkunde. 

Uffenorde: Die an der Göttinger Ohrenklinik üb¬ 
lichen Verfahren der Mustoidoper.itlonen. Erweiterte typische 
Aiitnieisselnng. (Ztsehr. f. Ohrheilk. Bd. 71, H. 1 — 2.) 

Die typische Aufmeisselung macht U, stets in lokaler 
Anästhesie. Der Hautschnitt ist nicht, wie sonst üblich, bogen¬ 
förmig, sondern geradlinig und senkrecht und berührt die 
Ansatztiäche der Ohrmuschel. So wird ein besseres Anein¬ 
anderliegen der Wundränder erreicht. Das Antrum wird breit 
eröffnet, die Corticalis der Warzenfortsatz-Spitze grundsätz¬ 
lich entfernt. Auf Glättung der Wundhöhle wird kein 
Wert gelegt, da stehenbleibende Knochenleisten die Aus¬ 
füllung der Wundhöhle durch Granulationen fördern; mit 
gleicher Absicht wird ein Teil der hinteren Gehörgangswand 
reseziert. Die Wunde wird vernäht, mit Ausnahme des mittleren 
Teils, in welchen ein kurzer Glastrichter eingelegt, wird. Durch 
diesen wird ein schmaler Gazestreifen in das An*rum ein¬ 
geführt. 

Die Totalaufmeisselung ;Radikaloperation) der Mittelohr¬ 
räume weist wenig Besonderheiten auf. In den Gehörgang 
wird an der Grenze der hinteren und oberen Wand nahe der 
Muschel ein Längsschnitt geschnitten; mittelst eines durch 
diesen gezogenen Gazezügels wird die Concha während der 
Operation nach vorn gezogen und so die Haken erspart. Die 
Pauke und das Trommelfell werden im Interesse der Funktion 
so wenig wie möglich angerührt. Die Gegend der Fenster wird 
durch Verschmälerung des Facialis-Sporns von vorn her nach 
Möglichkeit freigelegt. — 

Die sogen, konservative Radikaloperation wendet U. nur 
an, wenn die Pauke frei von Eiterung und gegen den (er¬ 
krankten) epitympanalen Raum abgeschlossen ist. Namentlich 
aber stellt sich in akuten Fällen, die sich Monate lang hin¬ 
zogen, oft das Bedürfnis nach einer erweiterten Aufmeisselung 
ein. Andere Indikationen sieht U. in Fällen akuter, kom¬ 
plizierter Eiterung, die zum Durchbruch in den Gehörgang 
geführt haben; sowie bei Tuberkulose, wenn die Pauke frei 
ist. In diesen Fällen werden das Antrum und andere Krank¬ 
heitsherde eröffnet, die hintere Gehörgangswand bis auf eine 
schmale mediale Spange reseziert, der Aditus eröffnet und 
Plastik aus dem häutigen Gehörgaug gemacht. Trommelfell, 
Knöchelchen und laterale Attikuswand bleiben unangetastet. 
Es folgt primäre Naht. Vf. berichtet über 12 in letzter Zeit 
so behandelte Fälle. Arth. Meyer. 

H u g, (Luzern): Ein Fall von Panslnuitls gangraenosa 
(scarlatinosa?) (Zeitschr. f. Ohrheilk. B. 71, H. 1—2.) 

Eine 30 jährige Frau erkrankte plötzlich an starkem 
Schnupfen mit hohem Fieber Die Nase war mit fibrinösen 
Membranen austapeziert, die Streptokokken fast in Reinkultur 
aufwiesen Schnell bildete sich Benommenheit, Protrusio bulbi 
beiderseits und Chemosis aus, am Augenhintergrund Papillitis. Am 
linken innern Augenwinkel ein Infiltrat. — In oberflächlicher 
Narkose wurden Stirn-, Kiefer-, Siebbein- und Keilbeinhöhlen 
beiderseits breit eröffnet. Aus allen Höhlen drang jauchiger 
Gestank. Die Schleimhaut graugrün, kein Tropfen Eiter, der 
Knochen gelb und blutleer. Ausräumung aller Zellen und 
Reinigung der Wundhöhle mit H 2 0 2 . — Zunächst schwerer 
Zustand: Schüttelfrost mit Temperatur von 41 2 , Herzkollaps, 
Cheyne-Stokes. Zuckungen, koma-ähnlicher Sopor, Inkontinenz. 
Unerträglicher Foetor. Mit Kampfer- und Digalen-Injektionen 

Digitized by Google 


und Kochsalzinfusion wird die Lebensgefahr allmählich über¬ 
wunden; nach 5—6 Tagen beginnt das Aussehen der Wunde 
sich zu bessern, die ersten Zeichen vou Bewusstsein sich 
wieder einzustellen, die Temperatur langsam zu sinken. Nach 
Abstossung mehrerer Sequester trat Heilung ein. — Es handelt 
sich fraglos um einen Fall von Meningitis bei gangränöser 
Neheuhöhlencrkrankuug. Skarlatinöse Ätiologie kann nach 
dem Verlaufe mit grosser Wahrscheinlichkeit angenommen 
werden, obgleich weder Exauthem noch Schuppung beobachtet 
wurden. Infektionsgelegenheit war vorhanden. 

Arth. Meyer. 


Augenheilkunde. 

Prof. E 1 s c h n i g-Prag; Tarsorrhaphle. (Zeitschrift für 
Augenheilkunde. Bd. XXXIII Heft 5/6.) 

Eine der Fuchs sehen Tarsorhaphie gleichartige Methode, 
die dadurch dass die Cilien beider Lider vollkommen intakt 
bleiben, nicht entstellend wirkt. v. Schnizer. 

Dr. Th. B a k a b a u-Lemberg: Über den orbitogenen 
Hirnabszess. (Prag. med. Wchschr. 1915, Nr. 3.) 

Au der Hand eines Falles führt Verfasser aus, dass die 
Annahme E 1 s c h n i g s zutreffe, dass der orbitogene Hirn¬ 
abszess häufiger vorkomme als man annimmt. 

Wesentlich ist das Versagen des Liquorbefundes. Auch 
der vorliegende Fall bestätigt die Ansicht E 1 s c h n i gs, bei 
Verdacht auf Hirnabszess die Lumbalpunktion abzulehnen. 
Bemerkenswert ist die rasche Rückbildung des Hirnprolapses, 
so dass das Bedenken Elschnigs, Gefahr einer dauernden 
Bulbusverdrängung durch einen Hirnprolaps, wegfallt, 

Verdacht und Diagnose des orbitogenen Hirnahszesses ruht 
auf der exaktesten neurologischklinischen Beobachtung. Eineim 
Ablauf eines Hirnabszesses auftretende Neuritis optica und ein mehr 
für Meningitis sprechender Befund hat keine besondere Be¬ 
deutung. v. Schnizer. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

Ebel, S.: Erweiterung des Anwendungsgebietes ultravioletter 

Strahlen. (Zschr. f. physik. u. diät. Therapie XIX. 1915. 
12. Heft. 8. 370/71.) 

Verf. glaubt, 5 Fälle von Nephritis, Pleuritis, Asthma 
bronchiale und Adipositas universalis durch einige Bestrahlungen 
mit künstlicher Höhensonne günstig beeinflusst zu haben. Das 
mag der Fall sein. Allein der Leser wird durch die fragmen- 
tarschen Krankengeschichten nicht restlos überzeugt. 

Buttersack. 

Dr. B. Steiner: über Inhalatlonstherapie. (Prag, m 
Wchschr. 1915. Nr: 15.) 

Verfasser spricht der von manchen verworfenen Inhalations¬ 
therapie als wirksames die Allgemeinbehandluug unterstützendes 
Hilfsmittel zur Behandlung von Erkrankungen der Atmungs¬ 
organe namentlich von Katarrhen der Luftwege das Wort und 
empfiehlt das Reissmannsche Verfahren, das durch 
warme trockene Luft wirkt und zwar in den entferntesten 
Luftwegen, in denen die kleinsten CI Na-Kristalle intensive 
Wirkungen hervorbringen. v. Schnizer. 

Prof. G 1 a x-Abbazia: Können die Kügten und Inseln des 
österr-ungar. Adriagebietes unseren Kranken einen notwendigen 
Ersatz bieten für die Kurorte der ital. u. franz. Riviera. (Zeitschr. f. 
Balneologie usw. 1. Jan. 1916.) 

Diese Frage wird von dem langjährigen Kenner des 
Adriagebietes, sofern Klimafaktoren allein in Betracht kommen, 
autoritativ bejaht: er zieht sogar die Einflüsse des feuchtwarmen 
Küsten- und Inselklimas Dalmatiens dem mehr kontinentalen der 
ital. u. franz Riviera für viele Krankheitsfälle vor: so scheint 
ihm ein Aufenthalt in Abbazia, Lussin, Lovrana und Brioni als 
Übergang vom Norden nach dem Süden (Ägypten usw.) und 
umgekehrt besonders vorteilhaft Diese Kurorte besitzen auch 
jeglichen Komfort selbst für anspruchsvollste Reisende, während 
die Küste Dalmatiens dessen noch vorläufig grösstenteils ent- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 22 . 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


belirt. Aber auch das wird kommen, und dann würde dieses 
schöne Land und die adriatische Küste nicht nur klimatisch, 
sondern auch in jeder anderen Beziehung imstande sein, den 
Erholungsbedürftigen usw. die Riviera unserer Feinde mehr wie 
zu ersetzen. Kreb s-Aachen. 

Max Meyer: Über plethysmographische Unter¬ 
suchungen in natürlichen Kohlensäure-Bädern. (Zeitsehr. f 
Balneologie usw. Jalirg. 1915/16, Nr. 18, 19 u. 20.) 

Das Hauptergebnis dieser in Nauheim angestellten Unter¬ 
suchungen beruht darin, dass der Verf. im Gegensatz zu 
Otfried Müller glaubt nachgewiesen zu haben, dass 
eine reaktive Erweiterung der peripheren Gelasse im 
natürl. CO.,-Bad in der Tat vorhanden ist. Hand in Hand 
mit der Gefasserweiterung geht eine Herabsetzung der Getass- 
spannung und eine Verringerung der Widerstände im Kreis¬ 
lauf 

Meyer teilt auch nicht die Auffassung Müllers 
und seiner Mitarbeiter, dass im CO»-Bad ein gegensätzliches 
Verhalten zwischen Kapillaren und peripheren Arterien 
besteht und bestreitet die im COj-Bad von Meller ange¬ 
nommene Neigung zur Gefässzusammenziehung. Der Gefäss- 
erweiteruug geht nur eine Verengerung voran, die jedoch von 
kurzer Dauer ist Die Ursache für die unabhängig von der 
Temperatur des Badewassers erfolgende Gefasserweiterung ist 
nicht nur in der Resorption des CO, durch die Haut also auf 
chemischem Wege zu suchen, sondern auch in der Reinigung 
des Zentralnervensystems K re bs-Aachen 

Medikamentöse Therapie. 

B a c m e i 8 t e r: Die Kopierung von Pneumoknkkeu- 
intcktionen bei tuberkulösen Lungenkranken durch Optochin. — 

'Mchn m. W -Sch. 1916, Heft 1.) 

Dem Chininderivat Optochin (Athylhydrokuprein, kommt I 
eine spezifische Heilwirkung zu bei Pneumokokkeninfektionen. 
insbesondere hei Lungenentzündungen, bei denen möglichst 
frühzeitige Darreichung des Präparats zu vorzeitiger, dauernder 
Entfieberung führt. Fussend auf dieser, auch in der Literatur | 
bereits zahlreich niedergelegten Erfahrung, bat Verf. das! 
Optochin mit Erfolg an Tuberkulösen bei Erkältungsbronchi¬ 
tide» erprobt, deren oft verhängnisvolle Bedeutung für das j 
Weiterschreiten oder Wiederaufflackern alter tuberkulöser Herde 
und Prozesse bekannt ist. Optochin wurde täglich 5 -8 mal 
zu je 0.2 g gereicht, mithin etwa 2stüudig. Über 2,0 g sei! 
nie zu gehen Toxische Nebenwirkung zeigte sich nur einmal: 
Urticaria. Es trat dagegen stets auffallend rasche Entfieberung i 
ein mit subjektiver und objektiver Besserung. Im Gegensatz zu 
diesen guten Ergebnissen bei den sekundären Erkältungs¬ 
bronchitiden der Tuberkulösen scheint das Optochin bei höherem, 
tuberkulösem, Fieber zu versagen. 

Viernst e n-Kaislteim. 

Peperhove: ,, Kalziumkoinpretten“, ein geeignetes 
Culciiim-chloriitum-Präparal als Antihydroticiim. — (Mchn. in. 
W.-Schr 19 lü. Heft 2.) 

Versuche, die Verf. mit Calcium chloratum in wässriger 
Lösung zur Bekämpfung tuberkulöser Nachtschweisse angestellt 
hatte, scheiterten wegen des unangenehmen Geschmackes des 
Mittels. 

In den von Merck-Böhringer-Knoll („MBK“) als Heu- 
schnupfenmittel hergestellteu „Kalziumkompretten“, enthaltend 
je 0.1 Calc. chlorat. crystallis., wurde dagegen ein wirksames, 
bequemes, und den Geschmack ansprechendes Präparat ohne 
schädliche oder unangenehme Nebenwirkungen gefunden. Es 
wurden 3, dann 2, schliesslich 1 Stück gereicht. 

Die von Witlf i ng-Berlin hergestellten „Kalzantabletten“ 
werden gleichfalls als erfolgverheissend empfohlen. 

V i e r n s t e i n-Kaisheim. 

G e 1 1 h a u s - Rüstringen: Einige Beobachlungen bei 
Kollargolinjektinnen in kleinen Dosen. Münch, m. Wochenschrift 
Nr. 6, 1916.) 

Tn Bekämpfung von Entzündungskrankheiten hat Verf 
hei genügend frühzeitiger Behandlung durch glutüale Injektion 
von 0,3—0.5 g einer 1 proz. Kollargollösung befriedigende 
Resultate erzielt. So kamen u. a. in diese Behandung: Furun¬ 
kulose, Panaritien, krepitieremle Sehnenscheidenentzündung 

Digitized by Google 


Erysipel, Appendizitis, Peritonitis, beginnendes Puerperalfieber, 
Gonorrhoe, Ulcus genitale, Pneumonie. Die erste Injektion 
bringt die beste Wirkung. Stark virulente Infektionen und 
Spätstadien sind jedoch durch Kollargol unbeeinfiussbar. Es 
empfiehlt sich frühzeitigste Injektion. 

Nach Verf. Ansicht schädigt das Kollargol in kleinen 
Dosen einerseits die Infektionskeime, andererseits wirkt es an¬ 
regend auf eine Leukozytenverjüngung Ulcus genitale auf 
luetischer Basis hleiht durch Kollargol unverändert, während 
Ulcus molle sehr gute Heilungstendenz zeigte 

F. R. M ü h 1 h a u s - München. 


Allgemeines 

L e w a n d o w s k i, A (Berlin): Die militärische Vor¬ 
bereitung der Jugend. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung XII. 1915, 
Nr. 20.) 

Die Forderungen der Zeit decken sich mit denen der 
praktischen Hygiene, dass die Jugend, die in Schul- oder 
Fabriksälen körperlich zu verkümmern droht, kriegstüchtiger 
entwickelt werden muss. L. wirkt an militärischerseits ge¬ 
troffenen Einrichtungen mit und berichtet, dass von den jungen 
Leuten eigentlich nur 2 —5 U 0 ungeeignet für die Jugendwehr- 
kompagnien sind Sein Vorschlag, die Schwächlinge in be¬ 
sonderen Kompagnieen auszubilden und dadurch zu kräftigen, 
erscheint beachtenswert. Ganz besonders aber möchte ich die 
Idee befürworten, die Zeit von der Schulentlassung bis zum 
Eintritt ius Heer für die körperliche Entwicklung unter einer 
straffen Leitung zu verwenden. Die sich selbst überlassenen 
jungen Leute geben sich — die tägliche Erfahrung lehrt es — 
dem Tabak, dem Bacchus und der Venus hin und setzen deren 
Schädigungen einen um so geringeren Widerstandentgegen, jemehr 
ihr Organismus noch unfertig ist. Da bestellt zwischen studieren¬ 
der und Arbeiter-Jugend kein Unertscbied. Sachverständige 
behaupten, dass die 18-jährigen gesünder seien als die 
20-jährigen, und wünschen, dass dieser Gesundheitszustand er¬ 
halten bleiben möge. Eine militärische Vorbereitung wäre da 
eine glückliche Lösung. Für gute Erfolge in körperlicher wie 
namentlich moralischer Hinsicht könnte man garantieren. 

B u 11 e r s a c k. 


Bücherschau. 

Prof. Dr. U. A d a m: Die Behandlung von Kriegsver¬ 
letzungen und Kriegskraukhelfen in den Heiniatlazaretten. ] 'feil. 
Verlag von G. Fischer, 1915. 

Vom Zentralkomitee für das ärztliche Forlbildungsweseu 
in Preussen herausgegebene 17 V orträge, die in Berlin während 
des Krieges :915 von Autoritäten gehalten wurden. 

Gerade die Erfahrungen aus den Lazaretten im Heimat¬ 
gebiet sind, weil stabileren Verhältnissen entsprungen, für 
ijeden Feldarzt in hohem Grade wissenswert. v. Sehnizer. 

R o t t e r, Generalarzt: Merkblätter für Feldunterarzle. — 
Mch m. W-Sch. 1910. Heft 1 5) 

Von Fachärzten aller Disziplinen zusammengestellte kurze 
| und klare Winke diagnostischer und therapeutischer Natur, die 
j nicht bloss für den angehenden Arzt, sondern auch für den älteren 
Praktiker wertvoll erscheinen, zu eingehenderem Referat au 
dieser Stelle sich jedoch nicht verwerten lassen. Die Lektüre 
der Merkblätter ist sehr zu empfehlen. 

Viernstein - Kaisheim. 

(»eist der Medizin. Analytische Studien über die Grund¬ 
ideen der Vormedizin, Urmedizin, Volksmedizin, Zaubermedizin, 
Berufsmedizin von Dr. Oskar v. Hovorki, Ordinarius 
des Nied, österreichischen Kinderhauses Gugging bei Wien. 
(Verlag von Wilhelm Braumüller, k. u k. Hof- und L T uiversiläts- 
huchhändler, Wien und Leipzig 1915) 

Im vorliegenden Buche entwirft der Autur ein auf dem 
Gebiete der Volksmedizin und Geschichte der Medizin durch 
I seine zahlreichen Arbeiten bestbekannter Forscher ein Bild 
der Entwicklung der Medizin von ihren ersten Anfängen bis 
zu der heutigen hoch entwickelten Stufe. Ausgehend von den 
primitiven Heilhestrebuugen der Urmenschen, die, ähnlich wie 
die Tiere, einfache Reflexbewegungen, als: Reiben. Lecken. 

| Saugen, Kratzen, usw. in methodische Heilverfahren, wie Massage, 

Origiralfrcm 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



218 


FORT SCHRITTE DER MEDIZIN. _ Nr . 22 

Skarifikation, Schröpfen, Tätowieren, Scheuern, umsetzten, ent- | dem einen Gedanken beseelt: gesund werden um 
wirft er ein meisterhaftes Bild der Heilkunde aus jenen fernen jeden Preis, gleichviel, ob mit diesem 
Zeiten, wo es noch keine geschulten Berufsärzte, sondern nur oder jenem Mittel, w e n n e s nur hilft' Fr 

Volkschirurgen, Schröpfer, Blutentzieher, Zauberpriester, weise : verlangt' von ihm Heilung oder zumindest Linderung des 
brauen gab, bis in die neue Zeit, wo die Schulmedizin mit Schmerzes. Darum versucht er es zuerst selbst, gelingt e« nicht, 
ihren praktisch ausgebildeten Ärzten und theoretischen Forschern, so wendet er sich voll Vertrauen an den Arzt. Die Sache des 
mit ihren hochentwickelten Heil- und Untersuchungs-Armen-! Letzteren ist es, das richtige Mittel in richtiger Weise zu wählen 
larium eine hohe Entwicklungsstufe erreichte Während in Dem Arzte fallt jedoch wiederholt die Aufgabe zu, nicht nur 
der Epoche der Vormedizin die Menschen hinsichtlich das körperliche, sondern auch das seelische Leiden zu lindern 
direr Hedbestrehungen wenig von den Tieren sich unterschieden, Gesegnet der Arzt, der es richtig versteht; Heil dem Kranken 

machte sich in der nachfolgenden Periode, die der Autor als der sich ihm anvertraut.Der Vormensch rieb sich die 

die der U r m e d i z i n bezeichnet, ein Fortschritt in dem schmerzende Stelle mit dem Mohnsafte ein, der heutige, wissen- 

Sinne geltend, dass einige Kulturmittel, welche den Urmenschen schaftliche hochgebildete Arzt — greift zur Morphiumspritze 
von den Tieren absonderten, wie: verschiedene Werkzeuge. Wie verschieden ist die Ausführung, wie gleichbedeutend jedoch 
Feuer unii Wasser in den Dienst der Medizin gestellt wurden .die beabsichtigte Wirkung! 

Es folgt hierauf die animalische Epoche, in [ „Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen . . .<■ 

welcher sich der erste Einfluss des Seelenglaubens auf den Das Buch ist überaus interessant und lehrreich. Für 

Menschen geltend machte. Da hat sich die Volksmedizin jeden Arzt, der seinen Gesichtskreis über den Rahmen der 
in inniger Verbindung mit der Zaubermedizin entwickelt und Medizinflasche hinaus erweitern will, wird es eine köstlich 
zum erstenmal hat sich der Volksarzt als eine besondere | unterhaltende Lektüre bilden, deren Nutzanwendung auch in 
Klasse gesondert. _ der Praxis sich geltend machen kann. Dr. Albert. 

Dieser hat zweifellos — wie häufig noch heute — zu 

den leicht zugänglichen und oft äusserst wirksamen, echt mensch- Wilhelm W a 1 d s c h m i d t, Wie Unterdrückung 

liehen Mitteln des tröstenden Wortes, der beruhigenden Ein- drr Poripflanzungsfähigkeit und ihre Folgen für den Organis- 
wirkung des Zuredens gegriflen; um den Schmerz zu lindern mus - Preisgekrönte Arbeit der Medizinischen Fakultät der 
und die Hoffnung auf Genesung wachzuhalten. Universität Tübingen, Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart 

Die verbale Wachsuggestion ist in ihre Rechte getreten Eine kompilatorische Arbeit, deren Wert hauptsächlich in 

und als deren Vertreter sehen wir die Medizinmänner der einer fleissigen und sehr sorgfältigen Zusammenstellung der 
Naturvölker und der Naturstämme der neuen Welt, die Schamane, einschlägigen Literatur (ca. 800 Nummern) und Zitierung der 
die Priesterärzte, die Gesundbeter der neuen Zeit, das Feld be- vielfach diametral entgegengesetzten Aussprüche hervorragender 
herrschen. Da aber das tröstende Wort allein nicht immer Fachmänner, besteht die eine einheitliche Ansicht über diese Frage 
genügt, musste der Volksarzt frühzeitig zu bestimmten Mitteln, nicht zulassen. Während eine Reihe von Autoren die ge- 
Vorkehrungen, Handlungen, Vorrichtungen greifen. So entstan- sehlechtliche Befriedigung als ein unentbehrliches organisches 
den die Heilmittel. Bedürfnis, etwa wie das Essen, Trinken, Schlafen, die Ent- 

In dieser Epoche ging noch die Medizin mit der Religion leerung der Exkrete usw. betrachten, dessen Unterdrückung 

innig gepaart einher. Geist und Körper schädige — vertreten andere den Stand- 

Viel, viel später kam es zur Gründung der ersten Schulen punkt, dass Jedermann — Mann wie Weih — bei einiger 
für den medizinischen Beruf, welche die Schulmedizin Willensstärke und Besonnenheit die sinnlichen Triebe dauernd 
und die Ausbildung der ersten praktischen Berufsärzte zur J überwinden könne. 

Aufgabe hatte. Das Merkblatt der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfunli 

In diesem Kapitel wird die ganze Geschichte der Medizin der Geschlechtskrankheiten vom Jahr 1903 (gC l ) stellte folgendeg 
von ihrem historischen Anfang, die um das Jahr 3000 v. ( Satz auf: „Enthaltsamkeit im geschlechtlichen Verkehr ist nach 
Christ, datiert, bis in die neueste Zeit übersichtlich, in ge- I dem übereinstimmenden Urteil der Ärzte im Gegensatz zu 

drängter Kürze — wohl allzukurz skizziert I einem viel verbreiteten Vorurteil in der Regel nicht gesund- 

Der Autor gliedert die ßerufsmedizin in die Schul- und l heitsschädlich.“ 
wissenschaftliche Medizin, deren Entstehung mit den grossen Gleichwohl ist diese Maxime nicht für jeden Meuschen 
Entdeckungen des 16. Jahrhunderts, wie derjenigen der Buch- anwendbar, weil eben die Menschen verschieden veranlagt sind 
druekerkuust, der Entdeckung Amerikas usw. zu Beginn der ül >d auch in sexualibus mächtig von einander differieren 
Neuzeit temporär zusammenfällt. Angesichts der so verschiedenartigen und diametral ent- 

Die ursprüngliche Schulmedizin hat trotz ihrer scheinbaren gegengesetzteu Urteile der Autoren gewinnt mau den Eindruck, 
Gelehrsamkeit noch lange nicht den Anspruch einer Wissen- «lass persönliche Erfahrungen einzelner Autoren hinsichtlich 
schaftlichkeit im heutigen Sinne. Sie tritt ebenso wie die ihrer Vita sexualis ihre Ansichten über die natürliche Stärke 
Volksmedizin rein empirisch, dann praktisch selbständig auf, des Geschlechtstriebes individuell beeinflussten. Für denjenigen, 
später versucht sie auf spekulativem Wege vorwärts zu kommen der die sexuelle Abstinenz leicht ertragen kann, liegt der 
und erst, als diese Richtung sich als fälsch erwiesen, verlegt Glaube nahe, dass es sich bei anderen ähnlich verhält, während 
sie die Reflektion auf die gesunde Basis der Naturbeobachtung derjenige, der sinnlich veranlagt ist geneigt ist anzunehinen, 
und schaffte eigene theoretische Fächer zur Unterstützung der dass der Geschlechtstrieb mächtig nach Befriedigung dränge 
praktischen Bedürfnisse. und der Verzicht auf diese Geist und Körper schädige. 

Hier liegen also die Anfänge der wissenschaftlichen Medizin. Im allgemeinen muss man sagen, dass ein normaler Mensch 
Zum Schlüsse stellt Verfasser eigene Gesetze der Krankenbe- bis zu einem gewissen Alter ohne Schädigung seiner Gesund¬ 
handlung und Grundsätze der Heilkunde auf, die als Vorläufer heit die sexuelle Abstinenz verträgt. Mit Energie, Willenskraft 
der heutigen zünftigen Medizin gelten können. und Selbstzucht lässt sich zweifellos viel — doch nicht alles 

Sehr beachtenswert sind die Schlussbemerkungen, welche erreichen. Es gibt aber Individuen, die unter den besten Vor- 
die kulturelle Bedeutung der Medizin hervorhebeu; sätzen dem Zwange unterliegen, wenn der Geschlechtsdrang eine 

„Die Anfänge der Medizin fallen mit der Menschwerdung gewisse Höhe erreicht, das ganze Sinnen und Denken gefangen 
zusammen, bauen sich zunächst auf den einfachsten Reflexvor- nimmt uud alle Bemühungen den sexuellen Drang durch geistig 
gängen auf, erweitern sich auf Grund einer jahrhunderttausend- oder körperlich angestrengte Arbeit zu meistern, an der Ge¬ 
langen Erfahrung zu empirischen Leitmotiven und wachsen walt der geschlechtlichen Begierde kläglich scheilern. 
schliesslich mit den komplizierten Vorgängen des entwickelten Das Buch, das von der TübingerFakultät preisgekrönt wurde, 

menschlichen Geistes innig zusammen. Obwohl nun die End-, ist wohl eine für den jungen Autor 'er ist Kandidat der 
glieder dieser schisr unabsehbaren Entwicklungskette, welche Medizin) recht anerkennenswerte und gediegene Leistung, 
zu ihrer Entfaltung Hunderttausende, ja vielleicht einiger lässt jedoch ein selbständiges, auf eigene Erfahrungen hissendes 
Millionen von Jahren bedurfte, unendlich kompliziert sind, Urteil und originelle Ansichten vermissen, die eben jedei 
müssen wir dennoch eingestehen, dass die Elementarraotive der Publikation ihren eigentlichen Wert verleihen. 

Heilkunde, die Grundsätze der allgemeinen Therapie, welch Dem Arzt wie dem Juristen, die in gleicher Weise an 

letztere ja den Hauptinhalt der Medizin bildet, seit Urzeiten dieser wichtigen Frage interessiert sind, wird es immerhin 
dieselben gehliehen sind. Der kranke Mensch wird nur von gute Dienste leisten. Dr. A 1 1 e r t 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

URBANA-CHAMPAIGN 


Digitized bj 


Google 




33 Jahrgang. 


1915/16. 


Tort$d)rittc der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg. 


Unter mitwirkung hervorragender Tadtraänner 

lierausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 


Hildesheim. Frankfurt a/M Darmstadt 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Darmstadt 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 


G. Köster, 

Leipzig 


Erscheint am 10., 20. und 30 jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Nr. 23 Verlag Johndorff & Co., O. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch ! 20. Mai. 

Oelsdorf & Co., 0. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. | 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Zur Diagnose und Behandlung der Epilepsie in 
der ärztlichen Praxis. 

Von Oberarzt Dr Enge, Heilanstalt Strecknitz-Lübeck. 

Lieber die Fortschritte der Epilepsieforschung gibt 
es zahlreiche zusammenfassende und kritisch sichtende 
Arbeiten und Sammelreferate. Für den ärztlichen Prak¬ 
tiker haben besonders zwei Fragen Interesse: 

1. Wann darf man eine Epilepsie diagnostizieren? 

2. Wie behandelt man die Epilepsie ? 

Binswanger, Weber u. a. Epilepsie¬ 
forscher vertreten nachdrücklich den Standpunkt, die 
Epilepsie als klinische Krankheitseinheit festzuhalten. 

Binswanger definiert die Epilepsie folgender¬ 
maßen : 

„Die Epilepsie ist eine ausgeprägt chronische Er¬ 
krankung des Zentralnervensystems, welche durch die 
verschiedensten Ursachen hervorgerufen wird; ihre 
Krankheitsäußerungen bestehen entweder in öfters 
wiederkehrenden Krampfanfällen mit Bewußtlosigkeit 
oder in Teilerscheinungen dieser Anfälle oder in psycho¬ 
pathischen Begleit- und Folgeerscheinungen. Im Mittel¬ 
punkte dieser klinisch-symptomatologisch definierten Er¬ 
krankung steht der epileptische Anfall, die paroxys¬ 
malen Entladungen, die, wie heute allgemein bekannt 
ist, die verschiedensten Formen annehmen und auch als 
rein psychische Äquivalente auftreten können.“ (Zeit- 
schr. f. ärztl. Fortb. 1011, Nr. 17.) 

Weber bezeichnet die Epilepsie als eine chro¬ 
nische Erkrankung des Nervensystems, gekennzeichnet 
durch periodisch auftretende von Bewußtseinsverlust 
begleitete Anfälle und durch Bewußtseinsveränderungen, 
die nach längerer Krankheitsdauer zu eigenartiger Üha- 
rakterveränderung und Demenz führen. (M. med. W. 
1912, Nr. 31 u. 32.) 

Demnach ist ein ganz bestimmter Symptomen- 
komplex und ein charakteristischer Verlauf oder Aus¬ 
gang ausschlaggebend für die Diagnose der „echten 
Epilepsie“ ; aus dem Auftreten des einen oder anderen 
Symptomes z. B. eines Anfalles, oder einer plötzlichen 
Verstimmung oder einer Bewußtseinstrübung darf man 
noch nicht die Diagnose „Epilepsie“ stellen. Für die 
praktische Diagnosenstellung werden im einzelnen noch 
folgende Richtlinien gegeben: (W e b e r , Bins¬ 

wanger, cit. loco.) 

1. Das ausschlaggebendste diagnostische Merkmal 
ist der Krampfanfall, um welches sich die 
anders gearteten paroxysmalen Entladungen gewisser¬ 
maßen herumlagern. Unter Krampfanfällen sind 
motorische Reiz- und Ausfallserscheinungen zu ver- 

Digitized by Google 


stehen, die nur das charakteristische der kurzen Dauer 
und des Bewußtseinsverlustes haben. Dabei gestattet 
ein einmaliger Krampfanfall noch nicht die Diagnose 
Epilepsie, sondern die Anfälle müssen periodisch 
auftreten. Ebenso ist es erforderlich, daß die An¬ 
fälle mit Bewußtseinsverlust einhergehen. 
Krampfanfälle bei erhaltenem Bewußtsein, z. B. wie bei 
der Jackson sehen Epilepsie, gehören nicht zur 
echten Epilepsie. Der klassische, typische epileptische 
Anfall setzt sich zusammen aus: Aura, Bewußtlosigkeit, 
allgemein tonischer und nachfolgender klonischer Krampf 
der gesamten Körpermuskulatur, stuporöses Nachstadium. 
Außer dieser vollentwickelten Form giht es natürlich auch 
rudimentäre und abortive Anfälle. Aber nur diejenigen 
Krankheitsbilder, bei denen der epil eptische 
Anfall, d. h. die motorische Reiz¬ 
komponente, in mehr oder weniger Ausprägung 
vorhanden ist, können zur echten Epilepsie zugezählt 
werden. Beim Fehlen jeglicher Anfälle ist die Diagnose 
nicht zu stellen. 

2. Zur Diagnose der „echten Epilepsie“ verhilft das 
periodische Auftreten von vorübergehenden psy¬ 
chischen Veränderungen, die man schlechtweg als 
Dämmerzustände bezeichnet. Dabei hat man 
unter Dämmerzuständen nicht nur eigentliche Bewußt¬ 
seinstrübungen zu verstehen, sondern ganz verschieden¬ 
artige psychische Veränderungen z. B. Stimmungs¬ 
schwankungen depressiver und manischer Art, auch 
Verlangsamung des Denkens, Sprechens, Handelns, ohne 
daß die Orientierung dabei gestört ist. Die Schwierig¬ 
keit des Erkennens dieser Zustände liegt darin, daß sie 
oftmals in leichtester Form auftreten und dann nur fest¬ 
gestellt werden können, wenn man das Verhalten vor und 
nach dem Anfall genau kennt, was natürlich für den 
Praktiker, der den Patienten nur selten sieht, besonders 
schwierig ist. 

3. Für die Diagnose der „echten Epilepsie“ kommt 
Ausgang und Verlauf in Frage. Die echte 
Epilepsie nimmt einen chronischen Verlauf, der allmäh¬ 
lich zu dauernden psychischen Veränderungen führt, 
namentlich in Form eines eigenartigen Charakters und 
einer eigenartigen Demenz. Für die Praxis gilt nach 
Weber der Satz, daß eine durch periodische Krampf¬ 
anfälle und Dämmerzustände gekennzeichnete Epilepsie, 
die nach 5 bis 10 jähriger Dauer nicht zu den eben 
genannten Veränderungen geführt hat, nicht zur echten 
Epilepsie gehört. Für die epileptische Charakterver¬ 
änderung sind abnorm gesteigerte affektive Reizbarkeit, 
Mangel an ethischer Vertiefung, egocentrische Auffassung 
des Verhältnisses zur Umgebung charakteristisch. Auch 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





22Ö 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN'. 


Nr. 23. 


für die epileptische Demenz sind bestimmte Züge spezi¬ 
fisch : Verlangsamung der Vorstellungstätigkeit, mangel¬ 
haftes Unterscheidungsvermögen, Abnahme des Gedächt- 
nisses bei erhaltener Merkfllhigkeit. 

4. Der Beginn des Leidens kann zur Siche¬ 
rung der Diagnose führen. Die echte Epilepsie ist eine 
Frühepilepsie. Die Mehrzahl der Fälle der echten Epi¬ 
lepsie beginnt im 2. und 3. Lebensjahr (selten im 1. 
Lebensjahr), andere beginnen im 6.—12., viele noch im 
10.—20. Lebensjahr. Ganz selten sind schon die F'älle, 
wo die Krankheit erst im 25.—30. Lebensjahr beginnt 
Diejenigen Fälle, die erst nach dem 30. Lebensjahr be¬ 
ginnen, gehören nicht zur echten Epilepsie. Wenigstens 
gilt der Satz für die Praxis. 

Auch wenn man sich an diese Richtlinien hält, 
d. h. einen bestimmten Symptomenkomplex und den 
Krankheitsverlauf ins Auge fasst, gibt es oftmals 
noch grosse differential-diagnostische Schwierigkeiten, 
z. 13. besonders gegenüber der Hysterie. Vor allem sei 
dem Praktiker vor Augen, dass eine Epilepsie nur auf 
Grund einer ganz subtilen Anamnese und auf Grund 
einer ganz gründlichen und sachverständigen Unter¬ 
suchung zu diagnostizieren möglich ist. Was die Fest¬ 
stellung und Art der Krampfanfälle anlangt, so wird er 
gut tun, zuverlässige Zeugen des Leidens hinzuzuziehen, 
wenn er nicht selbst in der Lage gewesen ist, Anfälle 
mit eigenen Augen zu sehen, was nicht immer leicht 
glückt. Soviel über die Diagnose der Epilepsie. 

Wiebehandelt man die F2 p i 1 e p s i e ? 

Das souveräne Mittel gegen die Epilepsie sind die 
Bromsalze. Sie haben nicht nur eine unbestrittene 
Wirkung der Beruhigung eines erregten und überreizten 
Nervensystems, sondern auch eine spezifische krampf¬ 
hemmende Wirkung. Alle Geheimmittel gegen F3pilepsie 
verdanken, wenn sie überhaupt Erfolg hatten, diesen 
dem beigemengten Brom. Zu bevorzugen ist das 
Bromnatrium. Es hat einen etwas höheren Bromgehalt 
als das Bromkalium. Ferner fällt der nachteilige Ein¬ 
fluss der Kaliverbindung auf das Herz weg; bekannt¬ 
lich gelten alle Kaliverbindungen mehr oder weniger 
als Herzgifte. Die Mischung der verschiedenen Brom¬ 
salze, z. B. die bekannte Erle n me y er sehe Lösung 
Bromkalium, Bromnatrium, Bromammonium in dem Ver¬ 
hältnis der drei Salze von 1 : 1 : */., hat keine besonderen 
nachweisbaren Vorteile. Man kommt ganz gut mit dem 
Bromnatrium aus. 

Kommen Epileptiker in Anstaltsbehandlung, so 
hört man gar nicht selten von vornherein den Einwand: 
„Mir hat Brom nicht geholfen.“ Genauere Nach¬ 
forschung ergibt dann, dass nur selten eine „methodische 
Brombehandiung“ stattgefunden hat. Dies ist nicht 
allein Schuld der Ärzte, sondern liegt auch daran, dass 
beim Laienpublikum das Brom z. 1. in Misskredit ge¬ 
raten ist. Es sagt ihm nach, dass es verdumme und 
außerdem den Magen schädige und deshalb stößt der 
Arzt, der bei einem Epileptiker eine Bromkur durch¬ 
führen will, oftmals auf hartnäckigen Widerstand. 

Was man unter einer „m et ho d i sc h e n Br om- 
k u r“ zu verstehen hat, sei in folgendem kurz ausein¬ 
ander gesetzt. Sie umfaßt 

1. die rein medikamentöse Behandlung d. h. die Dar¬ 
reichung der Bromsalze. 

2. Die gleichzeitige physikalische diätetische Behand¬ 
lung und die Regelung der gesamten Lebensweise. 

Zu 1. Die Dosierung des Mittels muß streng 
individualisierend erfolgen. Man muß mit kleinen Dosen 
beginnen, sie allmählich steigern, bis man die wirksame 
Dosis erreicht hat, d. h. bis keine Anfälle mehr auf- 
treten. 

Man wird im Durchschnitt bei Kindern mit 3 g, 
bei Erwachsenen mit 6 g Brom beginnen und diese in 
drei Tagesdosen verabfolgen. Wichtig ist es, die ein- 

Digitized by Google 


zelnen Bromgaben in gehöriger Verdünnung zu reichen, 
z. B. auf ein Glas Wasser oder Milch oder auf einen 
gefüllten Teller Suppe. Denn alle hochprozentigen 
Salzlösungen rufen leicht Magenverstimmungen hervor. 
Haben die Anfälle längere Zeit sistiert, so wird man die 
Bromgaben allmählich herabmindern und schließlich auf 
ein ganz geringes Maß 2—1 g als Tagesdosis beschränken, 
Mengen, die erfahrungsgemäß der Organismus ohne jede 
schädliche Nebenwirkung jahrelang erträgt. Die Ent¬ 
wöhnung vom Brom muß sich ganz allmählich voll¬ 
ziehen. Binswanger hat es sich zur Regel ge¬ 
macht, daß ein Epileptiker 3 Jahre anfallsfrei sein muß, 
bevor er das Brom ganz weglassen darf. Die regel¬ 
mäßige und andauernde, eventuell jahrelange 
D a r r e i c h u n g des Broms ist eine wichtige Be¬ 
dingung, wenn das Brom eine volle Wirkung haben soll. 

Selbstverständlich muß der Arzt die Gefahr kennen, 
die längere Brommedikation in sich birgt. Am wichtig¬ 
sten ist der akute ß r o m i s m u s. Sein Ilerannahen 
kündigt sich an durch Stumpfheit und Interesselosigkeit, 
neurologisch durch Herabsetzung der Haut- und 
Schleimhautrellexe. In ausgesprochenen und schweren 
[Fällen zeigt sich fast ein paralytisches Bild, Tremor, 
Gang- und Sprachstörungen u. a. Sind die Er- 
| scheinungen nur leichte, so kann man ruhig abwarten, 
ohne die Bromdosis zu verringern, ob der Zustand nicht 
ohne weitere Maßnahmen wieder schwindet. Bei schweren 
akuten Symptomen ist es angezeigt, die dargereichte 
Brommenge herabzumindern oder wenn die Erscheinungen 
auch dann noch nicht zum Schwinden kommen, einige 
Tage lang der Nahrung einige g Kochsalz extra zuzu¬ 
fügen (eventuell Kochsalzklistiere oder Kochsalzinfu¬ 
sionen). Die sofortige gänzliche Unterbrechung der 
Bromkur ist nur in den seltensten F'ällen angezeigt, da 
dadurch der Erfolg der bisher eingeleiteten Kur ernst¬ 
lich gefährdet wird. 

Der chronische Bro in Ismus äußert sich, 
kurz gesagt, in einer allgemeinen schweren Ernährungs¬ 
störung, daher auch Kachexie genannt. Er läßt sich 
vermeiden durch hygienisch diätetische Maßnahmen, auf 
die noch eingegangen werden soll. Ist er aber einge¬ 
treten, so müssen ebenfalls die Bromdosen herab¬ 
gemindert werden oder der Nahrung reichlich Kochsalz 
zugesetzt werden. Die günstige Wirkung des Koch¬ 
salzes beruht auf dem Antagonismus zwischen Brom und 
Chlor. 

Eine mehr unangenehme wie gefährliche Neben¬ 
erscheinung bei Bromdarreichung stellen H aut- 
affektionen, vornehmlich die Bromakne, 
dar, wie sie ziemlich häufig aufzutreten pflegen. Sie 
erfordern weder llerabmindern noch Aussetzen der 
Bromdosen. Gibt man nebenher F o w 1 e r sehe 
Lösung in der bekannten an- und absteigenden Weise, 
so tritt meist rasch Heilung ein. Bei hartnäckigeren 
Formen hat sich mir auch hier die Darreichung von 
Kochsalz, etwa 10 g pro die über einige Tage ausge¬ 
dehnt, gut bewährt. Äußerlich kann man eine Salbe 
verwenden, wie z B. 

R P . 

Resorcin 
Rulv. Amyli 
Zinc. oxvdat. fui 4.0 
Vaselin 12.0 
M. f. Unguentum 

Zu 2. Die Bromkur muß unbedingt ergänzt werden 
durch eine physikalisch-diätetische 
Behandlung und durch eine hygienische 
Regelung der gesamten Lebens¬ 
weise. 

Zu letzterer gehört vor allem die unbedingte Ent- 
halt u n g vom Alkohol in jeder Form und aut 
| Jahre hinaus, wenn nicht überhaupt für alle Zeit. L)er 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 23. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


221 


Alkohol ist und bleibt das schwerste Gift für den Epi¬ 
leptiker. Hier genügt ein einmaliger Hinweis nicht. 
Gewöhnlich stehen Epileptiker ihrem Leiden mit einem 
gewissen Optimismus gegenüber, sehr oft sind sie auch 
vergeßlich. Der praktische Arzt scheue deshalb nicht 
die Mühe, den Epileptiker immer wieder darauf hinzu¬ 
weisen, daß auch nicht ein einziges Mal ein Versehen 
Vorkommen darf, da ein einziges V ersehen durch Alko¬ 
holgenuß das in Jahren Gewonnene mit einem Schlage 
zu nichte machen kann. Auch die Angehörigen und 
die Umgebung des Kranken klare der Arzt möglichst 
darüber auf, das Verständnis der Umgebung ist oftmals 
für den Erfolg der Kur ebenso wichtig, wie der 
eigene Wunsch und das Wollen des Kranken, von 
seinem Leiden befreit zu werden. 

Von T o u 1 o u s e und R i c h e t wurde in 
die Behandlung der Epilepsie die salzarme Er¬ 
nährung eingeführt. Pharmakologische Unter¬ 
suchungen hatten festgestellt, daß bei der Bromtherapie 
anfänglich eine Aufspeicherung des Broms im Organis¬ 
mus (Blutserum) stattfindet, daß ein Teil des Chlorge¬ 
haltes im Organismus durch Brom ersetzt wird und daß 
zwischen epileptischen Anfällen und dem Chlorgehalt 
des Blutes ein Zusammenhang besteht, dahingehend, daß 
man durch Herabsetzung des Chlorgehaltes das Auf¬ 
treten der Krampfanfälle verhindern kann. Auch kann 
mau bei Verringerung der Kochsalzzufuhr mit weit 
weniger Brom auskommen. 

Für die allgemeine Praxis eignet sich trotzdem die 
loulouse-Richet sehe Diät, die kurz gesagt 
eine weitgehende Einschränkung der Chloride in der 
Nahrung zum Ziele hat, aus den verschiedensten Gründen 
nicht. Die einförmige und wenig schmackhafte salz¬ 
arme Kost verursacht Appetitlosigkeit, wird meist nach 
sehr kurzer Zeit vom Kranken verweigert, wodurch der 
Ernährungszustand ungünstig beeinflußt wird. Salzarme 
Gerichte durch allerhand Gewürze und Kräuter u. a. 
Geschmackskorrigentieri, wie vorgeschlagen, schmack¬ 
hafter zu machen, erfordert eine komplizierte Küchen¬ 
technik und eignet sich ebenso wenig für den gewöhn¬ 
lichen Familienhaushalt wie für eine Anstaltsküche. Auch 
diejenigen Nahrungsmittel, in denen man das Kochsalz 
durch Bromsalz ersetzt hat, wie z. B. Brombrot und 
Bromzwieback, ferner Sedobroltabletten, d. s. Brom¬ 
bouillonwürfel, eignen sich für die Durchschnittspraxis 
nicht, schon ihres hohen Preises wegen. Schließlich 
steigert auch ein starker Chlorentzug die Gefahr des 
Bromismus. In der Praxis wird man einer möglichst 
reizlosen Ernährung, die in der Tat am besten geeignet 
ist, den Ausbruch von Anfällen zu verhüten, nahe 
kommen, wenn man einmal eine Milchdiät bevorzugt, 
andererseits die Eiw'eißzufuhr zu Gunsten der Fette und 
Kohlehydrate einschränkt. Das letztere geschieht, indem 
man den Epileptiker nur einmal täglich F'leisch zirka 
300 g genießen, auch F’ische bevorzugen läßt. In die 
Milchdiät läßt sich dadurch Abwechselung bringen, daß 
man sie rein, als Milchschokolade, Milchsuppe oder in 
form von Milchspeisen verabreicht. Auf diese Weise 
kann man täglich 1 bis 2 1 Milch zuführen, ohne daß 
der Genuß lästig wird. 

Wichtig ist natürlich, daß man auf alle Fälle ein 
gutes Allgemeinbefinden des Kranken anstrebt. Milde 
hydrotherapeutische Maßnahmen werden den Stoff¬ 
wechsel anregen. Von allergrößter Bedeutung ist die 
Regelung des Stuhlganges. Verstopfung bedingt sehr 
häufig die Auslösung von Anfällen. Im allgemeinen ist 
körperliche Arbeit — namentlich F'eld- und Gartenar¬ 
beit — für den Epileptiker von Vorteil. Bekommt man 
frische Fälle in Behandlung, so soll man nach Bins- 
w a n g e r s Vorschlag sie wie andere Schwerkranke 
wochenlang ins Bett legen und erst aufstehen lassen, 
wenn die Anfälle wochenlang sistiert haben. 

Digitized by Google 


In erster Zeit, bis der Kranke sich an die Bromme¬ 
dikation und die verordnete, meist veränderte, Lebens¬ 
weise gewöhnt hat, muß der Arzt seinen Patienten 
öfterer, d. h. etwa alle 8 Tage sehen, muß öfterer sein 
Körpergewicht kontrollieren und ihm immer aufs neue 
wieder die für ihn nötigen Lebensregeln einschärfen. 

Zum Schluß sei noch erwähnt, wie man dem Status 
epilepticus. der gefürchteten Anhäufung von Krampfan¬ 
fällen mit schwersten Allgemeinerscheinungen in der 
Praxis erfolgreich begegnet. Hier kommt in erster 
Linie das Amylenhydrat in Betracht. Da es sich um 
benommene Kranke handelt, die nicht schlucken, ge¬ 
schieht die Applikation als Klysma, 1-2 g bei Kindern, 
4 g bei Erwachsenen pro Dosis. Die leichte Löslichkeit 
in Wasser bedingt schnelle Resorption und Wirkung. 
Da es die Schleimhäute etwas reizt, kann man ein 
schleimiges Vehikel befügen, z. B. 

Rp- 

Amylenhydrat 4.0 
Aq. dest. 50.0 
Muc. Gummi, arab. 20.0 
MDS. Zum Klistier. 

Diese Dosis kann unbedenklich binnen 24 Stunden 
2 mal, auch 3 mal, gegeben werden 

Die Durchführung einer solchen methodischen Brom¬ 
behandlung ist gewiß mühevoll, aber sie ist doch auch 
dankbar. Denn diejenigen Fälle von Epilepsie, die nach 
den angegebenen Grundsätzen behandelt, nicht zum 
mindesten sehr augenfällige Besserungen aufweisen, sind 
recht seilen 


Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Diphtherie. 

Von Dr. J u 1 i u s S t r a u s s, Kinderarzt in Mannheim, 
z Z. Stabsarzt am Reservelazarett Nürtingen. 

Das letzte Jahrzehnt hat in vielen deutschen Gross¬ 
städten, in Hamburg, Bremen, Stuttgart und ganz besonders 
in der letzten Zeit auch in Berlin ein Aufflackern der in 
den Städten ja jederzeit glimmenden Diphtherie-Epidemien 
gebracht, die in mancher Beziehung eine eingehendere 
Beschäftigung mit dieser Erkrankung und eine Revision 
früherer Ansichten hervorgerufen haben. 

Zwar zu dem klinischen und pathologischen Bilde 
der Diphtherie, das seit Jahrzehnten feststeht, konnten 
wenig neue Züge beigebracht werden, um so mehr 
beschäftigte sich die Forschung mit der nunmehr 
20 Jahre alten Serum-Therapie und dem, was thera¬ 
peutisch und klinisch mit ihr zusammenhängt. Immer¬ 
hin sind auch in klinischer und epidemiologischer 
Beziehung manche neue Tatsachen in dieser letzten 
Zeit berichtet worden. So wurden von verschiedenen 
Seiten merkwürdige Lokalisationen der Diphtherie 
beobachtet, die zwar nicht neu, aber immerhin selten 
sind: Bokay sah sie bei zwei Säuglingen mit diphtheri- 
tischem Schnupfen am Alveolarfortsatz des Oberkiefers 
lokalisiert, 14 a v i d beobachtete eine primäre diphtheritische 
Lungenentzündung bei einem 0 jährigen Knaben, Reiche 
sekundäre Diphtherie der Magenschleimhaut. Ceelen 
beschreibt bei einem 3 jährigen Mädchen den seltenen 
Fall einer tzsophagus-Diphtherie; andere sahen Haut- 
Diphtherien, die an der Ohrmuschel, am Ellbogen oder 
am After sich festsetzten. F r e i f e 1 d fand Diphtherie- 
Bazillen im Harn eines 10 Monate alten Mädchens und 
von besonderem Interesse sind die pathologisch- 
anatomischen Befunde Liedkes (1914 D. med. W. N. 12), 
der bei 7 F'ällen tödlich verlaufender Diphtherie in 
jedem Falle die Löfflerschen Bazillen in sämtlichen 
untersuchten Organen fand, so dass nicht nur von 
Intoxikation, sondern Allgemein-Infektion hierbei 
gesprochen werden musste. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



222 


Nr. 23. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Besonders eingehend wurde die Hamburger Epidemie 
von Reiche in klinischer und wie wir später sehen 
werden auch in therapeutischer Beziehung verwertet 
(Med. Klinik 1913 N. 41 u. a., Zeitschrift für klinische 
Medizin 1915); er sah von Oktober 1909 bis 30. 
September 1913 auf seiner Krankenhaus-Station 7314 
Diphtheriekranke, von denen 886 (mithin 12,1 "/,) starben; 
unter diesen 88b Gestorbenen linden sich aber 201 
innerhalb der ersten 24 Stunden zum Exitus Gekommene. 
Er hatte unter seinen 7314 Diphtheriekranken Beteili¬ 
gungen des Larynx insgesamt 863 (wovon 507 
zur Tracheotomie und von diesen 282 zum Exitus 
führten), ferner diphtheritische Beteiligungen der Nase 
1421, der Augen 51, der Zunge und Lippen 9b, des 
Mittelohrs 8, der Haut 44, der Vulva 8. Nephritis sah 
er dabei, ungerechnet die zahlreichen leichten Albu¬ 
minurien 242, darunter 22 mal bei seinen leichten 
(2257) Fällen. Manche Komplikationen sind verhältnis¬ 
mässig spärlich vertreten. So berichtet Knack (Zeit¬ 
schrift f. Infektionsk. 1915) aus einem Jahr unter 500 
Diphtheriefällen über 8 Tonsillar-Abszesse, während 
unter Reiche’s zahlreichen Fällen sich nur 1 solcher (bei 
einer 34 jährigen Frau) fand. Bei Reiche’s schweren 
Fällen traten besonders häufig (177 mal) die Erschei¬ 
nungen hämorrhagischer Diathese auf. In einem Teil 
seiner Fälle fand er unabhängig von der Schwere der 
Erkrankung Herpes facialis meist am 3. Krankheitstag. 
Unter seinen 7314 Fällen trat 19 mal Appendizitis auf, 
darunter 4 mal auf der Höhe der primären Er¬ 
krankung, die übrigen später. Er hält die Mitbeteili¬ 
gung des Appendix nicht von der spezifischen diphthe- 
ritischen Angina beherrscht, sondern von der Rachen- 
Entzündung als solcher und der sie begleitenden Misch¬ 
infektion. Diese Beteiligung des Wurmfortsatzes scheint 
im ganzen selten zu sein, von Bagin sky in seiner 
grossen Monographie über „Diphtherie und diphtheri- 
tischer Croup“ (Wien 1913) finde ich sie zum Beispiel 
nicht erwähnt. Ich selbst sah vor einigen Jahren bei 
einem 8 jährigen Jungen, während ich ihn an Rachen- 
Diphtherie behandelte und während noch Belag da war, eine 
perforierende Appendizitis auflreten, die zur Operation 
kam und ausheilte. In dem Eiter, der sich am per- 
torierten Appendix befand und von dem ich einen 
Abstrich dem Krankenhaus zur bakteriologischen 
Untersuchung übergab, wurden von diesem Diphtherie- 
Bazillen festgestellt. 

Interessant sind Reiche’s statistische Untersuchungen 
über Mehrfach-Erkrankungen an Diphtheritis. Diese 
sind ja längst bekannt, aber im ganzen werden sie doch 
für selten gehalten, so dass noch manche Autoren von 
einer Immunität bei Diphtherie sprechen, Unter meinen 
zahlreichen Diphtheriepatientchen war bis heute keines, 
das ich zweimal an Diphtherie zu behandeln gehabt hätte: 
wohl aber ist es mir ausserordentlich oft vorgekommen, 
dass die Eltern erzählten, das Kind habe früher schon öfter 
„einen Ansatz von Diphtherie“, wie sie sich regelmässig 
ausdrückten, gehabt, Fälle, deren genaue Schilderung 
meist keinen Zweifel darüber liess, dass es sich um 
mehr oder minder schwere Anfälle lacunärer Angina 
gehandelt habe. Diesem letzteren Einwand begegnet 
Reiche in seiner Aufstellung in exakter Weise dadurch, 
dass er nur solche Patienten berücksichtigt, die entweder 
früher anlässlich ihrer diphtheritischen Erkrankung 
tracheotomiert worden waren oder in seiner Klinik selbst 
behandelt und bakteriologisch sicher gestellt waren. 
Trotz dieser Kautelen kann er unter 4761 Diphtherie- 
F'ällen der Zeit vom März 1911 bis Juni 1913 nicht 
weniger als 47 Wieder-Erkrankungen an Diphtherie 
nach einem Intervall von '/, bis vielen Jahren feststellen; 
ausserdem beobachtete er aber noch 171 sichere Rezi¬ 
dive, bei denen wohl noch als Folgeerscheinung der ersten 
Infektion, aber nach Ablauf ihrer klinischen Zeichen | 

Digitized by Google 


im Verlauf eines Vierteljahrs eine Neuerkrankung der 
ersten folgte. Es ist von hohem Interesse, dass 
diese zweite Erkrankung gar keine gesetzmässige 
Beziehung zur ersten aufwies, dass sie bald harmloser 
bald weit schwerer als diese verlief; zum Teil sogar 
zum Tode führte, während die erste leicht verlaufen 
war. Ein schützender, immunisierender Einfluss der ersten 
Erkrankung auf die zweite ist nicht zu erkennen, weder 
für kurze noch für längere Zeiten. Die Mehrzahl der 
Rezidive (mehr als die Hälfte der Beobachtungen) trat 
in der 2. und 3. Woche ein, was den Gedanken nahe 
legt, dass in dieser Zeit der Körper des Genesenden 
eine herabgesetzte Widerstandskraft zeigt, während er 
nach dieser Zeit eine allmählich steigende Abwehr¬ 
fähigkeit aufweist. 

ln der Frage der Beziehungen der Diphtherie-Er¬ 
krankungen zur sozialen Lage sind die Ansichten noch 
recht geteilte. Feer z. B. schreibt in seinem Lehrbuch 
1914: Schmutz und Unreinlichkeit leisten der Ver¬ 
breitung der Krankheit Vorschub, so dass sie die sauber 
gehaltenen Kinder der Wohlhabenden weniger befällt wie 
das Proletariat und mit einem gewissen Recht als 
„Schmutzkrankheit“ bezeichnet wird. Bei einem Ver¬ 
gleich der Morbidität der einzelnen Hamburger Stadt¬ 
kreise während der letzten Epidemie mit ihrem an der 
Besteuerung und der Art der Wohnungsverhältnisse 
erkennbaren Wohlstand oder Rückstand kann Reiche 
diese Beziehungen nicht bestätigen (Med. Kl. 1913, 
N, 33) Auch in den reichen Stadtteilen, die vorwiegend 
von Einfamilienhäusern besetzt, von zahlreichen Gärten 
und Anlagen unterbrochen und von vielen Strassen 
durchzogen sind, ist die prozentuale Erkrankungsziffer 
der Kinder nicht geringer als in den engräumig bebau¬ 
ten, die Mietskasernen und Hinterhäuser aufweisen. 
Es ist hier allerdings daran zu denken, dass in den 
armen Quartieren wahrscheinlich manche leichteren 
diphtheritischen Anginen nicht zur ärztlichen Kenntnis 
und Statistik gelangen, ein Umstand, der vielleichtauch 
von Einfluss auf die geringere Mortalitätsziffer der Er¬ 
krankten der wohlhabenden Stadtteile sein dürfte. 
I Übrigens haben schon früher A b e 1 i n für Stockholm, 
(Jodard für Brüssel, K ö r ös i für Budapest ähnliche Be¬ 
obachtungen veröffentlicht, durch die der geringe Ein¬ 
fluss sozialer Faktoren für die Diphtherie-Erkrankungen 
dargelegt wurde, während Albu für Berlin und Flügge 
für Breslau zu entgegengesetzten Resultaten gekommen 
sind. Bagin sky 1. c.). 

1 So sicher die Beziehungen des von Löffler 1884 
gefundenen Bazillus zur Ätiologie der Diphtherie sind 
und so sicher der Satz: Keine Diphtherie-Erkrankung 
ohne Löfflerbazillen auch nach den neuesten Forschungen 
gilt, so haben sich doch mit Bezug auf diesen Bazillus 
gerade in den letzten Jahren einige auffallenden Ergebnisse 
gezeigt. Zwar ist sein Vorkommen im Munde Gesunder 
schon seit langem bekannt und vereinzelt wurde er in 
so zahlreichen Fällen bei Untersuchung Gesunder gefun¬ 
den, dass man direkt von seiner „Ubiquität“ sprach und 
daran dachte, dass zu ihm noch ein zweites uns vor¬ 
läufig unbekanntes Moment hinzutreten müsse, um den 
Ausbruch der Diphtherie-Erkrankung zu veranlassen. 
Aber die Untersuchungsergebnisse sind durchaus nicht 
übereinstimmend. In den Charlottenburger Schulen 
ergab der Abstrich bei Gesunden durchweg negative 
Befunde: Dialektoff fand 1914 unter 69 Zöglingen 
7 Bazillenträger, im Kinderheim unter 37 Untersuchten 
2; Seligmann fand in den letzten Epidemiezeiten in 
einer Klasse von 51 Kindern 9, in einer anderen von 
46 Schülern 8 als Bazillenträger. Die wichtige Frage 
bei den positiven Befunden ist die, ob es sich wirklich 
stets um virulente Diphtherie- Bazillen oder nur um ihm ähn¬ 
liche avirulente Pseudo-Diphtherie-Bazillen handelt Die 
Durchsicht der neueren Literatur gibt keine einheitliche 

Original ffotn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 23. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


223 


Antwort auf diese Frage. Buttermilch(1914D. med. 
VVoch. Nr. 12) stellt fest, dass avirulente Diphtherie- 
Bazillen bei Säuglingen Vorkommen (er fand sie bei 16°f 0 
der Untersuchten), die nicht beachtet zu werden brauchen. 
Zum Teil wird ein solcher Unterschied negiert und 
die Übergangsmöglichkeit der einen Form in die andere 
behauptet, wie es schon früher Roux und Jersin ge¬ 
lungen ist, aus echten Diphtherie-Bazillen avirulente zu 
züchten, zum Teil wird die Entscheidung ihrer Virulenz 
ausschliesslich durch den Tierversuch für möglich 
gehalten, während andere angeben, Diphtherie- und 
Pseudo-Diphtherie- Bazillen durch Färbung und Kultur¬ 
versuche allein mit Sicherheit unterscheiden zu können. 

Diese scheinbar theoretischen Betrachtungen über das 
Vorkommen des Löffler- oder ihm ähnlicher Bazillen bei 
Gesunden sind von ausserordentlicher Wichtigkeit für 
die Prophylaxe der Diphtherie. Sind alle Individuen 
mit derartigen Befunden als infektiös zu betrachten und 
demgemäss zu behandeln? Es liegt nach den obigen 
Schilderungen nahe, praktisch nur diejenigen, deren 
Virulenz erwiesen ist, d. h. die selbst eine Diphtherie- 
Erkrankung durchgemacht haben, und die Conradials 
Hauptträger bezeichnet, als infektiös anzusehen, die 
andern als Nebenträger zu vernachlässigen; immerhin 
besteht Veranlassung, von den letzteren die Bazillen¬ 
träger aus der unmittelbaren Nähe Diphtheriekranker 
doch wieder auszunehmen. R i e b o 1 d (Münchn. Med. 
W. 1914, Nr. 17) schildert eine Epidemie der Ferien¬ 
kolonie Lichtenhain, die er mit grösster Wahrscheinlich¬ 
keit auf Infektion durch einen Bazillenträger zurückführt. 
Durch einen solchen aus der Umgebung eines diphtherie¬ 
kranken Kindes — also einen Nebenträger im obigen 
Sinne — wurde eine geschlossene Epidemie von 9 Fällen 
hervorgerufen, daneben entstanden weitere 7 anscheinend 
gesunde Bazillenträger. Immerhin wird sich in der 
Prophylaxe die grösste Aufmerksamkeit den Bazillen¬ 
trägern, die selbst die Krankheit überstanden haben, 
zuwenden müssen. Schon seit langem weiss man, 
dass Diphtherie-Rekonvaleszenten noch wochen- und 
monatelang nach Ablauf ihrer Erkrankung Diphtherie¬ 
bazillen auf ihren Schleimhäuten beherbergen und In¬ 
fektionen verursachen können. Bei den allermeisten 
tritt allerdings innerhalb 3— 4 Wochen eine Bazilien- 
Befreiung auf (nach Jochmann in 80 nach 3 Wochen), 
aber bei manchen dauert dies doch bis zu 8 Wochen 
(vielleicht bei 2—3°/ 0 so lange), bei einzelnen sogar 
mehrere Monate. 

Infolge dieser Erfahrungen hat man z. B. in Char¬ 
lottenburg und Halle in den letzten Jahren die schul¬ 
ärztliche Anordnung getroffen, dass kein Rekonvaleszent 
nach Diphtherie zur Schule darf, ehe 2-3maliger 
Rachen-Abstrich durch den Schularzt ihn als bazillen¬ 
frei erwiesen hat. Und man hat mit dieser Vorsichts- 
massregel recht gute Erfolge erzielt. Bachauer berichtet 
(Münch. Med. W. 1914) über die „Diphtherie-Bekämpfung 
in den Volksschulen Augsburgs“. Er hat sämtliche 
Genesenden von Diphtherie und ihre Geschwister vor 
der Aufnahme des Schulbesuchs einer bakteriologischen 
Untersuchung unterzogen, bei gehäuftem Diphtherie-Auf¬ 
treten in derSchule auch bei einfachen Hals-Entzündungen 
und wenn diese Massregeln nicht genügten, eventuell 
sämtliche Kinder der Klasse. Auch Kassowitz In Wien 
hat dieselben Massnahmen in einem diphtheriever¬ 
seuchten Kindergarten mit gutem Erfolg durchgeführt. 
Schliesslich ist von Interesse, dass in der letzten Zeit in 
München eine Vorschrift der Polizeidirektion bestimmte, 
dass Diphtherie-Genesene erst nach zweimaliger bak¬ 
teriologischer Untersuchung wieder zur Schule dürfen, 
eine Bestimmung, die deshalb notwendig wird, weil 
manche Eltern sich nicht dazu verstehen wollen, ihre 
scheinbar längst gesunden Kinder immer noch von der 
Schule zurückzuhalten. 

Digitized by Gooole 


Um die vereinzelt so lange Dauer der Persistenz der 
Diphtherie-Bazillen zu beheben und die Rekonvales- 
centen von ihren Bazillen zu befreien, hat man 
die verschiedensten Wege eingeschlagen. Die all¬ 
gemein üblichen Gurgelungen mit antiseptischen 
Wässern (Borsäure, Wasserstoffsuperoxyd, Kal. per- 
mangan., Formaminttabletten) oder das Aufblasen von 
Natr. socojodol, oder Pyozyanase haben in hartnäckigen 
Fällen zu keinem Erfolg geführt; auch die von ameri¬ 
kanischer Seite empfohlenen Spraybehandlungen mit 
Bouillonkulturen von Staphvlococcus pyogenes und von 
Milchsäure-Bazillen haben aus erklärlichen Gründen 
wenig Anhänger gefunden. Strauch empfahl Jod¬ 
pinselung des Rachens und der Mandeln mit gewöhnlicher 
Jodtinktur drei Tage hintereinander, Abel das Einblasen 
von Jod in Dampfform, das durch Erhitzen von Jodo¬ 
form gewonnen wird. Auch Pinselungen mit bakteri¬ 
zidem Serum führten zu keinem Erfolg, wahrscheinlich 
weil die Bazillen zum Teil im Sekret der Lacunen der 
Tonsillen stecken und von hier zeitweise an die Ober¬ 
fläche treten. Aus diesem Grunde hat man auch die 
Tonsillektomie für diese Dauerfälle empfohlen und aus¬ 
geführt und sehr günstige Resultate hat Jochmann da¬ 
durch gehabt, dass er die Mandeln dieser Bazillenträger 
täglich mit dem Ilartmann’schenTonsillenquetscher be¬ 
arbeitete und die Patienten dann mit Wasserstoff gur¬ 
geln Hess; es gelang ihm die Zeit der Bazillen-Persislenz 
durch diese Massregel wesentlich abzukürzen Es steht 
zu hoffen, dass mit dem Herauslinden der Bazillenträger, 
ihrer Isolierung und mit der energischen Bekämpfung 
ihrer Infektionskeime die Prophylaxe der Diphtherie 
weiterhin gefördert werden wird. 

Von besonderer Bedeutung dürften die grossen 
Patientenzahlen der letztjährigen Epidemien für die 
Beurteilung des Wertes der Diphtherie-Serum-Thera- 
pie sein; ihre Gegner konnten auf die vor Einführung der 
Behring’schen Therapie im Jahre 1895 bereits begonnene 
Abnahme der Diphtherie-Morbidität und der auffälliger¬ 
weise damit meist einhergehenden Abnahme der Letali¬ 
tät Hinweisen. Besonders Kassowitz hatte in erster 
Linie darauf geglaubt, dass die Statistik der Serum- 
Zeit aus diesem Grunde nichts Beweisendes habe. Und 
es ist bemerkenswert, dass bei diesen ausgedehnten und 
schweren Epidemien der letzten Jahre die rein statisti¬ 
schen Ergebnisse in der Tat keine besondere Beweis¬ 
kraft für den Heilwert der Serum-Therapie bieten. 
Gewiss, die Mortalitätsziffer erreicht trotz der Schwere 
der Epidemie z. B. in Hamburg kaum die niedrigste 
Ziffer der Vor-Seruinperiode, aber sie ist doch so hoch 
(bis 13 u / 0 ), dass ein so erfahrener Kliniker wie Rumpel 
sich bei der grossen Diskussion 1909 im Hamburger 
ärztlichen Verein ausserordentlich skeptisch über den 
Wert der Sernm-Therapie aussprechen konnte und auch 
Reiche urteilt nach dem Verlauf der Epidemie, „die ihm 
seine bedingungslose Gläubigkeit an den Erfolg der 
Serum-Therapie genommen habe“: Die Serumbehandlung 
konnte die nicht unbeträchtliche Erhöhung der 
Sterblichkeitsziffer der Diphtherie nicht verhindern, 
wiewohl eine grosse Anzahl der Patienten in Hamburg, 
rund die Hälfte aller Erkrankungen, den Spitälern zu¬ 
geführt wurde und die Menge der bei ihnen verwandten 
Immunitäts - Einheiten gewaltig gegen früher gesteigert 
wurden. Das sind wohl zu beachtende Worte der Kritik, 
die unsere Beobachtungen nur immer noch schärfen 
muss, wollen wir zu sicheren Resultaten gelangen. Wir 
wissen, dass die Statistik nicht die verlässige Führerin 
ist, als die sie der Nimbus der grossen Zahlen er¬ 
scheinen lässt und wir sind daher gewohnt, unser Urteil 
in erster Linie aus unsern unmittelbaren Eindrücken am 
Krankenbett zu schöpfen. Wissen wir doch hei den 
statistischen Zahlen nie, ob nun auch wirklich alle Pa¬ 
tienten mit Serum behandelt worden sind und nament- 

Origirtal from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 23 


224 FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


lieh, ob dies rechtzeitig und mit der erforderlichen Dosis 
geschah I Iier hat in erster Linie die Beobachtung am 
einzelnen Kranken zu entscheiden und sie lässt unsden gün¬ 
stigen Einlluss der Serum-Behandlungen unzw eifelhaft er¬ 
kennen. Noch nie ist es m i r begegnet, dass eine Rachen¬ 
diphtherie, die als solche in Behandlung kam, nach der Se- 
rum-Behandlungetwa noch aufden Kehlkopf übergegangen 
wäre, was in der früheren Zeit nicht allzu selten vorkam. 
Selbst beim Zuwarten im Falle einer leichteren oder 
noch nicht sicher erkennbaren Tonsillar - Diphtherie, 
dia sich dann unerwartet weiter ausdehnte — ich habe 
in diesen Ausnahmefällen mir die tägliche Grösse des 
Belags regelmässig durch Skizze festgehaiten und eine 
Verantwortung für weiteres Zuwarten beim Fortschreiien 
des Belags stets abgelehnt, — ist durch etwas spätere 
Einspritzung ein Weiterschreiten stets noch verhindert 
worden; und der bei solchen Fällen meist innerhalb 
24—4b Stunden eintretende Umschwung der lokalen 
und Allgemein - Erscheinungen war oft geradezu ver¬ 
blüffend. Andererseits war m i r von fast experimentellem 
Wert der Fall eiuer Tonsillar-Diphtherie beim 7 jährigen 
Jungen einer Dame, die als überzeugte Homöopathin 
die Serum - Behandlung ihres Kindes unter keinen Um¬ 
ständen zuliess. Der Fall ging zwar in Heilung über, 
ich erinnere mich aber nicht, jemals bei einem Fall mit 
Serum - Behandlung den lokalen Brozess von einer ge¬ 
ringen Tonsilar - Diphtherie aus so ungehindert über 
Gaumen, Rachen und Nase weiterschreiten gesehen zu 
haben wie in diesem ohne Serum behandelten. 

Mit seiner grossen Erfahrung am Krankenbett 
während der Hamburger Epidemie kommt Reiche trotz 
aller Kritik und trotz viel r Misserfolge zu dem Resul¬ 
tat, für die Behandlung der Diphtherie an der Serum - 
Therapie festzuhalten und Much (Med. Kl. 1910 Nr. 3), 
der in derselben Epidemie tätig war, kommt zu dem 
Schluss: Die Anwendung der Serum - Therapie und 
zwar die möglichst frühe hat einen ganz gewaltigen 
liebwert; Lenhartz spricht, gestützt auf seine Erfahrungen 
in 2800 Fällen, von der Entdeckung des Heilserums 
als der grossartigsten Errungenschaft deutscher 
Forschung (Hamburger Diskussion 1909). Auch Feer 
mit seiner leichen Erfahrung nennt die Entdeckung der 
Serum - Therapie durch Behring den grössten Triumph 
und Segen der wissenschaftlichen Therapie, durch wel¬ 
che die Diphtherie ihre Schrecken grossenteils ein- 
gebüsst hat und endlich spricht II a g i n s k v nach seiner 
aus 7000 Fällen gewonnenen Erfahrung seine Über¬ 
zeugung dahin aus, dass er es für eine unverantwortliche 
Unterlassungssünde betrachte, wenn seitens eines Arztes 
die Serum - Behandlung bei Diphtherie abgelehnt wird. 

Dass die Statistik, die eine Zusammenfassung aller 
Einzelerfahrungen sein sollte, mit diesen, selbst nicht so 
ganz übereinstimmen will, kann wie erwähnt an 
mancherlei Ursachen liegen, in erster Linie wohl darin, 
dass zur sicheren Wirkung des Serums bestimmte Vor¬ 
aussetzungen unerlässlich oder wenigstens sehr wünschens¬ 
wert sind. Das wichtigste scheint hier die Zeit der 
Anwendung zu sein, d. h. die Frühzeitigkeit. Wenn 
die durch die Diphtherie gebildeten Toxine bestimmte 
Schäden schon gesetzt haben, wenn sie sich einmal 
fest verankert haben, dann kann die Hilfe durchs Anti¬ 
toxin oft nicht mehr erfolgen. Bezeichnend in dieser 
Beziehung erscheint mir die Tatsache, dass unter den 
vielen Ärzten und Krankenschwestern, die während der 
Hamburger Epidemie bei Ausübung der Fliege an 
I )iphtherie erkrankten — Lenhartz allein berichtet über 
32 derartige Fälle — soweit ich ersehen konnte, nicht 
einer der Krankheit erlegen ist; das dürfen wir doch 
wohl ausschliesslich dem Umstand zuschreiben, dass 
hier die Krankheit in den ersten Anfängen erkannt 
wurde und sofort die spezifische Behandlung einsetzen 
konnte. Die grossen Statistiken der Krankenhäuser, 

Digitized by Google 


die mit Sicherheit beweisen, dass mit jedem früheren 
Tag der Einspritzung vom ersten Krankheitstag an 
gerechnet die Frozentzahl der Geheilten ganz wesent¬ 
lich steigt, wird auch durch die Hamburger Statistiken 
vollkommen bestätigt; indes hebt Reiche mit Recht 
hervor, dass dieses Zahlenverhältnis neben den Vor¬ 
zügen früherer Krankenhausbehandlung überhaupt 
wesentlich auch dadurch bedingt ist, dass die am ersten 
Krankheitstag ins Krankenhaus Aufgenommenen neben 
schweren auch alle leichten Fälle enthalten, während die 
späteren Aufnahmen eben bereits gesiebt sind, d. h. im 
wesentlichen schwerere Fälle enthalten. Dieser hier 
ganz offenkundige Mangel der Statistik fällt jedoch bei 
der Beobachtung in der Praxis weg, die in gleicher 
Weise die leichten und schweren Fälle zum Vergleich 
bekommt, und auch diese bestätigt den Satz, dass die 
Wirkung des Serums umso prompter ist, je früher sie 
einsetzt. 

Die Art der Serum-Anwendung ist schon auf die 
verschiedenste Weise versucht worden. Man hat das 
Serum einfach als Arznei oral oder im Klysma verab¬ 
reicht, allein mit durchaus wenig ermutigendem Erfolge, 
wenn auch Gumberleege (1911 in einer englischen Zeit¬ 
schrift) wieder in 4 jähriger praktischer Anwendung recht 
gute Erfolge damit gehabt haben will. Dagegen erscheint 
eine neben der sonstigen Applikation von Lorey aus 
dem Eppendorfer Krankenhaus berichtete (Med. Klinik 
1912, Nr. 2b) lokale Anwendung des Serums besonders 
mittels Spray s auf Rachen und Kehlkopf lebhafte Be¬ 
achtung zu verdienen, da der Autor von entschieden 
günstiger Beeinflussung berichten kann. Die Haupt- 
anvvendungsform bleibt aber immer die direkte Einver¬ 
leibung sei es subkutan, intramuskulär oder intravenös. 
Die in der Praxis am häufigsten angewandte ist sicher 
noch heute die subkutane, wie sie von Anfang empfohlen 
wurde und ich habe mit ihr durchaus günstige Erfah¬ 
rungen in bezug auf ihre Beeinflussung des lokalen Pro¬ 
zesses und des allgemeinen Befindens gemacht Allein 
einige neuere Forschungen lassen doch bestimmte Vor¬ 
züge der intramuskulären, vielleicht auch der intravenösen 
für manche, insbesondere für schwerere Fälle annehmen. 
Es ist einleuchtend, dass es nicht darauf ankommt, 
eine bestimmte Antitoxin-Menge einzuführen, sondern 
das Antitoxin möglichst rasch an das im Blut kreisende 
Toxin heranzubringen, womöglich ehe dasselbe seine 
.Schäden am Herzen oder den Nerven hat anrichten 
können. Nun haben Untersuchungen Morgenroths 
und Levys 1911 ergeben, dass nach Injektion des Serums 
in die Muskulatur nach etwa 4—5 Stunden die 5 bis 
20 fache Menge von Antitoxin-Einheiten resorbiert war, 
als dies nach subkutaner Einverleibung der F'all ist. Die 
Resorption von der Muskulatur her ist eben durch den 
Reichtum an Lymphgefässen eine bessere als von der 
Haut her. Da diese Art der Applikation nicht schwie¬ 
riger und vor allem nicht schmerzhafter für den Patienten 
ist als die subkutane und in gleicher Weise wie diese 
am besten an der Au^senseile des Oberschenkels vor¬ 
genommen werden kann, dürfte es sich mit Rücksicht 
auf diese Erkenntnisse empfehlen, in der Praxis künftig 
diese intramuskuläre Injektion statt der bisher geübten 
subkutanen vorzunehmen. Am raschesten geht natürlich 
die Neutralisation des Toxins durch das Antitoxin bei 
der intravenösen Injektion vor sich. Allein für die allge¬ 
meine Praxis hat diese doch gewisse Bedenken. Eine 
intravenöse Injektion bei einem schwer erkrankten Kinde 
ist immerhin ein Eingriff, den man nicht leichten Herzens 
vornehmen wird, zumal da bei Kindern hierzu sehr häufig 
die Freilegung der Vene erforderlich ist und auch der 
Karbolgehalt des Serums bei grösseren Dosen hierbei 
wohl nicht gleichgültig sein kann. Durch die Unter¬ 
suchungen Morgenroths ist zudem festgestellt, dass nach 
intravenöser Einverleibung das Serum rascher wueder 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 23. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


22.- 


aus dem Blute verschwindet und das ist gewiss von [richtet, glaubt bei intravenöser Applikation raschere und 
Bedeutung, solange vom lokalen Prozess aus noch neue zuverlässigere Resultate gesehen zu haben als bei intra- 
Toxin-Nachschübe zu erwarten sind; im Gegensatz hier -1 muskulärer. Aus den oben erwähnten theoretischen Er- 
zu bleibt bei der intramuskulären Injektion immer noch Wägungen heraus endlich empfiehlt Seidel (Miinchn. 
ein gewisses Depot i i Reserve. Immerhin wird man j Med. W. 1015 Nr. 3b) die gleichzeitig ausgeführte intra- 
in besonders schweren Fällen zur intravenösen Appii- venöse und intramuskuläre Injektion, von-welchem kom- 
kation greifen können; Fette (Med. Kl. 1009 Nr. 50) binierten Verfahren er die besten Erfolge hatte. Es soll 
berichtet davon Günstiges, wenn er auch noch nicht ab- jedoch nicht verschwiegen werden, dass eine Reihe von 
schliessend über ihren Vorzug vor der subkutanen In- Autoren durch die intravenöse Applikation keine wesent- 
jektion in schweren Fällen urteilen will. Alber (Jahrb. lieh besseren Erfolge erzielte als durch die früher ge- 
f. Kinderheilkunde 1014, Bd. 80), der über die auch in üblen. Fortsetzung folgt. 

Bremen in den letzten Jahren auftretende Epidemie be-1 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Zur Wirkung intern gereichten Jods auf die 
Hoden. 

Von Stabsarzt a. D. Dr. Q r u m m e 
Hu f e 1 a n d sprach seiner Zeit die Vermutung 
aus, dass die Hoden durch Jodkuren atrophieren können. 
Friedrich sagte 1013 auf dem Chirurgenkongress, | 
Kinder könnten durch lange Joddarreichung dauernd 
steril werden. Seither wurde die Frage experimentell I 
untersucht. Durch subkutane Injektion ver¬ 
schiedener Jodpräparate, auch Jod¬ 
ei w e i s s , erzielten sowohl Adler wie auch M a - 
j e ru s , ersterer stets, letzterer nur in einzelnen Fällen, 
bei Tieren vorübergehende Sterilität, die, ausser wenn 
Jodkali benutzt wurde, mit völligem Ilodensclnvund und 
Azoospermie einherging. Durch Verfüttern von Jodfett 
machten Loeb und Z ö p p r i t z Mäuse steril, ohne 
entsprechenden objektiven Befund. 

Verfasser verfütterte an einen Kaninchenbock 


während zweier Monate Jodeiweiss (Jodtropon) 
in ganz ausserordentlich hohen Gaben, welche die von 
Adler unter die Haut gespritzten um das vielfache 
übertrafen. Es trat binnen viermonatiger Beobaclitungs- 
zeit kein Hodenschwund ein, während solcher bei 
Adlers Jodeiweisscinspritzungen in wenigen Tagen 
sich einstellte. 

Die verlotterten Joddosen betrugen bis zu (>0 Ta¬ 
bletten jodtropon a 0,05 Jod = 3 g Jodum purum pro 
die, eine für ein Tier von 5 Pfund Gewicht überaus 
grosse Menge. In Form von Jodkali hätten schon 
kleinere Dosen das Tier getötet. Es ist interessant, 
dass trotzdem eine Hodenschädigung nicht beobachtet 
wurde. Man darf vermuten, dass die parenterale Jod 
einverleibung in ihrer Wirkung mit der oralen Dar¬ 
reichung nicht übereinzustimmen braucht. — Die Ver¬ 
suche sollen fortgesetzt werden. (Arch. f. exp. Path. u. 
Pharm, Bd. /'), II. 5/6). Autoreferat. 


Referate und Besprechungen. 


Psychiatrie und Neurologie, Hirn- und Rückenmarkshäute erzeugen; dabei waren klini- 

E. F 1 a t a u und J. Handels m a n n. Experimen- ' sehe Erscheinungen, ausser deutlichen Alterationen des Liquors, 
teile Untersuchungen zur Pathologie und Therapie der Me- fast gar nicht vorhanden, so dass also histologische Altcratio- 
ningitls cerebrospinalis epidemica. (Ztsehr. f. d. ges Neurol. neu weit deutlicher auftraten, als dies nach den klinischen Er- 
u. Psysch., Bd. 31, Heft 1—3, S. 1 191G). Ref. W. M i s c h. scheinungen anzunehmen war. Eine deutlichere Genickstarre- 
An Hunden wurden sehr ausgedehnte Versuche angeslellt, erkrankung wies der Hund hei Infektionen mit Pneumokokken 
die einerseits die Erzeugung einer experimentellen Cerebro - auf. Hierbei fand sich der auch heim Menschen häufig be- 
spinalmeningitis und andererseits die Behandlung derselben he-, obachtete Vorgang, dass die klinischen Erscheinungen spurlos 
zweckten. Die Versuche wurden auf dem Wege der Lumbal- verschwinden können, so dass die Kranken ihre frühere Leliens- 
punktion ausgeführt, und zwar wurden einerseits pyogene | weise wieder aufnehmen, während der Liquor cerebrospinalis 
Bakterien (Streptokokken, Staphylokokken), andererseits die die I trotzdem noch längere Zeit Pleozytose aufweist. Der Krank- 
Rogcn. Genickstarre erzeugenden Bakterien (Weichselhaumscher lieitsverlauf der Genickstarre der Hunde war ein ganz ver- 
Meningokokkus und Fränkelscher Pneumokokkus) angewandt, j schiedener: In einigen Fällen verlief die Erkrankung blitzartig 
Zu therapeutischen Zwecken wurden Antipneumokokkenserum, | in 15-17 Stunden; in anderen Fällen waren die Anfaugser- 
chetnische Mittel (Urotropin, Metallpräparate) und chirurgische scheinungen unbedeutend, während später plötzlich und sehr 
Eingriffe (Trepanation mit nachfolgender Durchspülung des rasch akute, zum Tode führende Symptome auftraten; wieder 
Zentralnervensystems) angewandt Im ganzen wurde an 72 i andere Fälle zeigten in den ersten Tagen akute, sehr deut- 
Hunden experimentiert, wobei das Zentralnervensystem fast liehe Erscheinungen, denen später eine sukzessive Besserung 
sämtlicher Tiere nachfolgend mikroskopisch untersucht wurde, bis zur völligen Genesung folgte; in andern Fällen war der 
Während die Versuche mit virulenten Strepto- und Staphy- Verlauf ein äusserst chronischer, und in andern Fällen end- 
lokokken weder klinisch noch pathologisch-anatomisch nennens- lieh waren gar keine deutlichen Krankheitserscheinungen vor¬ 
werte Erscheinungen ergaben, liess sich durch die iniralumhale haiiilen, und doch kam es progressiv zu einer immer stärkeren 
Injektion von Meningokokken eine schwache Entzündung der , Abmagerung, Kachexie, und nach einigen Wochen zum Exitus. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



22b 


Fortschritt^ dfr Medizin. 


Nr. 13 . 


Pathologisch-anatomisch fanden sieli bei den Pneumo- 
kokkentieren je nach der Zeit, in der sie nach der Injektion 
getötet wurden, mehr oder weniger starke Infiltrationen der 
Rückenmarks- und der Hirnhäute, sowie grosse Schwärme von 
Pneumokokken nicht nur in den Hirnhäuten selbst, sondern 
auch in den in die Rinde eindringeuden Gefässen bis in die 
tiefen Rindenschiehten. Bei den mit Serum behandelten Tieren 
fand sich zwar eine Verzögerung der Meningitis, aber ein 
Aufhalten des Prozesses liess sich nicht erzielen; nur bei 
einer Serie von Tieren, die drei- bis sechsmal mit je 100 
Einheiten gespritzt worden waren, wurde beobachtet, dass die 
in dieser Weise behandelten Hunde der Meningitis nicht erlagen 
während die Kontrolltiero an derselben krank wutden und 
starben. Am stärksten war der entzündliche Vorgang im 
Gehirn stets an den einander zugekehrten Windungsflächen 
und folglich in den Furchen ausgeprägt. Die Meningenin¬ 
filtration bestand anfangs überwiegend aus Leukozyten, später 
waren Leukozyten und Lymphozyten zu etwa gleichen Teilen 
beteiligt. Die Veränderungen der Hirnsubstanz selbst waren 
bei den verschiedenen Fällen verschiedene; während in einigen 
Fällen die Rindenzellen ganz unverändert waren, fanden sich 
in anderen Entzündungsherde (Encephalitis corticalis) nebst 
der sog. diffusen Rindeninfiltration, wobei die Infiltration kei¬ 
nen unmittelbaren Zusammenhang mit den Gefässen zeigte; 
in einzelnen Fällen fanden sich lokalisierte Abszesse sowohl 
im Gehirn wie im Rückenmark. Insbesondere Messen sieb 
Rückenmarksabszesse sehr häufig, nämlich in 8 von 31 Fällen, 
in denen eine Meningitis cerebrospinalis experimentell erzeugt 
wurde, beobachten; es werden diei verschiedene Typen dieser 
experimentellen Rückenmarksabszesse unterschieden, nämlich 
die Erweichungsabszesse, die durch Erweichung der Hinter¬ 
stranggegend und zuweilen auch der grauen Substanz entstehen, 
dann die Zentralkanalabszesse, bei denen der ganze Zentralkanal 
mit Eiter erfüllt ist, und die Bloekabsze3se, die den Zentralkanal 
en niasse, samt seiner unmittelbaren Umgebung, einnehmen 
und die Gestalt einer kompakten Eitermasse zeigen, in der 
die Konfiguration des Zentralkanals verschwindet. Diese Abs¬ 
zesse fanden sich nur in solchen Fällen, in denen eine starke 
Meningeninfiltration vorlag, sie entstehen aber nicht durch 
direkten Übergang der Entzündung von den Häuten auf das 
Zeutralgewebe, sondern infolge eines gewaltigen Entzündungs¬ 
vorganges in den Gefässen; sie lagen stets in der Sagittallinie 
des Rückenmarksquerschnittes, und die Infiltration bezog sich 
stets auf die in der vorderen Furche (Art spinalis snt. und 
deren Fortsetzung Art. sulci) oder im hinteren Septum ver¬ 
laufenden Gefässe (Art. sulci post.). In diesen Fällen beson¬ 
ders liess sich häufig das Phänomen einer leukozytären Neu- 
rophagie beobachten, und Verfass, sind der Überzeugung, 
dass die von ihnen experimentell bei Pneumokokkenmeuingitis 
erzeugte Neurophagie, und speziell die leukozytäre, eine aktive 
die Vernichtung der Nervenzellen bezweckende Erscheinung 
darstellt. Hinsichtlich der Bakterien selbst wurde festgestellt, 
dass schon eine Stunde nach der iutravertebralon Pneumo¬ 
kokkeninjektion mikroskopisch sowohl im Rückenmark, wie 
auch im Gehirn und Kleinhirn Pneumokokken nachweisbar sind. 

Endlich werden noch die Resultate der therapeutischen 
Massnahmen besprochen Hinsichtlich der Behandlung mit Anti¬ 
pneumokokkenserum ergab sich, dass die wiederholten Ein¬ 
spritzungen von Antipneumokokkenserum den weiteren Fort¬ 
schritt der cerebrospinalen Pneumokokkenmeningitis hemmen, 
dass die Fortschrittshemmung der Meningitis desto länger an¬ 
hält, je früher die Serumbehandlung begonnen wird, und dass 
Genesung erzielt werden kann, wenn die Behandlung recht¬ 
zeitig und systematisch durchgeführt wird. Hinsichtlich der 
Urotropinbehandlung führten die gemachten Beobachtungen 
zu den Schlüssen, dass das prophylaktisch per os bei Hunden 
angewandte Urotropin möglicherweise auf den entzündlichen 
Vorgang in den Häuten hemmend einwirkt, dass das subkutan 
und das intravertebral verabreichte Urotropin dagegen keine 
spezielle Wirkung auf den Verlauf des entzündlichen Vor¬ 
gangs ausübt, und das endlich das intravertebral benutzte For¬ 
malin ein zu schmerzhaftes Mittel darstellt, um bei der Me¬ 
ningitisbehandlungbenutzt zu werden. Aus den Versuchen mit 
Siberpräparaten und mit Durchspülung der Subarachnoidalräume 
Messen sich keine sicheren Schlüsse ziehen. Misch. 

Digitized by Google 


M. Hornstein. Experimentelle und pathologisch- 
anatomische Untersuchungen über die Kompression des Rücken¬ 
marks. (Ztschr. f. d ges. Neurol. u. Psych., Bd. 31, Heft 
1-3, 8- 184. 1910'. 

Zur Erzielung einer Rückenmarkskompression wurden in 
30 Versuchen Hunden Laminariastäbchen und andere Fremd¬ 
körper zwischen Dura und Wirbel eingeführt, wo sie einige 
Minuten bis eine Woche oder bis zum Tode belassen wurden. 
Es bandelte sieb darum, das Wesen des anatomischen Vor¬ 
ganges der Rückenmarkskompression selbst besser zu erleuchten 
durch Anwendung von neuesten mikroskopischen Untersuchungs¬ 
methoden und die Frage der Spezifität, der beobachteten Ver¬ 
änderungen für die Kompressionsvorgänge zu untersuchen 
Weiter wurde versucht, das Verhältnis zwischen den histologi¬ 
schen Veränderungen und der Nervenfunktion festzustellen. 
Daraus entstand eine Frage von prinzipieller Bedeutung, uud zwar 
oh bei Anwendung der neuesten histologischen Untersuchungs¬ 
methoden derjenige Zustand der Gewebe festzusetzen sei, der 
dem aktiven oder inaktiven Zustande des Organs entspricht 

Die beobachteten histologischen Veränderungen waren 
folgende: Bei einer kurz dauernden Kompression tritt meistens 
eine Erweiterung des Zentralkanals, nebst Oedem des Nerven¬ 
gewebes auf (künstlich ?) die Häute weisen in solchen Fällen 
keine pathologischen Alterationen auf. Bei länger andnuernder 
Kompression erleiden die Nervenzellen eine bald stärkere, bald 
schwächere Oliromatolyse; es stellt sich eine Proliferation der 
Gliazellen ein, in der weissen Substanz setzt eine immer stär¬ 
ker werdende Quellung der Achsenzylinder an ; einige der¬ 
selben unterliegen alLniählicli einem Zerfall und Atrophie Auch 
schreitet die Proliferation der Glia fort Es entstehen spezielle 
Typen vou Gliazellen-Myeloklasten und -Myelophagen, die die 
Reste der zurückgebliebenen Nervenfasern in sieb aufnebnien 
und dieselben zu Fett verarbeiten. Bei noch längerem An« 
halten der Kompression pflegt gewöhnlich eine Duralverdickung 
in Form von Bindegewebshyperplasie einzutreten (bei nor¬ 
malem Aussehen der Pia), wobei das Nervengewebe selbst 
einem stärkeren Zerfall unterliegt; die Rüekenmarksstruktur 
wird gänzlich verschwommen, die Nervenzellen verkümmern 
meistens, und die erhaltenen weisen öfters bedeutende Atrophie¬ 
veränderungen auf (mitunter vollständige Chromatolyse, laterale 
Kernlage), die Fasern quellen zu ungeheuren Dimensionen an, 
verkümmern endlich ganz, und an ihrer Stelle vermehren sich die 
gliogenen Zellen, die Reste von Faserzerfall in Gestalt von 
Fett enthalten, welches durch dieselben Zellen den Blutge¬ 
fässen zugeführt wird Die Gefässe selbst beginnen zu proli- 
ferieren, mitunter kommt es zur sogenannten Auflösung der 
Gefässe: die immer mehr proliferierenden Endothelial- und 
die Adventidazellen überschreiten endlich die Gefässe und 
kommen zwischen andern Zellen zu liegen ; es entsteht ein 
Chaos, in dem öfters die Zellen eines Typus von anderen 
kaum zu unterscheiden sind. — Somit liegt bei der Rücken¬ 
markskompression ursprünglich ausschliesslich eine mechanisch 
erzeugte Stauung der Lymphe des Blutes und der Zerebrospi¬ 
nalflüssigkeit vor, wodurch ein Oedem des Nervengewebes 
herbeigeführt wird, Erst wenn das längere Zeit andauernde 
Oedem zu einer mehr ausgedehnten Atrophie der Nervenele- 
mente (.Fasern, Zellen) zu führen beginnt, setzt eine Gliapro- 
liferation, Bildung von Gliazellen von einem besonderen Typus 
ein; endlich kommt es zu einer Zellenproliferation in den 
Gef:isswänden, und es entsteht daun eine Reaktionsentzündung, 
die als eine sekundäre Erscheinung aufzufassen ist. 

Ein Vergleich der histologischen Veränderungen mit der 
Nervenfunktion ergab, dass der Zustand der Nervenfunktion 
sich nicht parallel den anatomischen Veränderungen verhielt. 
Es kann die Funktion aufgehoben werden, trotzdem keine 
sichtbaren, ernsteren Veränderungen des Nervengewebes er¬ 
mittelt werden können; auf der anderen Seite können die 
histologischen Veränderungen ganz deutlich zum Vorschein 
kommen, es kann Atrophie zahlreicher Fasern festgestellt 
werden, es entstehen Lücken in der weissen Substanz, ohne 
dass dadurch die Funktion deutlich beeinträchtigt zu werden 
braucht. Es ist dies eine Tatsache von prinzipieller Bedeu¬ 
tung, die den Schluss erlaubt, dass es mit Hilfe der bisherigen 
mikroskopischen Untersuchungsmethoden unmöglich ist, be¬ 
stimmte anatomische Veränderungen im Nervengewebe zu er- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 23. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


227 


raittelu, die den Funktionsausfall bei Kompressionsvorgiingen 
erklären können. Misch. 

8 t e r t z. Beiträge zu den posttyphösen Erkrankungen 
des Zentralnervensystems. (Ztschr. f. d. ges. Neurol. u Psych., 
Bd. 30, H. 4/5, S. 533. 1016). 

Es werden 17 Fälle von verschiedenartigen posttyphösen 
Erkrankungen des Zentralnervensystems kurz mitgeteilt. Bei 
dem ersten Fall fand sich nach Typhus eine zerebrale Hemi¬ 
parese, die auf Embolie zurückgeführt wird. Ein zweiter Fall 
wies die Symptome einer unvollständigen Querschnittsmyelitis 
in Höhe des 5. und 6. Dorsalwirbels auf, wobei nicht zu ent¬ 
scheiden war, ob die Beteiligung dieser Wirbel nur eine sekundäre 
war oder ob ein primär spondylitischer Prozess auf das Mark 
übergegriflen hatte; jedenfalls wiesen die anfänglich erheblicheu 
Neuralgien im Rücken und der oberen Bauchgegend auf eine 
Beteiligung der hinteren Wurzeln hin Der dritte Fall zeigte 
nach Typhus einen Verlust des Geschmacks und Geruchs; da 
sich daneben noch Störungen der Trigemini und Acustici und 
leichtere Affektionen der Occipitales und der grossen Nerven- 
stämme an den Beinen nachweisen Hessen, so wird hier die 
Anosmie und Ageusie als die Begleiterscheinung einer Polyueuritis 
mit einer dominierenden Lokalisation in den betreffenden 
Nerven aufgefasst; die Prognose der Geschmacks- und Ge¬ 
ruchslähmung erscheint angesichts der langen Dauer nicht 
günstig. Bei dem 4. Fall trat eine beiderseitige Abduzensparese 
mit anderen Resten cerebrospinaler Symptome besonders hervor, 
die auf eine Typhusmeningitis, durch die der leichtverletzliche 
Abduzens geschädigt worden ist, zurückgeführt werden. Die 
nächsten drei Fälle betrafen eine hysterische Pseudodemeuz, 
einen Stuporzustand, der die Differentialdiagnose zwischen Hebe- 
phrenie und ueurasthenischem Erschöpfungszustand ofTen Hess, 
und eine schwere Hysterie nach Typhus. Es folgen eine 
ganze Anzahl von Fällen mit polyneuritiseben Symptomen, die 
nach Typhus in leichterem Grade sehr häufig sind, aber auch 
schwere Erscheinungen hervorbringen können ; besonders häufig 
scheint der Ulnaris betroffen zu werden Bei zwei dieser 
Fälle war gleichzeitig eine Myelitis vorhanden mit Muskelatrophien, 
spinalen Sensibilitätsstörungen und spastischen Reflexen; ein 
anderer dieser Fälle wies in der vorgeschrittenen Typhus¬ 
rekonvaleszenz ganz akute Neuritissymptome auf, unter denen 
eine Ataxie der Beine das Bild derartig beherrschte, dass es 
äuBserlieh einer schweren Tabes ähnlich war. Ganz besonders 
häufig wurden trophische Störungen nach Typhus beobachtet, 
insbesondere Haarausfall und Wachstumsstörungen der Nägel. 
Ein Fall zeigte das Krankheilsbild der Syringomyelie, dessen 
Entstehung nicht ganz klar ist; vielleicht war eine Hämatorayelie 
der Medulla cervicalis und oblougata eingetreten oder es be¬ 
stand schon vorher eine latente Syringomyelie, die durch die 
toxisch-infektiösen Schädigungen manifest wurde. Weiter werden 
noch drei Fälle angeführt, bei denen sich auf der Basis einer 
degnerativ-psychopathischen Konstitution funktionelle Störun¬ 
gen nach dem Typhus einstellten: bei dem einen stellte sich 
-in schwerer neurasthenischer Zustand mit zahlreichen Anfällen 
von Flimmerskotom und passagerer einseitiger Hemianopsie 
ein; ein anderer Patient wies eigenartige Mitbewegungen der 
Extremitäten auf; und bei einem letzten Fall traten inter¬ 
mittierende Auffassungs- bezw. Hörstörungen nach Typhus auf, 
die als funktiouell-neurasthenische Erscheinungen aufgefasst 
wurden. 

Das Material stammt aus dem Typhusgenesungsheim 
in Spa. W, Misch, Berlin. 


Medikamentöse Therapie. 

Buccosperin. 

In dem Buccosperin besitzen wir für die interne Be¬ 
handlung der Krankheiten der Harn wege ein ideales Heil -1 
mittel, das seine Wirksamkeit einer mit Vorbedacht gewählten 
Kombination von Balsamicum, Diureticum und Haruantisep- 
ticum verdankt. Das Prinzip der Kombination ist in der Me¬ 
dizin uralt; bereits in der Rezeptur der alten Ärzte finden 
wir eine besondere Vorliebe für lange Kombinationsrezepte, 
die zweifellos einer durch praktische Erfahrung geschärften 
Beobachtungsgabe entsprungen ist. Wissenschaftlich begründet 

Digitized by Google 


wurde diese Kombinationstherapie durch Ehrlich und 
B ü r g i Der grosse Wert dieser Kombinationstherapien liegt 
darin, dass wir bei Kombination mehrerer Arzneistoffe mit 
minimalen Dosen das gleiche oder mehr erzielen, als in der 
Einzelverordnung selbst höherer Dosen. Offenbar werden 
Arzneistoffe durch Verbindung mit einer heterogenen Substanz 
in ihrer pharmakodynamischen Wirkung quantitativ und 
qualitativ verändert. 

Von dieser Tatsache ausgehend, wurde in den Buccosperin- 
Kapseln eine Kombination bestehend aus reinstem Copaiva-Balsam 
(Balsamikum), aus ätherischem Bucco-Extrakt (als Diuretikum), 
sowie aus Kampfersäure, Salol, Hexamethylentetramin, Salizyl- 
und Benzoesäure (als Harnantiseptica) geschaffen, und zwar 
enthält jede Kapsel & 0,3 Gramm Inhalt 0,2 Copaiva-Balsam, 
während der Rest von 0,1 aus den obengenannten Harnau- 
tisepticis und dem Diuretikum besteht. Durch Verwendung 
der minimalen Dosen sind schädliche Nebenwirkungen, wie sie 
auch in Fällen von idiosynkrasie gegen einzelne Medikamente 
bekannt sind, im Buccosperin a priori ausgeschlossen. Die 
ideale Wirkung deckt sich mit dem wissenschaftlich begrün¬ 
deten Aufbau des Präparates. 

Die Verwendung des Copavia-Balsams als Balsamicum an 
Stelle des sonst so bevorzugten Sandelöls wurde in den Bucco- 
sperin-Kapseln mit voller Überlegung bevorzugt. Wohl be¬ 
steht eine Abneigung gegen Copaiva-Balsam, der angeblich 
allerlei unangenehme Nebenwirkungen, wie Aufstosseu, Übel¬ 
keit, Exantheme etc. verschulden soll. Indessen hat sich durch 
die Untersuchungen Beckers 1 ) herausgestellt, dass diese 
Nebenwirkungen nicht dem reinen Copaiva-Balsam, sondern 
dessen Verfälschungen zuzuschreibeu sind. Die Ausschaltung 
jeder Nebenwirkung beim Buccosperin wird noch dadurch 
unterstützt, dass Kapseln verwendet werden, welche sich erst 
im Dünndarm lösen und langsam dort zur Resorption ge¬ 
langen. Daher sind, wie Frankl 2 ), Grave*) und 
Karo 4 ) betonen, selbst bei langem Gebrauch niemals irgend 
welche lästigen Nebenerscheinungen bei der Verwendung des 
Buccosperin beobachtet worden Frankl und Grave 
heben besonders hervor, dass die Patienten Buccosperin ohne 
jede Störung nehmen konnten. Als besonders geschätzten 
therapeutischen Erfolg priesen die Kranken mit akuter Cystitis 
colli das Aufhören von vorher fast unerträglichen Miktions¬ 
schmerzen. 

Eine angenehme Nebenwirkung der Buccosperin-Kapseln 5 ) 
beruht auf der die Peristaltik des Darm anregenden Tätigkeit; 
unter Gebrauch von Buccosperin regelt sich der Stuhlgang ohne 
weitere Abführmittel. Dosis 2—3 stdl. 1 Kapsel. 


Bücherschau. 

F 1 e s c h: Die Entstehung der ersten Lebcnsvorgänge. 
Jena, Gustav Fischer. 

Nach einem kurzen historischen Überblick bespricht der 
Verfasser den Unterschied zwischen organischem und anorgani¬ 
schem und kommt zu dem Ergebnis, dass erst im Zusammen¬ 
treffen vieler Eigenschaften das Wesen des Lebens liegt. Dann 
benutzt er Ehrlichs Seitenkettentheorie zur Erklärung 
von Lebens Vorgängen. Ausführlich bespricht er dann „die 
Formentwicklung der Lebewesen als Produkte physikalischer 
Vorgänge“, und zwar der Diffusion und Osmose. Zum Schluss 
weist er darauf hin, dass die Versuche zur Aufklärung der 
Frage, ob es eine Urzeugung gibt, unter falschen Bedingungen 
angestellt werden wird. 

Das kleine Heftchen briugt auf knapp 30 Seiten so eine 
Menge interessanter Probleme. Selbstverständlich handelt es 
sich bei diesem in Lilie gehaltenen Vortrag nicht um neue 
Forschungen, so dass der, der die Literatur bis in die letzte 
Zeit verfolgt hat, kaum Unbekanntes treffen. 

Böen heim. 


') Südd. Apotheker-Zeitg. 1916. 23. 

J ) Berl. Kl. Wochenschr. 1911. 13. 

s | Grave Fol. Urolog Bd. VI, J911. 

4 ) Karo Deutsche rued. Wochenschrift 1911, 14. 

A ) Herstellende Firma: Dr. Rudolf Reist, L’harlottenburg 4 
und Wien Vl/2. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






228 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 23 


Dr. I. Gemach: Ditferentlal-diafenostlsclie Tabellen der 
inneren Krankheiten. I. F. Lehrmanns Verlag, Müncheu. 
Preis: 3.50 M. 2. Aufl. 

Für den Studierenden bildet das Erlernen der Sym¬ 
ptomatologie der inneren Krankheiten eine Fülle von Schwierig¬ 
keiten, verlangt ein grosses Mas« von Fleiss und genügende Übung 
am Krankenbett. Der Praktiker, braucht gar zu oft eine kurze 
Orientierung in zweifelhaften Fällen, und kann sich hierzu 
mangels Zeit, nicht erst wieder in die Ausführlichkeit der Lehr¬ 
bücher vertiefen. Hier schafft das vorliegende Werkchen eineu 
ausgezeichneten Ersatz, und gibt damit das schematisiert wieder, 
was die grossen Lehrbücher au Symptomatologie enthalten. 
Gleichzeitig ist es für den Studierenden ein gutes Repetitorium, 
wenn er zuvor ein breit angelegtes Lehrbuch durchgearbeitet 
hat. In der Erkenntnis der praktischen und lehrreichen Seite 
schematisierter Krankheitsdarstellungen haben auch mehrere 
Lehrbücher der inneren Diagnostik bei schwer auseinander 
zu haltenden Krankheitsbildern, solche aufgenommen, um sie 
der Auffassung der Studierenden näher zu bringen. Die Auf¬ 
gabe, die Differentialdiagnosen der inneren Krankheiten, in 
schematischen Vergleichstabellen darzustellen wurd« im vor¬ 
liegenden Buch ganz hervorragend gelöst, und gibt Zeugnis 
von einem seltenen Geschick, übersichtlich und klar zu ge¬ 
stalten. In der Beschränkung zeigt sich auch hier der Meister. 

F e i t h, Nürnberg. 


Neuere Medikamente. 

Honthin: Eine Tannin-Ei weiss-Verbindnng in keratinierter 
Form. Es ist ein feines, lichtbraunes, geruch- und geschmack¬ 
loses Pulver, unlöslich in Wasser, teilweise löslich in Alkohol, 
Äther, sowie in alkalischen Salzlösungen. Das Präparat hat 
sieh bewährt als promptes Autidiarrhoicum und besitzt Wirkung 
bei akuten, besonders aber subakuten und chronischen 
Enteritiden; für Säuglinge erfolgreich angewendet bei akuten 
und chronischen Dünn- und Dickdarmkatarrhen, sowie bei 
Cholera infantum. Durch seine die ganze Darmlänge an¬ 
haltende Wirkung ist es ein brauchbares Hämostatikum. 
Wie dem Tannin kommt dem Uonthin ein direkter Einfluss 
auf die Bakterien des Darmes und auf Toxine zu. Indessen 
fehlen dem Honthin die die Appetenz und Verdauung mächtig 
störenden Nebenwirkungen der Gerbsäure, da es sein Tannin 
erst unter dem Einfluss des alkalischen Darmcbylus und 
auch dann nur allmählich freigibt. Gegeben wird Honthin 
im allgemeinen 3 — 5 mal täglich in Dosen von 1 g, Säug¬ 
lingen von 0,2—0,3 g, am besten trocken oder in Oblaten 
unter Nachtrinken von Wasser. (G. Hell & Co., Troppau 
und Wien I.) 

Hormonal: Aus der Milz gewonnener Zellpress-Saft. 

Indikationen: Chronische Stuhl Verstopfung, Darm- 
atonie, ileusartige, postoperative und peritonitische Darm¬ 
lähmungen. Hormonal bewirkt eine Darmperistaltik in 
physiologischem Sinne. In geeigneten Fällen erfolgt nach 
einmaliger Injektion auf lange Zeit hinaus Stuhlgang. 

Anwendung und Dosierung: Bei chronischer 
Obstipation wird das Präparat intramuskulär, in 
schweren Fällen und bei akuten Darmlähmungen intra¬ 
venös injiziert. Die Injektionsmenge beträgt für Er¬ 
wachsene je nach der Schwere des Falles 20 — 30 —40 ccm. 
Kinder erhalten entsprechend weniger. Das für intramus) 
kuläre Injektion bestimmte Präparat (in braunen Flaschen¬ 
enthält eiuen Zusatz von 0,25 °/ 0 Beta-Eucain. hydrochloric.; 
für intravenöse Injektionen wird ein eucain freies Hormonal 


(in blauen Flaschen) hergestellt. Die intramuskuläre In¬ 
jektion erfolgt in steriler Weise in die Glutäen (links und 
rechts je die Hälftei. Um sicher in den Muskel zu injizieren, 
muss man eine entsprechend lange Nadel beim Manne 
mindestens 8—10 cm, bei Frauen 10—12 cm tief hinein- 
stechen. Die intravenöse Injektion erfolgt unter den üblichen 
Kautelen am zwockmässigsten in die Armveue an der Ell- 
beuge. (Vorsicht nach erschöpfenden Krankheiten!) Morphium¬ 
injektionen beeinträchtigen die Hormonalwirkung und sind 
daher währeud der Hormonalbchandlung zu meiden. 

Original-Packung: Für intramuskuläre Injektion 
braune Flaschen ä 20 ccm. Für intravenöse Injektion blaue 
Flaschen ä 20 ccm. Chemische Fabrik auf Aktien (vorm. 
E. Schering). 

Hjrdropvrln-Orifa D. R.-P.: Wasserlösliches Lithiumsalz der 
Acetylsalicylsäure mit einem Gehalt von 90 — 95 °/„ reinem 
Lithiumacetylsalicylat. 

I n d i k atio nen: Antirheumaticum, Antipyre- 
ticum, Antineuralgicum. Vollkommen wasser¬ 
löslich, daher für die Kinderpraxis geeignet. 

Dosierung: 1 Originalröhre 20 Tabletten ä 0,5 g 
und in Pulverform 5,0 — 8,0/150 D. S. 3 mal täglich 1 Ess. 
löffel voll, sowie als Zusatz zu Infuseu und Decocten (Haase: 
Berlin.) 

Jodelia: Bekannter Jod-Eisen - Lebertran bei Skrofulöse, 
Anämie, Tuberkulose in Originalflaschen. 

Anwendung: Kinder anfangs abends einen Kaffee¬ 
löffel — später 2 mal tägl. (morgens und abends). Erwachsene 
ebenso 1—2 Esslöffel. Saure Speisen und rohes Fleisch 
sind zu meiden. (Lahusen.) Origiualflaschen, 

Jodipin: Chem. Verbindung von Jod und Sesamöl. Innerl 
keine Jodabspaltung im Magen, Resorption als Jodfettsäure 
im Darm, gelangt zu allen Geweben, wo Jod in statu naseendi 
frei wird. Jodausscheiduug gleichmässiger und langsamer 
als nach Jodkali. Jodipin gibt mildere, aber gleichmässigere 
und kontinuierlichere Jodwirkung als Jodkali, Jodismus ist 
seltener, fehlt fast ganz bei Jodipininjektionen. 

Indikationen: Asthma, Bronchitis, Emphysem, Arterio¬ 
sklerose, Angina pectoris, Stenocardie, tertiärsyphilit. Erkran¬ 
kungen, Gehirnlues, Aktinomykose, akute fieberhafte Infektionen, 
Streptokokkeusepsis, Pyämie, Puerperalfieber, Scharlach etc. 

Anwendung: Innerl. 3 mal tägl. t Teelöffel bis 1 
Esslöffel 10 ° 0 Jodipin, oder 3 mal tägl. 2—3 Jodipintabletten. 
Subkut. tägl. 3—5 ccm stark erwärmtes 25 "/o Jodipin in 
das Unterhautzellgewebe der Brust oder Bauchhaut, oder in 
die Glutäen. (Merck-Darmstadt.) 

Jodival: Jodpräparat mit 47% Jod. 

Indikationen: Lues, Asthma, Arteriosklerose usw. 

Dosis: 3 mal täglich 1 Tablette. 

Packung: Originalröhrchen mit 10 und 20 Tabletten. 

Fabrik: Knoll & Co., Ludwigshafen a. Rh. 

Jodocitin 2. D. R. P.: J o d-L eci t hi n-E i weiss-Präparat. 
Jede Tablette enthält 0,06 g Jod gebunden an Lecithin- und 
Ei weiss-Substanzen. 

Indikationen: Arteriosklerose, Lues, speziell 
nach Hg.- und Salvarsankuren, Asthma bronchiale und 
cardiale, Skrofulöse, Apoplexie, Tabes dorsalis, Exsudate, 
Gicht, chronischer Gelenkrheumatismus, Struma, Skleritis usw. 

Dosierung: 1 Originalröhre Jodocitin-Tablelten 20 
Stück D. 8. 3 mal täglich 1—2 Tabletten während oder nach 
der Mahlzeit zu nehmen. Die Tabletten sind weder zu zer- 
beissen, noch zu zerkauen, sondern entweder im ganzen 
herunterzuschlucken oder in kleine Stücke zu zerbrechen und 
mit etwas Wasser herunterzuspülen. (Haase, Berlin.) 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 


Digitized by Google 


Original frorn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33 Jahrgang. 


1915/16. 


?ort$(brim der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Tadmänner 


L. Brauer, 

Hamburg. 


L. von Criegern, 

Hildesheim. 

C. L. Rehn, 

Frankfurt a/M. 


herausgegeben von 

L. Edinger, 

Frankfurt a/M. 


L. Hauser, 

Darmstadt. 

H. Vogt, 

Wiesbaden. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 24 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., 0. m. b. H , Berlin NW. 87. — Alleinige Inseratenannahine durch 
Gelsdorf & Co., G. nt. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


30. Mai. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Sammelbericht aus der inneren Medizin. 

Von Dr. W o 1 Le r - Kayna. 

Bei der Beratung des Medizinalwesens hat Ministe¬ 
rialdirektor Kirchner im Abgeordnetenhaus sehr 
interessante Mitteilungen über den Umfang der Seuchen 
während des Krieges gemacht. Er hob hervor, dass 
insgesamt nur 300 Cholerafälle in der Armee vorge¬ 
kommen seien. Vom Typhus teilte er mit, dass diese 
Krankheit überhaupt keine Rolle mehr spiele. Eine 
genaue Statistik über die Seuchen werden wir natürlich erst 
nach dem Frieden erhalten; schon jetzt aber ist vieles 
und wertvolles aus dem Material, das zur Verfügung 
stand, erarbeitet worden. 

Als aus persönlicher Erfahrung den meisten Ärzten 
unbekanntes Krankheitsbild trat uns das Flecklieber, der 
Typhus exanthematicus entgegen. Die letzte grössere 
Arbeit über das Flecktieber war die Cursch- 
m a u n sehe Monographie (1) in Nothnagels Spez. 
Oathol. und Therap. C. hatte in den Jahren 1876—79 
in Moabit 677 Fälle zu beobachten Gelegenheit. Die 
Schilderung der Krankheit ist klassisch. Oberholt sind 
aber seine Ansichten über die Art der Übertragung. 
Dass das Contagium in der Ausatmungsluft der Kranken, 
in seinen Hautausdünstungen sitze, hält C. für fraglich. 
Er ist der Ansicht, dass es den staubförmigen Teilchen, 
die die Luft der Umgebung des Kranken erfüllen, an¬ 
hafte, besonders den Kleidern, Gardinen, Möbeln, kurz 
den Gegenständen mit rauher Oberfläche. 

Unsere Ansichten darüber haben die neueren Er¬ 
fahrungen völlig gewandelt. Es scheint festzustehen, 
dass der Überträger die Kleiderlaus ist und sollte sie 
es nicht allein sein, so ist sie es unbestritten in der 
überwältigenden Mehrzahl der Fälle. Mit Rücksicht 
darauf ist das Interesse an der Kleiderlaus, die sonst 
wenig Beachtung fand, stark gestiegen. Wir wollen von 
diesen Arbeiten nur die von W ü 1 k e r (2) ei wähnen, die 
Näheres über die Lebensweise der E^ediculi vestimenti 
enthält, und die vor allem sich auch experimentell mit 
den Temperaturen beschäftigt, die die Tiere und ihre 
Nissen vertragen. Trockene Hitze tötet in 1—2 Minuten 
die Läuse bei 55°, die Eier bei 60", Temperaturen von 
—0,2" töten in 24 Stunden nicht. 

Angaben über die Lebensbedingungen der Laus 
finden sich auch in der kurzen und wertvollen Arbeit 
Brau e r s: Erkennung und Verhütung des Flecktyphus 
und Rückfallfiebers. (3) Allerdings eine sichere Dia¬ 
gnose lässt sich nach Brauers Ausführungen bei den 
ersten Krankheitsfällen klinisch kaum stellen. Die prodro¬ 
malen Erscheinungen sind beim Flecktyphus gering. Von 

Digitized by Google 


grosser Wichtigkeit sind die Roseolen. Beim Feld¬ 
soldaten bietet aber die Haut an und für sich schon ein 
buntes Bild, und selbst wenn man es nur mit Roseolen 
zu tun hat, ist die Entscheidung schwer. Als Hilfs¬ 
mittel hat man die künstliche Stauung he rangezogen 
Man staut 2—3 Minuten mittelstark und erhält darauf 
zahlreiche Petechien. Baumgarten (4) hat diese 
Erfahrung bestätigt gefunden und weist darauf hin, dass 
sie ein sichtbarer Ausdruck der von F r ä n k e I beschrie¬ 
benen Veränderung der Gefässe und der dadurch ent¬ 
standenen Zerreisslichkeit sei. Mayerhofer (5) hat 
dies Phänomen bei allen Roseolen (Typhus, Paratyphus 
und Fleckfieber) gefunden und sieht in ihm einen Be¬ 
weis für anatomische Veränderungen entzündlicher Natur. 
Damit ist in der Stauung ein typisches Merkmal der 
Fleckfieberroseola nicht gegeben. Wertvoll ist aber 
trotzdem die Roseola für eine exakte Diagnose. Frän- 
k e 1 (6) hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es nur 
ein sicheres Erkennungszeichen für das Fleckfieber gebe: 
die histologische Untersuchung der Roseola. Man findet 
an herausgeschnittenen Roseolen: Wandnekrosen der 
beteiligten Arterienäste und perivaskuläre Infiltrate, die 
den Gefässen abschnittsweise aufsitzen. Poin- 
d e c k e r (7) hat, um dies diagnostische Hilfsmittel 
möglichst zugänglich zu machen, ein histologisches Feld¬ 
besteck angegeben, mit dem die Exzision und mikro¬ 
skopische Untersuchung der exzidierten Roseoie aus¬ 
geführt wird. 

J ü r g e n s (8) äussert sich über die Epidemiologie 
des Fleckfiebers. Nach ihm genügt zur Erklärung der 
Übertragung allein die Übertragung durch die Laus. 
Allerdings müsse man bei der Frage der Ausbreitung 
der Seuche auch manches andere beachten, was bei 
allen anderen Epidemieen ebenfalls mitspiele. 

O. M ü 1 1 e r (9) hebt als diagnostisch Wichtigstes 
den raschen ungehemmten Fieberanstieg mit gleich¬ 
zeitiger Milzschwellung urtd den ersten Anzeichen des 
charakteristischen Exanthems hervor. Neben der sehr 
wertvollen klinischen Darstellung gibt er eine inter¬ 
essante Angabe der Mortalität. Sie beträgt bei den 
jifngen russischen Soldaten 5%, bei den etwas älteren 
russischen Ärzten 25"/ 0 , bei den deutschen Sanitäts¬ 
mannschaften 30%, bei den älteren deutschen Ärzten 
50—60%. 

Die Therapie ist nach ihm — und diese Angabe 
ist die herrschende — symptomatisch. Die zahlreichen 
Versuche, die Krankheit anderweitig zu behandeln (auch 
1 Salvarsan versagte) sind vorläufig als verfehlt zu be¬ 
trachten. 

Über Mittel gegen Läuse finden wir ebenfalls bei 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





230 


FOR TSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 24 


Müller Angaben ; ebenso hat W ü 1 k e r eine Reihe 
der zahllosen Mittel erprobt. Auf die ungeheuer grosse 
Zahl der Veröffentlichungen über die Substanzen, die 
die Läuse vom Menschen fernhalten oder sie abtöten 
sollen, einzugehen, verbietet der Raum. Gerade die 
gewaltige Menge der angepriesenen Mittel beweist wohl, 
dass ein absolut wirkendes nicht vorhanden ist. Aus 
persönlicher Erfahrung kann ich dem p-Dichlorbenzol 
vor anderen den Vorzug geben. Es hat sich auch 
(B. No c h t & Halberkann) (10) anderweitig 
ausserordentlich bewährt und besitzt ausserdem den 
Vorzug der Billigkeit. 

Die Hauptarbeit bei der Bekämpfung des Fleck¬ 
typhus wird dem Hygieniker zufallen. Es wird sich in 
erster Linie um Entlausung der Menschen, ihrer Kleider, 
Wäsche, Wohnräume usw. handeln. Die Zahl der Ver¬ 
öffentlichungen über Entlausungsanstalten, bei denen die 
Entlausung mit Dampf, mit heisser Luft, mit Schwefel 
usw. vorgenommen wird, ist ebenfalls sehr gross. Die 
Läusefreiheit der Menschen und Unterkunftsräume ist 
ein Wall gegen die Weiterverbreitung des Fleckfiebers, 
und S i e b e r t (11) weist mit Recht darauf hin, dass 
ein läusefreier Fleckfieberkranker so gut wie keine An¬ 
steckungsgefahr für seine Umgebung bietet. 

Sehr interessante Ergebnisse haben die Arbeiten 
über den Abdominal-Typhus erbracht. Spielt auch nach 
Kirchners Angaben zur Zeit der Typhus keine 
Rolle mehr, so hat es doch im Spätherbst 1014 genügend 
Krankenmaterial gegeben. Ausserdem aber ist eine Erage 
aktuell geworden; die der Wirksamkeit der Schutzimpfung. 
Auf genaue Angaben werden wir auch hier aus begreif¬ 
lichen Gründen bis nach dem Frieden verzichten müssen; 
die allgemeine Durchführung der Schutzimpfung bei den 
Truppen und das Erlöschen der Seuche spricht jeden¬ 
falls schon eine deutliche Sprache. Für die französische 
Armee liegt eine Tabelle (12) vor, die ausserordentlich 
für die Schutzimpfung spricht. Es starben von an kli¬ 
nisch sicherem Typhus Erkrankten (vom 2. Aug. 14 bis 
1. Juli 15) 

von nicht Geimpften 17,4% 

„ 1 X a b,0 „ 

„ 2 x , 4,0 „ 

» 3 x „ 2,5, 

4 X * 1,0 , 

Gold scheider und Kroner (13) berichten 
über ihre Erfahrungen bei einer Armee im Herbst und 
Winter 1014/15: „Die Impfungen waren von günstigem 
Einfluss auf die Schwere der Erkrankung. Die zwei¬ 
malige Impfung war von besserem Erfolg als die ein¬ 
malige, die dreimalige von besserem als die zweimalige.“ 
Ferner fanden sie bei den Geimpften weniger häufig 
Komplikationen als bei den Ungeimpften; sie fanden 
eine Verminderung der Nachschübe und eine leichtere 
und schnellere Rekonvaleszenz. Vor allem fanden sie 
bei den Geimpften eine erheblich geringere Mortalität 
als bei den Ungeimpften. 

Auch Hirsch (14) kann Günstiges über die 
Schutzimpfung berichten. Die Morbidität wird nach 
seinen Erfahrungen allerdings nicht wesentlich beein¬ 
flusst. „Dagegen wird der Krankheitsverlauf meist 
leichter, er nähert sich mehr den abortiven Formen und 
dem infantilen Typhus mit seinen von Anfang an 
steileren Kurven.“ „Ein besonders schwerer Krankheits- 
verlauf dagegen ist zu beobachten bei Fällen, die im 
Inkubations- oder Initialstadium eines Typhus geimpft 
wurden.“ Auch Scholz (15) fand, dass die Schutz¬ 
impfung die Schwere der Erkrankung mildert, die 
Dauer verkürzt und den letalen Ausgang vieler Fälle 
abwendet. Die Unschädlichkeit der Schutzimpfung wird 
von Laqueur (16) einer besonderen Untersuchung 
gewürdigt. Er verfügt über ca. 5000 Impfungen und 
hat, allerdings bei peinlicher Sauberkeit, keine erheb- 

Digitized by Google 


liehen Reaktionen erlebt. In weniger als 1 % musste 
der Dienst einen Tag ausgesetzt werden. Dass die 
Schutzimpfung möglich ist, ohne den Gefechtswert der 
Truppe zu beeinträchtigen, wird jeder Truppenarzt be¬ 
stätigen können, auch der, dem sich für die Aseptik 
grosse Schwierigkeiten geboten haben. 

Eine besondere Frage ist die der Diagnoseerschwe¬ 
rung durch die Impfung. Durch die Vakzination ist 
ein leichter Typhus verursacht und naturgeinäss erleidet 
dadurch das Blut die Veränderungen, die ein solcher 
setzt. So weist I c k e rt (17) darauf hin, dass sich 
das Blutbild bei der Schutzimpfung ebenso wie durch 
eine Typhuserkrankung verändert. S c h o 1 z (15) betont 
die Einschränkung der Anwendung der W i d a 1 sehen 
Serumreaktion durch die erfolgte Immunisierung und 
ebenfalls die Veränderung des Blutbildes. Allerdings 
hielt diese nicht zu lange vor. 4—6 Wochen nach der 
letzten Impfung fand er bei gesunden Geimpften bereits 
wieder normale Werte und Zellen. Auch S t i e v e (18) 
fand das Gleiche: die Gruber-Widal sehe Reak¬ 
tion hat ihren Wert verloren. Das Blutbild bietet 3 bis 
4 Wochen (höchstens 6 Wochen) nach der letzten 
Impfung wieder normale Befunde. Nach ihm wird 
Leukopenie nach dem 20. Tage, besonders bei starker 
Verminderung der Lymphozyten und Fehlen der Eosino¬ 
philen unbedingt für Typhus sprechen. Dass die 
G r u b e r - W i d a 1 sehe Reaktion wertlos geworden 
ist, stellen auch Hage und Ko rff-Petersen 
(19) fest. 

Auch über die Therapie des Typhus ist viel gear¬ 
beitet worden. Neu sind die Versuche mit Typhus¬ 
vakzinen, über die eine grosse Reihe von Arbeiten vor¬ 
liegen. Reite r (20), der sich sehr vorsichtig über 
den Wert der Vakzinetherapie äussert, glaubt doch an 
eine Herabsetzung der Krankheitsdauer und Verringe¬ 
rung der Mortalität durch sie. Ihm scheint eine vor¬ 
sichtige Vakzinetherapie begründet, und er empfiehlt 
eine wiederholte subkut ine Injektion kleinerer Mengen 
(beginnend mit 0,3, steigend bis 0,5). Von grösseren 
Dosen hat er keine bessere Wirkung beobachtet. 

Sehr zurückhaltend lautet auch das Gutachten, das 
der Sanitätsrat von Ungarn (21) erstattet hat. Es 
wurden verschiedene Vakzinearten angewendet, über 
die aber ein Urteil nicht abgegeben wird. Empfohlen 
wird die subkutane Injektion; die prompter wirkende 
intravenöse soll wegen vorgekommener Todesfälle nur 
erfahrenen Ärzten Vorbehalten bleiben. An erster Stelle 
käme in Frage die Vakzine nach B e s r e d k a. Es 
handelt sich hierbei um mit tierischem Immunserum be¬ 
handelte Bakterien. 1 ccm enthält eine halbe Platinöse 
Typhusbazillen. Ausserordentlich günstig sind Szecsys 
(22) Erfahrungen mit ihm. Er schreibt begeistert von 
dieser Behandlungsweise und hat eine Mortalität von 
2% zu verzeichnen. 

Überhaupt lauten die Berichte über Erfahrungen mit 
der Vakzinebehandlung fast sämmtlich günstig. Gold- 
scheider und Aust (23) sahen bei 70 Injektionen 
55 Fieberremissionen von 0,5 —2,0°. Bei einer Reihe 
von Fällen war die Injektion der Beginn der völligen 
Entfieberung. 

Mit der Äthervakzine nach Vincent (durch 
Äther abgetötete Bakterien) hat Hol 1er (24) gear¬ 
beitet. Seine Erfahrungen sind derart zufriedenstellend, 
dass er die Überzeugung aussprechen kann: „Der Vak¬ 
zinetherapie gebührt unter den bisherigen gebräuchlichen 
Behandlungsmethoden des Typhus abdom. volle Be¬ 
achtung.“ 

K o r ;i n y i (25) berichtet über die Vakzine I chi- 
k a w a s. Es handelt sich hierbei um mit Rekonvales¬ 
zentenserum sensibilisierte Bakterien. Dosen von 0,4 
bis 0,5 lassen einen beträchtlichen Teil der Fälle bei 
zeitiger Anwendung abortiv verlaufen. Decastello 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 24. 


231 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


(26) legt weniger Gewicht auf die Art der Vakzine. 
Nach seinen Erfahrungen ist dies wenig massgebend. 
Wichtig ist für ihn vor allem die Dosierung. Und da 
rät er zu kleineren Dosen. Die Injektion ist zu wieder¬ 
holen, sobald die Temperatur wieder in Fieber über 
3<S° übergeht. 

Zum Schluss sei noch eine Arbeit erwähnt, die einen 
anatomischen Beweis für die Wirksamkeit der Vakzine¬ 
therapie enthält, die von Wiesner (27). Durch Ver¬ 
gleich der von ihm erhobenen Darmbefunde bei der 
Obduktion mit der Krankheitsdauer kommt er zu der 
Überzeugung, dass vom anatomischen Standpunkt der 
Vakzinetherapie eine kurative Wirkung nicht abzu¬ 
sprechen sei. 

Das Neue in der Behandlung des Typhus besteht 
in der Vakzinebehandlung. Von der von Moritz 
zuerst empfohlenen Pyramidonbehandlung hat T a - 
b o r a (28) wieder Gebrauch gemacht. F.r gab 7 Ess¬ 
löffel einer 1 % Pyramidonlösung in 24 Stunden. Da¬ 
neben unter Umständen kühle Waschungen, keine Bäder. 
Seine Erfolge waren gut. 5,3% Mortalität. In einer 
anderen Arbeit wird die Pyramidonbehandlung von 
anderem Gesichtspunkt aus gewertet. W ortrn a n n 
(29) will die Pyramidongaben so bemessen haben, dass 
allein die Temperaturschwankungen gemildert werden. I 
Damit fällt eine Schädigung des Herzens fort. Bäder 
werden nur verabreicht, wenn die Pvramidonwirkung 
noch nicht erfolgt ist oder aufgehört hat. 

Eine Reihe von Arbeiten beziehen sich auf die durch 
Typhus an anderen Organen, abgesehen vom Darm, 
hervorgerufenen Störungen. Da ist es in erster Linie 
das Herz, dessen Beteiligung oder Nichtbeteiligung von 
grossem Wert ist. G r ö d e 1 (30) berichtet eingehend 
über seine Untersuchungen an grossem Material. Er 
unterscheidet bei der Betrachtung 3 Perioden: 1. Die 
Fieberperiode, 2. das erste Stadium der Rekonvaleszenz, 
3. das zw'eite Stadium der Rekonvaleszenz. In der 
1. Periode, die die relativ niedrige Pulskurve beherrscht, 
kommt es nicht selten zu Erscheinungen von Herz¬ 
schwäche, zu einer Veränderung des Pulses, zur Erweite¬ 
rung des linken Ventrikels und zu systolischem Geräusch 
über Pulmonalostium oder Herzspitze. In der Mehrzahl 
der Fälle gehen diese Symptome jedoch zurück, ohne 
Störungen zu hinterlassen. G r ö d e I kann C u r seh¬ 
nt a n n s Ausspruch : „Chronische auf Typhus zurück¬ 
zuführende Myocarditis ohne oder mit dauernder Dila¬ 
tation habe ich bisher nur vereinzelt beobachtet!“ voll 
bestätigen. — In der 2. Periode fand G r ö d e 1 häu¬ 
figer Bradykardien als Pulsbeschleunigungen. Am 
wichtigsten ist das Verhalten des Zirkulationsapparates 
in der 3. Periode. Hier fand G. nur in 30—40% nor¬ 
male Werte, 60—70’/o der Kranken zeigten Tachy¬ 
kardie, bei 40—50% fand er erhöhten Blutdruck. Der 
Pulsrhythmus zeigte keine Besonderheiten, nur bei 
wenigen fanden sich Extrasystolen. Gefässpulsationen 
fanden sich ebensowenig. Häufig fand sich ein systo¬ 
lisches Geräusch. Orthodiagraphisch fand er nur ein¬ 
mal eine deutliche Vergrösserung und bei 2—3 “/„ 
leichte Vergrösserungen. Er kommt zu dem Schluss, 
dass eine posttyphöse Myocarditis ganz ausserordentlich 
selten auftritt und sagt dann weiter: „Ich glaube, wir 
dürfen sonach als eine häufige Begleiterscheinung der 
Tvphusrekonvaleszenz ein Krankheitsbild bezeichnen, 
welches charakterisiert ist durch Tachykardie und Blut¬ 
druckerhöhung, einzeln oder kombiniert, systolische 
Herzgeräusche, relativ gute muskuläre Herzleistungs¬ 
fähigkeit, geringe subjektive Erscheinungen.“ G r ö d e 1 
weist darauf hin, dass für diese Störungen im Nerven¬ 
system des Zirkulationsapparates sehr wohl Stoffwechsel- 
störungen in Frage kommen können. P 1 a s c h k e (31) 
hat den Magensaft von Typhusrekonvaleszenten einer 
Untersuchung unterzogen und dabei auffallend häufig 

Digitized by Google 


Subazidität oder keine freie Salzsäure gefunden. Prak¬ 
tisch zieht er daraus den Schluss, eine Diät zu verab¬ 
folgen, die der bei chronischen Magenkatarrhen ent¬ 
spricht. 

Lyon (32) weist auf die leichten Wirbelerkran¬ 
kungen bei Typhusgenesenden hin, die im Gegensatz 
zu den seltenen schweren Wirbelerkrankungen häufig 
sind. Sie können Grund zu recht heftigen subjektiven 
Beschwerden geben, doch sind sie prognostisch durchaus 
günstig zu beurteilen. Riedel (33) schreibt über die 
chirurgischen Erkrankungen beim Typhus. Knochen¬ 
herde entwickeln sich am häufigsten an den Rippen und 
in der Tibia. Ihre chirurgische Behandlung bietet keine 
Besonderheiten. 

1. Gursch m an n, Fleckfieber; in Nothnagel Spez 
Puthol. und Therap. III. band, II. Teil, 1. Abtlg. 1900. 

2. W ü 1 k e r, Zur Frage der Läusebekämpfung. Mü. 
raed. \V. 1915, 18. 

3. Brauer, Erkennung und Verhütung des Fleck¬ 
typhus und Rückfallfiebers, Würzburg, Kabitzsch, 1915. 

4. Baum garten, Küustl. Stauung als diagnost. uud 
differeutialdiagnost. Hilfsmittel beim Fleckfieber. Mü. m. W. 

19IG, Nr. 2. 

5. Mayerhofer, Künstl. petechiale Umwandlung der 
Roseolen als ein diagnost. Hilfsmittel. Mü. m. W. 1916, 5 

6. Frankel, Zur Fleckfiebcrdiagnose. Mü. m. W. 
1915, 24. 

7. Poindecker, Diagnose des Fleckfiebers im Felde 
Mü. m. W. 19IG, 5. 

8. J ürgena, Zur Epidemiologie des Fleckfiebers. Bl. 
kl. W. 1915, 25. 

9. Mülle r, Fleckfieber. Med. Klin. 1915. Nr. 45 
bis 47. 

10. N o c h t und Halberkann, Beitrage zur Läuse- 
frage. Mü. m. W. 1915, 18. 

11. S i e b e r t, Fleckfieberepidemie. Hambg. med. Über¬ 
seehefte Nov. 1915. 

12. Die Resultate der Typhusschutzimpfung in der französ. 
Armee. Brit. med. Jour. 1. I. IG. 

13. Gold scheider und Krön er, Über den Ein¬ 
fluss der Typhusscbutzimpfung auf die Typbuserkrankungen 
bei der . . . Armee im Herbst und Winter 1914/15. Bin. kl. 

W. 1915 Nr. 36—38. 

14. Hirsch. Über atypische Verlaufsformen des Typhus 
im Felde. Bl. kl. W. 1915, 30. 

15. Bemerkungen zur Symptomatologie und Therapie des 
Unterleibslyphus. Scholz. D. m W. 1915, 49. 

16 Laqueur, Die Unschädlichkeit der Typhusschutz¬ 
impfung. M. m. W. 1915, 38. 

17. Ickert, Einfluss der Typbusschutzimpfung auf das 
weisse Blutbild. Brauers Beitr. Inf. 4 G. 2. 

18. Stieve, Die Leukozyten bei der Typhusschutz- 
impfung. Dtsch. Arch. f. Kl. Med. 1915, 4 und 5. 

19. Hage und Korff-Petersen, Typhusschuiz- 
impfung und Diagnose. D. ra. W. 1915, 45. 

20. Reiter, Über therapeutische Typbusvakzination. 

D. m. W. 1915, 38. 

21. Vakzinebehandlung Typhuskranker. D. m. W. 
1915, 32. 

22. Szficsy, Die Behandlung des Typh. abdom. mit 
Besredkas Vakzine. D m. W. 1915, 33. 

23. G o 1 d s c li e i d e r und Aust, Über die spezif. 
Behandlung des Tvpb. abd. mit abgetöteten Kulturen von 
Typhusbazillen. D. m. W. 1915, 13. 

24. Holler, Zur Vakzinetheraphie des Tpyli. abd. 
Ztschr. für klin. Med. LXXXI, 5 und 6. Med. Klin. 1915, 
23, 24. 

25. K o r a n y i, Zur Vakzinabehandlung des Typh. abd. 
Wien, kl W. 1915, 4. 

26. Decastello, Vakzinetherapie des Abdoniinal- 
typhus, Wien. m. W. 1915, 52. 

27. Wiesner, Vakzinetberapie des Abdominaltypbus. 
Wien m. W. 1915, 49. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







232 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 24 


28. Tabora, Pyramidonbehandlung des Typhus. Mü. 
m. W. 1915, 13. 

29. Wortmann, Hackradt und Q u i v i n , 
Kombinierte Pyramidon-Biidertberapie bei Typhus. Therap. 
Mthfte. 1915, 12. 

30. Grödel, Typhus und Zirkulationsnpparut. D. in. 
W. 1915. 50. 

31. Plaschke, Typhusgastritis, Wien. kl. W. 1915, 42. 

32. Lyon, Wirbelerkrankuugen in der Typhusrekon¬ 
valeszenz M. Kl. 1915, 51. 

33. Riedel, Chirurgisches über Typhus. Mttlg a. d. 
Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1915. 5. 


Neue Mitteilungen über wichtige Medikamente. 

Von E. Otto- Frankfurt a. M. 

Solche Mitteilungen liegen vor aus der wissen¬ 
schaftlichen Abteilung der chemischen Fabrik Knoll 
und Co., Ludwigshafen a. Rh. Diese stellt bekannt¬ 
lich seit Jahren nach den Angaben des Heidel¬ 
berger Pharmakologen Prof. Dr. G o 11 1 i e b das 
D i g ipuratum her, das sich durch die Höhel 
seines Wirkungswertes, völlige Gleichmässigkeit in der 
Wirkung und dauernde Haltbarkeit vor allen anderen 
Digitalispräparaten und nicht zuletzt vor der Droge 
selbst auszeichnet. Das Digalen der französischen Fa. 
Hoffmann - la Roche in der Schweiz, dessen Verbrauch 
in Deutschland einen bedeutenden Umfang angenommen 
hatte, besitzt vor dem Digipuratuin auch nicht die'ge- 
ringsten Vorzüge. 

Digipuratum war bisher in Tabletten ä 1 g im 
Handel, die je 8 Froscheinheiten im Werte entsprechen. 
Es kommt nunmehr auch in flüssiger Form (alkoho¬ 
lischer Lösung) für den internen Gebrauch in Packungen 
ä 10 ccm und in Ampullen ä 0,1 Substanz enthaltend 
zur intravenösen Injektion in den Verkehr. Die Vor¬ 
züge dieses Präparates, das unter ständiger physiolo¬ 
gischer Kontrolle durch das Heidelberger pharmako¬ 
logische Institut steht, bestehen in erster Linie darin, 
dass es sämtliche Bestandteile der Pflanze an Gerb¬ 
säure gebunden in stets konstanter Zusammensetzung 
enthält, wobei natürlich die grosse Menge unwirksamen 
Ballastes, der der Droge anhaftet, völlig bei Seite fällt. 
Ferner ist es unbegrenzt haltbar und bietet die Mög¬ 
lichkeit durch entsprechende Dosierung eine kumulative 
Wirkung auszuschalten. Dies kommt besonders in Be¬ 
tracht bei der Notwendigkeit den Körper für längere 
Zeit unter einer genügenden Digitaliswirkung zu halten. 
Für diese chronischen Digitaliskuren eignet sich am 
besten die Digipuratumlösung zum Eiunehmen (1 ccm = 

1 Digipuratumtabl. = 0,1 starkwirk. Fol. digital.) be¬ 
sonders durch die schnelle Resorption bei kurzer Auf¬ 
enthaltsdauer im Magen, wodurch alle zugeführten 
Glykoside schnell zur Wirkung kommen. 

Vielfach wird es in Kombination mit Diuretin bei 
Störungen des Kreislaufs gegeben. Der niedrige Preis des 
Digipuratum im Vergleiche mit seinem Wirkungswerte 
gegenüber anderen Digitalispräparaten ist ein weiterer 
von der Heeresverwaltung und den Krankenkassenver¬ 
bänden anerkannter Vorzug. 

S o 1 a r 8 o n, 

In der „Therapie der Gegenwart“ vom Januar 1916 
berichtet G. Klemperer nach seinen Erfahrungen 
am städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin über 
S o 1 a r s o n , ein wasserlösliches Arsenpräparat der 
Elarsongruppe Nachdem das Elarson seit ca. 3 Jahren 
von vielen Ärzten und in zahlreichen Kliniken als sehr 
brauchbares Arsenpräparat bei Anämien, Schwäclie- 


Digitized by 


Google 


zuständen und Neurosen zur Vermehrung der Blut¬ 
körperchen und zur Hebung der Kräfte reichliche An¬ 
wendung gefunden hat ist es nunmehr den Farben¬ 
fabriken Bayer & Co., Elberfeld, gelungen, dasselbe in 
wasserlöslicher Form herzustellen und damit den einzigen 
Übelstand der Iilarsonpräparate zu beseitigen. Prof. 
Dr. K 1 e in p e r e r übernahm die klinische Prüfung 
und fand, dass das Soiarson alle die Eigenschaften eines 
Arsenpräparates in erhöhtem Masse besitzt, die es zu 
einem klinisch wertvollen machen. Es verursacht bei 
der Unterhauteinspritzung keinerlei lokale Reaktionen, 
ist leicht resorbierbar, wird auch von empfindlichen 
Patienten anstandslos vertragen und zeigt die typischen 
Arsenwirkungen ohne schädliche Nebenerscheinungen, 
bei Innehaltung der medikamentösen Dosen. Die Dar¬ 
reichung erfolgte in 1% iger Lösung 10—12 Tage lang 
je 1 ccm mit Wiederholung nach 8 tägiger Pause. Die 
Elberfelder Farbenfabriken bringen das Elarson ausser 
in Substanz in gebrauchsfertigen Ampullen mit 0,77 0 iger 
Kochsalzlösung in Verkehr. Der beobachtete Erfolg 
war in allen Fällen ein ausgezeichneter. Nach den 
Krankengeschichten, deren einzelne Wiedergabe der 
Raum verbietet, waren die Wirkungen so augenfällig, 
dass darnach an der typischen Arsenwirkung des Solar- 
sons ein Zweifel nicht möglich ist. Indiziert ist seine 
Anwendung bei sekundären Anämien, Appetitlosigkeit, 
allgemeinen Schwächezuständen, Neurasthenie, Neuralgien, 
Basedow und Chorea und es erscheint berufen die Vielen 
unsympathische Kakodylbehandlung zu ersetzen. Jeden¬ 
falls tritt der angesehene Verfasser und bestens be¬ 
kannte Kliniker n ich seinen Erfahrungen warm für 
dieses Präparat ein, nachdem er es sogar am eigenen 
Leibe probiert und gut befunden hat. 


Darmadstringentia. 

Ende vorigen Jahres brachte die Fa. Knoll & Co, 
Ludwigshafen a. Rh. unter dem Namen Ente rosan 
eine in verdünnten Säuren schwerlösliche Kalkverbindung 
der Gerbsäure mit einem Gehalt von 15 "/„ Kalk und 
85 “/„ Gerbsäure in Tablettenform a 0,25 g in den Handel, 
das die gerbende und schwach desinfizierende Wirkung 
der Gerbsäure mit def exsudathemmenden und gefäss- 
verengenden des Kalkos in sich vereint. Es soll sich 
zur Bekämpfung von Diarrhöen aller Art auch infektiöser 
oder schwer stillbarer Nate'.r recht gut eignen. 

Genauere Angaben lieget vor über das Präparat 
E t e 1 e n der Farbenfabriken von?)- Friedr. Bayer & Co. 
Leverkusen bei Cöln a Rh. In N T r- 51 der Münchener 


Hl 


Wochenschrift 1915 beruhtet Prof. Dr. 
e r t, Würzburg und Dr. b’>- L o e w e n • 


medizinischen 

Otto Seif 7 _ B _ _ 

l h a 1 vom städtischen Krankenhause in Nürnberg über 
die prompte stuhlstopfende Wirkung dieses 1 ' 1 riacetyl- 
gallussäureäthylesters bei allen Diarrhöen — \auch bei 
Kindern — insbesondere bei infektiösen Durchfäl' en wie 
Dysenterie, Typhus, Paratyphus, Cholera asiatic? ml . 
da dasselbe als tropenfest zu bezeichnen ist, auch, 1 
Amöbendysenterie, ln leichteren Fällen reichen Ga en 
von 0,5—1,0 drei- bis viermal täglich aus, in schwere? 11 
Fällen können 6,0—8,0 g am Tage gegeben werde 
Es empfiehlt sich, nach dem Aufhören der Diarrhöe d. 
Mittel noch einige Tage in fallender Gäbe weiter z 
geben. Da das Präparat schwerlöslich ist, gibt man e 
zweckmässig in Pulver, Pillen oder Tablettenform 
Tannalbin und Tannigen übertrifft es in seiner adstrin 
gierenden Wirkung etwa um das anderthalbfache. 

Als besonders glückliche Kombination ist nach 
Loewen thal besonders bei dysenterieähnlichen 
Darmentzündungen eine Vereinigung des Etelens mit 
Adrenalin, jedenfalls durch dessen Beeinflussung der 
Gefässe; auch eine gleichzeitige Darreichung von Opium 
erwies sich als erfolgreich in solchen Fällen, wo Etelen 
allein nicht zum Ziele führte. 


i 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 24. 


233 


FORTSCHRITTE 


Weitere Mitteilungen über Etelen liegen vor in der 
Vierteljahresschrift für praktische Pharmaeie. 

Nach seinen Erfahrungen im Felde berichtet Geh. 
Med. Rat Prof. Dr. C. Hirsch in der Deutschen 
medizinischen Wochenschrift 1413 Nr. 40 über die Wir¬ 
kungen verschiedener Adstringenden. Er erwähnt dabei 
besonders lobend als schnell und zuverlässig wirkend 
die ß i e r m e r sehe Ordination: 

Decoct. Ratanhiae 450,— 

Extr. Campeehianae 8,— 

Sir. cinnamomi ad 500,— 

6 mal pro die 25 ccm. 

. Verfasser dieser Zeilen hatte im Felde und auch 
vor dem gegenwärtigen Kiiege häufig Gelegenheit bei 
Koliken mitunter schlimmster Art die ganz hervor¬ 
ragenden Erfolge der Ratanhiawurzel festzustellen. Am 
besten bewährte sich die Darreichung in flüssiger Form: 
Tinct. Ratanhiae 
Sir. splx äa 10,— 

oder in Kapseln: Extr. Ratanhiae 0,75. 

Nach Bedarf 4 bis 0 mal täglich eine Kapsel. 

Dabei war eine besondere Diät nicht notwendig, 
so dass wie im Felde so besonders auch auf Reisen 
diese Medikation zweckmässig erscheint. Hirsch 
empfiehlt dabei wenn nötig nach Vorspülung mit physio¬ 
logischer Kochsalzlösung zweimal täglich einen Einlauf 
von 2 Litern 0,5 prozentiger Tanninlösung. Die An¬ 
wendung der stark tanninhaltigen Rad. Ratanhiae war 
früher eine weitverbreitete. Sie wurde durch die che¬ 
mischen Verbindungen der Gerbsäure besonders in Ver¬ 
bindung mit Eiweiss fast völlig verdrängt. Es ist sehr 
die Frage, ob die Wiederaufnahme dieser alten Ordi¬ 
nationen als ein Rückschritt zu bezeichnen wäre. Jeden¬ 
falls ist es empfehlenswert in gegebenen Fällen auf die 
vorgeschlagenen F'ormeln zurückzugreifen und über die 
Wirkung an geeigneterstelle zu referieren. Es sei dabei 
darauf hingewiesen, dass ein möglichst gleichmässiges 
völlig trockenes Extrakt Ratanhiae zur Anwendung 
kommen soll, wie es die Firma E. Merck, Darmstadt 
herstellt, um Versager zu vermeiden. 


Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Diphtherie. 

Von Dr. Julius S t r a u ss, Kinderarzt in Mannheim, 
z. Z. Stabsarzt am Reservelazarett Nürtingen. 

(Fortsetzung und Schluss ) 

Was die Höhe der Antitoxin-Dosis betrifft, so haben 
in neuerer Zeit ausserordentlich hohe Dosen Befürworter 
gefunden, zum Teil bis zu 100 000 A. E., allein wenn 
auch in besonders schweren Fällen besonders hohe Dosen 
versucht werden können, so sind doch die Mehrzahl der 
Forscher bei den kleineren, gegen früher allerdings etwas 
erhöhten Mengen von 1500 bis 5000 Antitoxin-Einheiten, 
je nach dem Alter und der Schwere des Falles als aus¬ 
reichend geblieben. Auch aus der Zusammenstellung 
Reiche’s ergibt sich keine Besserung im Heilungsver¬ 
hältnis grosser Patientengruppen bei beträchtlicher Stei¬ 
gerung der Serumdosis und Baginsky hält die Forderung 
der enormen Dosen für das Gros der Fälle jedenfalls 
übertrieben. 

Wenn die Erfolge des Serums wie oben gesagt auch 
nach meinen praktischen Erfahrungen in bezug auf den 
lokalen Prozess ganz augenscheinliche sind und ein 
Weitergreifen der örtlichen Erkrankung dabei zu den 
Ausnahmen gehört, so möchte i c h doch hervorheben, 
dass ich eine Anzahl von Patienten an Herz- und zwei 
auch an Schlinglähmung nach vollkommener Abheilung 
des Prozesses im Rachen zugrunde gehen sah. Diese Fälle 
schwerer postdiphtheritischer Lähmungserschei- 

Digitized by Google 


DER MEDIZIN 


nungen haben in ihrem unei warteten Entstehen und ihrem 
Verlauf etwas besonders Tragisches. Der eine Fall von 
Schlinglähmung, der einige Tage durch Sondenfütterung 
erhalten werden konnte, betraf einen kräftigen vierjäh¬ 
rigen Jungen, dessen langsames Hinsiechen einen unver- 
I gesslich traurigen Eindruck machte; bei dem einen 
meiner Herztodesfälle, einem 3 jährigen Knaben war 
klinisch besonders merkwürdig das Herabsinken der 
Pulszahl auf 36 Schlage in der Minute, 1 Tag vor dem 
Exitus. Diese traurigen und meist unerwarteten Todes¬ 
fälle müssen uns zu ernster Überlegung veranlassien. 
Spielt hierbei vielleicht eine zu geringe oder zu späte 
Applikation des Serums eine Rolle oder entstehen dese 
Lähmungen vollkommen unabhängig davon? Es hat mir 
doch sehr viel Bedenken gemacht, dass der eine von 
meinen postdiphtheritischen Herztodesfällen nach einer 
vollkommen lokalisierten geringfügigen Tonsillar-Diph¬ 
therie bei einem 10 jährigen allerdings von jeher stark 
anämischen Mädchen erfolgte, bei der ich erst am 4. 
Krankheitstage wegen der Hartnäckigkeit der Membran- 
Resistenz spritzte. Er entsprach ungefähr dem Krank¬ 
heitsbild, bei dem auch Feer in seinem Lehrbuch der 
Ansicht ist, ohne Diphtherie-Serum auskommen oder 
[ wenigstens abwarten zu können. Die übrigen Lähmungs¬ 
fälle allerdings waren sofort bei Beginn der Behandlung 
gespritzt worden, aber es lässt sich schwer sagen (in 
einem Fall handelte es sich um ein auf der Fahrt be¬ 
findliches Schifferkind) um den wievielten Tag der Krank¬ 
heit es sich handelte. Im ganzen muss ich sagen, dass 
ich von einer frühzeitigen Serum-Einverleibung doch 
auch eher eine Verhütung der schweren Lähmungen er¬ 
warten zu dürfen glaube. Die Ansichten der Kliniker 
hierüber sind noch keineswegs einheitlich Zum Teil 
wird dem Antitoxin jegliche Bedeutung für die Ent¬ 
stehung oder Verhütung der postdiphtheritischen Läh¬ 
mung abgesprochen, zum Teil wird von einer frühzeitigen 
Anwendung eine Verhütung und sogar von einer späteren 
noch ein Einfluss auf schon bestehende Lähmungen ver¬ 
mutet. Immerhin wird von der Mehrzahl der Beobachter 
die postdiphtheritische Lähmung meist im Anschluss au 
schwere und spät eingelieferte Fälle angegeben und 
Baginsky berichtet, dass er Lähmungen bei den am 
ersten Tag der Erkrankung mit Serum behandelten 
Kindern überhaupt nicht mehr zur Beobachtung bekom¬ 
men habe. Auf eine interessante Weise sucht Klei n- 
schmidt (Archiv f. Kinderh. 1915, Bd. 64) dieser Frage 
näher zu treten, indem er bei den Fällen postdiphtheri- 
tisclier Lähmung mittels der weiter unten angegebenen 
Schick’schen Reaktion den Antitoxingehalt im Blute 
prüfte; er kommt hierbei zu dem Resultat: „Diphtherie¬ 
lähmung kann auftreten und zum Tod führen trotz Vor¬ 
handenseins von Antitoxin im Blut und sie kann heilen 
trotz Fehlens von Antitoxin; ein gesetzmässiger Zu¬ 
sammenhang mit diesem ist also auf diesem Wege nicht 
nachweisbar.“ Die von französischen Forschern ange¬ 
gebene Heilwirkung grosser Serutndosen auf postdiph¬ 
theritische Lähmungen, die in Deutschland wenig An¬ 
hänger gefunden hat, würde dadurch ihre theoretische 
Grundlage verlieren. Es ist jedoch bemerkenswert, dass 
Feer in einem Vortrag 1915 in der Gesellschaft der 
Arzte in Zürich über einen Fall schwerer postdiphthe¬ 
ritischer Schlucklähmung und Herzschwäche bei einem 
14 jährigen Knaben berichtet, der eine absolut infauste 
Prognose bot. Nachdem er ihm innerhalb 5 Tagen im 
ganzen 27 000 A. E. intramuskulär injizierte, besserten 
sich die Erscheinungen rapid und der Fall ging in Hei¬ 
lung über. 

Seit Einführung des Serums kennt man auch die 
durch seine Anwendung verursachten Störungen, die 
aber in ihrem Zusammenhang erst vor einigen Jahren 
als Serum-Krankheit durch eine Monographie von 
Pirquet und Sch ic k geschildert wurden. Sie basiert 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 24 


2.44 FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


wahrscheinlich auf einer angeborenen Empfindlichkeit 
gegen die parenterale Einverleibung fremden Eiweisses; 
nach Verlauf eines symptomlosen Zeitraumes von 7—12 
Tagen treten manigfache Störungen auf: Ilautausschlag 
der verschiedensten Form, z. T. urticariellen oder 
scarlatinösen oder morbillenähnlichen Aussehens, 
Fieber, Gelenkschmerzen, Ödeme, Lymphdrüsen- 
schwellungen, entweder zusammen oder als Einzel- 
Symptome. Vielleicht hängen diese Serumkrankheits- 
Erscheinungen zum Teil auch mit der Art und 
Beschaffenheit des Serums zusammen; jedenfalls ist es 
m i r aufgefallen, dass ich in den ersten Jahren meiner 
Tätigkeit bei der Serum-Behandlung derartige Störungen 
häufiger sah als in den letzten bei gleichbleibender 
Form der Applikation, bisher noch subkutane Injektion 
an der Aussenseite des Oberschenkels; dagegen hörte 
ich vermehrte Klagen der kleinen Patienten über lokalen 
Schmerz an der Injektionsstelle, die allerdings inner¬ 
halb 1—2 Tagen unter kühlenden Umschlägen meist 
vollkommen verschwanden. 

Eine ausserordentlich lebhafte Beachtung haben 
dann die mit der wiederholten Serum - Einverleibung 
zum Teil verknüpften Erscheinungen gefunden, die man 
als Anaphylaxie (Schutzlosigkeit) bezeichnet. Sie beruhen 
höchstwahrscheinlich auf der Tatsache, dass bei paren¬ 
teraler Einverleibung artfremden Eiweisses der 
Organismus zur Zerstörung und Verdauung dieses Ei¬ 
weisses Stoffe produziert, die z. T. als Präcipitine nach¬ 
gewiesen werden können d. h. als Stoffe, die mit dem 
fremden Eiweiss im Reagensglas zusammengebracht 
eine Fällung in demselben hervorrufen, z. T. als 
Fermente, welche eine Spaltung und Verdauung dieses 
Eiweisses bewirken. Diese im Blut sich bildenden 
Stoffe können sich verschieden lange darin erhalten. 
Erfolgt nun nach kurzer oder längerer Zeit eine zweite 
Injektion desselben Serums, so rufen diese bereits vor¬ 
handenen oder rascher gebildeten und nicht wie bei der 
Erstinjektion sich erst allmählich bildenden Abwehrstoffe 
manchmal eine plötzliche Eiweissspaltung hervor, deren 
Produkte toxische Wirkung haben können. Die hier¬ 
durch veranlassten krankhaften Zustände nennt man den 
anaphylaktischen Symptomcnkomplex. Er kann sich in 
schwerer Dyspnoe, Bewusstlosigkeit, klonischen und to¬ 
nischen Zuckungen äussern, die den unmittelbaren Tod 
zur Folge haben können. Sehr leicht und häufig lassen 
sich diese Folgeerscheinungen im Tierexperiment, be¬ 
sonders beim Kaninchen, herbeiführen und ihre Kennt¬ 
nis hat für die praktische Serum-Anwendung, insbesondere 
für ihre Wiederholung in der Praxis die lebhafteste 
Beunruhigung hervorgerufen. Allein die Erfahrung der 
allermeisten Autoren lässt die Gefahr der Anaphylaxie 
für den Menschen doch ausserordentlich gering erscheinen. 
Zwar sind einige Fälle aber doch sehr wenige auch 
beim Menschen berichtet, in denen eine Reinjektion 
unter den obengeschilderten Svmptomen zum Tode 
führte. Aber ein erfahrener Kliniker wie B a g in s k y 
schreibt (Archiv f. Kinderhlkde. 1915 Bd. 64): Die 
Anaphylaxie-Gefahr bei der Diphtherieserum-Behandlung 
spukt nur in den Laboratorien, hat aber am Kranken¬ 
bett so gut wie gar keine Bedeutung. Auch Jochmann 
(Med. Kl. 1913 Nr. 24) sagt: es ist eine unnötige 
Beunruhigung in die Praktiker hineingetragen worden 
dadurch, dass man Beobachtungen am Tierexperiment 
auf den Menschen übertrug. Unter den vielen tausenden 
Serum-Injektionen sah er zweimal ernstere Symptome, 
davon betraf eine eine Erstinjektion. Lux aus der 
Rostocker Klinik hat nie anaphylaktische Reaktionen 
beobachtet, Cuno (D. med. W. 1914 Nr. 20), der in 
seinem Kinderkrankenhaus gleichfalls schon 20 Jahre 
lang Diphtherie-Serum anwendet, darunter bei 110 
Kindern 2—3 mal, hat nur einmal in einem Falle direkt 
nach der Einspritzung eine leichte Anaphylaxie geseh.n, 

Digitized by Google 


bestehend in Schwellung des Gesichts, Ödeme der Hände 
und einem grosslleckigen Exanthem, Erscheinungen, die 
nach einem Tag zurückgingen. Mir selbst stehen nur 
wenige Erfahrungen über Reinjektion zur Seite, da ich 
von prophylaktischen Einspritzungen im allgemeinen ab¬ 
sehe; bei diesen wenigen zeigte sich niemals eine ana¬ 
phylaktische Störung. 

Aber auch die wenigen bekannt gewordenen Fälle von 
Anaphylaxie genügten, um den ärztlichen Erfindungs¬ 
geist anzuspornen, die hier drohende Gefahr zu um¬ 
gehen. Das erste, was speziell auf Behrings Anregung 
hin geschah, war, dass man um die Reinjektion gleich¬ 
artigen Eiweisses vermeiden zu können, neben dem 
Pferde-Diphtherie-Serum auch ein Rinder-Diphtherie- 
Serum schuf. Damit war ein brauchbarer Weg gegeben, 
aber es ist fraglich, ob er nicht neue Gefahren birgt. 
Wenigstens sah Heubner bei einem Säugling schwere 
Störungen nach Einspritzung von Rinder-Serum auf- 
treten und er glaubt, dass dieses bei vielen Säuglingen 
primär toxisch wirke. Ruppel (D. med. W. 1912 Nr. 14) 
glaubt, dass die Toxizität des Tier-Eiweisses im Serum 
durch längeres Lagern des Serums aufgehoben werde, 
ohne dass dadurch der Antitoxingehalt weiter zurück¬ 
gehe. Von französischer Seite empfahl man zu dem¬ 
selben Zweck eine mässige Erwärmung des Serums auf 
57". Eichholz (Münchn. med. W. 1913 Nr. 46) empfahl 
zur Vermeidung der Anaphylaxie-Gefahr eine neue Art 
der Serum-Einverleibung und zwar in Form eines 
Trockenserums, das in reinem Olivenöl aufgeschvvemmt 
injiziert wird. Er meint, dass die langsame Resorption 
des Trockenserums keine Anaphylaxie-Gefahr auf- 
kommen lasse. Ob aber damit auch eine prompte 
Wirkung gewährleistet wird? Dann wurde von Neufeld, 
Friedberger und Besredkagezeigt,dassmanimTierversuch 
die Anaphylaxie vermeiden kann, wenn man vor der Ein¬ 
verleibung der zweiten Serumdosis eine subkutane Vor¬ 
injektion minimaler, an sich unschädlicher Mengen 5—6 
Stunden vorausschickt eventuell tropfenweise, meist 
0-5 ccm. Sie suchen dadurch eine Sättigung der im 
Blut kreisenden Antikörper zu erzielen und bezeichnen 
die dadurch erreichte Aufhebung der Anaphylaxie als 
Antianaphylaxie; auch durch vorhergehende Klysma- 
Verabreichung des Serums oder durch die fraktionierte 
Einverleibung des Diphtherie-Serums innerhalb 50—60 
Minuten soll dasselbe Resultat erreicht werden. Auch 
Otto und II ö f er (Zeitschr. f. Hygiene u. Infekt-Krank¬ 
heiten 1915) bestätigen die Erreichung einer Antianaphyla¬ 
xie durch eine der eigentlichen Einspritzung einige Stunden 
vorausgehende subkutane Injektion von 0,5—0,1 des 
Serums. Sie empfehlen diese Art der Schutzimpfung 
1. bei Personen, die früher schon injiziert waren, 2. die 
an einer sonstigen Idiosynkrasie oder Diathese leiden, 
3. allgemein vor grossen Dosen oder intravenösen Appli¬ 
kationen. Man wird sich für diese Indikationen also 
in der Praxis an die leicht durchzuführende Art der 
kleinen Vorinjektion vor der Hauptinjektion halten 
dürfen. 

Neben der Serum-Therapie wurde natürlich auch 
versucht, sonstige Mittel ausfindig zu machen, die einen 
heilenden Einfluss bei Diphtherie besitzen und zum min¬ 
desten die Serum-Therapie unterstützen. Gerne werden 
hierzu antiseptische Wässer in Form von Gurgelungen, 
Ausspülungen und Inhalationen angewandt, Wasserstoff¬ 
superoxyd, Kal. permang. oder die gerne genommenen 
Formamint-Tabletten. Ich glaube auch von der Inhalation 
von Kalkwasser bei meinen Patienten Gutes gesehen 
zu haben. Sicher ist eine gute Mundpflege und ihre 
Unterstützung durch diese Mittel sehr wichtig, doch 
muss davor gewarnt werden, bei der Labilität des 
Diphtherie-Herzens dem Patienten stärkere Aufregungen 
und Anstrengungen zuzumuten. Von neuen Mitteln 
wurde in den letzten Jahren insbesondere die Pyocyanase 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 24. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


235 


empfohlen, mit der Sonnenberger, Knöspel u. a. gute 
Erfolge gesehen haben, während Kliniker wie Moro 
keinen Vorteil davon haben erkennen können. Das Cyan- 
Quecksilber 0 01/100 0 innerlich wie zum Spillen und 
Gurgeln wird von Schulz warm empfohlen. Freund und 
mit ihm Kausch berichten über gute Erfahrungen mit 
Jatren puriss. 0'2—0'5 dreimal täglich intern oder auf 
die Mandeln eingestäubt, Leschke (M. Med. W. 1015 
Nr. 41) sah eine raschere Abstossung der Beläge und 
eine schnellere Erzielung der Bazillenfreiheit im Rachen 
von lokaler Behandlung mit Brovidoform (Tribrom ß- 
Naphtol), von dem er 1 Esslöffel einer 5% Tinktur auf 
1 Glas Wasser zum Inhalieren und Gurgeln verwenden 
liess. Für die Herz- und Gefässlähmungen sind ausser 
dem Strychnin besonders Adrenalin in der üblichen Ver¬ 
dünnung empfohlen worden; mit Rücksicht auf Obduk¬ 
tionsbefunde mit Veränderungen der Hvpophysis cerebri 
bei Diphtherie hat man auch das Pitruitin angewandt. 
Von Digitalis - Präparaten habe ich in meinen Fällen 
keinerlei günstige Beeinflussung gesehen. Reiche empfiehlt 
beim Versagen des Herzens in erster Linie Alkohol, das 
sich ihm besser bewährte als Digitalis und Adrenalin; 
daneben Coffein in subkutanen Einspritzungen und für 
mehr chronisch roborierende Zwecke Strychnin. 

In der Frage der persönlichen Prophylaxe der Diph¬ 
therie — von der allgemeinen war die Rede schon bei 
der Behandlung der Bazillenträger — wird vielleicht die 
schon oben erwähnte Reaktion eine gewisse praktische 
Bedeutung erlangen, die Schick in Wien vor einigen 
Jahren angab: Durch intrakutane Injektion von Diphtherie- 
Toxin in der Menge von 0'1 einer Verdünnung von 
1 : 1000 wird eine Hautreaktion erzielt, die bei natür¬ 
lichem Gehalt des Blutes an Antitoxin oder bei künst¬ 
licher Zuführung desselben unterbleibt. Man hat diese 
Reaktion bereits dazu angewandt, um bei drohender 
Diphtherie-Infektion solche Individuen herauszufinden, 
die keine natürlichen Diphtherie-Antitoxine im Blut 
haben, um nur sie der prophylaktischen Impfung zu 
unterziehen. Von Bedeutung für die vorbeugende Diph¬ 
theriebekämpfung ist ein neues von Behring erfundenes 
Verfahren, über das er auf dem Kongress für innere Medizin 
berichtete; es beruht im Gegensatz zur passiven Immuni¬ 
sierung durch sein Serum auf einer Anregung zu aktiver 
Antitoxinbildung durch Einverleibung von Diphtherie- 
Toxin. Dieses letztere ist hierbei kein reines Diphtherie- 
Toxin, sondern eine Mischung von Diphtherie-Toxin 
mit Antitoxin, also ein abgeschwächtes Diphtheriegift. 
Die dadurch erreichte Immunisierung soll bedeutend 
stärker und vor allem viel länger anhaltend sein als die 
durch Serum erreichte passive Immunisierung. Es ist 
diese Art der aktiven Immunisierung ja im Prinzip die¬ 
selbe, die zur Gewinnung des Diphtherie-Serums bei 
Pferden immer schon angewandt wird. Behring empfiehlt 
bei Neugeborenen und Säuglingen mit Injektion von 
0,01 ccm, bei älteren Kindern mit 0,05 ccm in 1 ccm 
Flüssigkeit subkutan oder intramuskulär zu beginnen 
und in Abständen von 3 bis 5 Tagen zu wiederholen 
bis zu deutlicher lokaler oder allgemeiner Reaktion, die 
sich äussert in Rötung, Schwellung, Druckempfindlich¬ 
keit der Injektionsstelle, hier und da Schwellung der 
regionären Lymphdrüsen. Die allgemeine Reaktion kam 
in zumeist nur leichten kurzdauernden Fieberbewegungen 
zum Ausdruck. Die Unschädlichkeit des Mittels ist 
w'ohl durch zahlreiche Versuche erwiesen; ein sicherer 
Nachteil ist jedoch, dass der Impfschutz erst einige Zeit 
nach der ersten Injektion eintritt. Inzwischen haben 
Hahn und Sommer (D. med. W. 1914 Nr. 1) bereits 
praktische Erfahrungen mit dem Behring’schen Schutz¬ 
mittel veröffentlicht. Sie haben bei Epidemien an 5 
kleineren Orten im ganzen 633 Kinder voll immunsiert, 
ohne erhebliche Nebenwirkungen zu beobachten; und 
zwar halten sie die intrakutane Anwendung in die 


Digitized by 


Rückenhaut zwischen den Schulterblättern für die zweck- 
massigste. Während die Epidemien bei der übrigen Be¬ 
völkerung andauerten, kamen bei diesen Kindern bisher 
nur 2 Erkrankungen vor,*davon 1 ganz abortive, 1 mit 
negativem Bazillenbefund; diphtheritische Erkrankungen, 
die bei Impflingen während der ersten zehn Tage nach 
der Schutzimpfung zum Ausbruch kamen, während 
welcher Zeit serologisch eine Anti-Körpersteigerung 
noch nicht nachweisbar ist, verliefen in einigen Fällen 
abortiv. Auch Bauer (D. med. W. 1914 Nr. 10) ver¬ 
öffentlicht günstige Erfahrungen mit dem neuen Mittel. 
Dass bei Beurteilung derartiger Erfolge besonders vor¬ 
sichtig und kritisch verfahren werden muss, ist bei der 
durchaus verschiedenen individuellen Disposition zur 
diphtheritischen Erkrankung klar. Ich war oft erstaunt, 
in der ärmeren Praxis zu sehen, wie Kinder bis zum 
Beginn der ärztlichen Behandlung mit ausgedehnter 
Diphtherie mit ihren Geschwistern aufs engste zusammen¬ 
gelebt hatten, ohne dass bei diesen eine Infektion er¬ 
folgte ; es waren darunter selbst solche, die in einem 
Bett mit dem Patienten geschlafen hatten. Diese Er¬ 
fahrung findet eine interessante Beleuchtung durch die 
neuerdings gewonnene Kenntnis, dass ein grosser Pro¬ 
zentsatz von Kindern, die noch nie Diphtherie durch¬ 
gemacht haben, auf die Schick’sche Impfung mit Diph¬ 
therietoxin nicht reagieren, also spezifisches Antitoxin in 
ihrem Blute haben. Otto fand diesen Antitoxin-Gehalt 
besonders hoch bei Leuten in der Umgebung von Diph¬ 
theriekranken. S p i r i g St. Gallen (Korresp.-Blatt f. 
Schweizer Arzte 1913) hat bei 24 Familien eines Ortes, 
der in mehreren Generationen von Diphtherie-Epidemien 
heimgesucht war, Untersuchungen angestellt und bei 10 
eine hereditäre Übertragung der Immunität, bei 14 eine 
hereditäre Übertragung der Disposition zur Erkrankung 
gefunden. Die einmal vorhandene Qualität in diesem 
oder jenem Sinn blieb erhalten. Immerhin ist sicher, dass 
für Krankenanstalten und sonstige Gemeinschaften prophy¬ 
laktische Serum-Einspritzungen sehr günstig wirken; 
dafür sprechen auch die in den letzten Epidemien ge¬ 
wonnenen Erfahrungen. Lux berichtet aus der Rostocker 
Klinik, dass die auf die Diphtherie-Station verlegten 
nichtdiphtheritischen Anginen durch Serum-Injektion aus¬ 
nahmslos vor Infektion behütet wurden ; Reiche hat in 
29 Monaten im ganzen 286 Personen dem Diphtherie¬ 
pavillon überwiesen, die suspekte aber nicht diphtheri¬ 
tische Rachenbeläge hatten und sie dort verschieden 
lange in den gleichen Räumen mit den Diphtheriekranken 
nach einer alsbald beim Eintritt erfolgten Serum-Injek¬ 
tion beobachtet und behandelt. Trotz der wahrschein¬ 
lich eher zur Infektion disponierten Rachenschleimhaut 
erlebte er in dieser ganzen Gruppe nicht eine einzige 
Hausinfektion mit Diphtherie, während gleichzeitig von 
dem ungeimpften Arzte- und Pflegepersonal 4 Assistenten 
und 18 Schwestern und Pflegerinnen an Diphtherie er¬ 
krankten. 

Auch für die allgemeine ärztliche Tätigkeit ist von 
manchen Seiten die prophylaktische Serumbehandlung der 
Geschwister befürwortet und ausgeführt worden. Allein 
ich fand in der Praxis, dass sich dies doch nicht so ohne 
weiteres durchführen lässt. Einmal ist schon bei der 
Serumbehandlung des Erkrankten selber recht häufig 
ein gewisser Widerstand der Elt»rn zu überwinden, der 
bei einer Einspritzung der Gesunden noch weit grösser 
ist und neue Nahrung findet, wenn einmal zufällig ein 
solches mit der Serumkrankheit auf die Einverleibung 
antwortet. Dann sind auch die pekuniären Momente 
immerhin in Betracht zu ziehen und endlich wissen wir, 
dass die passive Immunität doch im wesentlichen nur 
für 2-3 Wochen ausreicht. Ich habe in der Regel des¬ 
halb davon abgesehen und nur die Vorsicht gebraucht, 
vor dem jedesmaligen Besuch des Diphtheriekranken die 
streng davon abgetrennten Geschwister in Hals und 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





236 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 24. 


Nase zu untersuchen. Eine etwaige Erkrankung würde erscheint mir auch der Nutzen der neuerdings von Beh- 
dann so frühzeitig behandelt werden können, dass das , ring angegebenen aktiven Schutzimpfung für die Allge- 
Risiko des Zuwartens nicht gross erscheint. Und in meinpraxis von keiner so grossen Bedeutung dank des 
der Tat ist mir kein Fall voTgekommen, der mir eine Heilmittels, das uns derselbe Forscher in die Hand ge- 
Anderung dieses Verhaltens nahegelegt hätte Darum geben hat. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin 

Dr. W o r l man n , A. Hacksadt und M Q u i - 
rin. Über eine kombinierte Pyramidon - Bäder-Therapie. 

(Therap. Monatsh. 1915, Dezember, S. 052). 

Die Gesichtspunkte für Kombinierung von Bädern und Pyra- 
rnidon stellen Verfasser wie folgt zusammen : Pyramidon ist nur 
Antisepticum, kein Typhusspezificum. In ca. ; j°/ 0 der Fälle 
ist es unwirksam, Bäder: nur wenn die Pyramidonwirkung 
noch nicht eingesetzt hat oder nicht mehr bestellt. Contra 
indikatiou : Schlechter Puls und das bei einigen Kranken nach 
Pyramidon auftretende starke Schwitzen. Pyramidon kann 
vermindert oder weggelassen werden, wenn Puls- und Tempe¬ 
raturkurve parallel verlaufen. Die Absicht beim Pyramidon 
ist nicht, das Fieber abzukürzen oder zu erniedrigen (seine 
vernichtende Wirkung auf die Typhusbazillen und deren 
Toxine) sondern lediglich um die das Herz schädigenden Tetn- 
peraturschwankuugeu besonders nacli Fasligium aufzuheben 
oder zu erniedrigen. Also lediglich beruhigende Wirkung auf 
die erregten wärmeregulierenden Zentren, wozu kleine Pyrami- 
dongaben genügen. 

Die weseentlihen Vorteile dieser kombinierten Behandlung 
finden die Verfasser im folgenden: Verkürzung der täglichen 
Fieherschwankungan nach Beendigiung des Fastigiums auf 2 / 3 
und die dadurch dem Herzen ersparten hohen Anforderungen. 
Ebenso Schonung der Herzkraft durch den geringen Prozentsatz 
an Bädern. Die Verfasser hoffen noch weiteren Erfahrungen 
in ihrem Sinne zu begegnen. v. S c h n i z e r. 

Prof. H. S t r a u s s. Krieg und Verdauungskrank¬ 
heiten. (Ztschr. f. ärztl. Fortbldg. 1916, Nr. 1, S. 8.) 

Manche Krankheitsbilder sind häufiger vor Augen ge¬ 
kommen als sonst. So bekam Verfasser Fülle von Chole¬ 
cystitis bei jungen Männern im Kriege häufiger zu sehen als 
sonst im Frieden, vielleicht mit leichten nicht manifest ge¬ 
wordenen Typhusinfekten zusammenhängend, die leicht Cho¬ 
lecystitis erzeugen. Dasselbe gilt für Icterus catarrhalis in 
diesen Altersklassen, der jedoch aufs Konto einer Paratyphus¬ 
infektion zu setzen ist. 

Dann waren die Fälle leichter oder leichtester akuter 
Colitis haemorrhagica namentlich im vorigen Herbst häufiger 
als im Frieden. Ätiologisch kein einheitliches Krankheitsbild, 
beruhen sie auf dem Paratyphus — dann auf dem Dysenterie¬ 
erreger. Die Differentialdiagnose ist oft schwierig, weil ein¬ 
mal bei Ruhrfallen die Bakteriologie der Fäces sehr eng be¬ 
grenzt ist: Finger konnte z. B. in 000 Fällen nur bei 
20°/ 0 den Nachweis erbringen. Dazu kommen die neuerlichen 
Bedenken gegen die Beweiskraft der Fäces: einmal erfolgt 
bei akuten Dysenterieen die Bildung der Agglutinine manch¬ 
mal recht spät, oft erst einige Wochen nach der Infektion. 
Dann ist von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden, 
dass Ruhrbazillen auch Mit- und Neben-Agglutinine für Typhus¬ 
bazillen und umgekehrt, dass Typliusbazillen auch Mit- oder 
Neben-Agglutinine für kurze Shigha-Bazillen erzeugen können 
Immerhin gilt noch der alte Satz, wenn sonst das Bild auf 
Dysenterie stimmt, ein positiver Ausfall der Agglutinations¬ 
probe den Verdacht stützt Wenn die akute Feldcolitis meist 
so leicht verlief, so dürfte dies daher kommen, dass viele 
Soldaten latent leichtest mit Dysenterie infiziert wurden und 
dadurch eine gewisse Immunisierung gegenüber schweren Dy- 
senterieinfekten erwarben, Nach des Verfasseis Untersuchung 


Digitized by Google 


: mag dies gerade im Felde enorm häufig sein Ebenso stehen 
die chronischen Residualcolitiden in recht enger Beziehung 
zum Dysonlerieinfekt. Auch heim Zivil war Dysenterie und 
Typhus häufiger als sonst. 

Therapie: In akuten Formen ist Verfasser nicht für die 
Klsymcnbehändlung, wohl aber bei chronischen Prozessen und 
zwar mit Heidelbeerexlrnkt. Auch Heidelbeerkonfekt per os 
und rectum, ebenso die Kohlebehandlung, wichtig auch für 
die chronischen Formen eine zarte lang und vorsichtig durch¬ 
gefühlte Diät. Schwierig kann das Ernährungssytem oft werden 
für die Entlassenen. v. 8 c h n i z e r. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Sehrt- Freiburg. Die konservative Behandlung schwe¬ 
rer Gelenkschussverletzungen mit Dauerstauung. (>I. m. W 

10 1916.) 

Verf. hat auf Anraten von Bier eine grosse Anzahl 
von schweren Gelenkschüssen mit Stauung behandelt und ist 
hiermit hei Fällen, die frühzeitig, d. i 3—4 mal 24 Stunden 
nach der Verletzung in Behandlung kamen zu Resultaten ge¬ 
langt, wie sie kaum von einer aktiveren Behandlungsmethode 
in solch gleichmiissiger Sicherheit erreicht werden können Auch 
für die spätere funktionelle Wertigkeit des Gelenkes ist 
die Stauungshehandlung der Gelenksinzision und Drainage 
überlegen, da durch jede Kontaktvermeidung des Gelenkappa¬ 
rates mit Drains usw. eine Möglichkeit der sekundären Ver¬ 
steifung verringert bleibt. 

Die Technik der Stauung richtet sich nach Biers 
System. Die Gummibinde wird unter sehr massigem Zug 
oberhalb der Wunde angelegt. Der Puls der peripheren Ar¬ 
terien muss stets fühlbar bleiben, die Haut rot und warm 
sein. Sehrt lässt die Binde G—7 Tage, bei schweren 
Verletzungen 10 —14 Tage liegen, wobei es natürlich zu enor¬ 
men Stauungsschwellungen kommt. Die Patienten äusseru 
Schmerzlosigkeit in der verletzten Extremität. Aktive Bewe¬ 
gungsübungen setzen früh ein am, 4.—10. Tag in der Stauung, 
wobei die locker aufgelagerten Verbandstoffe keiu Hindernis 
bieten. Aussichtslose Fälle erfordern im weitern Verlauf 
aktive Therapie. F. R. Mühl h a u s. 


Psychiatrie und Neurologie. 
Gennerich. Neue Forschungsergebnisse über die 
Entstehung von Tabes und Paralyse. (Zeitschr. f. d. ges. 

Neurol. u. Psycli., Rd., 30, H. U5, S. 545 191G.1 

Die Beobachtungen über eine verschiedene Virulenz des 
Syphilisgiftes ergaben oft einen deutlichen Zusammenhang mit 
dem Alter der Infektion im Ueberträger. Infektion von einer 
Primäräyphilis führt zu heftigen Erscheinungen mit gleichzeitig 
heftigen Abwehrreaktionen im Organismus, während Infektion 
von späteren Stadien her eine schleichend, oft ganz latent 
verlaufende Syphilis hervorruft. Bei frühzeitigen und heftigen 
Abwehrreaktionen des Organismus überwiegen bei weitem die nor¬ 
malen .Liquores, während es bei sch wacher Jmmunkörperbilduug weit 
häufiger zur Fortentwicklung der meningealen Infektion kommt. 
Von entscheidender Bedeutung für die Art des sich aus dem 
meningealen Herd entwickelnden Kraukheitsvorgangs ist der 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 24. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


2.17 


Zustand der Pia mater. Die Frage, wann es zur gummösen 
Himsyphilis, bezw. zur Metasyphilis kommt, ist dahin zu beant¬ 
worten, dass hierüber lediglich der funktionelle Zustand der 
infiltrierten Pia entscheidet, je nachdem noch ein Abschluss 
der nervösen Substanz gegen den Liquor vorhanden und da¬ 
mit eine Etablierung der Abwehrvorgänge des Organismus im 
Nervengewebe möglich ist oder nicht. Durch den verschiedenen 
Grad der Piaschädigung au den einzelnen Stellen erklärt sich 
der bekannte histologische Befund der Metalues, nämlich das 
charakteristische Nebeneinander von entzündlichen Veränderun¬ 
gen (wo die Pia noch dicht hält) und primärer Nekrose (wo die 
Pia funktionell durchlöchert ist). Bestätigt wird diese Auf¬ 
fassung durch die Ergebnisse der Salvarsanbehandlung bei Lues 
cerebrospinalis und Metasyphilis, dass nämlich die Tabes 
gegen endolumbale Salvarsanbehandlung besonders empfindlich 
ist und hier bei geringster Dosisüberschreitung schwere 
Nervenschädigungen eintreten können, während Fälle von 
Lues cerebrospinalis mit erheblichen Liquorveränderungen 
ohne jede Störung das 20 fache der Salvarsaudosis vertragen, 
als die angegebenen Todesfälle. Demnach ist zu schliessen, 
dass die Pia bei Tabes viel durchlässiger ist, als in solchen 
Fällen, in denen eine funktionelle Piaschädigung durch den 
syphilitischen Granulationsprozess noch nicht stattgefunden 
hai. Hieraus geht auch die Unzulänglichkeit der Syphilis- 
Allgemeinbehandlung bei metasyphilitischen Krankheitsprozessen 
ohne weiteres hervor. \V. Misch, Berlin. 

A. Knauer. Über den Einfluss normaler Seelen¬ 
vorgänge auf den arteriellen Blutdruck. (Zeitsehr. f. d ges. 
Neuro], u. Psych, Bd. 30, H 4/5, S. 319.) 

Mittels des Sphygmographen wurden Untersuchungen über 
das Verhalten des Blutdrucks bei verschiedenen normalen 
Seelenvorgängeu angestellt. Es ergab sich, dass bei Rechen- 
und Zählarbeit stets die Erscheinungen einer Blutdrucksteigerung 
auftraten, die nach gefundener Antwort durch die der Blut- 
druckeenkung abgelöst wurden. Ebenso sind auch einfache 
Assoziationsvorgänge und Gemütsbewegungen durch unange¬ 
nehme und vielleicht auch durch angenehme Reize, mit vor¬ 
übergehenden Steigerungen des arteriellen Blutdrucks verknüpft. 
Demnach verhält sich in diesen Fällen die Kurve des arteriellen 
Blutdrucks gerade umgekehrt wie die Plethysmographenkurve. 
Die Erhöhung, bezw. Senkung des Blutdrucks erfolgt stets 
gleichmässig sowohl für den systolischen wie für den diasto¬ 
lischen Blutdruck. Der rein peripher-physiologische Zustand 
der Muskelkontraktion scheint den Blutdruck nur wenig zu 
beeinflussen, während jede Willens- und Aufmerksamkeitsan- ] 
Spannung mit einer prompten Steigerung des arteriellen Blut¬ 
drucks verknüpft ist Praktisch lassen sich die Beobach¬ 
tungen dahin verwerten, dass bei L'nfallkranken, die über 
motorische Schwäche klagen, durch Haltungsversuche in Ver¬ 
bindung mit graphischer Aufzeichnung des arteriellen Blutdrucks i 
«ich feststellen lässt, ob sie sich ordentlich bemühen, ihre 
Muskeln zu gebrauchen. Von psychiatrisch-klinischem In¬ 
teresse sind die Beobachtungen, dass auch im Bereiche des 
normalen Seelenlebens ein ängstlicher, gespannter Gemütszu¬ 
stand zu einer Erhöhung des Blutdrucks führt, in ähnlicher 
Weise wie die zirkuläre Depression. 

Zusammenfassend geht aus den Versuchen hervor, dass 
Spannung und Erregung den Blutdruck psychisch gesunder 
Individuen sowohl für kurze Zeitspannen wie auch unter Um¬ 
ständen für Stunden und Tage erheblich steigern können, 
während besonders psychische Beruhigung erniedrigend auf ihn 
wirkt. W. Misch, Berlin. 

Dr. O. N a e g e 1 i - Bern. Die endolumbale Salvarsan- 
Theraple bei syphilitischen Erkrankungen des Zentralner¬ 
vensystems. (Ther. Monatshefte 1915, Nr. 12, S. 645). 

Zur umfassenden und intensiven Ausnutzung des Sal- 
varsan haben Wechselmann und Marinesco 
direkt in den Lumbalsack eingespritzt, während Swift 
nnd E1 1 i s wegen der Nachteile dieser Methode über¬ 
haupt nicht frisch gelöstes, sondern bereits im Körper des 
Patienten usw. verarbeitetes Salvarsan verwandten. Und 
«war so, dass der Patient Salvarsan erst intravenös bekommt 
und dann das nach einer Stunde entnommene, nach besonderer 
im Original nachzulescnder Weise vorbereitete Blut endo- 
lumbal. 


Digitized by 


»Google 


Seine Bewertung der Hauptmodifikation der endolumbalen 
Behandlungsmethoden gibt nun Verfasser wie folgt: Die intra¬ 
spinal verabreichten Salvarsandosen können «len Gesamtorga- 
nismus nicht steriliseren und infolgedessen auch keine Dauer¬ 
heilung zustande bringen. Deshalb ist auch die eine oder 
andere Abart der lokalen Therapie bei syphilitischen Er¬ 
krankungen des Zentralnervensystems verwerflich. Aus dem¬ 
selben Grunde ist es aus wissenschaftlichen Gründen kaum 
erforderlich, die endolumbale Behandlung allein zu verwenden, 
um ihre Wirksamkeit beurteilen zu können. 

Beide endolumbalen Methoden sind brauchbar, keine ist 
der anderen überlegen. Nur ist die S w i f t - E 1 1 i s ’sclie 
Methode der Gennerich-v. Schubert 'sehen insofern 
unterlegen, als sie sich nicht dosieren lässt. Beide Methoden 
lassen sich aber noch vervollkommnen. 

Die endolumbale Methode ist immer zu versuchen wo 
man mit einer guten spezifischen Behandlung nicht zum Ziele 
kommt, also bei gegen diese refraktärer zerebrospinaler Sy¬ 
philis, Tabes und Paralyse Ganz besonders bei der letz¬ 
teren 

Die endolumbale Methode ist noch vollständig im Sta¬ 
dium der Versuche. v. S c h n i z e r. 

B. K a r b o w s k i. Experimentelle Untersuchungen 
über Labyrintherkrankung und deren Beziehung zur 
Meningitis. (Zeitschr. f. d. ges Neurol u. Psych.. Bd. 31, 
H. 1 — 3, Seite 157. 1916). 

Es werden die Labyrinthentzümlungen nach experimen¬ 
teller Pneumokokkenmeningitis an Hunden untersucht. Es 
ergab sich, dass in sämtlichen Fällen, in denen das Bild der 
Meningitis voll zur Entwicklung kam, der entzündliche Prozess 
von den Hirnhäuten auf das Labyrinth überging. Von den 
Meningen gebt der Prozess durch den Aquaeductus cocbleae 
auf das Labyrinth über; im Labyrinth verbreitete sich der Prozess 
in der Schnecke per eontinuitatem, dagegen fand der Uebergaug auf 
den Vorhof auf «lern Blutwege statt Ferner wurde festgestellt, dass 
primär circumskripte Labyriutheiterungen Vorkommen können 
und dass Ektasien des häutigen Labyrinthes hei akuten Pro¬ 
zessen möglich sind. Durch die Unwegsamkeit des Aquaeduc¬ 
tus coclileae wird keine Kollabierung des häutigen Laby¬ 
rinthes hervorgerufen, W. Misch, Berlin. 

B. F r i d e r i c i. Über Dipsomanie. (Arch. f. Psych., 
Bd. 56, H. 2, S. 538. 1916.) 

Es werden 7 Fälle von Dipsomanie mitgeteilt. Bei sechs 
dieser Fälle besteht kein Zweifel über die von Verf. aufge¬ 
stellte Behauptung, die Dipsomanie sei nicht epileptischer Natur. 
Bei keinem dieser Fälle finden sich epileptische Anfälle oder 
epileptische Antezedentieu erwähnt, keiner der Patienten hat 
an nächtlichem Aufschreien, Bettnässen, Krämpfen oder der¬ 
gleichen Zeichen epileptischer Erkrankung in der Jugend ge¬ 
litten, bei keinem sind Schwindelanfälle, Ohnmächten oder 
sonstige Zustände veränderten Bewusstseins oder typische epi¬ 
leptische Anfälle bemerkt worden. Bei dem letzten Fall end¬ 
lich erwiesen sich die von ihm geschilderten Schwindelanfälle 
als durch Anämie verursacht, und es wurde auch während 
seiner Beobachtung kein einziger Epilepsie-artiger Anfall ge¬ 
sehen. Auch von Entartung kam bei der überwiegenden 
Mehrzahl der Dipsomanen keine Rede sein. Verf. schliesst 
sich daher der Anschauung anderer Forscher an, dass 
die Dipsomanie eine Psychose sui generis ist, dass 
die Dipsomanen nicht unbedingt Degenerierte sind und dass 
nicht immer Alkoholmissbrauch in der Aszendenz oder bei 
dem Erkrankten selbst vorher bestanden hat. Auffallend ist, 
dass von den sieben Fällen nicht weniger als 5 den Versuch 
machten oder die Absicht hatten, nach einem Anfall sich das 
Leben zu nehmen, was der in der Literatur vertretenen An¬ 
sicht, Dipsomanen verübten in ihrer gedrückten Stimmung nach 
dem Anfall nie Selbstmord, widerspricht. W Misch, Berlin. 

W. Wilde. Zur Kenntnis des Hornerschen Sym- 
ptomenkomplexes. (Arch. f. Psych, Bd. 56, H. 2, S. 560. 1916.) 

Es werden sechs Fäle von Sympthicusläsion mitgeteilt, 
die 4 mal durch direkte Schussverletzung und 2 mal durch 
Aneurysma verursacht wurde. Alle 6 Fälle wiesen Augen, 
erscheinungen auf, die als Ilornerscher Symptoruenkomplex 

Origir al tfom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





238 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 24 


bekannt sind. Bei sämtlichen Fällen war die Pupille auf der 
gelähmten Seite um die Hälfte kleiner als auf der gesunden, 
die Lidspalte enger, und bei allen handelte es sich um eine 
Ptosis sympathica. Bei allen reagierte die verengerte Pupille 
auf Lichteinfall gut, Konvergenz war stets vorhanden In drei 
Fällen war ein leichter Enophthalraus zu verzeichnen, in 
einem Falle erschien der Bulbus auf der kranken Gesichts¬ 
seite stärker vaskularisiert. In allen Fällen trat am be¬ 
troffenen Auge auf Atropineinträufelung eine Erweiterung der 
Pupille ein, während auf Adrenalineinträufelung keine Pupillen¬ 
erweiterung erfolgte. In alleu Fällen fühlte sich ferner die 
kranke Gesichtshälfte wärmer an als die gesunde, in drei Fälleu 
schwitzte die kranke Gesichtshälfte stärker, während in einem 
Fall Anidrosis der kranken Gesichtshälfte bestand. Trophische 
Erscheinungen, leichtes Abraagern der kranken Gesichtshälfte 
fand sich in zwei Fällen. 

Es bestand in allen Fällen von Horuerschem Symptomen- 
komplex mit Sympathicusläsion die Konstanz der okulopupillären 
Symptome, während die vasomotorischen und trophisehen Er¬ 
scheinungen wechselnd waren. Ob dies eine Folge der in 
jedem Falle verschiedenartig oder in verschiedener Höhe ge¬ 
troffenen Sympathicusfasern ist, lässt sich nicht entscheiden. 

W. Misch, Berlin. ■ 


Medikamentöse Therapie. 

Bromberg. Einige Erfahrungen mit dem Antigo- 
norrholkum „Choleval“. (Med. Weekbl., 1916, 8. April ) 

Verf. bat das Choleval in etwa 25 klinischen Fällen 
meist frischer Gonorrhoea anterior in Form einer Glyzerin- 
Tragant - Emulsion verwandt Die Einspritzungen wurden 

2 mal am Tage durch das Pflegepersonal ausgeführt, die 
Emulsion mittels eines abschliessenden Verbandes 3—4 Stun¬ 
den in der Urethra zurückgehalten. Nach einigen Tastver¬ 
suchen stellte er fest, dass die Konzentration von l / 2 % das 
Optimum darstellte. Bei Kranken mit sehr akuten Erschei¬ 
nungen wurde mit 1 / 4 °. 0 begonnen. Nach 1 wöchiger Behand¬ 
lung mit t/jVoiger Aufschwemmung wurde die Konzentration 
auf 1 4 % herabgesetzt, mit dieser noch 1 Woche lang fortge¬ 
fahren und dann schliesslich während 8 — 14 Tagen nur noch 
1 mal am Tage gespritzt. Fast in allen Fällen hatte nach 
den ersten 8 Tagen der Ausfluss aufgehört; es wurde nur 
noch eine wässerige Flüssigkeit ausgeschiedeu, die Schmerzen 
bei der Miktion blieben aber gewöhnlich in mehr oder weniger 
starkem Masse bestehen. Bei den mit Protargol in abnehmender 
Konzentration von 2 — 1 / 1 % behandelten Kontrollfällen dauerte 
es im allgemeinen 8 —10 Tage länger, ehe der Ausfluss ver¬ 
schwunden war, auch war bei diesem Mittel die Anzahl der 
Fälle, die in das chronische Stadium übergingen, grösser als 
bei dem Choleval. Mit letzterem hat Verf. ausserdem kom¬ 
plizierende Urethritis posterior bis jetzt nicht beobachtet. 
Komplikation sowie ein Übergang in das chronische Stadium 
lassen sich übrigens durchweg vermeiden, wenn man mit den 
Einspritzungen aufhört, sobald der eitrige Ausfluss einer 
schleimig-wässerigen Absonderung Platz gemacht hat, und 
eine Wärmebehandlung mittels der erhitzbareu Metallsonde, 
zunächst täglich, dann jeden 2. Tag, folgen lässt. In den 
meisten Fällen konnte bei dem Choleval schon nach 4—8 
Tagen mit dieser Wärmetherapie begonnen werden, bei dem 
Protargol erst nach 10—20 Tagen. Mit Choleval und 
Wärmetherapie betrug die Behandlungsdauer 10 Tage bis 

3 Wochen, ohne Wärmetherapie 4—6 Wochen. Mit Protargol 
betrug sie resp- 2—4 Wochen und 4—5 bis 8—9 Wochen. 
— Das Choleval wurde auch in 1 / 2 % iger Lösung bei etwa 
19 Kranken erprobt, die die Einspritzungen selbst vornehmen 
konnten. Die Resultate w'aren die gleichen wie nach Be¬ 
handlung mit der Glyzerin-Tragant-Aufschwemmung. Die 
Behandlungsdauer betrug auch hier 4 — 6 Wochen ohne 
und 2 — 3 Wochen mit Wärmetherapie. — In 3 von 5 Fällen 
konnte mit 2% iger Cholevallösung abortive Heilung erzielt 
werden. — Verf. fordert zu weiteren Versuchen mit dem neuen 
Mittel auf, zumal es sich dem bis jetzt meist gebrauchten 
Andgonorrhoikum tatsächlich überlegen gezeigt hat. Nach¬ 
teilige Folgen hat er in keinem seiner Versuchsfälle gesehen. 

N e u m a n n. 


II i 1 1 e r Über das „Wundöl Knoll“ (Oranugenol). 

(Medizin. Klinik, 1916, Nr. 15.) 

Bei der vom Verfasser beschriebenen Erkrankung handelte 
es sich um einen sehr hartnäckigen Fall von fistulösen Eite¬ 
rungen an der rechten Hinterbacke eines 66 jährigen Patienten. 
Das Leiden entstand aus einer Aknepustel, welche wahr¬ 
scheinlich infolge wiederholter Infektion mit Kolibazillen bei 
der Defiikation sich zu einer abszedierenden Phlegmone ent¬ 
wickelte. Der Abszess wurde gespalten, entleerte reichliche 
Mengen Eiters und blieb seitdem in kontinuierlicher massiger 
Eiterabsonderung. Die Nachbehandlung scheint eine sehr un- 
sorgfaltige gewesen zu sein. 

Als Prof. H. die Behandlung des Falles übernahm, 
konnte auf der rechten Hinterbacke eine länglich ovale ca. 
3—5 cm breit klaffende Wunde festgestellt werden, welche 
unregelmässig vertieft und mit grauem, eitrigem Belag be¬ 
deckt war. Die Haut der Umgebung liess sich stellenweise 
abheben; die genauere Untersuchung ergab, dass drei Fistel¬ 
gänge von 4—5 cm Länge unter der Haut in verschiedenen 
Richtungen und eine in die Tiefe zwischen die Gesässmuskelu 
verliefen. 

Zunächst wurde andauernde Bettruhe, sowie täglich 
morgens nach der Stuhlentleeruug ein 15 Minuten langes 
Sitzbad in l°/ 0 warmer Kresollösung verordnet. Darnach 
fand Austupfung der Wunde mit Gazestreifen und Bestäubung 
der Wundfläche mit Jodoformpulver statt. Darüber kam eine 
Bindeneinwicklung des Gesässes und der Hüfte. Die 4 
Fistelgänge wurden täglich mit dem vou der Cbem. Fabrik 
Knoll & Co., Ludwigshafen a. Rh., zur Verfügung ge¬ 
stellten Granugenol kräftig ausgespritzt und die ganze 
Wundhöhle mit in Granugenol getränkten Gazestreifeu be¬ 
legt. 

Von Tag zu Tag sah man, wie das Aussehen der Wunde 
sich besserte: An Stelle des grauen Belages wucherten frisch¬ 
rote Granulationen auf der ganzen Fläche hervor, die eitrige 
Sekretion nahm allmählich ab, Lücken wurden ausgefüllt und 
die Fistelgänge verkürzten sich. Nach 12 Tagen waren 
drei Fisteln geschlossen; von den Rändern der Haut zog 
sich bereits ein Epithelsaum zur Mitte. Nach 3 Wochen 
war die Wunde ganz ausgefüllt und die Fistelgäuge — bis 
auf eine kleine Stelle am unteren Wundrande — waren durch 
feste Narben geschlossen. Nach 6 Wochen konnte der 
Patient völlig geheilt entlassen werden. 

‘ Dieser auffallende Erfolg bei einem 11 Monate bestehen¬ 
den Leiden ist wohl nur der Einwirkung des Granugenols auf 
die Produktion des Bindegewebes und der dadurch herbeige¬ 
führten Beschleunigung des Heilungsvorganges zuzuschreiben. 
Grundbedingung für die Wirkung aber ist die Forderung, 
dass das Präparat mit allen Teilen einer Wunde, zumal bei 
zerfetzten und Höhlenwunden, in dauernde Berührung kommt. 

N e u m a n n. 


Bücherschau. 

Dr. E. M. K r o n f e 1 d - Wien. Der Krieg im Aber¬ 
glauben und Volksglauben. Hugo Schmidt Verlag, München. 
1915. 

Nach einer sehr interessanten Einleitung über den Aber¬ 
glauben der Jahrtausende wird zunächst die Astrologie abge¬ 
handelt wozu Wallenstein in der Hauptsache umfang¬ 
reichen Stoff liefert. Im Kapitel Amulette und Talismane 
findet man bis in die neueste Zeit hinein viele allgemein wenig 
bekannte recht merkwürdige Angaben in dieser Beziehung selbst 
über Koryphäen der Menschheit. Weiterhin werden dann die 
„Passauer Kunst“, Orakel-Prophezeiungen, Glücks- und Un¬ 
glückstage, Metalle und Edelsteine im Geheimglauben, die 
Tiere im Kriege, der Wund- und Blutstillungszauber, die alte 
Wundapotheke und die Zauberkräuter im Kriege besprochen. 
Abgesehen von den kulturgeschichtlich recht interessanten 
Daten gibt das Buch einen weiten Einblick in die tiefsten 
Falten der menschlichen Seele, das nicht nur für Ärzte sondern 
für weiteste Kreise von Interesse ist. Namentlich auch für die 
im Felde stehenden Kollegen. v. S c h n i z e r. 


Digitiz 


z«)bv Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang. 


19l5/I(i. 


fomcbrim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg. 


Unter Mitwirkung hervorragender Tachmänner 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser. 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt 


C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig 


Nr. 25 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., 0. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch 
Celsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


10. Juni. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Geisteskrankheit und Invalidität. 

Von Oberregierungsrat K r a u s s - Reutlingen. 

Schon am 29. Januar 1907 war für den 50 Jahre 
alten, verheirateten, aber getrennt von seiner Familie 
lebenden Instrumentenmacher Wilhelm R in T., welcher 
durch Beschluss des Kgl. Amtsgerichtes daselbst vom 
30. März 1906 wegen Geisteskrankheit entmündigt wurde, 
von seinem Pfleger, dem Schuhfabrikarbeiter W in T., 
der Antrag auf Verwilligung der gesetzlichen Invaliden¬ 
rente gestellt worden, und zwar auf Grund eines Gut¬ 
achtens des praktischen Arztes Dr. M. in T., in wel¬ 
chem dem R. bezeugt war, dass er wegen Dementia 
seit 15. Dezember 1906 vielleicht dauernd völlig erwerbs¬ 
unfähig sei. Der Vorstand der Versicherungsanstalt 
Württemberg hatte darauf mit Bescheid vom 8. April 
1907 zwar anerkannt, dass R. seit dem genannten Zeit¬ 
punkte invalide sei, weil aber bis dahin an Stelle der 
gesetzlichen Wartezeit von 200 Beitragswochen nur 156 
nachgewiesen waren, war aus diesem Grunde der Renten¬ 
anspruch abgelehnt worden, 

Am 5. Juni 1913 hat der Pfleger des R. den Ren¬ 
tenantrag erneuert, indem er geltend machte, sein Pfleg¬ 
befohlener sei seit 1. Mai 1913 dauernd invalide. Der 
neuerliche Anspruch stützt sich auf ein Gutachten des 
praktischen Arztes Dr. K. in T., in welchem die Diag¬ 
nose auf Paranoia lautet und bekundet ist, dass R. seit 
1. Mai 1913 dauernd um 2 /, (sollte offenbar heissen: 
mehr als */,) in der Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt sei. 
Zu ganz einfachen Arbeiten, z. B. Pincettenfeilen, sei er 
noch imstande. Dem Gutachten sei hier noch folgendes 
entnommen: „Es ist nicht möglich, von R. eine vernünf¬ 
tige Antwort zu bekommen. Er springt sofort auf sei¬ 
nen Ideenkreis über, der von seinem V erkehr mit hohen 
Persönlichkeiten (Kaiser und König) handelt. Er glaubt, 
dass ihm fortwährend nachgestellt werde, es seien Wägen 
vor dem Haus, um ihn abzuholen usw. Es handelt sich 
zweifellos um eine chronische Paranoia mit Verfolgungs¬ 
und Grössenideen. Der Mann ist nicht imstande, eine 
geordnete Tätigkeit auszuüben, da er den grössten Teil 
des Tages umherläuft.“ 

Obwohl aus weiteren Erhebungen ersichtlich war, 
dass R. mit Schleifen und Feilen von Pincetten in den 
letzten Jahren noch ansehnliche Beträge verdient hatte, 
äusserte sich der Medizinalreferent der Versicherungs¬ 
anstalt Württemberg am 16. Juni 1913 dahin; „Vom 
ärztlichen Standpunkt aus ist R. seit dem Jahre 1906 
als invalide im Sinne der Reichsversicherungsordnung 
anzusehen; soviel dem Antragsgutachten des Dr, K. in 


Digitized by 


T. zu entnehmen ist, bestehen die Wahnideen des R. 
seit Jahren unverändert fort.“ 

Am 25. Juli 1913 pflog das verstärkte Versicherungs¬ 
amt in T. mündliche Verhandlung in der Rentensache 
und gelangte einstimmig zu der Anschauung, die Krank¬ 
heit des R. habe sich in der letzten Zeit so herausge¬ 
bildet, dass er als invalide anzusehen sei. 

Nunmehr lehnte der Vorstand der Versicherungs¬ 
anstalt mit Bescheid vom 28. Juli 1913 abermals die 
Gewährung der begehrten Invalidenrente ab, davon aus¬ 
gehend, dass die gesetzliche Wartezeit nach wie vor 
nicht erfüllt sei, da bei R. seit dem Jahr 1906 ununter¬ 
brochen Invalidität bestehe und die nach dieser Zeit 
verwendeten Invalidenversicherungsbeiträge deshalb nicht 
als rechtsgültig anzusehen seien. 

Gegen diesen Bescheid hat der Pfleger des R. frist¬ 
zeitig Berufung eingelegt, indem er geltend machte, der 
Zustand des R. sei erst neuerdii gs ein derartiger ge¬ 
worden, dass die Annahme von Invalidität begründet 
erscheine. Seither habe er wie andere Arbeiter auch 
immer gearbeitet und nachweisbar einen Jahresarbeits¬ 
verdienst von 900 M. und darüber erzielt 

Im Berufungsverfahren liess sich Dr. K. in T. auf 
entsprechende Anfrage nochmals, wie folgt, verlauten: 
„Der I. Mai 1913 als Beginn der Invalidität wurde von 
mir nach Rücksprache mit der Frau des R. angenom¬ 
men, da man in solchen Fällen fast ausschliesslich auf 
Angaben angewiesen ist. Es erscheint mir nicht un¬ 
möglich, dass R. nach dem Jahr 1906 wieder besser 
gearbeitet hat und wieder über 1 erwerbsfähig wurde, 
denn wenn auch sein Leiden ein chronisches ist, so 
schliesst es doch nicht Schwankungen aus, die eine, 
wenn auch nur scheinbare, Besserung bedingen. Der 
frühere Rentenantrag war mir völlig unbekannt bis 
heute. R. steht wegen seiner geistigen Störung nicht in 
Behandlung, er kommt nur von Zeit zu Zeit in meine 
Sprechstunde wegen Fremdkörpern in der Hornhaut.“ 
Der Spruchkammervorsitzende hielt nähere Er¬ 
hebungen an Ort und Stelle über die Arbeitsleistung 
und das ganze Verhalten des R. für geboten und be¬ 
schloss eine umfangreiche und eingehende Vernehmung 
von Zeugen, die am 30. Dezember 1913 auf dem Rat¬ 
haus in T. erfolgte, Als sachverständiger Zeuge wurde 
der mehrgenannte Dr. K. gehört. Die Beklagte gab im 
Anschlüsse am 12. Januar 1914 nachstehende Erklärung 
ab: „Obgleich vom ärztlichen Standpunkt aus Zweifel 
darüber bestehen können, ob R. auf dem allgemeinen 
Arbeitsmarkt verwendbar und demgemäss als erwerbs¬ 
fähig im Sinne des Gesetzes anzusehen ist, so nehmen wir 
doch mit Rücksicht darauf, dass der tatsächliche Arbeits- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




240 


Fortschritte der Medizin. 


Nr. 25 


verdienst des R die Mindestverdienstgrenze andauernd 
erheblich überschreitet, keinen Anstand, die Gültigkeit 
der für den Rentenbewerber seit 15. Dezember 1006 
geleisteten Versicherungsbeiträge und seine Berechtigung 
zur ferneren Entrichtung von Invalidenversicherungs¬ 
beiträgen anzuerkennen.“ Der Kläger W. beharrte 
seinerseits auf der Berufung und brachte am 19. Januar 
19|4 vor der Ortsbehörde für die Arbeiterversicherung 
in T. vor, der Geisteszustand des R. habe sich neuer¬ 
dings noch weiter verschlimmert. Es sei gegen den¬ 
selben eine Untersuchung wegen eines Sittlichkeitsver¬ 
brechens eingeleitet worden. Er, der Pfleger, wolle 
dafür besorgt sein, dass R. in einer Anstalt Aufnahme 
linde. 

Bei näherer Erkundigung ergab sich, dass die An¬ 
zeige gegen R. wegen Vornahme unzüchtiger Hand¬ 
lungen an Mädchen unter 14 Jahren (R. St. (4. B. § 17b, 
Ziff. 3.) bereits anfangs Dezember 1913 erstattet worden 
war und die Kgl. Staatsanwaltschaft R am 13. Dezem¬ 
ber 1913 das Verfahren mangels Nachweises der Zu¬ 
rechnungsfähigkeit des wegen Geisteskrankheit entmün¬ 
digten Täters (R. St. G. B. § 51) eingestellt hatte. Die 
geplante Unterbringung des R. in einer Anstalt schei¬ 
terte infolge seines plötzlichen Widerstandes gegen 
diese Massnahme. Laut Mitteilung des Kgl. Oberamts 
in T. soll nunmehr die, nötigenfalls zwangsweise, Ein¬ 
weisung des R. in eine Irrenanstalt in die Wege ge¬ 
leitet werden. 

Das Kgl. Wi'irtt. Oberversicherungsamt, Spruch¬ 
kammer Reutlingen, hat die Berufung mit rechtskräftig 
gewordener Entscheidung vom 18. März 1914 als un¬ 
begründet abgewiesen. Die Entscheidungsgründe lauten : 
„Die örtliche Beweisaufnahme vom 30. Dezember 1913 
hat unzweifelhaft ergeben, dass der tatsächliche Arbeits¬ 
verdienst des R. seit Jabren andauernd, und so auch 
noch zur Zeit, da der angefochtene Bescheid erlassen 
wurde, die Mindestverdienstgrenze erheblich überschritten 
hat. Die Beklagte hat dies nun selbst anerkannt. R. 
hat unter anderem bei der Firma Adolf Sch., Fabrik 
für Chirurgie-Instrumente in T., verdient: vom 1. Januar 
bis 31. Dezember 1909, 646,38 Mk., vom 1. Januar bis 
2. Dezember 1910, 618,24 Mk., vom 17. Juni bis 5. 
September 1911, 174,98 Mk„ vom 20. Januar bis 31. 
Dezember 1912, 645,98 Mk. und vom 1. Januar bis 24. 
Dezember 1913, 759,08 Mk. Auch im Jahre 1914 
dauerte die Beschäftigung fort Es handelte sich in 
der Hauptsache um Heimarbeit, doch musste R eine 
Reihe von Arbeiten, insbesondere das Schleifen der 
Pinzetten, in der Fabrik selbst fertigstellen, weil er bei 
sich zu Hause keinen Motor mehr hatte. Er hatte so 
in der Woche etwa U~2 Tage in der Fabrik zu tun. 
Seine Arbeit stellte sich unter diesen Umständen an 
sich zweifellos als eine versicherungspflichtige Heim¬ 
arbeit dar. Ausserdem aber war R. in den Zeiten vom 2. 
Dezember 1910 bis 17. Juni 1911 und dann vom 5. 
September 1911 bis 20. Januar 1912 aushilfsweise ganz 
in der Fabrik tätig. Der Werkführer Emil F. bei der 
Firma Adolf Sch. hat sich dahin ausgesprochen, der 
Zustand des R. sei nach seiner Wahrnehmung ein 
wechselnder. Wenn sein Befinden jeweis ein schlimmeres 
sei, so kommen dementsprechend auch häufiger Fehler 
bei seiner Arbeit vor. Alles in allem genommen sei 
seine Arbeitskraft für das Geschäft noch eine recht 
brauchbare und könne er als mittelmässiger Arbeiter 
bezeichnet werden. Fabrikant Sch. bezeugte, dass bei 
ihm die Geistesstörung des R. noch zu keinen An¬ 
ständen geführt habe, derselbe habe sich stets als gut¬ 
artig erwiesen. Auch sonst war, insbesondere von amt¬ 
licher Seite, bis Ausgangs 1913 kein Anlass zu einem 
Einschreiten gegen R. gegeben, da derselbe ein harm¬ 
los verrücktes Benehmen an den Tag legte und kein 
öffentliches Ärgernis erregte. Dr. K. in T., der bei 

Digitized by Google 


I Abg abe seines schriftlichen Gutachtens weder die Vor' 

| akten gekannt hatte, noch über die tatsächlichen Ar' 
beits- und Verdienstverhältnisse des R. auch nur halb¬ 
wegs unterrichtet war, hat bei der örtlichen Beweisauf¬ 
nahme am 30. Dezember 1913 erklärt, dass er seine 
Ansicht, R. sei seit 1. Mai 1913 dauernd invalide, nicht 
mehr aufrecht halten könne. Bei dieser Sachlage ist 
nun zwar im Hinblick auf das jetzt vorliegende Aner¬ 
kenntnis der Beklagten, welches mit der Revisionsent¬ 
scheidung 907 des Reichsversicherungsamts in Amtl. 
Nachr. 1901 S. 431 im Einklang steht, davon auszu¬ 
gehen, dass die gesetzliche Wartezeit bei dem Renten¬ 
anspruch des R. erfüllt wäre, auf der anderen Seite 
aber kann folgerichtig nicht anerkannt werden, dass R. 
zur Zeit, da sein Rentenanspi uch von neuem abschlägig 
beschieden wurde — 28. Juli 1913 - schon invalide im 
Sinne des § 1255 Absatz 2 der R. V. O. war. Bestand 
aber Invalidität damals noch nicht, so ist der ab¬ 
lehnende Bescheid um deswillen zu Recht ergangen. 
R. V. O. § 1251. Die Berufung konnte daher keinen 
Erfolg haben. 

Dem Kläger steht es im übrigen frei, da sich in¬ 
zwischen nach dem Vorgetragenen seit Anfang Dezem¬ 
ber 1913 die massgebenden Verhältnisse wesentlich ge¬ 
ändert haben (Wegfall des seitherigen Momentes der 
Harmlosigkeit), von neuem Antrag auf Gewährung von 
Invalidenrente zu stellen. Es wird dann Gelegenheit 
gegeben sein, über den Geisteszustand des R. durch 
ein einwandfreies Gutachten einer Klinik oder Irren¬ 
anstalt, welches bislang zu vermissen war, auch vom 
medizinischen Standpunkt aus ein endgültiges und siche¬ 
res Urteil zu gewinnen. 


Uebersichtsreferate der Chirurgie. 

(Umfassend Anfang Januar bis Anfang März.) 

Von K. W. E u n i c k e - Elberfeld. 

Nerven Chirurgie: Die Erfolge sind bis 
heute äusserst wechselnd und ungewiss (Stoffel). 
Glänzende F.rfolge und gänzliches Versagen werden be¬ 
richtet. Sicher scheint die einfache Neurolyse sehr oft 
besten und raschesten Erfolg zu geben, während die 
Wirkung der Naht nach Resektion einer Narbe meist 
erst spät beobachtet wurde und der Erfolg auch oft 
völlig ausblieb. Edingers Methode, über die Ur¬ 
teile allerdings nur noch in relativ sehr geringen Fällen 
vorliegen, scheint bessere Resultate zu geben. Es 
kommt hierbei darauf an, dass der Wachstumswider¬ 
stand und das Auswachsen des Achsenzylinders be¬ 
seitigt wird durch eingeschaltete Kalbsarterienstücke, 
die mit besonderem Agar gefüllt sind. Eine besondere 
Technik für die operative Einschaltung dieses Präparats 
gibt L u d 1 o f f an. Oppenheim warnt vor 
Überschätzung dieser Methode. Zur Umscheidung 
nach der Nervennaht wird Fett oder Muskellappen emp¬ 
fohlen oder Umscheidung mit Gefässwand; vor Ver¬ 
wendung von Fascie wird abgeraten wegen der bei 
Schrumpfung eingetretenen Schnürung (Kolb) Früh¬ 
operation wird zumeist geraten W i 1 m s , G u 1 e k e , 
Auerb ach; aber antiseptische Wundverhältnisse 
sind unbedingt erforderlich. S p i t z y bespricht an 
Hand von 240 Operationen die Indikation zur Frei¬ 
legung des verletzten Nerven und ratet auch Plexus, 
fälle operativ anzugreifen, aber erst nach Beobachtung- 
K r u e g e r will Amputationsneurome durch Quet¬ 
schung des Nervenendes verhindern. 

Wundbehandlung: Wild, Krueger, 
Braun, Grunert und Sehrt sprechen sich für 
offene Wundbehandlung aus. H e r c h e r und Meyer 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 25. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


241 


empfehlen die Zuckerbehandlung eiternder und verun¬ 
reinigter Wunden und Küttner die Anwendung 
von Bildern bei denselben. Zur Erysipelbehandlung 
will Schüssler das von Neu m a n n empfohlene 
Metakresolanytol mit promptestem Erfolg verwenden. 
Conrad i bespricht Aetiologie und Pathogenese des 
Gasbrandes und Marquardt erwähnt zwei Fälle 
von Gasphlegmone. Holzapfel verwendet gegen 
Pyocyaneus Bolus mit sehr guten Erfolge. T a y 1 o r 
hält Chiniuum hydrochloricum in 1" „ Lösung für ein aus¬ 
gezeichnetes Wunddesinfektionsmittel. 

Kopf und Hals: Zumeist behandelt sind die 
Schädelschüsse mit oder ohne Hirnbeinbeteiligung. Für 
eine möglichst baldige Revision der Schädelwunde sind 
wohl alle Autoren (G u 1 e k e , W i I m s , König 
etc. Milteirhein. Chirurgentag). Frey ist für eine 
sofortige Deckung der Knochenlücke mit Periost und 
sieht von einer Tamponade ab, um so Iliroprolaps zu 
vermeiden. Kärger will mit Fascie sofort frische 
Defekte decken und darüber alles primär schliessen. 
H o f m a n n gibt eine Methode an bei der Knochen 
und Duraplastik verbunden ist Wester m a n n ist 
für heteroplastische Deckung auf Grund eines nach 
dieser Methode früher erfolgreich behandelten Falles 
Zur Blutungsbeschränkung Lei der Müller-König- 
sehen Schädelplastik empfiehlt W o I f f die temporäre 
Umstechung der art. Temporal, front, und der art. occi- 
pital. bds. v. Hacker gibt Plastik an bei penetriren- 
dem Wangendefekt und nachfolgender narbiger Kiefer¬ 
klemme. W i t z e 1 ratet bei Schädeltisteln unbedingt 
nachzugehen und breit zu öffnen, ebenso bei Hirn¬ 
abszess. Zur Sondierung eignet sich für das Hirn tun 
besten der Finger, da er am wenigsten Nebenverletzungen 
setzt. Haberland empfiehlt die direkte Ein¬ 
pflanzung des n. Hypoglossus in die Gesichtsmuskulatur 
bei F'acialislähmung. Er operierte drei Fälle so mit Er¬ 
folg. De Quervain beschreibt seine Technik der 
Kropfoperationen. Riedel teilt seine Erfahrungen 
über intrathoracale Strumen mit und ist der Meinung, 
dass man auch ohne Sternumspaltung auskommen 
kann. 

Brust: Leonhard teilt an Hand von 100 
Fällen von Brust- und Lungenschüssen seine diesbezüg¬ 
lichen Erfahrungen mit. Die Behandlung soll möglichst 
eine konservative sein. Fast sitzende Haltung ist er¬ 
forderlich und es wird dies durch reichliche Morphium¬ 
gaben erzielt. Temperatur bis zu 30 Grad sind unbe¬ 
denklich. und erfordern keinen chirurgischen Eingriff 
Hofbauer zeigt an Hand von Abbildungen, dass 
infolge Anwachsens des Zwerchfells an die Brustwand 
oft beträchtliche Beschwerden nach Brustverletzungen 
entstehen. Zur Behandlung empfiehlt er methodische 
Lagerung auf die gesunde Seite und Atemübungen. 
Eine neue Methode zur Empvembehandlung wird von 
Schmerz angegeben. Henschen stellt das 
Zwerchfell zum Zweck transdiaphrag. Operationen vor¬ 
übergehend durch Novocain Blockierung des Phrenikus 
still. Vorschläge zu einer neuen Methode der Clavicu- 
larbehandlung macht Orth, indem er um die Fraktur¬ 
stelle einen Seidenfaden führt, der mit Gewicht be¬ 
lastet wird und so soll unter gleichzeitiger Röntgen¬ 
kontrolle eine Adaption der Bruchstücke beqeum mög¬ 
lich sein, zudem kann der Patient ausser Bett sein. 
Riedel berichtet über das Verhalten des Rippen¬ 
knorpels und -knochens gegenüber Infektionen. H er¬ 
mann und M e y e r teilen einen Fall von bösartiger 
Neubildung der Lunge mit; M itterstiller einen 
solchen vom Mammasarkom beim Mann, und zwar handelt 
es sich um ein Leiomyosarkom,. das einen einzigartigen 
Fall darstellt. Zwei Fälle von Geschossen im Herz¬ 
beutel werden von Müller und N e u m a n n unter 
Mitteilung der Krankengeschichten beschrieben. 

Digitized by Google 


Bauch: Flein er beschreibt ausführlich einen 
sehr interessanten Fall von situs viscerum invers, abdom. 
mit Eventration des Magens und Stauungsectasie der 
Speiseröhre. De rga n z wandte die französischer- 
seits empfohlene Aetherauswasehung der Bauchhöhle 
bei Peritonitis mit bestem Erfolge an und empfiehlt sehr 
diese Methode. Nach T r o e 1 I soll man mit der 
Unterbindung einiger Milzgetässe anstatt Splenectomie 
bei Blutkrankheiten mit Milztumor gute Erfolge erzielen. 
Boas ist gegen eine operative Behandlung des ulcus 
duodeni und glaubt in den allermeisten Fällen mit in¬ 
terner Therapie Heilung zu erreichen. Gegen Rov¬ 
sings Standpunkt bei Gastroptose die Gastopexie an¬ 
zuwenden wendet sich 1' r o e I I. Hans gibt eine Me¬ 
thode zum Verschluss des künstlichen Magenmundes an, 
bei der ein Einstülpungstrichter gebildet wird. Dobber- 
t i n behandelt den Verschluss von Eingeweidefisteln, 
Tr i e b i n g liefert einen Beitrag zur Hämorrhoidal- 
therapie, Schoemacher beschreibt drei F'älle von 
akuter part. Colondilation und zwei Fälle einer Perfora¬ 
tion einer Append. epiploica. B r u n z e 1 spaltet das 
schlaffe Ligant. Poupatii im Bereiche der Lacuna. mus- 
cul. und will so die Radikaloperation der Schenkel¬ 
hernie mit viel besserem Erfolge erzielen Bei Be¬ 
stehen von Bruch und Varicozele schlägt er den Bruch¬ 
sack eng um den Samenstrang. Von K e m p f wird 
ein Fall der seltenen Hernia pectinea mitgeteilt, G r u - 
n e r t gibt eine kontb. Methode bei Radikalope¬ 
ration der Leistenhernie an, die sich dadurch auszeich¬ 
net, dass er die Bassininaht bis an den Darmbeinstachel 
verlängert. G r ö n d a hl fand unter 400 Fällen von 
Appendizitis nur zehnmal Fremdkörper und nur fünf¬ 
mal Oxyuren in der Appendix. W i l k behandelte 
die Nierenentzündung durch Nierenentkapselung und ist 
mit dem erzielten Erfolge zufrieden. Das F'ernresultat 
der an Gravitztumor Operierten wird von Taschen 
als günstig angegeben : Ein Drittel aller Operierten war 
über drei Jahre völlig gesund. Haidenhain 
glaubt durch schrittweises Abklemmen ohne Isolierung 
der Nierengefässe eine ebenso sichere aber einfachere 
Versorgung der Nierengefässe zu haben. Bonn be¬ 
richtet über die günstige Anwendung des Katheterismus 
post, bei schweren Urethralverletzungen und S t u t z i n 
bespricht Kriegsverletzungen des Urogenitalsystems. 

L i e k behandelt Bauch-, insbesondere Leberschüsse. 

Extremitäten: Melchior und W Hi¬ 
rn o w s k i untersuchten das Verhältnis des Pulses in 
gelähmten Extremitäten und fanden , dass oft eine 
1 Herabsetzung der Pulsgrösse zu konstatieren war. Je¬ 
doch ist dies Symptom zur Erkennung der traumat. 
Aneurysmen diagnostisch wertlos, da ausser Lähmung 
selbst schon ein geringer Druck, w-ie ein. Haematom, 
ein Exsudat oder eine Narbe die Pulsqualität beein¬ 
flusst. U n g e r glaubt die Gangrän nach Unterbindung 
aufhalten zu können, dadurch, dass er periphei von 
der Unterbindung Ringersche Lösung durchfiiessen lässt, 
wodurch sich ein neuer Kreislauf ausbilden kann. Er 
selbst machte nur Versuche am Tier, konnte die ganze 
Extremität nicht retten, war aber in der Lage, tiefer 
als sonst erforderlich gewesen wäre, zu amputieren. 

R y d i g i e r empfiehlt den Knochenstumpf nach 
Oberschenkelamputation durch plastische Hautverschie¬ 
bung zu decken, um so den Amputationsstumpf mög¬ 
lichst lang zu erhalten. II o f m a n n macht auf die 
Sudecksche Knochenatrophie aufmerksam, die 
seiner Ansicht nach öfters bei den Verwundungsfrak¬ 
turen vorkommt. Wegen Pvaemie nach Extremitäten¬ 
verletzung machte Rost Venenunterbindung. Sehrt 
ist für konservative Behandlung schwerer Gelenkschuss¬ 
verletzungen mit Dauerstauung und fand, dass bei mög¬ 
lichst früh angewandter Stauung die Resultate über¬ 
raschend waren. Entsprechende Erfolge hatte L i n - 

Origiral ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



FORTSCHRITTE DER MEDIZIN'. 


Nr. 25. 


b e r g c r. Kitsch gab einen kasuist. Beitrag zum 
Aneurysma der art. femoralis. T r o e 1 1 ist der An¬ 
sicht, dass die Tendovaginitis crepitans fast stets auf 
traumat. Grundlage beruht. B e r g e 1 behandelte die 
verzögerte Callusbildung und Pseudarthrosen mit Fi¬ 
brininjektion. Bei der Behandlung von Knochenbrüchen 
der Extremitäten tritt Wettstein für Dauerexten¬ 
sion bei Muskelentspannung ein. Zur Beseitigung der 
Krallenhandstellung bei Ulnarislähmung gibt E r 1 a c h e r 
eine Spange an, Hildebrand einen Stützapparat 
der Hand bei Radialislähmung und Nieny einen 
solchen bei Peroneuslähmung. Für' eine einheitliche 
Längenmessung der Amputationsstümpfe tritt B ti h r ein 
und zwar soll am Bein von der spina ant. sup. ilei und 
am Arm von der oberen Akromionkante aus gemessen 
werden. Zur Behandlung der Schussbrüche des Ober¬ 
und Unterarms empfiehlt v. L es ser Trikotschlauch- 
extensionsverbände. Bei Schultergelenkversteifung, d. 
h. wenn der Arm im Gelenk nicht genügend erhoben 
werden kann, erweiterte Klapp die Kapsel blutig 
und fixierte den Arm in Elevation. Der Funktionser¬ 
folg war sehr befriedigend. Die stat. und mechan. Ver¬ 
hältnisse bei Beinprothesen behandelt S t o 1 1 an Hand 
von Abbildungen. Die Herstellung schwieriger Imme- 
diatprothesen, da wo es sich um besonders ungünstige 
Verhältnisse handelt, bei sehr hoher Amputation, be¬ 
schreibt S e i d 1 e r. Er verlängert sozusagen den 
Stumpf durch Anfügen einer Papphülse. Die Chirurg. 
Nachbehandlung Kriegsverletzter schildert Strauss 
in knapper, aber die wichtigsten Momente bietender 
Darstellung. H o h m a n n , Lange und Schede 
bringen eine Folge von Aufsätzen, in denen alle Ge¬ 
biete der Kriegsorthopädie behandelt werden unter Hin¬ 
zufügung von diesbezügl. Fällen. W u 1 1 s t e i n be¬ 
tont, dass bei Amputationen der Stumpf so lange wie 
nur irgend möglich gemacht werden muss. (Mittel¬ 
rhein. Chirurgentag). 


Rousseau als Kinderarzt. 

Von Dr. Heinrich P u d o r. 

,,Observez la nature et suivez 
la route qu’elle vous trace". 

Rousseau, Emile. 

Wenn von der Menschheit alles das befolgt würde, 
was von berühmten und hervorragenden Männern ihr 
zu tun anempfohlen ist, so würde sie im Zustande der 
Vollkommenheit leben, wenngleich man auf der an¬ 
deren Seite bedenken muss, dass es ganz natumotwen- 
dig ist. dass die Praxis hinter der Theorie herhinkt 
und schwerfällig und ganz allmählich die Ergebnisse 
der Theorie sich zu eigen macht. So ist wenigstens 
im allgemeinen der Stand der Dinge. Auf einzelnen 
Gebieten freilich ist die Kluft und der Zwiespalt zwi¬ 
schen Theorie und Praxis gar zu auffallend und ganz 
ungerechtfertigt und zudem mehr oder weniger hoff¬ 
nungslos. Namentlich auf dom Gebiete der Kinderauf- 
ziehung stehen die Sachen so und nicht anders. Seit 
Jahrhunderten wird gegen das bis heute übliche System 
der Kinderaufziehung in Wickelbctten geschrieben, 
aber in Deutschland zum mindesten entschliesst man 
sich nicht, dem Folge zu geben. Besonders im 18 . 
Jahrhundert (um die Mitte desselben) beschäftigte die 
Frage der Kinderaufziehung lebhaft die Geister. Die 
Haarlemer Akademie hatte auf die Lösung dieser 
Frage einen Preis ausgesetzt, welcher dem Genfer 
Ballexerd zuerteilt wurde für die Arbeit: Dissertation 
über die physische Erziehung der Kinder. In Paris 
hatte ein berühmter Arzt, Desessarts, eine Schrift 
„Lieber die körperliche Erziehung der Kinder in den 
ersten Lebensjahren“ erscheinen lassen. Vorher hatte 


Digitized by 



schon der Naturforscher Buffon gegen das Ein¬ 
wickeln der Kinder in Steckkissen geschrieben und sich 
zugunsten des Stillens der Mütter verwandt. Auch der 
herrliche Michel Seigneur de Montaigne hatte 
in seinen 1580 erschienenen Essays über Erziehung 
ähnliche Ansichten verfochten. Und nun kam glühend 
wie ein Meteor Jean Jacques Rousseau mit 
seinem Emile, in welchem er die ganze menschliche 
Erziehung auf natürlicher Grundlage z.u errichten be¬ 
strebt ist und mit der Kleinkindererziehung sich ein¬ 
gehend beschäftigt. Und Rousseau erst drang durch, 
ward gehört und anerkannt. Buffon selbst sagte: Es 
ist wahr, gesagt haben wir das alles, aber Rousseau 
allein befiehlt es und erzwingt sich Gehorsam. 

An Montaigne erinnert Rousseau nament¬ 
lich da, wo er Abhärtung statt Verweichlichung emp¬ 
fiehlt, denn das Montaigne sehe Erziehungssystem 
ist wie das des 150 Jahre früher in Italien wirkenden 
Vittorino de Feltre') ein spartanisches. So sagt Rous¬ 
seau: Härtet die Körper der Kinder ab gegen die 
Rauheiten der Jahreszeiten, der Klimate, der Elemente, 
gegen den Hunger, den Durst, die Ermüdung; taucht 
sie in die Wasser des Styx! 2 ) 

Besonders liegt es Rousseau am Herzen, die 
Unsitten der Wickelkissen dem Leser vor Augen zu 
führen: „Das neugeborene I^ind hat das Bedürfnis, 
seine Glieder auszustrecken und zu bewegen, um sie 
aus der Erstarrung zu reissen, in der sie so lange 
Zeit, zusammengezogen zu einem Knäuel, gelegen 
haben. Man streckt sie zwar aus, aber man verhindert 
sie, sich zu bewegen; man streckt selbst den Kopf 
in Kinderhäubchen, als ob man Furcht hätte, es könne 
Lust bekommen, Lebenszeichen zu geben. Im Mutter¬ 
schosse war es weniger beengt, weniger geniert, weni¬ 
ger zusammengedrückt als in seinen Windeln; ich sehe 
nicht ein, was es mit seiner Geburt gewonnen haben 
soll. Denn der einzige Erfolg ist, dass die Zirkula¬ 
tion des Blutes und der Säfte gestört wird, dass das 
Wachstum und Kräftigwerden des Kindes gehindert 
und seine Konstitution ungünstig beeinflusst wird. In 
Ländern, wo man diese übertriebene Vorsicht nicht 
kennt, sind die Menschen gross, stark und wohlpro¬ 
portioniert. Aus Furcht, dass die Körper durch freie 
Bewegung entstellt werden können, beeilt man sich, 
sie zu entstellen, indem man sie einschnürt. Sollte 
nicht ein so grausamer Zwang Einfluss ausüben auf 
das Gemüt sowohl wie auf das Temperament der Kin¬ 
der? Denn ihr erstes Gefühl ist ein Gefühl des 
Schmerzes; bei allen Bewegungen, die sie ausführen 
müssen, fühlen sie sich beengt; unglücklicher als ein 
in Fesseln liegender Verbrecher werden sie gepeinigt, 
werden erregt und schreien.“ 

Des weiteren verbreitet sich Rousseau über die 
Kost und Nahrung der Ammen und bemerkt, dass 
die Milch, wenngleich im animalischen Kör • her- 
angebildct, eine vegetabilische Substanz sei, 1 j dass, 
ähnlich wie im Tierreich die Milch der Grasfresser 
süsser und heilsamer sei, als diejenige der Fleisch¬ 
fresser, die Ammen vegetabilische Nahrung einneh¬ 
men sollten. Das die Pflanzenkost eine leichter ge¬ 
rinnende Milch erzeuge, sei kein Nachteil, sondern 
ein Vorteil, indem sie gerade durch das Gerinnen zur 
Ernährung des Säuglings geeigneter werde. 

Rousseau kommt weiter darauf zu sprechen, 
dass nächst einer geeigneten Nahrung gute Luft für 
Kind und Amme das notwendigste Erfordernis ist. 

*) Die berühmte Casa Qiocosa, die noch heute eine der archi¬ 
tektonischen Zierden Italiens bildet, wurde dem Vittorino von Giovanni 
Francesco Gonzaga zu Mantua erbaut und als Erziehungsanstalt ein¬ 
gerichtet. 

2 ) Dieses und alle folgenden Zitate sind dem ersten Buche von 
Rousseaus Emile entnommen. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 25. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


245 


Reine Landluft sei besser als verdorbene Stadtluft für 
beide Teile. ,,Die Menschen sind nicht dazu geschaffen, 
im Ameisenhaufen eingepfercht zu leben, sondern 
ausgebreitet auf der ganzen Erde, die sie bebauen 
sollen. Je mehr sie sich zusammenhäufen, desto mehr 
richten sie sich zugrunde; der Mensch ist von allen 
Wesen dasjenige, welches am wenigsten in Herden Zu¬ 
sammenleben kann. Menschen, zusammengepfercht 
wie Hammel, werden sehr bald zugrunde gehen. Der 
Hauch des Menschen ist tödlich für seinesgleichen. 
Die Städte sind der Abgrund des menschlichen Ge 
schlechts. Immer ist es das Land, von dem aus die 
Regeneration der entarteten Rassen erfolgt. Schickt 
also eure Kinder hinaus, dahin, wo sie inmitten der 
grünenden Felder die Kraft, welche man in der schlech¬ 
ten Luft der zu stark bevölkerten Orte der Erde ver¬ 
liert, wiedergewinnen können!“ 

Was das Baden der kleinen Kinder betrifft, so er¬ 
scheint Rousseau die Vorsicht, dass man das Was¬ 
ser erwärmt, nicht durchaus selbstverständlich, wenn¬ 
gleich sie im heutigen Kulturleben ratsam sei. Aber 
man sollte wenigstens bestrebt sein, die Kinder all¬ 
mählich an immer niedrigere Temperaturen zu ge¬ 
wöhnen. „Diese Sitte des Badens, einmal angenom 
men, darf nicht unterbrochen werden, und man tut 
gut, sie das ganze Leben beizubehalten. Ich sehe sie 
nicht nur von der Seite der Reinlichkeit oder der 
augenscheinlichen Gesundheit, sondern ebenso als ein 
prophylaktisches Heilmittel an. um das Zellengewebe 
fester zu machen, derart, dass man es ohne Gefahr 
den verschiedenen Wärme- und Kältegraden aussetzen 
kann.“ 

Diese Mahnungen Rousseaus verdienen gerade 
heute um so mehr Beachtung, als die Säuglingssterb¬ 
lichkeit, z. B. bei uns in Deutschland, eine furchtbare 
ist. Bei der unlängst stattgefundenen Jahresversamm¬ 
lung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 
wurde festgestellt, dass die Mehrzahl der Todesfälle 
Kinder der ersten Lebensmonate betrifft. Und auf der 
Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 
wurde konstatiert, dass jeder dritte Todesfall in 
Deutschland auf Tuberkulose beruht, dass aber die 
Tuberkulose in keinem Alter so gross ist, wie im Kin 
desalter vom ersten bis fünften Jahre. Und wenn wei¬ 
ter als bestes Kampfmittel die peinlichste Reinhal¬ 
tung des Säuglings gefordert wurde, so ist dazu zu be¬ 
merken, dass eine solche beim Wickelkissensystem un¬ 
möglich ist; hier vergiftet sich der Säugling immer¬ 
fort durch die eigene Ausdünstung, und die Hautaus¬ 
dünstung und Hautatmung, die gerade beim Säugling 
ausserordentlich gross ist, wird gewaltsam unterdrückt. 

Rousseau fragt nun, woher diese unvernünftige 
Sitte gekommen ist, und er antwortet: „Daher, dass 
die Mütter aus Bequemlichkeit ihre Kinder fremden 
Händen anvertrauten, die ihrerseits sich so wenig als 
möglich Mühe machen wollten.“ Ein Kind, das sich 
frei bewegen kann, würde man immerfort bewachen 
müssen; eingewickelt und eingebunden wirft man es 
in eine Ecke, ohne sich um sein Geschrei zu küm¬ 
mern. Der andere Grund für die Unsitte der Steckkissen 
sei der, dass man fürchtet, die ihrer Freiheit über¬ 
lassenen Kinder könnten Bewegungen versuchen, die 
ihrer Körperausbildung schädlich wären und Missbil¬ 
dungen im Gefolge haben könnten. Aber das seien 
nichts als hohle Redensarten, die durch die Erfah 
rung niemals bestätigt werden. „Die kleinen Kinder 
vermögen sich kaum zu rühren, — wie sollten sie 
sich Schaden züfügen können ?“ 

Weiter verbreitet sich Rousseau über das Stil¬ 
len besoldeter Ammen. Auch diese Frage ist aktuell; 
in rühmlichster Weise hat die schon erwähnte Jahres 
Versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheits- 

Digitized by Google 


pflege als Hauptmittel zur Verminderung der Säug 
lingsstcrblichkeit gefordert, dass die Mütter ihre Pflich¬ 
ten den Säuglingen gegenüber erfüllen (durch Selbst¬ 
stillung). Allerdings scheint die Sitte des Stillens durch 
besoldete Ammen zu Rousseaus Zeit in weit grösse¬ 
rem Umfange geherrscht zu haben als heute. Denn 
Rousseau ruft pathetisch aus: „Ein Mann, der es 
wagen würde, zuzulassen, dass seine Frau ihr Kind 
selbst stillt, wäre verloren; man würde ihn einen Mör¬ 
der nennen, der sich von seinem Weibe befreien wolle." 
Heute stillen sogar Fürstinnen, wie die Kaiserin von 
Russland, in eigener Person. Aber leider sind das 
Ausnahmen. 

Wenn man die Frage aufstellte, sagt Rousseau, 
ob es für die Kinder gleichgültig sei, ob sie mit Milch 
der Mutter oder einer anderen Frau ernährt würden, 
so dürfe man nicht nur die physische Seite der Frage 
in Betracht ziehen. Die Mutterliebe, die mütterliche 
Sorge und Pflege könne durch nichts ersetzt werden. 
Entweder empfinde die Amme etwas von mütterlicher 
Zärtlichkeit für das ihr anvertraute Kind; dann müsse 
die Mutter selbst auf ihr Mutterrecht teilweise und 
zeitweise verzichten, und dem Kinde mute man zu, 
die Mutter wie ein Kleid zu wechseln. Oder aber die 
Ammen empfinden nichts von mütterlicher Sorgfalt; 
dann wieder sei das Kind in schlechten Händen. Rous¬ 
seau bemerkt hier scharfsinnig, dass man, wenn man 
im ersten Fall die Ammen als blosse Mägde behandelt 
und später aus dem Hause schickt, die Kinder gerade¬ 
zu zur Undankbarkeit erzieht; man lehrt das Kind, die¬ 
jenige, die ihm das Leben gab, eines Tages ebenso 
zu vernachlässigen, wie diejenige, welche es mit ihrer 
Milch ernährt hat. „Wollt ihr, dass jeder zu seinen 
ersten Pflichten zurückkehre, so beginnt mit den Müt¬ 
tern. Wenn einmal die Frauen wieder Mütter werden, 
werden auch die Männer wieder Väter und Gatten wer¬ 
den. Und wo keine Mutter, da kein Kind. Zwischen 
ihnen sind die Pflichten gegenseitig; werden sie von 
der einen Seite schlecht erfüllt, so werden sie von 
der anderen Seite vernachlässigt." 

Alsdann kommt Rousseau auf die Kleidung zu 
sprechen: „Von dem Moment an. wo das Kind, aus 
seiner Umhüllung befreit, atmet, dulde man nicht, dass 
man ihm neue Umhüllungen gibt, welche es noch mehr 
beengen. Keine Kinderhäubchen, keine Wickelbänder, 
keine Steckkissen; nur lockere und breite Windeln, 
welche alle Glieder in Freiheit lassen und nicht so 
schwer sind, um frische Luft abhalten zu können.“ 

Weiter folgen einige interessante Fingerzeige: „Be¬ 
züglich der Gewöhnung des Kindes an Licht muss 
man acht darauf geben, dass das Gesicht immer nach 
dem Lichte zu gerichtet ist, wenn man verhüten will, 
dass das Kind schielen lernt; denn man kann beob¬ 
achten, dass es die Augen immer nach dem Lichte 
wendet. Die einzige Gewohnheit, welche man ein Kind 
haben lassen darf, ist die, keine zu haben; man trage 
es auf dem rechten Arm nicht mehr als auf dem 
linken; man gewöhne es weder daran, zu denselben 
Stunden zu essen und zu schlafen, noch des Tages oder 
in der Nacht allein bleiben zu können.“ Diese letztere 
Ansicht Rousseaus dürfte auch heute noch lebhaf¬ 
tem Widerspruch begegnen. 

Ausführlich verbreitet sich Rousseau über das 
Schreien der Kinder. „Da der erste Zustand des Kin¬ 
des Schwäche ist, sind seine ersten Stimmen Klagen 
und Tränen. Das Kind fühlt seine Bedürfnisse und 
kann sie nicht befriedigen; es bittet um Hilfe und 
Unterstützung durch Geschrei; hat es Hunger oder 
Durst, so weint cs, ist es zu kalt oder zu warm, so 
schreit es; hat cs Bewegung nötig und man hält es 
in Ruhe, will es schlafen und man stört es, so schreit 
cs. Entfernt von den Kindern mit der peinlichsten 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





244 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 25. 


Gewissenhaftigkeit Dienstboten, welche sic quälen, 
aufregen, ungeduldig machen; sie sind ihnen hundert¬ 
mal schädlicher als die Ungunst der Witterungen und 
der Jahreszeiten. Wenn ihr aber das Hindernis nicht 
entfernen könnt, so bleibt ruhig, ohne zu liebkosen, 
andernfalls wird das Kind sich erinnern, was cs tun 
muss, um geliebkost zu werden; wenn es einmal weiss, 
wie es nach seinem Willen euch beschäftigen kann, 
ist es schon euer Meister, und alles ist verloren.“ 

Rousseau ist der Ansicht, dass man die Kinder 
viel zu früh entwöhnt. ,,Die Zeit, zu der man die Kin¬ 
der entwöhnen soll, ist durch den Durchbruch der 
Zähne angezeigt. Instinktmässig nimmt das Kind dann 
alles in den Mund, was es in die Hände bekommen 
kann. Und man glaubt ihm das Zahnen zu erleichtern, 
indem man ihm harte Körper, wie Elfenbein, als Spiel¬ 
zeug gibt. Ich glaube, man irrt sich. Die harten Kör¬ 
per. weit entfernt, das Zahnfleisch zu erweichen, ver¬ 
härten es und vermehren die Schmerzen beim Durch¬ 
bruch der Zähne. Man kann bei jungen Hunden be¬ 
obachten, dass sie viel mehr weiche und nachgiebige 
Stoffe, in die sich der Zahn eindrückcn kann, sich zu 
schaffen suchen als harte.“ 

Diese Bemerkung Rousscaus ist durchaus zu 
treffend. Das Beisscn ist eine Tätigkeit der Zähne, 
wenn sie da sind. Aber das Beissen lässt sie nicht ent¬ 
stehen, vielmehr ist es die Saugtätigkeit, welche die 
Zähne entstehen lässt. Und je mehr Gelegenheit zur 
Saugtätigkeit gegeben wird, desto leichter kommen 
die Zähne. Da die Saugtätigkeit bei künstlicher Er¬ 
nährung nicht so gross ist, wie an der Mutterbrust, 
kann man beobachten, dass im ersten Falle die Zähne 
nicht so leicht kommen, wie im zweiten Falle. Ge¬ 
rade in diesem ersten Falle suchen aber die Kinder 
alsdann nach einem Ersatzmittel des Saugens und be¬ 
mächtigen sich einer Zahnbürste, eines Schwammes, 
einer Nagelbürste, ja, man kann oft genug sehen, dass 
sie ihre Kleiderzipfel ins Wasser tauchen, um sie da¬ 
nach anzusaugen. Weit später erst, wenn die Zähne 
vollständig zum Durchbruch gekommen sind, kann es 
Nutzen haben, den Kindern harte Gegenstände zur 
„Uebung im Beissen“ in die Hand zu geben. 

Genauer kann man drei verschiedene, aufeinander 
folgende Tätigkeiten der Zahnung unterscheiden: das 
Saugen, das Nagen und das Beissen. Zur Beförderung 
der zweiten dieser Tätigkeit empfiehlt Rousseau, 


j den Kindern Brotrinde und getrocknete Früchte in 
der betreffenden Zeit zu geben. 

Was die Nahrung des Kindes betrifft, so emp¬ 
fiehlt Rousseau am meisten Semmelbrei, warnt da 
gegen vor Bouillon und Fleischsuppen. 

Sehr energisch warnt Rousseau auch vor der 
, Sucht, den Kindern das Gehen möglichst früh zu ler¬ 
nen: „Gibt es etwas Törichteres, als die Mühe, welche 
bewirkt, dass sie ihr ganzes Leben schlecht laufen, 
weil man sic im Laufen schlecht unterrichtet hat." 
j Das klingt vielleicht paradox, aber es ist gleichwohl 
' richtig, denn die Kinder lernen das Laufen am besten 
von selbst, und eine dritte Person kann unmöglich 
den Zeitpunkt wissen, wann die Beine stark genug sind: 
wählt man den Zeitpunkt zu früh, so sind krumme 
Beine die unausbleibliche Folge. Zu spät kann man 
den Zeitpunkt nicht wählen, weil die Kinder zur richti¬ 
gen Zeit, wofern man ihnen Zeit lässt, das Laufen 
von selbst lernen. „Ansatt Emil in ungesunder Stuben 
luft verkümmern zu lassen, ward man ihn täglich auf 
eine Wiese führen; wenn er dort hundertmal fällt, 
desto besser; er wird nämlich desto besser lernen, sich 
zu erheben. Mein Zögling wird sich oft stossen. aber 
dafür wird er immer guter Dinge sein. Eure unglück¬ 
lichen Kinder dagegen — das Alter des fröhlichen 
Spieles vergehe ihnen ohne Züchtigung, Drohungen. 
Tränen, Knechtschaft. Menschen, seid menschlich, lieht 
die Kinder, begünstigt ihre Spiele, ihre Vergnügen, 
ihren schönen Instinkt! Man darf ein Kind nicht zwin¬ 
gen. stillzusitzen, wenn es gehen will, noch zu gehen, 
wenn es stillsitzen will. Wenn der Wille der Kinder 
nicht durch unsere Fehler verdorben ist, wollen sie 
nichts Unnützes. Es ist notwendig, dass sie springen, 
dass sie laufen, dass sie schreien, wenn sie nur Lust 
dazu haben.“ 

Man wird gut tun. diese Gedanken Rousseaus 
zu erwägen und zu überdenken, das Beste davon zu 
behalten und ins Leben zu übertragen. Namentlich 
das letztere ist notwendig, denn mehr als ein Jahr¬ 
hundert gilt Rousseau nun schon als Apostel der 
Natur und naturgemässen Lebensführung, aber das 
Wenigste erst von seinen Forderungen ist für das 
Leben verwertet worden. Wir schliessen daher mit 
den Worten Montaigncs: „Wer diesen Gedanken 
gemäss handelt, wird mehr Vorteil davon haben, als 
wer sie bloss liest.“ 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie. 

Stöcker. Über die Reimplantation der Keimdrüsen 
beim Menschen. t D med. VV. 1910, No. 7) 

Nach Hinweis auf die Anatomie und Physiologie der 
Keimdrüsen und die Ausfallserscheinungen bespricht der 
Verf. deren Vermeidung Bei Implantationen verlangt er 
autoplastische Operationen, was er nur bei Exstirpation wegen 
maligner Tumoren für unzulässig hält. Beurteilt will er die 
Funktion der eingepflanzten Keimdrüse durch die Adrenalin- 
rcaktion haben, natürlich unter Beachtung der klinischen 
Beobachtung. Bei jeder Kastration, sofern nicht die ge¬ 
nannte Kontraindikation vorliegt, soll ein Teil des Testis oder 
des Ovars wieder in den Körper zurückgebracht werden, da man 
ev. viel erreicht, aber niemals schadet. Böen heim. 

Treupel. Die Funktionsprüfung der Nieren mit 
körperfremden Substanzen. (D. med. W. 1916, No. 6). 

In dieser ausgezeichneten Arbeit bringt Tr. nach einem 

Digitized by Google 


kurzen Ueberblick über die Physiologie der einzelnen Teile der 
Niere eine Besprechung der in der Hauptsache von Schlayer 
angegebenen Funktionsprüfungsmethoden und beleuchtet sie 
kritisch. Für den Praktiker kommen wohl diese Methoden 
noch nicht in Betracht, da ihr Wert für die menschliche 
Pathologie noch zu zweifelhaft ist. Wichtig ist höchstens, dass 
die Ausscheidungsdauer von 1 g intravenös injiziertem Milch¬ 
zucker länger als 5 — 7 Stunden dauert, wenn die Gefässe 
funktionell geschädigt sind. Bei einer Erkrankung der Tubuli 
wird 0,5 g per os gegebenes Jodkalium noch nach mehr als 
60 Stunden im Harn nachgewiesen. In Bezug auf die 
Methode, sowie auf die sehr interessanten Verhältnisse in Be¬ 
zug auf die Na Cl-Ausscheidung muss auf die Original-Arbeit 
hingewiesen werden Böen heim 

S i m m o n d s. Über Kachexie hypophysären Ur- 



Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 25. 


245 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


infolge einer „hochgradigen Verödung des Hirnanhanges“ 
berichtete, macht Mitteilung von 2 Fällen von Kachexie, bei 
denen die Sektion ein basophiles Adenom der Hypophyse er¬ 
gab. Da ein weiterer pathol. Befund dicht erhoben wurde, 
so muss die „chronische hochgradige, letal endigende Kachexie“ 
hierauf bezogen werden. Therapeutisch ziehlt S. hieraus den 
Schluss, dass man bei klinisch ungeklärten Kachexien mit 
Hypophysispräparaten Versuche machen soll. 

B o e n h e i in. 


Bakteriologie und Serologie. 

Fejes. Die praktische Bedeutung der Typhus- und 
Choleraschutzimpfung. (Dtsch. rned. Woch 191G, 14.) 

Verf. stellt fest, dass nach den prophylaktischen Im¬ 
pfungen die Zahl der Erkrankungen abgenommen hat. In 
Bezug auf Typhus schreibt Verf. dann weiter, dass die Er¬ 
krankungen leichter sind, dass vom „Status typhosus“ nicht 
mehr gesprochen werden kann. Die einzigen immer vor- 
kommeuden Symptome seien Roseolen und geringe Milz¬ 
schwellung. 

Kommt es nach Choleraschutzimpfungen zum Ausbruch 
der Krankheit, so wird diese kaum beeinflusst. Nur die 
Funktion des Nervensystems hat einen Nutzen. Verf. gibt 
dann eine Thoerie, um die verschiedene Wirkung der beiden 
Schutzimpfungen zu'erklären. Böen heim. 

Möllers u. 0 e h 1 e r. Zur Frage der Mobilisierung 
der Tuberkelbazillen durch Tuberkulin (D. med. W. 1916.) 

Nach einer Reihe von Tierexperimenten kommen die Verf. 
zu dem Resultat, dass eine Verschleppung von virulenten 
Keimen nach Tuberkulineinspritzungen nicht nachgewiesen ist. 
Auch findet man bei vorgenommenen Blutuntersuchungen keine 
prozentual erhöhten positiven Blutbefunde während der 
Tuberkulinreaktion. B o e n h e i m. 


Innere Medizin. 

L F. Meyer. Zur Diätetik der Ruhr. (Dtsch med 
Woch. 1916, 12.1 

So sehr sich auch die blande Diät im allgemeinen bei der 
Ruhrbehandlung bewährt hat, so verwirft sie doch der Verf., 
wenn sie nicht in wenigen Tagen zum Erfolg führt. Sie ist 
eine Hungerdiät und kann daher zu unliebsamen Erscheinungen 
allgemeiner Natur und auch zu solchen im Kreislaufgebiet führen 
Daneben wird auch die Immumität bei Unterernährung ver¬ 
mindert, Da die Ruhr im wesentlichen den Dünndarm frei 
lässt, wo die eigentliche Verdauung stattfindet, so kann man 
ruhig eine ausreichende Nahrung geben. Sie darf den Dick¬ 
darm nicht reizen und muss autidiarrhotisch sein, und das ist 
die eiweissreiche Kost, die auch in der Regel lieber von den 
Patienten genommen wird. Verf. gibt ein Schema in seiner 
Arbeit, dem er allmählich andere Nahrungsmittel zufügt, zum 
Schluss Kommissbrot. Gibt man dies zu früh, so tritt ein 
Rückfall ein, der aber sofort bei Rückkehr zu Eiweissnahrung 
verschwindet. Dieses neue Fieber hat also grosse Aehulich- 
keit mit dem von Fiukelstein beim Säugling beobachteten 
alimentären Fieber. B o e n h e i m. 

S t r a u s s Krieg und Verdauungskrankheiten. (Zisch 
für ärztl. Fortbildung 1916, No. 1). 

Verf. bespricht u. a. ausführlich die akute Colitis hämor¬ 
rhagica, die ätiologisch nicht einheitlich ist. Es handle sich 
wohl um Paratyphus Bae. und um die verschiedenen Dysenterie- 
En-eger, Gerade die Zahl der latenten Minimal-Iofekte durch 
diese letzteren schätzt er sehr hoch. Bei der Prognose spielt 
die An-, bezw. die Subazidität des Magens eine grosse Rolle, 
weil durch diese eine Störung in der Düundarmverdauung ein- 
tritt, die den Lokalprozess zu einem mehr oder weniger dauer¬ 
haften macht. 

Was die Therapie anbelangt, so mag nur erwähnt werden, 
dass Verf. in der Kohlebehandlung einen Fortschritt sieht, 
Fleisch lässt er erst spät reichen. B o e n h e i m. 


Digitized by Google 


Psychiatrie und Neurologie. 

W. Neu meiste r. Chirurgische Erkrankungen, ins¬ 
besondere das Mal perforant und die Knochen- und delenk- 
affektlonen, als Frühsymptome der Syringomyelie. (Ztsclir f 

d. ges. Neurol. u. Psych., Bd. bO, H 4/5, S 510. 1916). 

Es werden hier besonders die chirurgischen Symptome der 
Syringomyelie, die phlegmonösen Entzündungen, das Mal 
perforant und die Knochen- und Gelenkaffektionen besprochen. 

Im ganzen wurden unter 74 Fällen von Syringomyelie 16 Fälle, 
die hier mitgeteilt werden, beobachtet, bei denen chirurgische 
Erkrankungen im Vordergründe der Symptomenreihe standen, 
so dass hauptsächlich deshalb der Chirurg konsultiert wurde. 
Die Häufigkeit der chirurgischen Erkrankungen betrug demnach 
bei der Syringomyelie 21 bis 22%. In 9 Fällen (55%) 
fand sich Mal perforant, in 5 Fällen (30'/„) Spontanfrakturen 
und Arthropathien, in je einem Fall Panaritium, Verbrennung, 
Erfrierung und Muskelruptur. Der Sitz der Arthropathien 
war in 2 Fällen das Schultergelenk, in 1 Fall das Handge¬ 
lenk, einmal die Fasswurzel (Plattfuss: typ pieil tabetique); 
der Sitz der Spontanfrakturen war 2 mal der Unterarm, ein¬ 
mal der Oberarm, je einmal der Ober- und Unterschenkel. 
Auffallend in dieser Statistik ist die Häufigkeit des Mal 
perforant bei der Syringomyelie, was aber mit der in der Ar¬ 
beit gemachten Erfahrung zusammenhängt, dass der Lumbo- 
sakraltypus der Erkrankung eine ziemlich häufige Lokal isations- 
form bildet. Von den 16 Fällen gehörten nämlich 9 Fälle 
zum Cervicaltyp, und 7 Fälle zum Luinbosakraltypus. Und 
während der erstere meist sehr charakteristische Symptome auf¬ 
weist und selten zu Fehldiagnosen führt, gibt es bei dem 
zweiten Typus eine ganze Anzahl von Fällen, bei denen erst 
sehr spät ausgesprochene neurologische Symptome in Erscheinung 
treten, während oft Jahre hindurch ein Mal perforant oder eine 
andere Störung trophischer Natur allein vielleicht neben einer 
unsicheren Seusibilitätsstörung anscheinend das einzige und 
erste Symptom darstellen kann. 

Verf. kommt also zu dem Ergebnis, dass der Luntbo- 
sakraltypuB der Syringomyelie zweifellos häufiger ist, als bisher 
angenommen wurde, und dass bei ihm die trophischen Störungen, 
also die chirurgischen Erkrankungen, besonders im Vorder¬ 
gründe stehen, mehr als im Cervicaltyp, der sich mehr durch 
die int Vordergrund stehenden sensiblen Symptome auszeichnet. 

Es wird deshalb dazu aufgefordert, alle Fälle von Mal perforant 
neurologisch eingehend zu untersuchen. Vor allem wird darauf 
hingewiesen, dass trophische Störungen, die schon jahrelang be¬ 
stehen, zuerst vielleicht mit einer leichten Störung der Sensibilität, 
ev. angedeuteten dissoziierten Charakters unbedingt den Verdacht 
auf Syringomyelie erwecken müssen, besonders wenn die Sym¬ 
ptome doppelseitig sind; Atrophien an den Füssen und Unter¬ 
schenkeln, sowie das Fehlen des einen oder anderen Achilles- 
reflexes können die Diagnose sichern. 

Zum Schlüsse wird noch auf zwei Falle von Syringomyelie 
nach Trauma eingegangen, die zur Begutachtung überwiesen 
worden waren. Es wird hier von dem Gesichtspunkt aus ge¬ 
urteilt, ob das betreffende Trauma eine Hämatomyelie hatte zur 
Folge haben können oder nicht. In dem eiuen Falle, der nach 
einer durch Hufschlag bedingten Unterschenkelfraktur sich 
entwickelte, wird die traumatische Entstehung abgelehnt, 
während bei dem anderen Fall, hei dem ein Sturz aus 10 Meter 
Höhe stattgefunden hatte, das Entstehen einer zentralen 
Hämatomyelie angenommen wird, auf deren Basis sich in der 
Folge eine Syringomyelie entwickelt hat. Besonders mit Rück¬ 
sicht auf diesen Fall bekennt sich Verf. zu der Ansicht der¬ 
jenigen Autoren, die den Standpunkt der trnumatisch-häntor- 
rhagischen Entstehung der Syringomyelie vertreten. 

\V. Misch. 

Pelz. Ober hysterische Aphasien. (Arch. f. Psych., 
Bd. 56, H. 2, S. 445. 1916.) 

Es werden drei Fälle von hysterischer Aphasie niitge- 
teilt, die durchaus den Charakter einer organischen Aphasie 
trugen. Bei dem ersten Fall handelte es sich um einen Soldaten, 
der aus dem Felde mit der Angabe einer Gehirnerschütterung 
kam und in der ersten Zeit für eine wahrscheinlich durch 
Hirnblutung entstandene totale Aphasie gehalten wurde; erst 
im weiteren Verlauf wurde die hysterische Natur der Er- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




24(1 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 25. 


krankung erkannt, insbesondere dadurch, dass der Patient viel 
besser verstand als aus seinen sprachlichen und motorischen 
Reaktionen zu erkennen war, und dass er auf plötzliche, über¬ 
raschende Fragen prompte, richtige Antworten in fehlerfreier 
Sprache gab. Bei dem zweiten Falle einer Haftpsychose in 
Form des Ganserschen Dämmerzustandes fehlten Störungen der 
elementaren Sprachfunktionen, der motorischen und der senso¬ 
rischen, gänzlich, so dass die Diagnose ganz. sicher war; als apha- 
sische Symptome fanden sich Agrammatismus, Perseveration und 
eine Andeutungvon amnestischer Aphasie. Bei dem dritten Fall 
bestand eine Erschwerung und Verlangsamung der spontanen 
Leistung, Andeutung von Agrammatismus charakteristische 
amnestisch-aphasische Erscheinungen, Störung der Wortfindung 
und sehr typische Umschreibungen; Nachsprechen, Lesen, 
Wort- und Sinnverständnis waren intakt. 

In allen drei Beobachtungen fanden sich also eigentüm¬ 
liche Sprachstörungen, die anscheinend durchaus mit gewissen 
aphasischen Einzelsymptomen übereinstimmeu, die sich aber 
alle als psychogen bedingt herausstellten. Eine Ueberein- 
stimmung der drei Beobachtungen unter sich nach aphasischen 
Gesichtspunkten bestand nicht; es liess sich aus ihnen nicht 
das Bild einer besondern hysterischen Aphasie gewinnen, in 
der Weise, dass etwa für die hysterische Form der Aphasie 
bestimmte Einzelsymptome aphasischer Sprachstörungen oder 
bestimmte solche Symptomgruppeu regelmässig und kenn¬ 
zeichnend wären. Die beschriebenen aphasischen Einzelsymptome 
sind auch nicht konstant und nicht scharf ausgeprägt genug, 
als dass sie für das Studium der Lehre von den Aphasien 
Wert gewinnen könnten. Ein gemeinsames Bild der Sprach¬ 
störungen in den drei Fällen liegt dagegen in der Aehnlich- 
keit mit den Ganserschen Zuständen; insbesondere lässt sich 
nachweisen, dass im allgemeinen Verhalten der drei Kranken 
eine Reihe von Ganserschen Einzelzügen bestanden. Ueber- 
haupt ist die Kongruenz der eigenartigen hysterischen Aphasien 
mit dem Ganserschen Symptom leicht erkennbar und ein 
gutes Mittel, die Hysterie zu beweisen, und unabhängig von 
der Ausschliessung organischer Aphasie, selbständig die 
pseudoaphasische Natur der Sprachstörung erkennen zu lassen. 

W. Mise h, Berlin. 


Hals-, Nasen-, Kehlkopf- und Ohrenleiden 

Mink (Utrecht) Die Massage der Ohrtrompete. 

(Zeitsch. f. Ohrhlk. Bd. 72, H. 3.) 

Für chronische Mittelohrkatarrhe mit Schwellung der 
Tubenschleimhaut hat M i n k eine Massage der Tubenwiilsle 
ausgedacht und erprobt. Es handelt sich nicht, wie man 
es früher mehrfach versuchte, um eine indirekte Massage von 
der seitlichen Halsgegend aus, sondern es wird durch die 
unteren Nasengänge ein katheterförmig gebogenes Instrument, 
dessen Schnabel mit Watte umwickelt ist, eingeführt, der 
Schnabel in die Furche zwischen Nase und vorderen Tuben¬ 
wulst gebracht und durch Längsdrehungen des Stiels auf und 
abgeführt. Es kann auch die Rosenmülle r’sche Grube 
und der hintere Tubenwulst bestrichen werden. Mink rät, 
die Massage zunächst an sich selbst auszuprobieren, um sich 
die nötige Zartheit der Bewegungen anzueigueu. Er hat an 
grösserem Material recht gute Erfahrungen mit seiner Methode 
gemacht. Arth. Meyer (Berlin). 

J. Zange (Jena). Gonorrhoische Infektion der obe¬ 
ren Luftwege beim Erwachsenen. (Zeitsch. f. Ohrhlk. Bd. 
73, H. 3.) 

Die oberen Luftwege werden beim Erwachsenen äusserst 
selten von gonorrhoischer Erkrankung befallen. Die Mund¬ 
höhle erkrankt etwas häufiger vermittelst direkter Übertragung, 
die Nase jedoch nur indirekt, entweder durch den mit Tripper- 
eiler beschmutzten Finger (oder Taschentuch) infiziert, oder 
infolge einer spezifischen Conjunctivitis, deren Sekret sich 
durch den Tränennasenkanal in die Nase ergiesst. Von beiden 
Übertragungsarten sind nur wenige beglaubigte Fälle bekannt; 
einen der zweiten Art veröffentlicht Verf.: Einem Chirurgen 
spritzte bei einer Dainm-Operation gonorrhoischer Eiter ins 
Gesicht. Es stellte sich beiderseitige Conjunctivitis ein, dann 
ein blennorrhoischer Katarrh der Nase, des Nasenrachenraums, 

Digitized by Google 


Rachens und Kehlkopfes. Die Affektion verlief ziemlich gut¬ 
artig in Form eines eitrigen Katarrhs mit sta ker Rötung und 
massiger ödematöser Schwellung; nirgend kam es zur Ero- 
sionsbildung. Sie heilte unter Protargolhehandlung in einigen 
Tagen. — Da gerade die Nasenerkrankung sehr geringe Be¬ 
schwerden machte, meint Verf., dass dieselbe vielleicht öfters 
im Anschluss an hlcnnorrhoische Conjunctivitis verkomme 
und übersehen werde. Arth Meyer (Berlin). 

Th. R ü e d i (Davos). Beobachtungen aus Davos über 
operative Behandlung der Kehlkopftuberkulose. (Zeitsch f- 
Ohrhlk. Bd 73, H. 3.) 

R berichtet über eine sehr grosse Anzahl wegen Larynx- 
Tuherkulose operierter Patienten. Er betrachtet die Kur in 
Davos als erheblichen Heilfaktor, auch für die Kehlkopfer¬ 
krankung, in allen Fällen, wo der Körper noch über Reserve¬ 
kräfte verfügt Jedoch ist die Heilung ohne örtliche Be¬ 
handlung, die nur operativ sein kann, eine seltene Ausnahme. 
Er bevorzugt die tiefe Kaustik, die den Zweck hat das er¬ 
krankte Gewebe gründlich zu zerstören (für die auch Ref. 
wiederholt '.■ingetreten ist), nur für den Kehldeckel schnei¬ 
dende Instrumente. Die Gesamtresultate sind recht gut, am 
besten, wie bekannt, bei Stimmbaudtuberkulose. Auch auf 
die Lungen wirkte die Kehlkopfbehandlung in günstiger 
Weise zurück. Verschlimmerungen im Anschluss an die Be¬ 
handlung sind nicht völlig auszuschliessen, aber überaus selten. 

Arth. Meyer Berlin). 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten 
der Harn- und Geschlechtswege. 

W i 1 d b o 1 z. 0 ber die metastatische Prostatitis (Corresp 
für Schweiz Aerzte 1916. 6. 

Wenn auch die meisten Prostatitiden auf einer Infektion 
mit Gonokokken beruhen, so darf man doch nicht vergessen, 
dass auch alle anderen Enlzündungserreger diese Erkrankung 
verursachen können. Der häufigste Weg der Erkrankung ist 
der durch die Harnwege; die Ausbreitung kann jedoch auch 
auf dem Lymphwege geschehen. Verf. sah diese Erkrankung 
14 mal nach Influenza, 22 mal nach leichter Angina oder nach 
Darmstörungen. Er unterscheidet eine katarrhalische, eine 
folliculäre Prostatitis und die parenchymatöse Form. Immer 
scheint es sich aber um eine Ausscheidungsinfektion der Drüse 
zu handeln. Symptome: Schmerz und Druck am Damm und 
im Rektum, Ürindrang mit behindertem Abfluss. Häufig 
terminale Hämaturie Differentialdiagnostisch kommen rein 
kongestive Zustände in Frage. Therapie: Sitzbäder, Ichthyol- 
suppositorien. Zum Schluss weist Verf. noch daraufhin, dass 
nach Y o u n g ,,oft Arthritiden, MuskelrheumatismuB, Ischias 
ihren Ausgangspunkt von einer chronischen Prostatitis 
nehmen.“* Böen he im. 


Wichtige gerichtliche Entscheidungen. 

Einfluss der Verweigerung einer Operation auf Schadens¬ 
ersatzansprüche. 

(Nachdruck verboten.) 

Der Kläger ist am 23. Oktober 1910 bei einem Zusam- 
menstoss seines Fuhrwerkes mit einem Triebwagen der Be¬ 
klagten verletzt worden. Sein Schadensersatzanspruch auf Er¬ 
satz der Heilungskosten und seines Verdieastausfalles ist 
rechtskräftig zu 3 / 4 dem Grunde nach fiir gerechtfertigt erklärt. 
Im Nachverfahreu bat ihm das Oberlandesgericht Heilungs¬ 
kosten und eine Erwerbsrente bis zum 65. Lebensjahre zuge¬ 
sprochen. Hiergegen hat die Beklagte Revision eingelegt, die 
vom Reichsgericht zurückgewiesen wurde mit folgender 
Begründung: 

Streitig ist lediglich, ob dam Kläger, weil er die Opera¬ 
tion des Leistenbruchs verweigert, den er bei dem Unfall sich 
zugezogen hat, ein mitwirkendes Verschulden gemäss § 254 BGB 
zur Last zu legen ist. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon 
aus, dass dem Kläger die Operation, die sich gefahr- und fast 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 25. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


247 


schmerzlos vornehmen lasse, zugemutet werden musste, wenn fest- 
stünde, dass er dadurch seine Arbeitsfähigkeit wiedergewinnen 
würde Dies aber verneint das Berufungsgericht. Es sei ausge¬ 
schlossen, dass der Kläger durch eine noch so erfolgreiche Ope¬ 
ration seine frühere Arbeitskraft wiedererlangen würde. Denn die 
Gefahr liege nahe, dass der operierte Bruch durch Heben schwerer 
Lasten, wie es das Gewerbe des Klägers mit sich bringe, 
wieder hervortrete. Da ein solcher Fall mit Lebensgefahr 
verbunden sein würde, so müsste der Kläger auch uach der 
Operation sich aller mit schweren Lasten verbundenen Ar¬ 
beiten enthalten. Er würde also trotz der Operation in sei¬ 
nem Gewerbe in gleichem Masse behindert bleiben, wie er es 
jetzt sei. Es ist richtig, was die Revision geltend macht, dass 
der Sachverständige Dr. A., auf den sich das Berufungsge¬ 
richt bezieht, weder von einer nahen Gefahr des Rückfalls 
nach Bruchoperationen noch von einer Lebensgefahr beim 
Wiederhervortreten des Bruchs spricht. Diese Abweichung 
kann jedoch zur Aufhebung des Urteils nicht führen. Dr A. 
beziffert die Rückfälle nach Bruchoperationen aut 5°/ 0 . Nach 
dem vorgetragenen Gutachten des Dr. L. sind bei dieser Sta¬ 
tistik alle Operieiten, also auch Kinder und sonstige Per¬ 
sonen, die keine schwere Arbeit verrichten, gezählt. Sie gibt 
also auf die Frage, die hier allein sich erhebt, in welchem 
Verhältnis Operierte, die nach der Operation schwere Lasten 
heben und tragen, wie es der Kläger tun müsste, einem Rück¬ 
fall ausgesetzt sind, keine zutreffende Antwort. Dr. L scheint] 
die Rückfälle bei dieser Personengruppe auf 16— 17% zu 
bemessen. Wenn aber selbst nur 5°/ 0 Rückfalle eintreten 
sollten, so konnte das Berufungsgericht, ohne sich mit dem 
Dr. A in Widerspruch zu setzen, die Gefahr des Rückfalls 
als nah bezeichnen und ohne Rechtsirrtum den Kläger von 
der Pflicht entbinden, sich einer Operation zu unterziehen, 
deren Erfolg in der hier allein erheblichen Beziehung so 
wenig sicher war, die also nur dazu geführt haben würde, 
dass der Kläger auch jetzt schon schwere Arbeiten vermeiden 
musste, um einem Rückfall zu entgehen. Ob ein solcher 
Rückfall — das Wiederhervortreten des Bruchs - mit Lebens¬ 
gefahr verbunden sein würde — was das Berufungsgericht 
vielleicht aus eigener Sachkunde beigefügt hat, — ist danach 
ohne Belang. 

Urteil des RG. vom 29. Nov. 1915. VI. 352. 1915. 

(Mitgeteilt vou Dr. Hans Berthold, Leipzig.) 


Neuere Medikamente. 

Perugen (Dr. Evere): Balsam peruvian syntheticum, soll absolut 
nierenunschädlich sein. 

Indikation, äusserlich: Eczem, Scabies, Riss 
Kratz-, Quetsch-, Brandwunden, Frostbeulen und -Wunden, 
Rp. Argent. nitric. 0 30, Perugen 6,0, Ungt. simpl. 90,0 
(für Ulcus cruris). Für sonstige äusserliche Anwendung ist 
1 Teil Perugen mit 2 Teilen 90 ®/ 0 Weingeist zu mischen. 
Innerlich: als Expectorans bei Tuberkulose, Pneumonien, 
Bronchitis. Rp. Perugen 3,0 Mucilag. gi. arab. q. s. ut. f. 
emulsio adde Aq. dest. ad 100,0 Spirit, vini Cognac 20,0 
Ds. 2 stündl. I Esslöffel. 

Physostol: 1% sterile Lösung von Physostigminum purissim 
(Riedel) in Olivenöl. Verdirbt nicht so leicht als die ge¬ 
wöhnlichen Lösungen. Bei Glaukom, Ulcus corneae, Prolapsus 
iridis, Ophthalmia neonatorum, zur Beseitigung von Atropin- 
Mydriasis. Ein bis mehrere Tropfen ins Auge träufeln (wenn 
l°/ 0 Lösung zu stark, mit reinstem Olivenöl verdünnen). 
Originalgläschen mit Glasstab 5—6 g Inhalt. (Riedel.) 

Piperazin-Bayer: Diaethylendiamin. Wasserhelle Kristalle von 
alkalischer Reaktion. Harnsäure lösendes Mittel, besonders 
bei Gicht, ferner bei Nierenkolik, Nieren- und Blasensteinen. 

Dosis: 1 —1,5 g 2 mal tägl. und zwar jede Dosis in 
einer Flasche alkalischen Wassers (Apollinaris, Selters oder 
dergl.) gelöst (Bayer.) 

Pneumokokkenserum : (Merck), im Tierversuch prüfbar und 
auf Immunisationswert kontrolliert. 

Anwendung: bei Pneumonie 200—400 I. E. subkutan 
oder auch intravenös so früh als möglich, bei Pneumo¬ 
kokkenmeningitis wiederholt 200 I. E. intralumba I nach 

Digitized by Google 


Punktion; bei Ulcusserpens 200—4001. E. subkutan. (Merck- 
Darrostadt). 

Pnlgodin ; Bestandteile: Zimt, schwarzer Hollunder, ein Glykosid: 
Phloroglyctanoid und Gerstenmalz, starkes Expectorans bei 
Pertussis, Pneumonie, Bronchitis, Asthma bronchiale, ist frei 
von toxisch wirkenden Substanzen sowie von Alkohol, wirkt 
günstig auf Appetit. Säuglinge stündl. einen Teelöffel, Kinder 
bis zu 5 Jahren 2 stündl. einen Kinderlöffel, Kinder über 
5 Jahre und Erwachsene 2 stündl. einen Esslöffel. Die 
ersten 3—4 mal gebe man doppelte Dosis hiervon. (In 

Originalflaschen der Pnigodin G. m. b. H.) 


Bücherschau. 

Munk, Grundriss der gesamten Röntgendiagnostik 
innerer Krankheiten. Leipzig bei Thieme. 

Dies Buch ist geschrieben, um dem Praktiker die Deutung 
von Röntgenbildern zu ermöglichen. Es gibt auch An¬ 
weisungen, wann man Durchleuchtungen, wann man Aufnahmen 
vornehmen lassen soll. Besonders sei hervorgehoben, dass auch 
die übrigen Methoden der Diagnostik erwähnt werden. Nach einer 
kurzen Auseinandersetzung über das Wesen der Röntgenstrahlen 
wird die Technik der einzelnen Gebiete durchgesprochen. Dann 
werden die einzelnen Organe in klarerWeise besprochen, und zwar 
an der Hand von Originalaufnahmen der 2. med. Klinik der 
Charite Das Buch erfüllt seine Aufgabe in guter Weise und 
gibt eine schöne Einführung in das grosse Gebiet der Röntge¬ 
nologie für den Nichtspezialisten. Hervorgehoben seien die 
Kapitel über den Kreislauf und über die Lunge. 

B o e n h e i m. 

Prof. Friedrich Müller, München, z. Z. Rektor. Ober 
das Altern. Rede gehalten zum Stiftungsfest der Ludwig 
Maximilians Universität am 26. Juni 1915. Verlag von 
Johann Ambrosius Barth in Leipzig. 

Zur Zeit, da der männermordende Krieg die halbe Welt 
heimsucht und Millionen kraftstrotzender, frisch pulsierender 
Leben dahinrafft, gewinnt das Thema über den Wert der älteren 
Generation, ihre volkswirtschaftliche und nationalökonomische 
Bedeutung für den Staat erhöhtes Interesse. Hervorragende 
Männer der Wissenschaft: Ärzte und Sozialpolitiker, Hygieniker 
und Volkswirtschaftler haben in wissenschaftlich bedeutsamen 
Publikationen den Wert der älteren Individuen, ihre Leistungs¬ 
fähigkeit, ihre wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit dar¬ 
getan und zur Evidenz erwiesen, dass auch Männer über 
das jugendliche, ja selbst über das reife Mannesalter hin¬ 
aus einen grossen materiellen Wert für den Staat noch dann 
repräsentieren, wenn sie über das geschlechtsreife Alter hinaus 
für die Erhaltung der Art ihren Wert verloren haben. 

In der vorliegenden Rektoratsrede, aus der sozusagen das 
Kriegsgetöse herauszuhören ist, analysiert der bekannte 
Münchener Internist die Ursachen des Alters, die er einerseits 
auf eine Verminderung der psychischen Perzeptionsfähigkeit, 
andererseits auf eine Erschöpfung der Ernährungsfähigkeit 
und der Lebensaktion des Zellprotoplasmas zurückführt. In 
objektiver Weise sichtet er die verschiedenen, vielfach wider¬ 
sprechenden Ansichten hervorragender Forscher, wie: 
Metschnickofls, Pflügers, Rubners, Weismans, Hufelands, 
Voits, Tigertedts, du Bois’, Herbert Spencer’s, u. a. über das 
einschlägige Thema, von denen die einen das Altern vom Aus¬ 
fall das Reiuplasmas, die anderen vom Versiegen der Tätig¬ 
keit gewisser Drüsen mit innerer Sekretion ableiten. Hier und 
da taucht sogar wieder die alte mystische „Lebenskraft“ auf, 
die wohl als längst überwundener Standpunkt von keinem 
exakten Forscher ernst genommen wird. Unter dem geheimnis¬ 
vollen ,.Wachtstumstrieb 1- Pflügers und Rubners oder unter 
dem „vitalen Kapital“ Spencers, unter dem wissenschaftlichen 
Namen: „Wachstums- und Regenerationstrieb“ taucht sie in 
neuer Gewandung wieder auf. Aus dem Vielerlei der 
Meinungen zieht der Autor die Schlussfolgerung, dass die 
lebendige Substanz (Biogene) nur ein beschränktes Mass von 
Energieumwandlungen leisten könne und wenn diese Lebens¬ 
aktion der Zelle erschöpft wird, da stellt sich das Alter ein. 
— Müller verallgemeinert den Begriff des Alterns dahin, dass 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



248 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 25. 


nicht nur der Einzelmensch dem Schicksal der Altersveriiuderung 
verfällt, sondern auch ganze Geschlechter, ja ganze Völker 
altern und vergehen können. Die /.ahl der ausgestorbenen, 
ehedem blüheuden Geschlechter ist auffallend gross Zum Teil 
erklärt sich diese Erscheinung durch Inzucht, zum Teil durch 
allgemeine Kulturschäden. — Die geistreiche und streng 
wissenschaftlich gehaltene Publikation ist als wertvoller Bei¬ 
trag zu dem viel umstrittenen und jetzt sehr aktuellen Thema 
des Alterns sehr beachtenswert. A 1 1 e r t. 

Prof. Dr. med. et. philos., H. Griesbach. Die 
Physiologie und Hygiene der Ernährung In populär-wissen¬ 
schaftlicher Darstellung und die Beschaffung von Nährwerten 
im Weltkriege. Verlag von Holze & Pahl, Dresden 

In vorliegender Arbeit, die aus mehreren mit physiolo¬ 
gischen und chemischen Versuchen verbundenen Vorträgen 
entstanden ist, versucht es der Verfasser die physiologischen 
Vorgänge und hygienischen Gesichtspunkter, die bei der Volks¬ 
ernährung in Betracht kommen, in gemeinverständliche Form 
zu kleiden und im Anschluss daran auf die Bestrebungen hin¬ 
zuweisen, wie sich neue im Inlande erreichbare Quellen zur 
Beschaffung von Nährwerten erschliessen lasseu. 

In klarer und anschaulicher Art schildert er das Wesen 
der Ernährung, die für dieselbe in Betracht kommenden Stoffe 
und deren Eigenschaften, die Verarbeitung und Verwendung 
der Nahrungsmittel, den Ernährungsbedarf und die Kosten der 
durchschnittlichen und der minimalen, zur Erhaltung des 
Körpergleichgewichtes jedoch noch hinreichenden Ernährung, 
ferner die physiologische Ausnutzung, die Verdaulichkeit, die 
zweckmässige Art der Aufbewahrung und Zubereitung der 
Nahrungsmittel usw. — Ein eigenes Kapital ist der Beschaffung 
der Nährwerte im jetzigen Kriege gewidmet, wo Verfasser mit 
Rücksicht auf den durch die Absperrungspolitik der Feinde hervor¬ 
gerufenen Mangel an Rohmaterialien einen Ersatz der bisherigen 
Nahrungsmittel durch andere, im Inlaude leicht zu beschaffende, 
propagiert, die uns die Chemie und moderne Technik an die 
Hand gibt. Insbesondere weist er auf die Hefe hin, welche 
die biologische Eigenschaft besitzt Zucker in Stärke und 
stärkehaltige Substanzen wie Getreide, Kartoffeln, Mais in 
Gärung zu versetzen, uud aus Zucker, welchem Ammoniak, 
Schwefelsäure, Phosphorsäue, Magnesia, Kalk und Kali hinzu¬ 
gefügt wird, synthetisch Eiweiss aufzubauen. Die künstliche 
Beschaffung des wichtigsten aller Nährstoffe, des Eiweisses, ist 
eine der grössten Errungenschaften der modernen Nahrungs¬ 
chemie, die zum Teil die grossen Opfer wettmacht, welche der 
Krieg uns auferlegt, — Zum Schluss sagt Verfasser: Wenn 
jeder einzelne sich vornimmt an den Sparsamkeitsbestrebungen 
teilzunehmen, wenn insbesondere die wohlhabenden Volks¬ 
schichten diesem Prinzip zu Gunsten der Nichtbemittelten 
huldigen, und wenn die chemische Industrie, wie bisher fort¬ 
fährt Eiweiss und Brot indirekt aus Luft zu 
machen, daun haben wir keine Ernährungssorgen während des 
Krieges zu befürchten. 

Strenge Wissenschaftlichkeit gepaart mit klarem Sinn für 
die praktischen Bedürfnisse des Lebeus spricht aus jeder Zeile 
und Arzt wie Laie, der Staatsmann wie der Nationalökonom 
werden aus dem Buche reichliche Belehrung schöpfen. 

A 1 1 e r t. 

Dr. W. B r e h m e r. Nahruogsmittelchemiker. Wie 
ernähre ich mich gut und billig? Eine Wüidiguug unserer 
Nahrungsmittel nach ihrem Nährwert. Berthold Sturms 
Verlag. Dresden, 

Die Fortschritte, die in der Nahrungsmittelchemie in den 
letzten Jahren gemacht wurden, kommen den Laien wenig zu 
gute, weil die Publikationen meist in den ihnen schwer zu¬ 
gänglichen Zeitschriften erfolgen und überdies nur dem Fach¬ 
mann verständlich sind. Und doch ist kein Zweig der Natur¬ 
wissenschaften so sehr berufen Gemeingut des Volkes zu 
werden als die Wissenschaft vom „täglichen Brot“. — Mit 
dem vorliegenden Buche beabsichtigt nun der auf dem Gebiete 
der Nahrungsmittelchemie best bekannte Verfasser allen den¬ 
jenigen einen kurzen Leitfaden an die Hand zu geben, welche 
sich über den wahren Wert unserer Nahrung unterrichten 
wollen, aber nicht genügend Zeit haben, um die Fachzeit¬ 
schriften zu studieren. Vor anderen einschlägigen Publikationen 
zeichnet sich vorliegendes Buch in vorteilhafter Weise dadurch 


aus, dass es nicht allein die chemische Zusammensetzung der 
Nahrungsmittel beinhaltet, sondern auch die Gründe analysiert, 
welche ihre physiologische Ausnutzung und ihren Preis be¬ 
dingen. 

Vom allgemeinen Gesichtspunkte der Ernährung und des 
Bedürfnisses des Organismus an den 3 unentbehrlichen Nahrungs- 
stotten: Eiweiss, Kohlenhydraten und Fett ausgehend, bespricht 
Verfasser den Gehalt der wichtigsten Nahrungsmittel an jenen 
3 Grundstoffen uud weist an der Hand der Mitteilungen des 
Statistischen Amtes der Stadt Dresden über die Preise einzelner 
Nährprodukte nach, dass auch die billigen Nahrungsmittel 
einen bedeutenden Nährwert besitzen, und dass wir viel billiger 
leben können ohne den Körper unterzuernähren. So besitzt 
z. B. der Käse trotz seiues im Durchschnitt billigeren Preises 
einen höheren Nährwert als Fleisch. Ebenso repräsentieren 
Fische einen nahezu gleichen Eiweissgehalt wie jeues, obwohl 
sie gleichfalls billiger sind als Fleisch. —- Ohne dem streng 
vegetativen Regime das Wort zu reden, weist Verfasser nach, 
um wieviel billiger man mit Pflanzenkost leben könne, ohne 
dem Körper Abbruch zu tun, da sie alle für den Aufbau des¬ 
selben erforderliche Nährstoffe enthalten. Allerdings heisst: 
„sich ernähren“ — die genossenen Speisen an- uud umlagern. 
Im Verhältnis dieser beiden Momente liegt nun die leichtere 
und schwerere Verdaulichkeit der Nahrungsmittel und in weiterer 
Folge ihr Nährwert für den Organismus. Denn je leichter die 
genossenen Speisen umgelagert d. h. assimiliert werden, desto 
weniger Energie hat der Organismus für den Assimilations¬ 
prozess aufzubringen. 

In der ausserordentlichen Zeit, die wir jetzt durchleben, 
wo das Durchhalten mit den vorhandenen Vorräten nicht 
allein ein Gsbot individueller Opportunität, sondern auch im 
allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse gelegen ist, ge¬ 
winnt das Buch an aktueller Bedeutung, uud jeder, der an der 
Volksernähruug und dem allgemeinen Wohl während des 
Krieges mittelbar oder unmittelbar ein Interesse hat, wird das 
lehrreiche Buch mit Gewinn und grossem Genuss lesen. 

Dr. J. A. 

Dr. med. J. B. Cathomas, prakt. Arzt und Spezialarzt 
für Magen- und Darmkrankheiten in St. Gallen (Schweiz). 
Ratgeber für Magenkranke. Zweite Auflage, Verlag von H. 
Schneider & Co. St. Gallen 1915. 

Ein populär-wissenschaftliches Büchlein, das zur Aufgabe 
hat, Magenkranke über die Ursache, Entstehung und die 
wichtigsten Erscheinungen der häufigsten Magenkrankheiten 
aufzuklärcu und ihnen über die Ernährung, über die Diät, 
über die Art und Weise der Nahrungsaufnahme, über das 
Verhalten nach dem Essen und über die Therapie fach¬ 
männische Ratschläge zu erteilen. Insofern die Magenfunktion 
bei allen organischen Erkrankungen mehr oder weniger ge¬ 
stört ist, hat das Buch auch für Nichtmagenkranke einen 
Wert, bei denen eine rationelle Ernährung eine raschere 
Rekonvaleszenz ermöglicht. 

Ohne den Wert des Buches schmälern zu wollen, möchte 
ich darauf hinweisen, dass derartige populär-wissenschaftliche 
Publikationen vielfach ihren Zweck verfehlen, insofern sie dem 
Laien, dem ja in medizinischen Dingen die kritische Eiusicht 
abgeht, allerhand Krankheiten suggerieren, andererseits ihn 
mit Umgehung des Arztes zu eigenmächtiger Behandlung ver¬ 
leiten, wodurch er sich natürlich mehr schadet als nützt. 
Wohl hebt Verfasser im Vorwort ausdrücklich hervor, dass 
das Buch keineswegs den Arzt ersetzen soll, gleichwohl wird 
er es nicht verhindern können, dass der Leser aus dem Buche 
die Konsequenzen zieht und sich von allen Krankheiten be¬ 
fallen glaubt, die er darin vorfiudet — eine Tatsache die 
jeder Arzt aus eigener Erfahrung bestätigen kann. — Recht 
eindringlich und wiederholt hebt Verfasser hervor, dass mehr 
als bei allen anderen Krankheiten — bei Magenaffektionen 
ärztliche Hilfe unentbehrlich ist, weil keine andere Krank¬ 
heit so individuell behandelt werden muss und die Schablone 
nicht verträgt wie diese. Den bescheidenen Zweck ein Ratgeber 
für Magenkranke zu sein, erfüllt das Buch in hinlänglichem 
Masse und es sei solchen, die die Selbstzucht, besitzen das 
Buch bloss als Behelf zur Orientierung und Aufklärung, nicht 
aber als Ersatz für den Arzt zu betrachten — zur Lektüre 
empfohlen. —rL 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





33. Jahrgang. 


iöiii/ig. 


Tortscbrim der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Tathmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Erscheint am IO., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Nr, 26 jj Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H , Berlin NW. 87. — Alleinige Inseratenannahme durch 
Getsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


20. Juni. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Ueber Nephritis bei Kriegsteilnehmern. 

Von Dr. v. C r i e g e r n - Hildesheim, zurzeit Regimentsarzt eines 
Infanterie-Regimentes. 

Eine Veröffentlichung von A1 b u und Schle¬ 
singer in Nr. 6 der Berl, Klin. Woch. von 1916 über 
N'ierenerkrankungen von Kriegsteilnehmern veranlasst 
mich, zu dem gleichen Thema das Wort zu ergreifen. 
An und für sich ist ja die Tätigkeit als Truppenarzt 
nicht geeignet, klinisch wertvolle Beobachtungen zu 
machen, da schwerere Fälle an Feldlazarette abzugeben 
sind und auch leichtere keine eingehende Überwachung 
nach modernen Grundsätzen gestatten, sondern der Dienst 
gebieterisch die Beschränkung auf schleunigste Wieder¬ 
herstellung verlangt. Besonders eignen sich Nieren¬ 
erkrankungen, die als solche erkannt sind, durchaus nicht 
zur Weiterbehandlung bei der Truppe. Sie erlauben nur 
die Aufnahme von Augenblickseindrücken, und mit sol¬ 
chen allein ist niemandem gedient. Aber ich verfüge 
über 3 Sektionsfälle, welche im Leben nicht den Ver¬ 
dacht einer Nephritis erweckt haben, unter sich einander 
ausserordentlich ähneln, viel auffällig von dem abweichen¬ 
des bieten, was wir in Friedenszeiten zu sehen gewohnt 
sind und sich vor allem an die Albu-Schlesinger- 
schen sowie meine eigenen Gesamteindrücke so sehr an- 
schliessen, dass sie doch ein gewisses Interesse über den 
Rahmen des Truppenteiles selbst hinaus beanspruchen 
dürften. 

Meine Erfahrungen beziehen sich ausschliesslich auf 
den Osten. Da wird von allen Truppenärzten meines 
Gesichtskreises der Eindruck eines gehäuften Auftretens 
von Nierenerkrankungen geteilt, ebenso wie der eines 
ungewöhnlichen Verlaufes. Besteht hierin Übereinstim¬ 
mung, so keineswegs über die mögliche Ursache Nur 
war sicher bereits im vorigen Winter eine gewisse Ver¬ 
mehrung bemerklich, wenn auch in geringerem Grade, 
als im gegenwärtigen, im Sommer dagegen eine deutliche 
Abnahme. Darüber hinaus hört aber die Möglichkeit 
auf, etwas Bestimmtes zu sagen. Einige halten nass¬ 
kaltes Wetter, andere gerade die trockene grosse Kälte 
für gefährlich; Unregelmässigkeiten der Lebensweise 
haben ja zweifellos alle zu ertragen gehabt. Salzreiche 
wie im Gegenteil salzarme Kost sind angeschuldigt wor¬ 
den ; der Genuss von Konserven und von rohen Gemüsen, 
speziell ungekochten Kartoffeln und Rüben; natürlich 
fehlt es auch nicht an Stimmen, die den Alkoholgenuss 
angeschuldigt haben. Selbstverständlich trifft von alledem 
etwas zu, da die gerügten Diätfehler häufig genug vor- 
gekomrnen sind, und es keine Schwierigkeiten macht, 
sie sowohl bei Erkrankten als auch bei gesund Geblie- 

Digitized by Google 


benen nachzuweisen. Mir scheint nur eine gewisse Unter¬ 
ernährung auffällig, die ich in einer Anzahl von aus 
verschiedenen Gründen vorgenommenen Sektionen (12 
ausser den hier verwerteten) nachweisen konnte. Es 
fand sich das Unterhautfett sowie das Fett im Mesen¬ 
terium und Omentum als auch der Nierenkapsel völlig 
oder fast völlig geschwunden, während die Muskulatur 
einen befriedigenden Zustand autwies. Wenn solche 
Leute nun noch blutreich waren, so musste man sie als 
übertrainiert bezeichnen. Indessen bedeutete das doch 
auch wieder eine Schwächung, denn sie waren gegen 
Blutverluste weniger widerstandsfähig, als wir es in den 
Zeiten sehr reichlicher Ernährung gesehen hatten. Waren 
solche Leute nun auch noch anämisch, so schienen sie 
uns auch von den landesüblichen Erkrankungen der Ver¬ 
dauungsorgane und der Respirationsorgane besonders 
schwer angegriffen zu werden und gegen Erfrierungen 
wenig widerstandsfähig zu sein. 

Erkrankungen der Verdauungsorgane waren häufig, 
besonders Diarrhöen ohne und mit Biutabgang haben bei 
weitem die meisten durchgemacht. Aber auch Erkran¬ 
kungen der Respirationsorgane. Meist waren sie nicht 
schwer, aber ungewöhnlich hartnäckig. Die Tonsillen 
waren selten stark mitbeteiligt, meist nur so, dass man 
eben bei sehr sorgfältiger Untersuchung eine Kleinigkeit 
bemerken konnte. Schwere Infektionen waren sehr sei 
teil, auch die Blutdiarrhöen hatten meist keinerlei Ruhr¬ 
bazillen. Prophylaktischen Impfungen gegen die ver¬ 
schiedenen Infektionen waren die Leute in bekannter 
Weise unterworfen worden. Geschlechtskrankheiten 
spielten keine Rolle. 

So fliessen verschiedene Ursachen zusammen, denen 
man schon im ganzen oder auch im einzelnen einen Ein¬ 
fluss auf die Entstehung von Nephritis Zutrauen könnte. 
Aber ich möchte mich doch hüten, damit schon die Reihe 
der zum „Status castrensis“ führenden Einwirkungen für 
erschöpft zu halten im Hinblick auf den sehr häufigen 
Befund eines Milztumors sowohl beim Lebenden als in 
der Leiche. (Die gesprächsweise hin und wieder gehörte 
Meinung, dass dieser mit den vorausgegangenen Schutz¬ 
impfungen zusammen hängen konnte, möchte ich nicht 
teilen im Hinblick auf die Tatsache, dass ich ihn bei 
einem Verunglückten angetroffen, noch in der ersten 
Hälfte des Krieges, der zufällig den Impfungen ent¬ 
gangen war.) Man kann hier wohl noch die Schwellung 
der mesenterialen Lymphdrüsen anfügen, die mir auch 
fast regelmässig bei Obduktionen begegnet ist. Es kann 
doch noch eine bisher nicht zu fassende Ursache mit¬ 
spielen. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







250 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. Nr. 26 . 


Die Eigentümlichkeit der nicht zur Autopsie gekom¬ 
menen, nur ganz kurz beobachteten Fälle besteht in 
einer merkwürdigen Unbestimmtheit der Symptome. Die 
subjektiven Klagen weisen durchaus nicht auf die Niere 
hin. Am verlässlichsten ist noch die Klage über grosse 
Mattigkeit: sie gab uns seit langem Veranlassung zur 
Untersuchung des Urins. Manchmal fand sich Eivveiss 
sofort, manchmal auch erst nach einigen Tagen, manch¬ 
mal viel, manchmal wenig, oft verschwand es so rasch 
wieder, dass Nachuntersuchern an anderer Stelle die ge¬ 
stellte Diagnose zweifelhaft wurde. Ödeme waren sehr 
inkonstant; selten ausgebreitet und hartnäckig, meist ge¬ 
ringfügig, oft sonderbar lokal beschränkt; oft fehlten sie. 
Es ist zweifelhaft, ob Ödeme ohne Eiweissbefund im 
Urin hierher zu rechnen waren. In einigen Fällen sicher, 
wie die Nachuntersuchung im Feldlazarett u. dgl. ergeben 
hat. In anderen wohl nicht; speziell wurden unter dem 
örtlichen Einfluss der Kälte Ödeme beobachtet, welche 
eine besondere Form der Erfrierung darzustellen schienen, 
ohne Hautröte. Über den mikroskopischen Urinbefund 
konnten wir bei der Truppe keine Erfahrungen sammeln, 
ebensowenig genaue Messungen der Urinmenge vor¬ 
nehmen. Der Angabe einer verminderten Urinausschei¬ 
dung begegneten wir nur sehr vereinzelt in Fällen star¬ 
ken Ödems. Dagegen scheint Polyurie auffallend oft 
vorgekommen zu sein. Aber schon hier macht sich der 
Mangel der stationären Beobachtung geltend, da nervöse 
und reflektorische Polyurie und Pollakisurie in der Kälte¬ 
periode geläufige Dinge waren, gegen die natürlich 
solche Angaben hätten abgegrenzt werden müssen. 
Urämischen Symptomen sind wir kaum begegnet, nicht 
einmal Kopfschmerz ist so hervorgetreten, dass man da¬ 
mit hätte in der Diagnostik etwas anfangen können. 
Noch viel weniger ist über die Mitbeteiligung des Ge- 
fässapparates zu sagen, da funktionelle Beschwerden 
seitens desselben im Felde ausserordentlich häufig sind, 
teils mehr im Typus des Thyreoidismus, teils mehr vom 
Charakter der Neurasthenie. Im Anfang konnte ich mit 
dem Herzschen Apparat mitunter mässige Blutdruck¬ 
steigerungen nachweisen ; später ging derselbe zu Bruch 
und konnte nicht ersetzt werden. Aber mässige Blut¬ 
drucksteigerungen werden auch ohne Nephritis oft ge¬ 
nug beobachtet. Deutliche Vergrösserungen des Herzens 
sind sicher Seltenheiten. 

Es muss zugestanden werden, bei so wenig ausge¬ 
sprochenen Symptomen ist die Diagnose der Nephritis 
mitunter eine recht prekäre Sache, und wir waren uns 
Monate lang doch nicht recht im klaren, ob alles, was 
wir unter diesem Rubrum führten, auch wirklich dahin 
gehörte. Erst die gleichlaufenden Erfahrungen anderer 
Truppenteile gaben uns mehr Zuversicht. Und noch 
weiter wirkt die Unsicherheit Ich kann nicht sagen, 
haben wir akute oder subchronische Fälle vor uns ge¬ 
habt. Für mich neigt sich die Wagschale sehr zugunsten 
einer ganz allmählichen schleichenden Entstehung. Wenn 
man eine Anamnese bekam, deö man etwas Zutrauen 
konnte, so wies sie doch am stärksten auf oft Monate 
weit zurückliegende Erkrankung an Durchfall u. dgl. hin, 
von der sich der Betreffende nicht recht erholt haben 
oder seit der er anfällig geblieben sein wollte, während 
vorausgegangene Anginen, wenn überhaupt, nur selten 
und dann auch meist weit zurückliegend ermittelt wer¬ 
den konnten. 

So kann ich von dem allgemeinen Teile scheiden, 
indem ich zusammenfasse: es traten in der rauheren 
Jahreszeit gehäuft sehr schleichende Nephritiden auf, von 
mildem Charakter, wenig ausgeprägten, wechselnden 
Symptomen, auf dem Boden eines „Status castrensis - “, 
an dessen Zustandekommen neben mancherlei anderem 
eine gewisse Unterernährung beteiligt war. Eine Gefahr 
lag in dem sehr schleichenden Verlauf, weil infolge da¬ 
von die Möglichkeit der Vernachlässigung bestand, um 

Digitized by Google 


so mehr, als herzhafte Leute reinen Ermüdungssym¬ 
ptomen nach Anstrengungen und Entbehrungen wenig 
Bedeutung beimessen. So kamen denn die Kranken 
meist dann in Behandlung, wenn sie sich irgend einer 
Sache nicht mehr gewachsen fühlten oder infolge zu¬ 
fälliger anderer Erkrankung; manche mögen überhaupt 
fern geblieben sein. 

Nun zu den Sektionsfällen selbst: I. Ersatzreservist 
G., 32 Jahre alt (im Zivil Ingenieur). Bei der Ablösung 
seines Truppenteiles aus dem Schützengraben am 15. De¬ 
zember 15 bei starkem Frost machte er den Eindruck 
eines schwer Betrunkenen, roch nach Alkohol, schwankte 
beim Gehen und lallte beim Sprechen. Er gab zu, dass 
er Schnaps getrunken habe, bestritt aber, dass es viel 
gewesen sei. Er musste geführt werden, verlor aber 
schliesslich vollständig die Herrschaft über sich und war 
nicht mehr fortzubringen. Auf Anordnung eines be¬ 
gegnenden Arztes ward er gut in Decken gehüllt auf 
einem Wagen der Revierstube zugeführt und kam dort 
nach 10 Uhr abends als Leiche an. Erbrochen hat er 
nicht. 

G. war ein schwächlicher Mensch, 183 cm gross, bei 
78/76 cm Brustumfang. Im Felde war er seit dem 
21. Januar 15; der Dienst hat ihn stets sehr angestrengt. 
Vom 10. März bis 10. Mai 15 hat er wegen einer Haut¬ 
krankheit in einem Reservelazarett gelegen, sonst ist 
nichts über frühere Krankheiten zu ermitteln gewesen. 
Am Morgen seines Todestages hat er viel über Mattig¬ 
keit geklagt, sich aber nicht krank gemeldet. Am Tage 
vor seinem Tode hat er von zu Hause Schnaps (Kognak¬ 
verschnitt und Magenbitter) erhalten und davon reichlich 
getrunken, wieviel, liess sich nicht feststellen, doch ge¬ 
wiss nicht mehr, als auch sonst einmal von einem Sol¬ 
daten ohne Schaden getrunken wird. Auch andere 
haben von den Schnäpsen, allerdings weniger, ohne Nach¬ 
teil genossen. 

Die Obduktion fand am 16. Dezember statt. Aus 
dem Protokoll ist folgendes mitzuteilen; 

a) Totenstarre noch nicht gelöst. Kleidung stark 
von Urin durchfeuchtet. Zahlreiche Kratzeffekte an der 
Haut. Ödem des Unterhautbindegewebes: ca. hand¬ 
tellergross an den Streckseiten beider Unterarme; an 
den Streckseiten beider Unterschenkel von der Mitte bis 
oberhalb der Fussgelenke ; am Hodensack nur sehr ge¬ 
ring. Muskulatur leidlich entwickelt, braunrot; Unter¬ 
hautfett fehlt fast vollständig. 

b) Kopfsektion : bis auf Gehirnödem leichten Grades 
ohne Interesse. 

c) Brustsektion: Pleuren frei; an den Lungen 
mässiges Emphysem; auf beiden Spitzen alte schiefrige 
Indurationen; beiderseits einige bis bohnengrosse schief¬ 
rige Drüsen am Hilus. Atmungsorgane sonst ohne Be¬ 
sonderheit. Schilddrüse o. B. Thymus geschwunden. 

Herzbeutel sehr fettarm, enthält ca. 2 Esslöffel dun¬ 
kelgelbe Flüssigkeit. Das Herz erreicht noch nicht die 
Grösse der Faust der Leiche; beide Ventrikel im Zu¬ 
stande der Kontraktion, aber nicht leer, in den Vorhöfen 
reichliches flüssiges Blut, Muskulatur derb, bräunlich 
rot. Endokard glatt und spiegelnd, der Klappenapparat 
zart und schlussfähig, Epikard glatt und spiegelnd, 
der Gefässapparat zart und durchgängig: das subepikar¬ 
diale Gewebe ist am rechten Ventrikel von gelatinöser 
Beschaffenheit. — Aorta o. B. — Aus den grossen Venen 
fiiesst sehr reichliches flüssiges Blut. 

d) Bauchsektion: Situs normal; Netz und Mesen¬ 
terium fettfreie, durchsichtige Membranen. Sehr zahl¬ 
reiche bis haselnussgrosse ziemlich derbe Mesenterial¬ 
drüsen. Magen klein, enthält zirka 30 ccm einer schlei¬ 
migen, schokoladefarbenen Flüssigkeit, die säuerlich und 
nach Rum riecht. Schleimhaut nicht gefault, glatt, 
glänzend, hellfarbig; in ihr zahlreiche hellrote bis 
schwarzrote Flecken, die sich nicht abwischen lassen 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 26 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


251 


(Schleimhautblutungen). Darm teilweise hyperämisch, 
sonst o. B. 

Leber blutreich, sonst o. ß. Gallenwege, Pfortader, 
Pankreas o. B. 

Milz etwas vergrössert, Kapsel leicht verdickt, Blut¬ 
gehalt reichlich. 

Beide Nieren sind gleichartig, Die Fettkapsel ist 
fast vollständig geschwunden ; die bindegewebige Kapsel 
haftet stellenweise etwas an. Einzelne venulae stellatae 
Verheyenii. Blutgehalt mittel, eher reichlich. Grösse 
annähernd normal. Die Rinde ist blutarm, graugelb und 
trübe, zirka 5 — 6 mm breit; die Grenzschicht ist infolge 
starker Füllung der vasa recta hyperämisch. Marksub¬ 
stanz und Pyramiden frischrot, anscheinend normal. — 
Ableitende Harnwege ohne Besonderheit, Blase leer. 

Nebennieren o. B. 

e) Diagnose: Fettige Entartung der Nierenrinde. 
Alkoholvergiftung. 

Dieser Fall erregte so sehr unser Erstaunen, dass 
mit der Möglichkeit des Vorliegens einer Vergiftung 
gerechnet wurde. Wenn auch die Niere erkrankt und 
in der Leiche einiges Ödem gefunden worden war, so 
schien doch die Schwere des Leidens ausser Verhältnis 
zu dem schlimmen Verlauf zu stehen. Es wurden daher 
Leichenteile (Niere und Magen), sowie Mageninhalt und 
Blut an die zuständige Untersuchungsstelle eingesandt. 
Von dieser ist eine sehr eingehende Untersuchung zu¬ 
nächst des Msgeninhaltes auf Gifte vorgenommen worden. 
Aus dem darüber erstatteten Gutachten seien folgende 
Sätze des Abschlusses mitgeteilt: 

„Die chemische Untersuchung der Leichenteile hat 
keine Anhaltspunkte dafür gegeben , dass der Soldat 
G. durch eines der bekannteren und leichter zugäng¬ 
lichen Gifte zu Grunde gegangen ist. Es wurden ledig¬ 
lich geringe Mengen Alkohol in den Leichenteilen er¬ 
mittelt, die nach dem qualitativen Ausfall der Jodo¬ 
formreaktion in Gemeinschaft mit dem spez. Gewicht 
auf zirka 3 gr berechnet auf die Gesamtmenge der 
eingesandten Leichenteile, geschätzt wird. 

Es ist im vorliegenden Falle zu berücksichtigen, ob 
die eingesandten 40 gr Mageninhalt nur einen Bruch¬ 
teil des gesamten, in der Leiche Vorgefundenen Magen¬ 
inhaltes darstellt; dementsprechend müsste die ermittelte 
Menge von Alkohol auf die Gesamtmenge Mageninhalt 
noch berechnet werden. Ebenso muss darauf hinge¬ 
wiesen werden, dass die Möglichkeit des Vorhanden¬ 
seins von Alkohol auch in den übrigen Organen be¬ 
steht, da der Alkohol vom Magen aus ins Blut geht 
und sich dann bald gleichmässig an alle Organe ver¬ 
teilt.“ gez. Schmidt. 

Eingesandt waren 260 gr Blut. Der eingesandte 
Mageninhalt war der gesamte überhaupt vorhandene. 
Die ausdrückliche Angabe liegt vor, dass der Ver¬ 
storbene nicht erbrochen hatte. Macht man die wohl 
kaum zulässige Annahme, dass die vom Untersuchungs¬ 
amt gefundenen 3 gr Alkohol ein Zehntel des im Körper, 
in den Organen verteilt gewesen sind, so würde immer 
erst die Hälfte der bekannten, von Taylor als unterste 
tötliche Dosis für den Erwachsenen angegebenen heraus¬ 
kommen. 

Danach ist der zunächst aufgetauchte Verdacht auf 
eine Vergiftung durch ein zufällig in den genossenen 
Schnaps gelangtes Gift abzulehnen. Auch die Annahme, 
dass die Menge des genossenen Schnapses schon an 
und für sich eine tötliche gewesen wäre, lässt sich nicht 
halten. Da aber dem Tode G.’s als letzter äusserer Anstoss 
der Genuss von Alkohol vorausging und G. im Rausche 
starb, so bleibt nur übrig, dass die an sich (beim ge- 
sundenen Erwachsenen) nicht tötliche Alkoholmenge 
letal gewirkt hat, weil G. bereits organisch erkrankt 
war. 

Die mikroskopische Untersuchung der eingeschickten 

Digitized by Google 


Organe ist durch ihren Zustand erschwert worden, (zur 
Konservierung stand nur schlechter Spiritus, zum Trans¬ 
port nur schlecht schliessende Gefässe zur Verfügung). 
Aus dem Bericht interessiert hier: 

„Im allgemeinen lässt sich feststellen, dass die Epi- 
thelien der Nierenrinde, teilweise dissoziiert, sehr un¬ 
regelmässig gestaltete, schlecht färbbare Kerne haben; 
im Innern der Kanälchen liegen zerfallene Zellen und 
Detritusmassen, ab und zu hyaline Zylinder. Im 
grossen und ganzen entspricht das mikroskopische 
Bild dieser Teile dem einer subakuten, tubulären, dege- 
nerativen Nephritis. — Von den geraden Kanälchen 
sind die schmalen Teile der Schleifenschenkel relativ 
gut erhalten, kernreich, während die breiten Teile den 
Rindenzellen in ihrem Verhalten entsprechen. Die 
arteriellen Gefässe sind sehr verdickt, insbesondere die 
Intima, die auch an den verschiedensten Stellen Ver¬ 
kalkungen darbietet. Die Glomeruli sind im grossen 
und ganzen unverändert. 

In der Magenschleimhaut sind die oberen Schichten 
zellig infiltriert, die Drüsenepithelien teilweise gerunzelt 
und abgestossen, die Kapillaren reichen hier und da 
sehr stark erweitert bis fast an die Oberfläche; wie 
weit die Epithelverluste auf der Oberlläche auf cada- 
veröse Veränderungen zurückzuführen sind, lässt sich 
kaum entscheiden. Die tieferen Drüsenschichten er¬ 
scheinen durchaus normal, jedenfalls liegen schwere 
Verätzungen der Schleimhaut nicht vor. 

gez. K a i s e r 1 i n g. 

Also hat die abschliessende Diagnose zu lauten auf 
subakute tubuläre degenerative Nephritis. Plötzlicher 
Tod nach Alkoholexzess. 

Nur wenige Tage später kam der zweite Fall zur 
Beobachtung. 

II. F., Musketier, im Zivil Landwirt. Am 25. De¬ 
zember fand die Ablösung seines Truppenteiles aus der 
gleichen Stellung, wie in Fall I statt. F. hatte am 24. 
von zu Hause Rum bekommen, davon mehrmals ge¬ 
trunken, besonders am 25., auch anderen davon abge¬ 
geben, die ihn ohne Schaden, allerdings in geringerer 
Menge, als F. selbst, genossen haben. Bereits im 
Schützengraben machte er auf die Umgebung den Ein¬ 
druck eines Betrunkenen, er beteiligte sich aber an der 
Ablösung. Auf dem Marsche blieb er infolge von Er¬ 
müdung im Schneesturm gegen 6 Uhr 30 nachmittags 
zurück, musste gesucht und, da er sich bereits nicht 
mehr aufrecht erhalten konnte, auf einer Krankentrage 
nachbefördert werden. Er schob seinen Zustand der 
Begleitung gegenüber auf den genossenen Rum. Unter¬ 
wegs hat er mehrmals erbrochen. Im Revier der Truppe 
kam er bereits in sterbendem Zustande an und erlag 
allen angewendeten Massnahmen zum Trotz gegen 11 Uhr 
abends. F. war erst am 29. Oktober bei der Truppe 
eingetroffen, er war 164 cm lang, schwächlich und hatte 
ein „anämisches“ Geräusch am Herzen. Über frühere 
Erkrankungen liess sich nichts ermitteln; nach Aussage 
seiner Umgebung soll er gern etwas getrunken haben. 

Die Obduktion fand am 27. Dezember statt. Aus 
dem Protokoll ist folgendes von Bedeutung : 

a) Totenstarre gelöst. Am Mund angetrocknete 
missfarbige Reste von säuerlichem Geruch. An der Haut 
einzelne Kratzeffekte. Muskulatur nur mässig entwickelt, 
hellrot gefärbt; das Unterhautfett ist bis auf wenige 
ziegelrote 1 ) Träubchen geschwunden. 

b) Kopfsektion: die harte Hirnhaut haftet zum 
grossen Teil der Schädelkapsel fest an, deren tabula 
vitrea nicht durchsichtig, sondern weiss, wie mit Zucker 

') Die Färbung des Fettes dürfte aus der Nahrung stammen; 
z. B fand Löh lein den Farbstoff des Palmöles im Fett des von 
ihm sezierten Negers wieder. Es sind ja häufiger Fette genossen 
worden, die sonst für die menschliche Ernährung seltener in Betracht 
I kamen. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



252 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 26. 


bestreut ist. Ausserdem zeigen sich auf der harten 
Hirnhaut vielfach braune Auflagerungen, die man in 
Form eines Häutchens abziehen kann. (Pachymenengitis 
externa haemorrhagica und ossificans.) Sonst ausser 
leichtem Gehirnödem nichts von Interesse. 

c) Brustsektion; Respirationsorgane, Schilddrüse usw. 
ohne Besonderheiten. Pleuren leer. 

Herzbeutel fettarm, mit zirka 00 bis 80 ccin bern¬ 
steingelber Flüssigkeit gefüllt. Das Herz übertrifft etwas 
an Grösse die Faust der Leiche, es enthält nur mässig 
reichliches, mit Gerinseln untermischtes Blut. Der rechte 
Ventrikel ist schlaff, der linke im Zustande der Kon¬ 
traktion. Die Muskulatur ist rot gefärbt und weich. 
Das Endokard ist glatt und spiegelnd. Der Klappen¬ 
apparat ist zart und schlussfähig. Das Epikard ist glatt 
und spiegelnd. Der Gefässapparat ist zart und durch- 
gängig. — Die Intima der Aorta zeigt oberhalb der 
Klappen einige leichte Verfettungen. Aus den grossen 
Venenstämmen lliesst mässig viel Blut. 

d) Bauchsektion : die Bauchhöhle ist frei, der Situs 
normal. Netz und Mesenterium sind spinnwebartige 
Membranen, in denen sich nur einzelne Träubchen 
ziegelroten Fettes finden. Die Mesenterialdrüsen zirka 
bohnengross, graurot, ziemlich fest. 

Der Magen ist normal gross und enthält etwas 
gallig-schleimigen Inhalt, der nicht nach Alkohol riecht. 
Die Schleimhaut ist glatt und blass; im Verlauf der 
grossen Kurvatur finden sich mehrere, bis linsengrosse, 
bräunlich- bis schwärzlichiote Flecken, über denen die 
spiegelnde Schleimhaut fehlt. Darm teilweise hyperä- 
misch, sonst o. B. 

Leber, Gallenwege, Pfortader und Pankreas o. B. 

Die Milz ist etwa um ein Drittel vergrössert, die 
Kapsel gerunzelt, die Konsistenz zähe, der Blutgehalt 
gering. Auf dem Durchschnitt ist das bindegewebige 
Stützgerüst vermehrt, die Follikel sind grau und ver¬ 
grössert. 

Beide Nieren sind gleichartig. Das Fett der Fett" 
kapsel ist stark geschwunden, von ziegelroter Färbung- 
Die bindegewebige Kapsel haftet stellenweise etwas an- 
Einzelne venulae stellatae Verheyenii. Grösse annähernd 
normal; Blutgehalt reichlicher als in den anderen Or¬ 
ganen. Die Rinde ist graugelb und trübe, zirka 6 mm 
breit; die Grenzschicht infolge von starker Füllung der 
vast) recta hyperämisch. Marksubstanz und Pvramiden 
frischrot, anscheinend normal. — Ableitende Harnwege 
ohne besonderen Befund; die Blase ist stark gefüllt mit 
klarem Urin. 

Nebennieren regelrecht. 

e) Diagnose: Fettige Entartung der Nierenrinde. 
Alkoholvergiftung. 

Von den Nieren konnte eine mikroskopische Unter¬ 
suchung vorgenommen werden, allerdings war der Er¬ 
haltungszustand des Präparates aus demselben Grunde, 
wie bei dem vorigen Falle, nicht mehr ganz befriedigend. 
Doch liess sich feststellen, dass es sich um eine sehr 
ausgebreitete Erkrankung der gewundenen Harnkanälchen 
handelte, deren Epithel stark von Körnchen und hell¬ 
glänzenden Fetttröpfchen erfüllt war. Nur selten fanden 
sich zwischen den Epithelzellen einzelne Leukozyten. 
Einzelne Glomeruli fielen durch ihre Grösse auf, die in 
der Hauptsache durch Vergrösserung und Vermehrung 
der die Schlingen bedeckenden Epithelien bedingt war. 
Die Epithelien der Kapseln waren gleichfalls gequollen 
und verfettet. Die Gefässschtingen enthielten sehr spär¬ 
liche rote Blutkörperchen, meist war kein Lumen zu er¬ 
kennen. Es überwogen indessen weit die unveränderten 
Glomeruli. Im Ganzen war der Prozess bei weitem am 
ausgeprägtesten an den Harnkanälchen der Rinde. Mehr 
nach den Pyramiden zu waren blutgefüllte Gefässe zu 
erkennen, doch auch hier waren in den geraden Harn¬ 
kanälchen einzelne Epithelien mit Fetttröpfchen und 


Körnchen erfüllt. Im ungefärbten Präparat fanden 
sich mehrfach Kristalle vom Aussehen des oxalsauren 
Kalkes. 

Dadurch war also die makroskopische Diagnose be¬ 
stätigt. Es handelte sich um fettige Entartung der 
Nierenrinde und zwar um eine vorwiegend tubuläre. 

Die zweite Diagnose des Falles lautet auf Alkohol¬ 
vergiftung. Nach der Anamnese müsste es eine akute 
gewesen sein. Da ist nun ebenso, wie im ersten Falle, 
zu erwägen, ob die genossene Alkoholmenge eine absolut 
tötliche gewesen ist. Dieses Mal wurde das Unter¬ 
suchungsamt nicht wieder in Bewegung gesetzt. Der 
Kranke hatte erbrochen, der Mageninhalt roch nicht 
mehr nach Alkohol, es bestand wenig Aussicht auf ein 
lohnendes Ergebnis der näheren Untersuchung. So ist 
man auf die Angaben der Umgebung angewiesen. Der 
war es in beiden Fällen unbegreiflich, dass ein so „ge¬ 
ringes Quantum“ einen Menschen getötet haben sollte. 
Ein zurückgebliebener geringer Rest war unverdächtig, 
es handelte sich anscheinend um billigen Rum ; ein zu¬ 
gemischtes Gift kam demnach auch hier nicht in Frage. 
Die abschliessende Diagnose musste also wie im ersten 
Falle lauten: vorwiegend tubuläre, degenerative Nephritis. 
Tod nach Alkoholexzess. 

Man könnte nun eine solche Veränderung der Nieren¬ 
rinde wohl einem chronischen Abusus spirituosorum Zu¬ 
trauen. Doch steht dem entgegen dass die Truppe seit 
Monaten bis etwa gegen Mitte Dezember hin, nicht in 
der Lage war, sich Alkoholika in nennenswerter Menge 
zu beschaffen. Aber zweifellos wird man die Mitwirkung 
der Kälte nicht zu gering anschlagen dürfen. Aus der. 
mitgeteilten Anamnesen geht zwar hervor, dass von Er 
frierungen der beiden Leute nicht die Rede sein kann, 
aber sie hatten doch in den letzten Tagen vor dem Tode 
viel unter der herrschenden Kälte zu leiden. Während 
die Umgebung die Einwirkung des Alkohols als sehr 
unschuldig beurteilte, gab es Stimmen, welche die beiden 
Todesfälle als Erschöpfung durch die mehrtägige Kälte 
ansahen. Ohne Sektion hätte man also sehr schwanken 
können, welchem von beiden Faktoren die Schuld zu¬ 
zuschieben wäre. 

Um so einfacher ist die Beurteilung des Falles III, 
bei dem die Mitwirkung des Alkohols ausscheidet. Mus¬ 
ketier H., 22 Jahre alt, im Zivil Kontorist, war erst seit 
1 . Dezember 1915 bei der Truppe, ein schwächlicher 
Mann, der im Dienst leicht ermüdete. Über frühere Er¬ 
krankungen ist nichts bekannt geworden. Am 16. Ja¬ 
nuar 1916 war er zum Essen fassen gegangen und wurde 
zirka 5 Uhr nachmittags durch einen Kameraden ge¬ 
stützt zurückgebracht. Er erklärte, seit einigen Stunden 
Kreuzschmerzen und Mattigkeit in den Beinen zu haben. 
Im Sanitätsunterstande erholte er sich bald wieder, ass 
und scherzte. Dann schlief er bis gegen 4 Uhr morgens, 
erwachte, unterhielt sich und schlief w-ieder ein. Um 
6 Uhr versuchte man vergeblich ihn zu wecken, der 
Puls war auffallend klein, das Bewusstsein kehrte nicht 
zurück und trotz aller angewandten Gegenmassnahmen 
starb H. nach 2 Stunden. Er hatte nicht erbrochen. 

Die Sektion fand am 19. Januar statt; aus dem 
Protokoll ist Nachstehendes hervorzuheben; 

a) Knochenbau mit den Zeichen überstandener Ra¬ 
chitis ; Muskulatur und Fettpolster mässig entwickelt. 
In einem am Unterschenkel angelegten Einschnitt sammelt 
sich in kurzer Zeit etwas gelbliche Flüssigkeit an. ln 
beiden Leistengegenden bindegewebig indurierte Drüsen. 
Keine Narbe am Penis. Kleidung durch Stuhlgang ver¬ 
unreinigt. 

b) Kopfsektion. Ausser geringfügigem Gehirnödem 
nichts Bemerkenswertes. 

c) Brustsektion. Pleuren leer. Herz liegt breit 
vor. Atmungsorgane, Schilddrüse, Thymus: nichts be¬ 
sonderes. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


Nr. 26. 


253 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Herzbeutel: enthält zirka 4 ccm gelblicher Flüssig¬ 
keit. Perikard und Epikard glatt und spiegelnd. Ge- 
t'ässapparat zart und durchgängig. Das Herz ist etwa 
ntaderthalbmal so gross als die Faust der Leiche. Die 
Vergrösserung betrifft ganz überwiegend den linken 
Ventrikel, dessen Wandung besonders dick, fest und 
derb ist. Das Myokard ist fleischrot mit eingesprengten 
trüberen, fast lehmfarbigen Flecken. Die Höhlen sind 
weit, sie enthalten flüssiges Blut und spärliche Fett- 
gerinsel. Endokard glatt und spiegelnd. Klappenappa¬ 
rat zart und schlussfähig. - Die grossen Venen ent¬ 
halten reichlich Blut. 

d) Bauchsektion. Situs normal. Fettgehalt von 
Mesenterium und Omentum gering: einzelne alte Adhae- 
sionen; Mesenterialdrüsen bis bohnengross, blassrot. 

Der Magen ist kontrahiert und enthält wenig säuer¬ 
lich riechenden Schleim. Schleimhaut glatt und glänzend; 
sie enthält einzelne ganz kleine Blutaustritte. Darm 
o. B. 

Fettleber-, Gallenwege, Pfortader und Pancreas 
o. B. 

Die Milz ist etwas grösser als gewöhnlich, aber nach 
Form, Farbe und Zeichnung regelrecht. 

Beide Nieren sind gleichartig, etwas kleiner als 
normal, an der Oberfläche gelappt. Die Fettkapsel ist 
fettarm, die bindegewebige Kapsel stellenweise etwas 
adhaerent. Auf dem Durchschnitt ist die Rinde blut¬ 
arm, graugelb, etwas trübe und verschieden breit, im 
ganzen wohl etwas verschmälert. Marksubstanz und 
Pyramiden sind frischrot, nach den Spitzen der Pyra¬ 
miden zu heller ; beiderseits sind in einzelnen Pyramiden 
feine, helle Strichzeichnungen zu erkennen. - Ableitende 
Harnwege o. B. Die Blase ist prall gefüllt mit trübem 
Urin, der beim Filtrieren sich klärt und beim Kochen 
nach Zusatz von Essigsäure geringe Trübung auf¬ 
weist. 

Die Nebennieren sind ohne Abweichung. 

e) Diagnose; Entartung der Nierenrinde (und ka¬ 
tarrhalische Nephrits). Hypertrophie des linken Her¬ 
zens. 

Leider ist es versäumt worden, etwas von der Niere 
zur mikroskopischen Untersuchung aufzubew'ahren. Im¬ 
merhin entspricht die Beschaffenheit der Nierenrinde 
durchaus den beiden ersten Fällen, nur war dieselbe 
ausserdem noch verschmälert. Also lag wohl nur ein 
späteres Stadium des gleichen Prozesses vor, damit 
würde die weiter gefundene Herzhypertrophie gut zu¬ 
sammen stimmen. Die in den ersten Fällen auffällige 
Hyperaemie der vasa recta war nicht so ausgeprägt, 
dafür bestanden Andeutungen von katarrhalischer Neph¬ 
ritis (Streifenzeichnung in den Pyramiden, Trübung des 
Urins). Also während die beiden ersten Fälle sich unter¬ 
einander sehr glichen, hatte der dritte einige Besonder¬ 
heiten für sich, wenn auch keine von grundsätzlicher 
Bedeutung. 

Stellen wir unsere Fälle mit dem Sektionsfall von 
Albu-Schlesinger zusammen. so kann die 
grosse Ähnlichkeit im anatomischen Befund nicht ent¬ 
gehen. Auch hier ist der Prozess vorwiegend in der 
Rinde entwickelt. Die gewundenen Harnkanälchen sind 
(wie bei uns) in erster Linie betroffen, aber darüber 
hinaus sind die Glomeruli durchgehends schwer erkrankt. 
Ausserdem ist die Rinde verbreitert. Man könnte nun 
so gruppieren, dass unsere Fälle I und II ein früheres 
Stadium darstellen, dass Fall III und der Fall Albu- 
Schlesinger zwei verschiedene Ausbildungen eines 
späteren Stadiums bedeuten, Morbus Brightii im zweiten 
(Fall A 1 b u - S c h I e s i n g e r) und im dritten Sta¬ 
dium (unser Fall H.). An eine gleichartige Ursache aller 
vier Fälle zu denken, zwingt natürlich nichts. 

Gehen wir von der so gewonnenen Anschauung 
aus, dass von Haus aus vorwiegend tubuläre Erkran- 

Digitized by Google 


kungen Vorgelegen haben, so hätten wir mit einem fast 
symptomlosen Verlauf zu rechnen. Das entspricht einer¬ 
seits dem, was in unseren Anamnesen steht. Anderer¬ 
seits finden wir dadurch den Anschluss an die im ersten 
Teile erwähnten häufigen, aber meist sehr leichten 
Affektionen, deren unklare Symptomatik dadurch auf¬ 
gehellt wird. Auch die Übereinstimmung mit vielen der 
von Albu-Schlesinger erörterten klinischen 
Beobachtungen wird inniger. Wir haben uns den Zu¬ 
sammenhang so vorzustellen, dass an und für sich leichte 
parenchymatöse Erkrankungen langsam verlaufen, meist, 
wie gewöhnlich, der sicheren Diagnostik nicht, höchstens 
der Vermutung zugänglich sind, bis es aus irgend einem 
Grunde zur Weiterausbreitung, zur diffusen Nephritis 
kommt, und dann auffallende Harnveränderungen (Blut), 
Ödeme oder Urämie einsetzen. oder aber bis das Leiden 
überhaupt in eine chronische Form, den Morbus Brightii 
zweiten oder dritten Grades, übergeht. 

Nun gelten uns die tubulären parenchymatösen 
Nephrosen als die blandesten Formen der Brightschen 
Krankheit. Aber in den Fällen G. und F. haben sie 
doch zum Tode geführt! Das ist der springende Punkt 
und das für die Nierenerkrankung der Kriegsteilnehmer 
Charakteristische! Ein an und für sich bei geeignetem 
Verhalten wohl heilbares Leiden wird unter den Kriegs¬ 
verhältnissen plötzlich äusserst bedrohlich. L’nd nun 
tritt der Tod auch ganz rasch ein, unter Umständen, 
die wir von der Friedenspraxis her nicht kennen, es 
kommt nicht zur Urämie, sondern zu einem raschen 
Versagen der Kräfte. So wie die letzten Stunden der 
drei verlaufen sind, ist das Nachlassen des Kreislaufes 
am meisten hervorgetreten und hat die Richtschnur für 
die Heilversuche abgegeben. Es hätte sich also das 
schnell entwickelt, was sich bei einer ganzen Anzahl 
von Nierenkranken langsam heraus bildet, die am 
Herzen sterben. 

Alle drei Fälle ereigneten sich in demselben Regi- 
mente und in kurzer Zeit, so dass wohl schon das allein 
ein gehäuftes Auftreten beweist. Doch sind in den 
Nachbarregimentern auch Fälle vorgekommen, die ebenso 
wie unsere rasch unter unklaren Symptomen gestorben 
sind. Da keine Sektionen gemacht wurden, lässt es sich 
nicht sagen, ob es sich gleichfalls um Nierenverände- 
rungen gehandelt hat: sie haben die Diagnose der letzten 
Einwirkung erhalten, die dem Tode vorausgegangen 
war. (Auch in unseren Fällen hätte die Diagnose ohne 
Sektion anders gelautet!) 

Da offenbar die Erschöpfung der Ilerzkraft eine 
wesentliche Bedeutung hat, so sind die Herzbeschwerden 
der Feldzugsteilnehmer mit ein paar Worten wenigstens 
zu streifen. Ganz überwiegend sind dieselben funk¬ 
tioneller Natur. Eine Gruppe für sich, die sich bei den 
Jugendlichen besonders aufdrängt, sind die Thyreoidosen. 
Dann die rein neurasthenischen, besonders der Schwäch¬ 
lichen, der Untrainierten (Bequemen !) und der Fetten. 
Endlich die der Anaemischen und Unterernährten. Und 
mit dieser letzten Gruppe erhalten wir wieder Beziehungen 
zum ,Status castrcnsis“ und zu unseren Fällen. 

Im F alle F. hatte ich bei der Nachuntersuchung ein 
„anaemisches“ Geräusch gehört. Da fast alle derartigen 
Befunde im Revier nachuntersucht worden sind, so wird 
es wohl auch bei ihm der Fall gewesen sein. Leider 
ist keine Notiz darüber aufzufinden, speziell nicht ob 
der Urin untersucht worden ist. Annehmbar ist es ge¬ 
schehen, und zwar ohne Ergebnis. Ich erinnere mich 
bei dieser Gelegenheit, dass ich vor Jahren unter dem 
Materiale der Medizinischen Universitätspoliklinik in 
Leipzig nach chlorotischen Blutbefunden bei Männern 
gesucht habe, (gemeint ist Missverhältnis zwischen Hämo¬ 
globingehalt und Blutkörperchenzahl). Ich habe auch 
einige wenige gefunden, aber alle hatten sie leichte Harn¬ 
veränderungen, wie sie ambulanten, sehr leichten Nephri- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 26. 


2 54 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


tiden entsprachen. Vielleicht könnten derartige Unter¬ 
suchungen in einem Lazarett mit entsprechendem Ma¬ 
teriale wieder aufgenommen werden. 

Herzbeschwerden bei Unterernährten begegneten 
uns ferner vielfach bei Leuten, die oft vor recht langer 
Zeit, stärkere Diarrhöen, meist blutig - schleimiger Be¬ 
schaffenheit, überstanden hatten. Da blieb es nicht nur 
bei funktionellen („nervösen“) Störungen , sondern es 
wurden auch Ödeme leichten Grades beobachtet. Selbst¬ 
verständlich wurde dann der Harn wiederholt mit den 
zur Verfügung stehenden Mitteln untersucht, (also nicht 
mikroskopisch), und die legelmässige Abwesenheit von 
Eiweiss testgestellt. Geführt haben wir die Leute als 
„kachektische ? Ödeme“. Vermutlich ist kachektisch 
hier gleichbedeutend gewesen mit einem gewissen Grade 
von Kreislaufschwäche, wenn sich nicht gelegentlich uns 
nicht fassbare leichtere Formen von Nephritis dahinter 
verborgen haben. 

Sichere Herzvergrösserung ist im Felde ein sehr 
seltener Befund. Ich habe ihn nie ohne Veränderungen 
im Urin erhoben. 

Endlich möchte ich noch der Schleimhauthämorr- 
hagien des Magens gedenken, die sich in unseren 3 Fällen 
gefunden haben. Wenn dass auch an und für sich ein 
bedeutungsloses und vieldeutiges Vorkommnis ist, so 
kann doch dadurch, wie F'all G. beweist, der Magen¬ 
inhalt und wohl sicher auch das Erbrochene eine blutige 
Farbe annehmen. Unklare Blutbeimischung leichten 
Grades zum Erbrochenen sind uns wiederholt begegnet. 
Immerhin könnte das gelegentlich einen diagnostischen 
Hinweis bilden. 


Um zusammen zu fassen: Bei der Nephritis der 
Kriegsteilnehmer im engeren Sinne handelt es sich um 
an und für sich leichte aber nicht kurzdauernde, mehr 
chronische Leiden, die einerseits zu akuten Verschlimme¬ 
rungen neigen, andererseits zu einem plötzlichen Ver¬ 
sagen führen können. Die Verhältnisse des Feldzuges 
werden wohl den Boden für ihre erste Entwicklung 
ebenso wie die Ursache für die Chronizität abgeben. 
Für die akuten Zufälle sind dann jeweilige Gelegenheits¬ 
ursachen massgebend. Die Einheitlichkeit der Gruppe 
ist also weder eine ätiologische noch eine pathologische, 
sondern eine nosologische: die Gleichartigkeit der äusseren 
Umstände bedingt den ungewöhnlichen Verlauf. 

Ich halte es für ein Verdienst von A 1 b u und 
Schlesinger, dass sie die Erfahrungen bei ihrem 
grossen Materiale veröffentlicht haben; wie sie mich ver¬ 
anlasst haben, meine geringen Beobachtungen mitzuteilen, 
so steht zu hoffen, dass noch andere Ärzte aus der 
Truppe und vor allem den Lazaretten zwischen der 
Front und der Heimat mit den ihrigen hervortreten 
werden. Denn das Interesse daran ist keineswegs gering, 
sondern die weitere Erforschung wird noch manches 
Licht werfen auf die vereinzelten ähnlichen Fälle, die 
wir bereits im Frieden in Behandlung gehabt haben, 
sowie auf die Frühstadien der verschiedenen Formen der 
chronischen Nephritis überhaupt Für die Wohlfahrt der 
uns anvertrauten Soldaten wird die eingehende Be¬ 
schäftigung mit diesem Leiden um so fruchtbarer sein, 
als die Grundsätze der Behandlung und Verhütung fest¬ 
stehen und mit verhältnismässig geringen Mitteln sehr 
schlimmes verhütet werden kann. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Pass ler, Prof, Oberstabsarzt. Dresden. Die chron. 
Infektionen im Bereich der Mundhöhle und der Krieg, insbes. 
ihre Bedeutung für die Wehrfähigkeit und die Beurteilung 
von Rentenansprüchen. (Ther. d. Gegw., 1915 X u. XI.) 

P. entwickelt über die Ursache zahlreicher, im Frieden, 
wie, gehäuft, im Kriege beobachteter Krankheitszustände Ge¬ 
dankengänge, welche vielen Ärzten in dieser scharfen Präzision 
neu sein dürften Die aus den beweiskräftigen Darlegungen 
gezogenen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Beurteilung von 
Rentenansprüchen auf Grund der fraglichen Erkrankungen sind 
aber schlechthin so wichtig, dass ein eingehendes Referat der 
umfänglichen Arbeit nicht unterbleiben darf. 

P. hat sich mit der gleichen Materie schon vor dem 
Kriege beschäftigt und sieht seine Anschauungen bei Kriegs¬ 
teilnehmern glänzend bestätigt. 

Es handelt sich um die an den verschiedensten Organen 
zu Erscheinung gelangende krankhafte Wirkung chronischer 
Streptokokkeninfektionen in der Mundhöhle, Zustände, die P. 
einfachheitshalber als ..chronisch septische Zustände“ der 
Mundhöhle bezeichnet. Diese sind: 

1. die chronisch-eitrige Tonsillitis, 

2. Zahnaffektionen, u. zw., 

a) Pulpitis und Wurzelsepsis mit ihren lokalen Folge¬ 
erscheinungen (Periostitis, Granulom), 

b) alveoläre Pyorrhoe, 

3. eitrige Nebenhöhlenerkrankungen. 

Chronische Tonsillitis ist die Ursache der 

rekurrierenden Anginen. Diese, wie überhaupt die sogen. Er¬ 
kältungskrankheiten, sind, aller Erwartung entgegen, im 
Schützengrabeulehen selten, treten aber sofort gehäuft auf, so¬ 
bald mechanische Reizungen der Schleimhäute (Kohlenstaub, 
Strassenstaub) stattfindeu bei Märschen und im rückwärtigen 



Unterkunftsquartier. Gleiches trifft zu für die chron. 
rekurrierende Bronchitis. 

Die Ausführung der Tonsillectomie, deren Vornahme P. 
als „unerhebliche“ Operation zu den pflichtmässigen Duldungen 
des Soldaten zählt, hat nach zahlreichen Beobachtungen 
dauernde Genesung von solchen Anginen und Bronchitiden 
geschaffen. 

Eitrige Prozesse am Gebiss wirken in gleicher 
Weise chronisch infizierend auf den Organismus: Oberlappen- 
bronchitiden, die mit Spitzentuberkulose vielfach verwechselt 
werden, Gelenkrheumatismen sind ihre Folgen, am häufigsten 
aber von all diesen Fernwirkungen sind Störungen von Seite 
des Herzens und der Gefässe. Bei dieser letzteren Gruppe 
handelt es sich nach P. teilweise um leichte chronisch-toxische 
Schädigungen des Herzmuskels, oder, in alten Fällen, auch schon 
um anatomische Veränderungen des Myokards. Es ist un¬ 
richtig und unbefriedigend, von ,,Herzneurosen" oder „Kriegs¬ 
herz“ bei diesem Zusammenhang zu reden, da die als „nervös“ 
angesprochenen Symptome der Tachykardie, der Hyperhidrosis, 
labilen Temperatur, der erhöhten geistigen und körperlichen 
Ermüdbarkeit und Erschöpfung usw. lediglich auf Resorption 
von Toxinen der eitrigen Infektion beruhen. B e w e i send 
hierfür ist die durchschlagende Wirkung 
einer gründlichen Sanierung des Ge¬ 
bisses. 

Eine weitere Gruppe derartiger Fernwirkungen findet sich, 
wie ja natürlich, im Verdauungsapparat. Auch die Appen¬ 
dizitis ist häufig die Folge einer Mundhöhlensepsis. Fälle von 
akuter und chronischer Nephritis, Dysurien, letztere oft als 
„Blasenneurosen“ falsch gedeutet, vervollständigen die grosse 
Reihe der auf dieser septischen Grundlage möglichen und vor¬ 
kommenden Krankheitskomplexe. 

Strikte Durchführung der kausalen Therapie und Absvendung 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


255 


Nr. 26. 


von der völlig nutzlosen Bekämpfung einzelner Krnnklieits- j 
Symptome, wie eines „Darmkatarrhes“, lässt nach P. und 
l'eberzeugung eine bedeutende Vermehrung der Wehrmacht 
erwarten; .,d e n n die c h r o n i s c he Mundhöhlen- 

sepsis ist tatsächlich bei uns eine der ver¬ 
breitetsten Volksseuchen, vielleicht die 
verb rei tetste.“ 

Für die Beurteilung von Rentenansprüchen aus solchen 
Folgeerkrankungen zieht nun P. nachstehende, gerade volks¬ 
wirtschaftlich äusserst bedeutsame Schlüsse: 

„Es ist mit Sicherheit aus dem Kreise dieser Art Kranker 
eine überaus grosse Zahl von hohen Renten ansprüchen zu er¬ 
warten. Selbst bei wohlwollendster Beurteilung.wird 

mau die Gewährung von Renten auf die wirklich im Krieg 
erworbenen Schäden streng beschränken, wenn nicht der All¬ 
gemeinheit unerträgliche, und absolut ungerechtfertigte Lasten 
auferlegt werden sollen. Ich würde es für durchaus gerecht¬ 
fertigt halten, wenn man Rentenansprechern, bei denen chronisch 
septische Zustände der Mundhöhle bestehen, wegen der ge¬ 
schilderten Zustände von seiten des Herzens, der Gelenke 
usw. nur dann eine Rente zubilligt, wenn sie eine Sanierung 
der Mundhöhle zulassen, und die anderen Leiden nachher fortbe- 
stehen. Verfahren wir in dieser Weise, so 
würden wir . . . . nicht nur enorme 

Summen ersparen, sondern auch aus 
zahlreichen, ewig unzufriedenen Renten- 
jägern zufriedene, arbeits freudige Menschen 
mache n“. Vier.n stein - Kaisheim. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

B. K r o e n i g , Freiburg. Grenzverschiebungen zwischen 
operativer und nichtoperativer Therapie in der Gynäkologie 
und Geburtshülfe. (Monatsschrift für Geb. und Gyn. April 
1916.) 

Verf. welcher seit Jahren zu den radikalen operativen 
Gynäkologen gezählt wurde, gelangt auf Grund eingehender 
Nachforschungen über das Befinden und die Dauerresultate 
der von ihm Operierten zur Erkenntnis, dass sich an einer 
grossen Reihe gynäkologischer Krankheitsgruppen Grenzver¬ 
schiebungen zwischen nichtoperativer und operativer Therapie 
bereits heute vollzogen haben und sich noch zu vollziehen 
im Begriffe stehen. Gonorrhoische und puerperal septische 
eitrige Prozesse in den Tuben und Parametrien, gonorrhoische 
Eiteransammlung in der freien Bauchhöhle, tuberkulöse Eiter¬ 
bildung im Bauchraum und in den weiblichen Genitalien, 
Peritonealtuberkulose sind exspektativ zu behandeln Die 
operativen Eingriffe bei Psychosen des Weibes, welche durch 
Anomalien der Genitalien einst indiziert wurden, weichen dem 
exspektativeu Verfahren, dasselbe gilt von den LageaDomalieu 
des Uterus und den lagekorrigierenden Operationen derselben. 
Statt der 'Myotomie tritt die Röntgenbehandlung immer mehr 
in ihrer Vervollkommnung herausgearbeitet, für Myome in 
Aktion. Was die Strahlenbehandlung betrifft, welche an 
Stelle der Operation beim Karzinom des Uterus mit Ausschluss 
des Korpuskarzinomes zu treten berufen sein soll, so hat Verf. 
auf Grund von Statistiken seiner Freiburger Fälle von 190 
Karzinomoperierten nach 3 Jahren 12°/u, nach 5 Jahren 5,85°/,,, 
nach 7 Jahren 3,4%, nach 10 Jahren 0°/ 0 absolute Heilungen 
erzielt Verf. kommt auf Grund seiner Statistiken sogar zu 
dem Resultate, dass die durchschnittliche Lebensdauer nieht- 
operierter Kolluin- und Ovarialkarzinome vom Beginn der 
ersten klinischen Symptome au gerechnet grösser ist, als der 
operierten. Die Röntgentherapie verspricht aber bei der 
eklatanten Wirkung auf das Karzinom, ebenso wie die Radium¬ 
behandlung für das Korpuskarzinom nach ihrer Vervoll¬ 
kommnung die operative Therapie zu ersetzen, wenn nicht zu 
überflügeln. Das Recht des Kindes auf Leben hat die 
chirurgische Tätigkeit in der Geburtshilfe gezeitigt, vaginaler 
und abdomineller Kaiserschnitt traten an Stelle der Perforation 
des Kindes. Der Dämmerschlaf hat die geburtshilflichen 
Operationen nach Verf. wesentlich eingeschränkt. Verf. kommt 
tu dem Schlüsse, dass in der Geburtshilfe und Gynäkologie 
eine Grenzverschiebung zu gunsteu der uichtoperativeu 

Digitized by Google 


Therapie stattgefunden hat. was wiederum nur durch die 
operative Aera geschehen konnte, welche die Vergleichmöglich¬ 
keiten zwischen Dauerresultaten der operativen und nicht 

operativen Behandlung gegeben hat 

E k s t e i n , Teplitz-Schönau. 

Prof. Dr. V. E 1 1 e r m a n n , Kopenhagen. Über die 
Zeitdauer der Schwangerschaft und deren Schwankungen. 

(Monatsschrift f. Geb. u. Gyn. April 1916.) 

Über die mittlere Dauer derSchwangerschaft herrscht so ziem¬ 
lich Einigkeit, alle Statistiken zeitigen als Mittel 270 Tage, nur 
über die Aussenwerte nach unten und oben bestehen grosse 
Meinungsverschiedenheiten. In Deutschland und Österreich 

wurde in den Gesetzbüchern als bestimmte Grenze für die 
Schwangerschaftsdauer 181 — 302 Tage aufgenommen. Auf 
Grund einer eigenen Berechnung basierend auf Statistiken 
einer grossen Zahl von Autoren gelangt Verf. zu folgenden 
Schlüssen: Die Durchschniltsabweichuug ist mit 10,1 Tage 
anzunehtnen. Die Grenzen für die Fälle mit einem Kindesge¬ 
wicht von 3—3,5 kg sind in praxi zu 230—310 Tage, mit 
einem Kindesgewicht von 4 kg und darüber, zu 238—318 
Tage festzusetzen. E k s t e i n , Teplitz-Schönau. 

Dr. Ludwig F u h r m a n u. Über Behandlung des 
Puerperalfiebers. (Monatsschrift f. Geb. u. Gyn. April 1916.) 

Zwei Millionen Neugeborene kosten im Deutschen Reich 
jährlich 6000 mütterliche Leben, welche das Puerperalfieber 
hiuwegraflt. Der Keltenkokkus kann diese Infektion verursachen, 
dieselbe Infektion kann aber nach Verf. ohne jede Schädigung 
für die Infizierte abgehen und wie Verf. durch seine Unter¬ 
suchungen an 2000 Frauen nachweist, beträgt die Zahl der 
mit streptokokkenfreiem Vaginalsekret Fiebernden 10°/ 0 , die 
Zahl der mit im Vaginalsekret Streptokokken führenden 
Fiebernden bloss 9°/ 0 . Die Hämolyse ist nach Verf. bei der 
pureperalen Infektion ebensowenig ausschliesslich massgebend, 
wie die Bakterien alle. Wenn auch der Streptococcus septicus 
sehr häufig gefunden wird, so sind auch Staphylokokken und 
Bakterium Coli u. a. nt. gefunden worden. Trotz der Mannig¬ 
faltigkeit der Keime ist das Krankheitsbild der Endometritis 
puerperalis ein gleichmäsaiges, so dass sich aus dem Obduktions¬ 
befund auf die die tödliche Erkrankung verursachenden Mikro¬ 
organismen keine Schlüsse ziehen lassen. Alle diese genannten 
Bakterien müssen demnach ein für sie selbst unspezifisches, 
mit gleichbleibender Wirkung für den Körper versehenes Gift 
produzieren, wie dies die parenteral ein verleibten und parenteral 
abgebauten Eiweisse imstande sind. Falls dies der Fall ist, 
daun ist auch das Fiasko der Serumthernpie beim Puerperal¬ 
fieber erklärlich, nachdem keine spezifische Immunität erzielt werden 
kann. Wird aber die vorliegende Infektion durch Abimpfung 
aus dem Endometrium identifiziert, so kann die moderne 
Vakzinetherapie zum Ziele führen, was vorläufig erst bei 
streng lokalisierten Infektionen nachgewieseu wurde. Bei 
allgemeinem Wochenbettfieber, wo Streptokokken nachgewiesen 
wurden, injiziert Verf. 1 ccm Streptokokkenvakzine subkutan. 
Nach dieser Injektion kann eine lokale Reaktion, Rötung, 
Schwellung, Oeden und Schmerzhaftigkeit an der Applikalions- 
stelle eintreten, oder eine Allgemeinreaktion, in Form einer 
Verschlimmerung des klinischen Bildes. Diese Verschlimmerung, 
negative Phase genannt, soll prinzipiell nicht länger als 12 — 24 
Stunden dauern. Dann erst darf mau die Injektion in 
wesentlich grösseren Dosen wiederholen, Maximaldosen siud 
noch nicht bestimmt. Bleibt die Reaktion aus, so ist die 
negative Phase eben schon eingetreten, dann muss der 
opsonische Index bestimmt werden. Nach Verf. scheitert 
in einem solchen Falle aber die Einführung der Vakzine¬ 
therapie Theoretisch weniger bewiesen, hat sich in der Praxis 
im Gegensatz zu dieser organischen Theorie die An¬ 
wendung der anorganischen Mittel, des löslichen, metallischen 
Silbers, als Klysma und intravenös, 5 ccm einer 2% Lösung 
in die Vena mediana bewährt, aber ein für den Praktiker 
nach Verf. wegen Perforation der Vene nicht so einfacher 
Eingriff. Elektrargol und Fulntargin sind dem Kollargol nach 
Verf. vorzuziehen. Neben der Allgemeinbehandlung sind 
antiseptische Scheiden spül ungen vorzunehmen, ferner Tröpfchen¬ 
einläufe mit der Martinschen Kugel mittels dünnem Nelaton- 
katheter von physiologischer Kochsalzlösung, welcher Alkohol 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




256 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Mr. 26. 


und gezuckerter schwarzer Kaffee zugesetzt wird. Ferner 
empfiehlt Verf laue bis kühle Ganzwaschungen des Körpers 
und Mundspülungen Falls sterilisierte Milch nicht vertragen 
wird, sind Nährklysmen zu machen. Um das Tropfklystier 
auch als Nährklystier zu verwenden, empfiehlt Verf. das 
Erepton als Zusatz, das sich im Wasser leicht löst. 

E k s t ei n , Teplitz-Schönau. 


Psychiatrie und Neurologie. 

G. C. Bolten. (Haag-Holl.) Die Erklärung der Er¬ 
scheinungen bei Epilepsie. (IX Ztschr. für Nerv en heilkunde, 

Bd. 52, H. 1/2.) 

Unter dem Sammelbegriff’ „Epilepsie“ werden Krankheits¬ 
zustände verschiedenster Ätiologie zusammengefasst, lediglich, 
weil die gemeinsame Erscheinung des „Anfalles“ den Eindruck 
klinischer Gleichheit hervorruft, ähnlich wie bei Diabetes mellitus, 
der nach dem Symptom, nicht nach seinen mehrfachen Ur¬ 
sachen benannt ist. Aus dieser heterogenen Sammlung sind 
alle Zustände mit organischer, anatomischer Grundlage auszu- 
schalten, wie Hydrocephalus internus, tuberöse Sklerose, Syphilis 
des zentralen Nervensystems (Lues hereditaria, Paralyse, 
Lues cerebri, Meningoencephalitis luetica), Porencephalie, 
cerebrale Kinderlähmung, toxämische Epilepsie (Alkohol, Nicotin, 
Blei, Absinth, Tribromkampfer), traumatische Epilepsie, senile 
Epilepsie (Gefassveriinderungen), Affektepilepsie, Gehirntumoren. 

Es bleibt dann die immer noch grosse Gruppe der „ge¬ 
nuinen“ Epilepsie. Sie teilt sich wieder in die essentielle 
„echte“, und die „symptomatische“ oder „cerebrale“, welch 
letztere infolge diffuser Rindenentzündung entsteht. Stösst man 
auch diese, als auf organisch-anatomischen Veränderungen be¬ 
ruhende Form ab, so bleibt als Rest einzig die essentielle 
genuine Epilepsie übrig. 

„D iese ist eine Stoff w e*c liselkrankheit, 
und beruht auf chronischer Vergiftung 
sowohl durch Stoffwechselprodukte 
unserer Zellen wie durch Abbauprodukte 
unserer Nah rju ngsstoffe, u. zw. durch ver¬ 
minderte Abscheidung von Fer m entes 
des tractus intestinalis und des intermediären 
Stoffwechsels und dies wieder als Folge von 
H y p o f u n k t i o n der 5 [S c h i l’d d r ü s e und der 
Neben Schilddrüse n.“ 

Rein klinische Untersuchungsraethoden versagen beim 
Versuch, cerebrale und essentielle Epilepsie zu unterscheiden : 
Liquor-Untersuchungen auf Überdruck, Helligkeit, zellige 
Elemente, Eiweissgelult ergaben keine Unterschiede, epileptischer 
Charakter, Linkshändigkeit, kombinierte Blick- und Gesichts¬ 
wendung im Anfall finden sich bei beiden, Stauungspapille 
dagegen spricht mehr für cerebrale Form, aphasische Störungen 
und Babinskis Phänomen haben nur beschränkten differential¬ 
diagnostischen Wert. Nur die genaueste Anamnese auf kindliche 
Zuckungen, Krämpfe, „Fraisen“, als Ausdruck frühjugendlicher 
Meningoeneephaliti8 sichert vielfach die Unterscheidung. Als 
symptomatisch cerebrale Formen müssen daher auch alle nach 
Infektionskrankheiten auftretenden Epilepsien aufgefasst werden 
(Pneumonie, Typhus, Malaria, Influenza, Kinderkrankheiten, 
wie Scharlach, Pertussis, Morbilli, letztere, selbst wenn 4—5 
Jahre seit der Erkrankung bis zum ersten Anfall verstrichen 
sind!). Einwandfreie Klarlegung, ob cerebrale oder essentielle 
Form vorliegt, gibt bloss die — allerdings unerwünschte — 
Autopsie. Der Umstand aber, dass beide Arten nicht streng 
getrennt gehalten werden, hat in die ätiologische Forschung 
der Epilepsie grosse Verwirrung gebracht. 

Bei der cerebralen, symptomatischen Form sind es in 
frühester Jugend einsetzende entzündliche Verdickungen und 
Verwachsungen der Meningen, Ausgedehntheit, Verbreitung 
und Grösse der encephalitischen Herde, welche die Hirnrinde 
reizen bezw. die Abfuhr ihrer Lymphe und des venösen Blutes 
so behindern, dass Rindenvergiftuug durch Retention von 
Stoffwechselprodukten eintritt, und dass bei bestimmter Span¬ 
nung der Giftladung durch den „Anfall“ eine periodische Ent¬ 
giftung stattfindet. 

Digitized by Google 


Bei der echten, essentiellen, genuinen Epilepsie liegt 
dagegen ohne anatomisches Substrat die schon charakterisierte, 
aus dem gestörten Gesamtstoffwechsel sich herleitende, also 
nicht lokalbedingte, Vergiftung vor. 

Beweisend hierfür ist nach Boltens überaus interessanten 
Untersuchungen, dass die rektale Einverleibung von Press- 
saft frischer Schilddrüsen ein promptes 
Sistieren der Anfälle zeitigte. Dabei waren — im Gegensätze 
zu der abmagernden und herzbeschleunigenden Wirkung 
künstlicher Schiddrüsenpräparat« nie¬ 
mals üble Folgen bemerkbar, woraus Bolten zu schliessen 
geneigt ist, daBS sämtliche künstlichen Schilddrüsenpräparate 
nicht der physilogischen Schilddrüsenfunktion gleichkommen. 

Die Annahme einer Hypofunktion der Schilddrüse und 
der Epithelkörperchen als Ursache der essentiellen genuinen 
Epilepsie führt nun zu folgenden Überlegungen : 

1. Da die Schilddrüse accelerierend auf den Stoffwechsel 
wirkt, ist bei Hypofunktion Herabsetzung des Eiweiss-, Fett- 
und Salzstoffwechsels gegeben, desgleichen des Kohlehydratstoff¬ 
wechsels. 

2. Die sympathikusreizende Wirkung der Schilddrüse 
bedingt ferner, dass bei Hypofunktion trophische Störungen, 
verlangsamte Darmbewegung und verzögerte Zirkulation auf- 
tritt, mithin auch C0 2 -Überladung. 

3. Die Schilddrüse beeinflusst weiterhin die Abscheidung 
von Fermenten, wie Katalase, Phylokatalase und Nuclease. 

(Katalase, in allen Organen und Geweben, auch 
Reduktase genannt, zerlegt H.,0., in H,0 und O, scheint 
demnach O-Übertriiger zu sein. — Phylokatalase, im 
Gehirn, Muskel und Blutserum reichlich, scheint inaktive 
Katalase zu reaktivieren. — Nuclease, eigentlich eine 
Gruppe von Fermenten im Gebiets des Eiweissstoff¬ 
wechsels, spaltet Nucleiusäure in Purinbaseu und 
Phosphorsäure. Reichlich vorhanden in den Nieren, 
Testikeln, der Leber, Milz und im Gehirn, spärlich im 
Blut.) 

4. Die Schilddrüse wirkt accelerierend auf Peroxydase 
und Lipase. 

(Peroxydasen sind eine Fermentgruppe, die bei An¬ 
wesenheit von H 2 0 2 oxydierend wirken, z. B. auf 
Thyrosin. — Lipase ist ein Pankreasferment, das 
mit Hilfe der Fette in Fettsäure und Glyzerin 
spaltet.—) 

Der Einfluss der Schilddrüse auf die Darmfermente und 
die Fermente des intermediären Stoffwechsels ist daher ein sehr 
grosser. 

Unzureichende Fermentation im Falle gestörter 
Schilddrüse nfunktion führt deshalb zu Störun¬ 
gen im Eiweissabbau, bei dem toxischwirkende Zwischen¬ 
produkte, z. B. Aminosäuren, sich bilden. Umgekehrt aber 
führt Schilddrüsen fütterung zu einer Steigerung der 
Darmsaftsekretion. Die Schilddrüse unterhält mithin einen ge¬ 
wissen Tonus im sympathischen System und reguliert die Fer¬ 
men labscheidung. 

Ist diese Funktion unzureichend (angeborene Störungen 
im Ganglion infirmum nervi sympathici oder aus cerebralen, 
zentralen Gründen?), so mindert sich der Tonus des Sympa¬ 
thikus, die Darmbewegungen verlangsamen, die Abscheidungen 
werden ungenügend, der Lun gen gas Wechsel sinkt, kurz der 
Haushalt des Organismus ist gestört, iudem der Abbau in 
unschädliche, assimilierbare Endprodukte fehlt, andererseits 
werden auch körpereigene Stoffwechselprodukte nicht 
unschädlich gemacht: es kommt zur Intoxikation. 

5. Für die Epithelkörperchen, deren in die Zirkulation 
gelangende Stoffe gänzlich unbekannt sind, ist der Zusammen¬ 
hang mit Tetanie bekannt, indem durch Entfernung dieser 
glandulae parathyreoideae ernste Stoffwechselstörungen mit den 
Symptomen der Tetanie auftreten. Es soll sich dabei um 
Produkte mit Säurecharakter handeln, also um Azidose des 
Blutes auf Grund gestörter Leberfunktion. Nun wird bei 
experimenteller Entfernung der Körperchen gleichzeitig, wahr¬ 
scheinlich infolge Läsion der Schilddrüsennerven, auch die 
Schilddrüse selbst geschädigt; als Folge tritt sodann sowohl 
Epilepsie wie Tetanie zugleich auf. 

Diese Tatsachen des Expeiiments bezw. der postoperativen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 26. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


257 


Beobachtung im Verein damit, dass Presssaft frischer Schild¬ 
drüsen und Nebenschilddrüsen, rektal gegeben, günstige Dauer¬ 
resultate ersehen liess, gestattet den Schluss, dass Epilepsie 
auf Insuffizienz der Schilddrüse und Nebenschilddrüsen beruhen 
muss. Bei der genuinen Form handelt es sich um angeborene 
Minderwertigkeit dieser Drüsen, bei der postoperativen dagegen 
um artefizielle Insuffizienz. 

Die auf dieser Basis gebildeten toxischen Stoffe finden in 
der Hirnrinde eine grössere Affinität als in anderen Organen; 
es kommt zu reichlicher Retention, Höchstspannung und schliess¬ 
lich zur Entladung im periodischenAnfall, derdurcb die mit ihm 
verknüpfte Erhöhung der Herztätigkeit, Blutdrucksteigerung, 
durch Atemvertiefung, Schweisssekretion und Polyurie die Gifte 
aus dem Körper entfernt und sofortiges Wohlbefinden schafft, 
bis neuerliche Ladung den alten unerträglichen Spannungszustand 
wieder herbeiführt 

Die Erklärung des Auftretens der genuinen Epilepsie ge¬ 
wöhnlich und mit Vorzug zur Zeit der Pubertät ist darin zu 
suchen, dass eben um diese Zeit die mit dem Körperwachstum 
als „Regulatoren“ innig zusammenhängenden 3 Drüsen, Schild¬ 
drüse, Hypophyse und Thymus, eine physiologische Involution 
erfahren. Für die beiden letzteren Drüsen ist die Rückbildung 
nach Erfüllung der Aufgabe sicher erwiesen, für die Schild¬ 
drüse aber zum mindesten in der Art einer Funktionsreduktion 
wahrscheinlich. Ist die Thyreoidea aber schon a priori 
minderwertig angelegt, so wird die physiologische Rückbildung 
in der Pubertät das zulässige Normalmass überschreiten und 
dauernde Hypofunktion zur Folge haben, i e. Stoffwechsel¬ 
intoxikation. 

Im Gegensatz hierzu tritt die cerebrale Epilepsie vor¬ 
wiegend in der Zeit vor der Pubertät schon auf: die bereits 
in frühester Jugend eiusetzenden entzündlichen Prozesse in 
Meningen und Hirnrinde schreiten rasch vor und bedingen in 
der skizzierten Weise die baldige Intoxikation und epileptischen 
Insulte durch mangelhafte Abfuhrmöglichkeit der Stoffwechsel¬ 
produkte des Gehirns auf den beeinträchtigten Blut- und 
Lymphbahnen. 

Man kann daher hinsichtlich der Anfalle sagen: „Bei 
genuiner Epilepsie sind die Produkte des gesamten Stoffwechsels, 
bei der cerebralen Epilepsie dagegen sind es die nicht hin¬ 
reichend abgeführten Stoffwechselprodukte der Hirnrinde selbst, 
welche die Intoxikation verursachen“. 

Ein weiterer, wichtiger Schluss ist folgender: Da die 
cerebrale Epilepsie, um gleich der genuinen, aus dem gesamten 
Stoffwechsel schöpfenden, die für den Anfall nötige Toxin¬ 
menge allein durch zirkulatoriscbe Hemm¬ 
nisse aufzubringen, eine sehr erhebliche Ausdehnung der 
entzündlichen Rindenveränderungeu zur notwendigen Voraus¬ 
setzung habeu muss, so ergibt sich, dass cerebrale Epileptiker 
weit schneller als genuine infolge Schädigung der nervösen 
Elemente dement werden. V i er n 8 t ei n ■ Kaisheint. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

K u n e r t (Breslaul. Weissbrot oder Vollkornbrot? 
(Zeitsehr. f. physikal. und diätet. Therapie XX. 1916. 1. Heft. 
Seite 15/24.) 

Es gibt Naturen, für die die Meinung des augenblicklichen 
Professors verbindlich ist, und andere, die daneben noch die 
eigenen Augen aufmachen und das eigene Gehirn funktionieren 
lassen. Solche Leute stehen den gerade herrschenden Lehren 
skeptisch gegenüber und legen kühn die Sonde der Kritik an sie an. 
Ein interessantes Beispiel, dass der wahre Fortschritt weniger 
im Entdecken neuer Tatsachen als im Wegräumen von Irr- 
tümern besteht, bietet die Brotfrage. Es ist ja ohne weiteres 
einleuchtend, dass das Brot, welches unsere Vorfahren kräftig 
erhalten hat, dem menschlichen Organismus zuträglich sein 
muss. Allein dann kam die verhängnisvolle Kalorien-Physio- 
logie und setzte die Eiweisskörper, Kohlehydrate und Fette 
auf den Thron. So kam man dazu, das Brot immer feiner, 
und die übrige Nahrung immer „aufgeschlossener" d. h 
breiartiger zu gestalten, und war von der Vortrefflichkeit 
dieser Deduktionen so überzeugt, dass man die zunehmende 

Digitized by Google 


Zahnfäule und die immer zarter werdenden Konstitutionen gar 
nicht bemerkte. 

Nun habeu einige normal denkende Männer ihre Stimme 
erhoben und tun dar, dass das alte Vollkornbrot eben doch 
besser war als das weisse Weizenmehlbrot. Allein Irrtümer 
haben das Fatale an sich, dass sie gar fest sitzen, und so 
sehen wir uns mitten in einem Kampf zwischen naturgemässer 
und wissenschaftlicher Ernährung. 

Ein Zweifel, auf welcher Seite das Richtige liegt, ist 
kaum möglich. Um so interessanter ist es, den Streit zu ver¬ 
folgen. Man erkennt daraus, dass dies Wort von der „sieg¬ 
reichen" Wahrheit nicht immer gilt Ein genaueres Studium 
dieses Streites zeigt in instruktiver Weise die Faktoren, welche 
den Irrtum gebracht haben und diejenigen, die nun an ihm 
festhalten, und so wird der Streit um das Brot zu einem 
Schulbeispiel für Fort- und Rückschritte in Kultur und 
Wissenschaft. Buttersack. 

G. Schröder-Schöneberg. Grundsätze der 
Ernährung Tuberkulöser mit bes. Berücksichtigung der 
Kriegszeit. (Internat. Centr. Bl. f. d. ges. Tuberk. Forschg., 
1915 /Xn.) 

Die Sonderstellung Tuberkulöser in der Ernährung wird 
in der gegenwärtigen Zeit der „ernährungstechnischen Vor¬ 
schriften“ leider nicht hervorgehoben. 

Bei den meisten Kranken besteht Unterernährung infolge 
toxischen Einweisszerfalles. Daher hat der Tuberkulöse „mehr 
Eiweiss nötig als der arbeitende Gesunde“, ausserdem auch 
reichlich Fett uud Kohlehydrate, um den Eiweissverlust zu 
mindern. Als Kostmass hat zu gelten: 150—180 Eiweiss, 
200—250Fett,500—550 Kohlehydrate — 4585—5395 Kalorien, 
also mehr, als von Noorden für eine Mastkur fordert (3580— 
4645 Kalorien). 

Fett ist am wichtigsten, was auch empirisch 
längst erwiesen ist. Von ihm ist dem Tuberkulösen täglich 
zu sichern: 1 Liter Vollmilch, 100 g durch Butter, Schmalz 
oder Speck, auch durch Käse, ferner durch Nüsse, welche 
stark ölhaltig sind, durch die fettführende Sojabohne, und durch 
Lebertran. 

Der fehlende Rest ist durch Kohlehydrate zu ersetzen, wo¬ 
bei jedoch vorsichtig jede Darmbelastuug zu meiden ist; Frucht¬ 
gelees, Dörrobst, Honig, leichte Mehlspeisen, Teigwaren sind zu 
wählen, ferner Leguminosen, Kartoffel, sogar Kriegsbrot. 
Letzteres ist gut zu kauen, und w r irkt durch diesen Zwang sogar 
erzieherisch auf den Kranken, alle Nahrung sorgfältig zu 
zerkleinern. 

Fleisch lässt sich ei uschränken. Fische 
sind wertvoll, Eier wenig nötig. Mehlspeisen, Leguminosen, 
Brot, spenden Eiweiss. Gelatine spart Eiweiss: Kalbsknochen¬ 
schleimsuppen, Fleischgelees. 

In Württemberg wurden Heilstättenin- 
sassen sehr richtig von der Einhaltung der 
fleisch - und fettlosen Tage dispensiert, ein 
nachahm ensnotwendiger V organ g. 

Höchst bedeutsam ist die jetzige Verwendung des Tierblutes 
in der Volksernähruug. Solche Präparate von Wert sind: 
Bovisan, Sanol, Carnalbin der Fleischersatzzentrale Charlotten- 
burg. 

Unnütze Ausgaben für Nährpräparate sind zu sparen; 
man kommt mit gemischter Kost von geschilderter Zusammen¬ 
setzung zumeist aus. 

Bei Tuberkulösen gilt ganz besonders der Satz: „qui bene 
nutrit, bene curat“. Viernstein -Kaisheim. 

Stern berg, Willi. (Berlin). Vorschlag zur Begrün¬ 
dung eines wissenschaftlichen Zentralinstituts für kulinarische 
Technologie. (Zeitschr. f. physik. und diätet. Therapie XX. 
1916. 2. Heft. Seite 37/51.) 

Die Lehre von den Tonempfindungen gibt noch keine 
Musik, und die Lehre von den Kalorienbedürfnissen und 
dem Kalorienwert der einzelnen Nahrungsmittel noch keine 
Ernährung. Hier wie dort müssen in einer Kompositionslehre 
die verschiedenen objektiven und subjektiven Momente zu¬ 
sammengefasst werden, vor allem auch der zeitlich und räumlich 
wechselnde Geschmack. 

Der Titel sagt, was Sternberg anstrebt: eine Verbindung 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS ÄT 
URBANA-CHAMPAIGN 







258 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 26. 


der Ernährungslehre, wie sie dermalen offiziell an den Hoch¬ 
schulen gelehrt wird, mit den zahlreichen, bereits existierenden 
technologischen Spezialinstituten für Gelreideverarbeitung. 
Zuckerindustrie, Gärungstechnik, Weinbau, Obst- und Gemüse¬ 
bau, Fischzucht, Bienenzucht, Konservierungstechnik, Hotel- 
und Küchenwesen usw. 

Man kann es dem emsigen Verfasser uaehfühlen, dass es 
ihn schmerzt, mit seinen Bestrebungen, deren Richtigkeit ein¬ 
leuchtet. nicht von der Allgemeinheit anerkannt zu sein, 
Daraus ergeben sich manche polemische Seitenhiebe auf Ein¬ 
richtungen und Personen, welche den Genuss des höchst 
interessanten Aufsatzes, um im Bilde zu bleiben, vielleicht dem 
einen oder anderen verpfeffern. Aber das ist immer so ge¬ 
wesen : Richtige Gedanken brauchen immer lange Zeit, ehe sie 
angenommen werden, während schillernde Irrtümer sofort Bei¬ 
fall finden. Diese Tatsache ist beinahe als differentialdia¬ 
gnostisches Moment zur Bewertung neuauftretender Ideen zu 
verwenden. Buttersack. 

G 1 a x Jul. (Abbazia). Die Balneotherapie als Heilfaktor 
bei Kriegsverletzungen und -Erkrankungen. (Zeitschrift für 
physikal. und diätet. Therapie XX. 1916. 1. Heft, Seite 19.) 

Verf. bespricht die verschiedenen Kriegsschädiguugen und 
die dafür in Betracht kommenden deutschen und österreichisch¬ 
ungarischen Kurorte. Seine Hinweise und Abwägungen der 
Indikationen für die einzelnen Kurorte sind nicht allein an 
sich lehrreich, sondern enthalten auch, nebenbei eingestreut, 
eine Menge wertvoller physiologischer Bemerkungen. 

Buttersack. 

D i s q u 6 (Potsdam) Elektrische Behandlung mit 
Metronom-Unterbrecher und lokale Diathermie bei Schuss¬ 
verletzungen in der ärztlichen Praxis. (Zeitschr. f. physikal. 
und diätet. Therapie. XX. 1916. 1. Heft. Seite 12/14.) 

Durch Einschaltung eines auf Largo oder Andante ein¬ 
gestellten Metronoms in eineu elektrischen Strom erhält man 
intensive, nicht zu schmerzhafte Muskelkontraktionen. Auch 
bei den Nagelschmidt-Bergonie-Apparaten ist diese Modifikation 
angebracht. 

Die Diathermie erscheint dem Verf. als allen anderen 
Hitzeprozeduren überlegen. Butter sack. 


Allgemeines. 

Ein Bild vielseitiger praktischer Wohlfahrtsarbeit während 
des Krieges entrollt der 8. Geschäfts- und 2. Kriegsbericht 
des Berliner-Frauenvereines gegen den Alkoholismus. Der 
Verein betrieb 5 Erfrischungshallen, 4 Erfrischungsräume in 
Gerichtsgebiluden, 5 Erfrischungskarren, eine Erfrischungshalle 
auf dem städtischen Spielplatz in Charlottenburg-Westend 
und die Städtische Wärmehalle in Charlottenburg, ausserdem 

2 vorübergehende Erfrischungsstellen. Trotz der mancherlei 
Gegenwartsschwierigkeiten wurden doch fast 778000 Portionen 
(alkoholfreie Getränke wie Milch, Kaffee usw. und kleine 
Speisen) verkauft Grossen Anklang fand die Einführung von 
Limonaden aus frischen Fruchtsäften. Die Fürsorgestelle für 
Alkoholkranke betreute mit 962 Hausbesuchen 118 Personen 
(53 M., 65 Fr.), von denen 27 enthaltsam wurden. Von den 
8 Enthaltsamen, welche ins Feld zogen, wurden 3 befördert, 

3 erhielten das Eiserne Kreuz. Von den eingezogenen 17 
Trinkern wurde einer befördert, keiner ausgezeichnet. Eine 
Reihe von Elternabenden und Vorträgen dienten grösstenteils 
der Aufklärung über Volksernährung und über Verantwort¬ 
lichkeit der deutschen Frau im Kriege. Kriegsnöte suchten 
auch die mancherlei Eingaben an Behörden zu beheben. 
Gemeinsam mit dem gemeinnützigen Verein für .Milchausschank 
wurde wieder weitere umfangreiche Kriegsarbeit geleistet 282 
Kisten mit Liebesgaben im Wert von rund 79 000 Mk. wurden 
bisher ins Feld gesandt, zugleich 70 000 Flugblätter und 
Schriften verbreitet. Die hinausgesaudten Wolhvaren wurde« 
grossenteils durch etwa 40 Heimarbeiterinnen hergestellt, welche 
seit November 1914 fast 5 200 Mk. an Arbeitslohn damit ver¬ 
dienten. Heimatliche Not anderer Art suchte das Abendheim 
für Frauen und Mädchen zu lindern, das mit wirksamer Unter¬ 
stützung der Stadt im hohen Norden von Berlin eröffnet wurde, 


als Petroleum knapp und Feuerung teurer wurde. Bald gliederte 
sich dem Heim eine Fürsorge (Behütung und Beschäftigung) 
für Knaben und Mädchen an. Man hofft, das Abendheim 
bis zum Friedensschluss fortführen zu können, ebenso die 
Verpflegung von Verwundeten auf einem Bahnhof. (Der 
Jahresbericht ist kostenlos von der Geschäftsstelle des Vereines, 
Berlin-Grunewald, Orberstr. 1, zu beziehen.) 


Bücherschau. 

Dietz. Planmässige Bekämpiung der Tuberkulose ln 
in einer stark verseuchten Landgemeinde. (Zeitschrift für 
Tuberkulose, Bd. 25, Heft 4, 1916. Sonderdr.) 

In der Zeitschrift für Tuberkulose Hand 21, Heft 6 hat 
der um die Bekämpfung der Tuberkulose so hochverdiente 
Verfasser bereits kurz die Massnalimeu geschildert, die er in 
der Landgemeinde Heubach zur planmässigen Bekämpfung der 
Tuberkulose getroffen hat. 

In der vorliegenden Arbeit wird über die bisherigen, 
recht viel versprechenden Resultate, und über neu eingerichtete 
Massnahmen gesprochen. Insbesondere verdient hier die Für¬ 
sorge für die Kinder vom Säuglings- bis zum schulpflichtigen 
Alter besondere Erwähnung. Diese Kinder wurden der Auf¬ 
sicht einer Kindergärtnerin unterstellt, im Winter wurde ein 
grosser Saal im Rathaus benutzt, ebenso bei schlechtem 
Wetter, während bei günstigem Wetter auf luftiger 
Höhe ein grosser Platz im Freien mit gedeckter Halle, 
Plantschbad und verschiedenen Spielen zur Verfügung 
stehen. 

Infolge dieser Massnahmen und der allgemeinen Sanierung 
des Ortes haben sich die Gesundheitsverhältnisse, namentlich 
der Jugend, schon wesentlich gebessert. Schulversäumnisse 
kamen viel weniger als in früheren Jahren vor. Im Jahre 
1914 herrschte in Heubach nacheinander Scharlach, Masern, 
Diphtherie, Keuchhusten und Lungenentzündung. Alle diese 
Krankheiten wurden gut und ohne bleibende Nachteile über¬ 
standen. Es w'ar kein einziger Todesfall zu verzeichnen. 

R. 

G e r h a r t z. Die Abgrenzung der Lungentuberkulose¬ 
formen nach klinischen, hauptsächlich röntgenologischen 
Zeichen. (Mit 29 Abbildungen im Text. Würzburg, Verlag 
von Kurt Kabitzsch, 1916, Preis 0,90 Mk.) 

Bei der Diagnostik innerer Erkrankungen, vor allem Er¬ 
krankungen der Lunge, wird das Röntgenverfahren immer noch 
viel zu wenig angewandt. Ist doch die moderne Technik imstande 
zur Klärung mancher dunkler Fälle wesentlich beizutragen, 
und auch in diagnostisch einfachen Fällen, über Ausdehnung 
und Art des Krankheitsprozesses wichtige Fingerzeige zu geben. 
Selbstverständlich ist das Röntgenverfahren nicht das 
diagnostische Mittel, sondern e i n diagnostisches Mittel zur Er¬ 
kennung der Lungenerkrankungen. Es bedarf die Röntgen¬ 
untersuchung stets die Kontrolle durch die altbewährten 
klinischen Untersuchungsmethoden. Vielfach aber ergeben sich bei 
der Röntgenuntersuchung Veränderungen im Bereich der Lunge, 
die klinisch wenig oder gar keine Erscheinungen machten, 
Und jeder erfahrenere Röntgenologe wird schon längst die 
alte Stadieneinteilung über Bord geworfen haben. 

An ihre Stelle eine wohl charakterisierte hauptsächlich 
auf röntgenologischer Untersuchung basierende Einteilung bei 
Lungentuberkulosen angebahnt zu haben, ist ein grosses Ver¬ 
dienst des Autors. Er zeichnet in klarer Weise und in 
prägnanter Kürze die Hauptformen, wie man sie bei der Rönt¬ 
genuntersuchung immer wieder findet. 

Dem Schriftchen ist weite Verbreitung, nicht nur bei den 
Röntgenologen, sondern auch bei den praktischen Aerzten dringend 
zu wünschen. Es dient dazu auf diesem wichtigen Gebiet ein 
weiteres Zusammenarbeiten des Praktikers mit dem Röutgeuologen 
anzuregen, und das gegenseitige Verständnis zu fördern. 

R. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


IVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang. 


1915/1Ö. 


fortscbrim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg 


Unter mitwirkung hervorragender ?a<hmänner 

lierausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser. 

Hildesheim. Frankfurt a/M Darmstadt. 


C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 27 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


30. Juni. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Aus dem Sanatorium für Lungenkranke in St. 
Blasien. (Leitender Arzt: Privatdozent Dr. A dolf 
II a c m e i s t e r.) 

Die Röntgentherapie der Lungentuberkulose. 

Von Dr. Edmund Issel, Assistenzarzt. 

Die ersten Versuche, mit Hilfe der Röntgenstrahlen 
heilend auf tiefliegende, tuberkulöse Gewebe einzuwir¬ 
ken, datieren nunmehr schon 20 Jahre zurück. Wenn 
die damals erzielten Erfolge zunächst den gehegten Er¬ 
wartungen nicht entsprachen, so war daran hauptsäch¬ 
lich die noch mangelhafte Bestrahlungstechnik schuld, 
die es nicht erlaubte, grössere Mengen strahlender 
Energie ohne Schädigung der oberflächlichen Gewebe 
in die Tiefe zu schicken. Im Jahre 1896 stellten 
L o r t e t und Genoud, ein Jahr später Bergonie 
und Teissier die ersten experimentellen Versuche 
über den Einfluss der Röntgenstrahlen auf tuberkulös 
infizierte Meerschweinchen an. Mikroskopische Unter¬ 
suchungen wurden nicht vorgenommen, sondern die 
Autoren achteten nur auf die makroskopischen Ver¬ 
änderungen, welche die bestrahlten Tiere den nichtbe- 
strahlten gegenüber aufwiesen, und auf die entsprechende 
Lebensdauer der Tiere. Es fiel ihnen eine deutliche 
Sklerosierung der Pleurablätter und des Peritoneums 
als Folge der Röntgenwirkung auf, die aut eine ge¬ 
steigerte Heilungstendenz der tuberkulösen Prozesse hin¬ 
zudeuten schien. Da man aber eine zu weitgehende 
Sklerosierung bei der tuberkulösen Lunge befürchtete, 
so riet man von der Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose mit Röntgenstrahlen ab. Die wenigen damals 
mit Röntgenstrahlen behandelten Fälle von Lungentuber¬ 
kulose beim Menschen zeigten keine derartigen Erfolge, 
dass das Verfahren für die menschliche Lungentuber¬ 
kulose geeignet erschien, und zwar aus dem schon an¬ 
fangs erwähnten Grunde einer mangelhaften Röntgen¬ 
technik. Von 5 von Bergonie und Mongour 
behandelten Fällen blieben 3 ganz unbeeinflusst, bei 
zweien schien vorübergehend eine lokale und allgemeine 
Besserung einzutreten. Auch T e i s s i e r gelang es 
nicht, beim Menschen eine Besserung der tuberkulösen 
Lungenerkrankung durch Röntgenstrahlen herbeizu¬ 
führen. 

1898 fand Mühsam durch Experimente an 
tuberkulös infizierten Meerschweinchen, dass die Rönt¬ 
genstrahlen die Allgemeintuberkulose der Tiere nicht 
aufhalten, dagegen die lokale Tuberkulose bis zu einem 
gewissen Grade abschwächen können. 

Später nahmen verschiedene französische Autoren : 
Chanteloube, Descomp, Rouillies, 

Digitized by Google 


C o r o m i 1 a s und Gaston die Bestrahlung der 
Lungentuberkulose beim Menschen wieder auf, ohne 
greifbare Resultate zu erzielen. Jessen hielt nach 
seinen Erfahrungen gewisse Fälle geeignet für die Rönt¬ 
genbestrahlung. 

Erst infolge der weiteren Entwicklung der Röntgen¬ 
tiefentechnik, die hauptsächlich durch die Behandlung 
tiefliegender Geschwülste gefördert wurde, sowie infolge 
der günstigen Erfahrungen, die besonders bei den Lym¬ 
phomen, den tuberkulösen Halsdrüsen, der Haut-, 
Knochen-, Gelenk- und Sehnenscheidentuberkulose mit 
der Röntgenbehandlung gemacht wurden, erschien es 
aussichtsreich, trotz der früheren, auf rein technische 
Gründe zurückzuführenden Misserfolge, die Röntgen¬ 
therapie zur Heilung der Lungentuberkulose heranzu¬ 
ziehen. Und zwar waren es Küpferle und Bac- 
m eiste r an der Freiburger medizinischen Klinik, 
welche durch ausgedehnte, später ausführlich zu er¬ 
wähnende Versuche die Grundlage zu einer wirklich 
erfolgreichen Röntgenbehandlung der Lungentuberkulose 
schufen. 

Auf dem 10. Röntgenkongress 1914 in Berlin be¬ 
richtete Manfred Fraenkel über 80 von ihm 
bestrahlte Fälle von menschlicher Lungentuberkulose, 
von denen 64 einen günstigen Funfluss, 16 keine nach¬ 
weisbare Wirkung der Röntgenbestrahlung zeigten. 
Die günstigen Erfolge glaubte Fraenkel einer drei¬ 
fachen Wirkung der Röntgenstrahlen zuschreiben zu 
müssen. Einmal einer indirekten Schädigung der Ba¬ 
zillen infolge der durch den Reiz vermehrt gebildeten 
Abwehrstoffe; weiterhin einer Schädigung des Tuberkels 
durch Zerstörung des tuberkulösen Gewebes und Er¬ 
satz desselben durch Narbengewebe; zuletzt einer Ent¬ 
giftung des Organismus durch Reizbestrahlungen des 
Thorax und des lymphatischen Apparates. Er empfahl 
demgemäss, die Lungenherde mit grossen Dosen, daneben 
den ganzen Thorax und die Milz mit massigen Dosen 
zu bestrahlen. 

Da die beobachteten, guten Wirkungen der Rönt¬ 
genstrahlen zum Teil nur durch Vermutungen erklärt 
werden konnten, so war es von grösster Wichtigkeit 
für die Förderung der ganzen F'rage , den Einfluss der 
Röntgenstrahlen auf tuberkulöses Lungengewebe im 
Tierexperiment nachzuweisen und die dabei am Ge¬ 
webe auftretenden Veränderungen anatomisch zu kon¬ 
trollieren. 

Die ersten Berichte über mikroskopische Unter¬ 
suchungen von bestrahltem, tiefliegendem, tuberkulösem 
Gewebe brachten Brünings und Al brecht, die 
bei künstlich erzeugter Kehlkopftuberkulose bei Kanin* 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




260 


Nr. 27. 


FORTSCHRITTE 


chen innerhalb der tuberkulösen Herde und in ihrer 
Umgebung stark vermehrte Biudegewebsentwicklung 
und stärkere Neigung zur Abkapselung des erkrankten 
Gewebes als Folge der Bestrahlung fanden. 

Die eigentliche Grundlage für die Beurteilung des 
Wertes der Röntgentiefenbestrahlung bei der Lungen¬ 
tuberkulose und zugleich die Aufklärung über die tat¬ 
sächliche Wirkung der Röntgenstrahlen wurde bereits 
vor F raenkel geschaffen durch die oben erwähnten, 
sehr sorgfältigen, an einem grossen Tiermaterial ausge¬ 
führten experimentellen Untersuchungen von K ü p f e r le 
und Bacmeister. Die beiden Autoren bestrahlten 
die experimentell (sowohl auf aerogenem, als auch auf 
hämatogenem Wege) erzeugte Lungentuberkulose beim 
Kaninchen und hatten nach Auffindung der zweck- 
mässigsten Dosen und der Bestrahlungsart, wie sich an 
den anatomischen Präparaten einwandfrei nachweisen 
liess, einen überaus günstigen Einfluss der Röntgen¬ 
strahlen auf die bestrahlten Lungen zu verzeichnen. 
Gegenüber den nichtbestrahlten zeigten die bestrahlten 
Lungen eine viel stärkere Biudegewebsentwicklung und 
bindegewebige Abkapselung der tuberkulösen Herde. 
Besonders das tuberkulöse Granulationsgewebe war bei 
den bestrahlten Tieren in viel stärkerem Masse als bei 
den nichtbestrahlten durch Bindegewebe ersetzt. Da in 
jedem Falle durch Übertragung des durch Bestrahlung 
gewonnenen Narbengewebes auf gesunde Meerschwein¬ 
chen diese infiziert werden konnten, so war der Be¬ 
weis erbracht, dass die Tuberkelbazillen im Tierleib 
durch Röntgenstrahlen nicht abgetötet werden können. 

Die Ergebnisse ihrer Versuche fassten K ü p f e r 1 e 
und Bacmeister in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Durch Anwendung harter, filtrierter Röntgen¬ 
strahlen ist eine beginnende, experimentell bei Kanin¬ 
chen gesetzte Lungentuberkulose zu unterdrücken, eine 
bereits entstandene zu heilen. 

2. Getroffen wird durch die Röntgenstrahlen das relativ 
schnell wachsende, tuberkulöse Granulationsgewebe, das 
in Narbengewebe umgewandelt wird. Eine Einwirkung 
der Röntgenstrahlen auf die Tuberkelbazillen selbst 
findet nicht statt. 

3. Zur Erzielung der Heilung ist eine Strahlen- 
Optimaldosis notwendig. Zu kleine Dosen in langen 
Pausen haben keinen Einfluss. Sehr grosse Dosen in 
schneller Folge ohne genügend grosse Reaktionspausen 
schädigen das normale Lungengewebe und rufen Bron¬ 
chitiden und Bronchopneumonien hervor. 

4. Es ist notwendig, genügend grosse Energie¬ 
mengen (im Tierexperiment 20—33 Oberflächen¬ 
energie) mit Einschaltung genügend grosser Reaktions¬ 
pausen (3—5 Tage) zuzuführen, um eine Anregung und 
Beschleunigung des Heilungvorganges zu erreichen. 

5. Die Heilung durch Röntgenstrahlen lässt sich 
bei richtiger Technik bei experimentell gesetzter 
hämatogener und Aspirations-Tuberkulose erreichen. 

Durch diese Erfahrungen ermutigt, brachten nun 
K ü p f e r 1 e und Bacmeister getrennt die Rönt¬ 
genbestrahlung bei der menschlichen Lungentuberkulose 
in Anwendung. Bald zeigte sich auch hierbei, dass bei 
richtiger Auswahl der zur Bestrahlung geeigneten Fälle 
beim Menschen die beim Tier gewonnenen guten Re¬ 
sultate ebenfalls zu erreichen waren. 

Zunächst berichtete K ü p f e rl e über 44 Fälle 
verschiedener Stadien. Er sah bei den Kranken des 
1. Turban 'sehen Stadiums mit aktiven Erscheinungen, 
ebenso bei den Kranken des 2. Stadiums mit teils disse- 
minierten, teils konfluierenden Herden eine günstige 
Beeinflussung, während er bei den Kranken des 3. Sta¬ 
diums mit ausgedehnten Krankheitserscheinungen und 
Kavernenbildung keine nachhaltige Besserung erreichen 
konnte. 

Zu Beginn diesen Jahres hat nun Bacmeister 

Digitized by Google 


DER MEDIZIN. 


die an dem von ihm geleiteten Sanatorium mit der 
Röntgentherapie erhaltenen Resultate veröffentlicht. Im 
Laufe der Behandlung hatte sich bald gezeigt, dass 
weniger die Ausdehnung, als die Form und der Cha¬ 
rakter der tuberkulösen Erkrankung für den Erfolg der 
Röntgenkur ausschlagebend sind. Bacmeister hält 
sich deshalb in seiner Veröffentlichung nicht an die 
Gerhardt -Turban 'sehe Stadieneinteilung, son¬ 
dern unterscheidet eine Gruppe von stationären, zur 
Latenz neigenden Phthisen ohne Fieber mit oder ohne 
Bazillen, eine zweite Gruppe von fieberhaften, chronisch 
progredienten Formen und stellt diesen, wie wir sehen 
werden, günstig zu beeinflussenden Gruppen die der 
akut destruierend verlaufenden Fälle, der käsig exsuda¬ 
tiven und ausgedehnt akut disseminierten Formen ent- 
gegen. 

Bei den beiden ersten Gruppen waren die Erfolge 
durchweg gute. Sämtliche behandelten Patienten er¬ 
holten sich rasch nach Einleitung der Röntgenbehand¬ 
lung, entfieberten, verloren die Bazillen und konnten 
nach Abschluss von 1 bis 2 Bestrahlungsfolgen als kli¬ 
nisch geheilt und berufsfähig entlassen werden. Es 
zeigte sich, dass die Kurzeit sich durch die Röntgen¬ 
behandlung erheblich abkürzen lässt und die Heilung 
schneller und sicherer eingeleitet wird. Besonders deut¬ 
lich war dies bei einzelnen Fällen zu erkennen, die 
viele Monate vor der Bestrahlungskur ununterbrochen 
im Sanatorium beobachtet wurden. Bis zur Einleitung 
der Röntgenbehandlung waren bei ihnen dauernd die 
Zeichen einer langsamen Progredienz vorhanden; mit 
der Wirkung der Strahlentherapie trat der Umschwung 
ein und rasche Heilung folgte. 

In der ersten Zeit der Röntgentiefenbestrahlung 
wurden auch einige Fälle mit schwer destruierenden und 
käsig exsudativen Formen, zum Teil mit fortschreiten¬ 
der, ausgedehnter Kavernenbildung behandelt. Nur in 
einem Falle konnte dabei eine deutliche und anhaltende 
Besserung erreicht werden, während die anderen Fälle 
keine merkliche Beeinflussung wahrnehmen Hessen. Es 
ist eben nur das tuberkulöse Granulationsgewebe der 
chronisch verlaufenden Formen zu treffen und zur Ver¬ 
narbung zu bringen, nicht aber eine hoch virulente, 
schnell zur völligen Nekrose führende Infektion günstig 
zu beeinflussen. Auf Grund dieser Erfahrungen sieht 
man jetzt von der Röntgenbestrahlung hochfieberhafter, 
schnell progredient verlaufender Formen ab. 

Die Überlegung, dass bei der atmenden Lunge und 
bei der oft erheblichen Ausdehnung der tuberkulösen 
Erkrankung in diesem grossen Organ weniger günstige 
Verhältnisse für den Einfluss der Röntgenstrahlen vor¬ 
handen sind, als bei den erfahrungsgemäss günstig zu 
beeinflussenden Tuberkulosen ruhender Organe, liess 
einen besonders guten Erfolg bei der durch künstlichen 
Pneumothorax komprimierten und ruhig gestellten Lunge 
erwarten. Es wurde daher eine Anzahl von Fällen, bei 
denen wegen einseitiger, schwerer Lungentuberkulose 
der künstliche Pneumothorax angelegt worden war, und 
bei denen der gewünschte Erfolg ausgeblieben war, be¬ 
strahlt. Auch hier traten die Besserung des Allgemein¬ 
befindens, das Verschwinden der Bazillen und elastischen 
Fasern und die Besserung des lokalen Befundes erst 
während der Röntgenkur oder kurz darnach auf. Eben¬ 
so zeigte sich eine günstige Einwirkung der Röntgen¬ 
strahlen bei der Nachbehandlung von Thorakoplastiken 
und bei den so häufigen Bronchialdrüsentuberkulosen. 

Nach all diesen Erfahrungen lassen sich als ge¬ 
eignet für die Röntgentiefenbestrahlung bezeichnen alle 
stationären und chronisch progredienten (auch mit 
leichten Zerfallserscheinungen einhergehenden) Formen 
der Lungentuberkulose, weiterhin die durch künstlichen 
Pneumothorax oder durch Thorakoplastik zusammenge¬ 
drückten und ruhig gestellten tuberkulösen Lungen, 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 27. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


261 


ferner die Bronchialdrüsentuberkulose. Dagegen ist 
kein Erfolg zu erwarten bei akut destruierend verlaufen¬ 
den, bei käsig exsudativen und bei den ausgedehnt akut 
disseminierten Erkrankungsformen. 

Macht man sich die Wirkung der Röntgenstrahlen 
auf das tuberkulöse Gewebe klar, wie sie bei den tier- 
experimentellen Studien sich ergaben, so lassen sich die 
iserfolge bei den verschiedenen Formen 
verstehen. Getroffen wird durch die 
strahlende Energie nicht der Tuberkelbazillus, sondern 
das schnell wachsende, zellreiche, tuberkulöse Granula¬ 
tionsgewebe. Dieses wird zerstört und durch Bindege¬ 
webe ersetzt, d. h. im Sinne einer beschleunigten Natur¬ 
heilung in Narbengewebe umgewandelt. Nur bei lang¬ 
sam progredienten oder stationären Formen lässt der 
durch die Röntgenstrahlen gesetzte Reiz den Geweben 
genügend Zeit, das durch die Bestrahlung zerstörte Ge¬ 
webe durch Bindegewebe zu ersetzen. Bei den mit 
raschem Zerfall einhergehenden Prozessen wirkt dieser 
Reiz so stark, dass der Zerfall beschleunigt wird, das 
relativ langsam wachsende Bindegewebe aber nicht mehr 
imstande ist, das zerstörte Gewebe rasch genug zu er¬ 
setzen resp. abzukapseln. Ausserdem wird im letztge¬ 
nannten Falle der Körper mit einer zu grossen Menge 
durch den Zerfall freigewordener Toxine überschwemmt. 

Bei der anzuwendenden Technik kommt es nun 
hauptsächlich darauf an, den durch die strahlende Ener¬ 
gie hervorgerufenen Reiz richtig abzustufen. Dies er¬ 
reicht man einmal durch Zuführung einer entsprechen¬ 
den Oberflächenenergie (der Anzahl X), dann durch 
Einhaltung passender Reaktionspausen. Die Bestrah¬ 
lungen werden derart vorgenommen, dass von einer 
in einem Bleikasten eingeschlossenen Röhre die Rönt¬ 
genstrahlen durch einen Ausschnitt auf den zu be¬ 
strahlenden Lungenabschnitt (Feld) fallen. Die Aus¬ 
schnitte betragen je nach Ausdehnung der Erkrankung 
12:8 cm, 8:8 cm und 5:8 cm. Die Filterung geschieht 
durch 3 mm dicke Aluminiumplatten. Der Fokusab¬ 
stand von der Haut beträgt 18—20 cm. Jeder kranke 
Herd wird in einzelnen Sitzungen je 2 mal von vorne 
und hinten bestrahlt. Als Einzeldosis gibt Bac- 
mtister im allgemeinen eine Oberflächenenergie von 
10—15 X; so bekommt jeder Herd in 4 Sitzungen 
40—60 X. Wöchentlich werden 2, höchstens 3 Be¬ 
strahlungen gegeben, um für die einzelnen Herde ge¬ 
nügend lange Reaktionspausen zu gewinnen, ln dieser 
Weise werden die erkrankten Lungenpartien der Reihe 
nach durchbestrahlt. Diese sogenannte Felderbestrah¬ 
lung, bei der die erkrankten Herde in einzelne Be 
Strahlungsfelder eingeteilt werden,- hat sich als die 
zweckinässigste Form der Bestrahlung sowohl K ü p - 
f e r 1 e wie Bacmeister ergeben. Man hat es 
dann auch in der Hand, durch Variierung der Reihen¬ 
folge die Reaktionspausen für die einzelnen Felder 
nach Bedürfnis zu regulieren, ohne die Bestrahlungen 
ganz aussetzen zu müssen und dadurch Zeit zu ver¬ 
lieren. Am praktischsten zeichnet man nach Bac¬ 
meister die Einteilung der Felder auf Grund der 
klinischen Untersuchung und des Röntgenbildes in ein 
Schema ein. Im allgemeinen genügt es, jede Lunge in 
3 zu bestrahlende Felder einzuteilen, die rechts und 
links der Wirbelsäule liegen. Wendet man den gröss¬ 
ten Ausschnitt dabei an, so werden die meisten Herde 
bei einer Bestrahlungsfolge getroffen werden. Nur bei 
den ganz disseminierten Formen müssen bisweilen auch 
seitliche Felder bestrahlt werden. Einige Wochen nach 
Abschluss einer Bestrahlungsserie ergibt die klinische 
Untersuchung die Stellen, die einer nochmaligen Be¬ 
strahlung bedürfen. 

Meistens werden die oben angegebenen Röntgen¬ 
dosen ohne jede Störung vertragen. Bei manchen, be¬ 
sonders bei nervösen Patienten findet man am Be- 

Digitized by Google 


Erfolge resp. Mi 
der Tuberkulose 


strahlungstag ab und zu die Erscheinungen eines 
leichten Röntgenjammers, leichte Unruhe, schlechte 
Stimmung, Kopfschmerzen, geringe Temperaturstei¬ 
gerungen, die aber 0,5" nicht übersteigen sollen. Diese 
Beschwerden sind in der Regel am folgenden Tag ver¬ 
schwunden. Sie werden hervorgerufen durch ein ver¬ 
mehrtes Freiwerden von Toxinen in den bestrahlten 
Lungenherden. Oft lassen sich durch die Einschiebung 
etwas längerer Reaktionspausen die Beschwerden bessern. 
Treten stärkere Fiebererscheinungen, mehrere Tage an¬ 
dauernd, mit ausgeprägten Allgemeinbeschwerden auf, 
wie man es in der ersten Bestrahlungszeit bei akut pro¬ 
gredienten Fällen sehen konnte, so stellt man die Be¬ 
handlung besser ein. Wenn bei chronisch progredienten 
Fällen, die sich zur Bestrahlung gut eignen, infolge der 
Röntgenbestrahlung subfebrile, einige Tage andauernde 
Temperatursteigerungen auftreten, so genügt immer die 
Einschaltung einer mehrtägigen Pause, um die Tem¬ 
peratur wieder dauernd auch während der folgenden 
Bestrahlungen normal zu gestalten. 

Bei richtiger Auswahl der Fälle nach den oben ge¬ 
gebenen Indikationen, sowie bei genauer Durchführung 
der angegebenen Technik, die den Eigentümlichkeiten 
eines jeden Falles Rechnung trägt, können Schädigungen 
durch die Röntgentiefenbestrahlung nicht eintreten. Die 
bisher erzielten Erfolge der Röntgentherapie sind aber 
derart günstige und in die Augen fallende, dass ein 
Weiterer Ausbau der Methode berechtigt und w-ünschens- 
wert ist. Nur muss man sich immer der Grenzen der 
Bestrahlungstherapie bewusst bleiben. Es liegt in der 
Art der Wirkung der Röntgenstrahlen auf das tuber¬ 
kulöse Gewebe begründet, dass ein Erfolg nicht schon 
während der Bestrahlung zu erwarten ist, sondern in 
den der Röntgenkur folgenden Wochen. Die Patienten 
fühlen dabei häufig ziehende Schmerzen in der Umge¬ 
bung der Herde, ohne dass dabei eine Temperatur¬ 
steigerung beobachtet wird. 

Zum Schlüsse sei darauf hingewiesen, dass von 
Bacmeister ein kombiniertes Bestrahlungsverfahren, 
nämlich eine Folge von Quarzlicht- und Röntgenbe¬ 
strahlungen angewendet w-ird. Von der Wirkung des 
Quarzlichtes wissen w : ir auch durch die Versuche am 
Kaninchen von K ü p f e r 1 e und Bacmeiste r, 
dass eine direkte Beeinflussung der tuberkulösen Lun¬ 
genherde nicht stattfindet. Dass aber Allgemeinbestrah¬ 
lungen mit der künstlichen Höhensonne eine ausser¬ 
ordentlich günstige Wirkung auf das Allgemeinbefinden 
und den Lungenprozess, wie sich klinisch nachweisen 
lässt, an Tuberkulose oder anderen chronischen Lungen¬ 
krankheiten leidender Kranker ausüben, darin stimmen 
alle Autoren überein. Über die Art und Weise, wie die 
ultravioletten Strahlen auf den Körper wirken, bestehen 
bisher nur Vermutungen. Dass die vermehrte Pigment¬ 
bildung in der Haut eine Hauptrolle spielen muss, wird 
von S t r a u s s , wie von andern Autoren besonders 
betont. Man kann sich mit J e s i o n e k vorstellen, 
dass die roten Blutkörperchen das im Überschuss ge¬ 
bildete Pigment in gelöstem Zustand dem Blut und den 
Organen zuführen und so unter dem Einfluss des als 
Katalysator wirkenden, starken Lichtes den kranken 
Herden beständig Heilung befördernde Stoffe über¬ 
mitteln. Es handelt sich dabei vielleicht um eine be¬ 
schleunigte Übertragung oxydativer Stoffe, durch die 
eine Umstimmung der immunisatorischen Schutzkräfte 
des Körpers möglich wäre. Ein Teil der beobachteten 
günstigen Wirkung auf die Lungen besteht sicherlich 
in einer Entlastung des Lungenkreislaufs durch die 
starke, anhaltende Hyperämisierung der Haut nach der 
Bestrahlung mit künstlicher Höhensonne und die damit 
einhergehende Abschwellung der Schleimhäute des 
Bronchialsystems. Als Allgemeinwirkung der reinen 
Quarzlichtbestrahlung sah man bei tuberkulösen Lun- 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



262 


FORTSCHRITTE OER MEDIZIN' 


Nr. 27. 


genkranken Rückgang der toxischen Allgemeinerschei¬ 
nungen, Gewichtszunahme, Appetitssteigerung, Schwin¬ 
den von Kopfschmerzen, Nervosität und Mattigkeit. 

Das von Bacmeister angegebene kombinierte 
Bestrahlungsverfahren benützt diese günstigen Wir¬ 
kungen des Quarzlichtes neben denen der Röntgen¬ 
tiefentherapie und erzielt dadurch bessere und raschere 
Erfolge als bei der reinen Röntgenbestrahlung. Die 
bisweilen bei einfacher Röntgenbehandlung auftretenden 
Beschwerden werden durch eine Folge von Quarzlicht¬ 
bestrahlungen leicht beseitigt. Es ist, als ob die künst¬ 
liche Höhensonne auf die der Röntgenbehandlung fol¬ 
genden Umsetzungen regulierend und mildernd ein¬ 
wirkte. Die nach Quarzlichtbehandlung bald einsetzende 
Pigmentierung der Haut gibt für eine folgende Rönt¬ 
genkur ausserdem einen guten Schutz ab. Eine kom¬ 
binierte Quarzlicht-Röntgenkur wird in folgender Weise 
ausgeführt. Man beginnt mit mindestens 6 Quarzlam¬ 
penbestrahlungen und zwar am besten unter Benützung 
von 2 Lampen zu gleicher Zeit für Rücken und Brust. 
Diese 6 Bestrahlungen können je nach dem Erfolg ver¬ 
mehrt werden. Es werden wöchentlich 3 Bestrahlungen 
gegeben. Hierauf folgt die oben geschilderte Rönt¬ 
genbehandlung. Den Abschluss bilden wieder 6 Sit¬ 
zungen mit der Quarzlampe. Wie viele solcher Folgen 
gegeben werden müssen, hängt von dem Ergebnis der 
klinischen Untersuchung einige Wochen nach Abschluss 
der Bestrahlungskur und von der Ausdehnung des Lun- 
genptozesses ab, da bei sehr disseininierten Erkran¬ 
kungen nicht jeder Herd bei einer Folge genügend ge¬ 
troffen werden kann. 


Neue Grundlagen der Mineralwassertherapie. 

Von Kurarzt Dr. Jos. Schneider, Karlsbad. 

Das interessante und für die leidende Menschheit 
wichtige Thema der Behandlung mit Heilwässern ist in 
jüngster Zeit Vorwurf neuer experimenteller Unter¬ 
suchungen geworden, die sich die Erforschung des 
Mineralstoffwechsels bei Tieren und Menschen unter 
dem Einfluss von Trinkkuren zum Ziel esetzen. — 

Bisher fehlte eine wissenschaftliche Begründung der 
Aufsaugewirkungen der Trinkkuren, die von den meisten 
Ärzten zwar anerkannt wurden, deren Zustandekommen 
jedoch nicht einwandfrei erklärt worden war. Man be¬ 
half sich mit der Annahme, die Trinkkur wirke durch 
eine gründliche Durchspülung des Organismus, da man 
den wirksamen mineralischen Bestandteilen der Mineral¬ 
wässer'mit Rücksicht auf ihre minimale Menge einen 
entscheidenden Einfluss nicht zugestehen mochte. Dies 
führte dazu, eine spezifische Wirkung der Mineralwässer 


brunnens. Diese Versuche haben ergeben, dass bei 
gleicher Nahrungszufuhr die Versuchstiere bei Tränkung 
mit 60 cm 3 destillierten Wassers (Versuchsdauer je 7 
Tage) 1030, bezw. 70 g abgenommen, bei Tränkung 
mit der gleichen Menge Mühlbrunn 640 g, bezw. 20 g 
zugenommen haben. Daiaus geht hervor, dass unter 
dem Einflüsse des Mühlbrunnens die Nahrung besser 
ausgenutzt worden ist als bei Zufuhr von destilliertem 
Wasser. 

Es kam zum Ansatz von mineralischen Stoffen, zur 
Veränderung in der Bilanz der wichtigsten Elemente, 
ferner zn einer besseren Ausnützung der Nahrung und 
damit zur Gewichtszunahme. Im allgemeinen kann 
demnach von einer Änderung der mineralischen Zu¬ 
sammensetzung des Organismus durch die Trinkkur ge¬ 
sprochen werden. Es scheint aber nicht so sehr darauf 
anzukommen, was für Salze, sondern in welchem Mi¬ 
schungsverhältnis die Salze dem Körper zugeführt 
werden. Da sich die Änderungen auch auf die 
Reaktionsweise des Organismus erstrecken , ist in ihnen 
wohl der Hauptgrund zu suchen für die verschiedene 
Heilwirkung des Karlsbader Mühlbrunnens und anderer 
Mineralquellen, je nach ihrer Zusammensetzung. 

Interessant und überraschend ist die Tatsache, dass 
einige berühmte Quellen, wie die von Karlsbad und 
zum Teil auch von Marienbad (Kreuzbrunnen) die oben 
genannten Elemente in fast gleichem Verhältnis ent¬ 
halten wie die menschliche Blutflüssigkeit (Serum). 
Vielleicht spielt gerade dieser Umstand bei der kräftigen 
Heilwirkung dieser Quellen eine wichtige Rolle. — 

Auch die Nahrung hat, wie die Versuche bestätigt 
haben, bei entsprechender Zusammensetzung Wirkungen 
auf den Mineralstoffwechsel. Der Trinkkur angepasst, 
kann sie den Kurerfolg erzielen und verstärken helfen. 
Die alte, empirisch gefundene Brunnendiät kommt so, 
durch wissenschaftliche Forschung abermals begründet 
und erweitert, zu neuen Ehren. — 

Durch diese Ergebnisse wird der etwas nihilistischen 
Auffassung der Trinkkuren, wie sie trotz jahrhunderte¬ 
lang und millionenfach in den Kurorten gewonnener 
Erfahrung noch bei manchen Ärzten bestand, der Boden 
entzogen. — 


Neue Arbeiten aus dem Gebiete der 
Magendarmkrankheiten. 

Von Dr. Martin Kaufmann in Mannheim. 

In einer wertvollen Auseinandersetzung wird von 
H. E 1 s n e r und H. U r y (Boas' Archiv Bd. XXI 
11. 4, 1615) „Der diagnostische Wert des Röntgenver¬ 
fahrens befi Speiseröhren- und Magenkrankheiten“ 


überhaupt zu leugnen. Gleichzeitig damit schwand 
die Brunnendiät, welche der Krankheitsdiät Platz 
machte. — 

Von Luithlen an Kaninchen durchgeführte 
Untersuchungen des Mineralstoffwechsels hatten die 
Feststellung ermöglicht, dass es durch eine bestimmte 
Nahrung gelingt, den Bestand an gewissen, in den 
Körperzellen stets vorhandenen Elementen (den Ka¬ 
tionen: Magnesium, Kalzium, Natrium und Kalium) zu 
verändern, und zwar nicht nur den Gesamtbestand, son¬ 
dern auch das Verhältnis, in dem die einzelnen Ele¬ 
mente (Kationen) zu einder stehen. Diese können sich 
im Organismus gegenseitig verdrängen, vertreten und 
ersetzen, ohne dass zunächst die Lebensäusserungen 
sichtbar beeinflusst wären. Die Tiere verhielten sich 
während der Versuche normal. — 

Spätere von W i e c h o w s k i angestellte Versuche 
erstreckten sich auf die Wirkungsweise der Mineral¬ 
quellen, zuerst vor allen anderen des Karlsbader Mühl¬ 


kritisch beleuchtet. Für die Diagnose des Speisenröhren. 
karzinoms sprechen sie der Röntgenuntersuchung jeden 
Wert ab, da Anamnese und Sondierung die Diagnose 
sicher stellen lassen, für die Diagnose eines Kardia- 
karzinoms kann dagegen die Röntgenuntersuchung von 
grosser Bedeutung sein, wenn die Sonde keine Stenose, 
dagegen das Röntgenbild eine Stauung des Speisebreies 
zeigt. Für die Diagnose der Kardiospasmus bildet die 
R. eine willkommene Ergänzung, da sie uns das Bild 
| und die F'orm der erweiterten Speiseröhre wiedergibt 
(Ref. möchte hinzufügen, dass die R. auch für Diffe¬ 
rentialdiagnose zwischen Karzinom und Spasmus an 
der Kardia von grosser Bedeutung ist, da das Bild der 
Stauung bei beiden Affektionen ganz verschieden ist. 

Für die Diagnose des einfachen Magengeschwüres 
ist die Bedeutung der R. nur beschränkt; es erleichtert 
nur selten durch indirekte Zeichen (Spasmus, Motilitäts¬ 
störung) die Diagnose. Von grosser Wichtigkeit für die 
j Diagnose ist das Verfahren für die Diagnose des Ulcus 

Origiral frcm 



UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 2J. 


FORTSCHRITTE HER MEDIZIN. 


263 


callosum und penetrans; hier lässt das Nischensymptom 
allein die sichere Diagnose stellen: leider sieht man die 
Nische nur an bestimmten Stellen (das Nischensymptom 
ist doch recht selten; Ref. sah 8—10 Nischen bei etwa 
300 Durchleuchtungen von Magenkranken). Die eigent¬ 
liche Domäne des R. ist der Sanduhrmagen: hier treten 
alle anderen Methoden dagegen in den Hintergrund. 
Dagegen ist für die Diagnose der Pylorusstenose die Sonde 
der R. weit überlegen. Für die Diagnose des Ulcus 
duodeni erhalten wir nur in Ausnahmefällen von der R. 
diagnostische Anhaltspunkte (Ref. scheint es doch, als ob 
bei sicherem Ulcus ausgesprochene duodenale Motilität 
für Sitz im Duodenum spräche). Bei Karzinom ist die R. 
ineist eine wertvolle Ergänzung, selten von ausschlag¬ 
gebender Bedeutung: für die F'rühdiagnose ist sie 
wertlos. 

Die Röntgenuntersuchung sollte stets erst gemacht 
werden, wenn der Patient mit allen anderen Methoden 
erschöpfend durchuntersucht ist: sie sollte stets entweder 
von dem Kliniker selbst oder in enger Verbindung mit 
ihm vorgenommen werden. Durchaus entbehrlich ist 
sie bei sicherer Gastritis, sicherer benigner Achylie, bei 
Atonie, Ptose, sicherer Pylorusstenose, sicherem Ulcus 
simplex. Bei Differentialdiagnose zwischen Ulkus und 
Neurose versagt sie leider meist. Bei Verdacht auf 
Ulcus callosum, U. penetrans und Sanduhrmagen ist sie 
unbedingt vorzunehmen. Bei Karzinom ist sie zwar 
entbehrlich; wird aber doch zweckmässig meist zur 
Ergänzung der Diagnose vorgenommen werden. 

Eine Mitteilung K e 1 1 i n g s „Über Röntgenunter¬ 
suchungen des Magens mittels einer Tastsonde“ muss 
iin Original nachgelesen werden (Boas’ Archiv Bd. XXI 
Nr. 5, 1915). „Die Handhabung der Sonde geschieht 
so, dass man das untere Sondenende bis über die Kar- 
dia einführt, dann den Magen mit Luft anfüllt und nun 
die Spirale mit dem Knopf vorwärts schiebt. Die Kugel 
gleitet dann an der grossen Kurvatur entlang nach dem 
Pylorus. Beim Zurückziehen sucht man an der kleinen 
Kurvatur entlang zu schleifen.“ Es gelingt bei einiger 
Übung, an den Konturen des Magens entlang zu 
schleifen und grössere Unebenheiten festzustellen: die 
kleinste Unebenheit, die Vf. erkennen konnte, hatte 
etwa Walnussgrösse. Da die Tastuntersuchung vor dem 
Röntgenschirm vorgenommen wird, lässt sich in auf¬ 
geblähten Magen die Stelle der Unebenheit feststellen. 
Vf. hat auch einen Apparat konstruiert, an dem die 
Kugel der Tastsonde etwas ausgehöhlt ist und so einen 
kleinen scharfen Löffel darstellt, der Gewebe mitnimmt; 
allerdings schabt er im Interesse der Ungefährlichkeit 
so wenig, dass er bei harten Karzinomen versagt. Will 
man nur auf Ulzeration untersuchen, so wird auf dem 
Löffel ein kleines Schwämmchen befestigt. 

In Holzknechts Institut hat E. E g a n die Be¬ 
ziehungen zwischen „Azidität und Flntleerung“ des 
Magens untersucht (Boas’ Archiv XXI FI. 6, 1915). 
„Ausgehend von der Frage, ob Salzsäure auf die Magen- 
entleerung verzögernd bezw. Alkali bescheunigend wirke, 
ist es gelungen, in einer Kombination des Dauerverweil¬ 
schlauches mit der Röntgendurchleuchtung eine Methode 
zu finden, die einerseits für diese Frage einwandfreie 
Resultate liefert, andererseits für die Klärung einer Reihe 
von Fragen auf dem Gebiete der Magenentleerung und 
Sekretion zu verwerten ist. Zur Erprobung der prak¬ 
tischen Durchführbarkeit der Methode wurden Unter¬ 
suchungen an 12 vollständig gesunden jungen Männern 
und 5 Magenkranken vorgenommen : es gelang in keinem 
Falle, die Magenentleerung durch Einführen von Salz¬ 
säure zu verzögern bezw. durch Neutralisieren der je¬ 
weilig nachweisbaren freien Salzsäure mittels Sodalösung 
abzukürzen. 

„Ergebnisse neuerer klinischer Erfahrungen über 
Magenkarzinom“ werden Boas’ Archiv Bd. XXI, II. 6, 

Digitized by Google 


1915) von E. Schütz mitgeteilt. Aus den ausführ¬ 
lichen Erörterungen des erfahrenen Wiener Lehrers sei 
wenigstens das Wesentlichste angedeutet. Der Mit¬ 
teilung liegen 222 sichere Karzinomfälle zugrunde. Über¬ 
einstimmend mit anderen Statistiken fand sich ein be¬ 
trächtliches Überwiegen der Männer: 152 gegen 70 
Frauen. Unter 30 Jahren war 1 Fall, zwischen 30—40: 
15, 40—50: 43, 50 -60: 103, 60-70: 47, über 70: 13. 
Appetitlosigkeit ist eines der häufigsten Symptome, in 
3 Fällen war es das alleinige, normaler Appetit war in 
12 Fällen, Hungergefühl in 1 Fall. Schnierzbestand in 
147 Fällen (=67%), Erbrechen in 108 (68 Pylorus, 42 
Korpuskarzinome), kein Erbrechen in 114 (72 Korpus, 
42 Pylorus), Bluterbrechen in 12, Dyspepsie ohne Schmerz 
und Erbrechen in 7, Ekel vor Fleisch und rasche Ab¬ 
magerung sowie Anaemie in den meisten Fällen. Die 
Krankheit bestand unter 1 Monat bei 13, 2—3 Monate 
bei 66, 4 -6 Monate bei 64, 7—9 Monate bei 22, 10 bis 
12 Monate bei 28, mehr als 1 Jahr bei 23 F'ällen. Die 
Fälle mit sehr kurzer Dauer der Krankheit dürften aber 
bei sehr eingehender Anamnese viel seltener werden; 
umgekehrt dürfte ein jahrelanges Bestehen von Be¬ 
schwerden auf einem zufälligen Vorherbestehen eines 
anderen Magenleidens beruhen. Eine häufige Ent¬ 
stehung des Karzinoms aus einem Ulkus ist nicht wahr¬ 
scheinlich. Von 14 Fällen, die bis zu 2 Monaten Be¬ 
schwerden gehabt hatten, konnten nur 5 noch reseziert 
werden, von 19 F'ällen dagegen, die eine Krankheits¬ 
dauer von 9 Monaten bis zu mehreren Jahren angaben, 
10; erstere sind also offenbar maligner. Der Sitz der 
FTkrankung war in 110 Fällen die pars pylorica, in 112 
das Korpus. Magensaftuntersuchungen wurden in 197 
Fällen vorgenommen: 180 — 90% hatten keine Ireie Salz¬ 
säure (davon hatten nur 74 Milchsäure), 52 hatten eine 
Achylie; von den 17 Fällen mit Salzsäure hatten 12 
subazide, 5 normale Werte. Anazidität und Subazidität 
sind bei Nichtkarzinomatösen recht selten (von 830 Fällen 
7,4 0 / 0 ). Positiver Ausfall der (im Ätherextrakt ausge¬ 
führten) Milchsäurereaktion spricht mit Sicherheit für 
Karzinom. Retention fand sich in 84 Fällen (=43%). 
— Röntgenuntersuchungen wurden in 130 F'ällen vor¬ 
genommen: in 30 F'ällen, wo die Röntgenuntersuchung 
keinen charakteristischen bezw. negativen Befund lieferte, 
war die klinische Diagnose in 25 Fällen mit Sicherheit 
auf Karzinom zu stellen; umgekehrt fand sich für Kar¬ 
zinom charakteristischer Röntgenbefund bei klinisch 
nicht nachweisbarem Tumor in 33 Fällen ; in 16 davon 
war die Diagnose ausschliesslich auf Grund des Röntgen¬ 
befunds sicher zu stellen. Der Wert der Röntgenunter¬ 
suchung besteht weiter in der Möglichkeit der Fest¬ 
stellung eines Skirrhus sowie eines karzinomatösen Sand¬ 
uhrmagens, ferner der Feststellung des Sitzes und der 
Ausbreitung usw. — Eine relative Frühdiagnose des 
Karzinoms werden wir erreichen, wenn wir möglichst 
frühzeitig, d. h. dann, wenn frisch aufgetretene Magen¬ 
beschwerden nach 14 Tagen nicht geschwunden sind, 
unser ganzes diagnostisches Rüstzeug in Anwendung 
bringen. — Was die Indikation zur Operation anlangt, 
so ist sie 1. absolut indiziert bei allen F'ällen von Pylo¬ 
russtenose sowie bei allen Fällen von kallösem penetrie¬ 
rendem Ulkus (falls nicht von vornherein deren Unrese- 
zierbarkeit feststeht), 2. absolut kontraindiziert bei nach¬ 
gewiesenen Metastasen oder bei Flrgriffensein der Kardia, 

3. relativ indiziert, d. h. dem subjektiven Ermessen des 
Chirurgen anheimgegeben, in allen anderen Fällen. 

„Über die Behandlung von gastrogenen Diarrhöen 
mit Salzsäure - Tierkohle“ berichtet aus Reservespital 
Nr. 4 in Wien O. P o r g e s. (Therap. Mo.-H. Nr. X, 
1915). Die Tierkohle absorbiert bis zu 10 /„ CIH, gibt 
sie aber an Eiweisskörper ab. Die Kombination ermög¬ 
licht es, leichter, als durch die gewöhnlich verabreichte 
verd. Salzsäure und wirksamer als durch Azidolpepsin, 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






264 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN, 


Nr. 27 


die für die Behandlung nötigen relativ grossen Salz¬ 
säuremengen einzuverleiben; daneben entfaltet die Tier¬ 
kohle ihre fäulniswidrigen und entgiftenden Eigenschaften. 
Unter 67 Soldaten mit chronischen Durchfällen hatten 
39 Anazidität; von 42 chronischen Diarrhöen bei Ruhr¬ 
rekonvaleszenten waren 24 anazid (eine Mahnung, in 
solchen Fällen immer die Magensekretion zu prüfen). 
Bei Darreichung von 3mal täglich 1 gehäuften Teelöffel 
des Pulvers (eine Reihe von Patienten erhielten ein 
Präparat „Carboazid“ der Budapester Chem. Fabrik 
G. Richter) nach dem Essen verloren die Patienten, die 
vorher bei leichter Kost Kollern, Koliken, Flatulenz, 
3—6 dünne Stühle gehabt hatten, Beschwerden und 
Durchfälle; bei Komplikation mit Dickdarmkatarrhen 
waren noch hohe Einläufe mit aufgeschwemmter Tier¬ 
kohle, später abwechselnd mit 0,2°/ 0 Tannin zur Heilung 
nützlich. Nur 2 Fälle verhielten sich völlig refraktär, 
einige (mit Dünndarmkatarrhen kompliziert) wurden nur 
wenig gebessert, bei einer Anzahl von Fällen konnte 
sogar gewöhnliche Kost ohne Weitergebrauch des 
Mittels gegeben werden; andere allerdings machten 
noch weiterhin eine gewisse Vorsicht sowie Weiter¬ 
gebrauch des Präparats erforderlich. 

Auf der Würzburger medizinischen Klinik hat Jos. 
Schleicher „Die Methoden zur Prüfung der 
äusseren Pankreassekretion“ ausgeprobt. (Boas’ Archiv 
Bd. 21, H. 4, 1915.) Als zuverlässig erwiesen sich ihm 
die Methoden zum Trypsinnachweis von Gross und 
M i'i 1 1 er sowie die Diastaseprobe nach Woh I ge - 
m u t h , auch das Boldireff-Volhard sehe 
Ölfrühstück. Das Winternitz sehe Diagnostikum 
sowie die Ehrmann sehe Probe haben sich zwar bis 
jetzt gut bewährt, sind aber noch nicht genügend nach¬ 
geprüft. Die Schmidt sehe Kernprobe scheint 
weniger sicher zu sein, noch weniger die Geloduratprobe 
nach Schlecht und die Sahli sehen Glutoid- 
kapseln. Für akute Fälle genügen der qualitative und 
quantitative Trypsin- und Diastasenachweis aus Faezes 
und Urin nach Gross und W o h 1 g e m u t h , um 
Sicherheit über die Pankreasfunktion zu geben; wo es 
Zeit und Zustand der Kranken erlaubt, ergänzt man 
die Untersuchung durch die anderen Proben. (Die Arbeit 
enthält ein 66 Nummern umfassendes Literaturver¬ 
zeichnis.) 

Über die Behandlung der Cholelithiasis verbreitet 
sich (Th. d. G. Nr. 12, 1915) J. Boas („Meine Er¬ 
fahrungen über die Behandlung der Cholelithiasis“) : Er 
legt dar, dass die innere Medizin trotz aller sogenannten 
„Spezifica“ weder die Steine selbst noch die lithogenen 
Faktoren beseitigen kann, und die Chirurgie wenigstens 
die letzteren nicht. Die innere Medizin hat 3 Aufgaben 
zu erfüllen: 1. den Anfall zu kupieren. Hierbei sollte 
man nicht zu rasch zum Morphin greifen, das dem Be¬ 
streben der Natur nach Eliminierung des Fremdkörpers 
entgegenarbeitet , sondern zunächst zu heissen Um¬ 
schlägen und Getränken, ev. zu Pantopon, Papaverin, 
Kodein usw., nur im äussersten Notfall zu Morphin. 
Unter Umständen wirkt eine lokale Blutentziehung gut; 
2. das Latenzstadium herbeizuführen. Hier ist wichtig 
die Bekämpfung einer habituellen Obstipation, die Be¬ 
handlung der gestörten Magenfunktion (in erster Linie 
einer Achylie, doch kommt auch das Gegenteil vor). 
Die Nahrungszufuhr ist zu regeln ; man gibt häufige, 
kleine Mahlzeiten, unter Verbot von rohem Obst, Salaten, 
Schwarzbrot, Gurken usw. Daneben lange Zeit dauernde 
Mineralwasserkuren (Marienbad, Mergentheim, Tarasp, 
Karlsbad). 3. Komplikationen zu beseitigen. Beim 
Choledochusstein erwartet Vf. von der inneren Behand¬ 
lung nicht viel, mehr bei den Entzündungen der Gallen¬ 
blase; hier erfolgt in leichteren Fällen oft schon Heilung 
durch vorsichtige Diät, Eisblase und Narkotika; in 
schweren Fällen hilft oft systematische Kalomeldar- 

Digitized by Google 


reichung: 3x0,1, 4 Wochen lang. Bei chronischer Chole 
Zystitis ist von innerer Behandlung kaum etwas zu er¬ 
warten. — Die Operation ist indiziert: 1. bei gehäuften 
Anfällen, 2. bei Unmöglichkeit einer sachgemässen Be¬ 
handlung, 3. beim Choledochusstein mit Ikterus, 4. bei 
chronischer Cholezystitis und Pericholezystitis, 5. bei 
akuter fieberhafter Cholezystitis bei Erfolglosigkeit der 
Kalomelkur. 

Als „Zur Zeit empfehlenswerte Abführmittel“ be 
zeichnet (Th. d. G. Nr. 2, 1916) E. Benecke: Pulv. 
Magnes. c. Rheo (1 kg = 2,05 M). Besonders für Kinder, 
messerspitzen- bis teelöffelweise, Rad. Rhei concis 
(.ff 3,40), 1 - 2 Stück der ’/ 2 cm langen Stückchen kauen, 
Pulv. rad. Rhei ( M 4.—), Cort. frangulae (,({ 1,25), 1 Ess¬ 
löffel in 3 Tassen Wasser auf 2 Tassen eingekocht, Extr. 
frang. fluid (.ff 3,10), 60 Tropfen — 1 Esslöffel, Phenol¬ 
phthalein („ff 17.—) ä0,25, Istizin (teuer!). Calomel(„ff 10.—) 
ist nur bei infektiösen Verdauungsstörungen zu ver¬ 
wenden. Von vielen gebräuchlichen Mitteln wie Ol. 
Rizini, Senna, Rad. Liquirit., Manna, Aloe ist uns die 
Zufuhr abgeschnitten oder erschwert. 

„Etelen“ ein neues Darmadstringens (von der Firma 
Bayer u. Co. in Leverkusen) empfehlen (M. M. W. Nr. 51, 
1915) Löwenthal („Klinische Erfahrungen über ein 
neues Darmadstringens Etelen) und Seifert (Über 
Etelen). Es handelt sich um den Triacetyläther der 
Gallussäure, ein weisses, geschmackloses, wasserunlös¬ 
liches Pulver. Es zeigt keine unangenehmen Neben¬ 
wirkungen und wirkt prompt bei den mit Durchfällen 
einhergehenden Darmerkrankungen. Die Dosis beträgt 
nach Seifert nur 1,5—2 g, nach L öwenthal 
3—4 g bei leichten, 7—8 g bei schweren Durchfällen. 
Bei tuberkulösen Durchfällen übertrifft es nach Seifert 
alle andern Mittel. Bei Dvsenterie wirkt es nach 
L ö w enthal gut in Verbindung mit Adrenalin 
(2 Tage lang 3x täglich 15 Tropfen der Lösung 
1 : 1000 ). 

Rittsteiner (Hanau) bringt (M. M. W. Nr. 51, 
1915) „Erfahrungen über leichte Ruhrfälle“: Er verfügt 
über 70 F’älle. Er beobachtete eine typische Tem¬ 
peraturkurve: Die anfangs rasch zur Norm sinkende 
Temperatur bleibt etwa 1 Woche normal, erhöht sich 
dann wieder mässig und schwankt nun periodisch einige 
Zeit. Er beobachtete ferner eigentümliche Gärungs¬ 
stühle, die mit dem Steigen der Temperatur auch stärker 
hervortraten. Demgemäss sah er bei kohlehydratfreier 
Diät rasch Besserung, oft Heilung eintreten. In schweren 
Fällen treten hinzu : Bolus (über 100—300 g), ev. in Ver¬ 
bindung mit grossen Opiumdosen, Tannineinläufe, Atro¬ 
pin bei spastischer Verstopfung, Adrenalin bei Kolik¬ 
schmerzen. 

„Ein Mittel zur Bekämpfung der blutigen Stühle“ 
das in Niederländisch - Indien bei den Blutungen der 
Amöbendysenterie verwendet wird, empfiehlt (Bkl. W. 
Nr. 5, 1916) Moszkowski auf Grund seiner Er¬ 
fahrungen in 13 Fällen (von wahrscheinlich typhösen und 
paratvphösen Erkrankungen) Es werden ohne vorher¬ 
gehendes Reinigungsklistier durch ein 50 cm hoch ein¬ 
geführtes Darmrohr mittelst einer kleinen Spritze 45 bis 
50 ccm einer Jodoformemulsion (Jodof. 80,0, Gummi 
arab. 100,0, Aq. dest. 180,0) eingespritzt und 2 — 3 Stunden 
gehalten. Es genügten 1 — 5 (einmal 9) Klysmen, um in 
allen Fällen die Blutungen wie die profusen Durchfälle 
zu stillen und die Tenesmen zu beseitigen; von den 
hohen Jodoformdosen (10—11 g pro die) wurde nie ein 
Schaden beobachtet. 

„Über Colitis suppurativa und Ulcus chronicum recti 
berichten aus dem Moabiter Krankenhaus G. K 1 e m p e- 
n e r und L. D ü r m e r (Th. d. G. Nr. 11 und 12, 1915). 
Die Symptome der suppurativen Kolitis sind im Anfang 
oft geringfügig: geringer Blutabgang, dann Stuhldrang, 
Leibschmerzen, Durchfälle, schliesslich Eiterbeimengungen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Sir. $7 


FORTSCHRITTE PER MEDIZIN. 265 


zum Stuhl. Manchmal aber treten auch ganz akut blutig¬ 
eitrige Durchfälle auf. Allmählich kann der dauernde 
eitrige Entzündungspi ozess zu Anämie und Kachexie 
führen; in anderen Fällen ist das Krankheitsbild leicht, 
manchmal auch intermittierendes Fieber. Objektiv findet 
man, eventuell erst bei genauerer Untersuchung, beim Stuhl 
Blut und Eiter, aufgelagert, wenn nur die unteren, bei¬ 
gemischt, wenn auch die oberen Kolonabschnitte befallen 
sind; doch ist der Unterschied nicht durchgehend. Oft 
sind zahlreiche Prüfungen, eventuell mikroskopisch oder 
chemisch zur Diagnose nötig. In jedem Falle muss man 
bakteriologisch untersuchen, um spezifische Affektionen 
auszuschliesseti. Den Schluss der Untersuchung bildet 
die Rektoskopie: man sieht hochgradige Entzündung, 
oft Blutungen, das typische ist aber der Eiter, der teils 
von der Schleimhaut produziert wird, teils von kleinen 
Ulzerationen (nicht über Zehnpfennigstückgrösse) her¬ 
stammt. Sie beginnen meist erst 10—15 cm vom Anus, 
machen bei der Heilung meist keine Narben. Die Aus¬ 
dehnung nach oben kann man zwar von aussen ver¬ 
muten, aber nicht sicher feststellen; die obere Grenze 
bildet die Bauhinische Klappe. — In einzelnen Fällen 
sieht man statt dieser Veränderungen ein grosses meist 
einige cm über dem Anus beginnendes Geschwür — Ulcus 
chronicum recti. Seine Prognose ist ganz infaust, seine 
Ätiologie ist noch nicht geklärt; angegeben werden 
Lues, Gonorrhoe, Dysenterie, Tuberkulose, Traumen. 
Wahrscheinlich ist die Ätiologie keine einheitliche. Das 
klinische Bild deckt sich in vielen Fällen mit dem der 
Colitis suppurativa. — Der Verlauf der C. supp, ist 
meist sehr chronisch, mit Besserungen und Verschlechte¬ 
rungen, eventuell in Heilung ausgehend, die allerdings oft 
nur eine Scheinheilung ist. Von Komplikationen kommen 
in Betracht: lokale Peritonitis (selten diffuse), Throm¬ 
bosen der Femoralvenen, Gelenkentzündungen, Embolien, 
multiple Neuritiden. Die Prognose ist sehr schwer zu 
stellen. — In jedem Fall ist zunächst innerlich zu be¬ 
handeln. Die Behandlung soll: 1. Die Reizung der er¬ 
krankten Partien durch Kotreste möglichst zu ver¬ 
mindern, 2. den Darm durch Spülung vom anhaftenden 
Sekret zu reinigen, 3. desinfizierende und adstringierende 
Mittel an ihn heranzubringen versuchen. Stets ist Bettruhe 
und Wannhalten des Leibes geboten. Diätetisch beginnt 
man mit flüssig - breiiger Kost, bei der man vorsichtig 


steigende Milchmengen verabreicht; sie wird meist gut 
ertragen. Auf sorgfältiges Kauen ist besonders zu 
achten. Nach einigen Wochen geht man zu Zwieback, 
Weissbrot, dann zu püriertem Fleisch, Eiern, Butter, 
dann zu leichten Gemüsen und Apfelbrei über. Das 
subjektive Befinden des Kranken und die Kontrolle des 
Stuhles belehren darüber, ob die Zulage vertragen wird. 
— Ebenso wichtig ist die lokale Behandlung. Man gibt 
täglich 1 Klistier von 1 1 dünnem, lauwarmem Kamillen¬ 
tee und lässt es 1 — 2 Minuten halten; in schweren Fällen 
fügt man 10 Tropfen Opiumtinktur hinzu. Von Tannin 
(1 Teelöffel auf I 1 Wasser) haben Vff. nicht viel Gutes 
gesehen. Günstiger waren die Erfolge mit Bolus und 
Tierkohle (aä, 1—2 Esslöffel zu */» 1 Wasser, eventuell 
mit 10 Tropfen Opium, bis zu 'y* Stunde halten lassen). 
Zweimal gaben sie auch eine Mischung von Bolusal und 
Tierkohle mit gutem Erfolg. Jedem derartigen Klistier 
hat eine Kamillenspülung voranzugehen. Pulverbehand¬ 
lung des Rektums wenden Vff. nicht an, da ihnen die 
häufige Einführung des Romanoskops wenig empfehlens¬ 
wert erscheint A 1 b u hat auch mit heissen Gelatine¬ 
klistieren, ferner mit gut verriebenen Dermatol-Ül-Emul- 
sionen (100 ccm als Bleibeklistier) Erfolge erzielt. — 
Innerlich gibt man alle Mittel, die auch sonst bei Durch¬ 
fällen empfohlen werden (Tannalbin, Wismut, Dermatol). 
Ad. Schmidt gibt Ipecacuanha und Elkossan sowie 
Uzara; Rosenheim empfiehlt Kalomel (10-12 x 
täglich 0,02). Vff. geben auch Bolus (bezvv. Bolusal) 
und Tierkohle (3 X täglich 1 Esslöffel). — Chirurgische 
Behandlung. Etwa dreimonatliche Behandlung ohne 
lokalen Erfolg bei sinkendem Körpergewicht recht- 
fertigen die Zuziehung des Chirurgen. Als Operation 
kommt die Anlegung des Anus praeternaturalis in Be¬ 
tracht; da man nicht weiss, wie hoch der Prozess hinauf¬ 
reicht, wäre theoretisch seine Anlegung am Beginn des 
Colon ascendens in Betracht; aber da der Mensch die 
Dickdarmverdauung nicht auf die Dauer entbehren kann, 
hat man ihn an tieferen Stellen ausgeführt oder nur eine 
fistel angelegt, die nur einen Teil des Stuhles ableitet 
und Spülungen ermöglicht; eine besondere Form stellt 
die Appendicostomie vor, die ohne Kotverlust Spülungen 
erlaubt. — Beim Ulcus chronicum recti ist die innere 
Therapie machtlos; vielleicht könnte ein frühzeitig an¬ 
gelegter Anus praeternaturalis Besserung bewirken. 


Referate und Besprechungen. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Frieda Reichmann. Klinische Beobachtungen an 
Schussverletzungen peripherischer Nerven. (Archiv f. Psych. 
LVI. 1915, H. 1. S. 290.) 

Es werden eine Anzahl von besonders interessanten Fällen 
von Kriegsverletzungen peripherischer Nerven mitgeteilt und im 
Anschluss daran über die organisch bedingten Folgezustände 
der Schusslähmungen nach Ausschluss der sehr häufigen 
psychogenen Störungen berichtet. Besonders auffallend ist der 
isolierte Ausfall einzelner und jedesmal anderer Funktionen 
ein und desselben schussverletzten Nerven: oft sind nur die 
motorischen, oft nur die sensiblen oder trophischeu, dann wieder 
slle Qualitäten eineB Nerven, bald in seinem ganzen Aus 
breitungsbezirk, bald in einem Teil desselben betroffen. Auf 
die anatomischen Verhältnisse lässt sich diese Erscheinung 
nicht allein zurückfuhren, und wenn auch die Höhe der 
Läsiou eine gewisse Rolle spielt, so erklärt sie allein doch 
nicht in allen Fällen das elektive Betroffensein der ver¬ 
schiedenen Versorgungsgebiete eines Nerven. 

Digitized by Go v igle 


Iin einzelnen werden zur Symptomatologie der motorischen 
Störungen nach Schussverletzung gegenüber den peripherischen 
Friedenslähmungen folgende Besonderheiten hervorgehoben: 
Unter den 51 von Verf. beobachteten Schussliihmungen des 
Ulnaris wurde die Duchennesche Klauenhandstellung relativ 
selten beobachtet; meist fehlte die ausgesprochene Beugestellung 
der Nagelglieder, und der dritte Finger war meist auffallend 
wenig beteiligt Als konstantes Symptom der Ulnarisparese 
fand sich dagegen ungeachtet des Sitzes der Läsion die fehlende 
Adduktion der Finger. Einefür Ulnarislähmung pathognomonische 
Fingerstellung ergab sich, wenn die Patienten zum Faust¬ 
schluss aufgefordert wurden ; der Zeigefinger wird gut, der dritte 
leidlich, der vierte und fünfte nur in der Mittelphalaux leicht 
gebeugt, die Ueberstreckung der Grundglieder tritt dann deut¬ 
licher als in der Ruhelage hervor. Für die Medianuslähmung 
charakteristisch fand sich beim Faustschluss eine Hyperexteusion 
des dritten und besonders des zweiten Fingers, bei Ausfall der 
Beugung im Mittel- und Endglied, während Grund- und 
Nagelphalanx des 4. und 5. Fingers gut gebeugt werden; 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








266 


Nr. 27. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


dieses Bild hält Verf. für charakteristischer für flie Medianus¬ 
lähmung als die bekannte Affenhandstellung. Die motorische 
Radialislähmung wurde nicht abweichend von den verschiedenen 
Bildern der Friedenslähmung gefunden. Mehr als bei anderen 
Schusslähmungen fiel bei der Peroneuslähmung die Ausdehnung 
der Parese auf bestimmte vom Nerven versorgte Muskelgruppen 
auf; am häufigsten wurde die isolierte Paralyse des N. peroneus 
superficialis beobachtet; unter den übrigen vom Peroneus ver¬ 
sorgten Muskeln blieb relativ häufig der M. extensor digit. 
commun., seltener der M. tibialis verschont 

Für die sensiblen Störungen fanden sich zahlreiche von 
dem bisher Bekannten abweichende Befunde. Nur in relativ 
wenigen Fällen betreffen die sensiblen Störungen alle Qualitäten 
in gleicher Intensität und Ausdehnung; im allgemeinen fand 
sich die Annahme einer Dissoziation der sensiblen Qualitäten 
in dem Sinne bestätigt, dass eine Dissoziation der Hautanalgesie 
mit Thermanästhesie für extreme Temperaturen einerseits, der 
Hautanästhesie mit Thermhypästhesie anderseits beobachtet 
wurde. Während in allen Fällen, die überhaupt sensible 
Störungen aufwiesen, Schmerz-, Temperatur- und Berührungs- 
empfindung geschädigt waren, traten Störungen des Lagegefühls 
vorwiegend bei Plexusverletzungen, und nur in seltenen Fällen 
bei Ulnaris- und Medianusläsionen in den Fingergelenken, bei 
Ischiadikusschüssen auch in proximaleren Gelenken auf. Die 
sensiblen Versorgungsgebiete der Hand weichen in fast allen 
Fällen von dem bisher Bekannten ab: Die Grenze zwischen 
Ulnaris- und Radialisbereich ist auf dem Handrücken meist 
ebenso wie au der Vola 'eine Linie, die von der Mitte des 4. 
Fingers, seltener auf der Grenze zwischen 4. und 5. Fiuger 
über dem Handrücken verläuft. Am meisten entspricht dem 
gewohnten Bilde die sensible Versorgungszone des Medianus; 
sehr häufig ist bei Medianuslähmungen, dass der Sensibilitäts- 
ausfäll nur die vom Medianus versorgten Teile der Finger be¬ 
trifft, während die Handfläche, besonders die Haut über dem 
Daumenballen der Sitz einer ausgeprägten Hyperalgesie ist 
Die sehr häufigen Neuralgien lassen sich nicht in allen Fällen 
auf Narbenkompression zurückführen, denn sie treten meist 
ziemlich rasch nach der Schussverletzung auf; ob es sich hier 
um echte Neuritiden handelt, möchte Verf. nicht entscheiden. 
Auffallend ist, dass diese Neuralgien am weitaus häufigsten bei 
Plexus- und Ischiadicusverletzungen sind. Jedenfalls geben 
diese Erscheinungen keinerlei Indikation zur Operation, meist 
gelingt es nach eineiger Zeit mit konservativer Behandlung 
Besserung zu bringen, bis die Epoche der primären Reizer¬ 
scheinungen überwunden ist. 

Sehr häufig und sehr variabel sind die trophischen 
Störungen. Am häufigsten werden folgende Erscheinungen 
beobachtet: DieHautüber dem Ausbreitungsbezirk des betroffenen 
Nerven ist feucht, ödematös und lividc verfärbt; sie erscheint 
verdünnt, leicht vulnerabel und fühlt sich eigentümlich 
schwammig an; die queren Hautfalten sind verstrichen. Daneben 
finden sich häufig, aber nie gesetzmässig, recht wechselnde 
trophische Störungen: Temperatursteigerung, Hyperhidrosis, 
Hypertrichosis und livide Verfärbung der betreffenden Haut¬ 
partien einmal und in anderen Fällen Kälte, Blässe und 
Anhidrosis. In keinem Falle fehlen Atrophien, und zwar 
treten sie nicht nur in den gelähmten, sondern auch in anderen 
Muskeln, und zwar so rasch nach der Verletzung auf, dass 
sie nicht als Inaktivitätsatrophien aufgefasst werden können. 
Ein Zusammenhang zwischen der Art der Nervenläsion und 
der Eigenart der trophischen Störung liess sich nicht 
nachweisen, dagegen fanden sich gewisse Prädilektionstypen 
für bestimmte Nervengebiete. Am stärksten und häufigsten 
sind die trophischen Störungen in den vom Medianus versorgten 
Gebieten der Finger, wo sie bis zu Spont.,nulzerationen führen 
können; im Ulnarisgebiet wurden sie am häufigsten als gelblich 
gefärbte trockene borkige Beläge beobachtet; für die Radialis¬ 
lähmung ist eine Schwellung des Handrückens besonders 
charakteristisch. Konstant treten Veränderungen an den Nägeln 
auf in Form von Gelbfärbung, Glanzlosigkeit, Rissigkeit, 
fehlender Luuula und Wachstumsauomalien. Auch bei hohem 
Sitz der Verletzung sind die trophischen Störungen meist distal 
lokalisiert; bei proximalem Sitz kann auch das Knochen¬ 
system von atrophischen Veränderungen ergriffen werden. 

Die elektrischen Störungen weichen gleichfalls von dem 

Digltized by Google 


Bekannten erheblich ab. Es kommt zwar kein Fall ohne 
elektrische Störung vor, aller es liess sich kein gesetzmässiger 
Zusammenhang zwischen dem Grad der Nervenschädigung 
und dem der elektrischen Störung feststellen; insbesondere lässt 
sich tlie totale Kontinuitätsstörung (Nervenzerreissung) von der 
partiellen (Kompression) elektrisch nicht unterscheiden; insbe¬ 
sondere fand sich eine totale Entartungsreaktion über Erwarten 
selten. Verf. kommt daher zu dem Schluss, dass der Haupt¬ 
wert der elektrischen Untersuchung bei peripherischen Scbuss- 
lähmungeu vorläufig nur der Differentialdiagnose zwischen 
funktioneller und organischer Lähmung gilt. 

Hinsichtlich der Therapie der peripherischen Schuss¬ 
lähmungen kommt Verf. auf Grund ihrer Erfahrungen zu 
folgenden leitenden Gesichtspunkten: Jede Schusslähmung ist 
zunächst konservativ zu behandeln (indirekte und direkte 
Galvanisation, passive und aktive Uebungen, Massage, Thernio- 
und Hydrotherapie, prophylaktische Prothesenanlegung). Eine 
Operation ist erst indiziert nach sechswöchentlicher konservativ- 
therapeutischer Beeinflussung ohne Besserungstendenz, voraus¬ 
gesetzt, dass die primäre Schusswunde völlig geheilt ist und 
keine Bakterien mehr im Wundgebiet vermutet werden können. 
Je weiter peripheriewärts lokalisiert und je mehr auf isolierte 
Nervenstämme die Verletzung beschränkt ist, desto besser ist 
die Prognose der Operation; Plexusschüsse und hohe Ischiadicus¬ 
verletzungen haben für Neurolyse und Nervennaht die un¬ 
günstigste Prognose Massgebend für die Entscheidung zur 
Operation soll auch die Schwere der Ausfallserscheinungen 
unter Berücksichtigung der individuellen Gebrauchsfähigkeit 
und Gebrauchsnotwendigkeit der getroffenen Muskeln sein. 
Die Operationsmethode wird wegen der Unmöglichkeit einer 
klinischen Unterscheidung zwischen Kontinuitätstrennung und 
partieller Nervenschädigung erst während der Operation ent¬ 
schieden; ist der Nerv in seiner Kontinuität erhalten und 
makroskopisch intakt, so wird Neurolyse und Einscheidung 
in indifferentes Gewebe vorgenommen, andernfalls ist Neu- 
rektomie und Nervennaht indiziert. Die Nachbehandlung ist 
die gleiche wie die primäre Konservativtherapie. 

W. Mise h, Berlin. 


Bücherschau. 

C. S c h w e r d t. Die Seekrankheit, eine akute durch 
Traumen bedingte Stoffwechselstörung, und ihre Verhütung. 

(G. Fischer, Jena 1914). 

Die Seekrankheit wird aufgefasst als eiue akute Enteroptose, 
die durch die ständigen Schiftshewegungen verursacht wird. 
Verf. wurde daraufhingewiesen durch manometrische Messungen 
in Darm und Magen an Enteroptose- und Seekranken, deren 
Ergebnisse schon ausführlich anderweitig beschrieben wurden. 
Durch die Schiffsbewegungen werden die Bauchorgane auf- um! 
abgeschleudert, was bedeutende Schwankungen des intraab¬ 
dominellen Druckes zur Folge hat. Es treten nun ar. dem 
sich im Gleichgewicht in aufrechter Stellung haltenden Menschen 
Spannungen der Bauchwand hervor, die den Bauchraum ein¬ 
engen und die inneren Organe in höherem Grade festlegen: 
bei weniger widerstandsfähigen Menschen tritt aber bald Er¬ 
müdung und Abspannung ein, so dass eine Erschlaffung der 
Bauchwand und damit der Anfang zum enteroptotischen Zu¬ 
stand resultiert. Die Folge ist eine Ueberdehnung der Fixations¬ 
bänder und eine Erweiterung der Hohlorgane, insbesondere 
auch der Blutgefässe, so dass eine zunehmende Rückstauung 
des Blutes in die unteren Extremitäten und Ueberfülluug von 
Blut in der weiten Bauchhöhle entsteht Hierdurch ist, was 
sich auch aus der blassfahlen Gesichtsfarbe schliessen lässt 
eine Anämie des Gehirns und der Sinnesorgane, besonders aber 
des Labyrinthes, bedingt, so dass diese Organe auf stärkere 
Reize wie auf ein Trauma reagieren werden. Das schwerste 
körperliche Trauma hat dabei das Gehirn auszuhalten, da es, 
selbst durch die Auämie an Volumen vermindert, in einer in¬ 
folge der Anämie vermehrt augesaugten Menge Liquor herutn- 
schwimmt und infolgedessen in eine pathologische Beweglich¬ 
keit kommt. Auch das bereits durch Anämie uud Unterdrück 
der Endolymphe schwer gereizte Labyrinth wird durch die von 
dem mit den Schiffsbewegungei) flottierenden Gehirn erzeugten 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 27. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


267 


Liquorwellen in Mitleidenschaft gezogen. Während bei der 
gradatim eintretenden Enteroptose das Krankheitsbild von den 
aus der Dilatation der Hohlorgane resultierenden Stoffwechsel¬ 
störungen mit folgender Autointoxikation intestinalen und 
renalen Ursprungs und der Kohlensäureüberladung beherrscht wird, j 
die Blutstauung aber ganz in den Hintergrund tritt, bilden sich 
bei der Seekrankheit wegen der kurzen Dauer des Leidens die 
Dilatationen nicht aus, und das Krankheitsbild wird von der 
grossen Blutfülle beherrscht. Bei der Enteroptose ist daher in 
der Schädelhöhle eine Anämie miissigen Grades zu erwarten, 
so dass die Symptome von seiten des Gehirns und der Sinnes¬ 
organe, insbesondere des Gleichgewichtssinnes, fast ganz fehlen, 
während bei der Seekrankheit das schwere Trauma des Gehirns 
und des Labyrinths mit dem von ihm ausgehenden Schwindel ; 
vorherrscht. 

Zur Verhütung der Seekrankheit empfiehlt Verf. alles, 
was das körperliche Trauma verhüten kann. Am besten sind 
körperliche Arbeit und Tanz nach der Musik, freie und tiefe 
Atmung, sowie ständige Uebung in der Erhaltung des Gleich¬ 
gewichts; sobald man ermüdet, soll man sich zur Unterpolsterung 
der grossen Gefässe auf den Bauch auf eine gepolsterte Unter¬ 
lage legen. Am besten wird der Schwindel bekämpft und 
überwunden durch die Grazie, die eine gute Bahnung zwischen 
Gleichgewichts- und Willenszentrum schafft und durch Uebung 
erworben werden kann. Für leidende, geschwächte Personen 
muss endlich die Technik Vorrichtungen finden, die die See¬ 
krankheit möglichst ausschliessen und deren eine vom Verf. 
erfundene näher beschrieben wird. 

W. Misch, Berlin. 

VV. M. v a n der S c h e e r und F. J. Stuurman. 
Beitrag zur Kenntnis der Pathologie des Corpus Striatum 
nebst Bemerkungen über die extrapyramidalen Bewegungs¬ 
störungen. (Zeitsehr f. d. ges. Neuro 1. u. Psych. XXX. lOlö. 
H. 2/3, S. 90.) 

Bei einem 04 jähr. Patienten zeigten sich die Erscheinungen 
einer Hirnerkraukung als Kopfschmerzen, Desinteressiertheit, 
Schläfrigkeit, Verwirrtheit und Debilität. Bei der Aufnahme 
in die Klinik fanden sich als Hauptsymptome: Somnolenz, 
Incontinentia urinae et alvi, die auch bei vollem Bewusstsein 
vorhanden gewesen waren, Steifigkeit, ausgesprochene Spannungs¬ 
zustände bei passiven Bewegungen ausschliesslich auf der 
linken Seite; Wassermann war negativ, die Prostata war ver- 
grössert, aber nicht genügend, um die Miktionsbeschwerden zu 
erklären. Bauch- und Cremasterreflexe fehlten links, kein 
Babinski; ab und zu Zuckungen rechts wie links, in den 
letzten Tagen eine zweifelhafte Parese auf der rechten Seite, 
ziemlich viele langsame pseudospontane Bewegungen, die haupt¬ 
sächlich links stattfänden, während die andere Körperhälfte 
ruhig blieb; Pupillen waren eng, reagierten aber; Papillitis 
duplex. 36 Stunden nach einer Lumbalpunktion kam der 
Patient zum Exitus. Bei der Obduktion fand sich ein Tumor des 


rechten Corpus Striatum, der an der Stelle des Kopfes des 
Nucleus caudatus, des vorderen Schenkels der Capsula interna 
und des vorderen Teils des Linsenkerns gelegen war; auch 


wurde eine weiche Stelle mitten im Kopf des linken Nucleus 
caudatus gefunden. 

Von besonderem Interesse sind hier zwei Symptome: Die 
Unredlichkeit und der eigentümliche Muskelspannungszustand, 
teilweise des Rumpfes, aber namentlich der linken Extremitäten. 
Für das erste Symptom eine medulläre Erkrankung anzu¬ 


nehmen fehlen alle Erscheinungen, es liegt hier vielmehr eine 


zerebrale Incontinentia urinae et alvi vor. Wie aus zahlreichen 
angeführten Fällen aus der Literatur hervorzugehen scheint, 
ist das Corpus Striatum als ein subkortikales Zentrum, das die 
Blasenfunktion beeinflusst, anzusehen; insbesondere scheint dem 


vorderen Teil des Corpus Striatum ein Einfluss auf den 
Mechanismus der Miktion zuzukommen. Hinsichtlich der ein¬ 
seitigen Muskelspannuug in Rumpf und Extremitäten fanden 
sich folgende Besonderheiten: Ein sehr starker Widerstand bei 
passiver Beugung und Streckung der linken Extremitäten, 
ferner die Anspannung Bowohl der Beuger wie der Strecker 
bei den passiven Bewegungen und endlich die reflektorische 
Muskelanspanuung bei der geringsten passiven Bewegung flexiver 


wie extensiver Art sowie bei sensorischen Hautreizen : besonders 
charakteristisch war das plötzliche Vorspringen der Sehnen der 


Digitized by 



Kniekehle ohne lokomotorischen Effekt bei dem geringsten Reize. 
Diese Erscheinungen werden mit der „touic innervation“ 
Sherringtons in Verbindung gebracht und aus dem vorliegenden 
Fall der Schluss gezogen, dass sie jedenfalls auch bei subkortikalen 
Störungen rein Vorkommen können, was ja auch schon aus 
einem Fall von Mills, bei dem doppelseitige Linsenkerner¬ 
weichungen gefunden wurden, hervorging. Auch die Incontinentia 
urinae wird mit dem linksseitigen Spanuungszustand in Ver¬ 
bindung zu bringen versucht, indem der Versuch gemacht wird, 
die Asynergie zwischen Agonisten und Antagonisten, das Fehlender 
antagonistischen Entspannung bei der Kontraktion der Agonisten 
und umgekehrt, auch auf die Blasenmuskulatur zu über¬ 
tragen. W. Mise h, Berlin. 


Wichtige gerichtliche Entscheidungen. 

Rechtsfolgen falscher Heilbehandlung durch einen Natur¬ 
hellkundigen. 

Am 11. Dezember 1908 geriet der Steinbrecher It. aus 
B. bei der Arbeit im Steinbruch unter einen stürzenden Schleif¬ 
stein und erlitt hierbei einen Bruch des rechten Oberschenkels 
In der Folge Hess sich R. vou dem Beklagten behandeln, mit 
dem Ergebnisse, dass an der Bruchstelle die beiden Kuochen- 
enden sieb nicht aneinander, sondern nebeneinander legten 
und das Bein infolgedessen erheblich gekürzt wurde. Die 
Klägerin hat für den Verunglückten nach dem Gewerbeunfallver¬ 
sicherungsgesetze vom 30. Juni 1900 Aufwendungen gemacht, 
zahlt ihm noch gegenwärtig eine Rente und nimmt hierwegen 
auf Ersatz unter Berufung auf § 140 des genannten Gesetzes 
den Beklagten in Anspruch. Die Vorinstanzen haben den 
Anspruch für begründet erachtet. Vom Reichsgericht wurde 
die Sache zurück verwiesen mit folgender 
Begründung; 

Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass auch der 
vom Beklagten durch seine verfehlte Heilbehandlung dem 
R. zugefügte Schaden als durch den Unfall entstanden im 
Sinne des § 140 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes 
anzusehen sei: auch für diese Schadensfolge sei daher die 
Ersatzpflicht der Klägerin dem Verunglückten gegenüber ein¬ 
getreten. Etwaige Ersatzansprüche des R. gegen den Beklagten 
seien daher in der Tat auf die Klägerin übergegangen. Die 
Revision bestreitet dies: das Berufungsgericht habe bei diesen 
Ausführungen übersehen, dass in Fällen von Körper- und Ge¬ 
sundheitsverletzungen für Schsdensvergrösserungeu, die auf 
ärztliche Kunstfehler bei der durch die Verletzung not¬ 
wendig gewordenen Behandlung zurückzuführen seien, ein 
adäquater Kausalzusammenhang mit der Tat des Ersl- 
schädigers nur insoweit anzuerkennen sei, als der ärzt¬ 
liche Kunstfehler bei der Behandlung auf der Unvollkommenheit 
der Wissenschaft und ihrer Ausübung beruht, mit der überall 
gerechnet werden muss und deren Wirksamwerden mithin 
einem erfahrungsgemässen Regelverlauf entspricht. Habe da¬ 
gegen der Arzt alle Regel und Erfahrung gröblich ausser acht 
gelassen, so sei der Misserfolg der Heilung auf dieses Ver¬ 
halten des Arztes als alleinige Ursache im Rechtssinne zurück¬ 
zuführen. Diesen Ausführungen der Revision war indessen 
ein Anlass, das Urteil aufzuheben, nicht zu entnehmen. Das 
Berufungsgericht gründet die von der Revision angegriffene 
Annahme des Kausalzusammenhanges, wie die Urteilsbegründung 
in ihrem Zusammenhänge zur Genüge ergibt, auf eine im 
wesentlichen tatsächliche Würdigung von Umständen, die der 
Lage des Falles entnommen sind. In diesem Sinne vor allem 
wird auf das grosse Anseheu der sogen. Knochenflicker hinge¬ 
wiesen, das diese insbesondere bei der ländlichen Bevölkerung 
gemessen und das den R. zur Erwartung einerzweckentsprechenden 
und unschädlichen Heilung bringen „musste“. War dem so, 
und entspricht jene Wertschätzung der „Naturheilkundigen“ 
in der Tat in so hohem Grade den in dem Lebenskreise des 
Verunglückten herrschenden Anschauungen, so kann es nicht 
für rechtsirrig erachtet werden, wenn das Berufungsgericht 
im vorliegenden Falle die Angehung des Beklagten durch R. 
nicht als einen ungewöhnlichen, nicht vorhersehbaren Verlauf 
der Dinge angesehen hat. Dagegen war der Revision in 
anderer Richtung der Erfolg nicht zu versagen. Zwar kann 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









268 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 2J. 


ein Selbstverschulden des R. wie die Revision will, in dessen 
Zutrauen zu der Leistungsfähigkeit des „Knochenflickers“ nach 
Sachlage noch nicht ohne weiteres gefunden werden. Stand 
hierbei R. unter dem Banne allgemein in der ländlichen Be¬ 
völkerung verbreiteter Anschauungen, so stellt die Au¬ 
ge h u n g des Beklagten für sich allein noch nicht eine 
Ausserachtlassung der im Verkehr geschuldeten Sorgfalt dar. 
Zu beachten sind indessen weiter die besonderen Umstände 
des vorlegendeu Falles: trotz der Erklärung des Beklagten, er 
habe gar keinen Mut, an die Sache heranzugehen, es handle 
sich um einen sehr schweren Fall, es sei für R. besser ins 
Krankenhaus zu gehen, — trotz des Hinweises auf die Mög¬ 
lichkeit eiuer eintretenden Verkürzung des Beines hat R. den 
Beklagten durch Drängen und Zureden zur Ueberuahme der 
Behandlung bestimmt. In diese m Verhalten R’s. kann ein 
Selbstverschulden gefunden werden. Ob und aus welchen 
ifründen das Berufungsgericht ein Selbstverscliulden auch in 
diesem Sinne verneinen zu sollen geglaubt hat, lässt die Urteils¬ 
begründung nicht erkennen. 

Urteil des RG. vom 4. Okt. 1915. VI. 171. 1915. 

(Mitgeteilt von Dr. Hans B e r t h o 1 d , Leipzig.) 


Neuere Medikamente. 

Calciglycin. In der Therapie der Gegenwart 1916 S. 96 
berichtet Prof. A. Loewy über das Verhalten des Calciglycins 
im Stoffwechsel Dasselbe war ihm ■ von der Chemischen 
Fabrik Arthur Jaffe zur Prüfung überwiesen. Diese Chlor- 
kalciumdiglykocollverbindung, von P. Pfeiffer zuerst hergestellt, 
bildet farblose, prismatische, in Wasser leicht lösliche Nadeln 
von neutraler Reaktion und schwach salzigem Geschmacke. 
Nach den Versuchen des Verfassers ist das Calciglycin ein 
wertvoller Ersatz für reines Chlorcalcium, das besonders hin¬ 
sichtlich der Resorption und Kalkverwendung im Körper sowie 
durch seinen angenehmen Geschmack dem Chlorcalcium 
überlegen ist. Auch der Glykocollanteil wurde im 
Organismus sehr gut verwertet; auf ihn führt Verfasser 
auch die beobachtete Einschränkung des Stickstoffumsatzes 
zurück. 

Branugenol „Knoll“. Ueber dieses in letzter Zeit vielge¬ 
nannte Präparat liegen verschiedene neue Mitteilungen vor. 
Dr. med. Seubert, z. Zt. Chirurg an Reserve- und Vereins¬ 
lazaretten in Mannheim hatte Gelegenheit in etwa 100 Fällen 
die eminente Förderung des Wachstums des Granu¬ 
lationsgewebes durch das Granugenol festzustellen. In zwei 
Fällen von ausgedehnten Röntgen Verbrennungen, die bekannt¬ 
lich Monate und Jahre zur Heilung benötigen, konnten durch 
Granugenol Verwendung ganz augenfällige Erfolge erzielt werden. 
In der Münch. Mediz. Wochenschr. 1916 No 12 berichtete 
der Verfasser über die einzelnen Fälle. Er rät in derartigen 
Fällen einen Versuch mit Granugenol dringend au. 

Di e gleichen Erfahrungen machte Dr. W. Dietrich in 
einem anderen Reservelazarett in Mannheim bei Knochen¬ 
fisteln, operativ gesetzten Defekten, veralteten grossen Haut¬ 
geschwüren als Folge von Frostballen und Verbrennungen 
2. — 3. Grades. Die Erfolge waren durchweg eklatant, — 
siehe Münch. Mediz. Wochenschr. 1916. No 7. 


In Medizin. Klinik 1916, No. 15 berichtet Oberstabsarzt 
a. D. Prof Dr. A. Hüler, Berlin-Schlachtensee, über seinen 
Erfolg mit GranugenoFbei einem hartnäckigen fistulösen Abszess 
an der rechten Hinterbacke eines 65 jährigen Patienten. Durch 
dauernde Infektion mit Kolibazillen bei der Defäkation und 
anscheinend ungenügende Nachbehandlung nach einer vor¬ 
angegangenen Operation hatte sich das Leiden zu einer abs- 
zedierenden Phlegmone entwickelt. Von den vorhandenen 
4 Fistelgängen waren nach 12 Tagen 3 geschlossen, nach 
6 Wochen konnte der Patient als geheilt entlassen werden. 
Als Grundbedingung für die Wirkung fordert der Verfasser, 
dass das Präparat mit allen Teilen einer Wunde in dauernde 
Berührung kommt. 

Joletran in wohlschmeckenden Tabletten bringt als Ersatz 
für den zur Zeit seltenen und unerschwinglich teueren Leber¬ 
tran die chemische Fabrik Goedecke & Co., Berlin, auf den 
Heilmittelmarkt. Jede Tablette enthält 0,01 Jod, 0,25 
Prothaemin mit 0,02% Eisen und 0,075 Sanocalcin und ist 
leicht verdaulich, völlig resorbierbar und dient als antiskrofulöses 
Mittel besonders zum Aufbau des menschlichen Organismus 
sowie zur Heilung der kongenitalen Lues. 1 Originalschachtel 
mit 60 Tabletten Joletran kostet 2,50 Mark. 

Laktosan bezeichnet das Gärungsinstitut Dr. R. Kusserow, 
Sachsenhausen (Mark) ein von ihm hergestelltes Heilmittel 
gegen Zuckerkrankheit, Furunkulose, Magen- und Hautkrank¬ 
heiten, Herzleiden und Nervosität Es enthält diejenigen 
Fermente, welche als Darmflora im Organismus bei der Ver¬ 
dauung der Speisen und der Blutbildung mitwirken, und deren 
Fehlen und ungenügendes Vorhandensein die Ursache aller 
Stoffwechselkrankheiten und deren Folgeerscheinungen sein sollen. 
Es ähnelt in seiner Zusammensetzung dem Lactobacilline nach 
Metschnikoff und den verschiedenen Yoghurtdauerpräparaten 
und wird auch wie diese gegeben. Die Dauer der Kur wird 
auf ein Vierteljahr angegeben. Eine grössere Zahl Kranken¬ 
berichte sollen den Wert des Präparates erhärten, klinische 
Berichte liegen noch nicht vor, doch ist anzunehmen, dass das 
Laktosan in geeigneten Fällen, die wohl sehr zahlreich seio 
dürften, seinen Zweck erfüllt. Der Preis für 100,— g beträgt 
2,00 Mark, für 300, - g 5,00 Mark, womit man 3 = 4 Wochen 
auskommen soll. 

Herbakol ist eine Kombination von Kalium sulfoguaja- 
colicum mit Eisen und Kalziumhypophosphiten in Form eines 
angenehm schmeckenden Sirups. Die ärztliche Standeszeitung 
„Die Heilkunde“, Wien, berichtet darüber in No. 2 des XX Jahr¬ 
ganges. Das Mittel ist klinisch erprobt und von vielen Seiten 
glänzend begutachtet. Seine Abgabe erfolgt nur auf ärztliche 
Ordination. Die Dosierung ist für Erwachsene 3 bis 4 Esslöffel 
voll täglich, Kindern die Hälfte, Es wird hergestellt in Dr. 
A. Hellmanns Apotheke „Zur Barmherzigkeit“, Wien VII. 

Romauxan, von Dr. Scheffen, Köln a. Rh., ist ein eisen¬ 
haltiges Nähr- und Kraftmittel, das im besonderen in einigen 
Fällen von Schulanämie, Skrofulöse, Neurasthenie, Anämie 
nach Blutverlusten, Chlorose und Morbus Basedowii, ausserdem 
aber auch bei in der Entwicklung zurückgebliebenen Kindern 
mit gutem Erfolg angewandt wurde. Es ist sehr bekömmlich 
und ein guter Blutbildner bei Kindern und Erwachsenen. Die 
bisherigen Erfolge waren sehr ermutigend. (Klinisch-Therapeut 
Wochenschrift 43/1915.) E. Otto. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beitz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








33. Jahrgang 


1915/16. 


Tortscbrim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg. 


(Inter mitwirkung hervorragender Tachntänner 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 28 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H , Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m. b H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


10. Juli. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Fersenbeinbrüche als Seekriegsverletzungen. 

Von Privatdozent Dr. Georg Magnus, Marburg. 

Marine-Oberassistenzarzt d. R. 

Die Frakturen der Fußwurzel, besonders des Talus 
und Calcaneus, werden durchaus nicht selten beobachtet, 
seitdem das Röntgenbild die Diagnostik hat sichern 
helfen. Das klinische Bild hat sich so scharf umgrenzen 
lassen, daß ein Erkennen der Verletzung, auch in leichten 
Fällen, kaum Schwierigkeiten machte. Es ist dies um 
so wichtiger, als diese Frakturen in der überwiegenden 
Mehrzahl der Fülle bei Berufsunfällen zustande kommen, 
und infolge der heftigen und lang andauernden Be¬ 
schwerden die Frage der Begutachtung eine sehr 
wichtige und verantwortungsvolle ist. 

Fast immer ist der Sturz auf die Füße die Ursache 
der Verletzung; Dacharbeiter, Schornsteinfeger und 
Seeleute sind in erster Linie gefährdet. Der fallende 
Körper berührt den Boden zuerst mit den Fußsohlen. 
Hier tritt die erste Verzögerung ein; und ehe diese sich 
der übrigen Masse mitteilt, hat deren kinetische Energie 
den Unterschenkel in das Fußgewölbe hineingetrieben. 
Daß dessen hinterer Pfeiler zuerst einbricht, ist mechanisch 
gut verständlich. Die fallende Last greift ihn zunächst 
an; und außerdem sind die vordem Pfeiler unter sich 
durch den quer gestellten Metatarsalbogen abgefedert. 
Die Fußwurzel bricht zusammen, das Gewölbe fällt zu 
Boden. Dabei streckt sich der Fuss, und der mediale 
Rand mit dem Os naviculare nähert sich der Unterlage: 
mit einem Schlage ist ein ausgebildeter Plattfuß ent¬ 
standen, oft genug allerschwersten Grades. 

Daß in der Regel der Calcaneus bricht, während 
der Talus intakt bleibt, liegt -an der größeren Härte 
des letzteren. Wo Absprengungen vom Talus beschrieben 
werden, ist die Angabe mit Vorsicht zu verwerten, da 
nicht selten der Prozessus posterior als selbständiges 
Sesambein vorkommt und zu Täuschungen Veranlassung 
gibt; zumal wenn dies Sesambein durch die Verschiebungen 
in der Umgebung disloziert wird. 

Diese übliche Ätiologie, der Fall auf die Füße, ließ 
sich bei einer Anzahl von Calcaneusfrakturen ausschließen, 
die im Anschluß an ein Seegefecht gehäuft beobachtet 
wurden. Unter einer kleinen Anzahl Verwundeter von 
der Besatzung eines kleinen Kreuzers hatten nicht weniger 
als sieben Leute Calcaneusfrakturen, zwei davon 
doppelseitig. Alle gaben übereinstimmend an, nicht 
auf die Füße gefallen zu sein, wozu im übrigen gar keine 
Gelegenheit gewesen war, — und auch keine direkte 
Verletzung der Füße erlitten zu haben. Diese letztere 
Beobachtung ließ sich auch objektiv bestätigen; obwohl 


nämlich in drei Fällen eine Komplikation durch schwere 
Weichteilverletzungen vcrlag, war überall das Schuh¬ 
werk unbeschädigt. Einer der am schwersten Verletzten 
entsann sich, mehrere Stunden nach der Verwundung 
das Blut aus dem intakten Stiefel ausgegossen zu 
haben. 

Wie war in diesen Fällen die Fraktur zustande ge¬ 
kommen? Die Nachforschung nach den Treffern im 
Schiff führte auf die richtige Spur. Es stellte sich 
nämlich dabei heraus, daß auf sämtlichen beteiligten Ge¬ 
fechtsstationen dieselbe Beobachtung gemacht worden 
war: im nächstuntern Raume war eine 
scliwereGranate krepiert. Der im Moment 
der Explosion enorm ansteigende Gasdruck hatte, wie 
sich am Schiffskörper objektiv feststellen ließ, die Bord¬ 
wand und das Deck vor sich hergetrieben und auf diese 
Weise große Aufbeulungen der dünnen Platten verur¬ 
sacht. Die Verwundeten hatten in diesem Augenblick 
einen heftigen Schlag gegen die Sohlen verspürt; alle 
waren hingestürzt, zwei gaben an, hochgeschleudert 
worden zu sein. 

Dieser Vorgang genügt vollkommen, um die Ver¬ 
letzung mechanisch verständlich zu machen. Das Deck, 
auf dem die Füße mit der ganzen Belastung des Körpers 
stehen, hebt sich plötzlich mit großer Gewalt und großer 
Geschwindigkeit, und ehe die kleinsten Teilchen des 
Fußes Zeit haben, der Bewegung nachzugeben und die 
ihnen erteilte Beschleunigung der auf ihnen lastenden 
Masse des übrigen Körpers mitzuteilen, hat die Gewalt 
des plötzlichen Stoßes von unten her das Fu߬ 
gewölbe zerbrochen. Die Entstehung der Fraktur ist 
also physikalisch durchaus entsprechend dem Sturz aus 
der Höhe auf die Füße: hier das Moment des auf die 
feste Unterlage herabfallenden Körpers, dort die gewalt¬ 
same Aufwärtsbewegung der Unterlage gegen den in 
Trägheit ruhenden Körper. Beide Male muß der Fuß 
zuerst sich einer Bewegungsänderung aupassen, und 
sobald diese Beanspruchung die Elasticitätsgrenze über¬ 
schreitet, bricht das Gewölbe ein, und streckt sich zur 
Geraden. 

Die Weichteilverletzung, welche den 
Bruch in drei Fällen komplizierte, lässt sich zwanglos 
durch denselben Mechanismus erklären. Die Wunde 
bestand überall in einem queren Einriß der Sohle vom 
Sustentaculum tali ab. In der Tiefe sah man abgerissene 
Sehnen, Knochenfragmente vom Fersenbein, in einem 
Fall den heftig pulsierenden Stumpf der Arteria tibialis 
postica. Die Wunde entsteht dadurch, dass sich beim 
Einbrechen des hintern Pfeilers das Gewölbe plötzlich 
streckt. Im Scheitel, wo die Verschiebung am umfang- 


Digitized by 


Gen igle 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 





27Ö 


Nr. 28. 


Fortschritte der medizin. 


reichsten und energischsten ist, gibt das Gewebe nach. 
Den Beweis dafür, daß die Weichteile von innen nach 
außen reißen, brachte ein vierter, an sich unkompli¬ 
zierter Fall; hier bestand bei intakter Oberhaut 
ein Spalt im Unterhautzellgewebe, der zuerst mit Blut 
gefüllt war. Dieses resorbierte sich langsam, und es 
blieb schließlich eine ganz glatte, weiße Narbe übrig, 
die genau wie eine Stria aussah. 

Die Diagnose der Fraktur ist leicht. Die 
Deformierung des Fußes ist kaum zu übersehen. Die 
heftige Druckempfindlichkeit der Ferse und das in der 
Regel sehr bald auftretende lliimatom auf der Sohle 
führen meist sofort auf den richtigen Weg. Die Funktion 
des oberen Sprunggelenks im Sinne der Flexion und 
Extension des Fußes ist, entsprechend der Intaktheit der 
Talusrolle, wenig oder gar nicht behindert. Dagegen ist 
Pro- und Supination stets stark eingeschränkt oder ganz 
aufgehoben. Jeder Versuch, passiv diese Bewegung 
herbeizuführen, löst lebhafte Schmerzen aus. Die Form 
des Fußes ist sehr charakteristisch, das Gewölbe ist 
gestreckt, der F'uß dadurch verlängert, die Knöchel 
sind dem Boden angeniihert, die Ferse ist verbreitert. 
Dadurch, daß sich der Talus mit seinen hinteren Partien 
in den Calcaneus hineintreibt, ist der Unterschenkel nach 
hinten zu versetzt; die Verlängerung des Vorderfußes 
erscheint infolgedessen noch erheblicher als sie tatsäch¬ 
lich ist. Die Spannung der Achillessehne ist vermindert; 
die Gruben zu ihren beiden Seiten sind ausgefüllt. In 
manchen Fällen fühlt man Crepitation. 

Das Röntgenbild zeigt alle Übergänge von 
einem einfachen Riss durch den Fersenbeinkörper bis 
zur völligen Zertrümmerung. Der Talus ist dadurch 
mit seinen hintern Partien mehr oder weniger tief in 
den Calcaneus hineingesunken und steht im ganzen 
mehr horizontal. Der Kopf ist aufgebäumt und ragt 
über das Naviculare hervor. Eine Verletzung des Talus 
ließ sich in keinem Falle feststellen. 

Dagegen wurden weiter oberhalb mehrfach Neben- 
verletzungen beobachtet: zweimal Schrägbrüche 
der Tibia unterhalb der Mitte, zweimal Abbrüche vom 
Tibiakopf. Die letzteren betrafen sonst unverletzte Beine, 
erstere solche, die am Fuß schwere, komplizierte 
Calcaneusfrakturen aufweisen. 

Die Behandlung war in einem Falle die blutige 
Operation. Hier lag vor der Achillessehne ein beweg¬ 
liches Knochenfragment von der Größe einer halben 
Kirsche. Dieses wurde entfernt, und dann verlief die 
Behandlung ebenso wie in den übrigen Fällen. Die 
Therapie bestand in einem einmaligen, gewaltsamen 
Redressement in Narkose, Fixation im Gipsverband und 
frühzeitiger, medico-mechanischer Nachbehandlung bei 
sehr langer Bettruhe. Die Redression soll nicht vor 
Ablauf der zweiten Woche vorgenommen werden, da 
sonst die Gefahr der Fett-Embolie besteht. Nach 14 Tagen, 
in denen der Fuß auf der Schiene liegt, wird der Kranke 
narkotisiert, dann wird der verletzte Fuß gewaltsam in 
Spitzfußklumpfuß-Stellung gebracht und so eingegipst. 
Der Gips verband bleibt 10—14 Tage liegen und wird 
schließlich so abgenommen, daß er als Hülse weiter ver¬ 
wendet werden kann. Alle Tage wird diese Hülse ent¬ 
fernt, und der Fuß wird mit Heißluft, heißen Bädern, 
Massage und Bewegungen behandelt; dann wird die 
Hülse wieder angewickelt. Allmählich geht man mit der 
Fixation zurück. Solange noch Neigung besteht, in die 
Plattfußstellung zurückzukehren, wird wenigstens der 
hintere Teil der Hülse weiter benutzt. Besonders für 
die Nacht ist es wünschenswert, die Fixation lange fort¬ 
zusetzen. Eine Belastung des verletzten Fußes darf 
unter keinen Umständen vor Ablauf des 2. Monatserfolgen. 
Und auch dann ist es unbedingt nötig, dem Kranken 
eine Plattfußeinlage zu geben, da sonst die Gefahr besteht, 
das einigermaßen wieder hergestellte Gewölbe von neuem 

Digitized by Google 


durchzudrücken. Diese Einlage muß nach einem Gips¬ 
abdruck des Fußes eigens hergestellt sein, am besten 
aus Metall getrieben. Es empfiehlt sich die Anfertigung 
besonderer Stiefel, und zwar verlangt der Absatz vor 
allem Berücksichtigung: seine innere Seite soll länger 
und höher sein als die Außenseite. Ferner muß das 
Oberleder auf der Außenseite sehr fest gearbeitet sein, 
um ein Abgleiten des F'ußes nach außen zu verhindern. 
Die medico-mechanische Behandlung wird noch lange 
fortgesetzt, um die Versteifung der Gelenke und die 
Atrophie der Wade zu bekämpfen. 

Bei den komplizierten Fällen stand die infizierte 
Wunde naturgemäß im Vordergründe. Der Verlust an 
Knochensubstanz war fast überall sehr groß, die 
Sequestrierung langsam, die Behandlung durch immer 
wieder auftretende Senkungen und Retensionen erschwert. 
Einer von diesen drei Füßen zeigt noch jetzt nach 
20 Monaten eine offene Wunde, und noch immer stoßen 
sich Knochenstücke ab. Bei einem zweiten ist die Wunde 
16 Monate offen gewesen. 

Die Resultate sind anderwärts*) bereits publiziert 
worden, haben sich jedoch seitdem noch weiter geklärt, 
Von den 4 unkomplizierten Fällen wurde einer dienst¬ 
unfähig entlassen. Der objektive Befund war bei ihm 
befriedigend; es fiel jedoch von Anfang an ein großer 
Mangel an gutem Willen auf. Von den 3 andern blieb 
einer garnisondienstfähig, die Testierenden 2 wurden 
borddienstfähig. Unter diesen beiden war der blutig 
Operierte; bei diesem Manne lag außerdem als Neben¬ 
verletzung ein Abbruch vom Tibiakopf vor. 

Die 3 komplizierten Fälle sind endgültig dienstun¬ 
fähig. Bei einem ist, wie erwähnt, die Wunde erst vom 
16. Monat ab geschlossen; an dem betroffenen Fuße 
ist fast der ganze Körper des Calcaneus verloren ge¬ 
gangen. Das andere Fersenbein ist ebenfalls gebrochen. 
Der Gang ist unbeholfen, watschelnd, nur mit Hilfe eines 
Stockes und nicht über eine halbe Stunde hinaus möglich. 
Der zweite komplizierte Fall hat noch immer eine offene 
Wunde, aus der sich ab und zu Sequester entleeren. 
Der Gang ist, obwohl am gleichen Bein ein Schrägbruch 
der Tibia, am andern ein Abbruch vom Tibiakopf be¬ 
stand, sehr befriedigend geworden. Der Mann geht mit 
einem Stock mühelos große Strecken, ohne Stock Wege 
von einer halhen Stunde, und so, daß man ein leichtes 
Hinken eben bemerkt. In seiner Ziviltätigkeit als An¬ 
gestellter eines Magistrates wird er nicht behindert sein, 
sobald die Wunde erst geschlossen ist. — Der dritte 
komplizierte Fall ist sehr erfreulich ausgelaufen, obgleich 
auch am andern Bein eine Calcaneusfraktur bestand, 
die allerdings geschlossen war. Dieser Mann benutzt 
überhaupt keinen Stock mehr, der Gang wird als „ein¬ 
wandfrei“ bezeichnet. In seinem Beruf als Werkführer 
ist er nicht behindert. — Es sind also von den 7 Fällen 
nur 3 dienstfähig geworden ; 2 weitere, — beide kom¬ 
pliziert, einer doppelseitig, — sind für ihren Zivilberuf 
ohne Einschränkung fähig; 2 Resultate schließlich sind 
schlecht, einer davon einseitig und einfach, aber ohne 
guten Willen und ohne Energie, der andere doppel¬ 
seitig, und kompliziert, dieser trotz des Fehlens von 
Nervenverletzungen zweifellos der schwerste Fall der 
ganzen Serie. 

Ueber den Versuch der beschleunigten Herbei 
führung der Krisis bei der Pneumonie mittels 
Salizylbehandlung. 

Von Dr. J. Schütz e-Berlin. 

Im Jahre 1900 vertrat ich im Meiningenschen in 
einem kleinen Städtchen den Arzt auf einige W T ochen. 

*) Med Klin. 1915. Nr. 47. Deutsche Zeitschrift für 
Chirurgie 1915. Bd. 134. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 28. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


271 


Als er die Reise antrat, herrschte eine ziemlich 
starke Influenzaepidemie mit Pneunomien. (Nebenbei 
bemerkt kamen bei dieser Epidemie eigentümliche fieber¬ 
hafte, meist tötlich endende Gelbsuchtsfälle vor, bei 
denen die Sektion keine andere Ursache als sulzig 
zugeschwollene Gallenausführungsgänge ergab.) Im 
Hinblick auf die Schwere dieser Infiuenzafälle unter¬ 
richtete mich der sehr gewissenhafte Arzt ausführlich 
über seine Behandlungsweise und die damit erzielten 
Erfolge. Dabei erwähnte er seine Methode, den Verlauf 
der Pneumonie dadurch zu einem ■ ungefährlichen zu 
machen, daß man eine möglichst schnelle Krisis durch 
geeignete Medikation herbeizuführen suche. Er empfahl 
mir dazu eine Mischung von Antipyrin und Jodkali 

— deren Zusammensetzung mir entfallen ist. 

Diese Mischung hat den Nachteil, daß das Jodkali und 
das Antipyrin sich gegenseitig leicht ausfällen. Später 
wurde ich Assistent am Marienstift in Braunschweig und 
kam dort durch den Chefarzt Professor Felix Franke mit 
der Behandlung der Influenza und deren Begleiterkran¬ 
kungen in intensive Berührung. Dieser riet für die Medika¬ 
tion zu einer Mischung von Salizylnatrium und Antipyrin. 
Und mit deren Verabreichung gelang es in der Tat auch 
bei Pneumonien die Krisis möglichst schnell herbeizu¬ 
führen. 

In eigener 9jähriger Praxis habe ich dann diese 
Behandlungsweise fortgesetzt und sie nicht nur bei In¬ 
fluenzapneumonien, sondern auch bei kruppösen Lungen¬ 
entzündungen benutzt und zwar, wie ich sagen darf, 
mit sehr gutem Erfolg. 

Dieser Erfolg war ein um so besserer, je früher 
man zu den Pneumonien zugezogen wurde. Und wenn 
ich in den ersten 24 Stunden nach Krankheitsbeginn den 
Patienten in Behandlung bekam, so rechnete ich darauf, 
daß er in 48 Stunden nach begonnener Behandlung kriti¬ 
siert hatte. 

Ich habe nun in meinen alten Patienten-Registern, 
soweit sie mir noch zur Verfügung stehen, nachge¬ 
schlagen, und finde da, durch 9 Jahre verteilt, und in 
verschiedenen Ortschaften, — wodurch wohl ein genius 
loci et morbi von vorneherein auszuschalten ist, — eine 
Zahl von 68 Pneumoniefällen: teils bei Kindern, die 
mit am besten auf diese Behandlung reagieren, teiis bei 
kräftigen Leuten in jungem und mittlerem Alter, teils 
aber auch bei älteren, kraftloseren Personen. Auch 
Alkoholiker strengster Observanz befanden sich darunter. 

Von diesen 68 Fällen kritisierten nach begonnener 
Behandlung 

am 2. Tage 17 

,, 3. Tage nachher 11 
n 3. ,, „ 12 

,, 5. ,, „ 10 

»t b* ,» M d 

» 7. „ „ 3 

» 8. „ „ 0 

„ 9. „ „ 2 

„ 10. „ „ 3 

» U* „ M ■ 

„ 12. „ „ 4 

Sa 66 

Längere Zeit hat von diesen Fällen keiner zur Krisis 
gebraucht. Unter den erwähnten 68 Fällen sind endlich 
2 Todesfälle, beide am sechsten Tage nach begonnener 
Behandlung; bei dem einen war Demenz des Patienten 
daran Schuld, daß erst spät der Arzt zugezogen wurde, 

— die Verwandten hatten die Schwere der Krankheit nicht 
rechtzeitig erkannt, bei dem andern eine hochgradige 
Nephritis. Auffallend ist die Gruppierung der Besserung 
in den ersten Tagen, bei der sich ergibt, daß bis zum fünften 
Tage der Behandlung von 68 Fällen bereits 50 kritisiert 
hatten. Man darf dabei nicht einwenden, die Behand¬ 
lung habe vielleicht spät eingesetzt und die Krisis sei i 

Digitized by Google 


deshalb in der normalen Zeit eingetreten. Das ist nicht 
der Fall gewesen; in der ziemlich wohlhabenden und 
mit Ärzten reich versehenen Gegend wurde der Arzt 
meistens frühzeitig gerufen. 

Bei den länger als 7 Tage bis zur Krisis brauchen¬ 
den Fällen handelte es sich oft um Bildung neuer 
Herde, einmal um eine ausgesprochen kriechende 
Form, die nach und nach über beide Lungen ging, wo¬ 
bei die einzelnen Herde wieder nacheinander kritisierten 
und zur Lösung kamen. 

Außer dem Medikament, dessen Konzentration Sol. 
Natr. salicyl. 7,0/147,0 Dimethvlphenil-pyrazolon ad 150,0 
war, und von dem die ersten Tage bis zum Eintritt der Krisis 
Tag und Nacht alle zwei Stunden ein Eßlöffel genommen 
wurde, wandte ich noch alle Stunden einen feuchten Um¬ 
schlag von Zimmertemperatur an, der auch Tag und 
Nacht erneuert wurde. Die regelmäßige Erneuerung 
der Umschläge in diesem Turnus unterblieb nur dann 
gelegentlich, wenn der Patient guten Schlaf gefunden 
hatte. 

Meist ließ sich ca. 20 Stunden vor Einsetzen der 
Krisis vereinzeltes feines Knisterrasseln hören, nach 
Erb: rein inspiratorisches, feinblasiges, kleinblasiges, 
gleichblasiges Rasseln — das war für mich das Signal 
bis zum nächsten Tag die Besserung in Aussicht zu 
stellen: nach Einsetzen der Krisis verstärkte das Knister¬ 
rasseln sich naturgemäß an Ausdehnung und Intensität. 

Der weitere Verlauf war dann meist so, daß die 
Lösung der Entzündung nicht sofort nach der Krisis in 
sehr starkem Maße einsetzte, sondern daß sie eine ge¬ 
wisse, vielleicht etwas längere Zeit als sonst brauchte, 
und bei dem großen Wohlbefinden der Patienten war 
es infolgedessen oft schwer, sie bis zu beendeter Lösung 
im Bett zu halten. 

Die Lösung wurde nun mit tagsüber 2—3 stdl. ver¬ 
abfolgten lauwarmen Umschlägen und Medikamenten, 
die als Solventia gelten, unterstützt, und fast in allen 
Fällen innerhalb 14 Tagen bis 3 Wochen eine restlose Ge¬ 
nesung ohne Komplikationen erreicht. Nur 1 mal trat ein 
kleiner Lungenabszeß ein, der nach geraumer Zeit heilte. 
Pleuritiden mit geringem Exsudat waren eine außer¬ 
ordentliche Seltenheit, ja, ich kann mich kaum an ihr 
Auftreten erinnern. 

Außer diesen 68 Fällen habe ich natürlich noch 
viel mehr Pneumonien behandelt, aber darüber stehen 
mir keine Aufzeichnungen mehr zur Verfügung, da es 
sich um Krankenkassen-Patienten handelte. Der Typus 
war aber bei diesen werktätigen, kräftigen Leuten auch 
der der schnellen Entfieberung - womit die Gefahr, die 
von seiten des Herzens droht, gebannt war. Ich habe des¬ 
halb fast nie außer mäßig starkem Alkohol in mäßigen 
Gaben als Stimulans und Excitans Herztonika anzuwenden 
brauchen, nur falls das Herz schon vorher nicht leistungs¬ 
fähiggewesen war, habe ich gelegentlich etwas Iufus. folior. 
digit. verabreicht. Sogleich nach der Krisis war die Herz¬ 
aktion ruhig und regelmäßig, fast wie in gesunden Tagen, 
höchstens 80—84 Schläge. Ich kann mich deshalb auch 
nicht besinnen von diesen Kassen-Patienten, außer einem, 
bei dem sich ein Empyem und Lungenabszeß bildete, 
einen verloren zu haben. Dieser Gestorbene war ein 
Potator strenuus und durch eine vorhergegangene merk¬ 
würdige Salzsäurevergiftung geschwächt. 

Sonst hat gerade bei außerordentlich starken Pota- 
tores die Methode nicht versagt, trotz Delirium tremens, 
wo sonst die Aussichten sehr schlecht gewesen wären. 

Es muß also nach dem Gesagten den Anschein ge¬ 
winnen, daß außer dem Optochin, auch das Salizyl, — 
methodisch angewendet die Eigenschaft hat als eine 
Art chemotherapeutisches Spezifikum gegen Pneumonie 
zu wirken. Diese Ehrenrettung glaubte ich dem alten 
guten Mittel noch nachträglich schuldig zu sein. 

Eine Kontraindikation oder Idiosynkrasie gegen 

U lt & 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Ä 
URBANA-CHAMPAIGN 








272 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 28. 


dieses Mittel kommt außerordentlich seiten vor, ich Ich darf also auf Grund meiner Erfahrungen den 
habe es kaum jemals aus diesen Gründen auszusetzen Kollegen die Anwendung dieser Behandlungsmethode 
brauchen. [ dringlichst empfehlen. 

Auch die Befürchtung einer zu starken Medikation 
nach der von mir angegebenen Konzentration hat sich 
als nicht stichhaltig erwiesen. 


Kongressberichte. 


Bericht über die außerordentliche Tagung des 
deutschen Kongresses für innere Medizin 

in Warschau, vom 1. bis 3. Mai 1916. 

Von Dr. O. C o 1 1 a t z , Darmstadt. 

Nach 2 jähriger Pause hielt der deutsche Kongress 
für innere Medizin auf besetztem Feindesgebiet in der 
Hauptstadt des eroberten Polens seine außerordentliche 
Tagung ab. Dieselbe darf als äußerst gelungen be¬ 
zeichnet werden sowohl wegen der großen Anzahl der Teil¬ 
nehmer (über 1500) als auch wegen der Menge und 
Gründlichkeit der Arbeitsleistung. 

In den Versammlungen, die am 1. Tage in dem 
schön geschmückten Lichthofe, am 2. in der Aula des 
Warschauer Polytechnikums (z. Zt. Festungslazarett II) 
stattfanden, herrschte das Feldgrau der Uniformen vor, 
unterbrochen durch die bunten Uniformen der öster¬ 
reichischen, bulgarischen und türkischen Sanitätsoffiziere 
und das Schwarz des verhältnismäßig wenig zahlreichen 
Ziviles. 

Eröffnet wurde der Kongreß durch den General- 
Gouverneur von Polen, den siegumwobenen General der 
Infanterie von Beseler durch folgende Ansprache: 

Hochansehnliche Versammlung! Es gereicht mir zur 
besonderen Freude, den Deutschen Kongreß für innere 
Medizin hier in den Mauern Warschaus begrüßen zu 
können. Ich muss allerdings hinsichtlich unserer Gast¬ 
freundschaft um Nachsicht bitten; wollen die Herren 
nicht vergessen, daß wir hier noch in einem Kriegs¬ 
gebiet und im Kriegszustände leben Es wird sich da¬ 
her vielleicht manches in nicht ganz so angenehmen 
Formen abspielen können, wie man das bei einem Kon¬ 
greß sonst gewöhnt ist. Ich glaube mich aber nicht zu 
irren, meine Herren, wenn ich annehnie, daß viele von 
Ihnen, die vom Westen her oder von der Heimat oder 
aus den Ländern unserer Verbündeten kommen, doch 
schon mit besonderem Interesse einmal die Stadt hier 
betreten werden, die in jeder Beziehung für alles das¬ 
jenige, was hier im Osten vorgeht, einen Mittelpunkt 
bedeutet; eine Stadt, die politisch, wirtschaftlich und 
wissenschaftlich nach wie vor der Mittelpunkt des 
Polenlandes ist, eine Stadt, die unter einer Hülle von 
Vernachlässigung und Geschmacklosigkeit einen unge¬ 
messenen Schatz alter Schönheit birgt in ihren Bauten, 
in ihren Kunstschätzen, in ihren unvergleichlichen Gärten. 
Aber, meine Herren, noch mehr dürfte Sie vielleicht 
interessiert haben, auch einen Teil des weiten Gebietes 
zu durcheilen, in dem wir Schulter an Schulter mit 
unseren Bundesgenossen dieses Land von einem Feinde 
gesäubert haben, der es seit mehr als einem Jahrhundert 
niedergehalten, unterdrückt, geknechtet hat. Wir sind 
nicht hierher gekommen, um Polen von den Russen zu 
befreien, wir sind hierhergekommen im Kampf für unsere 
gute deutsche Sache; aber wir haben es mit Freuden 
begrüßt, daß wir neben der Vertretung unserer eigenen 
Sache auch ein Werk der Befreiung durchführen konn¬ 
ten, was wohl trotz manchem, was dagegen geredet 

Digitized by Google 


wird, von Tausenden, ja vielleicht von Millionen tief 
empfunden wird. 

Nun, meine Herren, Sie führen andere Dinge her 
als politische und militärische. Sie kommen hierher, um 
Ihrer hohen Wissenschaft zu dienen, und vielleicht auch 
mit, um etwas Erfahrungen zu sammeln, die der Krieg 
hier gezeitigt hat. Meine Herren! Wir Soldaten, die 
wir berufen gewesen sind, dem Feind ins Auge zu selten, 
gedenken in tiefer Dankbarkeit der ungemessenen Dienste, 
die uns die Angehörigen Ihres Berufes in diesem Kriege 
haben zuteil werden lassen. Es sind nicht nur die Helfer 
auf dem Schlachtfelde gewesen, die den verwundeten 
Mann gerettet, verbunden und in die richtige Pflege 
hineingebracht haben, sondern von gleichem Wert, von 
gleicher Bedeutung ist die reiche Tätigkeit der Ärzte 
gewesen, die dafür gesorgt haben, vorbeugend die Ge¬ 
sundheit unseres Heeres zu erhalten und kämpfend und 
heilend die schleichenden Feinde niederzuwerfen, die 
sielt neben den Waffen des Feindes an uns heran¬ 
machten. Sie haben den Kampf aufgenommen gegen 
„die Pestilenz, die im Finstern schleicht, und die Seuche, 
die am Mittage verderbet“, und wir haben mit Dank an¬ 
zuerkennen, dass das, was schon im Jahre 1870 die 
deutschen Ärzte getan, sich in diesem Kriege unter un¬ 
endlich schwierigeren Verhältnissen wiederholt hat, der 
Ruhm, daß wir viel weniger Menschen durch Seuchen 
verloren haben, als durch den Feind! Meine Herren! 
Mancher Ihrer Berufsgenossen ist als treuer Kamerad 
an der Seite unserer Soldaten als Mitstreiter im Kampf 
dahingesunken; aber es wäre undankbar und würde das 
Bild nicht vollständig geben, wenn ich vergessen wollte, 
daß auch mancher brave Arzt sein Leben dahinge¬ 
geben hat, in der Pflege der Kranken, inmitten der 
furchtbaren Seuchen, die leider trotz all-r Mühen sich 
immer noch nicht vollständig ausrotten lassen wollen. 
Ich gedenke besonders der wackeren hingebenden Ärzte 
meiner hiesigen Verwaltung, die ihre Pflichttreue, nament¬ 
lich in der Pflege von Fleckfieberkranken mit dem Tode 
besiegelt haben. 

Nun, meine Herren, das Programm, das Ihnen dei 
Vorstand Ihres Kongresses überreicht hat, sclueibt 
Ihnen Ihre Tätigkeit vor, und ich hoffe und wünsche, 
daß Sie mit dem Gefühl von hier zurückkehren werden, 
reiche Anregung erhalten zu haben, aber auch mit der 
Überzeugung, daß hier im Lande, im Heer und in der 
Verwaltung, soweit Ihr Beruf in F'rage kommt, mit 
vollem Verständnis, voller Hingebung und mit den 
Waffen der Wissenschaft gekämpft wird. Ich wieder¬ 
hole meinen Gruß und sage Ihnen, daß es mir eine 
Freude ist, die Herren so zahlreich zu Ihrer großen und 
wichtigen Arbeit hier versammelt zu sehen. Ich wünsche 
und hoffe, daß Ihre Arbeit gesegnet und frucht¬ 
bringend sein möge. 

Darauf ergriff das Wort der Feld-Sanitäts-Chef und 
General-Stabsarzt der Armee Prof. Dr. von Schjerning. 
Er begrüßte die zahlreichen Herren, die aus Deutsch¬ 
land und den verbündeten Ländern zu diesem Kongresse 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 28. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


2 73 


ekommen waren, und hob die Leistungen des deutschen 
eldsanitätswesens in diesem Kriege hervor. Mehr als 
24000 Arzte stehen im Dienste des Heeres, von ihnen 
sind zwei Drittel im Felde und ein Drittel in der Heimat 
beschäftigt. 3000 Ärzte sind ausserdem in den Laza¬ 
retten des Roten Kreuzes tätig. Ferner dienen im Heere 
400 Zahnärzte und 1800 Apotheker, sowie 92000 Sani¬ 
tätsmannschaften. Die freiwillige Krankenpflege stellt 
in der Heimat 72000 und im Etappengebiet 22000 Pflege¬ 
kräfte, von denen besonders 6800 Krankenschwestern 
hervorgehoben werden. 

Viele Tausende von Kraftwagen und bespannten 
Kranken-Wagen befördern Verwundete und Kranke von 
der Truppe in die Kriegslazarette, von wo 238 Laza¬ 
rettzüge sie in die Heimat bringen. Tausende von Ein¬ 
richtungen zur Sterilisierung des Wassers, zur Desinfektion 
und zur Röntgenunter suchung sind bei unsern Truppen im 
Gebrauch. 26 grosse Felddampfwäschereien dienen zur 
Reinigung der Wäsche für die Feldlazarette. Zahllose Ein¬ 
richtungen bestehen zur Bekämpfung der Seuchen, u. a. 
18 große Desinfektionsanstalten an der Grenze, in denen 
täglich 100000 Mann mit ihren sämtlichen Sachen ge¬ 
reinigt, entlaust und desinfiziert werden können. Waggon¬ 
weise gehen fortwährend von dem Haupt-Sanitäts-Depot 
Verbandmittel und ärztliche Geräte an die Front. Aber 
alle diese Einrichtungen würden nichts nützen, wenn 
nicht der Geist der Vaterlandsliebe und treuester Auf¬ 
opferung, der Geist echter Wissenschaftlichkeit und das 
Bewußtsein, daß es um die Existenz unseres Vaterlandes 
geht, in den Herzen unserer Ärzte walten würde. Zum 
Zeichen dafür haben wir und die Vertreter unserer be¬ 
freundeten Heere uns hier versammelt, um Erfahrungen 
auszutauschen und das Neueste und Beste den Heeren 
zuführen zu können. In diesem Zeichen werden wir 
siegen. 

Darauf folgte die Rede des Vorsitzenden des Kon¬ 
gresses, des Geh. Medizinal-Rates General-Oberarzt 
H i s. Er begrüßte die außerordentlich zahlreich er¬ 
schienenen Mitglieder und Teilnehmer des Kongresses 
sowie die verbündeten Delegierten: aus Österreich Ge¬ 
neral-Oberstabsarzt Thurinwaldt, den Sanitäts¬ 
chef d. k. und k. Armee Exzellenz Ritter von Tor- 
1 e y , Oberstabsarzt K a r o s t y und Baron von 
Koranyi, aus der Türkei die ärztliche Mission 
unter Führung des Chefs des türkischen Sanitätswesens 
Suleiman Numan Pascha, und aus Bul¬ 
garien den Chef des bulgarischen Sanitätswesens Oberst 
Bazaroff. 

Die Versammlung bezweckt in gemeinsamer Be¬ 
ratung die Ergebnisse bisheriger Arbeit auf dem Ge¬ 
biete der Kriegskrankheiten festzustellen und daraus 
Anregung und Anleitung zu weiterem Handeln zu ge¬ 
winnen Während dies vor einem Jahre nicht zweck¬ 
mässig gewesen wäre, weil viele Fragen noch in der 
Schwebe waren, liegen jetzt nach 2 Kriegsjahren ge¬ 
nügende Erfahrungen vor. Unsere Feinde, denen wir 
speziell den Krieg erklärt haben, sind die Kriegsseuchen, 
und Dank unseren Massnahmen ist die Schlagfertig¬ 
keit unserer Truppen niemals ernstlich durch Seuchen 
gefährdet. Der Geist Pettenkofers und Kochs, 
E h r 1 i c h s und von Behrings leitete unser 
Handeln. Dank gebührt besonders dem Leiter des 
Heeres-Sanitätswesens Exzellenz vonSchjerning 
für die sofoitige Verwertung jeder neuen Erkenntnis 
und die unvergleichliche Organisation. Leider brachte 
gerade der Kampf gegen die Seuchen schwere Ver¬ 
luste in den Reihen der Forscher. So haben C o r n e t, 
Prowacek, Lüthje, Jochmann, Römer, 
T i 1 y ihr Leben lassen müssen. Andere Mitglieder 
wie Loeb, Meyer-Beetz, Kirchheim 
sind vor dem Feinde gefallen. 

Neue Krankheitsbilder haben wir kennen gelernt, 

Digitized by Google 


ebenso alte in neuer Form. Bekannte Seuchen sind zum 
ersten Male in ausgedehnten Epidemien uns vor Augen 
getreten. Typhus und Ruhr erschienen unter dem Ein¬ 
flüsse der Schutzimpfung in neuer unbekannter Form. 
Bei der Behandlung unserer Patienten haben wir im all¬ 
gemeinen den Grundsatz der Übung mehr anwenden 
müssen als den der Schonung, soweit uns die Ver¬ 
waltung des Kapitals der körperlichen Leistungsfähig¬ 
keit unserer Soldaten oblag. Bis ins Greisenalter hinein 
sind die Ärzte freudig dem Rufe des Kaisers gefolgt, 
übermenschliche Anstrengungen wurden geleistet in dem 
Bewußtsein, einer das Einzelschicksal überragenden 
großen Sache zu dienen. Gehoben an innerem Werte 
wird der Ärztestand aus diesem Kriege hervorgehen. 

Nach Absendung eines Huldigungstelegramms an den 
Kaiser begann das erste Referat. 

Hoffman n: Schutz des Heeres gegen 
Cholera. 

Seit dem Jahre 1904 herrschte in Russland be¬ 
ständig Cholera, welche vom Schwarzen Meer aus sich 
immer weiter nach Norden verbreitete, und bedrohte 
durch ausgedehnte Epidemien häufig die deutsche Ost¬ 
grenze. Während des Balkankrieges hatte sie sich be¬ 
sonders in Konstantinopel und Adrianopel gezeigt und 
beim Ausbruch das jetzigen Krieges die an Galizien an¬ 
grenzenden russischen Provinzen Wolhynien und Podo- 
lien ergriffen. Im August brach die Cholera auch in 
Warschau aus und wurde durch das Eindringen der 
russischen Truppen nach Galizien verbreitet. Im Sep¬ 
tember 1914 hatte das serbische Heer bereits über 
12 000 Cholerafälle und durch Gefangene wurde die 
Seuche in die meisten österreichischen Kronländer ver¬ 
schleppt, wo viele Tausende ihr erlagen. 

ln weiser Voraussicht hatte nun das preußische 
Kriegsministerium sofort die obligatorische Schutzimp¬ 
fung gegen Cholera eingeführt, gestützt auf die gün¬ 
stigen Erfahrungen, die man in Japan und Griechenland 
mit ihr gemacht hatte. 

Ende Oktober 1914 waren bereits die meisten 
Truppenteile durchgeimpft, als im November die ersten 
Erkrankungen im Ostheere und in den russischen Ge¬ 
fangenenlagern auftraten. Dank der Impfung sind von 
den am stärksten bedrohten deutschen Truppen, welche 
in den choleraverseuchten Gegenden Galiziens und 
des Bug-Gebietes in den heißen Sommermonaten unter 
den ungünstigsten Verhältnissen bis in die Rokitno- 
Sümpfe vorrückten, nur 0,52% erkrankt. Auch die 
Sterblichkeitsziffer der Erkrankten, die bei den Nicht¬ 
geimpften bis zu 50% betrug, belief sich bei den vor¬ 
schriftsmäßig 2 mal Geimpften nur auf 10,2 %• Der 
Impfschutz erlischt nach etwa 9 Monaten, weshalb die 
Impfung nach einem halben Jahre wiederholt werden 
muß. Die Eintragung der Impfungen erfolgt zur Kon¬ 
trolle ins Soldbuch. Eine vorzügliche Wirkung erzielte 
auch die durch besonders angestellte Truppenärzte 
durchgeführte Schutzimpfung der Zivilbevölkerung in 
den stark verseuchten Gegenden von Polen und Ga¬ 
lizien. Die dort herrschenden Epidemien ließen bereits 
8 Tage nach der Schutzimpfung nach und waren nach 
1 Monat meist erloschen. Unter der Zivilbevölkerung 
Deutschlands erkrankten im ganzen 78 Personen an 
Cholera, fast immer handelte es sich um Einschleppung 
der Krankheit durch russische Gefangene. Es wurden 
nun alle von der Ostfront kommenden Kranken, deut¬ 
sche wie russische, unmittelbar nach ihrer Ankunft einer 
gründlichen Desinfektion unterzogen und einige Zeit 
abgesondert untergebracht. Nachdem auch noch die 
Bazillenträger unter den gesunden Gefangenen heraus- 

f efunden und isoliert worden waren, traten keine neuen 
älle mehr auf. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





274 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 28. 


Diskussion 

Schemensky berichtet über Erfahrungen der 
österreichischen Truppen hinsichtlich der Behandlung. 
Wichtig ist vor allem ordentliche Pflege im Bett. Er 
empfiehlt Bolus-Behandlung und zweistündlich 7 Tropfen 
Opium - Tinktur, bei Bedarf Kochsalz-Infusionen; die 
intravenösen gaben keine besseren Resultate wie die 
subkutanen. 

M a r c o v i c i • P r a g empfiehlt Alphen (Salol- 
Knoblauch-Präparat) sowohl per os als auch Klysma. 

Paltau f-Wien; Die Statistik ergibt grosse 
Unterschiede, je nachdem man nur die klinisch aus¬ 
gesprochenen Fälle oder auch leichte Diarrhoen mit¬ 
zählt. Notwendigkeit der bakteriologischen Diagnostik. 

Ungermann -Lichterfelde spricht über 
die durch die Cholera-Impfungen erzielte Immunität. 
Der Höhepunkt derselben tritt am 3. Monat nach der 
Impfung auf. Er berichtet über Versuche bei Meer¬ 
schweinchen durch Verfütterung von Impfstoff per os 
eine bequeme Immunisierung zu erzielen. Bei den 
Schutzimpfungen soll jeder Bodensatz im Impfstoff 
durch Erwärmen der Fläschchen auf 45° und nach- 
heriges Schütteln gleichmäßig in der Flüssigkeit ver¬ 
teilt werden. 

Professor Kaup, Hygienereferent beim 
österr.-ung. A.-O.-K., berichtet, dass auch bei der österr.- 
ung. Armee sich die Choleraschutzimpfung vorzüglich 
bewährt hat. 8 Tage nach Vollendung der letzten 
Impfungen hörten die Neuerkrankungen auf, bei den 
durchgeimpften Truppen kommen höchstens 5“/,, Er¬ 
krankungen vor mit auffallend mildem Verlauf und ge¬ 
ringer Sterblichkeit. Die Dauer der Schutzwirkung ist 
auf 3—4 Monate zu veranschlagen, deshalb werden die 
gefährdeten Truppen bereits nach 3 Monaten wieder ge¬ 
impft, doch genügt dann eine einmalige Impfung mit 
2 ccm Impfstoff. 

II. Referat. 

Herzkrankheiten bei Kriegsteil- 
n e h m e r n. 

Wenckebach-Wien: Als sich im Laufe 
des Krieges zahllose Fälle von Herzkrankheiten in den 
Lazaretten einstellten, beauftragte ihn die österreichische 
Heeresleitung mit der speziellen Untersuchung dieser 
Kranken und stellte ihm ihr gesamtes Material zur 
Verfügung. Wenckebach berichtet nun über die 
Erfahrungen, welche er an diesem Riesenmaterial ge¬ 
macht hat. Die namentlich bei den Leuten der älteren 
Jahrgänge häufige Arteriosklerose wird durch große An¬ 
strengungen, sowie den starken Tabak- und Kaffeege¬ 
nuss oft erheblich ungünstig beeinflusst. Schwere Herz¬ 
muskelerkrankungen mit bedeutender Herzerweiterung 
wurden im Verlauf der Infektionskrankheiten, nament¬ 
lich nach Typhus, beobachtet. Alle diese Fälle nach¬ 
weisbarer organischer Herzerkrankungen verschwinden 
aber gegen die ungeheure Menge der zweifelhaften 
Herzkrankheiten, bei denen nur subjektive Beschwerden 
ohne den sicheren objektiven Befund vorhanden sind. 
Sie bedeuten einen grossen Verlust für die Armee, 
füllen die Lazarette und belasten die Staatsfinanzen. Es 
handelt sich um Leute mit ungenügendem Körperbau 
und fehlender körperlicher Übung, also ein sehr großes, 
minderwertiges und ungeeignetes Material, welches dem 
Heere zuströmte, als die Anforderungen bei der Aus¬ 
hebung erheblich herabgesetzt und viele ungediente 
Leute in vorgeschrittenem Alter einberufen wurden. Es 
befinden sich unter ihnen, die bis dahin eine sitzende 
Lebensweise geführt hatten, etwa 11 °/ 0 Fälle mit mangel¬ 
hafter Zwerchfellatmung und Pendelherz. Meist hatten sie 
schon vorher an allgemeiner Nervosität gelitten und weit 
mehr noch als die Strapazen des Felddienstes bildete 
bei ihnen die Gemütsverfassung die Ursache ihrer 

Digitized by Google 


Herzbeschwerden. Besonders ungünstig .wirkte stets das 
Aussprechen der Diagnose Herzfehler, wodurch hypo¬ 
chondrische Vorstellungen hervorgerufen wurden. Die 
richtige Diagnose hätte meist Neurasthenie heißen müssen. 
Fälle von Basedow’ scher Krankheit waren selten. 
Wichtig ist eine genaue objektive Untersuchung; leider 
ist unsere Diagnostik ungenau und unsere Untersuchungs¬ 
methoden sind nicht exakt genug, auch die Röntgen¬ 
methode, deren Hauptnutzen in einer Kontrolle der 
Perkussions-Figur besteht. Nicht jedes grosse Herz ist 
erweitert, nicht jedes Geräusch ist pathologisch. Zur 
Klärung der Verhältnisse wurde zunächst das Herz der 
einberufenen Landwehrleute vor dem Kriegsdienst unter¬ 
sucht. Bei Leuten ohne Herzbeschwerden fand sich in 
13.9,,/“ der Fälle pathologischer Herzbefund, bei denen 
mit Beschwerden in 15.8'/,, der Fälle. Es wurden ferner 
die Leute untersucht, die aus dem Schützengraben ab¬ 
gelöst wurden; bei 4fand sich Herzvergrößerung, 
selten war Tachvcardie dabei. Im übrigen rufen weder 
Granatkommotionen noch Trommelfeuer einen besonderen 
objektiven Befund am Herzen hervor. Der Krieg liefert 
überhaupt keine neuen Krankheitsbilder am Herzen. Wir 
merken am Herzen die Grenzen der körperlichen Leis¬ 
tungsfähigkeit im allgemeinen, ohne daß das Herz selbst 
verändert wird. Die Behandlung muss darauf abzielen 
die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Nur die 
allerschwersten Fälle dürfen ins Heimatlazarett abge¬ 
schoben werden. Die Mehrzahl muss im Etappengebiet 
einer geeigneten Behandlung unterzogen werden, die in 
lauen Bädern, Packungen, Turnunterricht und Terrain¬ 
kur besteht. 

Diskussion. 

von Romberg - München bestätigt, daß 
die Mehrzahl der als herzkrank zugehenden Soldaten 
nicht herzkrank ist. Diese falsche Diagnose ist dann 
die LJrsache der Hartnäckigkeit und allmählichen Stei¬ 
gerung der Beschwerden. Allerdings ist die physikalische 
Diagnose einer Herzerkrankung oft schwierig. Be¬ 
sonders vorsichtig muß der Röntgenbefund beurteilt 
werden, welcher oft irre führt, da die absoluten Zahlen 
der Herzmessung schon bei Gesunden äusserst 
wechselnd sind. Die Anstrengung bringt den Leuten 
zum Bewußtsein, daß ihr Herz nicht kräftig ist. Große 
übermäßige Anforderungen können bei jedem eine vor¬ 
übergehende Herzerweiterung verursachen, aber dauernde 
Folgen der Überanstrengung bei vorher gesunden Herzen 
gibt es nicht. 

Hoff mann - Düsseldorf: Die sog. funk¬ 
tionellen Herzbeschwerden sind meist schwieriger zu be¬ 
urteilen, als die organischen Erkrankungen. Selbst an¬ 
haltende Tachycardie braucht ihre Ursache garnicht 
im Herzen selbst zu haben. Es handelt sich meist um 
Herzneurosen mit ziemlich guter Prognose; das größte 
Hindernis für die Heilung ist oft der Arzt mit seiner 
falschen Diagnose. 

Erich Meyer-Straßburg i. Eis. hat an 
größerem Material dieselben Beobachtungen wie Wencke¬ 
bach gemacht, pathologische Herzvergrösserungen sind 
sehr selten. Die widersprechenden Befunde bei ver¬ 
schiedenen Untersuchern erklären sich aus der Ver¬ 
schiedenheit der Methoden der Herzuntersuchung an 
den einzelnen Universitäten. Bei Starkerschöpften findet 
sich häufig sehr verlangsamter Puls mit 30—40 Schlägen 
und äußerst niedriger Blutdruck. 

Gerhardt -Würzbu r g bestätigt die Ge¬ 
fahr der übereilten und falschen Diagnose einer Herz¬ 
krankheit. Die richtige Beurteilung eines Herzens kann 
oft erst nach längerer Beobachtung von Herz, Puls und 
Atmung zunächst bei Ruhe und dann bei Übungsbe¬ 
handlung erfolgen. 

Kaufmann-Wien fand, daß häufig Herz¬ 
erkrankungen im Felde entstehen. Die aus dem Felde 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr. 28 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


275 


zurückkehrenden Soldaten zeigten ferner eine ver¬ 
längerte Ilerzdiagonale, wie diejenigen, die noch nicht 
im Felde waren. 

Dietlen - Straßburg hält diese Zunahme der 
Herzmasse, für das Zeichen einer Herzverstärkung, wie 
bekanntlich Soldaten des 2. Dienstjahres durch die 
systematischen Übungen gröbere Herzen bekommen. 

Steyrer-Innsbruck fand in Tirol viele 
Leute mit Herzfehlern und andere mit starken Kröpfen, 
die oft Enormes leisteten, ohne über das Herz zu klagen. 
„Der Wille macht alles“. Bei den Willensschwächen 
mul) in erster Linie der Wille durch psychische Ein¬ 
wirkung gestärkt werden. 

Lennhoff-Berlin hatte in einer Anstalt 
für Ofliziere hinter der östlichen Front vorzügliche Er¬ 
folge bei der Behandlung von nervösen Herzbeschwerden 
und fand, dab Offiziere im allgemeinen schneller zur 
Front zurückkehrten wie ähnlich erkrankte Mann¬ 
schaften. Die Behandlung in der Nähe der Front ist 
mehr zu empfehlen, wie die in der Heimat, wo bei 
mibiichen häuslichen Verhältnissen die Erregung des Her¬ 
zens oft gesteigert wird. 

Goldscheider-Berlin; überanstrengte 
Organe bekommen eine grössere Erregbarkeit, dies gilt 
besonders für die Psyche. Der Schwerpunkt bei der 
Behandlung der nervösen Herzkranken liegt in der 
psychischen Behandlung. Die Leute dürfen nicht ins 
Heimatsgebiet. 

Lichtwitz-Gö t t i n g e n hat für seine Herz¬ 
kranken Übungsgruppen unter Leitung von freiwilligen 
Offizieren und Akademikern gebildet, in denen die 
Leichtkranken mit Märschen, Turnspielen und Schwim¬ 
men bei anregender psychischer Behandlung beschäftigt 
werden. 

vonSchultzen, Generalarzt, Chef der 
Medizinal-Abteilung im Kriegsministerium zu Berlin 
teilt mit, dab die beratenden inneren Mediziner bei ihren 
Revisionen in den Heimatslazaretten vielfach bis zu 25°/ u 
der angeblich Herzkranken als dienstfähig bezeichnen 
könnten. Richtige Diagnose ist für die Beurteilung der 
Leute nach dem Kriege zur Vermeidung einer unge¬ 
rechtfertigten Belastung der Reichskasse durch Renten¬ 
ansprüche sehr wichtig. Die Einrichtung besonderer 
Herzabteilungen oder gar reiner Herzlazarette würde 
die Behandlung und Heilung der betreffenden Kranken 
nur erschweren und soll deshalb nicht erfolgen. 

III. Referat. 

Flecktyphus. 

1. Berichterstatter Brauer-Hamburg 
hat schon vor dem Kriege in Hamburg häufig ver¬ 
einzelte Fälle von Flecktyphus mit allen Mitteln dei 
Klinik genau untersucht, sodab die Vorarbeiten ge¬ 
macht waren, als das grobe Material des Krieges ihm 
entgegentrat. Er gibt folgendes klinisches Bild; 

Das Fleckfieber ist eine scharf umschriebene In¬ 
fektionskrankheit, die epidemisch und endemisch auf- 
tritt. Die Inkubationszeit beträgt in der Regel 12-14 
Tage, selten 3 Wochen. Prodromale Erscheinungen 
fehlen oder sind geringfügig, dann erfolgt der Krank¬ 
heitsausbruch in der Hälfte der Fälle mit einem Schüttel¬ 
frost. Nach einem kurzen, influenzaartigen Stadium 
kommt das 2. Stadium, das typhöse, in dessen Be¬ 
ginn das charakteristische Exanthem auftritt. Eine 
hohe Continua dauert 10—12 Tage. In ihr kommt es 
häufig zu geistiger Stumpfheit bei völliger Schlaflosig¬ 
keit oder zu einem Schüttelkrampfe der ganzen Körper¬ 
muskulatur, der an Paralysis agitans erinnert. Auber dem 
Zentralnervensystem ist das Herz schwer geschädigt. 
Der Ausschlag, welcher der Krankheit den Namen ge¬ 
geben hat, ist durch eine Veränderung der Capillar- 
Gefässe der Haut hervorgerufen, eine Periarteriitis no- 

Digitized by Google 


dosa, letztere tritt herdförmig auf und führt zu Zirkula¬ 
tionsstörungen und öfters zu Blutungen, sodab anstelle 
der anfänglichen Roseolen mehr oder weniger ausgedehnte 
Petechien auftreten. Wichtig ist eine gründliche Reini¬ 
gung der Haut zu Beginn der Erkrankung, um das 
Auftreten des Exanthems und die feinkleiige Hautab¬ 
schuppung besser beobachten zu können. Die wichtigste 
Nachkrankheit des Fleckfiebers ist die besonders an den 
Füben auftretende Gangrän. In der Rekonvaleszenz ist 
der Puls oft noch lange verlangsamt und unregelmäbig. 
Die Übertragung der Krankheit erfolgt ausschlieblich 
durch die Kleiderläuse; die Epidemien treten oft explo¬ 
sionsartig in erschreckender Ausbreitung auf. Misch¬ 
infektionen mit Recurrens, Typhus abdominalis und In¬ 
fluenza sind beobachtet worden. 

2. Berichterstatter Jürgens-Berlin. 
Während früher der Flecktyphus als unerbittlich ihre 
Opfer fordernde, unheimliche Seuche ganze Völker da¬ 
hinraffte, haben wir heute das Recht zu sagen, wir be¬ 
herrschen die Seuche; wann und wo auch das Fleck- 
fieber auftreten mag, mit Sicherheit halten wir es nieder, 
es gibt keine Seuchengefahr mehr. Aus dem ansteckenden 
Flecktyphus ist somit eine nicht ansteckende Krankheit 
geworden. Das Fleckfieber ist nicht von Mensch zu 
Mensch, sondern nur durch Vermittlung der Läuse 
übertragbar. Der kranke Mensch kann nur die Läuse, 
nicht aber einen anderen Menschen anstecken. Was 
zwischen Ansteckung und Krankheitsausbruch im Körper 
vorgeht, wissen wir nicht, sicher ist aber, dab die Neu¬ 
erkrankungen in Abständen von 2 Wochen aufeinander 
folgen und dab niemals in der Zwischenzeit eine Laus 
am Menschen sich infizieren und die Infektion weiter¬ 
geben kann. Wahrscheinlich treten erst am 12. Tage 
die Krankheitserreger in eine neue Entwicklungsform 
ein, die auf die Laus übergehen und in deren Körper 
ausreifen kann. Die Laus wird erst einige Tage nach 
dem Blutsaugen am kranken Menschen angesteckt und 
verliert diese Ansteckungsfähigkeit bereits in wenigen 
Tagen. Wahrscheinlich können auch die Eier einer 
Fleckfieberlaus infiziert sein. Das Fleckfieber verläuft 
gewöhnlich ziemlich gleichartig und nicht so vielge¬ 
staltig wie der Bauchtyphus. Konstante Symptome sind 
das Fieber und der Ausschlag. Durch einmaliges Ueber- 
stehen der Krankheit wird eine dauernde völlige Immunität 
erworben, im übrigen besteht bei allen Menschen eine 
grobe Empfänglichkeit. Besonders schlimme Epidemien 
treten auf, sobald durch Hunger und Entbehrungen, 
Strapazen und schlechte Wohnungsverhältnisse die 
Körperwiderstandsfähigkeit vieler Menschen gleichzeitig 
herabgesetzt ist. Praktisch wichtig ist, dab die Läuse nur 
während des fieberhaften Stadiums sich infizieren können, 
weder in der Inkubationszeit noch während der 
Rekonvaleszenz, und dab die Seuche niemals dort auf¬ 
tritt, wo es keine infizierten Läuse gibt. Man hat Fleck¬ 
fieberkranke mit Gesunden in derselben Baracke läuse- 
frei untergebracht und es erfolgte keine Ansteckung, 
während drauben die starke Epidemie unverändert weiter 
herrschte. 

IV. Referat. 

Die Biologie der Kleiderlaus. 

Berichterstatter Hase-Jena. 

Der Jenenser Zoologe hat in besonderem Aufträge 
der Heeresverwaltung an einem riesigen Material monate¬ 
lang die Lebensweise und die Fortpflanzung der Läuse 
studiert, da es sich herausstellte, daß man bisher sehr 
wenig von der Laus wußte. Die Läuse vermehren sich 
sehr stark. Sie haben außerordentlich feine Sinnesorgane; 
während sie für Gerüche fast unempfindlich sind, werden 
Temperaturen und Wärmestrahlungen sehr sicher von 
ihnen empfunden. Hungrige Läuse gehen dem Licht 
nach, satte verkriechen sich ins Dunkel. Außerordent- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





FORTSCHRITTE OER MEDIZIN. 


Nr. 28. 


276 


lieh widerstandsfähig sind die Läuse, und noch mehr 
ihre Eier gegen chemische und physikalische Einflüsse. 
Kälte bis zu 5" unter Null halten sie 3 Tage aus. 
öliges Formol tötet selbst nach 24 Stunden die Nissen 
nicht ab, 5%ige Kresolseifenlösung wirkt unsicher. Am 
empfindlichsten ist die Laus und ihre Eier gegen trockene 
Hitze. Die Laus vermag nur strömendes, warmes Iilut 
aufzunehmen, saugt oft stundenlang und läßt sich selbst 
durch das Abschneiden der Fühler und Beine darin nicht 
stören. Es gibt Menschen, an welche die Läuse nicht 
gehen. Andere werden an die Läuse derartig gewöhnt, 
daß sie dieselben gar nicht mehr spüren. So wurden 
bei einem Russen 3800 Läuse bei der Reinigung ab¬ 
gelesen. 

Diskussion. 

Munk-Berlin hat in allen von ihm beobachteten 
Fällen von Fleckfieber eine konstante Dauer des Fiebers 
ohne Rücksicht auf die Schwere der Fälle feststellen 
können. In den prognostisch ungünstigen Fällen tritt 
schwere Blutdrucksenkung ein, die auf der Haut zu 
livider Verfärbung führt. Oefters fand er Sprachstörungen 
infolge von Muskelhemmungen, sowie Trismus, tonische 
und klonische Krämpfe. 

Rocha-Lima teilt seine bereits in der Deutschen 
Pathologischen Gesellschaft demonstrierten Befunde mit, 
welche den Zusammenhang zwischen h leckfieber und dem 
von ihm Rikettia Provazekii genannten Mikroorganismus 
erweisen. 

Töpfer konnte bei infizierten Läusen eigentüm¬ 
liche bakterienähnliche Körperchen nachweisen, die in 
mehr als 500 gesunden Läusen niemals zu finden waren. 
Die Läuse wurden dadurch infiziert, daß sie tagelang 
unter aufgeklebtem Stoff auf der Haut von Fieber¬ 
kranken festgehalten wurden. In den ersten 3 Tagen 
abgenommen enthielten sie noch keine Parasiten, vom 
4. Tage ab zeigte sie ein Teil und vom 7. bis 8. Tage 
an sämtliche Läuse in höherem Grade. Mit derartigen 
Läusen wurden bei Meerschweinchen dieselben karakteristi- 
schen Fiebererscheinungen hervorgerufen, wie sie sonst 


nach Einspritzung von Krankenblut beobachtet wurden 

Stempell-Münster i. W. konnte im Darminhalt 
einiger Fieberläuse eigenartige spindelförmige Gebilde 
mit kernähnlichen Einschlüssen nachweisen, die er für 
Protozoen hält. Dieselben Gebilde fand er intrazellulär 
in Fleckfieberleukozyten. 

Matth es - Königsberg konnte weder mit 
Optochin noch mit intravenöser Injektion von frischem 
Rekonvaleszenten-Serum auf den Verlauf der Krankheit 
einwirken. 

Schittenhelm-Kiel bespricht das Blutbild 
bei Fleckfieber. 

von J a k s c h - Prag erwähnt Fälle mit Zirkulations¬ 
störungen anderNase und anderemit fehlendem Exanthem. 

Grober-Jena hebt ein eintägiges Absinken der 
Temperatur zwischen dem influenzaartigen und typhösen 
Stadium hervor. Gegen Ende des tvphösen Stadiums 
bemerkte er Störungen der Atmung mit gleichzeitiger 
Glykosurie. Er erklärt dies durch Gefäßveränderungen 
am Boden des 4. Ventrikels. 

Rostoski-Dresden bedient sich der Blutstau¬ 
ung nach Dietzsch, um festzustellen, ob ein Patient 
I’leckfieber überstanden hat oder nicht. Pigment-F'lecke 
werden durch dieselbe wieder bläulich und treten 
dort wieder auf, wo sie schon verschwunden waren. 

Kyrle-Wien und Morawitz -Wien haben 
die Fraenkelschen Wandschädigungen der Hautkapillaren 
zu einer diagnostischen Methode ausgearbeitet. Aus der 
Roseola wird nach Aufhebung einer leichten Hautfalte 
mit der Schere ein Stück exzidiert. Die daraus ange¬ 
fertigten Schnitte zeigen spezifische -herdförmige Wand¬ 
läsionen mit perivaskulären Häufungen von großen, 
plasmareichen Zellen, sowie halbmondförmige wand- 
ständige hyaline Thromben. 

Knack -Hamburg demonstriert einen Schutz¬ 
mantel für Arzte und Pflegepersonal in Form eines 
Taucheranzuges, dessen Verschlüsse das Eindringen der 
Läuse verhindern. 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie und pathol. Anatomie. 

Bach, Hugo. Bad Elster. Störung der SchweUs- 
und Talgsekretion und ihre Behandlung. (Ztsclir. f. physik. 
u. diätet. Ther. XX. 1916. 4. Heft. S. 108/114.) 

Verf. erörtert die interessante Frage des Zusammenhangs 
von Sekretionsanomalien der Haut mit allerlei Erkrankungen. 
Unter 900 Patienten, die nach Bad Elster kamen, fand er 
337 mal solche Sekretionsanomalien, und zwar war bei 
188 = 55,8 0 /» die Schweiss- und Talgsekretion gleichzeitig 
vermindert bzw. aufgehoben, bei 103 = 30,7°/ 0 nur die 
Schweiss-, bei 46 = 13,5°/o nur die Talgsekretion. 

Von den 337 Patienten litten 160 an Neuralgien, 
Rheumatismus oder Gicht, 2 an Epilepsie, je 1 an Veitstanz, 
Iclithyosis, Bettnässen, GallenBtörungen, Heuschnupfen. 

Eine radikale Heilung ist nicht möglich. Besserungen 
hat B. durch Moorbäder, künstliche Höhensonne, Einreibungen 
milder Fette, wollene Unterkleider erzielt. 

Es ist bedauerlich, dass die Haut in der Mediziu eine so 
untergeordnete Rolle spielt und dass ein Organ, welches so 
leicht zugänglich ist, nicht mehr zu diagnostischen Zwecken 
ausgebeutet wird Buttersack. 

As. Z 1 atarof f, Sofia. Ober eine neue Art von 
Glukosurie: Glukosomethylpentosurie. (Hoppe-Seyler’s Zeit¬ 
schrift f. physiol. Chemie. Bd. 97. H. 28/31.) 

Digitized by Google 


Bei der polarimetrischen Zuckerbestimmung im Harn eines 
hochgradigen Diabetikers ergab sicli ein geringerer Wert, als 
der titriinetrischen Bestimmung entsprochen hatte. Genauere 
Nachforschung ergab, dass es sich wahrscheinlich um 
Beimengung einer Methylpentose handelt, vielleicht Rhamnose. 

Ein Urteil über die Herkunft dieses Zuckers ist 
zur Zeit nicht mit Sicherheit zu gewinnen. Die Kost 
des Patienten unterschied sicli nicht von der aller anderen. 

Egon E i c h w a 1 d. 

Heinrich Wieland uud Hermann Sorge. 
Untersuchungen über die Gallensäuren. (Hoppe-Seyler’s Zeit¬ 
schrift f. physiol. Chemie. Bd. 97. 1/27.) 

Es wird die alte Streitfrage, ob die ausser der Cliolsäure 
sich hauptsächlich noch in der Galle befindlichen Säuren, die 
Choleinsäure und die Desoxycholsäure, identisch sind oder nicht, 
in folgendem Sinne erledigt: 

Die Choleinsäure ist die additiotielle Verbindung der 
Desoxycholsäure mit einer höheren Fettsäure z. B. Stearinsäure. 
Diese additionelle Verbindung ist sehr stabil. Ausser mit 
Stearinsäure vermag die Desoxycholsäure sich noch mit andern, 
auch niederen Fettsäuren zu verbinden, sowie mit Kohlenwasser¬ 
stoffen, sowie andern organischen Stoffen z. B. Eenzoesäure, 
Kampfer, Salol etc. 

Die Bedeutung dieser chemischen Ergebnisse liegt darin, 
dass sie eine Erklärung für das Lösungsvermögen der Galle 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 28. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


277 


gegenüber zahlreichen wasserunlöslichen Substanzen liefert. 
Diese werden dadurch leicht resrobierbar. 

Egon E i c h w a 1 d. 

O Schu m m. Hämatin als pathologischer Bestandteil 
des Blutes. (Hoppe-Seyler’s Zeitschrift f. physiol. Chemie. 
Bd 97. 32'52.) 

Bei einer Vergiftung hatte O Schümm gefunden, dass im 
kreisenden Blut sich bedeutende Mengen der Abbauprodukte 
des Blutfarbstoffes, Hämatin, vorfanden. 

Er untersuchte deshalb, ob sich auch sonst unter 
pathologischen Verhältnissen Hämatin im Blut nacliweisen 
lässt. 

Hämatin tritt auf bei Zuständen, die mit abnormer Zer¬ 
setzung der roten Blutkörperchen verbunden sind, z. B. bei 
Vergiftungen durch anorganische oder organische Blutgifte, bei 
Schwangerschaftseklampsie, Malaria, Sepsis durch den Bazillus 
phlegmones emphysematosae Fraenkel, bei perniziöser Anämie 
und extrauteriner Schwangerschaft. Unter günstigen Um¬ 
ständen verschwindet der Hämatingehalt des Blutes häutig in 
wenigen Tagen Beziehungen zwischen dem Gehalt des Blut¬ 
serums au Methämoglobin, Hämatin und Bilirubin haben sich 
bisher noch nicht finden lassen. Häufig enthält der Harn bei 
Anwesenheit von Hämatin im Serum beträchtliche Mengen des 
Hämatin im Sediment. 

Besonders wichtig erscheint es, die Einwirkung der Blut¬ 
gifte auf den roten Blutfarbstoff einer erneuten Untersuchung 
zu unterziehen, da man bisher nur das Auftreten von 
Methämoglobin, nicht jedoch des von Hämatin genügend 
berücksichtigt hat. Egon E i e b w a 1 d. 

Bürg i. Chlorophyll und Chlorosan. (Corresp. Bl. f. 
Schweiz. Arzte. 1916 No. 15.) 

Von den chemischen Beziehungen zwischen Blutfarbstoff 
und Chlorophyll ausgehend kommt B. auf den Gedanken, die 
Umwandlung des letzteren in den ersteren experimentell nach¬ 
zuweisen und es ev. therapeutisch zu benutzen. Dabei erinnert 
er an den Wert der grünen Gemüse, deren Nahrungswert 
gering ist. Beim Kaninchen wirkte Blattgrün, besonders in 
der Kombination mit Eisen, günstiger auf die Besserung des 
Hämoglobins als jedes einzeln Die Wirkung auf den Erythro- 
zvtenzahl ist weniger ausgesprochen. Beim Menschen erzielte 
B. mit seinem Präparat, dem er den Namen „Chlorosan“ gab, 
sehr günstige Resultate (in etwa 200 Fällen angewandt). Nicht 
nur subjektiv (Hebung des Appetits etc.) zeigte sich dies, sondern 
auch im Blutbild. Besonders günstig waren die Resultate 
bei initialer Lungentuberkulose. 

B o e n h e i m. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

Rosenfeld, Rud., A. P. Einfluss der vegetarischen 
Ernährung auf die Muskelkraft. (Ztschr. f. physik. u. diätet 
Ther. XX. 1916. 4. Heft. S. 97/107.) 

Verf. hat die im Titel angegebene Frage mit Hilfe der 
z. Z. üblichen Stickstoff-Harnsäure- und Kalorienrechnungen 
angegriffen und dazu 3 Versuchsreihen bei 2 Personen angestellt. 
Das Resultat lautet: Die laktovegetabilische Kost setzte bei der 
einen Versuchs-Person die ergographische Leistungsfähigkeit 
sehr stark herab, eine einzige Fleischmahlzeit Hess die frühere 
Kraft zurückkehren. Vegetarische Kost schwächte mehr, als 
eine Tanznacht. 

Beigabe von Fleischextrakt zur vegetarischen Kost blieb 
wirkungslos. Buttersack. 


Allgemeines. 

Über die hereditären ßeziehungen zwischen Alkoholis¬ 
mus und Epilepsie. Von J. 8 t u h 1 i k. 

Von 12600 in der psychiatrischen Universitätsklinik zu 
Zürich in den Jahren 1870 bis 1913 aufgenommenen Kranken 
litten 341 = 12,7% an Epilepsie. Die statistische Ver¬ 
arbeitung der Krankengeschichten führt den Verf. zu folgenden 
Schlusssätzen. 

1. Unter den hereditär belastenden Krankheiten spielt 

Digitized by Google 


j die Epilepsie selbst keine grosse Rolle, denn nur 15,3°7 0 sämt- 
1 lieh belasteter Patienten waren gleichartig belastet, direkt gleich¬ 
artig nur 6,4%, und von den sämtlichen untersuchten Patienten 
wiesen nur 9,5"/„ unter den Verwandten Epileptiker überhaupt 
auf. unter direkten Vorfahren nur 4,1%. 

2. Die anderen belastenden Krankheiten — Hysterie, 
Dementia praecox, periodische Erkrankungen, Imbezillität, Idiotie, 
organische Geisteskrankheiten, allgemeine körperliche Leiden — 
stehen in ihrer Bedeutung der Epilepsie weit nach. 

3. Bei starker Heredität scheinen die ersten Anfälle etwas 
früher aufzutreteu. 

4. Unter der hereditär belastenden Krankheiten bei Epi¬ 
lepsie ist quantitativ der Alkoholismus in erster Reihe zu 
nennen, denn etwa 40% aller belasteten Patienten batten 
alkoholische Eltern und etwa 43% hatten unter ihren direkten 
Vorfahren mindestens einen Alkoholiker. Fast 30% sämtlicher 
hereditär belastenden Momente macht der Alkoholismus aus. 

In 30% der Epilepsien, bei welchen wir überhaupt etwas Be¬ 
lastendes finden, ist es allein der Alkoholismus, der hereditär 
in Betracht kommt. 

5. 50% aller Fälle, bei welchen die Eltern der Patienten 
alkoholisch waren, hatten ganz gesunde Vorfahren und Seiten¬ 
verwandte , und in 58% solcher Fälle finden wir in der 
\ erwandtschaft keine andere Krankheit als den Alko¬ 
holismus. 

6. In den Familien der Epileptiker ohue alkoholische 
Erzeuger spielt der Alkoliolismus uur eine unbeträchtliche 
Rolle. Umgekehrt ist der Alkoholismus der Erzeuger 
relativ um ein Vielfaches häufiger als der der Seiten¬ 
verwandten . 

7. Es ist äusserst wahrscheinlich, dass der Alkoholismus 
der Eltern von Eptleptikern nicht eine blosse Ausdrucksform 
einer Familiendisposition ist, die sowohl Alkoholismus als 
Epilepsie erzeugt, sondern dass er eine wichtige Ursache 
der Epilepsie bildet. 

Korresp.-Bl. f. Schweizer Ae. 1915/3. 

Alkohol und Militärtauglichkeit. Bei der ordentlichen 
Frührjahssilzung der Gesellschaft des Ärzte der Kantons 
Zürich am 2. Februar 1915 hielt der Präsident Dr. H. 
Häberlin eine Ansprache, in der er u. a. über seine Er¬ 
fahrungen bei der Mobilisation berichtete Er untersuchte zu¬ 
sammen mit zwei jüngeren Kollegen. „Da war eine Beob¬ 
achtung", sagte Dr. Häberliu, „die uns schmerzlich berührte, 
die Verwüstungen durch den Alkohol. 
Keine Zahlen seien angeführt, nur der Gesamteindruck: Die 
Dienstuntauglichkeit vom 30 Jahre an und besonders um und 
nach dem 40. ist in der Hauptsache bedingt durch den 
Alkoholismus. DieDiagnose ist nicht immer deutlich und unzwei¬ 
deutig, aber die Mehrzahl der Myokarditiden, Myodegenerationen, 
j Magen- und Darmstörungen stehen direkt und indirekt im ur¬ 
sächlichen Zusammenhang mit dem abusu des Alkohols. 

Heute ist nicht Zeit und Gelegenheit, auf dieses Thema 
einzugehen. Sollten meine beschränkten Erfahrungen keine 
ausnahmsweisen sein, sondern andere Ärzte ähnliche Er¬ 
fahrungen machen, dann wird es unsere ärztliche Pflicht sein, 
der Sache näher zu treten, die Grösse der Gefahr festzustellen, 
die nötigen Schritte zur Besserung zu beraten, zu beantragen 
und vor allem den Kampf ernsthafter aufzunehmen und mit 
dem guten Beispiel voranzugehen.“ 

Korresp.-Bl. f. Schweizer Ae 1915/28. 

Die Volksbäder und die Bekämpfung der Läuseplage. 

Es ist bekannt, dass durch Kleiderläuse schwere Krank¬ 
heiten übertragen werden können, besonders Fleck-Typhus 
und Rückfallfieber. Die deutsche Heeresverwaltung hat des¬ 
halb alle Vorsorge getroffen, unsere tapferen Krieger, die durch 
Berührung mit den Feinden von diesem Ungeziefer befallen 
Bind, ebenso wie die Kriegsgefangenen, davon zu befreien; 
aber dennoch besteht die Gefahr, dass diese widerlichen und 
gefährlichen Tiere, besonders aucli von den zur Arbeit ver¬ 
wendeten Kriegsgefangenen, in die Zivil-Bevölkerung ver¬ 
schleppt werden. Auf Anregung des Herrn Ministers hat die 
Deutsche Gesellschaft für Volksbäder 
eine kleine Schrift herausgegeben, in der auch in staatlichen, 
gemeindlichen, privaten Betrieben, auf Dörfern und in 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






278 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 28. 


kleineren Städten leicht beschaffbare Mittel und Ein¬ 
richtungen zur Beseitigung des Ungeziefers beschrieben 
werden. 

Die kleine Schrift ist gegen vorherige Einsendung des 
Betrages von der Geschäftsstelle der Deutschen Ge¬ 
sellschaft für Volks häder, Berlin \V 62, 
Kurfiirsten-Strasse 81, zu beziehen 

zum Preise von —,20 Mark für L "'tiick 

11 .- „ „ 100 

50,— „ „ 500 ,, 

00 ,- „ „ 1000 „ 


Medikamentöse Therapie u. neuere Medikamente, 

S e u b e r t. Zur Verwendung des Granugenois,,Knoll“. 

(Münchener Medizin. Wochenschrift, 1916, Nr. 12.) 

Autor hatte Gelegenheit, Granugenol in etwa 100 
Fällen zu erproben und konnte feststellen, dass nach An¬ 
wendung des Präparates das Wachstum des Granulationsge¬ 
webes eine Anregung erfahrt und Heilung eintritt. In zwei 
Fällen von ausgedehnten Röntgen Verbrennungen, 
die bekanntlich Monate und Jahre jeder Therapie trotzen, konn¬ 
ten durch Granugenolbehandlung ganz augenfällige Erfolge 
erzielt werden. 

In einem Falle handelte es sich um eine seit einem Jahr 
bestehende fünfmarkstückgrosse und über 1 cm tiefe Röntgen- 
verbreunung (Geschwür), welche trotz aller Mittel nicht geheilt 
werden konnte. Nach 6 wöchiger Granugenolanweudung füllte 
sich das Geschwür völlig mit Granulationen aus. Die Ver¬ 
narbung setzte vom Rande her ein und der Umfang der 
Wunde war nur noch etwa markstückgross. Der andere Fall 
war eine seit über 2 Jahren bestehende Verbrennung des 
Unterleibes von der Symphyse bis zur Nabelhöhe. Nach 
‘^jähriger Granugenolbehandlung fand bis auf Handgrösse 
Vernarbung statt. 

Der Verfasser rät in derartigen Fällen einen Versuch 
mit Granugenol dringend an. N e u m a n n. 

Ober Droserln. 

Das „D rose r i n“, ein Drosera-Milchzucker-Präparat 
wird von verschiedenen Seiten, z. Bsp. der Universitätsklinik 
in Erlangen und der Universitätsklinik in München als gutes 
Keuchhustenmittel empfohlen. Das Droserin ist frei von Chinin 
und Narcoticis. Ausser bei Keuchhusten bewährt es seine 
wertvollen therapeutischen Eigenschaften bei allen infektiösen 
Katarrhen der Respirationsorgane mit starkem und quälendem 
Hustenreiz, wie Katarrh des Pharynx, der Bronchien, Husten¬ 
reiz bei Influenza, Masern etc. 

Das Droserin muss möglichst frühzeitig zur Anwendung 
kommen. Bei Kindern unter 2 Jahren wird gewöhnlich 
Droserin in Normalstärke verordnet und alle 2—3 Stunden 
eine Tablette iu etwas Wasser oder Milch verabreicht, nötigen¬ 
falls auch während der Nacht. Bei Kindern über 2 Jahren 
und Erwachsenen ist, abgesehen von ganz leichten Fällen 
von Anfang an Droserin Stärke II zu bevorzugen und 
gleichfalls alle 2—3 Stunden eine Tablette in Wasser 
oder Milch zu geben. Ausser in Tablettenform ist das 
Droserin auch noch in Form eines Sirups zu haben. — 
Hier ist ein Kalkbrombaldrianzusatz gemacht. Es wird 
hiervon 2 - stündlich 1 Kinder- bis 1 Esslöffel verdünnt 
oder iu Wasser oder Milch verabreicht. 

N e u in a n n. 

Dlafor. Unter diesem geschützten Namen bringt die 
Fabrik chem. pharm. Präparate Dr. Schütz & Co.. Bonn 
a. Rh. ein nach patentiertem Verfahren hergestelltes neues 
Antipyreticum, Antineuralgicum und Antirheumaticum mit 
schwach sedativer Eigenschaft in den Handel. Diese sedative 
Eigenschaft gibt dem Präparat, das, aus acetylsalicylsaurem 
Harnstoff bestehend, den Magen in keiner Weise angreift 
und leichter löslich ist als die Acetylsalicylsäure, nicht unbe- 
tende Vorteile vor den letzteren und vor dem Aspirin, zumal 
die Acetylgruppe auch bei längerem Lagern nicht abgespalten 
und daher stets eine gleichmässige Wirkung erzielt wird. 
Prof. I)r. Hübner, Bonn veröffentlicht in der psychiatrisch 


neurologischen Wochenschrift XVI. Jahrgang No. 17 seine Er¬ 
fahrungen mit dem Präparat, die er bei längerer Versuchsdauer 
in der Kötiigl. psychiatrischen Klinik in Bonn gesammelt hat. 
Er reichte es mit günstigem Erfolge bei Schmerzen verschiedenster 
Art: Gelenkrheumatismus. Trigeminusneuralgie, Neurasthenie, 
Hysterie, Herpes zoster usw. und spricht ihm wesentliche Vor¬ 
züge vor dem Aspirin zu. Diafor kommt in Röhren mit 
20 Tabl. ä 0,66 g zu 1 Mk. in den Handel. Eine Tablette 
entspricht 0,5 Acid-acetylosalicylic 

Baldrianol-Tabletten bestehend aus Isovalarylcarbamid 
stellen ein Präparat der Fa. Dr. Arnold V’ o r w i n k e 1 - Berlin 
vor. das völlig bromfrei, geruch- und geschmacklos die Wirkung 
des Baldrians in ausgezeichneter Weise verkörpert. Bei allen 
Leiden nervöser Natur, bei leichten Erregungszuständen, ner¬ 
vösem Herzklopfen, Hysterie, Benommenheit oder Schmerzen 
des Kopfes bezw. Migräne ist sein Gebrauch indiziert. Gegen 
Schlaflosigkeit lässt man vor dem Zubettgehen 2—3 Tabletten 
nehmen. Die Original-Pnckung enthält in Steckkapselröhre 
30 Tabletten ä 0,5 g. 

Joletran bezeichnet die Fa. Goedecke &Co, chem. 
Fabrik Leipzig und Berlin eine Kombination der an dieser 
Stelle bereits genannten Präparate Jod-Prothaemin und Sano- 
kalzin Sie sollen ein bequem zu reichender Ersatz für Jod¬ 
eisen lebertran in Verbindung mit Kalk sein und die Wirklingen 
der Lebertran- mit der Kalktherapie verbinden. Die gleich¬ 
mässige Dosierung und geschickte Zusammensetzung können 
als Empfehlung angesehen werden für Fälle, in denen 
aus persönlichen Gründen die Darreichung von Lebertran 
unmöglich ist 

Neue Organpräparate sind das Testogan unii 
T h e 1 y g a n sowie deren Zusammenstellung mit Schilddrüsen- 
Extraku Ferner das Hormo-Spermin, Hornio- 
O v n r i i n , Hormo-Thyreoidin und Praecoxin 
der Firma Dr. Henning, Berlin W. 

Testogan verbindet die rasche intensive Wirkung des 
Yohimbins mit der langsameren aber anhaltenderen der Opo¬ 
therapie. Es ist ein Mittel gegen sexuelle Insuffizienz des 
Mannes, das dazu verwendete Extrakt wird aus 
Stierboden gewonnen; das Tlielygan bat die entsprechende Zu¬ 
sammensetzung und Wirkung für weibliche Patienten, das hier¬ 
zu gebrauchte Extrakt stammt aus Kuhovarien. Beide kommen 
in Ampullen und Tabletten in den Handel. Thyreo-Testogeu 
und Thyreo-Thelygan sind zu Entfettungskuren bestimmt. 
Sie enthalten die wirksame Substanz von je 1 g frischer 
Schilddrüse pro Tablette. Die Hormo-Präparate werden nach 
einem besonderen Darstelluugsverfahren gewonnen, das die 
Hormone in besonders grosser und wirkungsvoller Menge zur 
Wirkung bringen soll. Mit Hilfe des Hormo-Spermin stellt 
die Fabrik ein Specificum gegen Ejaculatio praecox dar, das 
sie mit dem Namen Praecoxin bezeichnet. 

Cignolin, ein Ersatzpriipatrat des Chrysarobins, wird von 
den Farbenfabriken vormals Friedr. Bayer & Co. hergestellt. 
Es gehört zu der Gruppe der Oxyanthranole, ist eiii gelbes 
Pulver und löst sich zu 1 °/ 0 in Traumaticin, 1,5 0 /o in Benzol 
sowie in Aceton und Alkohol. Mit Fetten verbindet es sich 
leicht und wird zweckmässig mit weisser Vaseline verarbeitet 
nachdem es mit einigen Tropfen Paraffin, liquid, angerieben 
worden ist. Prof. Dr. Galnowsky, Dresden, nach dessen 
Angaben die Darstellung erfolgte, berichtet darüber S. 113 
der Dermatologischen Wochenschrift 1916. 

Nach seinen Erf,hrungen ist die Wirkung des Ciguolins 
viel stärker als die des Chrysarobins. Er empfiehlt es besonders 
gegen Psoriasis als Pinselung zu %— 1 °/n in Aceton gelöst 
oder als 0,05 0,1% Salbe mit 0,5°/o Salizylsäure und 

5% Liquor carbonis detergens. Er glaubt es mit gutem Ge¬ 
wissen als gleichwertigen Ersatz für Chrysarobin den Herren 
Kollegen zur weiteren Erprobung empfehlen zu dürfen. 

I 


___ 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang. 


1915/16. 


?ort$cbrim der Medizin. 


(Inter IHitwirkung hervorragender fachtnänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 29 

1 Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
' Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H , Berlin NW. 87. — Alleinige Inseratenannahme durch 

20. Juli. 

_ 

Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 


lieber Roseola typhosa. 

Von Eugen Fraenkel, Hamburg. 

In der klinischen Diagnose des Unterleibstyphus hat 
der Nachweis der Roseolen von altersher eine grolle 
Rolle gespielt. Sie sind eines der Kardinalsymptome, 
auf deren Erscheinen der Arzt mit besonderer Aufmerk¬ 
samkeit fahndet, um bei gleichzeitigem Bestehen eines 
auf Typhus verdächtigen Fiebers und bei dem Vorhan¬ 
densein eines Milztumors die klinische Diagnose mit 
Nachdruck begründen zu können. Ihre Lokalisation an 
der Haut des Bauches und Rückens sowie der unteren 
Brustgegend ist, neben dem Zeitpunkt des Auftretens 
am Ende der ersten oder Anfang der zweiten Krank¬ 
heitswoche, für die Typhusdiagnose von erhöhtem Wert. 
Freilich haben namentlich Beobachtungen in dem jetzigen 
Kriege gelehrt, daß nicht selten das Roseolenexanthem 
ein sehr viel ausgebreiteteres ist oder wenigstens sein 
kann, und so durch das sehr dichte Auftreten der ein¬ 
zelnen über den ganzen Körper verbreiteten, auch das 
Gesicht nicht verschonenden Effloreszenzen die Beur¬ 
teilung eines solchen Exanthems sehr erschwert werden 
kann, zumal an Orten, wo Fleckfieber herrscht. Bei 
diesem ist ja das Exanthem in der Mehrzahl der Fälle, 
kurz ausgedrückt, ein viel massiveres, und es wird die 
Unterscheidung eine um so schwierigere sein, wenn, wie 
gleichfalls Erfahrungen namentlich auf dem östlichen 
Kriegsschauplatz gelehrt haben, das unter Umständen 
auch beim Abdominaltyphus sehr reichliche Exanthem 
eine petechiale Umwandlung erfährt und damit eine 
weitere Übereinstimmung mit dem Roseola-Exanthem 
des Fleckfiebers bietet. Aber trotz dieser äußeren Ähn¬ 
lichkeiten der Roseolen beim Abdominaltyphus und 
Fleckfieber sind beide ihrem anatomischen Charakter 
nach verschieden. In dieser Beziehung haben die letzten 
Jahre eine wesentliche Erweiterung unserer Kenntnis 
gebracht. Wir sind jetzt imstande, genauen Aufschluß 
über die der. Roseolen bei beiden Krankheiten zu Grunde 
liegenden geweblichen Veränderungen zu geben. 

Ich entspreche einer seitens der verehrlichen Schrift¬ 
leitung an mich ergangenen Aufforderung, wenn ich in 
folgendem eine kurze Darstellung dessen gebe, was wir 
über die Typhus-R oseolen wissen. 

Nachdem es Neuhauss und T h i e tn i c h im 
Jahre 1886 und 1895 gelungen war, aus Typhusroseolen 
Typhusbazillen zu züchten, hatte eine große Reihe an¬ 
derer Autoren, bei Nachprüfung der Angaben der ge¬ 
nannten Forscher, nur negative Resultate zu verzeich¬ 
nen. Erst Neufeld gelang es, die Ursachen dieser 
Mißerfolge aufzudecken und gleichzeitig eine Methode 

Digitized by Google 


| anzugeben, die den Nachweis der Typhusbazillen in 
dem Gewebssaft von Typhusroseolen mit nahezu ge¬ 
setzmäßiger Regelmäßigkeit ermöglichte Diese Methode 
besteht bekanntlich darin, daß man die mit Alkohol und 
Äther gereinigte Hautstelle einritzt und etwas Gewebs¬ 
saft herauskratzt, den man sofort in Bouillon einbringt. 
Auch auf die Hautwunde werden gleich einige Tropfen 
Bouillon aufgetragen, um die etwa austretenden Blut¬ 
tropfen zu verdünnen. Diese werden dann in Bouillon 
oder in das Kondenswasser von Agarröhrchen verimpft. 
Seit wir die typhusbazillenwachstumfördernde Eigen¬ 
schaft von steriler Galle kennen, wird solche zu flüssigen 
oder festen Nährböden zugesetzt, und von den damit 
beimpften Röhrchen nach mehrstündiger Bebrütung auf 
Lackmusnutrose oder Endoagar übertragen. Mit dieser 
von Neufeld im Jahre 1898 veröffentlichten Methode 
war der Beweis erbracht, daß die Typhusroseolen dem 
Eindringen von Typhusbazillen in die Haut ihre Ent¬ 
stehung verdanken. Aber über ihren Sitz und ihre 
Wirkung auf das Hautgewebe gaben die Neufeld- 
sehen Untersuchungen keine Auskunft. Hier setzten 
meine eigenen Untersuchungen ein. 

Da nach den N e u f e 1 d’schen Angaben in den 
Roseolen immer nur ganz vereinzelte Bazillenexemplare 
zu erwarten waren, der histologische Nachweis einzelner, 
einer elektiven Färbung bekanntlich nicht zugängiger 
Typhusbazillen so gut wie aussichtslos ist, mußte zu 
einem kleinen Kunstgriff die Zuflucht genommen werden, 
und dieser bestand darin, daß ich die frisch exzidierten, 
noch lebenswarmen Roseolahautstückchen sofort in 
Bouillon brachte und während 12—18 Stunden bei 
37 Grad Celsius stehen ließ. Dann wachsen an solchen 
Stellen, wo sich ein oder mehrere Typhusbazillen be¬ 
finden, diese zu kleinen ganz charakteristischen Häuf¬ 
chen aus, welche sich bequem färben lassen. Dieses 
Verfahren stellt nichts anderes als 
eine Züchtung der Bazillen inner¬ 
halb des erkrankten (Haut-) Organes 
dar und hat sich für das Auffinden der Typhusba¬ 
zillen in der Roseolahaut glänzend bewährt. Denn es 
hat uns einmal ermöglicht, in den Roseolen die 
spezifischen Bazillen aufzufinden 
und die sich an den Stellen ihres Sitzes abspielenden 
Gewebsveränderungen aufzudecken. 

Bezüglich der Lokalisation der Ba¬ 
zillen ist zu bemerken, daß sie sich entweder im 
Papillarkörper oder der P. reticul. cut. ansiedeln unter 
Bevorzugung des ersteren. 

Hinsichtlich der in den einzelnen Roseolen zur Be¬ 
obachtung gelangenden Bakterienhäut'clien walten Ver- 

Origiral frem 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 











280 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 29. 


schiedenheiten ob. Meist begegnet man nur einem 
einzigen. Unter 11 von mir untersuchten Roseolen habe 
ich nur zweimal multiple, in verschiedenen, bisweilen, 
durch bazillenfreie, von einander getrennten Rapillen an¬ 
gesiedelte Bazillenhäufchen angetroffen. Die Bazillen 
halten sich dabei in Gewebsspalten oder Kanälchen 
auf, neben welchen die durch ihre Wandstruktur als 
solche deutlich erkennbaren Mautarterien resp. Kapil¬ 
laren verlaufen. Ich bin deshalb der Ansicht, daß man 
es vor allem mit Rücksicht auf die baumzweigartige 
oder büschelförmige, bisweilen knäuelartige Anordnung 
der bazillenführenden Kanälchen mit Hautlymph - 
gefäßen zu tun hat. Jedenfalls ist es mir nicht gelun¬ 
gen, in sicher als Blutgefäße zu charakterisierenden 
Räumen, Typhusbazillen zu entdecken. 

Am Sitz der Typhusbazillen und in 
ihrer unmittelbarsten Umgebung in einer Ausdehnung, 
die der Größe der einzelnen Roseolen entspricht, kommt 
es nun zu leicht erkennbaren Verände¬ 
rungen im Hautgewebe. Sie betreffen entweder 
nur eine einzelne Papille oder spielen sich an mehreren, 
entweder benachbarten oder, durch Gruppen intakter, 
getrennten Papillen ab. Die Papillen schwellen nicht 
unbeträchtlich an, und ihr Stroma erscheint viel zell¬ 
reicher als normal. Die Vermehrung der zelligen Ele¬ 
mente ist nicht durch Einwanderung von Leukozyten 
veranlasst, sondern kommt ausschließlich auf Rechnung 
der fixen Gewebszellen der einzelnen Papillen. Gleich¬ 
zeitig erfolgt eine, nur im Bereich der erkrankten Pa¬ 
pillen wahrnehmbare, Lockerung des Zusammenhanges 
zwischen ihr und der bedeckenden Oberhaut. Fast aus¬ 
nahmslos ist sowohl die Papillenschwellung als auch die 
Ablösung der Oberhaut am intensivsten im Bereich der 
Ansiedelung der Krankheitserreger und nimmt mit der 
größeren Entfernung von diesen allmählich ab. Das 
trifft auch für jene seltenen Fälle zu, in denen es 
zu einer partiellen Abtötung, zu einer N ekrobiose 
des papillären Stromas und der be¬ 
deckenden Oberhaut kommt, wie ich es nur 
zweimal beobachtet habe. Das eine Mal lag dabei eine 
ungewöhnlich reichliche, an vielen Stellen des Papillar¬ 
körpers erfolgte, Ansiedelung von Typhusbazillen vor ; 
in dem zweiten Fall, dem einzigen letal verlaufenen, 
bestand aber nur ein einziger Bazillenherd, und trotz¬ 
dem die ungewöhnlich schwere Schädigung einzelner 
Papillen und der sie bedeckenden Oberhaut. Es hängt 
also der Grad der Hauterkrankungen 
nicht allein von der Mengeder in den 
betreffenden Hautabschnitt ein ge¬ 
drungenen Typhusbazillen ab, sondern 
es spielen dabei, wie bei allen bakteriellen Erkrankungen, 
die Virulenz der Krankheitserreger 
und die Widerstandsfähigkeit der 
von ihnen befallenen Gewebe eine nicht 
zu unterschätzende Rolle. 

Recht interessante Ergebnisse haben die Unter¬ 
suchungen älterer, nach der gleichen Methode 
untersuchter Roseolen zu Tage gefördert. Ich 
habe bis zu 11 Tage alte Roseolen mikroskopisch stu¬ 
diert und in ihnen noch vermehrungs- also lebensfähige 
Bazillen nachgewiesen. In zwei so alten Roseolen fand 
ich nun die Bazillen nicht nur im Papillarkörper, son¬ 
dern auch zwischen ihm und der bedeckenden Oberhaut. 
Sie waren also nur durch die letztere von der Außen¬ 
welt getrennt. Ob die Bazillen hier absterben und ver¬ 
schwinden oder nach erfolgter Lösung der bedeckenden 
dünnen Oberhaut noch lebensfähig an die Außenwelt 
gelangen und hier möglicherweise als Quelle für wei¬ 
tere Infektionen in Betracht kommen, vermag ich einst¬ 
weilen nicht zu entscheiden, aber ich halte letzteres 
theoretisch für durchaus denkbar. Tatsächlich kommt 
es ja, nach den Angaben erfahrener Kliniker, an den 


Stellen des Sitzes der Roseolen zu geringfügiger, kleien¬ 
förmiger Abschuppung, besonders da, wo die Roseolen 
sich sehr reichlich entwickelt haben und länger bestan¬ 
den. Damit sind aber die Bedingungen erfüllt, die die 
Herausbeförderung im Hautorgan gelegener Typhusba¬ 
zillen ermöglichen. Dieser Modus würde manche, ihrer 
Aetiologie nach unklare, Erkrankung an Typhus bei 
Personen verständlich machen, die mit Dejektionen 
Typhuskranker bestimmt nichts zu tun hatten; jedenfalls 
nötigen die mitgeteilten histologisch-bakteriologischen 
Feststellungen dazu, das Pflegepersonal Typhuskranker 
zu peinlichster Reinigung ihrer Hände nach jeglicher, 
dem betreffenden Patienten gewährter Hilfeleistung an¬ 
zuhalten. 

Einer ähnlichen Ansicht hat übrigens Singer 
schon im Jahre 1893 Ausdruck verliehen, auf Grund 
der Beobachtung von sogenannter Follikulitis bei Typhus¬ 
kranken, mit kulturellem Nachweis von Typhusbazillen 
in diesen Ilautherden. Von einer derartigen Hauterkran¬ 
kung war in den von mir untersuchten Fällen keine 
Rede, sondern es handelte sich um echte, einfache 
Roseolen, und darin liegt der wesentliche Unterschied 
meiner gegenüber den Singe r’schen Beobachtungen. 

Wie hinsichtlich des Verhaltens der Typhusbazillen, 
die noch in 10 und I 1 Tage alten Roseolen als lebens¬ 
fähig festgestellt worden waren, so hat auch über den 
weiteren Verlauf der Gewebsveränderungen die Unter¬ 
suchung solcher älterer, bereits abgeblaßter Roseolen 
lehrreiche Aufschlüsse erteilt. Es kommt nämlich zu 
regressiven Veränderungen an den vorher geschwollenen, 
fixen Gewebszellen in dem Sinne, daß diese zerfallen 
und als feinere und gröbere Chromatinmassen das Haut¬ 
gewebe durchsetzen. Im übrigen ist auch bei ihnen die 
Lockerung des Zusammenhanges zwischen Papillarkörper 
und der, bisweilen in einzelnen Schichten abgestorbenen, 
Oberhaut zu erkennen. Nach und nach stößt sich diese 
in Form kleinster Schüppchen ab, worauf schließlich 
noch kleine braune F'leckchen, evtl, längere Zeit, Zurück¬ 
bleiben. Mit der weiterhin erfolgenden Aufsaugung des 
in den erkrankten Papillen abgelagerten zerfallenen 
Zell- und Kernmaterials ist die Rückbildung zur Norm 
erfolgt. Zur Narbenbildung kommt es an den Stellen 
des früheren Sitzes von Roseolen niemals. 

Daß in total abgeblaßten Roseolen tatsächlich 
Typhusbazillen nicht mehr vorhanden sind, konnte ich 
an einer 4 Tage nach erfolgter Abfieberung des betreffen¬ 
den Patienten herausgeschnittenen (und bebrüteten) 
Roseoie nachweisen. Hier waren nämlich, trotz der Be¬ 
brütung und der dabei vor sich gehenden Anreicherung 
etwa im Gewebe noch vorhandener einzelner Bazillen¬ 
exemplare, die charakteristischen Bazillenherdchen nicht 
mehr aufzufinden. Eine Entscheidung darüber, ob sie 
in solchen Fällen, nach Abstoßung der Oberhaut, lebend 
oder bereits abgestorben an die Außenwelt befördert 
werden, oder an Ort und Stelle absterben und zerfallen, 
vermag ich nicht zu treffen. Nur soviel steht fest, 
daß, nach dem Versagen der Anreicherung zu schließen. 
Typhusbazillen in lebens- und vermehrungsfähigem Zu¬ 
stande in der Haut nicht mehr vorhanden gewesen sein 
können. Histologisch ließen sich aber Veränderungen 
erkennen, die den in frischen Roseolen nachgewiesenen 
ähnlich waren. Man sah nämlich noch eine Gruppe von 
Papillen, die sich durch einen gewissen größeren Kern¬ 
reichtum auszeichneten. Aber die Kerne waren nicht 
mehr so groß, wie in den jugendlichen und nicht so 
unförmig wie in jener 11 Tage alten Roseoie. Es war 
eben mit dem Schwinden der Krankheitserreger aus der 
Roseoie zu einer Abschwellung der Papille in toto wie 
der in ihnen vorhandenen fixen Gewebszellen gekommen 
und die Rückbildung zur Norm in vollem Gange. 

Wir sind somit durch die histologische Untersuchung 
einer größeren Anzahl verschieden alter Typhusroseolen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 


Digitize 


dby Google 








Nr. 29 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


281 


zu klaren Vorstellungen über den Sitz der Krankheits¬ 
erreger und die histologischen Vorgänge gelangt, die 
zur Bildung der Roseolen führen und deren Ablauf ver¬ 
anlassen. 

Es haben aber diese, lediglich in der Absicht, Auf¬ 
schluß über die Lokalisation der Typhusbazillen in der 
Roseolenhaut zu geben, unternommenen Untersuchungen 
auch Tatsachen zu Tage gefördert, die m. E. nicht nur 
praktisch medizinische, sondern auch epidemiologische 
Bedeutung zu gewinnen geeignet sind. 


Die Balneotherapie im Kindesaiter. 

Ein Beitrag zur Prophylaxe gegen die Tuberkulose. 

Von Dr. Krone, Badearzt in Bad Sooden a. d. Werra. 

Auf dem letzten Balneologenkongress habe ich 
über die Bedeutung der Balneotherapie im Kindes¬ 
alter gesprochen. Ich folge gern einer Aufforderung 
der Schriftleitung, um an der Hand meiner dortigen 
Ausführungen den Kollegen in der Praxis klarzulegen, 
dass diese Bedeutung vornehmlich darin zu suchen ist, 
dass wir Badeärzte in den vorwiegend von Kindern 
besuchten Bädern uns als Baineotherapeuten des Kindes¬ 
alters in den Dienst der Prophylaxe gegen die Tuber¬ 
kulose stellen. 

Wenn wir Baineologen uns unsere kleine Klientel 
daraufhin ansehen, welche Leiden es sind, die uns die 
Kinder zuführen, so bekommen wir natürlich alle die¬ 
jenigen Leiden, die wir an Kindern %vie an Erwachsenen 
beobachten — wie: Erkrankungen der Kreislauforgane 
und des Nervensystems, Katarrhe der oberen Luftwege, 
Blutarmut und Rheumatismus — auch bei Kindern zu 
Gesicht; doch in allen Kinderbädern herrscht eine Er¬ 
krankung vor, die den Hauptprozentsatz in der Kinder¬ 
praxis ausmacht, das ist die Skrofulöse. Ich zähle z. B. 
in meiner Praxis, wenn ich den Durchschnitt aller Jahre 
nehme, 86"/ 0 der behandelten Kinder, die wegen skrofu¬ 
löser Erscheinungen die Badekur gebrauchten, und nur 
14/ 0 , die sich auf die übrigen Krankheiten verteilen- 

Die Balneotherapie im Kindesalter bedeutet also 
der Hauptsache nach eine Balneotherapie der Skrofu¬ 
löse. 

Es ist hier nicht der Platz, auf die verschiedenen 
Theorien, welche über das Wesen der Skrofulöse herr¬ 
schen, einzugehen; mögen wir uns nun auf den Stand¬ 
punkt stellen, dass die Skrofulöse eine Frühtuberkulose 
ist, oder mögen wir als eine Krankheitsbereitschaft an¬ 
sehen, die in einem Körper aus minderwertigem Bau¬ 
material auf alle Fälle einen guten Nährboden für die 
Entwicklung der Tuberkulose abgeben muss: stets stellt 
die Skrofulöse eine Volkskrankheit dar, die nicht unter¬ 
schätzt werden darf, und die mit allen Mitteln bekämpft 
werden muss. 

Nach den Ergebnissen der Statistik und der Patho¬ 
logie ist das Kindesalter bis zum 16. Lebensjahr das 
Hauptalter der Tuberkuloseinfektion und der latenten 
Tuberkulose; und wenn heute der zu den wichtigsten 
Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege gehörende 
Kampf gegen die Tuberkulose schon im Kindesalter 
aufgenommen wird, so gehört die Bekämpfung der 
Skrofulöse, an der wir Balneologen seit langem tätigen 
Anteil nehmen, in diesen allgemeinen Kampf mit hinein. 

Als im vorigen Herbst auf der ,18. Versammlung 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 
G a s t p a r - Stuttgart das Thema: „Bekämpfung der 
Tuberkulose im Kindesalter“ behandelte, schlug er unter 
den Kampfesmassnahmen an 2. Stelle vor: „Die Ge¬ 
sundung latenter Tuberkulosefälle durch Massnahmen 
zur Kräftigung kränklicher Kinder in Erholungsheimen, 

Digitized by Google 


Bädern, Walderholungsstätten, Waldschulen usw. 
An diesen Massnahmen beteiligen sich die Bäder vor¬ 
nehmlich durch Aufnahme der skrofulösen Kinder. Sie 
gewähren diesen zunächst die Möglichkeit einer weit¬ 
gehenden Umgestaltung der Verhältnisse, unter denen 
sie erkrankt sind, sie rufen durch den Luftwechsel und 
die oft veränderte Ernährungsweise eine für die Kinder 
günstige Umstimmung des Organismus hervor und geben 
ihnen vor allein in den Sol- und Seebädern — also den 
Salzbädern — ein dosierbares Heilmittel, das sich im 
Laufe der Jahre vorzüglich bewährt hat. 

Rein klimatische Kurorte zeitigen zwar in ganz 
leichten Fällen von Skrofulöse oft auch schon ganz 
gute Resultate; für die meisten Skrofulösen aber emp¬ 
fiehlt es sich, wenn wir uns nicht mit einer stückweisen 
Therapie begnügen wollen, die klimatische Kur mit 
Sole- oder Seebädern zu verbinden. Gerade wenn wir 
bedenken, dass wir uns mit der Bekämpfung der Skro¬ 
fulöse in den Dienst der Prophylaxe gegen die Tuber¬ 
kulose stellen, müssen wir bestrebt sein, therapeutisch 
etwas Ganzes zu leisten, d. h. wir müssen den ganzen 
klimato- und baineotherapeutischen Apparat in Bewegung 
setzen. 

Mit Recht sagt daher C o r n e t in seinem Lehr¬ 
buch über die Skrofulöse bezüglich der Unterbringung 
skrofulöser Kinder: „Es ist eine Inkonsequenz vieler 
Arzte, auf der einen Seite die Wichtigkeit der Hygiene 
zu betonen, gute Wasserversorgung, Unratabfuhr und 
Kanalisation, gesunde Wohnungen, Nahrungsmitlelkon- 
trolle, Isolierung bei etwaigen Infektionserkrankungen, 
Kinderspielplätze, Häuser mit Liegebalkons, Beauf¬ 
sichtigung der Badeanstalten, kurz eine gut funktioni- 
rende Sanitätspolizei und hundert andere Dinge zu 
fordern, dann aber Kranke, die in der Lage sind, alles 
für die Gesundheit zu tun, nicht an solche Orte zu 
schicken, die Hunderttausende sich haben kosten lassen, 
um allen Anforderungen zu genügen, sondern sich mit 
der einfachen Sommerfrische oder einem schlecht ein¬ 
gerichteten Bade zu begnügen, weil er „vielleicht auch 
hinreicht, Besserung zu erzielen“. 

Unsere skrofulösen Kinder benötigen eben mehr 
als einen einfachen Luftwechsel; sie benötigen eine 
ärztliche Behandlung und Überwachung an Orten, in 
denen es ihnen an gesundheitlicher Fürsorge an nichts fehlt. 
Deshalb ist es auch ein Unding, die Überwachung einer 
Badekur bei solchen Kindern den Eltern oder Pflegern 
zu überlassen und Kurvorschriften womöglich schon 
im voraus für die ganze Badekur zn geben, während 
I doch die Bestimmung über jedes weitere Bad von der 
Reaktion des Patienten auf das vorhergehende abhängig 
gemacht werden sollte. 

Wohl lassen sich bezüglich der Dosierung unserer 
Salzbäder gewisse Normen aufstellen, aber der Haupt¬ 
sache nach bestimmt der Erfolg — unter besonderer 
Berücksichtigung des Kräftezustandes und der Erreg¬ 
barkeit des Patienten die Dosierung; und dieser Er¬ 
folg kann eben nur durch den beobachtenden und über¬ 
wachenden Arzt kontrolliert werden. Wir würden ent¬ 
schieden in unseren Bädern für die Prophylaxe der 
kindlichen Tuberkulose durch eine rationelle Bekämp¬ 
fung der Skrofulöse weit mehr leisten können, wenn 
sich nicht die Unsitte — teils leider sogar mit Unter¬ 
stützung der Kollegen — breit gemacht hätte, viele 
Kinder ohne ärztliche Überwachung die Kur gebrauchen 
zu lassen. In jeden Jahre kommt es oft genug vor — 
ich zähle aus den Jahren 1905—1913 129 Fälle, — in 
denen ich Kinder nach 1, 2 oder 3 Wochen in Be¬ 
handlung bekam, die erst ohne Arzt bezw. nach haus¬ 
ärztlichem Rat — der dann noch oft genug falsch ver¬ 
standen oder falsch befolgt war (es fehlt ja die Kon¬ 
trolle) gekurt, und denen grobe Fehler in der Dosierung 
der Kurmittel teils leichtere, teils schwerere Schädi- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






282 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 29. 


gungen verursacht hatten; — die Folge dieser meist 
auf falscher Sparsamkeit basierenden wilden Kur war 
dann gewöhnlich die, dass die Kinder ihre Kur nun 
weit länger ausdehnen mussten, als dies bei sachge- 
mässer ärztlich ordinierter bezw. überwachter Kur not¬ 
wendig gewesen wäre. 

Und wie viele Kinder benützen jährlich unsere 
Bäder, ohne dass einer von uns Baineologen sie je in 
seinem Ordinationszimmer zu sehen bekommt. Gewiss 
es kann gut gehen, — aber gewöhnlich kommt das dicke 
Ende nach — und dann heisst es : Das Bad ist unsern 
Kindern nicht gut bekommen. 

Wir Badeärzte haben doch wahrlich ein Interesse 
daran, dass die von uns vertretenen Heilmittel nun auch 
richtig zur Anwendung kommen; und deshalb nehme 
ich die in dem vorliegenden Aufsatz gegebene Gelegen¬ 
heit wahr, um die Herren Kollegen in der Praxis um 
ihre Unterstützung zu bitten. Es ist doch wirklich kein 
unbilliges Verlangen, wenn wir im Interesse unserer 
Klientel wünschen, dass unsere Badekuren unter ärzt¬ 
licher Kontrolle geschehen. Wir stellen doch im Grunde 
auch Heilanstalten dar, und es würde doch keinem 
Patienten einfallen, in einer Heilanstalt eine Kur auf 
eigene Faust ohne ärztliche Beratung zu machen; es 
würde erst recht keinem Arzte in den Sinn kommen, 
dass er seinem Patienten Kurvorschriften für eine Heil¬ 
anstalt mitgäbe, in der er selbst nicht ärztlich tätig 
sein kann, und vollends würde sich jeder Kollege wun¬ 
dern, wenn die Heilanstalten, denen er skrofulöse Kinder 
überweist, ohne ärztliche Aufsicht wären. 

Wir sind ja den Herren Kollegen, welche uns die 
Patienten in die Bäder schicken, nur dankbar, wenn 
sie uns bezüglich ihrer Klientel schriftliche Winke geben; 
wir wollen ja weiter nichts, als dass sich der Patient — 
also im vorliegenden Falle das skrofulöse Kind, von 
dessen sachgemässer Behandlung so sehr viel für die 
Zukunft abhängt — während der Badekur unter ärzt¬ 
liche Aufsicht stellt. 

Was unsere Salzbäder in der Therapie der Skrofu¬ 
löse — und damit in der Prophylaxe gegen die Tuber¬ 
kulose — schon geleistet haben und noch leisten, das 
zeigen uns vor allen Dingen die immer zahlreicher 
werdenden Heilstätten für Kinder in den Sol- und See¬ 
bädern und die Heilberichte aus denselben. 

Meine persönlichen Erfahrungen erstrecken sich 
allein auf das Solbad und von diesem habe ich Dauer¬ 
erfolge in der Skrofulosebehandlung — als solche sehe 
ich das Schwinden lokaler Affektionen und Drüsenge¬ 
schwülste, das Schliessen von Fisteln, die Bildung ge¬ 
sunder Granulationen an offenen Herden neben dauernder 
Gewichtszunahme an — bei einer grossen Zahl von 
Kindern gesehen, besonders wenn dieselben die Bade¬ 
kur mehrere Jahre hintereinander wiederholten. Ge¬ 
bessert schieden fast alle Kinder nach Abschluss der 
Kur; wenigstens dann, wenn diese solange durchgeführt 
worden war, wie ich es ärztlich für nötig hielt, und 
wenn nicht, was leider sehr häufig der Fall ist, die 
Eltern von vornherein die Kurdauer bestimmten. 

Und was für das Solbad gilt, das darf das Seebad 
wohl in gleicher Weise für sich in Anspruch nehmen. 
Jedenfalls konnten mir Statistik, ärztliche Berichte und 
eigene Erfahrung zeigen, dass die Balneotherapie in 
Sol- und Seebädern sehr wohl imstande ist, die Skrofu¬ 
löse zu heilen und so an der rationellen Bekämpfung 
der Tuberkulose mitzuarbeiten. 

Wenn wir die Balneotherapie im Kindesalter von 
diesem Gesichtspunkt aus ansehen — und meiner Ansicht 
nach liegt ihre Bedeutung fast ausschliesslich auf dem 
genannten Gebiet — so werden wir die volkswirtschaft¬ 
liche Bedeutung unserer Kinderbäder voll und ganz 
verstehen: „Als Heilstätten für die Skrofulöse stellen sie 
sich in den Dienst der Prophylaxe gegen die Tuberkulose“. 


Zur Technik der sekundären Hautlappenplastik 
bei Kriegsamputierten. 

Von Hans Hans. Autoreferat. 


V’erf. beschreibt in der Mediz. Klinik Nr. 47, 1915 
seine Technik der sekundären Hautlappenplastik bei 
Kriegsamputierten in folgender Weise: 

Die Hauptdruckstelle des menschlichen Körpers, die 
Ferse, hat über dem Knochen nur glatt verschieb¬ 
liche Haut, Unterhautzellgewebe und etwas sehniges 
Gewebe; also keine Muskeln. Solche sind auch bei 
Stumpfdeckung der Planamputierten überflüssig. 

Ein Hautlappen mit Faszie genügt. Durch die Mit¬ 
übernahme von Faszie in den Lappen zur Stumpfplastik 
wird die glatte Verschieblichkeit über dem Knochen 
besonders gesichert. Auch bilden sich mit den Muskeln 
resp. Sehnenstümpfen seitliche Verwachsungen, so daß 
das Spiel der Antagonisten ermöglicht wird und auch 
Schleimbeutelbildung über dem Knochenende erhoff 
werden kann. 

Für die Arme wähle man den Rumpf, für die Beine 
das andere gesunde Bein als Spenderstelle. Auf der 
jodierten Haut werden mit angefeuchtetem Höllenstein¬ 
stift die Umrisse des Hautlappens angezeichnet, ev. nach 
vorheriger Probe mit einem Blatt Papier. 

Die Spenderstelle kann man einige Tage vorher 
schon zurecht schneiden, indem man ihre beiden Längs¬ 
seiten einschneidet und den einstweilen doppelt-gestielten 
Lappen nebstder Faszie von der Unterlage ab¬ 
präpariert. Das Klaffen resp. Schrumpfen der Ränder 
kann man durch entsprechend gelegte Zugnähte ver¬ 
hindern. 

Kurz vor der endgültigen Plastik wird dann eine 
Schmalseite noch durchschnitten und der Lappen im 
rechten Winkel abgehoben. Am Stumpfe frischt man 
den Wundrand in 3 / 4 seines Umfanges durch Ausschnei¬ 
den und Lösen der Anwachsungen an. Die der Zungen¬ 
basis anliegende Stumpfseite läßt man zwecks Vermeiden 
stärkerer Retraktion der Haut einstweilen unverändert, 
da sie in die Naht, weil unter dem Stiel liegend, doch 
noch nicht kann einbegriffen werden. 

In der Nachbehandlung ist die sichere Fixierung 
der Spenderstelle am Stumpf sehr wichtig, aber auch 
das einzige Schwierige. Sehr vorteilhaft ist die Lage¬ 
rung des Kranken derart, daß die gebildete Hautlappen¬ 
zunge gewissermaßen an ihrer Basis aufgehangen über 
den Strumpf ihrer Schwere nach hinüberfällt. Dann 
ist auch bei mäßig aseptischem Verlauf das Durch¬ 
schneiden der Fäden nicht so zu fürchten. 


Die Fixierung erfolgt durch Gipsbinden und weit¬ 
reichende Eisenbügelstangen, was besonders eingehend 
beschrieben wird uuter Beifügung von Abbildungen. 

Empfehlenswert ist, um Druckgeschwüre zu ver¬ 
meiden, daß die einzelnen Teile des Gipsverbandes, 
soweit möglich, schon vorher angelegt werden und ge¬ 
härtet sind, resp. die beteiligten Gelenke still gestellt 
sind. Bei der endgültigen Plastik können dann die be¬ 
treffenden Glieder als Ganzes verschoben, mit Eisent 
Stangen und Gipsbinden untereinander verbunden wer¬ 
den. Dann tritt keine Schnürung oder Eindellung mi- 
Druckgeschwiiren mehr ein. 

Schrittweises Durchtrennen der Zungenbasis, ev. um¬ 
gekehrt bogenförmig zur weiteren Deckung erfolgt am 


10.—20. Tage. 

Die bei 14 Fällen erzielten Resultate waren recht 


ermutigend. Schon vor völliger Stumpfdeckung konnten 
die Kranken auf dem Stumpf in Interimsprothesen 
schmerzfrei herumgehen. 



Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 29. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


283 


Kongressberichte. 


Bericht über die außerordentliche Tagung des 
deutschen Kongresses für innere Medizin 

in W a r s c h a u , vom 1. bis 3. Mai 1916. 

Von Dr. O. C o 11 a t z , Darmstadt (Fortsetzung). 

V. Referat. 

Abdominal-Typhus 

I. Berichterstatter von Krehl, 
Heidelberg. (Wegen Erkrankung des Referenten 
wird sein Manuskript verlesen.) 

Der Typhus ist vielgestaltiger als früher, tritt 
häufig unter dem Bilde anderer Krankheiten auf. Öfters 
beginnt er mit einer Appendizitis. Ein gemeinsames 
Symptom aller Fälle ist die Milzvergrößerung, die wir 
im Kriege überhaupt viel öfter finden nach allen Infek¬ 
tionskrankheiten und bisweilen nach wiederholten Im¬ 
pfungen. Das Krankheitsbild des Typhus ist nicht des¬ 
wegen verändert, weil es sich um andere Erreger han¬ 
delt, sondern weil der Organismus im Felde anderen 
körperlichen und seelischen Schädlichkeiten ausgesetzt 
ist als im Frieden. Nicht zu vergessen ist, daß wir 
jetzt nur Typhusfälle bei Geimpften zu behandeln 
haben. Durch die Schutzimpfung ist die bakterielle 
Diagnose sehr erschwert, da nach ihr der Agglutina¬ 
tionstiter des Blutes für die Typhuserreger ansteigt. Es 
handelt sich dabei um eine Gruppenagglutination. Sicher¬ 
lich sind uns noch nicht alle Arten der Tvphusbazilien 
bekannt. Die Schutzimpfung bringt oft latente Infek¬ 
tionen zum Ausbruch. Es gibt sehr viele leichte Fälle 
unter dem Bilde von Pneumonie, Bronchitis, Paratyphus, 
Ruhr, Appendizitis und Ischias. Es gibt viele Nach¬ 
krankheiten, die auch nach den leichtesten Fällen auf- 
treten. Die wichtigste ist die Erkrankung des Herz¬ 
muskels. Rezidive wurden sehr oft beobachtet, manch¬ 
mal auch chronische Fälle von verhältnismäßig leicht 
verlaufenem Typhus, der sich über mehrere Monate er¬ 
streckte. Die Behandlung mit Bädern fiel im Felde 
fort, ohne daß die Fälle deswegen schwerer verlaufen 
wären Antipyretica wurden nicht systematisch gegeben. 
Die Ernährung war eine kräftige kalorienreiche, bestand 
im wesentlichen aus Milch, Eiern, Mehlspeisen, Butter, 
Zucker und Wein. Die Behandlung mit Einspritzungen 
von abgetöteten Kulturen und mit Rekonvaleszenten- 
Serum ist nicht zu empfehlen. 

II. Berichterstatter Dr. H ü n er¬ 
mann, Armeearzt, bespricht den Einfluß der Schutz¬ 
impfung auf Verhütung und Verlauf des Unterleibs¬ 
typhus. Seit dem Oktober 1914 ist bei dem gesamten 
Feldheere sowie bei den Ersatzmannschaften in der 
Heimat und dem Sanitätspersonal allgemein die Schutz¬ 
impfung mit dem Impfstoff von Pfeiffer - Kolle 
durchgeführt. Bei vielen Millionen Impfungen kam ein 
einziger Todesfall vor, bei einem Manne mit schwerer 
Myocarditis. Der ursächliche Zusammenhang mit Herz¬ 
störungen und Nephritis ist abzulehnen. Nach der 
Schutzimpfung treten ein: 1. Milzschwellung, 2. Leu¬ 
kopenie, 3. positive Gruber-Wida l’sche Reaktion. 
Es ist daher die Erkennung leichter Typhusfälle im 
Anfang schwierig, aber die Impfung, welche im Inku¬ 
bationsstadium ausgeführt wird, beeinflußt den Krank¬ 
heitsverlauf nicht ungünstig, hat vielmehr meist einen 
leichten Verlauf zur Folge. 

Als die Schutzimpfung durchgeführt war, sank die 
Zahl der Neuerkrankungen im Heere sofort. Der 
stärkste Zugang an Typhuskranken erfolgte im Dezember 
1914. Er betrug 1,5 ’/„ der Kopfstärke und war somit 

Digitized by Google 


14mal kleiner als der im Oktober 1870 mit 21% Er, 
krankungen. Nach einem Jahre, im Dezember 1915 
hatte sich das Bild geändert, ganze Armeen hatten be¬ 
reits keinen einzigen Typhusfall mehr. Im Sommer 
1915 hatten wir eine sehr große Zahl von Ruhrerkran¬ 
kungen, blieben aber vom Typhus ziemlich verschont. 
Gut durchgeimpfte Truppenteile, welche stark ver¬ 
seuchte Frontabschnitte und Stellungen beziehen mu߬ 
ten, blieben gesund. Während im Frieden bei 1000 
Typhusfällen über 40 Erkrankungen des Pflegepersonals 
vorkamen, ist jetzt diese Zahl unter 20 gesunken. Na¬ 
mentlich nach der Wiederimpfung verlauft der Typhus 
außerordentlich leicht. In Orten des besetzten Feindes¬ 
gebietes, wo die nichtgeimpften Einwohner die schwer¬ 
sten Erkrankungen aufwiesen, kamen bei unsern durch¬ 
geimpften Soldaten nur ganz leichte Fälle vor, bei 
denen die Diagnose auf Typhus nur schwer zu stellen 
war. Die Sterblichkeit, welche bei Nichtgeimpften 9,6"/„ 
betragen hatte, betrug bei einmal (mit 2 Einspritzungen) 
Geimpften 6,6%, und bei Wiedergeimpften (mit wenig¬ 
stens 4 Injektionen) 2,5 %. Die Zahl der Daueraus¬ 
scheider verhält sich bei den Geimpften zu den Nicht¬ 
geimpften wie 8:31. Die Dauer des Impfschutzes be¬ 
trägt nur wenig über ein halbes Jahr, deshalb ist die 
Impfung nach 6 Monaten zu wiederholen. Es ist das 
Verdienst von Exz. von Schjerning, daß uns 
ein Mittel in die Hand gegeben ist, welches der früher 
so gefürchteten Heeresseuche ihren Schrecken nimmt. 

Prof. Kaup, Hygienereferent beim 
ö s t e r r. - u n g. A.-O.-K. berichtet über die Erfah¬ 
rungen. welche bei der österr.-ung. Armee mit der 
Typhusschutzimpfung gemacht wurden. Die Erkran¬ 
kungen der Geimpften zeigten meistens einen milderen 
Verlauf. Die Anzahl der schweren Fälle betrug bei 
Nichtgeimpften 44%, bei 1 mal Geimpften 29%, und 
bei 2 mal Geimpften 11%. Sehr bemerkenswert war 
die Herabsetzung der Sterblichkeit: für die ganze Armee 
betrug die Sterblichkeit vor Einführung der Schutz¬ 
impfung 16%, nach der Durchimpfung ging sie bei 
einzelnen Armeen bis auf 2—3%, für das ganze Heer 
auf 5,6% herunter. Der Impfschutz ist einige Wochen 
nach der Impfung am stärksten und erlischt nach 7—8 
Monaten. Im österr.-ung. Heer wird deshalb nach 7 
Monaten wieder geimpft. Die Erkrankungen an Unter¬ 
leibstyphus sind hier unter dem Einfluß der Schutz¬ 
impfung dauernd zurückgegangen und betrugen im 
letzten Vierteljahr etwa 0,25% des Verpflegungs¬ 
standes, die Mitwirkung der Schutzimpfung an diesem 
Rückgang ist unverkennbar. 

Krause-Bonn spricht über die Nachkrank¬ 
heiten nach Typhus. Dauerausscheider von Typhus¬ 
bazillen wurden in 4,1 % der Fälle festgestellt. Die¬ 
jenigen, deren Stuhl dauernd Bazillen enthielten, litten 
an einem chronischen Leiden des Darmes und seiner 
Anhänge, wie Gallenblasenentzündung, chronischen 
Darmgeschwüren oder Blinddarmentzündung. Wo dau¬ 
ernd Bazillen im Urin gefunden wurden, konnten 
Nierenbeckenentzündungen nachgewiesen werden. Dauer¬ 
ausscheider von echten Typhusbazillen müssen auf alle 
Fälle von der Truppe weg und isoliert werden. Bei 
der Behandlung bewährte sich eine sehr fettreiche Nah¬ 
rung zur Verhütung der Gallenstauung. Ein Drittel der 
Leute wurde danach bazillenfrei. Die Behandlung der 
Pyelocystitis war nicht sehr aussichtsreich. Entlassen 
dürfen die Leute erst werden, wenn bei 10 maliger 
Untersuchung keine Bazillen gefunden werden. Sehr 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








284 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 29- 


häutig treten nach Typhus Herzmuskelerkrankungen 
mit dauernder oder paroxysmaler Tachycardie auf; die 
Prognose ist günstig. Recht spät, einmal '0 Wochen 
nach der Entfieberung, trat eine durch Typhusbazillen 
verursachte Osteomyelitis auf, deren Diagnose durch 
Röntgenuntersuchung gesichert wurde. 

Goldscheider-Berlin schildert das 
Krankheitsbild und die Schwierigkeit der Diagnose bei 
den vielen Typhusfällen leichtester Art, die wir infolge 
der Schutzimpfung zu sehen bekommen. Häutig er¬ 
innern sie an Influenza, doch ist bei dieser nur leichte 
vorübergehende Milzschw'ellung vorhanden, niemals von 
der Größe und Dauer wie bei Typhus. 

Munk-Berlin berichtet über günstige Erfah¬ 
rungen mit der Schutzimpfung. Er fand bei Nichtge¬ 
impften 57 % schwere, 31 u / 0 mittelschwere, 12% leichte 
Fälle, bei Geimpften dagegen 24% schwere, 38% mittel¬ 
schwere und 38% leichte Fälle. 

Friedberger-Greifswald hebt hervor, 
daß seit Einführung der Schutzimpfung die Typhus- 
Diagnose serologisch unmöglich geworden und klinisch 
sehr erschwert ist. Als wichtiges Symptom zeigte sich 
bei Geimpften, daß bei Ausbruch des Typhus an der 
früheren Impfstelle Rötung und Druckempfindlichkeit 
auftritt. 

von Drigalski-Brüssel weist darauf 
hin, daß Mehl und Fett bei reichlicher Darreichung die 
Dauerausscheidung von Typhusbazillen unterdrücken, 
da sie für diese keine günstigen Nährböden liefern. 

Schittenhelm - Kiel warnt vor Impfbe¬ 
handlung, besonders mit intravenöser Injektion größerer 
Dosen von Impfstoff, bei frischen, hochfiebernden Fällen. 
Andererseits scheinen kleine Dosen in steigenden Men¬ 
gen bei sehr lange fiebernden Typhuskranken die Ent¬ 
fieberung einzuleiten. 

Conradi konnte mit Hilfe der Anreicherungs¬ 
methode in Gallenröhrchen aus den bei Typhus auf¬ 
tretenden Roseolen auch dann noch Bazillen züchten, 
wenn die Kultur aus dem Blute nicht gelang. 

Lippmann-Frankfurt a. Main: Wird 
ein Mensch, der mit Typhusbazillen infiziert ist, sich 
aber noch im Inkubationsstadium befindet, der Schutz¬ 
impfung unterworfen, so beschleunigt diese den Aus¬ 
bruch des Typhus ohne seinen Verlauf zu erschweren. 
Es kann daher bei Personen, die der Ansteckung stark 
ausgesetzt sind, die Impfung jederzeit ohne Bedenken 
vorgenommen werden. 

Benario - Frankfurt a. Main hat im Ge¬ 
gensätze zu Schittenhelm bei fiebernden Typhus¬ 
kranken von der intravenösen Injektion größerer Dosen 
von Typhusimpfstoff gute Erfolge gesehen. Allerdings 
ist die Zahl seiner Fälle noch zu klein, um die Frage 
definitiv zu entscheiden. 

VI. Referat. 

Paratyphus. 

Berichterstatter Stintzing- Je na: 
Als Erreger wurde fast immer der Paratyphus-B-Ba- 
zillus, sehr selten der Paratyphus - A - Bazillus ge¬ 
funden. Viele Fälle sind gewiß unter der Maske von 
Typhus, Ruhr, Darmkatarrh oder Influenza verborgen 
geblieben. Vergiftungen durch Nahrungsmittel kamen 
kaum vor, die Ansteckung erfolgte meist von Mann zu 
Mann, da es außerordentlich viel Bazillenträger gibt. Be¬ 
sonders sorgfältig muß das Küchenpersonal auf Bazillen¬ 
träger untersucht werden. Die Paratyphus-B-Bazillen ge¬ 
langen schneller ins Blut als die Typhusbazillen, deshalb 
ist das Inkubations-Stadium kürzer und der Ausbruch der 
Krankheit ist akuter als bei Typhus. Im übrigen 
bietet die Krankheit, welche meist in den heißen 
Sommermonaten auftritt, das Bild eines abgekürzten, 
mittelschweren Typhus. Die Rekonvalenszenz und 

Digitized by Google 


Bazillenausscheidung dauert meist ein Vierteljahr. Die 
Sterblichkeit beläuft sich bei Paratyphus B auf 1,2%. 
Die Anzahl der Dauerausscheider ist sehr hoch, etwa 
70"/»- Stintzing schlägt vor, künftighin mit der 
Typhusschutzimpfung diejenige gegen Paratyphus A und 
B zu verbinden. 

Generalarzt Schult zen- Berlin, 
Chef der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums, 
teilt mit, daß er nach eingehender Beratung mit aner¬ 
kannten Hygienikern beschlossen habe, die Daueraus¬ 
scheider des Paratyphus B nicht zu berücksichtigen, da 
ihre Ausschaltung wegen ihrer großen Zahl praktisch 
unmöglich wäre. 

VII. Referat. 

Ruhr. 

Berichterstatter Matthes-Kö* 
nigsb e rg: Die Bezeichnung Ruhr ist ein klinische 1, 
Begriff, dem ganz verschiedene Ursachen zu Grunde 
liegen können. Die Ruhr tritt bei den Truppen zu¬ 
nächst in leichter Form in Gestalt von gehäuften Diar¬ 
rhöen auf, sodaß die Erkrankten meist bei der Truppe 
im Revier behandelt werden konnten. Als Ursache 
wurden Erkältungen, Nahrungsschädlichkeit oder Über¬ 
müdung angenommen. Es zeigte sich jedoch, daß diese 
Massenerkrankungen infektiöser Natur waren, weil 
nach Aufnahme derartiger Durchfallkranker ins Lazarett 
dort Schwestern und Krankenwärter an denselben Diar¬ 
rhöen erkrankten. Oft wurden keine Ruhrbazillen ge¬ 
funden, häufig die sog. Pseudoruhrbazillen, manchmal 
echte Ruhrbazillen. Der Nachweis der Bazillen mi߬ 
lingt, wenn das Material zu spät an die Untersuchungs- 
Stellen gelangt. Die Aussaat der Bazillen zur Züchtung 
soll möglichst direkt am Krankenbett erfolgen. Die 
leichten Fälle zeigen nur anfangs einen kurzen Tempe¬ 
raturanstieg, die lange andauernden ein unregelmäßiges 
Auf- und Absteigen des Fiebers. Die Stühle sind im 
Anfang Gärungsstühle, der Schmerz bei der Ruhr 
wird durch Kontraktionen des Dickdarmes verursacht, 
den man oft in ganzer Länge palpieren kann. Wichtig 
für die Diagnose ist die Rektoskopie, welche uns die 
Veränderungen der Darmschleimhaut zeigt. Letztere er¬ 
scheint anfangs glasig, geschwollen und stark mit Flüssig¬ 
keit durchtränkt, später samtartig und mit blutigem 
Schleim bedeckt. Vom 8. Tage an können Geschwüre 
in großer Ausdehnung auftreten. Die Rektoskopie ist 
beweisender für den Stand der Heilung als die bakterio¬ 
logische Untersuchung. Milzschwellung fehlt meist, die 
Diazoreaktion ist regelmäßig positiv. Die leichten Fälle 
heilen ohne Arzneien bei Bettruhe und leichter Diät; 
empfohlen werden frischer weißer Käse, Yoghurt, Ba¬ 
nanenmehl, Molke mit Hafergrütze. Die Serumbe- 
handlung mit intravenöser Verabreichung von min¬ 
destens 100 ccm Serum zeigte günstige Wirkung, doch 
waren dieselben Erfolge auch mit normalem Pferdese¬ 
rum zu erzielen. Die sonst empfohlenen Mittel, wie 
Rizinusöl, Bolus, Tierkohle, Ratanhiadekokt, Etelen, 
Kalcium-Tannin und Wismut wirkten nicht gleichmäßig 
Narkotika sind meist unentbehrlich. Als wirksamstes 
Mittel erwiesen sich stets Dauerauswaschungen sowie 
kleine Bleibeklystire mit lÜ"/„iger Dermatol-Emulsion. Bei 
Entstehung von Epidemien spielt die mangelhafte Be¬ 
seitigung der Stuhlgänge und Übertragung durch Flie¬ 
gen die Hauptrolle. Durch Ortswechsel der Truppen 
ließen sich im Felde Ruhrepidemien meist zur Er¬ 
löschung bringen. 

Kruse Berlin bespricht die bakteriologischen 
und epidemiologischen Verhältnisse der Ruhr. Dieselbe 
tritt in diesem Kriege leichter auf wie früher, weil 
neben der echten Ruhr besonders viele Pseudoruhrfälle 
Vorkommen. Der Nachweis der Bazillen ist immer 
möglich, doch müssen die Entleerungen von frischen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









Nr. 29. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


285 


Fällen und in frischem Zustand untersucht werden, weil 
die Pseudoruhrbazillen leicht von anderen Bakterien 
überwuchert werden, Die Unterscheidung- der einzelnen 
Rassen der Ruhr- und Pseudoruhrbazillen ist durch eine 
gewisse Veränderlichkeit erklärt. Die Ansteckung er¬ 
folgte von Person zu Person durch Vermittlung von 
Dejektionsstoffen, nur ausnahmsweise durch Wasser und 
Nahrungsmittel. 

Schitten heim - Kiel beobachtete bei einer 
Armee 4,5% Todesfälle an Ruhr, darunter mehrere 
Fälle von Spättod. Zur Behandlung empfiehlt er Serum¬ 
injektionen von 80—100 ccm. 

■Schüller-Wie n weist auf die Schmerzhaftig¬ 
keit in der Schienbeingegend hin, welche nach Ruhr 
auftritt und bei welcher kein objektiver Lokalbefund 
vorhanden ist. 

H i s - B e r 1 i n beobachtete nach der 2. Masuren¬ 
schlacht eine Ruhrepidemie, bei welcher nur in 30 % der 
Fälle Ruhrbazillen gefunden wurden. Nach 8 Tagen 
war bei gutem Quartier und geeigneter Verpflegung 
die ganze Epidemie erloschen. Hinsichtlich der 
spezifischen Therapie mit Serum sind die Meinungen 
noch völlig geteilt. 

Kauffmann - Halle a. d. Saale berichtet im 
Aufträge von Prof. Adolf Schmidt über chronische 
Ruhr. Nach 5 % der Ruhrfälle bleibt ein chronischer 
Erschöpfungszustand zurück, bei welchem man 
3 Krankheitsbilder findet: 1. ein chronischer oder 
rezidivierender Dickdarmkatarrh, 2. ein dyspeptischer 
Zustand mit mangelndem Magensaft und vorwiegendem 
Dünndarmkatarrh, 3. eine spastische Dickdarmerkrankung 
ohne Durchfälle. 

VIII. Referat. 

j 

Nierenentzündungen im Felde. 

Berichterstatter Prof. Hirsch, Göt¬ 
tingen 

Aus allen Armeen wird übereinstimmend die 
außerordentliche Zunahme der akuten Nephritis in diesem 
Kriege gemeldet. Während im Kriege 70/71 die 
Nierenkranken 0,02 % aller erkrankten Soldaten aus¬ 
machten, haben wir jetzt, namentlich seitdem der Land¬ 
sturm und sonstige älteren Leute eingezogeu sind, 
außerordentlich viel Nierenkranke, in manchen Feld¬ 
lazaretten bis 10% allerinnerlichen Fälle. Man muß 
sich fragen, waren diese Leute alle vorher nierengesund? 
Die Jüngeren sicher, die Altern gewiß nicht alle. Die 
Erkrankungen häuften sich namentlich im Osten bei 
den Leuten über 30 Jahre und betrafen in 91 % 
die Infanterie, weniger die Kavallerie, am wenigsten die 
Artillerie. In erster Linie erkrankten diejenigen, die 
längere Zeit der Kälte in feuchten Schützengräben 
ausgesetzt waren. Später im Bewegungskriege, bildeten 
ausserordentliche Marschleistungen mit wiederholten 
Durchnässungen und Schlafen auf nassem Erdboden 
bei oft sehr einseitiger Ernährung die Ursache der Er¬ 
krankungen. Abgesehen von Erkrankungen alter Leute, 
bei denen es sich um das Wiednrauftreten eines früheren 
Nierenleidens oder um nicht mehr ganz widerstands¬ 
fähige Nieren infolge früherer Schädigungen handelte, 
boten alle Fälle ein ziemlich charakteristisches Bild der 
akuten Nephritis mit ausgesprochen hydropischem 
Charakter. Die Ödeme waren meist sehr stark, der 
Hydrops hat vorwiegend extrarenale Ursachen. Retinitis 
albuminurica wurde nie beobachtet. Im Anfang bestand 
meist Fieber, oft wurde ein mäßiger Milztumor gefunden. 
Der Blutdruck war im allgemeinen nicht wesentlich er¬ 
höht; wenn sehr hohe Blutdruckzahlen über 200 mm 
auftraten, oder eine geringere Blutdrucksteigerung noch 
längere Zeit die anfänglichen schweren Krankheitser- 
scheinungen überdauerte, so lag immer das Wieder- 
eulllackern eines älteren Nierenprozesses vor. Die Urin- 

Digitized by Google 


menge war zunächst hochgradig vermindert, die Ei¬ 
weißmengen anfangs sehr hoch 6—10 %„. In 60 % 
der Fälle war der Urin bluthaltig. In einer Anzahl von 
Fällen bestand anfangs Dysurie, die wahrscheinlich auf 
Coli Infektion der Blase zurückzuführen ist. Anatomisch 
handelte es sich um eine akute Glomerulo-Nephritis mit 
Epithel-Degeneration der Tubuli. 

Was die Ätiologie anbetrifft, so dachte man zu¬ 
nächst an die wiederholten Schutzimpfungen, aber mit 
Unrecht, weil im Heimatsgebiet und in der Etappe 
keine gthäuften Nierenerkrankungen auftraten; ebenso¬ 
wenig ist die Rum-Zulage anzuschuldigen. In manchen 
Fällen war eine septische Infektion oder Angina oder Fur¬ 
unkulose vorhergegangen, doch war dies nur ein geringer 
Prozentsatz. Vielfach suchte man die Krankheitsursache 
in einseitiger Ernährung bei gleichzeitiger übermäßiger 
Salzzufuhr. 

Wenn sich auch gewisse Beziehungen zwischen 
Scorbut und Nephritis nicht leugnen lassen, so fehlte in 
der Mehrzahl der Fälle dieser Zusammenhang. Die 
Hauptursache der jetzigen Kriegsnephritis ist die Er¬ 
kältung, welche das Quellgebiet der Nierentätigkeit, die 
Kapillargefässe der Haut, betrifft. Die Niere wird 
längere Zeit anämisiert und anfällig, sodaß gewisse 
Stoffwechselprodukte nun schädlich wirken. In “/„ 
der Fälle kam es zu Urämie, welche als Gehirnödem 
aufzufassen und am besten mit Lumbal-Punktion zu be¬ 
handeln ist. Im übrigen muß bei der Behandlung von 
Nephritis im Anfang, wo es sich um mangelhafte Aus¬ 
scheidung und Retention von Stickstoff, Chlornatrium 
und Flüssigkeit handelt, bei der Ernährung Fleisch, 
Salz und Flüssigkeitszufuhr stark eingeschränkt werden; 
später ist vor länger fortgesetzter Unterernährung bei 
gedankenloser, monatelanger Verabreichung von 
mehreren Litern Milch und Wassersuppen zu warnen. 
Der Kranke muß sofort ins Bett und darf dieses nicht 
verlassen, so lange er Blut und reichliche Mengen Ei¬ 
weiß ausscheidet, Im Anfang starben viele Leute an 
der Front, später war in den Lazaretten und im Anschluß 
daran im Heimatsgebiet der Verlauf ein sehr guter. 
Die Sterblichkeit ist sehr viel geringer als bei der 
Scharlachnephritis und erreicht noch nicht 1 % 
der Fälle. 

Diskussion. 

Bruns -Marb urg spricht über Stoffwechsel¬ 
untersuchungen bei Nephritis. Im Stadium der Ödeme 
zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle Erhöhung des 
Reststickstoffes im Blute zwischen 50 und 187 mg auf 
100 ccm Blut. Die Kochsalzausscheidung war meist 
leidlich, von 5 g Kochsalz in der Nahrung wurden im 
Durchschnitt 2,7 g durch den Urin ausgeschieden. Hin¬ 
sichtlich der Ausscheidungsverhältnisse ist die Nephritis 
im Felde also eine Glomerulo-Nephritis. Bei der 
Uraemie fand er 2 Formen: 1. ausgesprochenes Gehirn¬ 
ödem, 2. die acetaemische Foim, bei welcher eine 
starke Retention von Stickstoff und Kochsalz 
vorliegt. 

Jungmann-Berlin. Anatomisch haben wir 
eine akute Glomerulo-Nephritis, außerdem beobachten 
wir Fieber, echte Infektionsmilz, Herzmuskeldegeneration, 
Leberverfettung und Drüsenschwellung. Alles zusammen 
bildet das charakteristische Bild einer akuten Infektions¬ 
krankheit. Hiermit stimmt überein das epidemieartige 
Auftreten der Kriegsnephritis. 

Ilenke-Breslau hält gleichfalls eine Infektion 
für die Ätiologie der Krankheit. 

üttfried Müller -Tübingen hat mit 
seiner Methode, die Haut des lebenden Menschen durch¬ 
sichtig zu machen, bei chronischer Nephritis an den 
Kapillaren der Haut stärkere Schlängelung und 
Anastomosierung beobachtet, Er rät diese Nlethode 
bei der jetzigen Krankheit anzuwenden. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 






286 


Nr. 29. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Stintzing-Jena bezeichnet nach seinen 
Erfahrungen im Osten als Krankheitsursache: kalte 
Füsse und Infektion. 

Goldscheide r - Berlin hatte bei seinen 
Nephritisfüllen eine Sterblichkeit von 1,3%. In einem 
Viertel der Fälle kommt Erkältung als Ursache nicht 
in Betracht, er denkt deshalb auch an Infektion. 
Prophylaktisch empfiehlt er sorgfältige Entwässerung 
der Schützengräben und Unterstände, warme Kleidung 
und Hautpflege. 

Matthes-K önigsberg weist darauf hin, 
daß Offiziere nur selten an akuter Nephritis er¬ 
krankten. 

Rumpel -Hamburg fand nach einem forcierten 
Armeegepäckmarsch über 25 km bei 24 % der Leute 
nachweisbare Eiweißmengen im Urin, bei SO % hyaline 
und granulierte Zylinder, bei 20 % rote Blutkörperchen. 
Öftere Wiederholung der Anstrengung kann zur Er¬ 
krankung der Niere führen. 

Neisser-Stettin beobachtete Fälle mit 
Odemen und Urinbeschwerden ohne Albuminurie. Der 
Entstehung der Nephritis gebt eine Ischämie mit nach¬ 
folgender Stauung und Hyperämie durch Gefä߬ 
lähmung vorher. 

Strasburger - Frankfurt a. Main 
weist auf Schädigung der Nieren durch Stoffwechsel¬ 
produkte und das häufige Auftreten der Nephritis nach 
Darmerkrankungen hin. 

Rostoski - Dresden hat bei 50 % seiner 
Nierenkranken Typhusbazillen im Urin gefunden und 
denkt wegen des Fiebers, der Milzschwellung, des 
Meteorismus, der Diazoreaktion an Nephrotyphus. 

Citron - Berlin konnte in 89 0 /„ seiner Fälle vor 
Beginn der Nephritis eine Streptokokken-Tonsillitis fest- 
steilen. In vielen Fällen konnte er durch Tonsillectomie 
erhebliche Besserung herbeiführen. 

Munk -Berlin erwähnt, daß die sog. große weiße 
Niere ein ähnliches Krankheitsbild liefert, doch zeigt 
sie im Urinsediment stets doppelbrechende Lipoidstoffe, 
welche bei der Kriegsnephritis fehlen. 


V 7 o 1 h a r d • Mannheim: Die Kriegsnephritis 
ist völlig identisch mit der akuten diffusen Nephritis 
des Friedens. Sie ist fast immer heilbar. Unter geeig¬ 
neten Verhältnissen darf niemand an ihr sterben, es 
muss aber die Heilbehandlung so frühzeitig wie möglich 
einsetzen. Das Wesen der Erkrankung besteht in einer 
zur Blutdrucksteigerung führenden Behinderung der 
Zirkulation in den Gefäßschlingen der Glomeruli, die 
sich bis zur Blutleere steigern kann. Die Heilung er¬ 
folgt durch Wiederherstellung der normalen Zirkulation. 
Die Hauptgefahr besteht in der Herzschwäche, welche 
durch zu reichliche Flüssigkeit vermehrt wird. Bei der 
Behandlung lässt Volhard meist einige Tage lang die 
Patienten hungern, bei ganz geringer Flüssigkeitszufuhr. 
Bei eingetretener Besserung muß der Wasserversuch ge¬ 
macht werden. Bei völliger Anurie empfiehlt er die 
Dekapsulation der Nieren, welche spätestens am 3. Tage 
vorgenommen werden muß. Bei schwerer Urämie 
muß die Lumbal-Punktion gemacht werden. Er fordert 
strenge andauernde Bettruhe und hält die Errichtung 
von Sonderlazaretten für Nierenkranke für notwendig. 

Knack-Hamburg berichtet über günstige Er¬ 
fahrungen. Die endgültige Heilung darf erst nach voll¬ 
ständiger Wiederherstellung der Nierenfunktionen 
angenommen werden, sie erfolgt meist im 6.—7. Monat. 

Kayser-Berlin schildert eine Anzahl von 
Fällen, die an Scharlach-Nephritis erinnerten und bei 
denen sich kleienförmige Schuppung der Haut einstellte. 

Po r g e s - W i e n konnte in einer Anzahl von Fällen 
aus dem Urinsediment Streptokokken züchten. Er 
empfiehlt 3 Wochenlang eine Stickstoff- und salzarme 
Diät (tgl. 500 g Kartoffeln, 200 g Brot, 150 g Zucker. 
50 g Reis oder Gries, 50 g Fett, Tee, Fruchtsäfte) und 
berichtet über sehr gute Erfolge. 

Schittenhelm-Kiel hatte eine Sterblichkeit 
von 0,7 "/„, bei 80 °/„ vollständige Heilung. In 70 % 
wurden Erkältung und Durchnässung in der Anamnese 
angegeben. Die Disposition zur Erkrankung nahm mit 
dem Alter zu und war am grüßten bei den Leuten 
j über 40 Jahre. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Dr. L. Dünner u. Dr. G. E i s u e r. 100 Fälle von 
Pneumonie, mit Optochin behandelt. (Die Therapie der 
Gegenwart 1916, Heft 2.) 

Von den 100 Beobachtungsfallen konnten 79 frühzeitig, 
das heisst spätestens am vierten Tage, spezifisch behandelt 
werden: es wurden in den ersten beiden Monaten der Beob¬ 
achtungszeit dreimal täglich 0,5 g Optochin. hydrochl. in Ob¬ 
laten gegeben; später geschalt die Verabreichung von 
sechsmal 0,25 g in 4 ständigen Intervallen. Von 79 Frühfällen 
sind 43 = 54,4°/ 0 entschieden günstig, 8 — 10°/ o unentschieden 
und 18=23°/ 0 nicht beeinflusst geblieben, 10 = 12,0"/o sind 
gestorben. Von den Spätfällen nabmen eine grosse Reihe 
ebenfalls eine günstige Wendung, doch kann eine Wirkung 
des Optochins hier nicht sicher behauptet werden. Das Optochin 
beeinflusst den Verlauf der Pneumonie in zahlreichen Fällen 
sehr günstig und ist als spezifisch wirkendes Mittel zu empfehlen, 
wenn es sich auch nicht in allen Fällen als Heilmittel erweist 
Wir haben keine sicheren Anhaltspunkte, aus denen man im 
Einzelfall die Art der Wirkung Voraussagen könnte. 

S t r a u s s - Mannheim. 


H o f f in a n n. Zur Beurteilung und zur Behandlung 
von Herzstörungen bei Kriegsteilnehmern. (Zentralblatt für 
Herz- und Gefässkrankh. 1915, 21/22 ) 

Die in diesem Krieg häufiger als im Frieden auftretende 
Krankheit ist eine Neurose. Das hervorstechendste Symptom 
ist eine konstante Pulsbeschleunigung. Am Nervensystem 
findet man Lidflattern, Zittern der Zunge und besonders 
der ausgestreckten Hände. Ferner besteht eine vasomotorische 
Uebererregbarkeit. Die Prognose ist günstig, besonders wenn 
eine ausgesprochene Abhängigkeit des Pulses von der Atmung 
vorhanden ist. Die Behandlung besteht in Ruhe, psychischer 
Beeinflussung, Brom; Digitalis ist wirkungslos. 

Johannes Müller. Muskelarbeit und Herz¬ 
tätigkeit. (Ebenda.) 

In den letzten Jahren hat eine Zunahme von Herzkrank¬ 
heiten stattgefunden, die auf eine Uebertreibung von sportlichen 
Leistungen zurückzuführen ist. Dauerkraftübuugen müssen das 
Herz ungünstig beeinflussen. Wandern, Rudern, Schwimmen 
bieten physiologisch günstige Bedingungen im Gegensatz zu 
jenen Turnübungen, bei denen es zur „Pressung“ kommt. 
„Bei Muskelarbeit wird der Trainierte eine gegebene Arbeit 
mit geringerer Stoffwechselsteigerung, kleinerem Minuten¬ 
volumen, besserer Ausnutzung, niedriger Pulsfrequenz und 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



N. 29. 


FORTSCHRITTE OER MEDIZIN. 


2S7 


kleinerem Schlagvolumen ausführen als der Untrainierte“. 
Der Blutdruck steigt bei gleicher Arbeit bei älteren Personen 
höher als bei jüngeren ; die Pulsfrequenz wird bei Rekon¬ 
valeszenten bei gleicher Arbeit grösser als bei Gesunden. 
Während der Arbeit ist das Herz ein wenig grösser, unmittel¬ 
bar darauf etwas kleiner. 

Die Arbeit sei besonders Schulärzten dringend empfohlen ! 

Alkohol bei Tetanus? In einem Uebersichtsreferate über 
den Wundstarrkrampf (Med Klin. 1915/44 S 1213) erklärt 
Josef PringBheim, Oberarzt am Allerbeiligenspital in Breslau, 
die Darreichung alkoholhaltiger Getränke bei Tetanus ebenso 
wie bei allen anderen Infektionskrankheiten für zweckmässig. 
Tierversuche sollen bei Wundstarrkrampf eine besondere kurative 
Wirkung des Alkohols ergeben haben; Ref. gibt allerdings die 
Quelle dieser Mitteilung nicht an. Beim Menschen hat reich¬ 
licher Alkoholgenuss (viel Bier und Wein und daneben tägliche 
Zufuhr von 100 g Kognak) aber ausser der subjektiven Er¬ 
leichterung, welche der Rausch bietet, keine Wirkung, wie Ref. 
selbst mitteilt, so dass man nicht recht versteht, wie er zu der 
Feststellung gelangt ist, dass die Darreichung geistiger Getränke 
„zweckmässig“ sein soll. 

Da er selbst im nächsten Abschnitte die Notwendigkeit 
betont, die Herztätigkeit beim Starrkrampf zu schonen und zu 
heben, widerspricht er neuerdings seiner Empfehlung des Alkohols; 
denn niemand wird behaupten wollen, dass tagelang fortge¬ 
setzte Darreichung von 100 g Alkohol und mehr pro 
Tag die Herzkraft „schont“; ganz im Gegenteil! 

Wenn der Ref. behauptet, dass die Darreichung des 
Alkohols bei Infektionskrankheiten im allgemeinen zweckmässig 
ist, so setzt er sich damit in Widerspruch mit den angesehensten 
Klinikern wie Stadelmann, Ewald, v. Jaksch, Rosenfeld und 
vielen anderen, die die regelmässige und fortgesetzte Dar¬ 
reichung des Alkohols bei Typhus, Pneumonie, Ruhr, 
Sepsis usw. widerraten und längst aufgegeben haben. 

N e u nt a l) n. 


Kinderheilkunde und SäugUngsernährung. 

Prof. Dr. Adolf Baginsky - Berlin. Zur Kenntnis 
der Lymphadenopathien des kindlichen Alters und ihre Be¬ 
handlung. (Die Therapie der Gegenwart 1916, Heft 1 u. 2.) 

Die Lyntpdrüsenerkrankungen des Kindesalters sind über¬ 
wiegend sekundärer Natur; die ursprüngliche Anlage, die beim 
Kinde überhaupt einen grösseren Reichtum au Lyntphdrüsen 
und Lymphbahnen bedingt, spielt eine hervorragende Rolle. 
Wesentlich bestimmend ist jedoch der Charakter des peripher 
entsetzenden Angriffs, der zunächst nur eine örtliche Lyntph- 
drüsenerkrankung bewirkt, weiterhin allerdings eine allgemeinere 
Verbreitung zu übermitteln imstande ist. Entsprechend dieser 
Entstehungsart können die Erkrankungen der Lymphdrüsen 
als akute (durch Eindringen von Saprophyten, Staphylo- und 
Streptokokken) oder als chronische in Erscheinung treten 
(Drüsentuberkulose nach Hautverletzungen). Bei den akuten 
sind besonders die Schleimhäute und hier wieder die Gebilde 
des Rachens die hauptsächlichsten Ausgangsstellen, wie bei 
Angina, Scharlach, Diphtherie. Die Behandlung der erkrankten 
Schleimhäute mittels Spray oder Gurgelungen mit Lösungen 
von Chlornatrium, Ammonium muriaticum, Borsäure beeinflusst 
gleichzeitig die bestehende Drüsen-Affektion, die ausserdem mit 
Jodsalben, Ichthyolsalben, Kataplasmen, ev. Inzisionen zu be¬ 
handeln ist. Auch den sog. Pfeiffer 7 sehen Drüsen¬ 
schwellungen, die häufig als primärer Drüsenprozess aufgefasst 
wurden, liegen sicher Entzündungsprozesse der Nasenrachen- 
schleimhaut zu Grunde. Bei den chronischen Drüsen¬ 
sehwellungen können gleichfalls rein örtliche Erkrankungen 
die Ursache sein wie das Läuse-Ekzem oder die Skabies; 
aber hier gibt es eine zweite Gruppe, bei der Konstitution 
und Vererbung die Hauptrolle spielen; die Skrofulöse (oder 
Lymphatismus) und eine dritte, bei der zu der angeborenen 
Anlage des Lymphatismus eine chronische Infektion hiuzutritt 
Während bei der ersten Gruppe eine örtliche Behandlung aus¬ 
reicht, haben bei 2 u. 3 vor allem allgemein hygienische Mass- 
regeln in der Ernährung. Wohnung, Abhärtung, Klima uud 


tonisierende Arzeneien einzutreten, unter diesen immer 
am erfolgreichsten der Lebertran. 

Strauss - Mannheim. 


Bücherschau. 

Raman Tereskin. Biologische Grundprinzipien 

der Medizin. Verlag der Aerztlichen Rundschau. Otto Gmelin- 
München 1915. 

Im Gegensatz zur alten Medizin, die teils auf philoso¬ 
phisch spekulativen teils auf empirisch-rationeller Basis fusste, 
strebte die moderne Medizin eine exakte wissenschaftliche 
Basis an. An Stelle früherer mystisch-metaphysischer Formeln, 
die „eine Lebenskraft“ als Grundlage aller inneren Vorgänge 
im Organismus statuierten, tritt heute eine physiologische Durch¬ 
forschung derselben, die das organische Leben mit den unver¬ 
änderlichen Naturgesetzen in Einklang zu bringen trachtet. 
Die Physik und Chemie, die Mechanik und Biologie sind in 
den Dienst der empirischen Medizin getreten und wenn wir 
auch heute noch sehr weit von der restlosen Erklärung aller 
physiologischen Vorgänge im Organismus entfernt sind, so 
hat die medizinische Forschung in dieser Hinsicht es doch sehr 
weit gebracht, indem sie der Erkenntnis Geltung verschaffte, 
dass alles Leben in der organischen Welt nach physikalischen 
Grundsätzen geregelt ist. — Aus der wissenschaftlichen Er¬ 
kenntnis der inneren Vorgänge im gesunden und kranken 
Organismus gewinnen wir aber die Mittel zu einer wissen¬ 
schaftlich rationellen Therapie, die von der früheren rohen 
Empirie einem rationellen Aufbau zustrebt. 

Zwei Grundprinzipien sind es vornehmlich, auf welche 

— nach Ansicht des Verfassers — alle therapeutische Mass¬ 
nahmen zurückzuführen sind, das ist die Ablenkbarkeit der 
Innervation und die Provokation des Wiederansatzes durch den 
Verlust. In mehreren Kapiteln analysiert nun der Verfasser 
die biologischen Reaktionserscheinungen im gesunden und 
kranken Organismus und weist an der Hand von Tatsachen 
nach, dass alle Reaktionen, die eine Selbstheilung des Organis¬ 
mus darstellen auf die oben genannten 2 Grundprinzipien 
zurückzuführeu sind. In diesem Sinn sollen auch alle unsere 
chemischen Heilmittel und physikalischen Heilmethoden wirken, 
wenn sie den wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen 
sollen und die moderne Medizin mit ihrem ganzen hochent¬ 
wickelten therapeutischen Armentarium. ihrer Immunisierungs¬ 
methode, mit der Anwendung der artfremden Eiweisskörper 
nach Abderhalden, mit den Opsoninen Wright’s usw. fusst 
letzten Endes auf jenen 2 biologischen Grundprinzipien. 

Die Arbeit gewährt einen tiefen Einblick in die moderne 
medizinische Therapie und soll von jedem wissenschaftlich 
strebsamen Arzt, der in seinem therapeutischen Handeln von 
der Schablone sich loslösen will, gelesen und ernstlich be¬ 
achtet, werden. — rt. 

Dr. Rudolf Eisenmenger, Leiter des Sana¬ 
toriums in Hermannstadt. Das physikalisch-diätetische Heil¬ 
verfahren. Im Selbstverläge des Verfassers. 

Eine kompilatorische Arbeit, die ihren Zweck: den An¬ 
fänger mit dem physikalisch-diätetischen Heilverfahren ver¬ 
traut zu machen, vollkommen erfüllt. Aus jeder Zeile spricht 
der erfahrene Praktiker, der allen theoretischen Ballast bei 
Seite lässt und nur das praktisch Wichtige zum Gegenstand 
der Darstellung macht. Dass der Verfasser die neuesten Er¬ 
rungenschaften der physikalischen Therapie, so: die Röntgen¬ 
behandlung, die Anionentlierapie. die Diathermie, die Frank- 
linisation, die Phototherapie, die Behandlung mit Radium 
und Thorium X, sowie mit deren Emanationen, die Behand¬ 
lung mit Hochfrequenzströmen usw. in das Buch aufgenommen 
hat., muss als besonderer Voizug desselben anerkannt werden. 
Es liegt naturgemäss im Bestreben jedes therapeutischen 
Spezialisten, das Indikationsgebiet seiner Methode so weit als 
möglich abzustecken uud so darf man sich nicht wundern, 
dass der Verfasser in diesem Belang etwas übers Ziel schiesst 
und die physikalische Methode auch dort anwendet, wo man 
mit der medikamentösen Therapie viel einfacher, rascher und 

— bedeutend billiger zum Ziele gelangt. Der praktische 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









288 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr, 29. 


Arzt, der allgemeine Therapie treibt, wird au dieser Indikations¬ 
stellung wohl den kritischen Massstab an legen und sich von den 
„grossartigen Erfolgen“, die allerdings nur der Spezialist sicht, 
nicht bluffen lassen. 

Sehr willkommen sind zum Schluss einige Nalirungs- 
mitteltabellen, die dem Arzt hei der diätetischen Therapie sehr 
wertvolle Dienste leisten. 

Dem Anfänger, der sich in das Gebiet der physikalischen 
Heilmethoden einführen will, bietet das Buch gute Belehrung, 
aber auch der Fachmann wird es mit einigem Nutzen 
lesen. — rt. 

Rudolf Q u a n t ii e r. Das Liebesieben aller Zeiten 
und Völker. Baud IV. Das Liebesieben i m Orient, Leipzig 
II. Wigand’s Verlag. 

Im Rahmen dieses kultur- und sittengeschichtlich über¬ 
aus interessanten Werkes ist nun der 4. Baud, behandelnd 
das Liebesieben im Orient, erschienen, der das 
Sexualleben uud die hochentwickelte Ars amandi im Orient 
zum Gegenstände der Darstellung hat. In übersichtlicher, 
klarer Weise wird in einer Reihe abgerundeter Kapitel das ver¬ 
feinerte, mit religiösen Motiven durchwirkte, Liebesieben der 
Orientalen von der ältesten Epoche bis in die Neuzeit ge¬ 
schildert, das sowohl unseren modernen Anschauungen über 
den Geschlechtsverkehr als auch unserem sittlichen Empfinden 
durchaus fernliegt. Fremdartig wie das ganze Morgenland 
mutet uns auch das Geschlechtsleben der Orientalen an, von 
dein uns eine unüberbrückbare Kluft trennt Wenn wir auf 
der einen Seite die inferiore Stellung des Weibes im Orient, 
wo sie noch heute vielfach als Sklavin des Mannes gilt und 
auf der anderen das Ansehen des Hetären daselbst, das ganze 
Haremswesen uns vor Augen führen, so müssen wir über die 
Rückständigkeit der Orientalen in dieser Hinsicht trotz all 
ihrer kulturellen Bestrebungen erstauneu Ein so einfluss¬ 
reiches Hetärentum wie es Jahrhunderte laug im Oriente vor¬ 
herrschte, der eigenartige Geishawesen im modernen Japan, 
an dem selbst der philiströseste schlitzäugige Moralfex nichts 
Anstössiges findet, wären bei uns zu Lande unmögliche Er¬ 
scheinungen. Trotz der Zügelung der Sinnlichkeit durch religiöse 
Vorschriften artete das Sexualleben der Orientalen vielfach 
aus, wie es z. B. der Baaldienst der Assyrier, der Kult der 
Astarte, der Dienst in den Venustempeln usw. zur Evidenz be¬ 
weisen. Ohne Liebesgenuss, den die üppige Phantasie der 
Orientalen sogar als höchste Potenz der ewigen Seligkeit dar¬ 
stellt, wäre das leichte sorglose Leben der Orientalen ein 
wesenloses Schema. 

Es würde zu weit führen, das ganze interessant und 
fesselnd geschriebene Buch kritisch zu beleuchten — man 
müsste nachgerade das ganze Buch abschreibeu — es ge¬ 
nügt festzustellen, dass der Gegenstand erschöpfend und frei 
von jeder Lascivität — objektiv vom historischen, wie vom 
völkerpsychologischeu Standpunkt aus gleich wahrheitsgetreu 
dargestellt ist und dass der Leser über das einschlägige Thema 
vollständig orientiert wird. Für den Arzt wie für den Anthro¬ 
pologen, für den Kulturhistoriker wie für den Sozialhistoriker, 
ja für jeden Kulturmenschen, bildet das Buch eine Quelle 
reichlicher Belehrung und anregender Unterhaltung. 

Dr. J. A. 


Medikamentöse Therapie. 

Dietrich. Ober Granugenol-Knoll. (Münchener 
Med. Wochenschrift, 1916. No. 7.) 

Vorwiegend in einer Reihe von nicht heilenden Knochen- 
iisteln schlossen sich bei Grauugenol-Anwendung die operativ 
gesetzten Defekte in überraschend kurzer Zeit, allerdings 
mussten Sequester oder Fremdkörper vorher ausgeräumt sein. 
Bei buchtigeu Weichteilwunden Hessen die Eiterungen rascher 
nach, die Buchten füllten sich mit gesunden Granulationen, 
so dass die Epithelisierung, die durch Granugenol nicht ge¬ 
fördert wird, bald beginnen konnte. Die Verbände klebten 
nicht so stark, dass die Saugkraft des Verbandstoffes wie bis 
Salbenanwendung nachgelassen hätte. Durch kein anderes 
Mittel konnte eine derartig rasche Granulationsbildung an¬ 
geregt werden. Auch 2 Fälle von Epitheldefekten heilten 


auf Grauugenol-Behandlung auffallend rasch. In dem einen 
handelte es sich um Frostbeulen mit bis markstückgrossen 
Hautgeschwüren, im anderen um eine Verbrennung 2.-3. 
Grades. Nachteile wurden keine beobachtet. 

N e u m a n n. 

Holopan ist ein Opium-Ultrafiltrat der chemischen Werke 
! vormals Dr Heinrich Byk- Oranienburg Ultrafiltratiou ist 
ein Verfahren, mit Hilfe des osmotischen Druckes Sulz- und 
Koiloide-Lösungen zu trennen, und auf diese Weise die wirk¬ 
samen Alkaloide von Pflanzenauszügen von den störenden 
schleimigen und harzigen Bestandteilen zu trennen, 
i Holopan ist eine klare, hellbraune Flüssigkeit, die aus Opium 
[ gewonnen wird und in ihrem Wirkungswert der offizinellen 
Opiumtinktur entspricht. Es kommt ausser in offener Form 
in Ampullen h l,i ccm d i. 0,5 g in Tabletten und 
Suppositorien mit je 0,5 g Opiumwert in den Handel. 
Seine Herstellungsweise ermöglicht direkte subkutane 
Injektion. 

Hexophan und Hexophan-Natrium wird seit kurzem als 
neues Giclitmiltel von den Hoecbster Farbwerken in den Ver¬ 
kehr gebracht Wir berichteten bereits über dieses Präparat 
nicht ohne dabei des bekannten Atoplians zu gedenken. Ueber 
die Dosierung liegen neuere Meldungen vor. Man soll das 
Hexophan innerlich anfangs viermal täglich zu 1,0 g reichen 
und später die Gabe auf dreimal täglich 1 g herabselzen. 
Das Hexoplian-Natrium ist für liijektionszwecke bestimmt. 
Bei subkutaner und intramuskulärer Anwendung werden zu¬ 
nächst 0,5 g gegeben, bei intravenöser noch kleinere 
Mengen. 

Ein anderes Gichtmittel ist das Fonablsit, ein Formal- 
dehyd-Natriumbisuliit in 10%iger Lösung, das Dr. \ olk mar, 
Wiesbaden, durch intravenöse Einverleibung zur Heilung der 
Gicht anwandte, vorausgesetzt, dass nicht durch langjährige 
Ablagerung von Salzen destruktive Prozesse Vorlagen. Dr. 
Rubens, Gelsenkirchen ist jetzt auf dieses Verfahren zu- 
rückgekoinmen und berichtet darüber in der Metl. Klinik 1915 
S. 1424. Besonders in akuten Fällen beobachtet er gute Er¬ 
folge. Er warnt gleichzeitig vor der subkutanen Anwendung, 
da diese unerträgliche Schmerzen verursacht. Das Präparat 
kommt in Ampullen von 5 ccm Inhalt in den Handel. 

Trombosin ist ein neues Blutstillungsmittel, das eine 
stark aktive, aus Blutserum gewonnene Zytozymlösung vorstellt. 
Es kommt in steriler Lösung in Ampullen zu 5 ccm in den 
Handel und befördert bei seiner Anwendung die Blutgerinnung 
nach deu Ausführungen von Hirschfeld und Klinger iu der 
Deutschen medizinischen Wochenschrift 1915 No. 52. 

Recvalysat bezeichnet die Apotheke von Joh. Bürger 
in Wernigerode a. Harz ein von ihr nach den Angaben von 
Dr. K. Liepelt hergestelltes Baldrian - Präparat. Es wird je 
nach dem Fall zu 10—20 — 30 Tropfen gegeben als leichtes 
Tonikum, Sedativum und unterscheidet sich von der Tinct. 
Valerianae durch angenehmeren Geruch und Geschmack uud 
grössere Wirkung. 

Ein weiteres Diatysat der Fa Bürger in Wernigerode ist 
das als Polygalisat bezeichnete Präparat aus Rad. Senegae. 
Nach Gell. Sanitätsrat Dr. G. Herzfeld, Berlin, besitzt es 
den Vorzug vor dem Decoct. Senegae weniger scharf und 
kratzend als dieses zu schmecken und weder Magenverstimmungen 
nocli Schlundbeschwerden hervorzurufen. Es soll zwei- 
bis dreistündlich zu 10 bis 12 Tropfen gereicht werden. 

Rhlnovalin der Vereinigten Chiniufabriken Z i m m e r 
& Co., Frankfurt a. M., ist eine 2,5 % ige Lösung von Validol 
in Paraffin liquid. Es wird bei trockenen Katarrhen der oberen 
Luftwege, bei akuter Rhinitis- und bei Stirnhöhlen — Katarrh 
zwei- evtl, dreimal täglich in die Nase geträufelt oder gestäubt. 

Unter dem Namen Liquitalis stellt die Firma Ge h e & Co. 
A.-G., Dresden, nach den Angaben von Georg Aren da, 
Chemnitz, nach Art der Fluidextrakte und perkolierten 
Tinkturen einen Liquor Digitalis her, der die physiologisch 
wirksamen Bestandteile der Folia Digitalis in haltbarer, mög¬ 
lichst konzentrierter Form enthält. Das Präparat steht unter 
dauernder pharmakologischer Kontrolle und hat einen stets 
gleichbleibenden physiologischen Wirkungswert. Sein Preis 
ist anerkennenswert niedrig. E. Otto. 


Digitized by Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







33. Jahrgang. 


1913/16. 


?ort$d)rim der Medizin. 

Unter mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

L Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg Hildesheim. Frankfurt a/M Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 30 


Erscheint am 10.. 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H, Berlin NW. 87. - Alleinige lnseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


30. Juli. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Neue Wege zur Krebsbehandlung. 

Von Dr. A. P h i I i p ps o n in Hamburg. 

In einer früheren Arbeit: Gedanken über die Ent¬ 
stehung der Krebskrankheit 1 ) war vom Verfasser darauf 
hingewiesen worden, daß es zweckmässig sei, das viel¬ 
gestaltige Krebsproblem dadurch zu vereinfachen, daß 
man eine kleine Gruppe von Krebskrankheiten, deren 
Entstehungsursache bekannt ist, aussondere und einer 
genauen Forschung unterzöge. Diese Gruppe umfaßte 
die Ruß-, Paraffin-, Anilin-, Nicotin- und Röntgen- 
stiahlenkrebse. War bei der früheren Betrachtung ein 
großes Gewicht auf die Prophylaxe gelegt worden, so 
soll jetzt aus der chemischen Natur des krankmachenden 
Agens ein Weg zum therapeutischen Handeln gesucht 
werden. 

Falls z. B. das Nicotin als solches durch Bindung 
mit Körperzellen den Krebs erzeugen würde, so be¬ 
stände die therapeutische Aufgabe darin, chemische 
Körper aufzufinden, welche geeignet wären, diese Bin¬ 
dung aufzuheben, indem sie sich als stärker wirkende 
chemische Körper, als das menschliche Eiweiß er¬ 
weisen müßten. Von dieser Erwägung ausgehend, hatte 
ich schon seit 1906 begonnen, mich mit Tannin und 
bessen Natronsalz als geeignet scheinenden Alkaloid- 
dindern zu beschäftigen. Die Versuche waren fol¬ 
gende : 

22. 1. 1906, Versuch I. 

a) Natr. tannicum, braune erdige Klumpen. Ein 
Teil Hühnereiweiß lind 8 Teile dest. Wasser werden 
gut geschüttelt und filtriert, so daß eine klare Flüssig¬ 
keit mit wenig Flöckchen resultiert. Acht ccm. Eiwei߬ 
wasser werden mit 1 ccm einer 1 °/ 0 Natr. tanninlösung 
versetzt, es gibt eine leicht trübe Flüssigkeit mit braunen 
Flöckchen. Nach 2 Stunden weiterer Zusatz von Natr. 
tannic. verändert die Lösung nicht. Coffein pur. 1 •/« 
und Natr. tannic. 1'/« von jedem gleiche Teile, bleibt 
klar. 

ß) Acht ccm. Eiweisswasser und 1 ccm hellgelbe 1°/„ 
Tanninlösung geben käsigen Niederschlag, der sich 
nach 2 Stunden bei weiterem Zusatz von 1 ccm Tannin¬ 
lösung verstärkt. Tanninlösung l u /„ mit Coffeinlösung 
1% zu gleichen Teilen gibt weißen käsigen Nieder¬ 
schlag. 

14. 2. 1906, Versuch II. 

Natr. tannic. I °/o mit gekochten Wasser gibt trübe 
Flüssigkeit, eine Spitze hiervon subcutan in meinen 
linken Oberschenkel nicht schmerzhaft, Infiltrat gering, 
ist nach 10 Minuten geschwunden. Mit 1% Lösung 

') Fortschritte der Medizin, Nr. 10, 1914. 

Digitized by Google 


Versuche intravenös bei Kaninchen (Herr Dr. H. C. 
Plaut) negativ in Bezug auf Vergiftung. 

K o b e r t gibt bei Einspritzungen von Natr. tan¬ 
nic. als kleinste letale Dose 36 mg. pro kg Katze und 
100 mg. pro kg. Hund an. Bei 70 kg Menschengewicht 
dürfte die Dosis letalis zwischen 2 1 / 2 bis 7 g schwan¬ 
ken. 

Die bisherigen Versuche hatten ergeben, daß nur 
dem Tannin als solchem, nicht dem Natronsalz, Eiweiß 
fällende und Alkaloid bindende Eigenschaften zu¬ 
kommen. Während aber das Tannin, innerlich ge¬ 
reicht, nur auf die Digestionsorgane sich wirksam zeigt, 
im Urin dagegen als unwirksame Gallussäure erscheint, 
war an eine parenterale Zuführung des Tannins wegen 
sofortiger lokaler Eiweißfällung nicht zu denken. Beim 
Natr. tannic. dagegen, das subkutan wie intravenös 
sehr gut vertragen wurde, durfte man nur dann auf 
Tanninwirkung rechnen, wenn es im menschlichen Körper 
dissoziiert würde. 

Es folgen zwei Versuche an Menschen, deren reich¬ 
licher Nicotingenuß einen Znsammenhang mit der Krebs- 
erkranknng wahrscheinlich machte. 

28. Juni bis 5. August 1909, Versuch III. 

E. Sch. Zottenkrebs der Blase. Patient raucht viel 
Pfeife und Zigarren. Operation vom Chirurgen abge¬ 
lehnt. Täglich glutäale Einspritzungen von Natr. Tan¬ 
nic. 2:20 */,— 1 Spritze. Am 5. Juli •/, Spritze intra¬ 
venös, dann wieder intramuskulär jeden 3. Tag eine 
Spritze bis 5. August 1909. Die Einspritzungen er¬ 
zeugten leichte Schmerzen, kein Fieber. Tod am 15. 
Sept. an Krebskachexie. 

23. Sept. 1915, Versuch IV. 

J. E. M., 61 Jahre. 1881 Schanker und Bubo, keine 
Kur, 1884—98 Zigarrengeschäft, das starkes Rauchen 
mit sich brachte. Seit ca. 1910 weiße Stellen im Munde 
(Lenkokeratose) und seit einem Jahre ein exfoliatives 
Gummi oder Carcinom der linken Zungenseite, letzteres 
wahrscheinlich, da die entblößte Stelle, 2 1 /,: 1 1 /« cm, von 
einem 2—3 mm harten Rand und starrem Grund um¬ 
geben ist. Operation, auch Probeexeision vom Pa¬ 
tienten abgelehnt. Sieben Neosalvarsan-Injektionen ä 
0,15 ohne jede Einwirkung. Daher vom 23. September 
an tägliche intravenöse Injektionen von 0,1 Natr. Tan¬ 
nicum, vom 9. Oktober jeden dritten Tag 0,2 Natr. 
tannic. intravenös, im ganzen 2,4 Natr. tannic. ohne 
jeden Erfolg, es scheint der Krebs noch größer zu 
werden. Nur wird angegeben, daß während der Zeit 
der Injektionen die Schmerzhaftigkeit der Zunge etwas 
herabgesetzt sei. Da neben einer linksseitigen ver- 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AI 
URBANA-CHAMPAIGN 






290 


N'r. 20. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


größerten Submaxillardrüse eine zweite erscheint, wird 
die Behandlung am 23. Oktober 1915 abgebrochen. 
Am 23. November zeigte sich die Wasse. rma n n- 
sche Blutprobe gänzlich negativ. Nach Probeexzision 
im Krankenhaus wird daselbst am 8. Dezember 1915 
eine Kur mit Antimeristem begonnen. Linksseitige 
Drüsen werden Apfelgroß, Zungenkrebs geht weiter, 
zum Teil stoßen sich daselbst Krebsmassen ab. Rönt¬ 
genbestrahlung führt zur Abszedierung der Drüse. Exitus 
15. 4. 1916. 

Beide Versuche mit Natr. tannicum waren berech¬ 
tigt, da im ersten Fall der Operateur keine Aussicht 
auf Erfolg sah, im zweiten der Patient den operativen 
Eingriff und zwar in diesem Stadium mit Recht ab¬ 
lehnte. Die Injektionen von Natr. tannic. 2:20 intra¬ 
muskulär und intravenös, sowie 2:10 intravenös, je 
eine Spritze, zeigten deren vollständige Unschädlichkeit, 
ja im zweiten Fall eine Minderung der Schmerzhaftig¬ 
keit des Zungenkrebses am Tage der Einspritzung. Da¬ 
gegen war kein Rückgang des Krebses bemerkbar. 
Man kann annehmen, daß kein Nikotinalkaloid in den 
Krebszellen verankert ist oder daß das Natr. tannic. bei 
der Zirkulation nicht seine Tanninwirkung entfaltet oder 
beide Möglichkeiten zusammen. Am wahrscheinlichsten 
dürfte die Annahme sein, daß das Nikotin weiter abge¬ 
baut ist und die entstandene organische Base (Pyridin) 
mit der Krebszelle verbunden vom Tannin nicht beein¬ 
flußt wird, ln wie weit die Natr. tannic.-Infusionen für 
andere Erkrankungen, z B. Morbus Brightii, Cholera 
chronische Urticaria, Erythema multiforem usw. geeignet 
sein mögen, muß die Zukunft lehren 

Vor der Behandlung des zweiten Kranken (Zungen¬ 
krebs) war ich schon zur Überzeugung gekommen, daß 
beim Tabakkrebs nicht mehr das Nikotin das schädliche 
Prinzip sei, sondern die Zerfallsprodukte, die Pyridin¬ 
basen ; diese Annahme steht in Übereinstimmung mit 
den andern Krebsursachen: Ruß, Anilin, Paraffin. Rönt¬ 
genstrahlen, für die ich organische Basen oder basen¬ 
ähnliche Körper postuliert habe. 1 ) Immerhin sollte bei 
einem für intravenöse Infusion geeigneten Fall die 
Tanninbehandlung entscheidend versucht werden. 

Da die Entscheidung gegen diese Behandlung aus¬ 
gefallen war, mußte nunmehr die Frage gestellt werden 
wie sind die im Krebs vermuteten Basen aus der Ver¬ 
bindung mit den Zellen freizumachen oder zu zerstören? 
Bei dieser Fragestellung ist nicht übersehen worden, daß 
die die Krebsbildung einleitende Schädlichkeit — neh¬ 
men wir einmal die Röntgenstrahlen —■ schon längst 
nicht mehr zugeführt werden brauchen, dagegen die 
einmal krebsig gewordenen Zellen ihre auf Vermehrung 
und Zerstörung gerichtete Tätigkeit durchaus nicht ein¬ 
gestellt haben. Sollten da wirklich noch Basen in den 
ersten Krebszellen vorhanden sein oder gar auf die neu 
gebildeten Tochterzellen übergetreten sein? Man müßte 
zu der Annahme gelangen, daß sich der Krebs all¬ 
mählich abschwächen, erschöpfen würde, was den Tat¬ 
sachen widerspräche. Weit eher könnte man sich vor¬ 
stellen, daß anfänglich den Zellen fremdartige Bestand¬ 
teile zugeführt würden, die eine vollständige Wesens¬ 
änderung bewirkt hätten und daß später die auf die 
fremdem Stoffe eingestellten Zellen die angewöhnten 
und unentbehrlichen Bestandteile ihrem Wirtsindivi¬ 
duum durch Zersetzung normalen Gewebes entzögen. 
Dadurch würde sich auch die Krebskachexie erklären. 

Hält man an der Basisbindung der Zellen fest,so würde 
es verschiedene Mittel geben, die Basen unschädlich zu 
machen. Z. B. könnte man versuchen, Doppelsalzver¬ 
bindungen mit Chloriden der Schwermetalle herzustellen. 
Von diesen scheint das Platinchlorid gute Salze zu bil¬ 
den. Nach Koberts Lehrbuch ist aber Platin- 

') Vergl. Fortschritte der Medizin, Nr. 10, 1914. 

Digitized by Google 


chlorid 15—20 mal giftiger als Goldchlorid, demnach für 
Versuchszwecke nicht geeignet. 

Ein anderer chemischer Körper, die salpetrige 
Säure, wirkt auf Amid- und Imidbasen leicht ein. 
erstere werden zerstört, letztere in indifferente Körper 
verwandelt. Da das Natr. nitrosuin innerlich freilich 
mit Vorsicht — in Dosen von 0.5 bis 2,0:150 dreimal 
täglich ein Eßlöffel voll und subkutan 1 ccm einer 1—6* 
Lösung gegeben worden ist, so könnte an eine solche 
Verwendung gedacht werden. 

In den chemischen Handbüchern trifft man ferner 
auf Verbindungen der Basen, sowohl aus der Fettreihe 
wie der aromatischen Reihe mit Pikrinsäure, die auf 
starke Verwandschaft schließen lassen. Ferner soll sich 
die Pikrinsäure im menschlichen Körper in Prikraminsäure 
verwandeln. Mit der Aufnahme des Aminteils der feind¬ 
lichen Base in den Kern der Pikrinsäure, wäie demnach 
noch ein zweiter Angriffspunkt gegeben. Relativ hohe 
Tagesdosen von 0,5 bis 0,9 g Kal. pikronitricum sind 
mehrere Tage hinter einander vertragen worden, ohne 
lebensgefährliche Erscheinungen zu veranlassen. 

ln welcher Weise Versuche mit salpetriger Säure 
und Pikrinsäure anzustellen sind, kann hier nicht er¬ 
örtert werden, da jeder Krankheitsfall seine bestimmten 
Forderungen stellt. Man wird jedenfalls trachten, die 
kaum giftige lokale Einspritzung zu bevorzugen. Bei 
einer Allgemeinbehandlung muß auf die Gefahr für die 
roten Blutkörperchen, den Magen und die Nieren ver¬ 
wiesen werden. Sollte sich aber das Prinzip als richtig 
erweisen, so wäre ein wenig giftiger Ersatz für die ge¬ 
nannten Säuren nur eine Frage der Zeit und der 
chemischen Kenntnis. 

N achtrag: 

Fraenkel und F ürer: Chemotherapie des 
Krebses, W. Kl. Woch. Nr. 7 1916, stellten die Dosis 
letalis von pikrins. Natrium bei ihren Versuchen an 
Mäusen als 0,05 g pro Kilo Maus fest, bei intravenöser 
Verabreichung. Ihr Resultat bei zwei mit Karzinom 
Ehrlich und zwei mit Sarkom Ehrlich behan¬ 
delten Mäusen, je 14 Injektionen zu 0,25 mg pikrins 
Natr. war, daß drei Tumoren größer, eines kleiner als 
beim Kontrolltier wurden, wobei der Tumor (Sarkom) 
eines Kontrolltieres spontan heilte. Genannte Autoren 
weisen auf das Resultat von Morau, C. r. de 
l’acad. des sc. 1893, hin, der Pikrinsäure bei Impftu¬ 
moren wirksam gefunden habe. Schlüsse auf den 
menschlichen Krebs sind natürlich aus den Experimenten 
mit den Mäusetumoren nicht zu ziehen. 


Über den Kastrationskomplex. 

Von Dr. J. S a d g e r, Nervenarzt in Wien. 

Schon vor Jahren wies F reud auf die ungeheure 
Bedeutung hin, die der Kastrationskomplex für jegliches 
Kind, insonderheit aber für das später neurotisch wer¬ 
dende besitzt. Ich will zunächst in Kürze berichten, 
was Freud uns über jenen gelehrt. 

Die Drohung, dem Knaben das kostbare Glied ab¬ 
zuschneiden — in anderer Form: ihm die Finger ab¬ 
zuschneiden, Finger oder Hände abzuhacken, beim 
Mädchen auch die Vulva zuzunähen — wird meist als 
Strafe ausgesprochen für die Enuresis des Kindes, dessen 
Masturbation, oder, wie ich nach meinen Erfahrungen 
noch hinzufügen möchte, dessen Exhibition. Die erste 
Bedingung für den Entmannungskomplex ist also vor¬ 
ausgegangene Sexualbetätigung. Eine ganze Weile 
pflegt nun der Bub an jener Drohung vorbeizugehen, 
ohne sich mehr um sie zu bekümmern, als um soviel 
andre, von welchen reiche Erfahrung ihn lehrte, dass 
sie doch nie zur Ausführung kommen, wie etwa: man 

Original fforn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr. 30. 


FORTSCHRITTE HER MEDIZIN 


29 1 


werde ihn nicht mehr lieb haben etc. etc. Da be¬ 
kommt er eines schönen Tages ein weibliches Genitale 
zu schauen, sagen wir der Schwester, und das wirkt 
jetzt wie ein grosses Trauma. Scheint ihm doch nun¬ 
mehr zum Greifen erwiesen, man könne tatsächlich 
Menschen kastrieren, also müsse man ernstlich Angst 
um sein kostbares Membrum hegen. Mit dem Anblick 
des penislosen Genitales ist nun auch die zweite Be¬ 
dingung erfüllt für die Entstehung des Kastrations¬ 
komplexes. Zum dritten aber und pathogen wird dieser 
erst dann, wenn er in den Kern- und Ödipuskomplex 
der Neurose einmündet, und zwar erst nach Verdrän¬ 
gung des letzteren. Bemerkenswert ist: sobald ein 
Kind die Eltern als Hemmung seiner sexuellen Wünsche 
empfindet, kommt es von selbst auf den Kastrations¬ 
komplex, auch wenn jene die Drohung gar nicht aus¬ 
gesprochen haben. Es handelt sich mehr um ererbte 
Momente, die immer eintreten. Das Kind wiederholt 
dann ein Stück Entwicklungsgeschichte der Menschheit. 
Einmal jedoch auf die Entmannung aufmerksam werden, 
deutet es vieles in dieser Richtung, was eigentlich gar 
nicht dazu gehört. 1 ) 

Es lässt sich an einem Menschen ohne weiteres er¬ 
kennen, von welcher Seite eine mächtige Einschüch¬ 
terung ihm widerfuhr. War es ein Mann, so hat er 
fortab ein absolutes Hindernis gegen den Mann und ist 
für immer auf das Weib angewiesen. War es ein Weib, 
so ist er von da an für dieses verloren und wendet sich 
dauernd dem Manne zu, ein wichtiger Umstand für die 
Entstehung der Homosexualität. Da dem Knaben ge¬ 
wöhnlich vom Vater gedroht wird, dem Mädchen von 
der Mutter, so fördert dieser Umstand die normale 
Triebrichtung. Stets führt jene Einschüchterung zu ge¬ 
hässiger Einstellung wider den drohenden Eiternteil. 
Das tritt zumal im Verhältnis des jugendlichen Neu¬ 
rotikers zu seinem Vater in Erscheinung, eventuell in 
einer späteren Psychoanalyse als unliebsamer Widerstand 
gegen den Arzt, der gewöhnlich dessen Vertreter dar¬ 
stellt. 

Bei einer Gruppe von „Nervösen“, die so grossen 
Wert auf ihr Genitale legen, stösst man auf den kind¬ 
lichen Entmannungskomplex. Erst mit der Penisangst 
legen sie soviel Wert darauf, ein Mann zu sein, und 
werden Weiberhasser. Analog ist beim Weibe der 
Penisneid, der auch durch Kinderneid vertreten werden 
kann. Die Mädchen bemerken den Unterschied sofort 
und sind dann neidisch -) Die Buben jedoch gewahren 

>) Einem sehr intelligenten Kranken, bei dem der Kastrations¬ 
komplex zwar keine überragende, aber doch immerhin bedeutsame 
Rolle spielte, danke ich folgende Aufklärung (in seiner Psychoanalyse): 
„Eltern haben es in der Gewohnheit, Kindern unbestimmt zu drohen. 
Das war auch die Gewohnheit meines Vaters und die kann ich dann 
leicht bezogen haben auch auf die Kastrationsdrohung Ich glaube, 
das ist die Wurzel. Wie etwas unbestimmt oder zweideutig ist, nimmt 
man doch sofort den sexuellen Sinn heraus oder bezieht es auf das 
Sexuelle Ein sehr bekannter Witz lautet z B.: Was hat Adam vorn 
und die Eva hinten? Da werden die meisten dann sehr verlegen, 
während die Antwort lautet: das A. Nur weil es vorn und hinten 
ist, denkt jeder sofort an etwas Sexuelles. So wirken auch unbestimmte 
Drohungen, wie etwa: Das Kind wird schon sehen, was ihm ge¬ 
schieht, oder es wird schrecklich gestraft werden Oder, wenn Eltern 
auch nur im Scherze sagen, sie hätten etwas beim Kinde entdeckt, 
etwa mit den Worten: „Ich weiss schon etwas von dir", wenn sie 
sich auch gar nichts dabei denken, so ist das Kind sofort überzeugt, sie 
wissen tatsächlich etwas von ihm, ein Geheimnis, und zwar immer 
seine sexuellen Wünsche, und dann lebt es natürlich in schrecklicher 
Angst, dass die Eltern wissen, man habe solche Wünsche. Solche 
Drohungen wirken stets. Ich dachte schon nach, warum unbestimmte 
Drohungen gegenüber Kindern so w’irken. Ein Erwachsener trägt 
solche viel leichter, während sie ein Kind sofort deprimiert machen. 
Dass muss einen Grund haben. Jedes Kind wird sofort betroffen, 
wenn man sagt, man wisse etwas von ihm, weil jedes Kind sexuelle 
Gedanken zu verbergen hat. Ich glaube nun, in meinem Fall habe 
ich solche unbestimmte Drohungen, insbesondere von Sehen des 
Vaters, auf die Kastration bezogen, obwohl mein Vater viel zu prüde 
war, um über dergleichen Dinge zu reden." 

’) Wenn ein Mädchen durchaus ein Bub sein möchte, so ist 
das Penisneid und gehört zum Kastrationskomplexe 

Digitized by Google 


jenen lange Zeit nicht, sondern haben den Brauch, das 
Weibliche Genitale als identisch mit dem männlichen 
anzusehen, was erst später vom Penisstolz abgelöst 
wird. Die normale Uberhebung des Jungen über die 
Mädel, weil diesen das Allerwichtigste fehle, ist etwas 
Sekundäres. Denn in den ersten Knabenjahren hebt er 
das Weib durch Gleichstellung des Genitales zu sich em¬ 
por. Ein lehrreiches Beispiel danke ich einer Kranken. 
Da sie b Jahre zählte, vergnügten sich ihre Brüder da¬ 
mit, „Luftschifferei“ zu treiben. Der nächstjüngere, da¬ 
mals vierjährige Bruder verlangte nun von ihr, sie solle 
auch mit in die Luft urinieren. Und als sie entgegnete, 
das könne sie nicht, erwiderte er zornig: „Das ist nicht 
wahr ! Vor einem Jahr hast du es bestimmt können, 
ich habe es selbst gesehen !“ 

Eine besondere Wurzel der Kastrationsangst oder, 
was mit dieser gleichbedeutend, des Abscheus vor dem 
weilichen Genitale, hob Freud noch hervor. Wenn 
Buben vor 2 Jahren Gelegenheit haben, den Coitus der 
Eltern zu belauschen, so kriegen sie auf folgendem Wege 
Abscheu vor dem weiblichen Genitale. Sie sehen den 
Phallus, welchen sie nach dem eigenen Körper wenig¬ 
stens spater erkennen und erinnern sich dann, dass nach 
dem Geschlechtsakt nichts mehr von ihm zu sehen war. 
Also ging er zugrunde, ist vom weiblichen Genitale ver¬ 
schlungen worden, was gewissermassen auch Entmannung 
bedeutet. Erfahrung lehrt, dass die Kastrationsangst, 
die Furcht, das kostbare Glied zu verlieren, sich ohne 
weiteres an Beobachtung eines Geschlechtsverkehres in 
jener allerfrühesten Zeit anschliessen kann. 

Sehr anziehend ist, was die Kinder dann aus dem 
Kastrationskomplex machen. Der von seinem Vater in 
Wirklichkeit oder nur in der Phantasie eingeschüchterte 
Knabe wird einerseits trotzig und lehnt sich gegen den 
Erzeuger auf. Andrerseits aber — und das fehlt nie¬ 
mals — findet er sich in die neue Lage und sagt sich 
etwa: wenn ich keine Aussicht habe, es als Mann zu 
etwas zu bringen, so will ich ein Mädchen sein, dann 
wird mich der Vater wieder gern haben, oder man wird 
mich überhaupt gern haben, und jetzt kommt die femi¬ 
nine Einstellung.') Wird der zum Mann herangereifte 
Knabe dann „nervös“, so kann sich in ihm der Wunsch 
entwickeln, ein Weib zu sein, was in einer Reihe neu¬ 
rotischer Symptome zu Tage tritt. 

Nicht minder lehrreich sind die Folgen des Penis¬ 
neides bei dem Mädchen. Sein ,.männlicher Protest“ 
besteht in folgendem : es fühlt sich, ungerecht behandelt, 
zurückgesetzt und gerät in Wut speziell gegen die 
Mutter. Denn diese sei Schuld daran, dass sie ein 
Mädchen wurde, sie habe sie vor der Geburt kastriert. 
Der Hauptvonvurf gegen die Mutter lautet; diese habe 
sie als Mädchen zur Welt gebracht. In Wahrheit stam¬ 
men die Vorwürfe der Kinder wider den gleichge¬ 
schlechtlichen Elternteil aus dem Oedipuskomplexe. Die 
erfolgte oder phantasierte Kastrationsdrohung wird nur 
zum Vorwand der Feindseligkeit genommen, um Schein¬ 
gründe für die uneingestandene Eifersucht zu haben. 

Endlich hat Freud kurz auf die Kastrations¬ 
symbolik verwiesen. Die Entmannung kann beispiels¬ 
weise durch Blendung ersetzt werden wie in König 
Oedipus Selbstbestrafung. Die Fussverkrüppelung chine¬ 
sischer Frauen bedeutet nichts anderes als die Verwirk¬ 
lichung der Kastration beim Weibe. Wissen wir doch 
aus der Psychoanalyse des Fussfetischismus, dass der 
weibliche Fuss ein typischer Ersatz ist für den von dem 
Knaben schmerzlich vermissten Penis des Weibes. 

‘) Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, will ich hier ein¬ 
flechten, dass in der Seele des Kindes erfahrungsgemäss auch ent¬ 
gegengesetzte Empfindungen ruhig neben einander bestehen können. 
Es kann sich also abkehien von dem Elternteile, der jene Drohung 
aussprach, ja seinem ganzen Geschlechte und dennoch gleichzeitig 
dessen Wunsch akzeptieren. 

UNIVERSITY 0F ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





292 


Nr. 30 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Primitive Volker kombinieren oder ersetzen Beschnei¬ 
dung häufig durch Haarabschneiden und Zähneaus¬ 
schlagen. Auch unsere Kinder, die von diesem Sach¬ 
verhalt nichts wissen können, behandeln in ihren Angst¬ 
reaktionen jene beiden Operationen wie Aequivalente 
der Kastration. 

Soweit Freud. Nun zu meinen eigenen Erfah¬ 
rungen. Schön fand ich einmal die infantile Ent¬ 
mannungsdrohung in einer Konversionshysterie ver¬ 
wirklicht, Ein Kranker klagte über „Abgeschlagenheit 
der Glieder“ und „Schneiden“ im Bauch. Als Lösung 
ergab sich jene kindliche Sexual-Einschüchterung. Ihn 
hatte als Knaben der Vater beim Masturbieren erwischt 
und damit bedroht, er werde ihm „das Glied abschlagen“ 
oder „abschneiden“. Jahrzehnte später neurotisch ge¬ 
worden, erfüllte der Mann in nachträglichem Gehorsam 
jenes Vaterwort buchstäblich am eigenen Leibe. Im 
jetzigen Weltkrieg fand ich als häufigste Form der Kas¬ 
trationsangst die Furcht, an die Front gehen zu müssen 
und seine geraden Glieder zu verlieren. Das also be¬ 
drohte „gerade Glied“ erwies sich regelmässig als 
membrum erectum. Man wird ja auch im Namen des 
Herrschers, also des Vaters, einberufen. Gern wurde 
dann hinterdrein rationalisiert, dass bei gewissen Balkan¬ 
völkern die Kastrierung der Feinde heute noch allge¬ 
mein üblich sei. 

Viel häufiger als die Darstellung geradezu scheint 
der symbolische Ersatz des Phallus etwa durch ent¬ 
sprechende Körperteile wie Arm oder Bein, Zahn oder 
Zunge, Haare oder Nase, Brustwarze oder Auge. Träume 
z, B. ein Zahn werde einem ausgerissen, sind längst be¬ 
kannt als I^astrationsträume. Wenn ein Mann sich 
seiner falschen Zähne besonders schämte, so ergab sich 
mir wiederholt die Auflösung, dass er sich vorkommt, 
als wäre ein falsches Membrum ihm eigen. Ein Kind, 
welches spielend die Zunge heraussteckt, muss nicht 
selten hören, man werde sie ihm abschneiden, was ihm 
nachträglich als Entmannungsdrohung erscheinen kann. 
Die Nase endlich eignet sich teils ob ihrer Gestalt, teils 
wegen der Schwellkörper vortrefflich zur Symbolisie- 
rung des Penis. Sehr häufig werden bei primitiven 
Völkern dem Feinde statt direkter Kastration nur Nase 
und Ohren abgeschnitten. 

Besonderes Augenmerk verdient das Haar als Ent¬ 
mannungssymbol. Wieso es zu dieser Vertretung 
kommt, ist leicht zu begreifen. Kleine Knaben werden 
ja häufig von Müttern, Tanten oder älteren Schwestern 
ins Familien- oder Damenbad mitgenommen oder haben 
Gelegenheit, mit erwachsenen Frauen in der nämlichen 
Wanne warm zu baden. Der Augenschein überzeugt sie 
dann, dass der Vulva zwar das Membrum fehle, sie aber 
dafür mit einem dichten Haarkranz geziert sei. „Alle 
Frauen haben das“, erklärte einmal ein intelligenter, 
vierjähriger Junge, „weil sie kein Zipferl haben.“ 1 ) 
Zieht der Kastrationskomplex nun in das Bewusstsein 
des Knaben ein, dann erscheint ihm das Schamhaar 
leicht als Ersatz für das abgeschnittene Membrum und 
empfängt davon besondere Misswertung. 

Am deutlichsten erweist sich dies an dem Ekel, 
den viele Knaben und erwachsene Urninge vor den 
Scham- und Achselhaaren des Weibes, Urninge oft 
auch vor denen des Mannes an den Tag legen. So 
behandelte ich einen homosexuellen Jüngling von 17 
Jahren, der in seinen Phantasien unablässig von erigierten 
Membris verfolgt ward. Als 4jähriges Büblein hatte er 
seinen Onkel einmal nacljt im Sitzbad gesehen und — 
ward von solchem Ekel geschüttelt, dass er stracks 
hinauslief. Einerseits war es der schlaff herunterhän¬ 
gende Peni» und Hoden, vor allem aber die vielen 
schwarzen Haare, vor denen ihm graute. Gemahnten 

’) Hug-Hellmuth: „Aus dem Seelenleben des Kindes". 


ihn diese doch an fiühergeschaute weibliche Genitale 
von Grossmutter und Tante, die „noch grauslicher“ 
waren. In extremen Fällen kann sich der Ekel vor den 
Schamhaaren fortsetzen in Widerwillen gegen die 
Körperbehaarung überhaupt, die Kopfhaare etwa aus¬ 
genommen. 

Allein die Haare erscheinen auch direkt als ein 
Ersatz für das Membrum virile und werden in einer 
Reihe von Handlungen symbolisch für dieses eingesetzt. 
Ist doch ein Abschneiden der Haare die harmloseste Form 
der Kastration. Drum wird es einerseits als Strafe ver¬ 
ordnet, wie z. B. das Kahlscheren der Sträflinge, an¬ 
drerseits als ein Zeichen der Hörigkeit und absoluten 
Unterwerfung verlangt. Manche Herrschaften heischen 
von ihrem männlichen Gesinde Bartlosigkeit, während 
dieses dann mit aller Macht und einer weit über den 
Anlass hinausgehenden Heftigkeit um Bartfreiheit kämpft. 
Nicht umsonst trugen 1848 revolutionäre Demokraten 
Vollbärte und Breithüte (Hut ein bekanntes Phallus¬ 
symbol) als Zeichen ihrer Unabhängigkeit von der Re¬ 
gierung und des Widerstandes gegen sie. Und im Sim 
son-Mvthos knüpft sich an das Abschneiden der Haare 
direkt der Verlust der männlichen Kraft. 

Wie das Haar zur Bedeutung eines Penis-Symbols 
kommt, ist leicht einzusehen. Man erinnere sich nur, 
dass die Weiber allezeit ihre reichen Haare in Zöpfe 
flechten. Rei den Chinesen tragen noch heutigen Tages 
die Männer noch einen Zopf, was in früheren Jahr¬ 
hunderten auch bei Weissrassigen vielfach Übung und 
Brauch war. Und die Zopfabschneider üben ihr Tun 
nicht bloss als Sadister, sondern auch um die Weiber 
zu kastrieren. Endlich gehört noch die Sitte der ortho¬ 
doxen Jüdinnen hier her, die nur als Mädchen ihren 
natürlichen Haarschmuck tragen dürfen. Sobald sie 
jedoch heiraten, und damit unter die Herrschaft ihres 
Mannes geraten, müssen sie ihn opfern. 

Wesentlich von der Einstellung zum Kastrations¬ 
komplex ist das Verhalten von Kindern und Erwach¬ 
senen zum Abschneiden ihrer verschiedenen Körper¬ 
haare bedingt. Wir hörten schon oben: einerseits regt 
sich in dem Knaben Angst und Auflehnung, andererseits 
aber findet er sich ganz regelmässig mit der Drohung 
ab und fügt sich nicht ungern in die weibliche Rolle. 
Beide Einstellungen pflegen zu verschiedenen Lebens¬ 
zeiten bei einem und demselben Menschen zu wechseln. 
Ob er aber jeweils entgegenkommend oder mit Angst 
auf die Entmannungsdrohung reagierte, erfährt man am 
besten aus der Art, wie er sich zum Abschneiden seiner 
Haare stellt. Die kleinen Jungen sträuben sich meist 
mit aller Macht gegen jedes Haarschneiden. Weit selt¬ 
ner hat sich ein Knabe bereits mit der weiblichen Rolle 
angefreundet und er geht nicht bloss willig, sondern 
gern zum Friseur. In späteren Jahren wird um vieles 
häufiger als man denkt, Kastration symbolisch ausge¬ 
führt von Jünglingen und Männern in „nachträglichem 
Gehorsam“. Da kann z. B. ein halbwüchsiger Bursche 
urplötzlich auf den Einfall kommen, sich die Wimpern 
abzuschneiden'), oder auch die Schamhaare"), ebenso 

') Vergl. hierzu den merkwürdigen Traum eines Augenarztes 
(mitgeteilt von Dr Eder, Internat. Zeitschrift f. ärztliche Psycho¬ 
analyse, 1 Jahrg, S. 157). Ihm träumt, er epilire die Augenwimpern 
eines alten Mannes, eines Juden. Dieser litt an Trachom, weswegen 
die Augenwimpern epiliert werden mussten. Hierzu folgende Ein¬ 
fälle des Träumers: „Die Augenwimpern wiedieNägel 
sind Entwicklungsprodukte der Haut; auch der 
Penis ist. wie die Nase, eine Art Fortsetzung 
eines Hautteii s." Der alte Jude endlich Ist der Vater des 
Träumersund, die Augenwimpern epilieren heisst in diesem Zusammen¬ 
hänge des Traumes soviel wie seinen Vater kastrieren. Ein anderer 
Sinn des Traumes ist auch der, dass er sich selbst kastriert. 

! ) Sehr durchsichtig zeigte diese Beziehung von Haar und Phallus 
ein Homosexueller, der mir in seiner Analyse folgendes berichtet. 
„Mit 14 Jahren war mein Glied nach der Onanie immer zu gross: 
Ich genierte mich quasi mit meinem grossen Penis. Ebenso 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 


Digitized by 


Google 


URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. 30. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


2 93 


ein Erwachsener, sich Schnur- oder Rackenbart rasieren 
zu lassen 3 ). Viele Urninge tragen sich allezeit glatt 
rasiert und noch vielmehr würden es nach Magnus 
Hirschfeld („Die Homosexualität des Mannes und 
des Weibes“) tun, wenn sie nicht oft in übertriebener 
Ängstlichkeit fürchteten, beargwöhnt zu werden .... 
Es gibt Urninge, die soweit gehen, ihren Bart wie an¬ 
dere Geschlechtszeichen zu eliminieren. Urninden hin¬ 
wieder, die den Mangel des Membrums schwer emp- 
linden, „lieben, sich wenigstens vor dem Spiegel ge¬ 
legentlich einen Schnurrbart anzumalen oder anzukleben“. 
„Ich besitze“, erzählt Hirschfeld, „eine stattliche 
Anzahl Photografien, die Frauen mit schneidigen Schnurr¬ 
bart darstellen, den sie sich sehr naturgetreu aufsetzten. 
Und auch hier wieder das Seitenstück, wobei immer zu 
beachten ist dass der extreme Fall nicht so sehr wegen 
seiner selbst interessiert, als weil der Übertreibung un¬ 
gleich zahlreichere Beispiele entsprechen, in denen, was 
dort Handlung wurde, in Neigungen existiert“. Endlich 
sei noch angeführt, dass von jenen Ländern, die am 
meisten feminisiert sind, England und den Vereinigten 
Staaten von Nordamerika die Sitte des starkgestutzten 
Schnurrbartes und des glattrasierten Vollbartes kam.') 

Weit seltener als das Ilaar wird im Entmannungs¬ 
komplex der Arm oder das Bein, statt deren wohl auch 
Hand, Finger oder Fuss symbolisch gesetzt. Ein 
Kranker, welcher just diese Art von Sinnbildlich¬ 
keit bevorzugt, wird etwa eine wahnsinnige, neu¬ 
rotische Angst vor jedem Arm- oder Beinbruch empfinden 
und schon als Bub in weitem Bogen jeder Möglichkeit 
eines Sturzes ausweichen, wie beispielsweise jener 
Kranke, von dem ich am Schlüsse sprechen werde Der 
nämliche Kranke, welcher trotz psychischer Impotenz 
nach seinen eigenen Worten jedem hübschen Mädchen 
auf der Gasse „unendliche Liebe entgegenbrachte“ und 
sexuelles Verlangen, fühlte sich infolgedessen von allen 
Leuten beobachtet. Er war beständig aufgeregt und 
spürte stets Zittern und Schwäche in den Beinen. Diese 
letztere war, wie die Psychoanalyse mit Sicherluit fest¬ 
stellte, symbolischer Ersatz für die Schwäche seines 
Gliedes. Ein „steifer“ Arm, ein „steifes“ Bein, ein 
„steifer“ Finger sind allgemein bekannte, von Traum, 
Mythos, Witz und Folklore stets wieder gebrauchte 
Sinnbilder für den steifen Phallus. Kein Wunder also, 
dass die Befürchtung der Kastration da gerne einsetzt. 
Ich erinnere ferner, dass dem neugeborenen Sohn des 
König Caios im Aufträge des Vaters die Fussgelenke 

schnitt ich mir danial,s dieSchamhaare ab, ich 
weiss nicht recht warum" Und da er den Ersatz des 
Membrums durch die Schamhaare nicht verstand, rationalisierte er 
weiter: „Wahrscheinlich wollte ich nicht erwachsen sein, sondern 
lieber Kind bleiben, wie meine Ellern es wünschten, die immer be¬ 
dauerten, dass ich älter werde“ 

') Der Schnauz- und Spitzbart ist ein durchsichtiges Phallus- 
Symbol, während der Vollbart vielleicht noch an die weiblichen 
Pubes erinnert. Ich möchte hier noch eine Stelle aus einem 
publizierten Briefe anführen, den der Psychiater Dr. Zeller am 
3. April 1896 über den in seiner Behandlung stehenden Lenau 
an Emilie Reinbeck, dessen mütterliche Freundin richtete: 
„Vor 14 Tagen fiel es ihm (dem Dichter) auf einmal ein, sich den 
Bart abnehmen zu lassen, und einige Stunden darauf verfiel er in die 
Angst und Beklommenheit, die er in niederem Grade schon öfters 
ehabt. Diese wuchs aber diesmal stärker und wurde von einem 
leinen Fieberfrost begleitet. Man sah, die Abnahme des Bartes, die 
er in aller Eile grösstenteils selbst mit Hilfe seines Wärters vorge¬ 
nommen hatte, musste ihn erkältet haben und einen ähnlichen Zu¬ 
stand von Empfindung, übrigens ohne ein Zeichen von Lähmung 
eines einzelnen Muskels oder gar einer Partie in demselben hervor¬ 
gebracht haben, wie im April 1894". Hier handelt es sich durch¬ 
sichtig um eine symbolische Selbstentmannung, die in aller Eile vor¬ 
genommen ward. Begreiflicherweise folgt bald darauf eine schlimme 
Angst und Beklommenheit. Übrigens ist es bei Irren bekanntlicht 
nicht selten, dass sie sich direkt die Genitalien abschneiden. 

*) Über die neurotische Angst vor dem Friseur, der die infantile 
Kastrationsdrohung symbolisiert, und das Skalpier als Ersatz der 
direkten Kastration, vergl Otto Rank, „Das Incestmotiv in 
Dichtung und Sage“, S. 296, Anm 1. 

Digitized by Google 


durchstochen werden, worauf er den Namen Oedipus- 
Schwellfuss (soviel als membrum erectum) erhält. Das 
Durchstechen der Füsse als Vorstrafe für seine vom 
Orakel prophezeite Tötung des Vaters und später auch 
für das Freien der Mutter stellt durchsichtig eine Ent¬ 
mannung dar, ganz ähnlich wie die analogen Bestrafungen 
des Hephaitos und Wieland des Schmiedes. 

Hier sei die Erklärung für eine Alllagsfurcht ein¬ 
gefügt, die gleichfalls zurückgeht auf die Kastrations¬ 
angst. Nicht wenige auch hochgebildete Menschen 
haben eine fast unübet windliche, neurotische Angst, vor 
jeder Operation, oft vor dem kleinsten Schnitte, etwa bei 
der Impfung oder eine nicht minder übertriebene Blut- 
scheu. „Lieber sterben als sich operieren lassen“, muss 
man häufig von solchen Leuten vernehmen. Sie zeigen 
auch nicht selten die gleiche Angst vor Arzt und Spital, 
weil sie in jenem nur den Operateur, in diesem aus¬ 
schliesslich den Ort erblicken, in welchem man „ge¬ 
schnitten“ wird. Hat man Gelegenheit eine solche Pho¬ 
bie zu analysiren, stösst man unweigerlich in jedem Falle 
auf einen mächtigen Kastrationskomplex. „Schneiden“ 
erscheint da stets gleichbedeutend mit Abschneiden des 
Gliedes oder beim Weibe eines analogen Körperteiles. 
Auch hier weist sich übrigens häufig die ambivaleste 
Einstellung zum Kastrationskomplexe, indem neben der 
Scheu vor der Operation und Blut doch auch ein ge¬ 
wisses wollüstiges Grausen, ein besonderes Interesse, 
z. B. für chirurgische Instrumente, ja selbst für den 
Seziersaal besteht. 

Von weiteren typischen Ersatzsymbolen des Mem¬ 
brums virile sind noch Brustwarze und Auge zu nennen. 
Das Auge ist eigentlich ein bisexuelles Symbol, d. h es 
kann für das weibliche (wegen der Form) als das männ¬ 
liche Genitale stehen, wie jeder Psychoanalytiker weiss. 
Für das letztere ein Beispiel aus meiner Praxis. Ich 
mache gegenwärtig Psychoanalyse mit einem Kranken, 
dem das übliche Taschentuch zum Redecken der Augen 
nicht genügt. Er muss sich obendrein immer noch die 
Hand Vorhalten. Als Lösung ergab sich: so habe er in 
der Kindheit sich immer die Hand vor das Glied ge¬ 
halten, wenn einer seiner Angehörigen in der Nähe war. 
Das Auge erscheine ihm jetzt als Phallus, den er vor 
mir noch ganz besonders schützen müsse. Dies um so 
mehr, als die Angst, vom Vater kastriit zu werden die 
Hauptfurcht seines Lebens war, was er nun jetzt in 
voller Stärke auf mich übertrug. Wenn das Auge gleich¬ 
bedeutend mit dem Penis steht, kann angeborene oder 
auch früh erworbene Sehschwäche oder Kurzsichtigkeit 
als Kastration Auslegung finden. Das Kind oder der 
Neurotiker macht dann den Elternteil, der ihm jenen 
Augenfehler vererbte, darum geradezu Entmannung, zuin 
Vorwurf. Verschärft wird seine Missstimmung noch 
häufig durch das grausame Verhalten der Altersge¬ 
nossen und Schulkameraden, die ein solches Gebrechen 
stets reichlich mit Spott und Hohn begiessen, gleichsam 
als sähen auch sie darin einen fehlenden Phallus. Ein 
äusserst klassisches Beispiel für die Verwertung einer 
angeborenen Kurzsichtigkeit gibt die Krankengeschichte 
am Schlüsse dieses Aufsatzes. 

Typischer als das Auge stellt die Brustwarze ein 
kleines Membrum dar. Wenn ein Kind mit von Haus 
enorm gesteigerter Munderotik an Brustwarze und 
Schnuller nicht bloss saugt, sondern direkt beisst, erhält 
man in der späteren Psychoanalyse vielleicht die Auf¬ 
klärung, es hätte dies Beissen aus aktiver Kastrations¬ 
lust getan, was freilich bloss nachträglich hineingelegte 
Deutung ist. Immerhin möge man nicht vergessen, dass 
das Beissen des Penis und ebenso auch sich dort 
beissen zu lassen — vielleicht herübergenommen vom 
Beissen an der Brustwarze — im Kindesleben oft eine 
recht bedeutsame Rolle spielt. Es ist gar nicht so selten, 
dass ein Büblein die Entmannung direkt provozieit durch 

Origiral frcm 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





204 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 30. 


Reizung eines bissigen Tieres, vornehmlich des Hundes. 
Er hillt z. B. dem bissigen l'iere sein Membrum hin, 
reizt es geradezu damit, worauf jenes natürlich diesen 
Penis schleckt oder spielerisch zu beissen versucht. Aus 
der Analyse von Tierphobien wissen wir jetzt, dass 
ein jedes Tier, das man neurotisch übertrieben fürchtet, 
den Vater vorstellt. Hier wird nun der Hund — in 
seltenen Fällen ist es der Hahn 1 ) — nicht mehr ge¬ 
fürchtet, sondern direkt zur gewünschten Tat gereizt, 
was beweist, dass der kleine Junge sich meist mit 
der Entmannungsdrohung des V aters befreundet hat und 
von diesem gebissen, d. h. kastriert zu werden wünscht-), 
ln andern Fällen kann von dieser Form des Ent¬ 
mannungskomplexes eine schwere Phobie, die Furcht, 
von einem tollen Hund gebissen zu werden, ihren Aus¬ 
gang nehmen. Eignet sich doch der tolle oder wütende 
Hund ganz besonders zum Vertreter des Vaters, der 
ja dem Jungen sehr häutig als zorniger Strafer ent¬ 
gegentritt. Nicht selten führt die Wut dann jenen dazu, 
den Vater mindestens insgeheim als Hund zu bezeichnen. 
Sehr begreiflich, dass später die Furcht oder richtiger 
der Wunsch sich regt, von diesem Hund-Vater gebissen, 
d. h. kastriert zu werden. Eine solche Neurose hat 
das Ende Ferdinand Raimunds verschuldet- 
Schon im Jahre 182b quälte diesen eine Hunde, 
Phobie. Er hatte nämlich ein Stück Brot gegessen, 
das kurz zuvor ein Hund beschnuppert hatte. Doch 
liess er sich damals vom Hausarzt beruhigen. Als 
Luise Gleich dem Dichter am Hochzeitstage 
einen Biss versetzte, verschwand jener wortlos, Braut 
und Gäste im Stiche lassend. Im Jahre 1836 wurde er 
endlich von einem Hund gebissen, wenn dieser auch, 
wie sich später herausstellte, gar nicht wütend gewesen. 
Unser Dichter aber jagte sich, ohne den Arzt über¬ 
haupt noch zu befragen, eine Kugel durch den Kopf. 

Auch bei aktiver und passiver Fellatio kommt der 
Kastrationsvorstellung eine nicht unwichtige Rolle zu. 
Wer ein Membrum in den Mund nimmt oder sein eigenes 
anderen Personen in den Mund steckt, ahmt da zunächst 
eine Lust des ersten Lebensjahres in anderer Form nach: 
das Saugen an der hineingesteckten Brustwarze der 
Mutter oder am Schnuller, des ferneren aber den Coitus 
selbst (Mund- Vagina), den er gewöhnlich schon in den 
ersten zwei Lebensjahren bei den Eltern erschaut. In 
einem wie im andern Falle ist der Übergang zur Ka¬ 
stration gegeben, durch Beißen an der Mammilla wie 
durch das Verschwinden des väterlichsn Penis in der 
Scheide der Mutter. Dazu ein Beispiel aus der Psycho¬ 
analyse eines Strichjungen, der unter sämtlichen Homo¬ 
sexuellen, die ich sah, am meisten verfolgt wurde von 
Phantasien auf die Membra geliebter Personen, mit 
denen er am liebsten der Fellatio fröhnte. „Als ich mit 
17 Jahren zur Handelsschule ging“, erzählte er mir, 
„kam ich mit vielen gleichaltrigen Jungen zusammen. 
Unter diesen war ein außerordentlich schöner Bursche 
und ich wußte nicht: wie soll ich seine ganze Schönheit 
in mich aufnehmen? Da stieg mir von selbst der Ge¬ 
danke auf, sein Glied in den Mund zu nehmen, was ich 
auch ausführte. Damals war ich das erste Mal in meinem 
Leben vollauf befriedigt. Später stellte sich heraus, er 
habe bereits mit 4, 5 jahren das Membrum eines Alters¬ 
genossen „zum Kosten“ in den Mund genommen und 
regelmäßig analoge Phantasien bei seiner solitären Ma¬ 
sturbation gehabt: „Mir war dabei immer, als bearbeite 
ich das Glied des Andern in meinem Mund“. Das erste 
Kosten und die erste Bearbeitung sind natürlich an der 
Mutterbrust erfolgt, woraus auch zu erklären, daß sich 

M Vergl. Ferenczi „Ein kleiner Hahnemann", Internat. 
Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse, 1. Jahrgang. 1913. S.HOff. 

s ) Daran darf einen das nachträgliche Geschrei eines solchen 
Kindes nicht irre machen Einmal gebissen, sucht es von seinen An¬ 
gehörigen dafür noch besondere Liebe zu erpressen. 

Digitized by Google 


bei ihm als Ilauptgenuß der Fellatio entwickelte, das 
Sperma des Geliebten hinunterzuschlucken Dieser Ur¬ 
ning stellte sich mir bei der ersten Konsultation mit der 
Klage vor, er könne nicht schlafen und leide an ge¬ 
wissen Paraesthesien im Kopfe, die er auf sein starkes, 
doch ungestilltes homosexuelles Verlangen zurückführen 
müsse. Bis vor 14 Tagen habe er einen Geliebten ge¬ 
habt, mit dem er täglich mehrmals wechselseitige Fellatio 
geübt Seit dieser aber fortgezogen, quäle ihn jenes 
Symptom ganz fürchterlich. Er schlafe nur bis 11 Uhr 
nachts, dann schrecke er auf mit dem Gefühl, 
aisgeschehe ih in etwas, nur wisse er 
nicht w a s. 1 ) Darnach wälze er sich schlaflos und es 
stelle sich die Empfindung ein, als würde ein scharf¬ 
kantiger Eisenreif um den Kopf gezogen und die obere 
Schädeldecke abgehoben. Das sei zum Wahnsinnig¬ 
werden. In der Psychoanalyse fand er bald selbst, daß 
er mit einer kleinen Verschiebung nach oben einfach 
am eigenen Körper darstelle, was er mit dem Geliebten 
ausführen möchte. ,,Der Reif um den Kopf entspricht 
dem Einschneiden der Zähne, wenn ich das Glied des 
Jungen im Munde habe. Auch das ist merkwürdig, 
wenn der Kopfschmerz nachlässt, überfällt mich die 
gleiche Erschöpfung, wie wenn icli verkehrt habe“. 

Es gibt noch einige entferntere Kastrationssymboliken 
die zu kennen nicht ohne Nutzen ist Eine solche, natür¬ 
lich unverstandene Entmannung ist z. B. die Leiden¬ 
schaft mancher Frauen Würschtel zu essen, oder älterer 
Schwestern, ihren jüngeren Brüdern alles wegzunehmen. 
Spielzeug, Bücher, usw., da sie ihnen doch das wich¬ 
tigste Spielzeug, den Phallus nämlich, nicht entreissen 
können. Einem Kranken danke ich folgende Mitteilung: 
wenn man Blumen z. B. mit dem Stocke köpfe, so ge¬ 
rieten die F'rauenzimmer alle in kolossale Aufregung 
und würden furchtbar nervös, weil sie darin offenbar, 
mindestens unbewusst, eine Entmannung erblickten. Auch 
dem andern Geschlecht ist dieser Zusammenhang nicht 
fremd und bleibt ihm meist ebenso unbewusst. Das ge¬ 
hobene Kraftgefühl des Jünglings wie der Zorn des 
Mannes äussern sich nicht selten in jener symbolischen 
Kastration, die vielleicht ursprünglich auf das Membrum 
des Erzeugers geht. Sehr bezeichnend ist auch das 
Verhalten Vieler, namentlich der Frauen, wenn sie im 
Walde einen Herrenpilz finden, den sie dann abbrocken 
und nach Hause tragen. Sie empfinden darüber so helle 
Freude und eine derart hohe Genugtuung, dass beides 
durch den an sich nicht allzukostbaren Fund kaum zu 
erklären ist. Verständlich wird die Sache erst, wenn man 
sich erinnert, dass ein Hertenpilz unverkennbar dem 
Phallus gleicht. Das Abbrocken desselben kommt also 
einer Kastration gleich und es erscheint gewiss nicht 
gleichgültig, wenn ein Weib einen Phallus sich aut- 
heben kann. Endlich bezeichnete ein anderer meiner 
Kranken als symbolische Kastration das Verbot seiner 
Mutter, über sexuelle Dinge zu reden, auch nur die Ge¬ 
nitalien mit dem richtigen Namen zu bezeichnen. „Das 
Wort ist ja das Svmbol z. B. für den Penis, so dass mit 
dem Verbot des Wortes gleichsam eine Kastration ge¬ 
übt wird “ 

Dieser nämliche Patient, dessen Entmannungskom¬ 
plex der stärkste den ich je antraf, erklärte mir einmal: 
„Die Juden drücken sich alle so gewählt aus. U m 
nun nicht als Jude, als Kastrierter 
zu erscheinen, habe ich mich absichtlich recht 
ordinär ausgedrückt. Hier deckt ein Christ aus eigenem 
Empfinden jenen innersten Zusammenhang auf, den 
F r e u d schon vor Jahren also erklärte: ..Der Ka¬ 
strationskomplex ist die tiefste unbewusste V urzel des 
Antisemitismus, denn schon in der Kinderstube hört der 
Knabe, dass dem Juden etwas am Penis — er meint 

’) Durchsichtig die Kastration. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr. 30 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


295 


ein Stück des Penis — abgeschnitten werde, und dies 
gibt ihm das Recht, den Juden zu verachten“. 1 ) Aus 
dem nämlichen Glauben halten die Christen die Juden 
für grausam, da sie fähig seien, ihre eigenen kaum ge¬ 
borenen Knäblein zu entmannen.-) Nur aus solcher 
Vorstellung konnte der Mythos vom Juden Shvlock ge¬ 
schaffen werden, der ein Pfund Fleisch aus dem Leibe 
seines Schuldners schneiden will, nahe dem Herzen. 
Das bedeutet mit einer durchsichtigen Verschiebung das 
Abschneiden des Fleisches an einer ganz anderen Stelle 1 ) 
(Fleisch = Penis man denke an Fleischeslust und Kar¬ 
neval). Ebenso geht auch das Ritualmordmärchen be¬ 
stimmt auf den Entmannungskomplex zurück, wenn da¬ 
neben auch verschiedene masochistische Motive mit im 
Spiele sind, wie ich von einem Patienten vveiss 

In der Praxis jüdischer Psychoanalytiker gewinnt 

*) Eine glänzende Bestätigung dieses Satzes gab mir ein früher 
sehr antisemitischer Patient in seiner Psychoanalyse: „Die Kinder 
haben oft ungeheuerliche Vorstellungen von der lieschneidung, dass 
da ganze Stücke vom Penis weggeschnitten werden Deswegen hält 
das Kind dann den Juden für minderwertig. Es fehlt 
diesem etwas und das erscheint ihm wie ein Makel. Ich war als 
Kind auch sehr neugierig, wie so ein beschnittener Penis anssieht, ich 
hatte ein gruseliges Interesse dafür und auch eine Angst, dass mir 
auch so etwas passiert. 

Ebenso hörte ich von einem sonst gar nicht prüden Dienst¬ 
mädchen folgenden Ausspruch : „Mit einem Juden fange ich kein 
Verhältnis an, der hat unten etwas zu wenig". 

*) Dr. R e i k verdanke ich aus dem Buche von Dr. Julius 
Moser „Die Lösung der Judenfrage", Berlin 19t7, Eine Rund¬ 
frage, folgenden Hinweis (S 262): „Dazu kommt nun noch, dass die 
Abscheidung des Personenkreises durch einen Brauch des jüdischen 
Ritus geradezu auf die Spitze getrieben wird. Die Beschneidung ist 
es, die allen Juden für ihre ganze Lebensdauer den Stempel des Juden¬ 
tums unauslöschbar aufdrückt und dadurch den Kreis der Juden auf 
das schärfste auch durch ein äusserliches Merkmal gegen alle andern 
Volkskreise abgrenzt. Es ist nur eine äusserliche Reaktion, wenn die 
Gefühle des Fremdseins auf der andern Seite dadurch noch gesteigert 
werden“. (Aus der Antwort des Reichstagsabgeordneten Dr. Adolf 
Neumann-Hofer.) 

*) Diese Idee ist nicht von mir. Ich weiss, dass sie zwei Psycho¬ 
analytiker unabhängig von einander gefunden haben und dass sie 
einer von ihnen zu einer grösseren Arbeit ausmünzen will 


gleich zu Anfang der Behandlung- bei der unerlässlichen 
Übertragung auf den Arzt jener nämliche Komplex ge¬ 
wisse Bedeutung. Wenn sich der Kranke in den Medicus 
verliebt, tritt er zu ihm ganz ebenso in feminine Ein¬ 
stellung, wie seinerzeit zum Vater. Sucht er ja im 
Psychoanalytiker den Mann, den höchstpotenten Vater. 
Ist jedoch der Arzt nun selber ein Jude, d. h. kastriert, 
also gar kein Mann, dann ergibt sich eine Schwierig¬ 
keit auf ihn zu übertragen. Ich glaube, dass aus dem 
nämlichen Motiv auch die Respektlosigkeit der Juden 
stammt vor ihren eigenen Glaubensgenossen. 

Sehr bezeichnend ist endlich das Verhältnis vieler 
jüdischer Ehern gegenüber ihren zu beschneidenden 
Knaben. Manche Mütter werden da von einer muss- 
losen, geradezu neurotischen Angst gepackt, es könne 
ihrem Buben etwas geschehen Sie ruhen auch nicht 
eher, als bis sie den tüchtigsten und erfahrensten Be¬ 
schneider gedungen haben. Noch lehrreicher ist das 
Gehaben vieler jüdischer Väter. Wir wissen ja, auch in 
der besten Ehe merkt es der Mann, welche Konkurrenz 
in der Liebe seines Weibes ihm das Neugeborene macht, 
zumal wenn es ein Junge ist. Gar manches gehässige 
Verhalten des Vaters gegen seinen Buben entspringt und 
erklärt sich aus dieser natürlichen Eifersucht. Speziell 
der jüdische Erzeuger aber nimmt eine Sonderstellung 
ein. Denn schon wenige Tage nach der Geburt seines 
Sohnes ist er in der Lage, fürchterliche Rache an die¬ 
sem zu nehmen, ihn eines Teils seiner Genitalien zu 
berauben. Drum geht dann am Beschneidungstage so 
mancher in furchtbarer Aufregung herum und einer 
Angst, hinter der durchsichtig das V erlangen sich birgt, 
den Nebenbuhler kastrieren zu lassen. Ist jener Akt 
aber einmal vorüber, dann kommt es nicht selten zu 
einer gewaltigen Reaktion, d. h. es flammt im Herzen 
des Vaters ausnehmend heisse Liebe auf zu dem also 
Geschädigten. Drum loht zwischen Vater und Sohn 
bei den Juden oft eine um vieles heissere Liebe als bei 
den Christen. (Schluß folgt) 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeines. 

Professor G. Winter, Unsere Aufgaben in der 
Revölkerungspolitik, (Dir. der Königl. Universitäts Frauen¬ 
klinik in Königsberg i. Pr. Cbl. f. Gyn. 1916. Nr. 5. 

Im Jahre 1860 wurden 37,9 Geburten auf 1000 Einwohner, 
1913 wurden 28,1 Geburten auf 1000 Einwohnerin Deutschland 
gezählt. 200 000 Kinder werden jetzt jährlich weniger geboren 
als vor 50 Jahren. Das langsam sich entvölkernde Frankreich 
und das immer mehr an Bevölkerung wachsende Ruslaud 
geben vom militärischen und politischen Standpunkt in dieser 
Beziehung zur Besorgnis Anlass, aus welchem Grunde von 
der Staatsregierung durch alle massgebenden Faktoren eine 
Denkschrift ausgearbeitet wurde, welche als Grundlage einer 
Beratung dienen soll. Zu dem entvölkernden Geburtenrückgang 
tritt noch die grosse Säuglingssterblichkeit, welche heute nocli 
ca. 200000 Säuglinge jährlich dahinrafft. Welche Verluste 
der Krieg in dieser Beziehung noch schäften wird, kann heute 
»och nicht beurteilt werden. 

Den Geburtshelfern obliegt es iu erster Reihe, für die 
Erhaltung des Nachwuchses zu sorgen uud hat dies von 
folgenden Standpunkten aus zu geschehen: 1. Beförderung der 
Konzeption, 2. Erhaltung der Leibesfrucht während der 
Schwangerschaft, 3. Schutz des kindlichen Lehens während 
der Geburt, 4. Einleitung zweckmässiger Ernährung im Wochen¬ 
bett. 


Verf. ergeht sich in eingehender Weise in der Begründung 
dieser Forderungen, welche ihrer hohen Wichtigkeit wegen im 
Original von jedem Arzte gelesen werden sollen. 

Die Richtlinien für die Erreichung dieses Zieles fest¬ 
zustellen will Verf, der Deutschen Gesellschaft für Gynaekologie 
übertragen wissen, welche im ersten Friedensjahre 1917 
hoffentlich ihre Tagungen wieder aufnehmen kann 

E c k s t e i n-Teplitz Schönau. 

Allgemeine Pathologie und pathol. Anatomie. 

M e r i rt n. Ein Fall von Konditorerkrankung. (Mal des 
Confiseurs.) (Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte 
1916, 10.) 

Diese seltene Erkrankung entsteht hei Konditoren, die 
ihre Hände, besonders ihre Endphalangen, in warme Zucker¬ 
lösungen tauchen Hier ist bei jeder kleinen Verletzung dann 
ein ausgezeichneter Boden für Gärungsprozesse. Es kommt 
zur Schwellung und Rötung am Nagelwall, verbunden mit 
grossen Schmerzen. Differential-diagnostisch kommt Panaritium 
iu Betracht. Therapie: kühlende Salbe, innerlich Arsen. 

Oswald. Ueber die Beziehungen der endokrinen 
Drüsen zum Blutkreislauf. (Correspondenz-Blatt für Schweizer 
Aerzte 1916, 9 ) 

Verfasser bespricht die Beeinflussung des Blutkreislaufes 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






2% 


Nr. 30. 


FORTSCHRITT!-: ORR MEDIZIN. 


durch die Nebenniere, die Hypophyse, den Thymus und die 
Schilddrüse. Während die beiden ersteren den Blutdruck er¬ 
höhen, hat das Thymusgewebe ein Sinken desselben zur Folge; 
diese Eigenschaft ist allerdings nicht charakteristisch. l)cr 
aktive Bestandteil der Schilddrüse, das Jodthyreoglobin, be¬ 
wirkt eine Sensibilisierung, so dass nach Nebennieren- und 
nach Hypophysenextrakt die Erhöhung des Blutdruckes, nach 
Thymusgewebs - Injektion die Depression eine länger 
dauernde ist. 


Innere Medizin. 

C. S. En gel-Herlin. Das Blutbild im Allgemeinen und 
speziell bei Infektionskrankheiten. (Ztschr f. ärztl Ftbldg. 1910. 
Nr. 5. S. 141) 

Aus der grossen Manigfaltigkeit der einzelnen Blutbilder 
bei den vorhandenen Infektionskrankheiten heben sich einige 
Erfahrungssätze heraus, die fast bei allen diesen Krankheiten 
Geltung haben und die als Richtlinien für die Stellung der 
Diagnose, für Erkennung von Komplikationen und Rezidiven 
sowie prognostisch Bedeutung haben. 

1. Mit Ausuuhine von Typhus, Masern, Tbc und wenigen 
anderen selteneren Krankheiten ,Gelb- und Maltalieber) rufen 
die Infektionskrankheiten eine mehr oder wenigerstarke Leukozy¬ 
tose der polynukleären Neutrophilen hervor. Sind unter diesen 
ilie jugendlichen Formen mit Stärkeren vermischt, dann spricht 
dies für eine lebhafte Blutbildungstätigkeit des Knochenmarks 
infolge eines stärkeren Reizes und für einen schwereren Krank¬ 
heitsverlauf. 

2. Treten im Verlaufe einer akuten Infektions-Krankheit 
Myelozyten in grösserer Menge auf. dann ist dies ein Zeichen 
einer schweren Schädigung der Knochenmarksfunktion und 
zwingt zu einer ungünstigen Prognose. Diphtheriekranke z B. 
mit mehr als 3% Myelozyten gehen trotz Anwendung starker 
Dosen Antitoxin regelmässig zugrunde. 

3. Bei ausserordentlich schweren infektiösen, besonders 
septischen Prozessen üben die Blutgifte keinen positiven, sondern 
einen negativen abstossenden chemotropischen Reiz auf die 
Leukozyten, insbesondere auf die neutrophilen Zellen aus. 
Derartige Fälle septischer Leukopenie geben eine ungünstige 
Prognose besonders dann, wenn Myelozyten im Blute angetroffen 
werden. 

4. Auf der Höhe des Fiebers nehmen die eosinophilen 
Zellen mehr oder weniger ab. Ihr Wiederauftreten spricht für 
einen günstigen Verlauf der Krankheit, namentlich wenn die 
Zahl der mehrkernigen Neutrophilen abnimmt und die der 
Lymphocyten eine Vermehrung zeigt. 

5. Eine Komplikation oder ein Recidiv zeigt sich besonders 
bei Krankheiten die (wie Ty., Masern, Tbc) durch Verminderung 
der neutrophilen Leukozytenzahl und Vermehrung der 
Lymphocyten charakterisiert sind — Masern haben auch 
Lymphopenie — durch Auftreten einer neutrophilen Leukozytose 
im Verlaufe derselben an. 

Endlich gibt die Verschiedenheit der Blutbilder einiger 
klinisch ähnlich verlaufender Krankheiten in Zweifelsfällen 
die richtige Diagnose. So z. B. unterscheidet sich die durch 
neutrophile Leukozytose charakterisierte Pneumonie vom Typhus 
Paratyphus durch deren charakteristische Neutropenie bei 
klinisch ähnlichem Verlaufe. Ebenso Masern und Scharlach, 
welch letzteres meist neutrophile Leukozytose und im Verlauf 
starke Eosinophilie zeigt. 

Solche charakteristische Unterscheidungsmerkmale gibt es 
noch viele. v. S c h n i z e r. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

B. Nierstras s-Leiden Chirurgische Versorgung 
des Nabelschnurrestes. (Monatschft f.Geb. u.Gyn. April 1916.) 

Nach erschöpfender Darstellung aller Methoden der 
Nabel Versorgung des Neugeborenen in Bezug auf ihre Vor- 
und Nachteile die Art und Zeitdauer der Heilung betreffend, 
spricht Verf. der an 200 Fällen an der Leidener Klinik 


Digitized by Google 


erprobten chirurgischen Versorgung des Nabelschnurrestes nach 
B. H Jaegerroos das Wort. Bei der Geburt wird die Nabel¬ 
schnur mit Arterienpiuzetten einfach oder doppelt abgeklemmt 
durchtrennt. Hierauf wird das Kind gewaschen und «n- 
gekleidet. Nun wird in die Nabelschnur hart über dem mit 
Haut bekleideten Teil des Nabelschnurrestes mit. einer eigenen 
Quetschklemme (Abbildung) eine Quetschrinne gedrückt. In 
diese Rinne wird nach Abnehmeu der Klemme eine Ligatur 
gelegt, und der Rest Nabelschnur über dieser Ligatur ab¬ 
getrennt. Der restliche kleine Stummel wird mit einer in 
Alkohol gedränkter Gaze bedeckt. Die Kinder können gebadet 
werden und trotzdem ist nach Verf. die Heilungsdauer nach 
dieser Methode kürzer, als bei allen anderen Methoden. Verf. 
empfiehlt dieses Verfahren auch für die Praxis und hat ein 
eigenes Besteck zu diesem Zwecke zusammengesetzt, welches 
alles Notwendige hierzu enthält. 

Verf. scheint vergessen zu haben, dass doch bei 95®/ 0 aller 
Geburten Hebammen intervenieren und quod licet Jovi . , . ist 
dadurch einer Allgemeineinführung dieses für Ärzte ganz 
einwandfreien Verfahrens ein gewaltiger Riegel vorgeschoben (Ref.). 

E c k s t e i n-Teplitz. 

Dr. Paul H ü s s g-Basel. Eine neue ungefährliche Form 
des Dämmerschlafes unter der Geburt. (Centralblalt f. Gynael- 
kologie 1916. Nr: 21.) 

Verf. erhofft durch Dämpfung des Geburtsschmerzes und 
Erzeugung von Amnesie nncli der Geburt den internationalen 
Geburtsrückgang zu steuern. Der Dämmerschlaf nach der 
Freiburger Methode ist nach Verf. für die allgemeine Praxis 
nicht ganz ungefährlich, sodass Verf. nach einen Ersatzmittel 
suchte, welches er in einer Mischung von Dionin und Dia] 
fand das den Anforderungen des Verf. in einer Reihe von 
50 Geburten entsprach. Die Dämmerschlaftabletteu als „Tachin“ 
von der Gesellschaft für cheni. Industrie in Basel in den 
Handel gebracht, wirken beruhigend, schmerzstillend, erzeugen 
Dämmerschlaf, insbesonders in der Wehenpause, erhöhen die 
Wehentütigkeit. und nach dem Gebrauch ist in einigen Fällen 
Amnesie eingetreten. Unaugenehme Zwischenfälle ereigneten 
sich nicht, sodass Verf. die Verwendung dieses Präparates für 
ilie allgemeine Praxis als unbedenkliches erklärt, ln Abständen 
von 1 — 2 Stunden werden 4 Tabletten pe ros verabreicht. 

E k s t e i n-Teplitz Schönau. 


Psychiatrie und Neurologie. 

J o 1 1 y, Ober Kriegsneurosen, (Archiv für Psychiatrie, 
56. Band, 2. Heft, 1916.— ) 

Jolly unterscheidet: 1. Neurosen nach Erschöpfung, teils 
ohne teils mit hysterischen Symptomen, 2. Neurosen nach 
körperlicher Erkrankung, 3. Sclirekenrosen, 4. Neurosen nach 
lokalen Träumen, 5. Nervöse Störungen nach Kopfverletzung, 

6. Nerövse Störungen nach Granatexplosion, 7. Die traumatische 
Neurose, 8. Neurose der Besatzungsarmee; er rubrieiert also 
nach der Antiologie, was ja wohl etwas für sich, aber auch 
etwas gegen sich hat. Indessen scheint es dem Verfasser in 
erster Linie daran zu liegen, dass seine Krankengeschichten, von 
denen er fast zu jeder Rubrik mit mehreren aufwarten kann, der 
Wissenschaft nicht verloren gehen. „Zu ahschliesseuden Urteilen 
wird man in manchen Punkten erst dann gelangen können, 
wenn sich einige Zeit nach Beendigung des Krieges die Dauer¬ 
folgen desselben erkennen lassen. Immerhin wird eine kritische 
Sichtung des eigenen Materials auch jetzt schon zu gewissen 
Ergebnissen führen. Für Litteraturstudien fehlen jetzt natürlich 
Müsse und Zeit . . sagt Jolly in der Einleitung. Was die 
Therapie betrifft, so tritt Verfasser mit Nachdruck dafür ein, 
dass die Kranken möglichst bald in spezialistische Behandlung 
kommen, wo besonders für Beschäftigung zu sorgen wäre. Für 
die aus dem Heer zu Entlassenden empfiehlt er die Invaliden¬ 
fürsorge mit Unterricht und Stellenvermittlung. 

Wern. H. Becke r-Herborn. 

Pelz, Über hysterische Aphaslen, (Archiv für Psychiatrie, 
56. Band, 2. Heft, 1916.-) 

Der Aufsatz entstammt der Meyerschen Klinik in Königs¬ 
berg und stützt sich auf 3 Krankengeschichten, in denen 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 30. 


FORTSCHRITTE DER MEDZIIN. 


29 7 


eigentümliche Sprachstörungen das Bild beherrschten. Diese 
Sprachstörungen stimmten anscheinend durchaus mit gewissen 
sphärischen Einzelsymptomen überein, stelltensich aber schliesslich 
alle 3 als psychogen bedingt heraus. Pelz führt den Nachweis, 
dass seine 3 Fälle nicht organisch erkrankte waren, sondern 
dass sie bei genauer Betrachtung nicht nur in ihrem Allgemein¬ 
verhalten, sondern gerade in ihrem sprachlichem Verhallen 
(welches das Gansersche war, wie Verfasser in längerer Aus¬ 
einandersetzung beweist) dem liehe Merkmale zeigten, die die 
hysterische Natur der Störungen erweisen 

W ern. H. Becke r-Herboin. 

Wild e, Zur Kenntnis des Homerschen Symptomen- 
komplexes, (Archiv für Psychiatrie, 5G Band, 2. Heft, 1916.—) 

Hornergeher Symptomenkomplex (-Ptosis des Augenlides, 
Miosig der gleichzeitigen Pupille und vasomotorische Störungen) 
trat in 6 Fällen der Meyersclien Klinik zu Königsberg auf nach 
Sympathicusläsion, 4 mal durch Schuss. 2 mal durch Aneurysma 
Die sechs Fälle waren typisch zusammengehörig, doch waten 
die Sympathicusfasern verschiedenartig oder in verschiedener 
Höhe lädiert, wodurch sich die Krankheitsbilder auch wieder 
differenzierten. Wern. H. Becke r-Herborn. 

Hudoveruig, Über den Wert der neueren Behaiidlung>- 
arlen der progressiven Paralyse. (Neurolog. Zentralbl. 1916 H. 2.) 

In der Paralysebehandlung stehen zwei Prinzipe sich gegen¬ 
über: erstens dasjenige, das in einer künstlich hervorgerufenen 
Hyperpyrese, in der dadurch verursachten Hyperleukozytose 
und möglicherweise Hyperphagozytose die Grundlage der Be¬ 
handlung erblickt (Tuberkulininjekliouen nach v. Wagner, 
Nukleininjektionen nach Fischer u. Donath) und zweitens das 
Prinzip der antiluetiechen Eingriffe iSchmierkuren mit Jod- 
darreichuug, Hginjektionen, intravenöse und endolutribale Injek¬ 
tionen von Salvarsan und Neosalvarsan) v Wagner u. Donath 
kombinierten die Hyperpyrese mit gleichzeitiger antiluetischer 
Behandlung. Zwecks Wertbeurteilung der einzelnen Methoden 
hat H. Versuchsreihen mit beiden Hyperpyresemethoden, mit 
und ohne gleichzeitige antiluetische Behandlung, und 
ebenso Versuchsreihen mit ausschliesslicher antiluetischer 
Behandlung angestellt und ihre Resultate mit einander 
vergleichen. Das Werturteil über die einzelnen Methoden 
fallt ganz verschieden aus, je nachdem, was man für dasselbe 
als ausschlaggebendes Moment ansieht. Zieht man als Kriterium 
die „effektiven Heilerfolge“ in Betracht, so ergab sich aus Hs 
Versuchen, dass die besten Erfolge die ausschliesslich antiluetische 
Behandlung erzielte, 30 "/„ günstige Erfolge (Arbeitsfähigkeit, 
10% -j- bedeutende Besserung 20%). Die mit Hg kombinierte 
Tuberkulinkur erzielte in 15"/ 0 günstigen Erfolg (7,7 °/„ Ar¬ 
beitsfähigkeit -+- 7,7 °/o bedeutende Besserung.) Mit Hg kom¬ 
binierte Nukleinkur erzielte in 40 n /o günstige Erfolge, aller¬ 
dings Arbeitsfähigkeit nur in 4 °/ 0 , hingegen in 36 % bedeutende 
Besserung. In diesem Gesamterfolg übertrifft diese Behandlung 
noch die antiluetische Behandlungsart. Der Heilwert der nicht 
kombinierten Tuberkulin- und Nukleiukuren war ganz minimal. 

Zieht man aber als Kriterium in Betracht „was am wenigsten 
schadet“, so gestalten sich die Verhältnisse folgendemassen: 
Tuberkulinkur, namentlich mit Hg kombiniert, Nukleinkur in 
nicht kombinierter Form, ebenso ausschliesslich antiluetische 
Behandlung verlangten Kurunterbrechung oder führten zum 
Tode in nahezu 40“ bei der nicht kombinierten Tuberkulin¬ 
kur und bei der kombinierten Nukleinkur betrug dieses Ver¬ 
hältnis 24% bezw. 20%, also wesentlich günstigere Zahlen. 

H. stellt nun den Satz auf, dass bei der Wertbeurteilung 
der Paralysebehandlung der tatsächliche Heileffekt und nicht 
die „eventuelle Gefährlichkeit“ ausschlaggebend sein müsse 
Nach diesem Grundsatz steht bei der Paralysebehandlung a n 
ersterStelledie ausschliesslich antilue¬ 
tische Behandlung, an zweiter Stelle die mit Hg 
kombinierte Nukleinkur. 

Aus seinen Versuchen folgert H. schliesslich noch, dass 
bei jeder Hyperpyresebehandlung das wichtigste die gleichzeitige 
antiluetische Behandlung ist und dass in der Ätiologie der 
Paralyse die Lues die Hauptrolle spielt. 

Enge- Lübeck 


Digitized by Google 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten 
der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Generalarzt Dr. W. Körte. Kriegserfahrungen über 
Verletzungen der Harnblase und Harnröhre. (Ztschr. für iirztl. 
Fortbildung 1916 Nr 5. S. 133.) 

Hauptregeln aus der Feldcrfalirung: 

Für einfache Blasen Verletzung ist der Verweilkatheter 
das gegebene Verfahren. Während der Heilung muss auf 
Abszesse in der Blasenumgegend aufgepasst werden. Hoher 
Blaseuschnitt: Nur bei sonst nicht stillbarer Blutung oder bei 
Nachweis von Fremdkörpern in der Blase. 

Intraperitoneale Blasen Verletzung: Bauchschnitt, falls die 
sattsam bekannten Vorbedingungen zur Operation bei Bauch¬ 
schüssen erfüllt sind Bei Verletzungen des Sphinkterteils der 
Blase sowie des oberen Teiles der Harnröhre: Urethrotomia 
perinealis möglichst bald, ehe Uriniufiltration eintritt, talls 
diese da: hreite Spaltung am Damm bis zum Gesunden. Ist 
es unmöglich die Blase mit Katheter zu entleren, so ist ist die 
Punktion mit der Hohlnadel als temporäres Aushilfsmittel 
dem Harnblasenstich mit dem Trokart vorzuziehen. Damm¬ 
wunden der Harnröhre heilen fast stets spontan, Wunden der 
pars pendula mit Fisteln, die plastischen Schluss erfordern. 
Womöglich nicht zu früher Transport bei Blasen und Harn- 
r öhren verletzten. v. Schn i z e r. 

Dr. A. Wolf-Berlin. Elektrokollargolbehandlung. (Ztschr. 
f. iirztl. Fortbildung 1916 No 4 S. 114) 

An der Hand von 5 Fällen führt Verfasser aus, dass 
bei pyämischen Nierenprozessen mit vermutlich kleinen Eiter¬ 
herden, bei denen chirurgisch nichts zu machen ist und 
Harnantiseptica versagen, Injektionen mit Hegau’s Elektro- 
kollargol prompt wirken. Sie sind deshalb in all solchen 
Fällen, bevor man zu eingreifenden Operationen schreitet, zu 
versichern Die auseinandergehenden Resultate der Nach¬ 
prüfungen haben dnrin ihren Grund, dass der nur Erfolg ver¬ 
sprechende Grundsatz nicht immer beachtet 'ist, sowohl den 
lokalen Infektionsherd als die Allgemeininfektion gleichzeitig 
in Angriff zu nehmen. So angewandt ist das Mittel ein starkes 
Blutdesinffzienz. v. Sch n i z er. 


Bücherschau. 

Hacken bruch-Berger. Vademekum und die 
Verwendung der Röntgens!ralden und des Dlstriiktionsklammer- 
verfahrons im Kriege. (Verlag von Otto Nemnich-Leipzig, 1915.) 

D e s s a u e r-W i e s n e r, Kompendium der Röntgen¬ 
aufnahme und Röntgendurchleuchtung. (Band 1, Verlag von 
Otto Nemnich-Leipzig, 1915.) 

Fassbender. Pie technischen Grundlagen der Elckro- 
inediziu, (Sammlung Verlag Viebig, Friedrich Viebig & Sohn- 
Braunschweig) 

Bach, Anleitung und Indikationen für Bestrahlung mit 
der Quarzlampe, künstliche Höhensonne. Würzburger Ab¬ 
handlungen aus dem Gesamtgebiete der Medizin. Verlag von 
Kurt Kabitzch-Würzburg, 1915. 

A'le 4 hier angezeigten Bücher können dem Praktiker, 
der sich mit der physikalischen Medizin beschäftigt, dringend 
zur Anschaffung empfohlen weiden. 

In der Quarzlampe haben wir tatsächlich, wie jeder der 
sich eingehend mit diesem Instrument beschäftigt, bestätigen 
wird, ein sehr vielseitiges und Erfolg versprechende Heilmittel. 
Vielleicht zieht der Verfasser in seiner Broschüre den Indi¬ 
kationsbereich etwas zu weit, denn schliesslich ist auch die 
Quarzlampe kein Universalmittel. Sehr bedenklich scheint es 
mir, wenn der Verfasser sagt, „die Bestrahlungen sind demnach 
in jeder Beziehung gefahrlos und können von jedem Laien 
ausgeübt werden.“ Durch derartige Äusserungen wird jeder 
Kurpfuscher angeregt, sich die künstliche Höhensonne anzu- 
schaffen, jedenfalls sehr wenig zum Nutzen der leidenden 
Menschheit und nur zum vorübergehenden Nutzen der dar¬ 
stellenden Fabrik. Denn ein Mittel oder Apparat, welches 
der wissenschaftlichen Forschung entrückt und von jedem 
Laien ohne Wahl angewandt wird, pflegt bald in Vergessenheit 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 











298 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN’. 


Nr. 30. 


zu geraten, mag er auch bei geeigneter Auswahl au und für 
sich noch so wirksam sein. 

Die im Verlag von Nernnich erschienenen Bücher, die sicli 
übrigens durch eine vorzügliche Ausstattung auszeichnen, bringen 
zwar nichts wesentlich Neues, orientieren aber den noch weniger 
Erfahrenen recht gut auf dein Gebiet der Röntgentechnik. 
Namentlich gilt dies von dem Dessauer-Wiesner’scheu Buch, 
in dessen vorliegender zweiter Auflage auch die neueren 
Forschungen stets gebührend berücksichtigt sind. 

Wer sich über die technischen Grundlagen der Elektro¬ 
medizin unterrichten will, dem kann das Buch von Fas >■ 
b ende r zur Lektüre warm empfohlen werden. Die wichtigen 
physikalischen Tatsachen über elektrische Temperaturmessung 
in der Medizin, der Röntgentechnik und dem Eleklrokardio- 
graphen werden hier dem Leser in einer Form vorgetragen, 
dass auch der sie versteht, bei dem die physikalischen Kennt¬ 
nisse der Studienzeit bereits eingerostet sind. R 

Bernhard Schulz, Dr. med.. Geheim. Medizinal- 
Rat, Kreisarzt a D. Das Bewusstseinsproblem. Verlag von 
J. F. Bergmann, Wiesbaden 1915. 

In vorligender Schrift versucht Verfasser das Bewusstseins¬ 
problem vom psychologischen, positivistischen, erkenntnis¬ 
theoretisch-logischen, metaphysischen und biologischen Stand¬ 
punkt zu beleuchten und das Verständnis für diese dunkle 
Seite unseres Seelenlebens anzubuhuen. — Nach dem Verf. 
liegt das Geheimnis des Bewusstseins im hypothetischen 
Elementarvorgang, den die biologische Erkennt¬ 
nistheorie in einem auf äussere und innere Erregungen 
reagierenden belebten und zugleich beseelten Faktor und seinen 
Reaktionen erkennt. Die biologisch-psychologische Erkennt¬ 
nistheorie geht von der Tatsache des individuellen „Bewusst¬ 
seins“ aus. In dem reagierenden Faktor erkennt sie die 
Grundelemen t e des gesamten seelischen Geschehens 
— Erfahrung und Denken. Mit der Zunahme an Stärke und 
Mannigfaltigkeit .der Reaktionen gewinnt der Vorgang des 
Bewusstwendens in der Reihe der Lebewesen bis hinauf zum 
Menschen und in diesem von seiner Geburt an bis zum Selbst¬ 
bewusstsein an Intensität und Umfang. 

Anschliessend an diese erkenntnistheoretischeu Denkgrund¬ 
sätze, die idealistisch auf ein „Bewusstsein“ überhaupt, ein 
allgemein „unpersönliches Bewusstsein“ bezogen werden, hat 
Verfasser eine gedrängte, aber alles Wichtige umfassende 
Uebersicht über das „Bewusst-, Belebt-, Beseeltsein“ Herbert 
Spencers gegeben und dadurch einigermassen zur Klärung 
dieses bedeutungsvollsten Phänomens unseres psychischen 
Lebens beigetragen. 

Die ungemein gedankenreiche streng philosophische 
Schrift wird jeden Leser durch ihren reichen Ideengehalt 
fesseln und auch dort, wo er den Theorien des Verfassers nicht 
Folge leistet, durch den neuartigen Gesichtswinkel, unter 
denen das schwierige und in Dunkel gehüllte Bewusstseins¬ 
problem behandelt wird — eine Fülle von Anregungen 
bieten. J. A 1 1 e r t. 

Paul Hermann Tesdarpf, Dr. nted 
(München). Zur Philosophie der Gesundheit. Zeitgemässe Be¬ 
trachtungen eines Arztes. Verlag von W. Kohlhammer 
Berlin, Stuttgart, Leipzig 1915. 

In vorliegender Schrift, die, wie Verfasser im Vorwort 
hervorhebt, das Ergebnis jahrzehntelanger Beobachtung und 
Forschung darstellt, macht er sich zur Aufgabe die Mittel und 
Wege darzulegen, wie wir durch Gewinnuug und Erhaltung 
der Gesundheit und durch Bekämpfung und Verhütung von 
Krankheiten unsere irdische Freiheit vermehren und 
sichern können. Wie alle grosseu Denker, Philosophen, Staats¬ 
männer, Pädagogen die Freiheit der Menschheit erstrebt habeu, 
so sind auch die Aerzte berufen die individuelle Freiheit zu 
mehren, indem sie ihre Mitmenschen auf die Bedeutung der 
Vorstellung und der Ideenwelt für die Gesundheit hinweisen. 
Verfasser ergeht sich in weitgehenden philosophischen Be¬ 
trachtungen, deren Ergebnis er in 4 Gedanken zusammen fasst, 
nämlich, dass Gesundheit und Krankheit bei dem einzelnen 
Menschen grösstenteils durch seinen Charakter, durch die Vor¬ 
stellungen, die er von den Dingen hat, durch die Ideen, die 
hinter der Erscheinungswelt liegen und durch die Freiheit, 


die uns die Gesundheit verschatt't bedingt, sind. Der Wert 
der Gesundheit ist - nach dem Verfasser — darin gelegen, 
dass sie uns in gleicher Weise frei macht, wie die Krankheit 
unfrei. Die in dem interessanten Buche entwickelten 
philosophischen Betrachtungen bilden ein geschlossenes System, 
welche jede verständnisvolle Lehre für seine eigenen Zwecke 
weiter ausbauen und entwickeln kann. 

Dem Arzt, der seiuen Beruf vom idealen Standpunkt auf¬ 
fasst und in seiner praktischen Betätigung von den Idealeu 
alles Wahren, Guten und Schönen sich nicht lossagen will, 
sei das geistreiche Buch angelegentlich empfohlen. 

Wilhelm S t e k e 1 , Dr Das liebe Ich. Grundriss 
einer neuen Diätetik der Seele. Verlag von Otto Salle, 
Berlin. 

Im vorliegenden Buche vertritt der Autor die Anschauung, 
dass die Behandlung der Nervenkranken nur mittelst Psycho¬ 
therapie möglich ist, weil die Aerzte eingeseheu haben, nass 
die sogenannten Nervenkrankheiten zum überwiegenden Teil 
Seelenkrankheiten sind, und der Arzt den Kranken psychisch 
analysieren muss, wenn er ihm helfen will. Es muss der 
Arzt das Milieu des Neurotikers erforschen, seine krankhafte 
Einstellung zur engeren Umgebung und zur ganzen Welt 
korrigieren, er muss ihm seine unerfüllbaren Phantasien zum 
Bewusstsein bringen um ihn mit der Wirklichkeit auszusöhnen 
und ihn nach dem Bekennen zu belehren, zu führen und zu 
weisen. So wird die Psychoanalyse zur Grundlage der Psycho¬ 
therapie und des weiteren Erfolges bei den Nervösen; der 
Nervenarzt wird zum Seelenarzt. 

Aus der Schule F r e ud ’s hervorgegangen, hat Verfasser 
das Beste aus der Lehre seines Meisters behalten und ist 
über sie zu einer neuen hinausgewachsen. In gesonderten 
Kapiteln, von denen ich die markantesten : der Kampf der Ge¬ 
schlechter, die Angst vor der Freude, Wir und das Geld, über 
den Neid, Lebeuskünstler, Ungeduld, entartete Kinder, Auf¬ 
regungen usw. nennen will, führt Verfasser in anregendem 
fesselndem Stil zahlreiche Probleme aus dem Gebiete der 
Psychoanalyse vor und liefert uns aus seiner reichen Er¬ 
fahrung wertvolle Beiträge zu einer neuen Diätetik der Seele. 
Stekel ist ein Meister des Stils, ein Virtuose der Feder, was er 
auch im vorliegendem Buche reichlich dokumentiert Das Buch 
liest sich wie ein interessanter Roman, dem man von 
Kapitel zu Kapitel wachsendes Interesse entgegenbringt, - 
ein anregendes und belehrendes Buch, das dem Nervenarzt 
sowohl wie den Nervösen warm zu empfehlen ist. 

pt. 


Notiz. 

Zum Andenken Elias v. Metchnikoffs. 

Hatte die Medizin im vorigen Jahre ungefähr um diese 
Zeit den unersetzlichen Verlust eines Geistesriesen wie Paul 
Ehrlich zu beklagen, so trauert sie jetzt wieder um einen 
anderen Großen, ihm Geistesverwandten und engeren 
Fachgenossen. Elias v. Metchnikoff ist nicht mehr, so 
brachte der elektrische Draht die Trauerkunde. 
Wer kennt den Phagocyten-Metchnikoff nicht? Seine 
bahnbrechende Entdeckung der wichtigen Eigenschaft 
der Leucocyten als Körperwächter- Schaar, welche den 
lebenden Organismus gegen Eindringlinge zu schützen 
die eminente Rolle spielen, ward der Ausgangspunkt 
der modernen Hämatoxologie und Serologie. Ehrlich, 
Wright, Wassermann bauten darauf ihre bahnbrechenden 
Entdeckungen weiter .Von der Zoologie ging er aus, ward 
zweiter Direktor, dann Nachfolger Pasteurs an seinem 
Institut, wo er Unsterbliches auf dem Gebiete der Im¬ 
munitätsforschung schuf, und erhielt den Nobelpreis. 
Populär sind seine Lactobacilline, ebenso sein „Lebens¬ 
optimismus“! So sank auch dieser Optimist in den 
Hades . . . . , wie viele andere Geistesheroen . . . ., 
aber vergessen wird die Wissenschaft, die Menschheit 
seine großen Verdienste nicht . . . Sepelierunt virum. 

Dr. med, Ratner, Wiesbaden. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beitz, Holbuchdrucker, Langensalza. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang. 


1915/16. 


Torisdirim der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

L. Brauer, L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, G. Köster, 

Hamburg. Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. Leipzig. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriitleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


Nr. 31 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mlc. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. - Alleinige lnseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


10. August. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die rheumatischen Erkrankungen im Kriege 
und ihre Behandlung mit Apyron. 

(Aus dem Vereinslazarett Kaiser-Allee 30 zu Berlin- 
Wilmersdorf. Chefarzt Dr. H. Moehl e.) 

Von O. Lubovski. 

Kalte und nasse Witterungsverhältnisse, unter denen 
unsere Truppen besonders im Frühjahr und Herbst zu 
leiden haben, machen eine große Anzahl sonst kräftiger 
und widerstandsfähiger Soldaten oft für längere Zeit 
dienstunfähig. Sie werden wegen Rheumatismus in die 
Lazarette überführt. 

Freund 1 ) hat die Beobachtung gemacht, die wir 
auf Grund eingehender Betrachtung zahlreicher an 
Rheumatismus Erkrankter bestätigen können, daß bei 
einer Analyse dieser Fälle ein weitgehender Unterschied 
der Friedenspraxis gegenüber besteht. 

Akuter Gelenkrheumatismus, akute und chronische 
Arthritiden nach infektiösen Prozessen sind im allge¬ 
meinen selten. Es handelt sich hier meist um Rezidive 
schon früher bestandener Leiden, ferner Neuralgien 
und Neuritiden, leichtere und schwerere Affektionen. 

Am häufigsten ist der „Muskelrheumatismus“, den 
man gut „Kriegs-“ oder „Feldrheumatismus“ nennen 
könnte, hervorgerufen durch nasse Unterstände, längeres 
Liegen auf nasskalten Boden; typisch durch starke 
Druckempfindlichkeit der Muskulatur, des Periosts, oft 
auch der Gelenke, Behinderung der Beweglichkeit. Dieser 
Muskelrheumatismus ist für den Patienten oft quälend 
wegen seines langsamen Heilungsprozesses, der häufig 
durch Rückfälle und Verschlimmerungen unter neuer 
Einwirkung von Nässe und Kälte aufgehalten wird. 

Die Behandlung besteht hierbei meist in Bädern, 
Heißluft und Massage. Bei einer medikamentösen Be¬ 
handlung dieser wie anderer rheumatischer Erkrankungen 
sieht man sich mehr oder weniger auf Salizyl-Präparate 
beschränkt (Aspirin, Salipyrin, Salol, Salit). Die Wirkung 
ist hier nicht immer wunschgemäß; ferner muß man der 
dabei häufig auftretenden Folgezustände wie Kopf¬ 
kongestionen, Schwindel, Ohrensausen, Mag enbeschvverden 
und anderem Rechnung tragen. Oft muß auch die Ver¬ 
abreichung derartiger Präparate wegen der bei Gelenk¬ 
rheumatismus häufig sich einstellenden Herzaffektionen 
frühzeitig unterbrochen werden. 

In der Entwicklung und Verbesserung dieser Sali¬ 
zyl-Präparate folgte dem Aspirin, dem in letzter Zeit 
gebräuchlichsten, das Apyron, das von der Firma 
Johann A. Wülfing in Berlin hergestellt wird. 

Apyron ist ein azetylsalizylsaures Lithiumpräparat 


Digitized by Google 


mit 96,3 % Azetylsalizylsäure und 3,7 % Lithiumgehalt. 
Mit diesem Präparat verfolgte man mit Rücksicht auf 
eine gute Bekömmlichkeit das Prinzip, die Azetylsalizyl¬ 
säure (Aspirin) in neutrale, wasserlösliche Salze überzu¬ 
führen. Dieses Prinzip ist im Apyron erfüllt. Apyron 
verbindet die Eigenschaften des Aspirins mit den Vor¬ 
zügen der Wasserlöslichkeit und neutralen Reaktion. 
Nach den genauen Prüfungen von W. Jansen 2 ) und 
Bo eh n h ein 3 ) ergibt sich die Tatsache, daß Apyron 
frei von Salizylsäure bezw. salizylsaurem Salz ist. In¬ 
folge seiner Wasserlöslichkeit bringt die Firma zu In¬ 
jektionszwecken das Präparat auch in sterilen Ampullen 
in den Handel. 

Wir haben in obigen Vereinslazarett Apyron bei 
rheumatischen Erkrankungen schwerster und leichterer 
Affektion verabfolgt, und zwar in Dosen von 3—8 
Tabletten a 0,5 gr täglich. Die Wirkung war die, daß 
bei fieberhaftem Gelenkrheumatismus bereits nach einigen 
Tagen ein Sinken der Temperatur, ein sichtliches Ab¬ 
schwellen geschwollener Gelenke und ein Nachlassen 
der Schmerzen zu verzeichnen war. Bei Affektionen 
leichterer und neuralgischer Art genügten manchmal 
3—b Tabletten, um eine Besserung der Schmerzen so¬ 
wie des ganzen Krankheitsbildes hervorzurufen. Bei 
dem sogen. Muskelrheumatismus hat sich das Präparat 
ebenfalls ausgezeichnet bewährt. Nach einigen Tagen 
hatten sich die Grenzen der vorher leicht festzustellen¬ 
den Druckempfindlichkeit der Muskulatur erheblich 
verringert. 

Diese Wirkung des Präparates ist umso erfreulicher, 
als dieselbe nach unseren Beobachtungen ohne die sonst 
häufig sich einstellenden Nebenerscheinungen auftrat. 
Niemals haben wir eine direkte Unbekömmlichkeit des 
Präparates, selbst bei Verabfolgung hoher Dosen, während 
längerer Zeit beobachtet. Wo schon zu Beginn der 
Krankheit eine Herzaffektion bestand, wurde diese durch 
Apyron nicht nachteilig beeinflusst. Von den Patienten 
wurde das Präparat wegen seiner Wasserlöslichkeit und 
Geschmacklosigkeit stets gern genommen und anderen 
ähnlichen Präparaten vorgezogen. Nur in ganz ver¬ 
einzelten Fällen sahen wir eine leichte Unbekömmlich¬ 
keit des Präparates von seiten des Magens, was jedoch, 
wie wir durch Verabfolgung anderer Salizylpräparate 
festgestellt haben, auf einen allgemeinen Widerwillen des 
Magens gegen Salizylpräparate zurückzuführen war. 
Durch Verabreichung häufiger aber kleinerer Dosen 
wurde erreicht, daß auch in diesen Fällen Apyron mit 
der Zeit gut vertragen wurde. 

Die Wirkung war natürlich eine typische Salizyl- 
wirkung, erfolgte aber schneller und prompter, als es 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




.wo 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 31. 


bei den übrigen Präparaten, auch bei Aspirin der Fall 
ist. Schweißausbruch war bei Apyron schon ca. 15 
Minuten nach der Verabreichung zu konstatieren, während 
bekanntlich nach Aspirin dieser sich erst nach ca. 30 
Minuten einstellt. 

Zur Illustration des im Vorstehenden Gesagten 
folgen einige Krankengeschichten: 

1. Leutnant Sch. M., 28 Jahre alt. Mit 20 Jahren 
an Gelenkrheumatismus erkrankt. Im September 1015 
erkrankte Patient wiederum an Gelenkrheumatismus und 
wurde in ein Reservelazarett in Stettin überführt. Die 
Behandlung, die hauptsächlich im Verabfolgen großer 
Dosen Aspirin bestand, hatte nicht den gewünschten 
Erfolg, sondern vielmehr wirkte sie nachteilig auf Herz 
und Magen. Anfang Oktober wurde Pat. unserem 
Lazarett zugeführt. Bei der Aufnahme waren beide 
Knie- und Fußgelenke noch sichtlich geschwollen und 
gerötet. Temperatur 37,8". Behandlung: Apyron drei¬ 
mal täglich 2 Tabletten. Nach 6 Tagen sank die 
Temperatur auf normale Höhe, die Rötung und Schw ellung 
der Gelenke hatte sichtlich abgenommen, Pat. gibt an, 
daß er fast ganz schmerzfrei sei, und daß ihm Apyron 
entschieden besser bekomme als Aspirin. Die Beschwerden 
von seiten des Magens und des Herzens hatten sich 
nicht verschlimmert (es hatte zuvor leichte Hvperazidität 
und eine nervöse Herztätigkeit bestanden, die Pat. erst 
nach längerem Aspiringebrauch bemerkt haben will). 
Nach weiteren 8 Tagen sind die Rötung und Schwellung 
der Gelenke vollkommen geschwunden; die Temperatur 
war in dieser Zeit stets normal. 14 Tage später ist 
Pat. bis auf eine gewisse Steifheit und Bewegungs¬ 
hemmung in den Gelenken wieder hergestellt: dieMagen- 
beschw'erden sind gewichen, es besteht nur noch eine 
leichte Irregularität des Pulses. Während der Nachbe¬ 
handlung haben sich Rückfallserscheinungen nicht be¬ 
merkbar gemacht, und konnte Pat. im Dezember das 
Lazarett verlassen und zur Nachbehandlung einen Bade¬ 
ort aufsuchen. 

2 . Offiziersstellvertreter Sp. R., 32 Jahre alt, erkrankte 
im Oktober 1915 an Gelenkrheumatismus und wurde 
nach vierwöchentlichem Aufenthalt in einem Feldlazarett 
obigem Vereinslazarett überwiesen. Bei der Aufnahme 
bestehen noch leichte Schwellung und Schmerzhaftigkeit 
beider Fußgelenke. Behandlung: Apyron 4 mal täglich 
l Tablette a 0,5 gr. Temperatur leicht über 37“. Nach 
ca. 10 Tagen fühlt sich Pat. vollkommen schmerzfrei, 
die Gelenke sind abgeschwollen, Temperatur normal. 
Während 6 Wochen der Nachbehandlung haben sich 
auch hier keine Rückfallserscheinungen und auch keine 
nachteilige Beeinflussung von Herz und Magen gezeigt 

In diesen Fällen ist durch Apyron eine schnellere 
Besserung der Krankheit erzielt worden als es durch 
andere Präparate voraussichtlich möglich gewesen wäre. 
Daß natürlich Rezidive nicht ausgeschlossen sind, zeigt 
folgender Fall: 

3. Wehrmann M., 36 Jahre alt, hatte während der 
letzten 10 Jahre zweimal Gelenkrheumatismus durchge¬ 
macht, ohne daß eine Schädigung des Herzens dadurch 
eingetreten war. Am 1. Dezember erkrankte er beim 
Regiment wiederum an Gelenkrheumatismus und wurde 
am 6. Dezember in obiges Lazarett gebracht. Das 
Krankheitsbild war ähnlich den vorigen. Befallen waren 
hauptsächlich beide Schultergelenke und vorübergehend 
das linke Handgelenk. Temperatur über 38. Die 
Schmerzhaftigkeit war groß und erstreckte sich auch 
auf die gesamte Rückenmuskulatur. Behandlung: Apyron 
dreimal täglich 2 Tabletten. Nach 8 tägiger Behand¬ 
lung mit Apyron war die Temperatur fast zur Norm 
gesunken, die Schmerzhaftigkeit war geschwunden, die 
Schwellung in geringem Maße noch vorhanden. Der 
Befund besserte sich ständig, bis am 4. Januar sich 
plötzlich wieder Fieber und neue Schmerzhaftigkeit und 

Digitized by Google 


Schwellung der Gelenke einstellte. Nach 14 Tagen war 
nach Behandlung mit Apyron kein klinischer Befund 
mehr vorhanden. Nach Verlaut einiger Wochen, während 
deren sich kein Rückfall mehr gezeigt hatte, konnte 
Pat. seinem Truppenteil wieder zugewiesen werden. 

Bei fieberhaftem Gelenkrheumatismus Apyron 
zu injizieren, hatten wir keine Gelegenheit, da das 
Präparat per os verabfolgt, stets gut vertragen wurde. 

Jansen hat in mehreren Fällen von fieberhaftem 
Gelenkrheumatismus Apyron injiziert und dabei eine 
gleiche Wirkung erzielt wie bei einer Verabreichung 
per os. 

Weit einfacher gestaltet sich das Krankheitsbild 
beim Muskelrheumatismus. Befallen sind meist die 
unteren Extremitäten und bieten dem Arzt häufig 
Schwierigkeit bei der Beurteilung des objektiven Be¬ 
fundes, denn die Sensibilität und Reflexe sind hierbei 
normal. Atrophien der Muskulatur Kommen natürlich 
bei längerer Dauer der Erkrankung vor, doch ist ein 
frühzeitiges Beginnen mit Massage und Beweguug daher 
sehr zu empfehlen. 

Einige Krankengeschichten mögen das Gesagte 
illustrieren. 

4. Wehrmann M. erkrankte Anfang Juli 1915 an 
Rheumatismus und kam am 21. Juli ins Lazarett. Pat. 
klagt über große Schmerzhaftigkeit der Muskulatur der 
oberen Extremitäten, die sich bis zur Schulter und zum 
Rücken erstreckte, dortselbst äußert starke Druck¬ 
empfindlichkeit selbst bei leichterer Berührung. Be¬ 
handlung: Heißluft und Apvron dreimal täglich eine 
Tablette. Nach 3 Tagen gibt Pat. an, daß die Schmerzen 
nachgelassen hätten. Die Druckempfindlichkeit ist ge¬ 
mildert und in ihrer Ausdehnung verringert. Nach 14 
Tagen vollkommene Schmerzfreiheit, kaum nennenswerte 
Druckempfindlichkeit. Während der Nachbehandlung 
(Massage) traten ab und zu unter Einwirkung ungünstiger 
Witterung leichtere Rückfälle auf, die, mit Apyron be¬ 
handelt, bald wieder schwanden. 

5. Landsturmmann O., 42 Jahre alt, erkrankte am 
1. Dezember 1915 beim Regiment an Rheumatismus und 
kam am 6. Dezember in unser Lazarett. Es besteht 
starke Druckempfindlichkeit der gesamten Oberschenkel- 
muskulatur, die dem Patienten das Gehen, Sitzen und 
Liegen sehr erschwert. Behandlung: Bäder und Apyron. 
Nach 3 Tagen Nachlassen der Schmerzen und nach 
weiteren 14 Tagen objektiver Befund ohne klinische 
Besonderheiten. 

In diesen sowie ähnlichen zahlreich beobachteten 
Fällen von Muskelrheumatismus, die ohne Fieberer¬ 
scheinungen verliefen, wurde durch Apyron ein spontanes 
Abklingen der Schmerzhaftigkeit erreicht. Rezidive sind 
hierbei unter einem neuen Einfluß von Kälte und Nässe 
natürlich sehr häufig. 

Unsere Erfahrungen mit Apyron können wir zu¬ 
sammenfassend dahin formulieren, daß wir im Apyron 
ein Mittel besitzen, das bei rheumatischen Erkrankungen 
jeglicher Art wegen seiner Wasserlöslichkeit und Ge¬ 
schmacklosigkeit vor anderen Präparaten zu empfehlen 
ist. Und wegen seiner prompten Wirkung ohne schäd¬ 
liche Beeinflussung des Herzens und des Magens selbst 
bei Verabreichung größerer Dosen verdient es in 
der Kriegstherapie Verwendung zu finden. 

Bei neuralgischen Erkrankungen dürfte Apyron 
nach unseren Erfahrungen ebenfalls gute Dienste leisten. 
Wir haben Apyron bei Ischias angewendet und auch 
hier ein baldiges Abklingen der Schmerzen beobachtet; 
doch möchten wir hier die intramuskuläre Injektion 
empfehlen. 1 gr. Apyron in 2 ccm destilliertem Wasser 
aufgelöst, w'ird in den Glutaeus injiziert. Abgesehen 
von leichter Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle, 
hervorgerufen durch Gewebedruck, haben wir schon 
nach 3—4 Stunden Nachlassen der Schmerzen beobachtet. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 31. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


301 


Eine Wiederholung der Injektion nach 3—4 Tagen und leicht sein Selbstbewusstsein, auch in anderen Dingen, 
in dieser Folge dürfte dem Patienten fast immer die Schon den kleinen Buben erfüllt ein Hochmut gegen- 
Schmerzen nehmen, d}:h nicht das Übel als solches über den Mädeln, sobald er den Unterschied der Ge- 


vollkommen beseitigen. 

Literatur. 

•) Freund. Wiener kl. Wochenschr. 1915, Nr. 12. 
’jjansen. Therapie der Gegenwart, Februar 1914. 
*) Böen heim, Fortschritte der Medizin 1916, Nr. 15, 


Über den Kastrationskomplex. 

Von Dr. J. Sadger, Nervenarzt in Wien. (Schluss) 

Es wäre weitgehender Untersuchung 'würdig, in¬ 
wieweit Sadismus und Kastration Zusammenhängen. 
Sicher ist die Drohung eines Elternteiles, dem etwa 
masturbierenden Kinde Penis oder Finget abzuschneiden, 
was regelmässig ungeheure Wut gegen jenen auslöst, 
eine wichtige Wurzel des Sadismus. Noch wichtiger ist 
sie als eine der Quellen des gleichgeschlechtlichen Emp¬ 
findens. Just weil der Urning den Penis so gewaltig 
wertet 1 ), kann er sich mit dem offenbar kastrierten Ge¬ 
schlecht so wenig befreunden. Und es wird die kon¬ 
stitutionell begründete Überschätzung des Membrums 
noch wesentlich verstärkt durch die Gegenwirkung auf 
jene Einschüchterung. 

Zum Schlüsse noch einige andere Reaktionen auf 
die Drohung der Entmannung. Diese weckt zunächst, 
wie Freud schon ausführte, im Kinde einen heftigen 
Trotz. Wir kennen diesen als eines der Kardinal¬ 
symptome des Analcharakters. Doch muss ich sagen: 
der schwerste, nachhaltigste, intensivste Trotz, den ich 
bei analysierten Kranken fand, rührte nicht von unter¬ 
drückter Analerotik, sondern von der Kastrations¬ 
drohung her, die in solchen Fällen besonders einschlagen 
hatte. 2 ) 

Wir wissen ferner, wie schon physiologisch das 
Selbstbewusstein jedwedes Mannes von seinem sexuellen 
Können abhängt. Wer aus irgendeinem Grunde, wenn 
auch nur psychisch, impotent geworden, verliert gar 

■) Vergl. dazu meine „Neuen Beiträge zur Homosexualität" 
Berliner Klinik Nr. 315. 

a ) In Anm. 1 auf S. 2 gab ich die lehrreichen Äusserungen eines 
Kranken wieder. Hier nun die Fortsetzung: „Ich führte schon aus, dass 
Kinder unbestimmte Drohungen regelmässig auf die Kastration beziehen. 
Die Drohungen meines Vaters beantwortete ich stets mit heftigem Trotz. 
Ich war gesonnen, mich bis zum Äussersten zu wehren, bis zur 
eigenen Vernichtung, da auf Sieg gegen den übermächtigen Vater nicht 
zu rechnen war. Mich dünkt, dass auch beim Kinderselbstmord der 
Kastration eine wichtige Rolle zukommt. Aus Beobachtung und Er¬ 
fahrung weiss ich, dass nichts auf ein Kind schrecklicher wirkt, als 
eine unbestimmte Drohung auf eine zu erwartende Züchtigung oder 
irgend eine andere Gefahr. Diese Erwartung der Gefahr oder Züch¬ 
tigung erzeugt in dem Kinde einen merkwürdigen Seelenzustand, der 
jene Form annehmen kann, die ich „Trotz bis zur Selbstvernichtung" 
heisse. Es ist eine Stimmung, die zum Handeln drängt Entweder 
das Kind wehrt sich, indem es direkt gewalttätig gegen Vater und 
Mutter wird — ich habe getrotzt und insgeheim böse Wünsche gegen 
den Vater genährt — oder es greift zur Selbstvernichtung und bringt 
sich um, was gar nicht selten vorkommt, oder endlich es schlägt einen 
Mittelweg ein, es will sich der Gefahr entziehen und läuft aus dem 
Hause davon. Die Grundlage aller drei Reaktionen ist aber, dass 
das Kind fürchterliche Angst bekommt, weil es jede unbestimmte 
Drohung der Kastrationsdrohung gleichsetzt, vor der es so schreck¬ 
liche Angst empfindet. Diese Gleichsetzung kann ihm völlig unbewusst 
bleiben, aber vorhanden ist sie sicherlich, sonst wäre unerklärlich, dass 
Kinder oft aus geringfügiger Ursache in einen wahnsinnigen Trotz 
ausbrechen. Es wird da eben die ganze Summe früherer Affekte mit 
ausgelöst. Mir scheint der Kastrationskomplex sogar beim Selbst¬ 
mord aus Liebe eine Rolle zu spielen. Wenn ein Jüngling ein Mäd¬ 
chen nicht heiraten kann, so ist das beinahe soviel, als nähme man 
ihm den Penis fort Er kann nicht coitieren, nicht freien, weil seine 
oder ihre Eltern es verbieten. Der Effekt ist der gleiche, als wenn er 
kastriert würde, und solche Sachen führen gemeiniglich zum Selbst 
mord. Ob nicht mindestens eine Teilursache bei dem Selbstmord 
solcher Leute die infantile Kastrationsdrohung ist?" 


schlechter erfahren, einzig weil ihm ein Membrum eigen, 
das jenem abgeht. Einem Landarzte danke ich fol¬ 
gende Szene, die er selber beobachtet. Ein Bub und 
ein Mädchen, beide zwischen 3 und 4 Jahren, geraten 
in Streit über ihre Vorzüge. Das Mädchen, als die 
zungenfertigere, droht schon, den Knaben niederzureden. 
Da in höchster Not macht er die Hose auf, nimmt sein 
Glied heraus und zeigt es jener mit den Worten: „Aber 
das hast du doch nicht!“ Die Wurzel des ganzen 
Knabenhochmuts lässt sich wahrhaftig nicht besser be¬ 
leuchten. 

Wirkt die Kastrationsdrohung aus irgendwelchen 
Gründen ganz besonders mächtig, dann kann sie bei 
dem Jüngling und Mann ein merkwürdig wechselndes 
Charakterbild erzeugen. Es schwankt dann nämlich 
seine Stimmung zwischen gewaltigem Hochmut und 
Ilerabsehen nicht nur auf Mädchen und Frauen, sondern 
überhaupt fast auf alle Menschen (Reaktionswirkung), 
und zwischen einem völligen Mangel an Selbstbewusst¬ 
sein bis zum Gefühl der absoluten Wertlosigkeit (wenn 
die Drohung nämlich verwirklicht wäre). Manchmal 
versucht man auch, wie der Kranke am Schlüsse dieser 
Zeilen durch sein Leiden zu imponieren oder sich Gel¬ 
tung durch Dinge zu verschaffen, die andere vermeint¬ 
lich nicht leisten können, etwa durch besondere geistige 
Leistungen. 

Ich weiss gar wohl, dass mit Vorstehendem die 
Bedeutung des Entmannungskomplexes nicht entfernt 
erschöpft ist. So scheint er z. B. noch bei mehreren 
Formen der Psychopathia sexualis von grosser Be¬ 
deutung und ich dart jetzt schon sagen, dass er bei 
der Bildung verschiedener Charaktereigenschaften eine 
ganz entscheidende Rolle spielt. Davon im Zusammen¬ 
hang zu reden, sei Ziel und Aufgabe einer späteren 
Arbeit. 

Hier nun ein einziges, aber klassisches Beispiel für 
die Wirkung des Kastrationskomplexes im Leben eines 
Menschen: 

Im Herbste 1914 übernahm ich von einem reichs- 
deutschen Kollegen, der in seine Heimat zurückkehren 
musste, einen interessanten Kranken. Dieser war zu 
ihm mit der Klage gekommen, er habe stets das lästige 
Gefühl, beobachtet zu werden. Wenn er beispielsweise 
mit einem anständigen Mädchen auf der Strasse gehe, 
fürchte er, man könne ihn anrempeln, weil er nicht das 
Recht dazu habe. Infolgedessen komme es auch immer 
zu einer Schwäche in den Beinen. Einem anständigen 
Mädchen gegenüber sei er vollständig impotent. Bei 
Dirnen habe er öfters masochistische Szenen aufgeführt, 
bei welchen er sich willenlos ihren Forderungen unter¬ 
warf. Noch viel häufiger spiele er solche Szenen in 
der Phantasie, wo er vollkommen eines Weibes Sklave 
sei, sie ihm befehle, sich ganz nackt auszuziehen und 
ihr unten am Genitale zu schlecken. Aus den Ergeb¬ 
nissen der Psychoanalyse füge ich noch hinzu, dass er 
eine ausserordentlich stark entwickelte Urethralerotik 
besass. Schon als Säugling litt er nach Aussage der 
Mutter sehr viel an Pollakurie, so dass seine Schenkel 
lange Zeit ganz aufgebissen waren. Sie habe alle Mühe 
gehabt, die Wunden wieder zur Heilung zu bringen. 
Bereits in der Schulzeit setzte auch eine schwere Dysuria 
psychica ein. 

Als eine der ihn beherrschendsten Verstellungen er¬ 
wies sich der Kastrationskomplex, der in sehr ver¬ 
schiedenen Schattierungen auftrat. Anfangs war Pa¬ 
tient geneigt, ihn darauf zurückzuführen, dass ihm die 
Mutter wegen Onanie mit dem Abschneiden des Gliedes 
gedroht habe. Doch konnte er sich trotz eifrigsten 

Nachdenkens nicht erinnern, bei masturbatorischen 

uriy in di ifj n i 


Digitized by 


Google 


UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



302 FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. Nr. 31' 


Übungen erwischt worden zu sein. „Nur etwas haftet 
mir noch im Gedächtnis. Ich hatte als Kind die Ge¬ 
wohnheit, die Zunge herauszustrecken, und da drohte 
mir die Mutter oft, mir die Zunge abzuschneiden.“ Im 
Verlaufe der Analyse wird ihm bewusst, dass er den 
Penis oft aus exhibitionistischer Lust entblösste, weshalb 
man ihn anschrie ; „Wirst du das hineintun, sonst nehme 
ich ein Messer!“ Infolge dieser Drohung des Vaters 
habe er später auch das Gefühl gehabt, sein Glied vor 
Männern nicht entblössen zn dürfen. Schliesslich kam 
er auf die Mutter als eigentliche Urheberin seiner Ka¬ 
strationsangst, was mit eine Ursache seiner starken homo¬ 
sexuellen Neigung ist. Weil er von dbr Säuglingszeit 
bis zu 3. 4 Jahren soviel urinieren musste, so sei die 
Mutter, wie sie selber erzählte, darüber oft schon zornig 
geworden. „Und ich vermute, sie sagte: ,Wenn du 
nicht aufhörst, wird man dir das einfach wegschneiden! 1 
Das ist jetzt nur meine Phantasie, aber ich vermute es“. 
Verschärft wurde die Härte dieser Drohung noch da¬ 
durch, dass er bis tief in die Schulzeit hinein mit ganz 
ausserordentlicher Zärtlichkeit an der Mutter hing. Das 
Anurinieren derselben erscheint ihm selber als Liebes- 
beweis 1 ), was in der Umkehrung dann in seinen maso¬ 
chistischen Phantasien wieder hervortritt. „Es bereitete 
mir nämlich die höchste Lust, unter dem Mädchen zu 
sitzen oder zu liegen und mich von ihnen anurinieren 
zu lassen“. Eine andere Ursache, weshalb ihn die 
Mutter mit Kastration bedrohte, war seine ausnehmende 
Exhibitionslust. „Ich habe mit besonderer Lust mein 
Glied entblösst und es bewundert. Dabei, vermute ich, 
erwischte mich die Mutter und hat mir mit dem Ab¬ 
schneiden gedroht. Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, 
dass ich sie mit meinem Penis in Versuchung führen 
wollte“. Auf eine letzte Ursachenreihe seiner Kastrations¬ 
angst kam er durch einen Traum. „Als ich nach Aus¬ 
sage der Mutter 16—18 Monate alt war, hatten wir 
einen bissigen Hund, zu dem ich einmal in einem un¬ 
bewachten Augenblick in die Hütte kroch. Dort Hess 
ich mich von ihm belecken, und zwar auch am Penis. 
Die Eltern, die mich so fanden, werden gesagt haben, 
er wird mir das Glied abbeissen. Später erinnere ich 
mich — wir hatten damals keine englischen Aborte, 
sondern offene, — fürchtete ich immer, von Ratten am 
Penis gebissen zu werden. Zwischen 11 und 14 Jahren 
endlich half ich meinem Vater bei der Gartenarbeit. 
Plötzlich spürte ich unten einen wahnsinnigen Schmerz, 
und als man nachschaute, fand man zu meinem Ent¬ 
setzen eine Ameise gerade auf meiner Eichel“. 

Neben dieser direkten Kastrationsangst, die un¬ 
mittelbar auf das Membrum geht, zeigt sich in vielleicht 
noch stärkerem Grade eine symbolische. Er hat z. B. 
vier falsche Zähne, um deretwillen er es nicht wagt, 
zu Mädchen in intimere Beziehungen zu treten. „Es ist 
mir ein fürchterlicher Gedanke, wenn ich mit einem 
Mädchen verkehrte und sie endeckte das, würde sie 
sofort erklären: ,Das ist kein Mann für mich!* und 
mich stehen lassen“. Natürlich sind die falschen Zähne 
ein falscher Penis und es ist bezeichnend, dass sein 
Vater heute noch nichts von ihen weiss, da er dies sorg¬ 
fältig vor ihm verhehlte. 

Wie hier die Zähne, treten andere Male Arm und 
Bein, die Augen, Zunge oder — Schnurrbart für das 
Membrum ein. „Ich habe stets besondere Furcht vor 
dem Fallen, eine furchtbare Angst, mir Arm oder Bein 
zu brechen. Das war schon als Kind so. Ich konnte 
deshalb nicht Eis laufen oder auf der Gasse schleifen 
wie andere Buben. Es war mir gar nicht möglich. 

') in einer früheren Studie „Über Urethralerotik“, Jahrb. f. ps 
a. Forschg. Bd. II, führte ich aus, dass das urethralerotische Kind, 
wenn nicht gerade seine- Blase überfüllt ist, bloss jene Personen an¬ 
pisst, die es innig liebt, wie Eltern, Kinderfrauen, Geschwister etc. 
und dass es diesen damit direkt einen warmen I.iebesbeweis gibt. 

Digitized by Google 


Den letzten Versuch machte ich in der Bürgerschule. Ich 
nahm einen Anlauf, aber wie ich auf das Eis kam, blieb ich 
stehen, während dies doch sonst das Hauptvergnügen der 
Jungen ist. Vor dem Fallen selber hatte das ich keine 
Furcht, der I lauptangstaffekt war, mir dabei Hand oder 
Full zu brechen. Wenn man in meiner Kindheit er¬ 
zählte: Der hat sich den Fuss zerbrochen, so verband 
ich das mit der Vorstellung, daß das überhaupt nicht 
mehr ganz zu heilen wäre. Vielleicht habe ich mir das 
zu drastisch vorgestellt, wie wenn einer Figur etwas ab¬ 
bricht. Und endlich fiel ihm selber die Lösung ein: Das 
muß eigentlich auch die Furcht vor der Kastration sein, 
dass mir der Penis gebrochen wird. Ich spüre auch oft 
eine Unsicherheit beim Gehen. Das heißt wohl, ich 
habe ein unsicheres Bein, einen unsicheren, versagenden 
Penis, was wieder zur Kastration zurückführt. Ich 
fühle mich wohl auch darum immer beobachtet, jeder 
Begegnende sieht mich an, weil ich kastriert bin.“ 

Daß ihm zum Entmannungskomplex vor allem an¬ 
dern die Drohung seiner Mutter einfiel, sie werde ihm 
die Zunge, die er ewig vorstreckte, einmal abschneiden, 
ward schon berührt. Seit seinem 14. Lebensjahre hat er 
heißeste Sehnsucht, einen schönen Schnurrbart, später 
auch noch einen schönen Spitzbart zu bekommen, „um 
als Mann zu gelten und Eindruck zu machen“. Es 
liegt auf der Hand, daß die Furcht, nicht als Mann zu 
gelten, wenn er keinen Schnurrbart habe, nichts andres 
bedeutet, als die Scheu vor der Kastration. Wem kein 
Schnurr- oder Spitzbart=Penis gewachsen, der ist eben 
kein Mann. Neben dieser Scheu besteht aber auch ein 
unverkennbares Verlangen in ihm, die Männlichkeit 
einzubüssen und zum Weibe zu werden, wenn dies auch 
nur in symbolischer Form zutage tritt. So hatte er 
eine ganz besondere Vorliebe für das Haarschneiden: 
„Mutter erzählte oft, während andere Kinder so ungern 
zum Friseur gehen, sich mit Händen und Füssen da 
J gegen wehren und selbst mein älterer Bruder, an dem 
ich so hing und dem ich sonst alles nachmachte, nur 
mit großer Mühe dorthin zu bringen war, bin ich — 
das erinnere ich mich noch genau — stets mit großem 
Vergnügen hingegangen. Ich hatte eine besondere 
Vorliebe für aas Haarschneiden und meine Haare 
waren tatsächlich immer kurz abgeschnitten.“ Und ein 
andermal begann er ganz plötzlich : „Gestern kam mir 
momentan der Gedanke, ob nicht auch das Essen, dem 
das Beißen vorangeht, dadurch eine Kastration be¬ 
deutet, für Kinder nämlich, und daß ich aus diesem 
Grunde so gern Würste aß, also Penis-Symbole?“ 

Am schärfsten jedoch tritt der Entmannungskom¬ 
plex in den folgenden zwei Symptomen zutage. Da 
hat er vorerst nach Aussagen der Ärzte eine ange¬ 
borene Myopie von der Mutter geerbt. Diese Kurz¬ 
sichtigkeit ist keineswegs so auffällig, daß sie etwa jeder 
auf der Stelle erkannte, allein trotzdem nimmt er sich 
jene mehr zu Herzen, als wenn er arm oder lahm oder 
selbst ein Krüppel wäre mit einem Stelzfuß. „Ich 
habe darum einen furchtbaren Zorn auf meine Mutter 
und habe ihr schon oft vorgeworfen: ,D u bist es 
eigentlich, die mich unglücklich gemacht hat! 1 Die 
Eltern sollen keinen Krüppel in die Welt setzen! Voll 
Neid habe ich immer auf die Normalsichtigen geblickt. 
Viel lieber möchte ich der ärmste Bettler sein, wenn ich 
nur ein normales Auge besäße!“ Bei der enormen Ver¬ 
breitung der Kurzsichtigkeit liegt wohl auf der Hand, 
daß hinter dieser gewaltigen Reaktion weit mehr sich 
birgt und die angeborene Myopie ihm nichts anderes 
bedeutet, als daß ihn die Mutter von Haus aus kastriert 
habe. Dies fand er nicht bloss selbst, sondern bewies 
es auch durch die Entstehung seiner Myopie-Scheu: 
„In der zweiten Volksschulklasse wurde ich auf Ver¬ 
langen meines Lehrers an der Augenklinik untersucht 
Man stellte alle möglichen Proben mit mir an und ich 

Original frem 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 31. 


FORTSCHRITTE DER MEDZIIN. 


303 


hatte eine riesige Angst. An der Wand war eine 
Barriere, an welcher die Patienten saßen, und da habe 
ich in Erinnerung, einer derselben hatte sich mit einer 
Kerzenflamme das Auge ausgebrannt. Das ist natürlich 
unrichtig. Der Doktor wird ihn mit dem Licht unter¬ 
sucht haben, und weil er sich vorbeugte, werde ich ge¬ 
glaubthaben, er brennt sich das Auge selber aus. Übrigens 
hatte ich dieser Tage auch große Angst vor Erblindung. 
Augenausstechen oder Blenden ist mir immer als etwas 
Entsetzliches erschienen. Und wenn mir nur etwas in 
die Nähe des Auges kommt, packt mich sofort eine 
furchtbare Angst, und ich drücke die Augen fest zu. 
Weil mir das Auge als Penis erscheint und meine Kurz¬ 
sichtigkeit als Entmannung, drum kam ich mir seit jeher 
minderwertig vor und trachtete stets, niemand merken 
zu lassen, daß ich myopisch bin. Wenn ich z. B. ein 
Konzert besuche, studiere ich nie das Programm im 
Saale, damit die Leute nicht meine Kurzsichtigkeit wahr¬ 
nehmen, sondern gehe auf die Toilette, um es dort un¬ 
beobachtet zu lesen. Habe ich es dann ziemlich im 
Kopfe, so verfolge ich es im Saale, als wäre ich normal- 
sichtig. Kurzum, es ist immer das wahnsinnige Be¬ 
streben, jene Schwäche vor jedermann geheim zu halten. 
So wissen es z. B. auch nicht die Parteien auf dem 
Gange, wo ich wohne, und wenn ich zu Hause lese, 
muß die Türe immer geschlossen sein, damit, falls je¬ 
mand kommt, er mich beim Lesen nicht überrascht. 

Nicht minder bezeichnend für den Kastrations¬ 
komplex ist ein zweites Symptom: seine außerordent¬ 
liche Furcht vor jeder, auch der kleinsten Operation. 
„Einmal sollte ich in der Schule geimpft werden, war 
aber um keinen Preis dazu zu bewegen. Ich hatte so 
furchtbare Angst vor dem Arzt, daß dieser vom Impfen 
abstehen mußte. Schon das bloße Wort ,schneiden“ 
oder ,operieren“ hat bei mir stets eine so große Furcht 
ausgelöst. Übrigens ist die Angst vor der Operation 
mit viel Neugier gemischt. Ich schaue z. B. chirurgische 
Instrumente in den Auslagekästen sehr gerne an und 
betrachte immer mit großen Interesse die Prosectur in 
den Krankenhäusern. Andererseits stelle ich mir schon 
die Überführung in den Operationssaal als etwas Fürch¬ 
terliches vor und setze das Operieren gleich dem Sterben. 
Vielleicht habe ich das von meiner Mutter geerbt. Ihr 
hat man auch geraten, sich wegen eines Gebärmutter- 
Vorfalls operieren zu lassen. Sie aber erklärte: 
ehe sie sich schneiden lasse, wolle sie lieber sterben. 
Ganz besonders gräßlich erscheint mir jede Operation 
in der Harnröhre, ja selbst das Katheterisieren“. Ähnlich 
begann er ein andermal: „Eine Bauchoperation dünkte 
mich immer etwas Entsetzliches, ebenso eine Amputation. 
Fürchterlich ist es mir, wenn jemand in eine Maschine 
hineinkommt, oder ihm, wie einem Bekannten, durch die 
Rotationsmaschine zwei Finger abgeschnitten werden. 
Die Stummel kamen mir so ekelhaft vor. Doch hatte 
ich wiederum, und zwar schon als Kind, besonderes 
Verlangen, ein amputiertes Bein zu sehen, den Stummel 
nämlich, und wie das verheilt ist. Wenn ich in späteren 
Jahren an eine Amputation dachte, daß da eine große 
Wundfläche entsteht, auf welche man beim Gehen auf- 
treten muß, dünkt mich das etwas riesig Schmerzhaftes.“ 
„Vielleicht stecken da Kindheitserinnerungen da¬ 
hinter, weil in der Fabrik, wo mein Vater Portier war, 
den Arbeitern öfters Finger von den Maschinen abge¬ 
rissen wurden und ich dann Gelegenheit hatte, sie in 
blutige Tücher eingehüllt zu sehen. Ein blutender Ver¬ 
band erschien mir immer schon als etwas Entsetzliches. 
Darum wollte ich mich ja auch von meiner Perversion, 
ein Mädchen am Genitale zu schlecken, dadurch kurieren, 
daß ich zu einer Dirne hingehe, während sie die Periode 
hat. Allein ich unterließ es dann doch ” — „Was wird 
denn hinter der Scheu vor dem blutigen Verband ur- 
sprünglich stecken?“ — „Sollte das auf die Mutter! 

Digitized by Google 


f ehen? Wenn sie die Periode hatte, trug sie eine 
lonatsbinde. Und in späteren Jahren wegen ihres Ge¬ 
bärmuttervorfalls auch eine Binde. Nur glaube ich 
nicht, daß ich jemals eine blutige Binde zu sehen be¬ 
kam. Denn ich weiß, sie hat sie immer sorgfältig weg¬ 
geräumt.“ — „Das würde nicht hindern, daß Sie eine 
solche doch einmal zufällig zu Gesicht bekamen.“ — „Ja, 
nur erinnere ich mich nicht. Bloß das eine kann ich 
sagen: Blut zu sehen oder gar selbst zn bluten ist bei 
mir stets mit großer Angst verbunden. Und da ich 
mich einmal als Lehrling ziemlich tief in den Finger 
geschnitten hatte, wurde mir augenblicklich übel. An¬ 
derseits besteht- wieder ein starkes Interesse für Blut 
und damit zusammenhängend für Leichen und Sezier¬ 
säle. Auch die Schilderung von Hinrichtungen, wo 
einer geköpft wird, hat mich sehr gefesselt. Stets kam 
mir der Gedanke : wie muß eine Halspartie ausschauen, 
wenn der Kopf abgeschlagen ist? Das Sehen von Blut 
hat immer furchtbare Angstaffekte bei mir ausgelöst, 
sogar wenn ich selber Nasenbluten hatte. Und wahr¬ 
scheinlich hängt damit auch meine entsetzliche Scheu 
vor chirurgischen Abteilungen zusammen; denn eine un¬ 
blutige Operation erscheint mir gar nicht schreckhaft. 
Jetzt muß ich an Esmarchs ,Erste Hilfe“ denken. 
Dort erfüllte mich mit Entsetzen die Darstellung eines 
offenen Schenkelbruches. Wie das blutige Bein heraus¬ 
steht, das erschien mir gräßlich. Da Bein gleich Penis 
zu setzen ist, wie wir öfters schon herausbrachten, so 
wäre dies das Bild einer frischen Kastration. Über¬ 
haupt habe ich mir diese immer als ein reines Ab¬ 
schneiden des Gliedes vorgesteilt, wobei aus der Schnitt¬ 
fläche das Blut herauskommt.“ 

„Noch eins sei angeführt: jede Operation mutet 
mich an wie ein schwerer Eingriff in den Organismus, 
der sich nie wieder so hcrstellen kann. Mindestens die 
benachbarten Organe zeigen immer eine gewisse Ver¬ 
kürzung. Es findet ja stets eine Zusammenziehung 
statt. Ich habe den Gedanken: die Stelle kann nie 
wieder so hergestellt werden wie früher. Auch das 
spricht dafür, daß ich in jeder Operation eine Kastration 
erblicke.“ 

„Erwähnen will ich noch, daß ich seinerzeit eine 
wahnsinnige Freude an Laubsägearbeiten hatte, bis tief 
in meine Lehrzeit hinein. Während andere Burschen 
meines Alters schon an Mädel denken, stand mein Sinn 
stets nur auf Laubsägearbeiten. Da hier auch immer 
geschnitten wird, muß dies wohl mit der Kastration Zu¬ 
sammenhängen.“ 

„Als eine Art von Kastration“ empfand er es be¬ 
reits in der Kindheit, dass seine sehr prüde Mutter ihm 
streng verboten hatte, von geschlechtlichen Dingen über¬ 
haupt zu sprechen. „Sie sagte wiederholt: ,Weh dir, 
wenn du über solche Dinge redest!“ Namentlich war 
mir die Bezeichnung des Gliedes scharf untersagt. Viel¬ 
leicht ist es auch so. daß das Verbieten des Wortes die Kas¬ 
tration bedeutet. Das Wort war ja Symbol für den 
Penis und mit dem Verbieten des Wortes hat sie gleich¬ 
sam eine Kastration an mir vollzogen. Später konnte 
ich auch meinen Kollegen gegenüber nie eine Bezeich¬ 
nung für Penis gebrauchen. 'Noch eins: die feine Aus¬ 
drucksweise ist ja ein Spezificum der Juden. Und um 
nicht als Jude, um nicht kastriert zu erscheinen, habe 
ich oft absichtlich ordinäre Worte gebraucht.“ 

Zum Schluß will ich noch einen sehr merkwürdigen 
Traum des Kranken erzählen, der Vieles aufklärte : 

„Mir träumte, ich bin in einer Restaura¬ 
tion und da verlangt jemand plötzlich eine 
Schwalbe zu essen. Mich packte ein Riesen¬ 
zorn, daß man so ein liebes Vi ec h e r 1 u m - 
bringen soll, da kam aber schon der Kellner 
mit einem Tuche, in das er die Schwalbe 
hinein gegeben hatte, und schlug es mit 

s iraTf? 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



304 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 31 


aller Gewalt auf den Pfeiler. Natürlich 
war das Tier tot, das Blut rann heraus 
und traf einen Gast, der in Hemdärmeln 
dort saß, und das Hemd wurde voll Blut. Ich 
hatte eine weiße oder lichte Hose an, die 
natürlich auch voll ward. Jetzt hielt sich 
der Gast darüber auf, der Kellner wollte 
aber mit ihm noch grob sein. Als sich da ein 
Wortwechsel entspann, begann ich-dreinzu¬ 
reden: ,Schaue n Sie erst micli an, wie ich 
aussehe! 1 Nun wollte der Kellner mich 
durchaus beschwichtigen, weil ich au Her 
Rand und Band war.‘ Da reißt der Traum plötz¬ 
lich ab. Wenn man für Schwalbe ,Vogel“ setzt gleich 
Penis, so bedeutet das Erschlagen des Vogels, wobei 
das Blut herausrinnt, natürlich eine Kastration. Als 
ich mir heute den Traum vergegenwärtigte, mußte ich 
sofort an die Menstruation denken. Hierzu will ich 
aber bemerken, daß mir bis zur Lehrzeit die Menstrua¬ 
tion vollkommen unbekannt war.“ — „Das dünkt mich 
sehr auffallend. Wir sprachen schon einmal die Ver¬ 
mutung aus, daß Ihre besondere Scheu vor blutigen 
Tüchern auf die durch Menstrualblut beschmutzten 
Monatsbinden oder Leintücher der Mutter zurückgehen 
dürfte, und auch damals betonten Sie Ihre Unwissenheit 
in all diesen Dingen.“ — „Auch das ist sehr merk¬ 
würdig: ich kann mir die weiblichen Genitalien gar 
nicht zusammen mit der Menstruation denken. I c h 
muß sie mir immer rein vorstellen und 
mir fehlt jegliches Ekelgefühl. Sonst 
wäre ja nicht meine Lieblingsphantasie, eine Frau am 
Genitale zu schlecken. Hätte ich mir ein Weib men¬ 
struierend gedacht, so müßte mich ein Ekel erfaßt 
haben. Blut und blutgetränkte Tücher sind doch eigent¬ 
lich etwas ganz natürliches, wie z. B. bei Nasenbluten, 
aber mir machte ein blutgetränktes 
Sacktuch immer Ekel zugleich mit 
Entsetzen, und zwar schon in der Kindheit.“ — 
„Wenn es richtig ist, daß Sie einmal die Menstrua¬ 
tionswäsche der Mutter sahen, sollten wir da nicht an¬ 
nehmen können, daß Sie die Mutter darnach fragten 
und diese in ihrer Prüderie Sie scharf zurückwies, so 
daß Sie fortab jedes Denken an die Menstruation ver¬ 
drängten?“ — „Mir fällt da ein Traum aus meiner 
Bürgerschulzeit ein: Meine Mutter liegt mit 
dem Oberkörper im Bett und der Unter¬ 
körper fehlt gänzlich, wobei ich eine 
furchtbare Angst hatte. Das heißt doch wohl: 
ich habe den ganzen Unterkörper der Mutter samt 
ihrem Genitale verdrängt. Man sagt ja häufig auch 
,Unterleib“ für den Geschlechtsteil. Und das Fehlen der 
Genitalien wäre ja eine Kastration. Dieser Traum muß 
auch mit dem Blut und daß mir dies so schrecklich er¬ 
schien irgendwie Zusammenhängen. Ich erzählte ja schon, 
ich habe mir das Kastrieren als Abschneiden des Gliedes 
vorgestellt, wobei aus der Schnittfläche Blut heraus¬ 
kommt. Und die Menstruation wäre ein analoger Vor¬ 
gang. Wenn eine Frau die Periode hat, so ist ihr eben 
der Penis abgeschnitten worden.“ — „Und sie können 
sich die Menstruation beirii Weibe nicht denken, weil 
Sie sich mit der Vorstellung nicht befreunden können, 
das Weib oder die Mutter sei kastriert worden?“ — 
„Ja. Da der Knabe nichts Ähnliches hat wie die Men¬ 
struation, kann er sie nur als eine Art von Kastration 
auffassen.“ — „Und wer soll diese bei der Mutter be¬ 
sorgt haben?“ — „Das könnte nur der Vater gewesen 
sein. Halt, jetzt erklärt sich ja auch der Schwalben¬ 
traum. Der Vater ist der Gast, der die Schwalbe zu 
essen verlangt, und wohl auch der Kellner, welcher sie 
umbringt und diese Tat dann so eifrig verteidigt. Und 
ich halte mich endlich darüber auf, daß der Vater die 
Mutter blutig ,operiert“ hat.“ — „Das Ganze scheint 

Digitized by Google 


! mir darauf zu weisen, daß Sie in zartester Kindheit 
den Verkehr der Eltern belauschten und ihn dann mit 
der blutigen Wäsche in Verbindung brachten. 1 ) 

„Und noch eins wäre mir jetzt verständlich : meine 
fixe Idee, daß ich bei einem reinen Weibe impotent 
wäre. Die müßte ich ja nach kindlicher Anschauung 
kastrieren und vor dem Kastrieren habe ich mich immer 
allzusehr gefürchtet. Wie erklärt sich aber das? Als 
Schulknabe habe ich die Mädel so verachtet und mich 
weit erhabener gedünkt. Heute aber ist just das Ge¬ 
genteil der Fall, da erscheint mir das Weib als ein so 
erhabenes Wesen, daß ich gar nicht herankann an sie.“ 
— „Wer wird das erhabene Weib sein, an welches Sie 
nicht heran können?“ — „Dies kann eben nur die 
Mutter sein?“ — „Ganz richtig. Und wir haben auch 
schon herausgebracht, daß diese Urbild des reinen 
Mädchens war. Zu beiden Vorstellungen kamen Sie 
jedoch durch die Verdrängung des Kastrationskom¬ 
plexes bei Ihrer Mutter. Sie sagten z. B.: ein blutge¬ 
tränktes Tuch habe nicht bloß Entsetzen bei Ihnen, 
sondern auch Ekel hervorgerufen.“ —. „Ja, der Ekel 
kann nur von verdrängter Kastration herrühren. Von 
der Mutter habe ich ja, wie die Träume erweisen, den 
Unterleib, das ganze Genitale verdrängt und kann mir 
das Weib überhaupt nicht blutend vorstellen.“ — „Sie 
sehen hier etwas, das wir schon von der Neurose her 
kennen: die Spaltung des Weib-Komplexes in die himm¬ 
lische und die irdische Venus. Einerseits erhöhen Sie 
das Weib zu einem Geschöpf, das keine Blutungen, ja 
überhaupt kein Genitale besitzt, zu einem derart er¬ 
habenen Wesen, daß Sie an es gar nicht herankönnen, 
es nicht einmal berühren dürfen. Vorbild ist die eigene 
Mutter, bei welchem absolut reinen Weib Sie ganz natur¬ 
gemäß impotent waren. Die Mißachtung hingegen Ihrer 
Kindheit gegen alle Frauen versparen Sie jetzt für das 
nureine Weib, die Dirne, die Sie geschlechtlich brauchen, 
ja sogar pervers mißbrauchen dürfen.“ 

Zum Schlüsse noch etwas von der Wirkung der 
Entmannungsdrohung auf meinen Patienten. Zunächst 
löste sie einen ungeheuren Trotz gegen seine Eltern in 
ihm aus, mit denen er oft wochenlang kein Wort mehr 
sprach, was sich mitunter selbst jetzt noch wiederholt. 
Auch mir gegenüber kehrte er diesen Trotz hervor, in¬ 
dem er während der Psychoanalyse zwar nicht geradezu 
die Rede weigerte, wohl aber das Vorbringen neuer 
Einfälle. Er hatte da angeblich gar nichts zu sagen. Be¬ 
gonnen hatte nach seiner Erinnerung dieser Redetrotz 
bereits in der Volksschule, da man ihn ob seiner Kurz- 

*) Ein anderer Kranker, dessen Entmannungskomplex ich psycho¬ 
analytisch aufgedeckt hatte, brachte mir folgenden Kastrationstraum: 
„Ich bin in einer Garderobe und finde meinen 
Winterrock nicht. Ich suche aber in aller Ge¬ 
mütsruhe und nach langem Suchen finde ich ihn 
doch. Er hing nur anderswo, als ich ihn hinge¬ 
hängt hatte. — Das ist bei mir ein typischer Traum, den ich 
schon wiederholt seit meiner Kindheit träumte. Nur war er früher 
immer mit Angst verbunden; ich hatte das Bewußtsein einer pein¬ 
lichen Situation, so als hätte man mir den Winterrock gestohlen. 
Erst das letzte Mal, da wir meinen Kastrationskomplex so ziemlich 
aufgelöst hatten, bestand die Angst nicht mehr, oder vielmehr, ich 
unterdrückte sie sofort und vermutete im Traum, man habe den 
Winterrock zum Scherz anderswohin gehängt.' - Deutung des 
Traumes: Der Winterrock als etwas Hängendes ist natürlich der 
Phallus. Der Traum, man habe ihn mir gestohlen, geht wohl auf 
folgenden Scherz zurück; Gewisse Frauen lieben es, dem kleinen 
Knaben zu drohen, sie nähmen ihm dasVogerl weg, wie es auch mir 
passierte. Die Frauen machen dann eine Bewegung in jene Gegend, 
wobei sie eventuell dem Kinde noch die Hände halten, so daß es 
sich nicht überzeugen kann, ob der Penis noch vorhanden ist oder 
nicht. Oder aber, das Kind schämt sich hinzugreifen, und ist einige 
Minuten oder Augenblicke tatsächlich der Meinung, man habe ihm 
das Glied weggenommen. Das Stehlen des Winterrocks im Traum 
geht vielleicht darauf zurück, daß ich bei meinem ersten diesbezüg¬ 
lichen Erlebnissen wirklich glaubte, man habe mir den Penis gestohlen, 
bis ich entdeckte, dies sei gar nicht wahr. Später habe ich dann 
die Leute, wenn sie wieder solche Scherze machten, einfach ausge¬ 
lacht." 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 31. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


305 


sichtigkeit hänselte. „In der Lehrzeit habe icli zuhause 
oft tagelang nicht gesprochen. Da habe ich die Verbote 
und überhaupt alles, was gegen mich gerichtet war, mit 
Trotz beantwortet und jedes Verbot derart erweitert, 
daß es sich ins Gegenteil verkehrte. Hieß es z. B.: 
.Jetzt sei still!' so redete ich fortab überhaupt nichts, bis 
es den Andern unangenehm wurde. Sehr ‘häufig kehrte 
sich sein Trotz auch gegen die eigene Person. „Wenn 
mir etwas nicht gelang, mußte ich mir oft denken: 
.Recht geschieht dir!“ Es war gewissermaßen eine 
Selbstkränkung, die ich soweit trieb, daß ich den 
ganzen Appetit verlor.“ Wie man sieht, führt hier der 
Trotz zum Autosadismus. Ebenso auch in folgendem 
Zuge : ,,Es steht irgendwo ein Straßenbahnzug, den ich 
gern benutzen möchte. Ich könnte ihn noch erreichen, 
wenn ich liefe. Ich laufe aber nicht Nein, er soll da- 
vonfahren Dann fährt er wirklich fort, ich muß lange 
warten und ärgere mich die ganze Zeit: wo wärst du 
jetzt schon, was hättest du unterdeß machen können! 
Also Wut und Arger über mich selbst.“ 

Bezeichnend ist auch sein Gehaben im Alltagsleben. 
Nach jeder Richtung hin gibt er eine dürftige Er- 
scheitiung ab körperlich wie geistig. In seinem Berufe ist 
er angeblich wegen seiner Neurose und seiner ange¬ 
borenen Myopie nicht sehr leistungsfähig. „Aber trotz¬ 
dem“, berichtet er, „habe ich mich über die Arbeiter 
und Kollegen erhaben gedünkt, dann aber stieg mir 
sofort auf: wenn dies ein anderer wüßte, möchte er 
darüber lachen. Seit frühester Kindheit hatte ich schon 
die Sucht, mich hervorzutun. In der Schule fühlte ich 
mich den Kameraden stets geistig voraus, obwohl das 
in Wirklichkeit gar nicht der Fall war. Immer hatte 
ich die Idee: bevor es der andere erfaßt, hast du es 
schon mit Leichtigkeit weg. Tatsächlich aber war dies 
nur in meinen Gedanken so, denn mein Abgangszeugnis 
war sehr schlecht. Mir war stets so, als ob ich den 
Lehrern voraus denken könnte, als wäre für mich nur 
Spielerei, das aufzufassen. Ich weiß, es war nur Größen¬ 
wahn, aber trotzdem ist es heute noch vorhanden, wenn 
ich mich z. B. jedem Redner weit überlegen fühle.“ 
Später ergänzt er noch: „Obwohl ich eine Null bin, 
komme ich mir immer so bedeutsam vor und schaue 
gewissermaßen aus einer Höhe auf die andern herab. 
Ich sagte ja schon, ich hielt mich wegen meiner ange¬ 
borenen Myopie für minderwertig. Ob das ganze nicht 
zu einer Reaktion, zu einer potenzierten Überwertigkeit 
geführt hat, zu einen kleinem Größenwahn möchte ich 
sagen?“ 

Endlich brachte er noch folgende typische Reaktion 
zur Sprache: „Das Selbstbewußtsein gründet sich auf 
den Eindruck, den man auf Andre macht. Ist man 
außer stände, diesen zu imponieren, so fehlt einem auch 
das Selbstbewußtsein. Nun hatte ich keine Leistungen 
aufzuweisen, durch welche ich Eindruck machen konnte. 
So wollte ich es wenigstens im passiyen Sinne, indem 
ich mich als wirklich leidend hinstellte. Ich kann mich 
erinnern, kurz nachdem ich an der Klinik untersucht 
worden war, habe ich zu Hause und bei den Kameraden 
meine Leiden als recht schwer hingestellt. Ich sagte 
sogar — das weiß ich noch genau — der Professor 
fände meinen Fall sehr bedeutsam es bestände sogar 
Gefahr, daß ich erblinde. Ich habe also gewissermaßen 
mit der Kastration geprotzt. Kann man auf normale 
Art keinen Eindruck machen, dann versucht man es 
anders, um wenigstens bedauert zu werden. Ich 
habe mich immer bedeutsam gefühlt, 
wenn ich das erzählt e.“ 


Digitized by Google 


Der Operationszwang zur Erlangung der Militär- 
taugllchkeit. 

Dr. HansLieske, Leipzig. 

Ohne Zweifel könnte Deutschland noch viel mehr 
Soldaten aufbringen, wenn einzelne, die wegen eines 
kleinen, leicht zu behebenden F'ehlers militärfrei sind, 
sich der nötigen Operation unterzögen. 

Wohl infolgedessen hört man vielfach die Behaup¬ 
tung, der Staat könne jeden zwingen, sich zwecks Her¬ 
beiführung der Militärtauglichkeit operieren zu lassen. 

Freilich hat sich hiergegen auch ein Sturm des 
Widerspruchs erhoben. Man verwies auf die freien 
Menschen- und Persönlichkeitsrechte. Niemand könne 
genötigt werden, fremde Einwirkungen an seinem Körper 
vornehmen zu lassen; jede Operation, auch die harm¬ 
loseste, sei mit Gefahr verbunden. 

Ist jedoch die Anschauung vom Operationszwang 
wirklich so verkehrt? Durchaus nicht! Wenn sie auch 
nicht in jener weitgehenden Fassung zutrifft, so hat sie 
doch einen guten Kern. Der Satz, niemand brauche 
sich fremde Einwirkung auf seinen Körper gefallen zu 
lassen, klingt zwar bestechend. Aber bei näherem über¬ 
legen linden wir bald, daß er Ausnahmen aufweist. 
Man denke znm Beispiel an den sogenannten Impfzwang. 
Jeder von uns mußte sich bekanntlich zweimal in seinem 
Leben zum Schutze gegen Pockenerkrankung impfen 
lassen. Wenn wir uns nun im öffentlichen Interesse, 
um dem Ausbruch einer Pockenseuche entgegenzu¬ 
wirken, impfen lassen müssen, warum sollten wir nicht 
auch gezwungen werden können, zum Besten unserer 
Landesverteidigung, zur Vergrößerung unserer Heeres¬ 
macht, uns einer Operation zu unterziehen, um dadurch 
die Militärtauglichkeit zu erlangen? 

An sich ist also der Gedanke des Operationszwanges 
zur Heibeiführung der Heeresdienstfähigkeit gar nicht 
so fernliegend. Und doch besteht gegenüber dem Impf¬ 
zwang ein ausschlaggebender Unterschied. Der Impf¬ 
zwang ist im Gesetze ausdrücklich ausgesprochen. In 
keinem Militärgesetze findet sich aber eine Bestimmung, 
daß wir uns operieren lassen müssen, um militärtauglich 
zu werden. Deshalb stimmt die Behauptung, wonach 
derjenige, der noch kein Soldat ist, nicht gezwungen 
werden kann, sich einer Operation zu unterziehen, um 
dadurch die körperliche Fähigkeit zum Soldaten zu er¬ 
reichen. Lhirecht aber haben jene Verfechter „der freien 
Menschenrechte“, wenn sie mit ihrem Widerspruch aus- 
driicken wollten, auch der Soldat könne es ablehnen, 
sich zum Zwecke erhöhter Militärtauglichkeit operieren 
zu lassen. Denn solcher Zwang auf den Soldaten kann 
Kraft der militärischen Befehlsgewalt ausgeübt werden. 

Nehmen wir an, der 28 jährige Kaufmann Paul 
Müller hat sich vor einigen Jahren infolge eines Sturzes 
eine Sehnenzerrung zugezogen, die ihn im Gebrauche 
des einen Beines so stark behindert, daß er militärun¬ 
tauglich ist. Er ist sonst kerngesund und könnte durch 
eine Operation der Sehne, die weder lebensgefährlich 
wäre, noch auch ein Risiko für die spätere Benützbar¬ 
keit des Beines bedeuten würde, der Fehler völlig be¬ 
seitigt und die Heeresdienstfähigkeit des Müller herge¬ 
stellt werden. Darf hier die Militärbehörde den Müller 
zur Duldung der Operation zwingen? Nein. Solange 
Müller nicht in das Heer eingestellt ist, kann ihm kein 
militärischer Befehl erteilt werden, sich der Operation 
zu unterziehen. Der Militärbehörde bliebe also nur das 
Mittel, den Müller trotz seiner Untauglichkeit in das 
Heer einzustellen und ihm dann den dienstlichen Be¬ 
fehl zur Duldung der Operation zu geben. Müller wird 
vielleicht dagegen einwenden, daß er, wenn er nicht 
militärtauglich sei, auch nicht eingestellt werden könne. 
Er wird aber mit dieser Entgegnung kein Glück haben. 
Die Entscheidung darüber, ob jemand heeresdiensttaug- 

Origirtal ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 



306 


Fortschritte der Medizin. 


Nlr. 3l. 


lieh sei, liegt allein im Ermessen der Militärbehörde 
Und wenn der Militärarzt sich auf den Standpunkt stellt, 
daß Müller tauglich sei, sich dabei insgeheim vorbehaltend, 
ihn alsbald nach seiner Einstellung zu operieren, so 
wird sich gegen solches Verfahren rechtlich nichts Vor¬ 
bringen lassen. 

Damit kommen wir zu den mit körperlichen Fehlern 
behafteten Militärpersonen. Es gibt manchen Soldaten, 
der infolge eines kleinen Makels lediglich garnisondienst¬ 
fähig ist und durch eine einfache Operation die Feld¬ 
dienstfähigkeit erlangen könnte. Man denke zum Bei¬ 
spiel an einen Bruch oder an einen Kropf, Gebrechen, 
die häufig durch einen harmlosen medizinischen Eingriff 
zu beseitigen sind. Handelt es sich hier um eine wirk¬ 
lich leichte Operation und besteht nach dem Standpunkte 
der medizinischen Wissenschaft die Gewähr dafür, daß 
die Operation wirklich die Kriegsverwendungsfähigkeit 
herbeiführt, so wird der Soldat gezwungen werden 
können, sich ihr zu unterziehen. So gut er sonstige 
Anordnungen seiner Vorgesetzten zu befolgen hat, so 
gut muß er auch dem dienstlichen Befehle gehorchen, 
sich operieren zu lassen. Dieser Befehl wird vom 
Regimentskommandeur oder von einer noch höheren 
Stelle nach pflichtgemäßem Ermessen ausgehen müssen. 
Vorgesetzte niederer Ordnung werden bei der Tragweite 
einer solchen Anordnung nicht dazu befugt sein. 

Allerdings darf man das Recht der Militärbehörde, 


I den Soldaten zur Duldung einer Operation zu zwingen, 
nicht überspannen. Wie bereits angedeutet, braucht sich 
der Soldat nur harmlosen Operationen zn unterziehen. 
Ist mit der Operation eine Lebensgefahr verbunden, so 
kann kein dienstlicher Befehl ihn nötigen, sie an sich 
vornehmen zu lassen. Deshalb kann der Soldat jede 
Operation ablehnen, die Chloroform- oder Äthernarkose 
erfordert. Denn die Narkose ist nie gefahrlos ; sie birgt 
immer die Gefahr des Nichtmehrerwachens in sich. Anders 
ist es bei Operationen, bei denen nur bestimmte Körper¬ 
stellen durch Einspritzen von Medikamenten unempfind¬ 
lich gemacht werden, wie das zum Beispiel bei Bruch¬ 
oder Kropfoperationen in der Regel geschieht. Solchen 
Eingriffen wird sich der Soldat nicht entziehen können. 

Man könnte allerdings sagen — und diese Meinung 
wird auch vertreten —, wenn der Vorgesetzte den Sol¬ 
daten draußen im Felde an einen gefährdeten Posten 
stellen oder ihn zum Sturme gegen todspeiende Festungs¬ 
werke ansetzen könne, dann müsse er doch auch das 
Recht haben, ihn zur Dnldung jeder, auch der gefähr¬ 
lichsten, Operation zu zwingen. Diese Anschauung ist 
aber unrichtig. Der Kampf im Felde, der Ansturm gegen 
den Feind, ist des Soldaten heiligster Beruf. Und es 
ist etwas ganz anderes, wenn der Vorgesetzte ihn zur 
Erfüllung dieser Kampfespflicht aufruft, als wenn er ihn 
zwingt, sich unter das Messer des Arztes zu begeben. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Spiegel, Die Diptherie und ihre Behandlung. (Reichs- 
Medizin al-Anzeiger, Nr. 9, 1916.) — 

Es wird empfohlen, die Serumbehandlung so früh wie 
möglich einzuleiten und zwar eine möglichst hohe Dosis ein¬ 
malig zu injizieren, daneben prophylaktisch mit Beginn der 
Behandlung Herzmittel zu verabreichen. 

Wern. H. Becker-Herborn. 

Hasebroek, Eine neue Auffassung über die Patho¬ 
genese der Krampfadern. (Reiclis-Medizinal-Anzeigcr, Nr. 8, 
1916.) — 

Verfasser führt die Entstehung der Varicen nicht auf 
primär entstandenen hydrostatischen Druck oder auf Herzklap- 
peninsufficieuz sondern auf gesteigerten arteriopulsatorischen 
Strom also auf die Vis a tergo zurück. 

Wern. H. Becker-Herborn. 

Kehrer, Die Differenzialdiagnose der Gicht, (Reichs- 
Medizinal-Anzeiger, Nr. 7, 1916.) — 

Besprechung der Methode, die Gicht aus dem Harnsäure¬ 
gehalt von Blut und Urin bei purinfreier Diät unter Atophandar- 
reichung zu diagnostizieren. Anführung von neuen einschlägigen 
Fällen. Hervorhebung des Wertes dieser Methode, die auch 
eine Früdiagnose zu einer Zeit gestatte, wo die klinischen Symp¬ 
tome noch völlig fehlen. 

Wern. H. Becker-Herborn. 

Roth, Die Beeinflussung des Pulses durch die Atmung- 

(Corres. Blatt f. Schweiz. Ärzte. 1916. Nr. 19.)- 

Verfasser bespricht an der Hand einiger Kurven die Be¬ 
einflussung des Pulses durch die Atmung, wobei er die Schwan¬ 
kungen, bei denen Puls und Atmung von zentralen Einflüssen 
abhängig sind, nur kurz erwähnt. In den Fällen, in denen 
der Puls direkt von der Atmung abhängig ist, unterscheidet 
er solche, in denen die Atmung reflektorisch Pulsschwankungen 
auslöst (Arythmia respiratoria) und solche, in denen die At¬ 
mung eine mechanische Beeinflussung ausübt (Pulsus paradoxus). 


Die erste bezieht er auf eine Vaguswirkung; lässt es aber aus¬ 
drücklich dahingestellt, ob nicht in manchen Fällen „die 
respiratorische Arythmie doch als Folge einer Herzschädigung 
aufgefasst werden muss“. 

Die zweite Gruppe teilt er in dynamisch und mechauisch 
verursachte Fälle ein. Im ersteren Falle muss, „wenn entweder 
der inspiratorische Zug von Seiten der Lungen viel grösser ge¬ 
worden ist als in der Norm (z. B. bei Stenosen der Luftwege 
usw.), oder wenn das Herz und Gefässe an Widerstandskraft 
verloren haben, der Einfluss der Atmung sofort durch eiue 
geringere Füllung der peripheren Arterien zur Zeit der Inspi¬ 
ration deutlich werden.“ im zweiten Fall handelt es sich um 
eine erschwerte Füllung der Arterien infolge von Verwachsun¬ 
gen des Herzens. Da selbstverständlich beim Pulsus paradoxus 
die Arythmia respiratoria störend wirken kann, so kann man 
durch Injektion von einem Milligramm Atropin diese aus- 
schalteu. Boenheim. 


Chirurgie und Orthopädie. 

S t o 1 1 e r, Ober die Erfolge der Behandlung der Hüft¬ 
gelenkstuberkulose, Reichs-Medizinal-Anzeiger, Nr. 6, 1916. 

Verfasser rühmt die chirurgischen Erfolge gegenüber allzu 
konservativer Behandlung, erkennt aber dabei den Nutzen der 
Höhen- und Sonnenbehandlung oder auch der Freiluftbehand¬ 
lung wohl an. Er empfiehlt deshalb die Verbindung vou 
Radikaloperation mit Höhen- und Sonuenbehandlung. 

Wern. H. Becker-Herborn. 

H a r 11 e i b, Transversalschuss durch beide Sehzentren- 

Reichs-Medizinal-Anzeiger, Nr. 1, 1916. — 

Verfasser hat als leitender Arzt eines Reservelazaretts eineu 
relativ seltenen Fall zu sehen bekommen, nämlich eine Schuss¬ 
verletzung, die am Os‘ occipitale 8 cm oberhalb des Ohran¬ 
satzes ihren Einschuss und genau entsprechend in derselben 
Höhe 8 cm oberhalb des rechten Ohransatzes ihren Ausschuss 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr. 31 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


307 


hatte. Die anfänglich vorhandene totale Amaurose lehrte, dass 
beide Selizentren lädiert waren Nach 4 Monaten trat Besse¬ 
rung ein, die immer mehr wieder das Sehen ermöglichte, 
schliesslich aber zum Stillstand kam. Zurückblieb ausser einer 
gewissen Sehschwache eine starke, besonders rechtsseitige Ein¬ 
engung der Gesichtsfelder. 

Wern. H. Becker-Herborn. 

Kirchberg, Franz, Beurteilung und Nachbehandlung 
von Lungenscbüssen. Zeitschr. f. physik. und diätet. Therapie 
XX. 1916. 5. Heft. S. 131-151. 

Wir lachen alle über den Vogel Strauss, der bei drohender 
Gefahr seinen Kopf versteckt. Aber wir tun das mit Unrecht, 
denn wir Menschen handeln häufig genug nicht anders. So 
erklärt der Chirurg den Pat. mit Luugenschuss für geheilt, 
wenn sich die äusseren Wunden geschlossen haben Den 
inneren Verletzungen schenkt er weiter nicht viel Beachtung. 
Im vorliegenden Aufsatz beleuchtet K. gerade diese letzteren, 
die Verwachsungen, Verlagerungen, ev. angefachte Tuberkulose¬ 
herde und betout, dass man Lungen-Verwundete noch lange 
vor dem Röntgenschirm bezw auf Photographien kontrollieren 
müsse. Die Bemerkungen über die physiologische Bedeutung 
des so wenig bewerteten Zwerchfells erscheinen mir in jeder 
Hinsicht verdienstlich Dem Zwerchfell kommt denn auch bei 
dem Bestreben, die Verwachsungen zu lösen, die erste Rolle 
zu. Daneben wendet K auch noch Lagerungen, Saug- und 
Druckbehandlung au Ich möchte auf Grund eigener Er¬ 
fahrungen noch Heissluft-Prozeduren und Moorbäder bei¬ 
fügen. 

Wenn wir uns daran gewöhnen, ähnlich wie bei den 
Lungenschüssen auch bei anderen inneren Erkrankungen den 
weiteren Verlauf der Dinge nach der äusserlichen Heilung 
weiter zu verfolgen, werden wir den Pat vor mancher späteren 
Beschwerde behüten Aber der schon vor 10U Jahren von 
Broussais gegebene Rat findet weder bei Arzt noch Pat. 
viel An klang. Buttersack 


Psychiatrie und Neurologie. 

K S c h i 1 1 i n g, Die nervösen Störungen nach Telephon¬ 
unfällen (Zeitschr. f. d. ges. Neurol. und Psycho!., XXIX, I 
1915. Heft 3 4). 

Nach einer sorgfältigen Analyse der nervösen Störungen 
bei Telephonunfällen, bei denen die psychischen Beeinflussungen 
von den rein mechanischen Faktoren der elektrischen Strom¬ 
wirkung zu trennen der Versuch gemacht wird, kommt Verf. 
zu dem Resultat, dass die nach Telephonunfällen entstehenden 
Krankheiten sich zusammensetzen aus einer allgemeinen ner¬ 
vösen Störung unter dem Bilde der Neurasthenie, Hysterie und 
Hypochondrie und zum Teil lokalisierten offenbar neuritiseheu 
Prozessen; die Prognose dieser Erkrankung ist verhältnismässig 
ungünstig Therapeutisch gibt es keine Methode, die das Lei¬ 
den mit einiger Sicherheit beeinflussen könnte. Neben der 
symptomatischen Behandlung kommen hydriatische, elektrische 
(Franklinisation, seltener Faradisation), medico-mechanische und 
klimatische Massnahmen in Frage; vor allem aber muss der 
leidende psychische Zustand Gegenstand einer individuellen 
Behandlung sein. Von vielen Seiten wird eine massige Ar¬ 
beitstherapie vorgesehlagen, doch ist hier Vorsicht am Platze, 
denn die kranken Teile bedürfen im allgemeinen der Ruhig¬ 
stellung. Von allergrösster Wichtigkeit ist die Prophylaxe, 
die vor allem darin besteht, dass nur gesunde Personen zum 
Dienst zugelassen sind und dass der Dienst so einzurichten 
ist, dass nicht ein Teil der Beamten Klagen üb.-r erworbene 
Nervosität führt. Technisch ist ferner natürlich von grösster 
Wichtigkeit, dass alle Möglichkeiten eines Stroinübergajigs aus 
einer Telephonleitung auf den Beamten sowie des Auftretens 
vou stärkeren Strömen iu der geschlossenen Leitung ausge¬ 
schaltet werden. W. Misch. 

R. Walte r, Hirnsyphllls und Psychose. (Zeitschr. f. 
d. ges. Neurol. und Psych., XXVI. 1914. S. 251. 

Auf Grund der Analyse von 12 Fällen von Lues cerebri 
mit psychotischen Erscheinungen kommt Verf zu folgendem 

Digitized by Google 


Ergebnis über die die Hirnsyphilis begleitenden Psychosen: 
Es können chronische Defektzustände und akute Psychosen 
auftreten. Bei den chronischen Defektzuständen setzt die Er¬ 
krankung meist langsam ein, manchmal auch akut, niemals 
jedoch mit einem Erregungszustand, und verläuft durchaus 
chronisch Das psychische Krankheitsbild zeigt den amnesti¬ 
schen Symptomen komplex entweder nur partiell oder in voller 
Ausbildung; in einem Fall fanden sich nur Auffässungsstörungen. 
Das Korsakowsche Syndrom bei Lues cerebri unterscheidet Bich 
von dem bei Alkoholismus durch Einförmigkeit, geringe 
Produktivität und Fehlen initialer Erregungszustände. In einem 
Fall bestand neben der amnestischen Störung eine Störung 
assoziativer Art (Witzelsucht) Die chronischen Defektzustände 
bei Hirnsyphilis zeigen Beziehungen zu den Störungen, die 
nach gröberen Hirnschädigungen, Tumoren, Apoplexien, Menin¬ 
gitis, Vorkommen. Von den die Hirnsyphilis begleitenden akuten 
Psychosen wurden akute Halluzinosen (in drei Fällen), Angst¬ 
psychose (in einem Fall) und Dämmerzustand (in einem Fall) 
beobachtet. Die akuten Psychosen stellen exogene Reaktions¬ 
typen im Sinne Bonhöffers dar und haben engere Beziehungen 
zu den akuten toxischen Psychosen. Ausserdem wurde eine 
zirkuläre Erkrankung beobachtet, bei der zahlreiche akustische 
Halluzinationen das Krankheitsbild beherrschten. Misch. 

O H e b o 1 d, Der Tod infolge epileptischen Anfalls 
; (Arch. f. Psych, Bd. 55, Heft 3, S. 959. 1915). 

Der Tod tritt bei Epileptikern nur selten als eine innere 
Folge des Krampfanfalls selbst ein. Als Ursache für den Tod 
im epileptischen Anfall bleibt in den wenigen Fällen, wo keine 
äusseren ursächlichen Umstände vorliegen, nur, wie bei anderen 
Todesfällen ohne erkennbare Ursache, die Annahme eines 
Herzschlages, eines Versagens der Herztätigkeit, übrig; gegen 
diese Erklärung dürfte am wenigsten einzuwendeu sein, wenn 
den Körper und die Herztätigkeit schwächende Verhältnisse 
Vorgelegen haben, und selbstverständlich, wenn ein Herzfehler 
oder Arteriosklerose bestand. Sonst kommen in der allergrössten 
Mehrzahl nur Unfälle in Betracht: zuweilen hängt es nur von 
| Zufälligkeiten ab, ob der Epileptiker bei dem Unfall sofort im 
Anfall einen plötzlichen Tod erleidet oder sich eine Verletzung 
zuzieht, die nachher zu einen tötlicheu Ausgang führt. Es 
wird folgendes unterschieden: I Der plötzliche Tod wird 1. 
durch den Anfall an sich herbeigeführt (durch Herzschwäche, 
Herzriss, Hirnblutung); 2. Der Kranke stirbt infolge des 

Sturzes an der im Anfall enthaltenen Verlelzung sofort (Ge 
nickbruch, Wirbelbiuch. seltener bei Schädelbruch); 3. Es trit 
Erstickung durch die Lage ein, die vom Anfall selbst herbei¬ 
geführt wird (bei Bauchlage im Bett, Einklemmen zwischen- 
Gegenständen, in Gesiclitslage auf dem Boden). 4. Der Kranke 
erstickt durch Einatmen fremder Stoffe (von Speiseresten wäh¬ 
rend oder nach der Mahlzeit, von Wasser beim Baden oder 
Fall ins Wasser) oder verbrennt bei Fall ins Feuer. 5. Im 
Endzustand des Anfalls, dem Zustande der Bewusstseinsstörung, 
kann er Selbstmord begehen. — II. Der Tod nach dem Anfall 
wird 6. durch den Anfall selbst durch Gehirnblutung ibei 
Arteriosklerose) oder durch Gehirngeschwulst herbeigeführt; 

7. durch Sturz auf den Kopf im Anfall, der mit oder ohne 
Schädelbruch Gehirn- und Hirnhautblutungen verursacht, 

8. durch Fall ins Feuer und heisse Flüssigkeiten (Verbrennen, 
Verbrühen), 9 durch Infektion der im Anfall erhaltenen 
Wunden (Tetanus traumaticus). 


Medikamentöse Therapie. 

H. Hirschfeld, Die Indikation der Eisen- und Arsen¬ 
therapie bei Anämien, Reichs-Medizinal-Anzeiger, Nr 1, 1910- 
Eisen ist nach Verfasser indiziert bei jeder Art von Anä¬ 
mie. nicht aber bei Pseudanämie. Arsen „hilft gut nach“, wo 
Eisen allein zu langsam oder gar nicht wirkt. Bei ganz 
schweren Anämien tut man gut, gleich vod vorneherein beide 
Medikamente zu kombinieren. Nur Arsen soll man geben bei 
der Bierraer3ehen progressiven gerniziösen Anämie, bei der 
Bothriocephalusanümie und bei der auf Lues, Malaria und 
Gravidität beruhenden perniziösen Anämie; ausserdem na¬ 
türlich ev. Kausalbehandlung. Wern. H Becker-Herborn. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







308 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 31. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie 

Czerny, Ad. | Berlin). Die natürliche und künstliche 
Höhensonne. Zeitgehr f. physik. u. diätet. Therap. XX. 1916- 
5. Heft, S. 129,130. 

llollier hatte 1912 berichtet, dass bei einer Varizellen¬ 
epidemie die Bläschen nur an den bedeckten, nicht durcli 
Heliotherapie pigmentierten Hautpartien aufgetreten waren. 
In striktem Gegensatz sind bei einem 1* , Jahre alten Mäd¬ 
chen der Berliner Kinderklinik, welches wegen tuberkulöser 
Haut- und Knochenaffektioneu 4 Wochen lang mit künstlicher 
Höhensonne bestrahlt und bereits deutlich pigmentiert war, die 
Varizellenbläschen ausschliesslich auf den pigmentierten Stellen 
erschienen, nicht aber z. B. unter der Windelhose. 

Demnach wirkt die künstliche Höhensonne anders als die 
natürliche und würde dann ihren Namen zu Unrecht tragen. 

Buttersack. 

Laqueu r, A. (Berlin), Mechanotherapie bei Ver 
letzungen der oberen Extremität. 

Zeitschr. f. physikal. und diätet. Therapie. XX. 1910, 
5. Heft. S. 152 —157. 8 Abbildungen und Beschreibungen 

der von Herrn Flake konstruierter, durch Dolgner, I'andrfi A Co., 
Berlin N 05 zu beziehender, leichter und handlicher Appa¬ 
rate zur Bekämpfung von allerhand Kontrakturen der Hände 
und Finger. Buttersack 


Bücherschau. 

V. H offmann, Geza, Krieg und Rassenhygiene 

München, I. F. Lehmann, 1910. 29 Seiten. Mk. 0,50. 

Während draussen der Krieg unaufhörlich neue Opfer 
fordert, sind im Inneren“ bereits Kräfte jtätisr, welche den j 
Wiederaufbau der Nation auf gesunder Grundlage im Auge 
haben. Der Krieg hat das Denken der Allgemeinheit unbe¬ 
wusst beeinflusst. Man hat erkannt, dass nur die Tüchtigen 
etwas wert sind, und scheint bereit zu sein, die unglückseligen 
Humanitätsduseleien, die schliesslich nur auf das Erhalten und 
Grosszüchten von Minderwertigen hinauslaufen, einer Revision 
zu unterwerfen. 

Auch ilie vorliegende Broschüre bewegt sich in diesem 
Gleis. Der Völkertod sei nicht ebenso wie der Tod des Ein 
zelnen eine physiologische Notwendigkeit, sondern die Folge 
quantitativ oder qualitativ unzureichender Fortpflanzung. Die 
Ursache dieser Erscheinung sieht v. Hoff mann nicht in 
endogenen, sondern in exogenen Momenten und zwar im sog. 
Kulturleben. Um diesen Schäden zu begegnen empfiehlt er 
im Sinne der deutschen Gesellschaft für Kassenhygiene die be¬ 
kannten Vorschläge: Eheverbote, Gesundheitsscheine bei der 
Verlobung, Unfruchtbarmachung Minderwertiger, dauerhaft für 
rückfällige Verbrecher (warum nicht auch für solche, die nur 
ein Mal ertappt werden?), Auszeichnung kinderreicher, tüchtiger 
Familien, Siedlungswesen, Erbrecht, Wohnungswesen, Kampf 
gegen Geschlechtskrankheiten, Alhohol (u Nikotin-Ref.) 

Diese Dinge sind gewiss höchst beachtenswert. Allein sie 
treflen m. E. das Obel nicht an der Wurzel. Das Verhängnis¬ 
volle an der zu Ende gehenden Kulturperiode ,var das egozen¬ 
trische Lebensideal. Wie die mechanistisch-atomistische Welt- 
Anschauung die im gegebenen Augenblick greifbar vorhandene 
Materie in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt hat, so über¬ 
sah man auch im sozialen Leben vielfach vor dem Individuum 
die zahllosen Fäden, welche dieses mit Vor- Mit- und Nach¬ 
welt verknüpfen. Wir müssen also grösser Denken 
lernen und nicht mehr bloss in momentanem äusserlichem Be¬ 
sitz, seien es Ehrenstellen, Geld, Titel usw. den Zweck des 
Daseins erkennen Dann folgen die von V. H. gewünschten 
Institutionen von selbst nach. 

Nur die Ideale entscheiden über die Schicksale der Völker. 

Buttersack. 

V i e r o r d t, Medizin-Geschichtliches Hilfsbuch mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Entdeckungsgeschichte und 
der Biographie. Verlag der Lauppschen Buchhandlung, Tü¬ 
bingen 1916. Preis geh. Mk. 10,40. 

Als Geleitwort kann dem trefflichen Buch am besten das 
Vorwort dienen : 


..Dies Buch hat sein Schicksal gehabt, noch ehe es zur 
Ausgabe gelangt ist. Sein Druck war begonnen, am 29. Juli 
1914 hatte ich die ersten Fahnen erhalten, aber mit dem 
5. August wurde die Drucklegung eingestellt, nachdem fast 
5 Bogen abgesetzt waren, und erst nach längeren, 1915 ge¬ 
führten Verhandlungen, erreichte ich es durch freundliches Ent¬ 
gegenkommen des Verlags, dass Anfang März der Druck wieder 
nufgenommen und in langsamem Fortsclireiten weitergefülirt 
wurde, leb bebe all dies hervor, um nicht in den Verdacht 
zu geraten, das, was ich in selbständiger langjähriger Arbeit 
ersammelt habe und nun wohl gesichtet an die Öffentlichkeit 
gebe, sei in der Hauptsache aus anderen, neueren und neuesten 
Quellen geschöpft. 

Das „Hilfsbuch“ soll, wie ausdrücklich gesagt werden 
muss, kein bibliographisches Naehschlagebuch im gewöhnlichen 
Sinne sein, kann es ja auch hei seinem Umfang gar nicht sein 
Es gibt lediglich das in geschichtlicher Hinsicht wichtiger Er¬ 
scheinende, weshalb die Aufnahme auch von Zeitschriften-Auf¬ 
sätzen nicht zu umgehen war. Nur so konule der in unserer 
medizinischen Geschichtsschreibung noch ziemlich im argen 
liegenden Entdeckungsgeschiehte Gerechtigkeit widerfahren. 
Das tatsächlich aufgenommene sind zumeist Monographien, 
dann aber auch berühmter gewordene lehrbuchmässige Werke, 
die Bedeutung erlangt haben, im allgemeinen aber sind, frei¬ 
lich mit verschiedenen Ausnahmen, Ijehrbiieher. zumal solche 
der neuesten Zeit, nicht berücksichtigt, es sei denn, dass sie 
das Historische besonders betonen. Auch sind verbreitete und 
viel benützte Nachschlage- und Sammelwerke, Enzyklopädien 
und dergl. als bekannt vorausgesetzt und nur in Ausnahroe- 
fällen aufgeführt. Al> und zu wird man auch ein Buch finden, 
das in früheren Zeiten eine Rolle gespielt hat, jetzt aber der 
\ ergessenheit anheimgefalleu ist. Auf die Nennungen von 
Übersetzungen ist Wert gelegt, auch da. wo sie handwerks¬ 
massig ausgefallen sind; hei der wachsenden Abkehr von den 
klassischen Sprachen sind sie ohnedies nicht mehr zu ent¬ 
behren. Wer es aber vermag, geniesse die medizinischen Klas¬ 
siker in ihrer Ursprache. Dass manches Buch hier nicht ge¬ 
funden wird, obwohl es dem einen und anderen unbedingt als 
„wichtig" erscheinen mag, will ich gerne zugebet), aber ich 
habe den Grundsatz der weisen Beschränkung obenan gestellt, 
schon um dem Buch massigen Umfang und Preis zu sichern 
Ich erwähne als nicht ganz selbstverständlich, dass ich nach 
Möglichkeit von jeder Schrift und jedem Aufsatz Einsicht ge¬ 
nommen habe, um getreue Wiedergabe des Titels und Inhalts 
zu gewährleisten; bei einer verschwindend kleinen Zahl war 
es mir aber nicht möglich, durch Vermittlung deutscher Bib¬ 
liotheken des gesuchten Buches habhaft zu werden Für Bei¬ 
behaltung der entsprechenden Orthographie in den älteren 
Büchern habe icli mich nach guter Überlegung entschieden; 
wer diese scheinbare Pedanterie Verstehen will, wird ihr eine 
gewisse Berechtigung in einem Buch, das der Geschichte eine: 
Wissenschaft dienen will, nicht absprechen. — Nocli eines- 
den wenigen, die sich in Deutschland mit Geschichte der Medir 
zin beschäftigen, lernend oder lehrend, kann das Buch eine 
wesentliche Unterstützung sein und das Auffinden wichtiger 
Buchquellen, die Feststellung bedeutsamer Errungenschaften 
auf medizinischem Gebiet sehr erleichtern. Die gangbaren 
medizin-geschichtlichen Werke entbehren eines brauchbaren 
eingehenden Sachregisters, auf das in diesem Buche besondere 
Sorgfalt verwandt wurde. 

Möge mein Versuch, der medizinischen Geschichtsforschung 
ein verlässliches und bequemes Hilfsmittel an die Hand zu 
geben, günstige Aufnahme begegnen.“ R. 

G o 1 i ii e r, Kompendium der ärztlichen Verslcherungs- 
praxls. 1915. Verlag von Georg Thieme. 

Auf langjähriger Erfahruug fussend hat der Autor kurz 
die zur Untersuchung des Lebensversicherungskandidaten wich¬ 
tigen Punkte zusammengestellt. Wenn auch natürlich manches 
Bekannte in dem Heft enthalten ist, so wird doch jeder Arzt der 
Gelegenheit hat, häufiger Versicherungen für Lebensversicherungs¬ 
gesellschaften vorzunehmen, das Buch mit grossem Nutzen für 
sich und für sein erfolgreiches Zusammenarbeiten mit den 
Lehensversicherungsgesellsehaften lesen — 

R 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang. 


1915/16. 


Tortsd>rittc der Medizin. 


L. Brauer, 

Hamburg. 


Unter lllitwirkung hervorragender Tacbtnänner 

herausgegeben von 

L. Edinger, L. Hauser, 

Frankfurt a/M. Dannstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


L. von Criegern, 

Hildesheim. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Nr. 32 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


20. August. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Frage der Verschlimmerung einer tuberkulösen 
(fungösen) Erkrankung des Kniegelenkes durch 
einen Unfall (Verdrehung des betreffenden Knies) 

Mitgeteilt von Oberregierungsrat Krauss in Reutlingen. 

Am 22. September 1914 erstattete Felix Z., Inhaber 
eines Tapezier- und Möbelgeschäftes in U., die Anzeige, 
dass der 33 Jahre alte Tapeziergehilfe Friedrich W. im 
Juni 1913 an einem nicht mehr näher festzustellenden 
Tage im Hause des Kaufmanns S. in U. beim Auf¬ 
machen von Gardinen abgestürzt oder ausgerutscht sei 
und sich den rechten Fuss verletzt habe. W. habe die 
Arbeit bei Z. bis Weihnachten 1913 fortgesetzt. Er 
(Z.) habe die Unfallanzeige nicht früher machen können, 
da er von der ganzen Sache vorher nichts gewusst habe. 
Bei der polizeilichen Untersuchung des Unfalles durch 
die Ortsbehörde für die Arbeiterversicherung in U. am 
9, November 1914 schilderte W. den Hergang des an¬ 
geblichen Unfalls folgendermassen: Die Bockleiter, auf 
der er gestanden sei, habe er wegen einer Schlagtüre 
(wie später genauer aufgeklärt wurde, einer rundlichen 
Oeffnung im Boden, durch die man auf einer Wendel¬ 
treppe in ein Untergeschoss gelangt) nicht ganz richtig 
aufstellen können. Beim Abstieg von der Leiter sei die¬ 
selbe in Bewegung gekommen, wodurch er momentan 
den Halt verloren habe ; er habe sich aber mittelst einer 
raschen Drehung noch an der Leiter festhalten können. 
Hierbei habe sich sein rechtes Knie etwas gedreht und 
er habe sofort grosse Schmerzen in diesem Knie verspürt. 
Er sei allerdings imstande gewesen, die ihm obliegenden 
Arbeiten bis Weihnachten 1913 zu vernichten, habe 
aber immer Schmerzen, und zwar zeitweise heftige, 
gehabt. Dieselben hätten sich von Weihnachten ab so 
gesteigert, dass er genötigt gewesen sei, uin Aufnahme 
im Bezirkskrankenhaus U. nachzusuchen, wo er vom 
f>. März bis 5. September 1914 untergebracht war. Der 
Kaufmann S. in Ü. hat angegeben, dass ihm und seinen 
Angehörigen von einem dem W. zugestossenen Unfall 
nichts bekannt sei. Einem von der Lederindustrie-Berufs¬ 
genossenschaft, Sektion VI in St., deren Entschädigungs¬ 
pflicht in Frage stand, eingeholten Gutachten von Ober¬ 
amtsarzt Medizinalrat Dr. Pf. in U. vom 7. Oktober 
1914 sei hier nachstehendes entnommen : „W. war im 
allgemeinen gesund bis zum Jahr 1899, in welcher Zeit 
sich ein spontaner Abszess am rechten Oberschenkel 
bildete; im Anschluss hieran trat auch eine Schwellung 
des rechten Knies ein, in dessen Gelenk eine chronische 
Entzündung und Verdickung sich entwickelte, ohne dass 
aber dadurch der Gebrauch des rechten Beines erheb¬ 
lich notgelitten hätte. Wie dem W. aber im Sommer 

Digitized by Google 


1913 bei der Arbeit eine Verdrehung des rechten Knies 
zustiess, hat sich dieses allmählich verschlimmert, so 
dass er im Dezember 1913 den Dr. G. in U. konsulierte. 
Da das Knie sich nicht besserte, liess sich W. am 
6. März 1914 in das Bezirkskrankenhaus U. aufnehmen, 
wo er von Dr. G. weiter behandelt worden ist. Die 
Gelenkentzündung machte zunehmende Fortschritte und 
zeigte eitrige Einschmelzung, so dass Dr. G. das rechte 
Bein im unteren Drittel am 22. Juni 1914 amputierte. 
Dr. G. ging bald darauf in Urlaub und ist August 1. J. 
ins Feld gerückt, weshalb W. von Ende August 1. J. 
an in meine Behandlung gekommen ist. Am 5. Sep¬ 
tember 1914 ist W. auf seinen Wunsch aus dem Kran¬ 
kenhaus in seine Heimat entlassen worden, nachdem der 
Amputationsstumpf nahezu, doch nicht vollständig ver¬ 
narbt gewesen ist. Ein etw’aiger Unfall mag zu einer 
Verschlimmerung des zuvor schon kranken Kniegelenks 
beigetragen haben, so dass der Unfall besten FalL nur 
als auslösende Gelegenheitsursache anzusehen ist. Zwei¬ 
fellos hat bereits vor dem Unfall eine mehr oder 
weniger latente Kniegelenktuberkulose bestanden, wel¬ 
che jetzt erst manifest geworden ist und eine fortschrei¬ 
tende Verschlimmerung gezeigt hat.“ Der im Feld 
stehende Dr. G. wurde zunächst um Erstattung eines 
Gutachtens nicht angegangen. Von der allgemeinen Orts¬ 
krankenkasse U. erfuhr die Berufsgenossenschaft, daß W. 
vor Aufnahme im Bezirkskrankenhaus U. schon in der Chi¬ 
rurgischen Universitätsklinik in T. ärztliche Hilfe in An¬ 
spruch genommen hatte. Diesgab derBerufsgenossenschaft 
Anlaß, die genannte Klinik um eine gutachtliche Äußerung 
darüber zu ersuchen, ob ein ursächlicher Zusammenhang 
zwischen dem Reinverlust des W. und dem Unfall vom 
Juni 1913 anzunehmen sei. Assistenzarzt Dr. H. gab 
am 8. März 1915 auf Grund der Akten und von Auf¬ 
schreibungen, die im Ambulanz-Journal der Chirurgischen 
Klinik bei einer Untersuchung des W. am 12. Januar 

1914 gemacht wurden, ein Gutachten ab, aus dem hier 
folgende Stellen wiedergegeben sein mögen: „Am 12. 
Januar 1914 erschien W. in dem Ambulatorium der 
Chirurgischen Klinik, um sein krankes Knie untersuchen 
zu lassen. Er gab an, er habe seit 8 Jahren 
Schmerzen im rechten Knie, die sich 
seit einigen Wochen gesteigert hätten. 
Es fand sich damals eine erhebliche Schwellung des 
Knies, und zwar war der Umfang desselben 4'/ 2 cm 
größer als der des gesunden Knies (r. 36,5, 1. 32,0). 
ln der Kniegegend waren außerdem alte Narben sicht¬ 
bar, die für osteomyelitische gehalten wurden. Es wurde 
auf Grund des Befundes die Diagnose einer deformie¬ 
renden Gelenksentzündung des Kniegelenks gestellt. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 











FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 32 


Wieweit das angefertigte Röntgenbild zur Stellung dieser 
Diagnose herbeibezogen wurde, ist aus den im Ambu¬ 
lanzbetrieb naturgemäß spärlich gemachten Aufzeich¬ 
nungen nicht zu ersehen. Die eingeleitete Behandlung 
bestand in Zinkleimverbänden und Heißluftbädern. W. 
war noch zweimal, am 17. Januar und 18. Kebrnar 1914, 
in der Sprechstunde der Klinik. Über die Art des 
Unfalles ist zunächst zu bemerken, daß derselbe offen¬ 
bar ganz leicht war. Er soll nur in einer „Verdrehung“ 
des Gelenkes bestanden haben. Irgendwelche Fest¬ 
stellungen über die unmittelbaren Folgen dieses Unfalles 
von ärztlicher Seite liegen nicht vor. W. hat seine 
Arbeit ungestört weiter verrichten können. Die näheren 
Umstände des Unfalles sind in Unfallanzeige und im 
Untersuchungsprotokoll widersprechend geschildert. Das 
eine Mal soll die Beschädigung des Knies beim Gehen 
auf einer Wendeltreppe durch Ausrutschen, das andere 
Mal beim Absteigen von einer Bockleiter zustande ge¬ 
kommen sein. Bei der Untersuchung in der Chirur¬ 
gischen Klinik am 12. Januar 1914 hat W. wiederum 
anderes angegeben. Von einem Unfall hat er über¬ 
haupt nichts erwähnt. Die Schmerzen sollten seit 8 
Jahren bestehen und sich erst seit einigen Wochen (also 
erst im Laufe des Winters) gesteigert haben. In An¬ 
betracht dieser Widersprüche ist es wohl berechtigt, 
an dem ganzen Unfallvorgang Zweifel zu hegen. Ich 
selbst neige zu der Ansicht, daß die letzte Erkrankung, 
welche zur Amputation führte, tuberkulösen Charakters 
war. Es spricht dafür erstens die erbliche Belastung, 
zweitens glaube ich aus dem mir vorliegenden Röntgen¬ 
bilde vom 12. Januar 1914 die Diagnose eines tuber¬ 
kulösen Leidens stellen zu müssen. Es zeigen sich im Rönt¬ 
genbilde nämlich nicht einwandfrei Zeichen einer defor¬ 
mierenden Arthritis, dagegen ist in dem unteren Teile 
der Kniescheibe eine herdförmige Aufhellung sichtbar, 
indem die Bälkchenstruktur des Knochens zerstört und 
nur die Corticalis des Knochens, noch scharf hervor¬ 
tretend, offenbar dem auflösenden Prozeß Widerstand 
geleistet hat. Die Umrisse der Kniescheibe sind im 
unteren Teile zackig und unregelmäßig. Zwischen dem 
Herd in der Kniescheibe und der Vorderfläche der 
Gelenkknorren des Oberschenkels ist eine stärkere Weich¬ 
teilschattenbildung sichtbar, wie wir sie bei der sogenannten 
fungösen Gelenkerkrankung des Kniegelenks durch die 
Fungusmassen veranlasst zu sehen gewohnt sind. Außer¬ 
dem besteht eine erhebliche Knochenatrophie der ganzen 
Kniegelenksgegend, was ebenfalls für den tuberkulösen 
Charakter des Leidens spricht. Es ist daher aus dem 
Röntgenbild zu schließen, daß im Januar 1914 bei W. eine 
tuberkulöse Knochenkaries des unteren Teiles der Knie¬ 
scheibe mit von dort ausgehender fungöser Gelenker¬ 
krankung bestand. Außerdem war offenbar ein stärkerer 
seröser Erguß (Hydrops tuberkulosus) nebenher vor¬ 
handen. Auch der weitere Verlauf läßt am ehesten 
an einen vereiterten, bezw. fistulös gewordenen Knie¬ 
gelenksfungus denken. Es erhebt sich nun erstens die 
Frage, ob ein derartig leichter Unfall überhaupt als 
Ursache einer tuberkulösen Erkrankung des Kniegelenks 
angesehen werden kann, wenn ein monatelanger Zeit¬ 
raum verstreicht, bis die Krankheit ein einigermaßen 
ausgesprochenes Gepräge erhält, und die zweite Frage: 
Ist es in dem besonderen Falle W. wahrscheinlich, 
daß der Unfall mit dem Gelenkleiden in ursächlichem 
Zusammenhang steht ? Die erste Frage ist zu bejahen. 
Es liegt in der Natur des tuberkulösen Leidens, daß es 
sich äußerst langsam und schleichend entwickelt. Er¬ 
eignet sich an irgend einer Stelle des Körpers eine 
mechanische Gewebsschädigung — ein Stoß, eine Quet¬ 
schung genügt dazu —, so können bei einem latent 
tuberkulösen Individuum Tuberkelbazillen an dieser 
geschädigten Stelle leichter haften und zur Ansiedelung 
kommen. Da die Krankheitsprodukte der Tuberkel- 


Digitized by 


Google 


bazillen nur äußerst langsam sich entwickeln, so ver¬ 
gehen Monate, ehe die Erkrankung auch äußerlich er¬ 
kennbar wird. In dem Falle W. wäre also an sich 
die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammen¬ 
hangs gegeben. Wenn sich ein entsprechender 
Unfall im Sommer ereignet hätte, so könnte die Krank¬ 
heit erst im Winter soweit fortgeschritten gewesen sein, 
daß sie stärkere Beschwerden machte. Aber es muß 
doch verlangt werden, daß eine regelrechte Gewerbs- 
schädigung zustande kommt. Dazu scheint mir jedoch 
der Hergang des Unfalls nicht geeignet. Es hat sich 
nicht um eine Quetschung, sondern um eine „Verdre¬ 
hung“ gehandelt, vorausgesetzt, daß man überhaupt den 
widersprechenden Angaben Glauben schenken soll und der 
Unfall als solcher anerkannt wird. Es scheint vielmehr, 
als ob W. beim Ausbruch der Erkrankung erst in der 
Vergangenheit nach einem Unfall gesucht hat, und er 
fand einen solchen, da es wohl kaum einen körperlich 
Arbeitenden geben dürfte, dem nicht im Laufe des 
Jahres hier und dort eine kleine Ungeschicklichkeit beim 
Gebrauche seines Körpers passierte. Mein Urteil geht 
dahin, daß die tuberkulöse Erkrankung des Knies sich 
im Falle W. ohne Beeinflussung durch Unfallfolgen ent¬ 
wickelte“. Nunmehr lehnte die Lederindustrie-Berufs¬ 
genossenschaft mit Bescheid vom 23. März 1915 die 
Gewährung einer Unfallentschädigung an W. ab, weil 
der behauptete Unfall nicht erwiesen und weil auch nicht 
dargetan sei, daß das Kniegelenkleiden und der darauf 
zurückzuführende V erlust des rechten Beines mit dem an¬ 
geblichen Unfall vom Juni 1913 in ursächlichen Zusam¬ 
menhang stehe. 

Gegen den ablehnenden Bescheid hat W. rechtzei¬ 
tig Einspruch erhoben, indem er sich auf den ihn in 
erster Linie behandelnden Arzt Dr. G. in U. berief und auf 
ij 1596 der R. V. O. Bezug nahm; eventuell bat er um Aus¬ 
setzung des Verfahrens bis zur Rückkehr des Dr. G. 
aus dem Feld. Am 10. Juni fand W. vor dem K. Ver¬ 
sicherungsamt R. persönliches Gehör. Er brachte hier 
u. a. vor: Er habe ursprünglich nicht gewußt, daß er 
gegen Unfall versichert gewesen sei. Im Juli oder 
August 1914 habe ihn sein früherer Arbeitgeber Z. im 
Bezirkskrankenhaus in U. besucht und gefragt, ob ihm 
denn etwas passiert sei. Darauf habe er dem Z. das 
Unfallereignis erzählt. Z. habe erwidert, da müsse man 
Unfallanzeige machen. Am Abend nach dem Unfall 
sei er in die Apotheke in U. gegangen und habe sich 
dort eine Flüssigkeit zum Einreiben seines rechten Knies 
geben lassen. Er behaupte, daß die Abnahme seines 
rechten Fußes durch den im Juni 1913 erlittenen Unfall 
verursacht worden sei und beanspruche deshalb eine Un¬ 
fallrente. Auf d is Verlangen des W., gemäß § 1596 
der R. V. O. den Dr. G. in U. als Gutachter zu hören, 
ist das Versicherungsamt ausweislich der Akten nicht 
weiter eingegangen, insbesondere ist nicht ersichtlich, 
daß das Versicherungsamt den Antragsteller zur Hin¬ 
terlegung der Kosten im Voraus aufgefordert hätte. 
Die Berufsgenossenschaft hat ihrerseits mit Endbescheid 
vom 22. Juni 1915 an ihrem ablehnenden Standpunkt 
festgehalten. 

Gegen den Endbescheid hat W. fristzeitig Berufung 
eingelegt mit dem Antrag, die Lederindustrie-Berufs¬ 
genossenschaft zur Zahlung einer im Verfahren näher 
festzustellenden Rente für den Unfall vom Juni 1913 
und seine Folgen zu verurteilen. Wiederholt wurde 
klägerischerseits die Einholung eines ausführlichen Gut¬ 
achtens von Dr. G. in U. als unumgänglich notwendig 
bezeichnet und wurde zu diesem Zwecke die Feldadresse 
des genannten Arztes mitgeteilt. 

Im Spruchkammerverfahren wurde noch festgestellt, 
daß nach den Angaben des W. zur Zeit des Unfalles 
niemand außer dem Kläger in dem fraglichen Zimmer 
des S.’schen Hauses in U. anwesend gewesen sei und 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 32 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


311 


daß sich der Kläger auch nicht erinnern könne, von dem 
Unfall je einmal Freunden oder Bekannten gegenüber 
gesprochen zu haben. Sodann wurde der mehrervvähnte 
Dr. G. in U. um Erstattung des klägerischerseits so sehr 
ewünschten Gutachtens angegangen. Es fügte sich, 
aß der Sachverständige kurze Zeit in die Heimat 
beurlaubt wurde und so in der Lage war, seine Auf¬ 
zeichnungen in der Sache einzusehen. Dr. G. ließ sich am 15, 
Oktober 1915, wie folgt, verlauten: „Der Tapezier W. 
kam nach meinen Aufzeichnungen zuerst im September 
1913 in meine Sprechstunde wegen Schmerzen im 
rechten Knie. Nach dieser einmaligen Beratung kam 
er erst im Dezember kurz vor Weihnachten wieder. 
Es war damals schon eine deutliche Verdickung des 
rechten Kniegelenks festzustellen, als Diagnose steht 
Fungus d. h. tuberkulöse Gewebserkrankung vermerkt. 
Die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit war schon 
so weit gediehen, daß W. krank gesetzt werden mußte. 
Er begab sich nach Hause und ließ sich in der Chirur¬ 
gischen Klinik in T. weiter behandeln. Da er bei der 
Örtskrankenkasse U. in Unterstützung stand, so zeigte 
er sich im Januar, Februar und März 1914 je nur ein¬ 
mal bei mir als Kassenarzt, um seine Krankenunter¬ 
stützung zu erhalten. Das Leiden hatte sich nicht 
gebessert, sondern war immer weiter vorgeschritten. 
Wie mir noch gut erinnerlich ist, konnte ich mich schon 
damals der von der Chirurgischen Klinik gestellten 
Diagnose',. Arthritis deformans“ nicht anschließen, sondern 
sah das Leiden auch weiterhin als tuberkulös an. Am b. 
März 1914 ließ sich W. in das Bezirkskrankenhaus U. 
aufnehmen, wo er von mir weiter behandelt wurde, in 
der Hauptsache mit Blutstauung und Heißluftanwendung, 
ohne jeden Erfolg. Die Schwellung des rechten Knie¬ 
gelenks nahm mehr und mehr zu, bald zeigten sich 
auch erweichte Herde in der Nähe des Gelenks, es traten 
starke Schmerzhaftigkeit, Fieber, allgemeine Entkräftung 
dazu. Die inneren Organe, besonders auch die Lungen, 
erwiesen sich stets als gesund, sonst war am Körper nichts 
von Tuberkulose zu finden. Die erweichten Herde in 
der Umgebung des Gelenks nahmen an Umfang zu und 
wurden zum Teil gespalten, zum Teil entleertensie sich von 
selber. Es war übelriechender dicker Eiter, der sehr 
reichlich abgesondert wurde. Da durch das langdauernde, 
sehr hohe Fieber der allgemeine Kräftezustand in be¬ 
drohlichem Maße schwand, entschloß ich mich am 22. 
Juni 1914 zur Amputation. Das Kniegelenk und die 
ganze Umgebung in weiterer Ausdehnung samt den 
angrenzenden Knochen erwiesen sich in hohem Maße 
zerstört, vereitert oder in schlammig-sulzige Massen 
verwandelt. Der Oberschenkel wurde etwa handbreit 
oberhalb des Kniegelenks amputiert. Nach dem ganzen 
Krankheitsverlauf und dem Vorgefundenen Befunde ist 
an der Diagnose „Tuberkulose“ nicht zu zweifeln. Von 
einem Unfall des W. ist mir nichts bekannt. Jedenfalls 
hat er im Anfang nichts davon erzählt. Ob er später 
davon erzählt hat, ist mir nicht erinnerlich. Ich habe 
das Leiden stets als von selbst entstanden angesehen, 
selbst wenn je einmal von einem Unfall die Rede ge¬ 
wesen wäre. Nach den Akten der Leder-Berufsgenossen¬ 
schaft wurde auch erst im Juli oder August 1914 der 
Unfall erwähnt, also erst nach Abnahme des Beines! 
Vorausgesetzt nun, der Unfall vom Sommer 1913 be¬ 
stünde wirklich zu Recht, so kann es sich doch nur um 
eine Verletzung allerleichtester Art gehandelt haben, 
sonst hätte W. doch sicherlich früher ärztliche Hilfe in 
Anspruch genommen und auch mir gegenüber bei der 
ersten Beratung am 7. September 1913 davon Er¬ 
wähnung getan. Ich hätte dann sicher auch als Diag¬ 
nose Verstauchung oder ähnliches in mein Buch einge¬ 
tragen. Die Frage einer traumatischen Entstehung tuber¬ 
kulöser Leiden wird ja heutzutage im allgemeinee bejaht. 
Voraussetzung eines derartigen Ursprungs ist aber m. 

Digitized by Google 


E. continuierlicher Zusammenhang der Unfallfolgen mit 
dem späteren tuberkulösen Leiden d. h. die durch den 
Unfall bedingte Gewebsschädigung geht allmählich in 
tuberkulösen Zerfall über. Im vorliegenden Falle fehlt 
die erste Bedingung, nämlich die durch den Unfall ent¬ 
standene, objektiv vorhandene Läsion. M. E. fällt da¬ 
mit auch jeder Zusammenhang des tuberkulösen Knie¬ 
gelenksleidens des W. mit einem angeblich im Sommer 

1913 erlittenen Unfall. Ich bin der Ansicht, daß zur 
Annahme eines solchen Zusammenhangs bestimmte, oben 
erwähnte Voraussetzungen gehören, wenn man nicht 
späteren Kombinationen Tür und Tor öffnen will. Da 
die Erkrankung als tuberkulös sichergstellt ist, so 
scheidet damit die Frage der erblichen Belastung von 
selber aus, es ist gleichgültig, ob tuberkulöse Belastung 
vorlag oder nicht Auch die Frage, ob die Eiterung am 
rechten Bein vom Jahre 1899 mit dem späteren Leiden“ 
im Zusammenhänge stand, mag dahingestellt bleiben. 

Auch nach Eröffnung vorstehenden Gutachtens be- 
harrte W. auf seinem Anspruch. 

Das Württ. Oberversicherungsamt’ Spruchkammer 
Reutlingen, hat mit rechtskräftig gewordener Ent¬ 
scheidung vom 3. Dezember 1915 die Berufung des W. 
als unbegründet verworfen. Die Urteilsgründe lauten: 
„Ausweislich der Niederschrift über die Vernehmung 
des Klägers im Einspruchverfahren scheint derselbe vor 
dem K. Versicherungsamt R. seinen Antrag auf An¬ 
hörung des Dr. G. in U. in Gemäßheit des § 1596 der 
RVO nicht wiederholt und die Kosten nicht von selbst 
im Voraus entrichtet zu haben. Es wäre jedoch Auf¬ 
gabe des Versicherungsamts gewesen, über das, was W. 
mit seinem Antrag in der Einspruchsschrift bezweckte, 
Klarheit zu schaffen und je nachdem das weitere zu 
veranlassen. Das Versäumnis in dieser Hinsicht nnd 
der dadurch begründete Verfahrensmangel ist jedoch 
durch Einholen eines Gutachtens von Dr. G. in der 
Berufungsinstanz geheilt worden. 

In der Sache selbst hat das Oberversicherungsamt 
die Überzeugung gewonnen, daß der Entschädigungs¬ 
anspruch des Klägers von der Beklagten mit Recht ab¬ 
gelehnt wurde. Zuvörderst ging auch das Oberver¬ 
sicherungsamt davon aus, daß der behauptete Unfall nicht 
erwiesen oder auch nur glaubhaft gemacht ist. Ein 
Augenzeuge ist nicht vorhanden, ferner hat der Kläger 
gleich oder bald nach dem Unfall niemand von dem¬ 
selben erzählt. Der Arbeitgeber Z. hat von dem an¬ 
geblichen Vorkommnis erst Kenntnis erhalten, als er den 
Kläger im Bezirkskrankenhaus U. im Juli oder August 

1914 aufsuchte. Da der Kläger seit dem Unfall be¬ 
ständig Schmerzen in dem rechten Knie, zeitweise sogar 
heftige, gehabt haben will, ist es unverständlich, daß er 
des angeblichen Unfalls als Ursache derselben nicht 
einmal dem Arbeitgeber gegenüber Erwähnung ge¬ 
tan hat. Sein Vorbringen vor dem K. Versicherungs¬ 
amt R., er habe nicht gewußt, daß er gegen Unfall ver¬ 
sichert gewesen sei, erscheint wenig glaubwürdig. Noch 
auffallender ist, daß W. weder bei dem erstbehandelnden 
Arzt Dr. G., den er im September 1913 kurz vor Weih¬ 
nachten konsuliert hat, noch in der Chirurgischen Uni¬ 
versitätsklinik in T. im Januar 1914 auf den behaupteten 
Unfall auch nur mit einem Worte zu sprechen ge¬ 
kommen ist. Aus der Tatsache, daß sich der Kläger 
im Jahr 1913 wiederholt, erstmals im Juni 1913, Mittel 
in der Apotheke in U. zum Einreiben des Knies geholt 
hat, kann ein Schluß darauf, daß ihm ein Unfall zuge¬ 
stoßen ist, nicht gezogen werden. Aber abgesehen da¬ 
von, daß das Unfallereignis als solches ernstlich be¬ 
zweifelt werden muß, hat auch das Oberversicherungs¬ 
amt den Sachverständigen Dr. H. in T. und Dr. G. in 
U. darin beigepflichtet daß der in Rede stehende Un¬ 
fall, so wie ihn der Kläger selbst schildert, das Knie- 
leiden, welches mit Sicherheit als ein tuberkulöses festge- 

Origiral frcm 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








312 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 32 . 


stellt worden ist, nicht ungünstig beeinflußt haben kann. 
Denn bei dem angeblichen Unfall soll es sich nicht um 
eine Quetschung oder eine sonstige mit einer Gewebs¬ 
schädigung verbundene Verletzung gehandelt haben, 
sondern nur um eine Verdrehung. Ob der weitere Um¬ 
stand, daß es an einem kontinuierlichen Zusammenhang 
zwischen dem behaupteten Unfall und dem erst wesent¬ 
lich später in die Erscheinung getretenen schweren 
tuberkulösen Leiden fehlt, einen weiteren Grund für 
Ablehnung des klägerischen Entschädigungsanspruches 
bildet, kann bei der Meinungsverschiedenheit, die in 
dieser Hinsicht zwischen den Ärzten besteht, füglich 
dahingestellt bleiben. Nach dem Ausgeführten mußte der 
Berufung der Erfolg versagt werden. 


Bisherige Ergebnisse der Kriegsneurologie. 

Sammelbericht von Dr. Paul Horn, Bonn, Oberarzt der intern¬ 
neurologischen Abteilung am Krankenhause der Barmherzigen Brüder 

Wie fast alle Fachgebiete der Medizin, so hat auch die 
Neurologie durch die Erfahrungen des Krieges, der mit 
einem Male ein ungeheures Material Verletzter und Kranker 
der ärztlichen Beobachtung zugängig gemacht, eine Förderung 
und Vertiefung erfahren, wie sie sonst nur in Jahrzehnten 
sorgsamster Forschung und Arbeit zu erreichen war. Wenn 
auch bereits die grösseren Kriege des letzten Jahrzehnts, 
der russich-japanische und die Balkankriege, eine wesentliche 
Bereicherung der medizinischen Wissenschaft und insbesondere 
auch der Nervenheilkunde im Gefolge hatten — ich erinnere 
unter vielen sonstigen Publikationen nur an die H olbeck'sche 
Monographie über „die Schussverletzungen des Schädels im 
Kriege“ (Berlin 1912), die neben chirurgischem auch neuro¬ 
logisches Interesse hat, sowie an die für die Beurteilung 
psychisch-nervöser Störungen im Kriege wichtigen Beobach¬ 
tungen Awtokratows aus dem russisch-japanischen Kriege 
— so haben doch die ärztlichen Beobachtungen im jetzigen 
Kriege einen Umfang und eine literarische Ausdehnung er¬ 
fahren, dass beispielsweise die neurologische Literatur schon 
in den ersten 2 Jahren des Weltkrieges mehrere Hundert 
Veröffentlichungen umfasst, ganz abgesehen von den 
zahlreichen chirurgischen Publikationen über Schussver¬ 
letzungen des zentralen und peripherischen Nervensystems, 
die für die neurologische Praxis von ebenso grosser Be¬ 
deutung sind als für die Nervenheilkunde als Wissenschaft. 
Selbstredend ist die Quantität der Publikationen kein Mass¬ 
stab für die kulturelle Höhe der Wissenschaft; aber wenn 
wir sehen, wie neben manchem Überflüssigem und Unbe¬ 
deutendem doch in intensivster Weise die gegebenen Pro¬ 
bleme erforscht und bearbeitet und doch eine grosse Anzahl 
wertvoller Ergebnisse nach und nach gezeitigt werden, so 
glaube ich. hat das „Volk der Barbaren“ auch auf medi¬ 
zinischem Gebiete den alten Ruhm deutschen Fleisses und 
deutscher Gründlichkeit behauptet. Wenn auch die glän¬ 
zenden Erfolge der Chirurgie, der Hygiene und Serologie 
zunächst ins Auge fallen, so hat doch ebenso sehr die 
Nervenheilkunde nach der verschiedensten Richtung hin 
nicht nur eine eigne Bereicherung erfahren, 
sondern auch in der Behandlung Kriegsbe¬ 
schädigter einen ganz hervorragenden Anteil ge¬ 
nommen und wird auch, das zeigen schon die mannigfachen 
Hinweise in der Fach- und Tagespresse, bei der Durch¬ 
führung der Militärversorgungsgesetze, speziell hinsichtlich 
des Problems der Rentenneurose, weiterhin 
eine wichtige Rolle spielen. 

Schon die Art des modernen Krieges mit seinem 
Millionenaufgebot, seiner unerhörten artilleristischen Geschoss¬ 
wirkung, seinen beispiellosen Strapazen und Entbehrungen 
nterwirft das Nervensystem einer Belastungsprobe von nie- 
ekannter Schwere und doch ist es erstaunlich, j a gerade- 

Digitized by Google 


zu frappierend, wie verhältnismässig gering die Zahl der¬ 
jenigen Kriegsteilnehmer ist. die unter den Einwirkungen 
schwerster seelischer Traumen und körperlicher Strapazen 
eine nennenswerte Alteration des Nervensystems erleiden. 
Wenn auch bestimmtere Zahlen nicht anzugeben sind und 
die absolute Höhe im Hinblick auf das moderne 
Massenaufgebot nicht unbeträchtlich sein wird, so stimmen 
doch alle Autoren darin überein, dass der früher so oft ge¬ 
hörte Vorwurf zunehmender Degeneration und Verweich¬ 
lichung des deutschen Volkes und speziell der städtischen 
Bevölkerung seiner Begründung durchaus entbehrt. Ich 
werde bei Besprechung der Neurosen noch näher auf 
diese Fragen zurückzukommen haben. Bedeutsamer er¬ 
scheinen mir die organischen Verletzungen 
des zentralen und peripherischen Ne r- 
vensystems. Nicht nur hat die Eigenart des Stellungs¬ 
krieges eine ganz beträchtliche Zunahme der Kopfschüsse 
mit sich gebracht, sondern auch die destruierende Wirkung 
der Artilleriegeschosse hat zur Folge, dass Schussver¬ 
letzungen der Extremitäten viel häufiger als früher mit kom¬ 
plizierenden Schädigungen peripherischer Nerven 
verbunden sind. Chirurg und Neurologe teilen sich hier in 
die mühsame Aufgabe, die Funktion organisch geschädigter 
Nervengebiete wicderherzustellen und so finden wir denn 
bei Durchsicht der Literatur, dass ein grosser Teil neuro¬ 
logisch wertvoller Ergebnisse chirurgischer Beobachtung 
seinen Ursprung verdankt, wie auch umgekehrt wichtige 
neurologische Tatsachen das chirurgische Handeln bestimmen. 
Selbstredend können bei ber Fülle der Publikationen nur 
die leitenden Gesichtspunkte an dieser Stelle Berücksich¬ 
tigung finden und manch’ wertvolle Arbeit wird nur ge¬ 
streift werden können. Vor allem aber scheint es mir von 
Wert, diejenigen Ergebnisse herauszuschälen, die in wissen¬ 
schaftlicher wie ganz besonders auch in praktischer 
Beziehung Anspruch auf Beachtung erheben dürften und 
die zum Teil sicher einen wesentlichen Fortschritt bedeuten. 

I. Schussverletzungen des zentralen 
Nervensystems (Gehirn — Rückenmark). 

Was zunächst die Kopfschussverletzungen 
anbetrifft, die man mit M a 11 i u. A. zweckmässigerweise 
einteilt in 1. Weichteilverletzungen bei intaktem 
oder anscheinend unverletztem Knochen und in 2. Traumen 
der knöchernen Schädelkapsel mit den Unter¬ 
gruppen : Prell-, Tangential-, Steck- und 
Durchschüssen (letztere segmental und diametral), 
so haben sich in hirnphysiologischer Be¬ 
ziehung nicht nur die Ergebnisse früherer klinischer 
und experimenteller Untersuchungen durchweg bestätigt, 
sondern es sind auch eine ganze Reihe neuer wichtiger Be¬ 
obachtungen hinzugekommen, über die besonders Max 
Roth mann, der leider so vorzeitig verstorbene, ver¬ 
dienstvolle Forscher, ausführlich berichtet hat. Hinsichtlich 
der Extremitätenregion hebt Rothmann 
hervor, dass die anfänglich schlaffen Lähmungen der gekreuzten 
Extremitäten beträchtlicher Rückbildungen fähig sind, 
die, soweit es sich nicht um totale Ausschaltungen des 
Arm- oder Beinzentrums handelt, meist schon frühzeitig ein- 
setzen und bis zu einer weitgehenden Wiederherstellung der 
Funktion gelangen. Sehr bemerkenswert sind Roth- 
m a n n s Beobachtungen mehrerer Fälle, bei denen sich 
eine „gliedweise Repräsentation der Bewegungen im Ge 
biete der Hirnrinde, wie sie vor allem H. Munk auf Grund 
seiner Experimente an Affen und Hunden geschildert hat, 
deutlich bemerkbar“ machte, d. h. es fand sich beispiels¬ 
weise bei partieller Läsion des Armzentrums nach 
Rückgang ausgedehnterer Lähmungserscheinungen später 
nur noch eine isolierte Aufhebung der Be¬ 
wegung im Schultergelenk, entsprechend der Zerstörung 
durch die Kugel, die offenbar nur das oben gelegene, dem 
Beinzentrum benachbarte Stück der Armregion betroffen hatte. 
Besonderes Interesse besitzen die Affektionen der hinter 
der Zentralfurche befindlichen Gebiete (Gyrus centralis 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








Nr. 32. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


313 


post, und Gyrus supramarginalis), bei denen Rothmann 
in Übereinstimmung mit seinen früheren tierexperimentellen 
Untersuchungen beobachten konnte, dass eine einseitige 
Schussverletzung im Gebiet der postzentralen Windungen 
neben den bekannten Störungen des Lagegefühls und 
des stereognostischen Sinns eine beträcht¬ 
liche Greifstörung hervorruft. In manchen Fällen 
von anscheinend leichteren Schussverletzungen dieser Partien 
kann jedenfalls der Rothmann’ sehe „Greifversuch“ 
— Nachweis mangelhafter Treffsicherheit des auf einen 
Gegenstand hinzielenden Armes — das Bestehen einer 
ernsthaften Hirnschädigung erkennen lassen. Vollauf be¬ 
stätigt haben sich auch die Anschauungen über die Lokali¬ 
sation der Sehfunktion im Hinterhauptslappen sowie der 
motorischen und sensorischen Sprachzentren in Stirn- bezw. 
Schläfenlappen, wobei aber vor allem die Beobachtung von 
ganz hervorragendem Werte ist, dass in den meisten Fällen 
von motorischer und sensorischer Aphasie, von Apraxie, 
Agraphie und Alexie noch mit einer mehr oder weniger weit¬ 
gehenden Rückkehr der Funktion gerechnet 
werden kann. Überhaupt stimmen fast alle Autoren (Sänger, 
Poppelreuter, Donath, Hartmann) darin 
überein, dass die funktionelle Restitutionsfähigkeit 
des Gehirns sich gerade nach den Kriegserfahrungen 
als eine sehr beträchtliche erwiesen hat, 
zumal bei Individuen in jüngerem Alter. Selbst zentrale 
Sehstörungen, wie sie bemerkenswerterweise gelegentlich 
schon ein einfacher Streifschuss des Hinterhauptknochens 
durch diffuse Erschütterung des Okzipitallappens und 
speziell des anscheinend äusserst empfindlichen Sehzentrums 
hervorgerufen hat, sind nicht ausnahmslos als irreparabel zu 
betrachten, wenn gleich selbstredend eine direkte Schuss¬ 
verletzung des Sehzentrums wohl stets zu unausgleichbarer 
Schädigung führt. Leider werden, wie auch Poppel- 
reute r hervorhebt, hin und wieder die psychischen Aus¬ 
fallserscheinungen nach Hirnverletzungen nicht richtig er¬ 
kannt oder gar völlig übersehe 1, sodass nicht eindringlich 
genug darauf hingewiesen werden kann, bei allen Kopf¬ 
schussverletzten möglichst bald, unter allen Umständen 
aber vor der Lazarettentlassung, eine Prüfung auf seelische 
Defekte, vor allem auf Störungen der zentralen Sprach- 
funktionen vorzunehmen, , denn das Übersehen auch an¬ 
scheinend geringfügiger seelischer Beeinträchtigungen hat 
für die Beurteilung des Mannes schwere Folgen.“ „Bei Ver¬ 
letzungen des Okzipitalhirnes suche man in jedem Falle nach 
psychischen Sehstörungen“, achte man auf das eigenartige 
Syndrom der „Seelenblindheit“, auf Hemianopsie, auf „optische 
Apraxie“, d. h. die Unfähigkeit oder Erschwerung von! 
Hantierungen auf optischer Grundlage (P o p p e 1 r e u t e r), I 
auf Alexie und Dyslexie, also auf Störungen des Lesens, 
die überleiten zu den verschiedenen Formen der Aphasie. 
Beachtentswert ist auch die Erfahrung Poppelreuters, 
dass bei allen Kopfschussverletzten, die eine Läsion im Sprach¬ 
gebiet aufwiesen, die Rechenfähigkeit beein¬ 
trächtigt war, auch dann, wenn eigentliche aphasische 
Störungen vermisst wurden, und dass ferner lokalisierte 
Hirnverletzungen nicht nur die spezifischen Ausfallssymp¬ 
tome verursachen, sondern überhaupt die ganze Per¬ 
sönlichkeit wesentlich ändern können. 
Jedenfalls ist „die militärärztliche und sozialmedizinische 
Bedeutung der genauen psychologischen 
Untersuchung der Hirnverletzten sicherlich eine sehr grosse“. 
Felddienstfähigkeit wird im allgemeinen zu verneinen, 
Garnisondienst nur in leichten Fällen zu empfehlen sein. 

Sehr dankbar ist die Therapie, für die Poppel¬ 
reuter in seiner interessanten und wertvollen Schrift 
„Erfahrungen und Anregungen zu einer Kopfschuss-Inva- 
lidenfürsorge“ ein einheitliches Zusammenarbeiten von Chi¬ 
rurg, Nervenarzt, Psychologe und Lehrer zur Durchführung 
einer systematischen „G ehi rn-Orthopädie“ fordert, 
damit den Hirnverletzten womöglich sofort im Anschluss an 
die chirurgische Behandlung, zum Teil auch Hand in Hand 


Digitized by 


mit ihr, schon Bahnen für ihre Zukunftstätigkeit, für ihre 
weitere Verwendung im Erwerbsleben eröffnet werden 
können. — Auch Hartmann hat jn Graz eine der Uni- 
versitätsr.ervenklinik angegliederte „Übungsschule für Ge¬ 
hirnkrüppel“ eingerichtet, in der vor allem auf die rein 
pädagogische Behandlung des Patienten 
das Hauptgewicht gelegt wird, um durch entsprechende 
systematisch durchgeführte Übung die noch intakten Struk¬ 
turen, Funktionen und Funktionsreste bei ihrer weitgehenden 
Anpassungsfähigkeit zu einem Wiederersatz der verloren 
gegangenen oder behinderten Funktionen anzuregen. Dabei 
hat es sich als besondens förderd erwiesen (II. Mitteilung 
von H a r t m a n n), dass in jedem nur einigermassen von 
Störungen betroffenen Falle die pädagogische Schulung mit 
der untersten Stufe des Schulunterrichts beginnt 
und durch Sprech-, Lese-, Schreib-, Sprach- und Anschau¬ 
ungsübungen, Nacherzählen, schriftliche Wiedergabe, Aus¬ 
wendiglernen, Rechenübungen bei fortwährendem Hinweise 
auf über-, unter- und beigeordnete Begriffe und Vorstellungs¬ 
reihen ein neues Wissen unter steter Bedachtnahme auf er¬ 
haltene Bestände und Zuhilfenahme derselben aufgebaut 
wird. Wichtig erscheint mir noch der Hinweis Hart¬ 
man ns, dass fast jede Schussverletzung des Gehirns neben 
etwaigen Ausfallserscheinungen der verschiedenen topogra¬ 
phisch bekannten Gebiete von Störungen allge- 
meinerNatur und höhererBedingtheit 
gefolgt ist, insbesondere von Störungen der Merkfähigkeit, 
der Assoziationsfunktionen und insbesondere auch der 
Rechenleistungen (vergl. Poppelreuter). 

Im übrigen kann die Behandlung der mo¬ 
torischen Aphasie entweder nach der älteren 
optisch-taktilen Methode, wie sie Gutzmann u. a. ver¬ 
treten, erfolgen oder nach der neueren Methode Froment- 
Monod, die beruht i. in einem Erwecken des Gedächt¬ 
nisses der Lautklangbilder, ohne die Aufmerksamkeit auf 
den artikulatorischen Mechanismus zu lenken, 2. in der 
Heranziehung von Ideenassoziationen oder von Bildern nach 
Art der mnemotechnischen Vorgänge, 3. in dem Heran¬ 
ziehen von geschriebenen Worten, 4. dem Üben von sylla- 
bierendem Lesen und 5. dem Isolieren einzelner Laute aus 
Worten, die der Patient noch aussprechen kann. Wie aber 
Fröschels in seiner eingehenden kritischen Arbeit her¬ 
vorhebt, ist die Optisch - taktile Methode, die auf eine 
Nachahmung artikulatorischer Vor¬ 
gänge hinausläuft, der neueren Methode Froment- 
Monod im ersten Stadium der Schulung 
durchaus nicht unterlegen, führt sogar zu rascheren Erfolgen, 
wenngleich die zweite Methode ernste Beachtung verdient 
und von Lehrern wie Neurologen dankbar zu be- 
grüssen ist. 

Was die Lehre von den Sensibilitätsstörungen nach 
Hirnläsionen betrifft, so haben zahlreiche Beobachtungen 
an Kopfschussverletzten gezeigt, dass die bisherige An¬ 
schauung, segmental angeordnete Sensibilitätsstörungen 
sprächen stets für eine spinale Affektion, nicht vorbehaltlos 
richtig ist Jedenfalls weisen von Gerstmann publizierte 
Fälle darauf hin, dass auch bei sicheren örtlichen Krank¬ 
heitsprozessen der Hirnrinde Sensibilitätsstörungen von 
segmentalem Typ entstehen können, wie es in ähnlicher 
Weise Muskens, Bonhoeffer, Löwy u. a. schon 
früher beschrieben haben. Wenn auch die ganze Frage 
der kortikalen Sensibilität noch bei weitem nicht so sicher 
geklärt ist als die der motorischen Region, so scheinen doch 
die Erfahrungen des Krieges auch nach dieser Richtung hin 
neue Gesichtspunkte und Hinweise zu geben, wie ja auch 
zum Teil die oben erwähnten R o t h m a n n’schen Be¬ 
obachtungsergebnisse beweisen. Vor allem ist der Um¬ 
stand für die Lehre der zerebralen Lokalisation besonders 
fördernd, dass in gewissem Gegensatz zu den Schädelbrüchen 
und sonstigen Kopftraumen Unfallverletzter der Friedens- 
p-axis, bei denen ausser vereinzelt vorkommenden und 
weniger scharf lokalisierten Herdsymptomen zumeist ledig- 

Original frorn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 







314 


Nr. 32 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


lieh eine mehr oder weniger diffu.se Allgemeinschädigung 
des Gehirns im Vordergründe zu stehen pflegt, bei den Schuss¬ 
verletzungen des Gehirns unverhältnismässig häufiger u m- 
schriebenere Herdläsionen anzutreffen sind, wodurch 
selbstredend ein häufigeres Auftreten isolierter Ausfalls¬ 
oder Reizerscheinungen begünstigt wird und in manchen 
Fällen, wie auch Roth mann betont, geradezu experi¬ 
mentelle Verhältnisse geschaffen sind. Allerdings möchte 
ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass neben diesen 
durch die Geschossbahn und durch eingedru .gene Splitter 
bedingten Herdläsionen gröberer oder feinerer Natur in der 
Regel diffusere Allgemeinschädigungen des Gehirns einher¬ 
gehen. ja dass nach zahlreichen Beobachtungen selbst an¬ 
scheinend glatt den Schädel durchschlagende Geschosse nicht 
einfach einen Schusskanal hinterlassen, sondern zu ganz er- 
hebli:hen Zerstörungen tühren können. So berichtet 
Klieneberger u. a. über wichtige autoptische Be¬ 
funde. An der Stelle des Ein- und Ausschusses, an ersterer 
aber überwiegend, fanden sich gewöhnlich mehr oder we¬ 
niger erhebliche Hämatome ; das Gehirn war in Ausdehnung 
des Geschosskanals, der nach der Ein- und Ausschussstelle 
häufig eine Verbreiterung zeigte, in weitem Umfange blutig 
erweicht und liess in den angrenzenden, oft genug aber 
auch in ganz entfernten 1 lirnabschnitten diffuse Blutungen 
in Rinde und Mark erkennen. Auch bei Steckschüssen, 
bei diesen sogar in grösster Ausdehnung, war diese Erwei¬ 
chung in der Umgebung des Geschosses zu erkennen. Be¬ 
sonders hochgradig erwies sich die Zerstörung von Hirn¬ 
substanz bei Granatverletzungen ; selbst weniger als erbsen¬ 
grosse Granatsplitter hatten vielfach stärkere Zertrümme¬ 
rungen im Gefolge als Schrapnellkugeln und Infanteriege¬ 
schosse. Auch darauf ist hinzuweisen, dass selbst bei ein¬ 
seitiger Hirnverletzung zuweilen doppelseitige Reiz- wie 
Ausfallserscheinungen beobachtet werden, ebenfalls ein Be¬ 
weis, dass das Gehirn bei Schussverletzungen in recht be¬ 
trächtlicher Ausdehnung geschädigt zu werden pflegt, wenn 
auch die Art und Schwere dauernd verbleibender Herd¬ 
symptome selbstredend in erster Linie durch die physio¬ 
logische Dignität der durch Geschoss oder Splitter u n - 
mittelbar zerstörten Hirnpartien bedingt ist. Geringer 
geschädigte und noch mehr oder weniger erholungsfähige 
Gehirnsubstanz, wie sie zumeist bei diffuser Allgemeiner¬ 
schütterung, bei punktförmigen Hämorrhagien usw. als Be¬ 
gleit- und Fernwirkung der Lokalläsion wohl anzunehmen 
ist, pflegt weniger Herdsymptome als allgemein-zerebrale 
Erscheinungen nach Art der zerebralen Kommo- 
tionsneurose zu hinterlassen, vor allem Kopfschmerz, 
Schwindelgefühl. Überreiztheit der höheren Sinnesorgane, 
Intoleranz gegen Alkohol und Nikotin, Neigung zu Kon¬ 
gestionen und sonstigen vasomotorischen Störungen, Herab¬ 
setzung des Intellekts und Änderungen auf affektivem Ge¬ 
biete, teils Abstumpfung, teils Neigung zu explosiver Dia- 
these. Ferner finden sich häufig Störungen im Cochlearis- 
und Vestibularisgebiet, teils funktioneller, teils organischer 
Natur, worüber besonders Zange berichtet hat. Nach 
dieser Richtung hin decken sich die Kriegserfahrungen mit 
den Beobachtungen der Friedenspraxis. Auch bei letzteren 
stehen neben etwaigen Herdsymptomen im weiteren Ver¬ 
laufe vor allem die allgemein-zerebralen Störungen im 
Vordergründe der Erkrankung. Ebenso wie die Erschei¬ 
nungen von seiten des Grosshirns haben die charakteristi¬ 
schen Symptome einer Kleinhirnschädigung durch 
die Beobachtung an Schädclverletzten ihre Bestätigung und 
Vertiefung erfahren. Goldstein, der über den „zere¬ 
bellaren Symptom en komplex in seiner Bedeu¬ 
tung für die Beurteilung von Schadelverletzten“ berichtet, 
nennt als wichtigste subjektive Störungen : Kopfschmerzen, 
besonders lokalisiert im Hinterkopf, Störungen beim Bücken 
und bei Lagewechsel des Körpers, Unsicherheit beim Gehen, 
das Gefühl einer gewissen Verlangsamung der Bewegungen, 
die Neigung nach einer Seite zu fallen, sowie Schwindelge¬ 
fühl, wobei die Störungen wechseln, je nachdem mehr die 

Digitized by Google 


Kleinhirnhemisphären oder der Wurm oder tiefere Partien 
des Kleinhirns betroffen sind. Als objektive Symp¬ 
tome sind zu betrachten I. der zerebe'lare, breitbeinige 
Gang mit Schwanken des ganzen Körpers (Wurm), 2 . ab¬ 
norme Kopf- und Rumpthaltung sowie allgemeines Schwan¬ 
ken beim Stehen (Wurm), 3 . Nystagmus (wahrscheinlich 
bedingt durch Schädigung der tieferen Kerne oder dem 
Kleinhirn benachbarter Gebiete), 4 . Ataxie (Hemisphären), 
5 . leichte Schwäche und gewisse Schlaffheit der Extremi¬ 
täten, 6 . Vorbeizeigen im B a r ä n y’schen Zeigeversuch, 
7 . Verlangsamung der Aufeinanderfolge antagonistischer 
Bewegungen (Adiodochokinesis), 8 . Störungen in der Schät¬ 
zung von Gewichten, 9 . Fehlen des Rückschlages bei der 
Widerstandsprüfung. Mit Recht weist G o 1 d s t e i n darauf 
hin, dass dieser „zerebellare Symptomenkomplex“, der noch 
nicht in die Kenntnis aller Ärzte übergegangen und leicht 
mit funktionell-nervösen Störungen verwechselt wird, gerade 
auch bei den Schädelverletzten ganz besondere Beachtung 
verdient. (Schluss folgt.) 


Ueber einige neuere Arzneimittel. 

Von Apotheker F.. Otto, Frankfurt a. M. 

A 1 i v a 1, hergestellt von den Farbwerken vorm. 
Meister, Lucius und Brüning in Hoechst a. M. ist ein 
neues organisches Jodpräparat mit höchstem — b3“/„ 
— Jodgehalt. Es bildet kleine, farblose, seidenglänzende 
Kristalle von angenehm bitterem, etwas kühlendem Ge- 
schmacke, der in Verdünnungen fast gänzlich ver¬ 
schwindet und ist in Wasser, Weingeist, Aether und 
fetten Oelcn leicht löslich. Seine Anwendung erfolgt 
intern, extern und subkutan — intramuskulär — in allen 
Fällen, wo Jod auch sonst gegeben zu werden pflegt. 
Bei innerer Darreichung ist die Dosis 0,3 mehrmals 
täglich in Wasser oder Milch, subkutan 1,0 in möglichst 
wenig Wasser gelöst täglich einige Wochen lang, extern 
20 — 25 "/,, in leicht resorbierbarer Salbengrundlage und 
rektal ä 0,5 pro Suppositorium. Das Alival wird all¬ 
mählich unter der Einwirkung des Blutes und der Ge- 
webssäfte gespalten, infolge seiner lipotropen und neu- 
rotropen Affinitäten leicht assimiliert und steht hierdurch, 
wie durch seinen hohen Jodgehalt über allen anderen 
organischen Jodpräparaten, zumal es eine vollständige 
Ausnützung seines wirksamen Bestandteiles gewähr¬ 
leistet. 

A p h 1 o i n , das Fluidextrakt aus Aphl. taiff 
empfiehlt Savini angeblich mit hervorragendem Erfolge 
zur Behandlung von Cholelithiasis. Er gibt die Dosis 
auf viermal täglich 10—'5 Tropfen an Nähere An¬ 
gaben fehlen, sodaßman wohl weitere Veröffentlichungen 
vor seiner Anwendung abwarten inufl. 

A r g u 1 an, eine Phenazon-Sulfamino-Quecksilber¬ 
verbindung kommt in einer Lanolin Suspension in Röhrchen 
ä 0,3 g in den Handel. Es ist in. Wasser unlöslich und 
stellt eine weiße, kristallinische Substanz mit ca. 47 "/, 
Quecksilber vor, der ein Vorzug vor den bisherigen 
Quecksilberpräparaten nicht zuerkannt wird. 

Leukozon, ein Gemisch von Calciumperborat 
und Talkum a. p. aequ. wird nach Spiegel und Anker 
als stark desinfizierendes Wundstreupulver angewendet. 
In Berührung mit Wundsekreten entwickelt es ca. 5 p. c. 
aktiven Sauerstoff. Da die Wirkung des reinen Leukozon s 
eine sehr intensive ist, wurden in der Berliner klinischen 
Wochenschrift folgende Verdünnungen vorgeschlagen: 
Leukozon. Tale, ä 50, und Lenkozon 20,— Tale. plv. 
80,—. Es wirkt hervorragend austrocknend und reinigend 
sowie granulierend und Oberhaut bildend. 

1 ‘ a r a 1 a u d i n , nahe verwandt und in gleicher 
Dosis und bei gleicher Indikation angewandt wie Diacetyl- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 32. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


315 


morphin, soll besonders schmerzstillend und beruhigend 
gegen Hustenreiz wirken. 

Thrombosin wird eine Zytozymlösung benannt 
welche sich nach Hirschfeld und Klinger als unschäd¬ 
liches Blutstillungsmittel erwiesen hat. Es kommt in 
Ampullen ä 5 ccm in den Handel. 

Unter dem Titel „Prothrombin and Anti¬ 
thrombin factors in the evagulation of blood“ ver¬ 
öffentlichen George R. Minot, M. D. und George P. 
Denny, M. D., Boston mit Unterstützung von Daniel 
Davis M. D., Baltimore, in Nr. I der „Archives of 
internal Medicine,“ vom Jahre 1916 eine sehr eingehende 
und beachtenswerte Arbeit über die Ergebnisse ihrer 
Untersuchungen mit den genannten Zytozvmen. Sie sind 
mit den Resultaten wissenschaftlich technisch außer¬ 
ordentlich zufrieden und empfehlen dringend die prak¬ 
tische Anwendung, zumal irgend welche Nachteile bisher 
nicht auftraten und auch nicht zu befürchten sind. 

Toramin ist der geschützte Name für ein neues 
Hustenmittel der Firma Athenstädt & Redecker, che¬ 
mische Fabrik, Hemelingen bei Bremen. Es ist trichlor- 
butvlmalonsaures Ammon und bildet schöne, in Wasser 
leichtlösliche perlmutterähnlich glänzende Blättchen. 
Seine Anwendung erfolgt in Zusammensetzung mit Inf. 
Ipecac., Elix. pectoral., Kal. sulfoguajacol sirup und ähn¬ 
lichem als kräftiges Linderungsmittel bei Erkrankungen 
der Atmungsorgane, Reizhusten, Luftröhren- und Kehl¬ 
kopfkatarrh, Lungen- und Brustfellentzündung sowie 
bei Keuchhusten im abnehmenden Stadium. Eine Ein¬ 
wirkung auf Magen und Darm wurde nicht beobachtet, 
es kann auch Schwächlichen, Kindern und Greisen unbe¬ 
sorgt in der üblichen Dosis von 0,1 g bis zu 4 — 6 mal 
am Tage gegeben werden. 

Unter dem Namen „D oramad Salbe“ kommt 
eine Salbe in den Handel, die mit Thorium -X herge¬ 
stellt zur Behandlung von Ilauterkrankungen Verwendung 
findet. 

Das bereits früher genannte D i g i f o 1 i n kommt 
jetzt auch in flüssiger Form als Digifolin-liquid. 
in den Handel und zwar in Tropfgläsern ä 20 ccm In¬ 
halt. 1 ccm = 22 Tropfen = 0,1 folia Digitalis titr. 
Die Dosierung ist 11—22 Tropfen. Hergesteilt wird es 
von der Gesellschaft für Chemische Industrie in Basel 
wie die Schweizer. Apoth. Ztg. berichtet. 

Die Vereinigten Chininfabriken Zimmer & Co. — 
Frankfurt a. M. stellen nach Dr. J. Tugendreich ein 
Isoamylhydrocuprein unter dem Namen Eucupin her, 
das als wirksames Anaestheticum und Desinficiens bei 
schmerzhafter Ulceration der Geschwülste bei Lupus etc. 
empfohlen wird. Es löst sich leicht bis zu 3—4 °/ u in 
Fetten und Ölen und findet in dieser Form oder als 
Salbe oder Stuhlzäpfchen Anwendung. 

Lutosargin nennt der Darsteller, die chemische 
Fabrik von Kalle & Co., G. m. b. H. in Biebrich a. Rh. 
ein kolloidales Quecksilberjodid. Es muß vorsichtig und 
vor Licht geschützt aufbewafrt werden und findet in 
Lösung gegen Lues zu 1 ccm später 2 ccm zwei bis 
dreimal wöchentlich intramuskuläre Anwendung. 

Ly t us sin, ein verseiftes Guajacol, wird gegen | 


Lungentuberkulose in Form von Schmierkuren gebraucht. 
Auch zur endermatischen Behandlung anderer Er¬ 
krankungen der Atmungsorgane empfiehlt es Dr. Conrad 
Martin in Breslau. Außer dem verseiften Guajacol ent¬ 
hält es Menthol, Kampfer und andere Medikamente, die 
der Patient nach Möglichkeit während des Einreibens 
einathmen soll. Die eingeriebenen Stellen — es ist eine 
besondere Liste aufgestellt, in welcher Reihenfolge die 
einzelnen Körperteile eingerieben werden sollen, sollen 
7 Tage lang nach dem Einreiben nicht gewaschen werden! 
Hersteller F. Reichelt, G. m. b. H. Breslau V. 

Rhu mol ist eine Verseifung des Methylsalizylats mit 
aromatischen Zusätzen in schwach alkoholischer Lösung, 
die gegen rheumatische und neuralgische Schmerzen aller 
Art als Einreibungsmittei mit durchweg gutem Erfolg 
zur Anwendung kommt. Seine Anwendung erfolgt 2 
bis 3 mal täglich. Es empfiehlt sich, die eingeriebenen 
Stellen einige Zeit mit Watte oder Flanell zu verpacken, 
da hierdurch die Resorption und Wirkung wesentlich 
erhöht wird. Hersteller und Vertrieb: Apotheke am 
Eschenheimer Turm, Frankfurt a. M. 

Die drei bekannten großen Firmen E. Merck. Darm¬ 
stadt, C. F. Boehringer & Söhne, Mannheim und Knoll& 
Co., Ludrvigshafen a. Rh. bringen unter der Schutz¬ 
marke MBK komprimierte Arzneimittel in Tablettenform 
sow'ie in Lösung in sterilen Ampullen als Compretten 
bezw. A m p h i o 1 e n in den Handel. Die Praxis war 
an die Präparate der Firmen Borrough, Wellcome & Co., 
Parke Davis & Co., sowie an die verschiedenen Ampullen¬ 
präparate des Auslandes, von Clin, Hoffmann — la 
Roche, und ähnlichen in hohem Maaße gewöhnt. Wie 
in vielen anderen zeitigt auch auf diesem Gebiete der 
Krieg das Gute, daß wir uns bewußt werden, daß wir 
ganz besonders auch auf therapeutischem Gebiete ohne 
das feindliche Ausland recht gut auskommen und be¬ 
stehen können. Die vorliegende Preisliste gebrauchs¬ 
fertiger Arzneiformen deutscher Herstellung der drei 
genannten P'irmen bestätigt das vollkommen. Sie ein¬ 
hält Ansätze für Amphiolen, Subkutan-Compretten, 
Augen-Compretten und Compretten in allen möglichen 
Formen und Stärken und es bleibt nur zu hoffen und 
zu wünschen, daß die deutsche Ärzteschaft und damit 
auch das deutsche Publikum die Gelegenheit ergreifen, 
sich hierin dauernd von den ausländischnn Präparaten 
unabhängig zu machen. Der weltbekannte gute Ruf 
der deutschen Hersteller bürgt für die Güte des Ge¬ 
botenen, die Preise sind eher niedriger als höher gegen¬ 
über den früher gebräuchlichen fremdländischen Er¬ 
zeugnissen. 

O p t a n n i n — basisch gerbsaurer Kalk — wurde 
in einer größeren Reihe von Fällen in der Heidelberger 
Kinderklinik erprobt. Es wird bei Säuglingen zu 1,0 
bis 2,0 g, bei älteren Kindern bis 2,5 g pro Tag der 
flüssigen oder breiigen Nahrung beigemischt durchweg 
anstandslos genommen und tadellos vertragen. Seine 
Anwendung ist bei Innehaltung obiger Dosierung voll¬ 
ständig ungefährlich. 

Hersteller: Knoll & Co., Ludwigshafen a. Rh. 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






316 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 32. 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Zur Frage der Adsorptionstherapie chirurgisch¬ 
gynäkologischer Erkrankungen. 

Von Dr. med. Hans Oppenheim. 

Frauenarzt und Chirurg in Berlin. 

Berliner Klinische Wochenschrift No. 22, vom 29. Mai 1016. 

Der Autor berichtet über auffallend gute Erfolge, 
die er mit den Lenicet-Boluspräparaten erzielte. Die 
Erfahrungen hat er einerseits in seiner frauenärztlichen 
Praxis bei der Behandlung mit Ausfluß einhergehender 
Krankheiten, andererseits in einem großen Lazarett, dem 
er vorsteht, bei der Wundbehandlung gesammelt. 

Nach dem Vorgänge Nassauers und anderer hat 
sich auch der Autor der Adsorptionstherapie zugewandt. 
Das Prinzip besteht darin, daß eine Adsorption, d. h. 
Bindung des betreffenden Virus an das eingebrachte 
Mittel, ein hydrophiles Pulver, und damit Unschädlich¬ 
machung und Ausscheidung aus dem Säftestrom ange¬ 
strebt wird. 

In geeigneten Fällen seiner frauenärztlichen Praxis 
haben sich bei dem Autor mit hervorragendem Erfolg 
die Lenicet-Boluspräparate, die auch von Liepmann, 
Wille, Katz gelobt werden, vorzüglich bewährt. Bei der 


Behandlung des Ausflusses bedient er sich des 20 % 
Lenicet-Bolus, Lenicet-Bolus mit Silber (*/« % Alumi¬ 
nium-Silberacetat) vorwiegend bei Gonorrhoe, Lenicet- 
Bolus mit Peroxyd, Lenicet-Bolus mit Jod (1%), Peru- 
Lenicet-Pulver bei sehr übel riechendem Ausfluß. 

Die erwähnten Medikamente in Pulverform stäubt 
der Autor in die Vagina mittels Pulverbläser. 

Überraschende Erfolge in verhältnismäßig kurzer 
Zeit konnte er auch bei der Pulverbehandlung stark 
secernierender Wunden und Fisteln aller Art, bei welchen 
die andauernde Sekretion allen Heilungsbestrebungen 
hartnäckigen Widersand leistete, und bei denen eine 
monatelange Therapie mit aseptischen Trockenverbänden 
und antiseptischen Ausspülungen erfolglos war, feststellen. 
Er benutzte hierbei das Dr. Reiß’sche Bolusal, das mittels 
eines Pulversprays mit feinster Kapillarzerstäubung in 
alle Buchten und Tiefen des Wundbettes aufgepudert 
wurde. Das andere Präparat „Bolusal mit Tierkohle 11 , 
welches eine energische bakterienfixierende Wirkung 
hat, empfiehlt der Autor bei infizierten Wunden mit 
schlaffen Granulationen infiltrierter Umgebung und stark 
eitriger Sekretion. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Die Behandlung von Typhusbazillenträgern mit Tierkohle. 

Von Professor Dr. Th. Kuhn, Leiter der Bakteriologischen 
Untersuchungsanstalt Strassburg i. E. „Arbeiten aus dem 
Kaiserlichen Gesundheitsamte.“ Band 50, Heft 3, 1916. 

Da mehrere Autoren gute Erfolge in der Behandlung von 
Typhusbazillenträgern mit Tierkohle allein oder in Verbindung 
mit Jodtinktur oder Thymol gesehen haben wollten, unternahm 
es Kuhn, 29 Bazillenträger in der gleichen Weise zu behandeln, 
um sie bazillenfrei zu machen. Ausser etwas Leibschmerzen 
und leichter Übelkeit bei einigen Personen wurde die Behand¬ 
lung gut vertragen. Ihr Erfolg war jedoch gänzlich 
negativ, ja fast hatte es den Anschein, als ob die Be¬ 
handlung die Bazillenausscheidung noch steigert. Prüft man 
die Wirkung der Tierkohle auf die Bakterien im Reagenzglas, 
so reisst die Kohle die Bakterien aus Aufschwemmungen 
nieder, aber tötet sie nicht ab. Die Erfolge von 
Kalberlah und von Gerönne und W. Lenz sind so zu er¬ 
klären, dass die Bazillenträger dieser Autoren keine Dauer- 
ausscheider, sondern Spätausscheider waren. Nach 
Kuhns Ansicht wären diese auch ohne Behandlung bazillenfrei 
geworden, was wohl richtig sein dürfte. 

H. Gräf-Hamburg. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Dr. B. Heller-Salzburg. Infanteriegesehoss in der 
Herzmuskulatur. (M. Kl. 1916, Nr. 1, S. 15.) 

Ein Schuß am linken Schulterblatt, verheilt in kurzer 
Zeit. Kein Ausschuß. Gleich nach der Verletzung Bluthusten. 
Subjektive Beschwerden gering: zeitweise Atemlosigkeit und 
Herzklopfen bei geringen Anstrengungen. Aussehen gut, Herz 
etwas nach links verbreitert, Töne rein. Puls nicht beschleu¬ 


nigt. Durchleuchtung: Spitzes, den Herzbewegungen folgen¬ 
des Geschoß in der Herzmuskulatur links 'von der Medianlinie 
in der Kammerwand. v. S c h n i z e r. 

M a r q u a r d t-Haspe i. W.: Zwei Fälle von Gasphlegmone. 
Kasuistischer Beitrug. (M. m. Wschr. 4. 16.) Fall 1 Verlauf 
der Gasbrandbazillen auf dem Wege der Blutbahn und unter 
Fortschreiten der Gasphlegmone distalwärts entgegen dem 
Lymphstrom. Fall 2 kam zur Heilung unter i-jpaltschnitten 
bis auf den Knochen reichend, die an der Grenze der erkrankter, 
und gesunden Partien angelegt werden. Mühl haus. 

Stoll: Statistische und mechanische Verhältnisse bei 
Beinprothesen. (M. m. Wehs. 4. 16. 

Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet. Verf. will mit 
seinen Ausführungen dazu beitragen, dass Vorzüge oder 
Fehler des Prothesenträgers irrtümlicherweise der Prothese 
selbst zugeetanden werden. M ü h 1 h a u s. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Leppmann, Psychiatrische und ncrrenärztllrhe Sach- 
verstandigentätigkeit Im Kriege. (Zeitschr. für ärztliche Fort¬ 
bildung, Nr. 22, 1915.) 

Verfasser hat die Leitung einer Irren- und Nervenabtei 
lung des Garnisonlazaretts I in Berlin und demgemäss viel 
psychiatrisch-neurologisches Soldatenmaterial gesehen, das er 
begutachtet hat teils auf Diensttauglichkeit, teils auf Dienstbe- 
Schädigung, teils auf militärstrafrechtliche Verantwortlichkeit 
Bei der Diensttauglichkeit war beachtenswert, dass sich die 
geistig Minderwertigen besser bewährt haben als im Frieden 
Hierbei war der Einfluss der allgemeinen Begeisterung und 
des erhöhten Patriotismus unverkennbar. Am besten hielten 
leicht Verstandesschwache und paronoid Veranlagte stand, 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 32. 


FORTSCHRITTE DER MEDZIIN. 


317 


während die chronisch Verstimmten, die Reizharen, Unsteten 
auch ira Felddieust oft SchifThruch litten. Auch die Epileptiker 
hielten sich besser, als erwartet wurde. — Dezi, der Dienstbe¬ 
schädigung kommt es auf den Nachweis an, dass die besonderen 
Kriegsanstrengungen und Aufregungen den Ausbruch der Krank¬ 
heit zu Wege brachten. Bei Dementia praecox, Paralyse und 
Alkoholismus kann eine Dienstbeschädigung häufig ausge¬ 
schlossen werden. Dagegen verursacht die im Felddienst auf¬ 
tretende „überschnelle Entfettung“ oft Geistesstörungen, die 
den Gefangnispsychosen und dem Zuchthausknall sehr ähnlich 
sind und die Verfasser als „Kriegspsychosen“ zusammenfasst. 
Hierbei ist Dienstbeschädigung seitens der Sachverständigen 
auzuerkennen. Die Kriminalität ist im deutschen Heer keine 
grosse. In Konflikte geraten hauptsächlich die Phantasten und 
Phantasielügner uuter den Schwachsinnigen durch Anlegen von 
Ofliziersuuiform, Orden oder Ehrenzeichen, die Schwachsinnigen 
mit krankhaftem Wandertrieb durch Wegbleiben von der Truppe, 
die Alkoholiker durch Insubordinationen. Die zweite Gruppe 
ist meist nicht entschuldbar, kann höchstens auf mildernde 
Umstände Anspruch machen Verfasser schliesst mit den 
markanten Worten: „Ich glaube, unser Volk ist in seinem 
Kern nervengesuuder, als wir geglaubt haben, und das hat der 
Krieg gezeigt!“ Wern. H. Becker- Herborn. 

W i t z e 1 Die Enzephaolyse bei traumatischer Epilepsie 
und Zephulalgie. (Münch med. Wocbenschr., Nr. 43, 1015.) 

Bei traumatischer Epilepsie handelt es sich meist um 
Fixation des Gehirns an der Knochenweichteilnarbe, wodurch 
die bei seinen pulsatorischen Ausdehnungen nötige Beweglich¬ 
keit gestört wird. Hier ist besonders bei den jetzt massenhaft 
auftretenden Kriegsbeschädigungen rechtzeitig operativ einzu¬ 
greifen. Verfasser legt seine Methode dar. Die Haut-Knochen¬ 
narbe, ebenso die Duranarbe, wird entfernt, die narbige Ober¬ 
fläche des Gehirns einfach geglättet, ein dem Oberschenkel ent¬ 
nommener Fettlappen zwischen Dura und Gehirn eingeschoben, 
und zwar mit der Fettseite hirnwärts, mit der Faszienseite 
nach aussen, endlich sorgfältige Nähte, aber keine sofortige 
plastische Knochendeckung. „Die epileptischen und zephal- 
algischen Aufalle setzen bei frischen Fällen meist sofort aus. 
Da, wo sie bereits häufig waren, kehren sie nur ein oder 
mehrere Male wieder.“ Erst wenn die Anfälle mindestens über 
ein Jahr ausgeblieben sind, ist es geraten die Knochentrans¬ 
plantation vorzunehmen, falls sie nicht überhaupt sich erübrigt. 
Drei Abbildungen illustrieren den Operationsvorgang anschau¬ 
lich. Wern. H. Becker- Herborn. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Albert Hirsch, Ein Fall von Pseudotetaiius (Escherich). 
Aus der Heidelberger Kinderklinik. iMonatsscbr. f. Kinderh 
XIII. Bd., Nr. 10.) 

Kasuistischer Beitrag mit Erörterung der verschiedenen 
Ansichten über die Aetiologie des Pseudotetanus. 

Braun- München. 

Carl Coerper, t'ber die Palpation peripherer Drüsen und 
deren klinische Bedeutung bei Kindern der ersten zwei Lebensjahre. 

(Aus dem Barmer Säuglingsheim. [Leitender Arzt: Dr. Theodor 
HofTa.j) Monatsschr. f. Kinderh. XHI. Bd., Nr. 1Ü. 

Verfasser prüfte systematisch 11 Drüsengruppen bei 1000 
Kindern der ersten zwei Lebensjahre. Er stellte unter anderm 
fest, dass bei allen ausgetragenen Kindern ausnahmslos Achsel¬ 
drüsen zu fühlen sind. Künstlich genährte Kinder haben mehr 
fühlbare Drüsen als natürlich genährte. Sehr viele palpable 
Drüsen bei chronischen Ernährungsstörungen. Während bei 
Lues und Sepsis sehr viele Drüsen fühlbar sind, finden sich 
bei Tuberkulose relativ wenige. B r a u n - München. 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten 
der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Von A. N e i s s er Breslan Ist es wirklich ganz unmöglich, 
die Prostitution gesundheitlich unschädlich zn machen? (Deutsch- 
Med.-Wochenschr. 1915 Nr. 47.) 

N. hält es sehr wohl für möglich, wenn natürlich auch 
nicht ein vollkommenes Ungefahrlichmachen der sieh prostitu- 
reenden Frauen zu erreichen ist, aber doch eine so beträchtliche 

Digitized by Google 


[ Verminderung der Ansteckungsgefahr, dass es zu einer ent¬ 
sprechenden Herabsetzung der Männerinfektionen kommen 
müsse; was naturgemäss wieder einen günstigen Rückschlag 
auf die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten unter den Frauen 
ausüben muss und macht folgende Vorschläge. 

1. Es sollen je nach der Grösse der Stadt ein oder viele 
Ambulatorien, Polikliniken oder Fürsorgestellen — letzterer 
Name scheint ihm der beste — „für an Frauen- und Geschlechts¬ 
krankheiten leidende Mädchen und Frauen“ eingerichtet werden. 

2. Als Arzte an diesen Fürsorgestellen sind natürlich nur 
spezialistisch ausgebildete Ärzte und Ärztinnen anzustellen. 

3. Neben den freiwillig in Behandlung tretenden Personen 
werden auch von den polizeilichen Organen überwiesene Personen 
in Behandlung genommen, soweit es sich um von den Polizei- 
organen aufgegriffene, aber noch nicht eingeschriebene Personen 
handelt. 

4. Für die inskribierten Puellae wünsche ich auch die 
Kontrolle und die nachher noch zu schildernde Behandlung 
in „Fürsorgestelleu“ vorgenommen zu sehen. Aber diese poli¬ 
klinischen Anstalten sollen von den für die freiwillig sieb 
Meldenden und noch nicht Inskribierten getrennt bleiben. 

5. Überall müssen Polizei-Assistentinnen und Fürsorge¬ 
schwestern mitwirkeu. 

Zu allen diesen Zwangsmassregeln müssten hinzutreten, 
eine sehr viel ausgiebigere Belehrung und Aufklärung der 
jungen Mädchen, die auf eigne Füsse gestellt sind. 

Der Zwang soll sich nur richten auf Befolgung der ärzt¬ 
lich gegebenen Vorschriften, und eine „polizeiliche“ Überwachung 
soll nur diejenigen treffen, die trotz aller Belehrung und Warnung 
und Hilfe durchaus dabei beharren, dass sie Prostitution treiben 
! wollen. 

In einem zweiten Abschnitt werden dann noch die be¬ 
sonderen ambulant durchzuführenden Behandlungsmethoden 
der einzelnen Geschlechtskrankheiten besprochen ohne dass 
grundsätzlich Neues berichtet würde. Gans. 


Neue Medikamente. 

Hyrgarsol, von der chemischen Fabrik von Heyden in 
Radebeul bei Dresden liergestellt, soll ein vollständiger Er¬ 
satz des Enesol-Cliu vorstellen von genau gleicher Zusammen¬ 
setzung und Eigenschaft. Es ist eine in Ampullen ä 2 ccm 
abgefüllte Anreibung von Hydrarg. salicylic. und Natr. 
methylarsenicic. mit einem Quecksilbergehalt von ca. IG —17%. 
Man darf getrost dem Hyrgarsol zumindest das gleiche Ver¬ 
trauen entgegen bringen wie dem bisher gebräuchlichen Enesol 
der französichen Fabrikanten. Otto, 

Büch erschau. 

H i n d h e d e, N (Kopenhagen), Praktisches Kochbuch- 
Deutsch von Prof. v. Düring. Verlag W. Vobacli & Co. 
Berlin, Leipzig, Wien, Zürich. 191G. Mk. 2,60. 

Jedem, der auf Urlaub in die Heimat kommt, fällt es 
auf, wie die Ernährungsfrage die Gedankenwelt beherrscht. 
Die vornehmsten Damen zerbrechen sich die Köpfe wegen der 
Frage: Was kochen wir heute? und drehen die Fleisch-, Brot- 
usw. Karten der Familienangehörigen ratlos zwischen den Fingern. 

Ihnen müsste das Buch von H i n d h e d e eine wahre 
Erlösung bringen. Allerdings in einer, den meisten ziemlich 
unerwarteten Form. Denn der berühmte Reformator der Er- 
, näbrungslehre lehnt unser ganzes Küchenwesen von Grund aus 
ab. Schrotbrot, Kartoffel, Butter, Früchte sind die Dinge, mit 
denen er ideale Speisezettel für Gesunde und Stoffwechsel- 
Kranke zusammenstellt Alles übrige kann man mehr oder 
minder vollständig entbehren. Aber die Kochrezepte verraten, 
dass H. es auch zu verwenden versteht. 

Natürlich ist auch eine gewisse Kunst zu essen erforder¬ 
lich. Keine Mahlzeit ohne Hunger! Hört auf, sobald der. 
Hunger gestillt ist! Bei Tisch wird nicht geredet, sondern 
gekaut! — Das sind goldene Regeln, welche manch einen vor 
fatalen Indispositionen und chronischen Erkrankungen be¬ 
wahren könnten, wenn er sie zu befolgen gelernt hätte. 

Ich möchte wünschen, dass recht viele jungen Hausfrauen 
das Buch täglich zur Hand nähmen und die Ratschläge bezügl. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





318 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 32. 


richtigen und sparsamen Kochens, Lebensmittelpreise, Nährwert 
und Preis, billige Speisezettel usw. immer wieder durchstudierten. 
Dann würden sie ihrem Ehegatten beibringen, wie unzweck- 
mässig er bis jetzt gelebt hat, würden ihren Kindern Gesund¬ 
heit, Anspruchslosigkeit und eiu beträchtliches erspartes Kapital 
mitgeben und durch ihr Beispiel über den eigenen Lebenskreis 
hinaus kräftigend auf das ganze Volk wirken. Indessen, diese 
Perspektive ist zu schön, als dass sie jemals Wirklichkeit 
würde. Aber wenn auch nur einige wenige sich die praktisch 
erprobte H i n d h e d e’sche Lebensführung zu eigen machen, 
werden wenigstens diese einen reichen Gewinn an Gesundheit 
und Lebensfreudigkeit haben 

Buttersack. 


Ärztliche Technik. 

Das „Ultra-Polysol“-Lichtbad (Upe-Lichtbad). 

Von Dr. P. L. Anders, Berlin. 

Der hohe therapeutische Wert der Allgemeinbehandlung 
im Lichtbade und die Notwendigkeit einer solchen selbst bei 
scheinbar nur lokalen Prozessen findet immer weitere An¬ 
erkennung. So berichtet u. a. Professor Axel Rey n, der Nach¬ 
folger Finsens aus seinem Lichtinstitut in Kopenhagen 
(Strahlentherapie Heft 0, 1915) über die Heilung schwerster 
Lupusfälle, welche vordem lange Zeit nur lokal, aber voll¬ 
kommen erfolglos mit Licht behandelt waren, als man sie gleich¬ 
zeitig auch der Allgemeinbehandlung mit Lichtbädern unterzog. 

Die Absorption der Lichtstrahlen im Körpergewebe ist, 
wie längst wissenschaftlich festgestellt, die Hauptursache der 
vorzüglichen Wirkung der Lichtbäder gegenüber anderen 
WärmeanWendungen und die im abgeschlossenen Lichtbade 
nebenher entstehende Koutaktwärme meist eine unangenehme 
Beigabe, da sie die Dauer des Lichtbades und so die eigentliche 
Lichtwirkung wegen der schnell eintretenden durch sie be¬ 
dingten hohen Temperatur eiuschränkt. 

Dies ist der Grund, weswegen das Iutensiv-Lichtbad 
„Polysol“ unter den Lichtbädern eine eigenartige, in thera- 
pieutisc.her Beziehung ganz markante und hervorragende Stellung 
einnimmt, da seine Lampen sehr wenig Kontaktwärme, da- 
gageu eine reiche Menge strahlender Energie liefern. Es ist 
das charakteristische dieser Bäder, dass schon bei ganz 
niedriger Temperatur im Lichtbade und zwar weit unter der 
Körpertemperatur des Badenden Schweissausbruch erfolgt, daher 
keine wesentliche Erhöhung der Blutwärme, keine Wärme¬ 
stauung im Körperinnern eintritt, da der frühzeitige Schweiss¬ 
ausbruch und die damit verbundene Wasserverdunstung einen 
schnellen Temperaturausgleich gewährleistet. So sind diese 
Bäder nicht angreifend und deswegen auch bei Schwächezu¬ 
ständen und Herzkranken ohne Schaden zu verwenden. 

So wertvoll diese Einrichtung für den therapeutischen 
Erfolg auch ist, so entbehrt das Licht dieser Bäder einen 
wesentlichen Lichtkomponenten, dessen therapeutische Bedeutung 
bei der örtlichen Behandlung mit dem Licht des Kohlenbogen- 
licht-Scheinwerfers (Radiosol) überall so wesentlich in den 
Vordergrund getreten war, dass man das Kohlenbogenlicht 
auch zur allgemeinen Behandlung längst verwandte. Leider 
stiess man hierbei auf technische Schwierigkeiten, die ver¬ 
hinderten, höhere Lichtintensitäten im Lichtbade zur Ein¬ 
wirkung zu bringen. 

Diese im Kohleubogenlieht reichlich vorhandenen wertvollen 
blauvioletten Strahlen fehlen der bisherigen Glühlampe gänzlich. 

Neuerdings ist es der Glühlampenfabrikation gelungen, eine 
Glühlampengattung herzustellen, in welcher neben den roten und 
gelben Strahlen auch blauviolette Strahlen reichlich vertreten sind. 

Diese Lampen, wegen ihres idealen, dem Sonnenlicht 
ähnlichen Strahlengemisches „Radiosol“ Lampen genannt, hat 
die E. G. Sanitas, mit dem schon im Polysol-Lichtbad lang¬ 
langjährig erprobten, hyperbolisch gekrümmten Reflektoren 
versehen im Upe-Lichtbade so zweck mässig angeordnet 
und verteilt, dass sie die Lichtreflexion in denkbar bester 
Weisa bewerkstelligen. So liefert das UpeLichtbad durch 
die Radiosollampen der Upe-Reflektoren einmal die denk¬ 
bar grösste Menge strahlender Energie in einem Strahlen¬ 
gemisch, welches in zweckmässiger Verteilung nicht allein 
die tiefdringenden Strahlen der rotgelben Spektrumseite, 


sondern auch die mehr indirekt durch ihren Reiz auf die 
Nerven der Haut wirkenden Strahlen der blauvioletten enthält 
und daher lichttherapeutisch von ausserordentlich intensiver 
Wirkung ist, da es in seiner Lichtmischung dem Licht der 
Hochgebirgssonne ähnlich ist. Sodann gewährleistet die Lampen- 
verteiluug und die hyperbolisch gekrümmten Reflektoren, dass 
die ganze zu Gebote stehende Lichtfülle in ausgedehntestem 
Masse zur Wirkuug gelangt. Die Wärmestrahlung auf die 
Haut wird im Gegensatz zur Strahlung im gewöhnlichen Licht¬ 
bade mit Kohlenfadenlampen viel angenehmer empfunden, das 
Licht ist wohl warm aber nicht brennend. Es ist dies ein 
ähnliches Verhältnis, wie wir es beim Vergleich der Sonne 
der Tiefebene mit der des Hochgebirges finden, während wir 
bei der gleichen Temperatur im Sommer die Sonnenwärme iu 
der Tiefebene unangenehm wärmend empfinden, fehlt dieses 
unangenehme Gefühl im Hochgebirge gänzlich. 

Trotz der reichlichen Menge strahlen¬ 
der Energie ist der Stromverbrauch im 
Upe-Lichtbade bedeutend geringer wie im 
gewöhnlichen Licht bade. 

So braucht z. B. ein Glühlichtbad mit 48 lGkerzigen 
Kohlenfadenlampen und einer Lichtstärke von ca. 800 H-Kerzen 
bei 110 V. Spannung ca. 24 lUOkerzigen Lampen und einer 
Lichtstärke von ca. 2400 H-Kerzen nur ca. IG,5 Ampere bei 
derselben Stromspaunung. 

Nachruf. 

Albert Neißer. 

Schon wieder eine Trauernachricht. War mit Met- 
schnikoff ein großer Ilämato- und Bakteriologe erst vor 
einigen Tagen dahingegangen, so ist mit Albert Neißer, 
dessen Tod gemeldet wurde, vielleicht der Größte 
der jetzt lebenden Dermato-, Bakteriologen und glänzenden 
Kliniker der medizinischen Praxis und Forschung ver¬ 
lorengegangen. Dies ist in Wahrheit ein unersetzlicher 
Verlust. Mit seinem Namen ist für alle Zeiten die hoch¬ 
wichtige Entdeckungdes Gonococcus und des Leprabazillus 
verbunden. Mit Ehrlich und Wassermann hat er manches 
Bahnbrechende zusammen erforscht. Speziell war es die 
Wassermannsche Reaktion, welche ihre Entstehung und 
praktische Verwendung ihm verdankt. Seine ausge¬ 
dehnten Reisen führten ihn zu Forscherzwecken in die 
entlegensten Weltteile. Ganz besonders bekannt sind 
seine experimentellen Syphilisforschungen an Affen auf 
Borneo und Java. Auch an der Entdeckung des Salvar- 
san durch Ehrlich hatte ereinen nicht unbedeutenden Anteil. 

Er war obendrein ein glänzender Redner, ein ge¬ 
radezu gesuchter Lehrer— er war der erste ordent¬ 
liche Professor der Dermatologie in Deutschland! — 
und geistreicher Schriftsteller. Die trockenste Materie 
wußte er anziehend zu machen. Aus aller Herren 
Ländern strömten ihm in Scharen die Schüler herbei. 
Als Gründer und spiritus rector der Deutschen Ge¬ 
sellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
rückteer in die erste Reihe der Sozialhygieniker. Unter der 
jetzt lebenden Dermatologengeneration gibt es fast 
keinen, der nicht an seiner weltberühmten — vielleicht 
weltgrößten und reichlichst ausgestatteten Klinik in 
Breslau mit ihren musterhaften Laboratorien gearbeitet 
hätte. Im Privatleben war er ein vielseitiger, fein¬ 
fühliger Kunstkenner, ein liebenswürdiger Mensch. 
Sein Tuscalum in der Nähe der Stadt Breslau war der 
Mittelpunkt aller wissenschaftlichen und künstlerischen. 
Bestrebungen. Und so starb er in den Sielen . . . 
in verhältnismäßig noch rüstigem Alter von 61 Jahren, nach¬ 
dem er noch vor garnicht langer Zeit als Armeegeneral¬ 
arzt so Großes für das Wohl des Heeres auf seinem 
Spezialgebiete geleistet und viel Bedeutsames publiziert 
hatte . . . Die Wissenschaft, die Menschheit hätte von 
ihm noch manche schönere Früchte erwarten können .. 

Von ihm kann man mit vollem Rechte ausrufen: 
„Wehe um die Dahingehenden, welche keinen Ersatz 
hinterlassen.“ Dr. med. R a t n e r , Wiesbaden. 


Digitized bi 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








33. Jahrgang 


1915/16. 


fortsdmm der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg 


Unur imiwirkuitg bervorragender Tadrniäniur 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Erscheint am 10.. 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mir. für das Halbjahr II 
Nr. 33 ! Verlag Johndorff <& Co., G. m. b. H, Berlin NW 87. - Alleinige Inseratenannahme durch ' 30. August. 

Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Zur Erzielung der „willkürlich bewegbaren 
künstlichen Hand.“ 1 ) 

Von Dr. Richard Pf 1 u g r a d t , Chefarzt der chiturgischen Ab¬ 
teilung des Kreiskrankenhauses Salzwedel. 

M. H.! 

Ich darf voraussetzen, daß Ihnen die Veröffent¬ 
lichungen von Sauerbruch aus dem letzten halben 
Jahre im wesentlichen bekannt sind, die er in seiner 
jüngst erschienenen Monographie über ,,die willkürlich 
bewegbare künstliche Hand“ zusammengefaßt hat. Von 
dem Gedanken ausgehend, „die in einem Amputations¬ 
stumpf zurückgebliebenen Muskelkräfte für die Bewegung 
einer künstlichen Hand auszunützen“, hat Sauerbruch 
gemeinsam mit Anatomen und Technikern ein Verfahren 
ausgebildet, das, wie er auf der diesjährigen Kriegs¬ 
chirurgen-Tagung an einer größeren Zahl von Kriegs¬ 
invaliden zeigen konnte, die Amputierten in die Lage 
setzen wird, die künstliche Hand ihrer Prothese will¬ 
kürlich zu bewegen: durch aktives Greifen Gegenstände 
zu fassen und zu halten, und z. T. auch durch aktiven 
Muskelzug die Finger der künstlichen Hand wieder zu 
strecken und damit den gefaßten Gegenstand wieder 
loszulassen. 

Der leitende Gedanke war, wie Sauerbruch her¬ 
vorhebt, an sich nicht neu. Verschiedenen älteren und 
neuen Modellen des künstlichen Arms liegt schon die 
Idee zu Grunde, durch indirekte Übertragung derjenigen 
Muskelkräfte, die den Oberarm im Schultergelenk oder 
den Vorderarm im lilienbogengelenk bewegen, auf den 
Handteil der Prothese auch eine willkürliche Bewegung 
der künstlichen Hand zu erzielen. Alle diese Apparate 
unterliegen im Gebrauch der Beschränkung, daß die 
Bewegung der künstlichen Hand nicht selbständig vor 
sicht geht, sondern stets abhängig ist von gleichzeitigen 
Bewegungen des Rumpfes oder einer bestimmten Ein¬ 
stellung des Oberarmstumpfes im Schultergelenk bezw. 
des Vorderarmstumpfes im Ellenbogengelenk. Da die 
Muskulatur des Stumpfes selbst dabei größtenteils un¬ 
tätig bleibt, so atrophiert sie mit der Zeit, die Stümpfe 
werden konisch und bilden eine Quelle für mannigfache 
Beschwerden. 

Aber auch der Plan, die im Stumpf zurückgebliebene. 
Muskelkräfte selbst: bei den Oberarm-Amputierten die 
Beuger und Strecker für den Vorderarm, bei Vorderarm- 
Amputierten die Beuger und Strecker für Hand und 
Finger als lebendige Kraftquellen für eine direkte Be¬ 
il Vortrag mit Krankeiidemonstralion, gehalten auf der außer¬ 
ordentlichen Sitzung der Medizinischen Gesellschaft in Magdeburg 
am 15. Juni 1916. 

Digitized by Google 


wegung der künstlichen Hand zu erhalten und durch 
eine plastische Operation herzurichten, ist schon früher 
erwogen worden. Im Jahre 1899 hat der Italiener 
Vanghetti auf Grund von Tierexperimenten den Vor¬ 
schlag gemacht, bei Operationen an der oberen Extremität 
durch \ ernäliung von Sehnen oder Muskeln vor dem 
Knochenstumpf Schlingen zu bilden, um diese später 
mit den Sehnen der künstlichen Hand in Verbindung 
zu bringen. Das Verfahren ist von Ceci in Pisa am 
Menschen einige Male versucht worden. 1909 hat 
Eigart ein ähnliches Verfahren angegeben, wobei er 
ebenfalls von dem Prinzip ausging, möglichst alle im 
Amputationsstumpf der oberen Extremität zurückge¬ 
bliebenen Kräfte auszunutzen und für den Gebrauch 
der späteren Prothese zu verwerten, ln einer zusammen¬ 
fassenden Arbeit „über moderne Bestrebungen zur Ver¬ 
besserung der Amputationstechnik“ in den Ergebnissen 
der Chirurgie und Orthopädie vom Jahre 1911 erwähnt 
Ritter einen in der Literatur beschriebenen Fall von 
kongenitalem V order arm-Amputation s - 
stumpf, „der durch seine überstehenden an der Haut 
inserierenden Muskel- und Sehnenstümpfe die Form 
eines Rüssels und eine erstaunliche Greiffähigkeit er¬ 
halten hatte“. Möglicherweise haben derartige Beobach¬ 
tungen nach „natürlicher Amputation“ die genannten 
Autoren veranlaßt, auch für chirurgische Arinamputatioiien 
ein kineplastisches Verfahren zu ersinnen. 

Neuerdings, aber noch vor Ausbruch des Krieges, 
ist von Pavr eine Vorderarm-Amputation nach der 
V a n g h e 11 i sehen Methode mit Erfolg ausgeführt worden, 
zu deren Veröffentlichung Payr sich jetzt nach den 
Sa u e rb r u c h sehen Mitteilungen veranlaßt sah. 

Uber vereinzelte Teilerfolge waren die Versuche 
jedoch nicht hinausgekommen. Die Gründe dafür, daß 
die Methode Vanghettis bisher keine weitere Ver¬ 
breitung gefunden hat, liegen offenbar darin, daß die 
Erfinder des Verfahrens selbst anscheinend nicht viel 
Vertrauen zu seiner allgemeinen praktischen Durch¬ 
führung hatten, daß ferner bei dem heutigen konservativen 
Standpunkt der Chirurgie Armamputationen in Friedens¬ 
zeiten immerhin zu den selteneren Operationen gehören, 
und daß durch allgemeine Verwendung der von ortho¬ 
pädischer Seite ausschließlich empfohlenen Arbeits¬ 
prothesen diese Frage nach einer anderen Richtung 
hin zum Endziel gebracht zu sein schien. Ein weiterer 
Hinderungsgrund mag auch der gewesen sein, daß die 
kineplastisch' 1 Umgestaltung eines Amputationsstumpfes 
meist nur mit dem Opfer einer weiteren Verkürzung 
des Stumpfes erkauft werden kann. 

Es ist das unbestrittene Verdienst Sauerbruchs, 

Original fforn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





320 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 33, 


dies; Bedenken überwunden und sich durch anfängliche 
Mißerfolge von der planmäßigen Ausbildung bestimmter 
Operationsmethoden zur Erreichung des genannten Zieles 
nicht haben abschrecken zu lassen. Es ist Sauerbruch 
gelungen, das Verfahren so auszubauen, daß es voraus¬ 
sichtlich nunmehr zum Allgemeingut der praktischen 
Chirurgie wird. Zustatten kam ihm dabei die leider 
durch die jetzigen Kriegsverletzungen so hohe Zahl von 
Arm-Amputierten. 

Der Wunsch, unsern verstümmelten Kriegern nicht 
nur die Segnungen orthopädischer Kunst zuteil werden 
zu lassen, sondern die aktive Leistungsfähigkeit ihrer 
verletzten Gliedmassen durch chirurgische Eingriffe, ins¬ 
besondere korrigierende Nachoperationen, auf das denk¬ 
bar höchste Maß zu steigern, wird mit Wahrscheinlich¬ 
keit auch andere Chirurgen, unabhängig von Sauer¬ 
bruch, auf den Gedanken gebracht haben, zunächst 
bei notwendig gewordenen Reamputationen das kineplas- 
tische Verfahren Vanghettis einmal zu versuchen. 
So habe auch ich im September vorigen Jahres, bevor 
ich von den Sauerbruch sehen Arbeiten Kenntnis hatte, 
bei einem Verwundeten unserer Lazarette einen der¬ 
artigen Versuch gemacht, nachdem ich zuvor durch 
Übung an der Leiche mich von der Ausführbarkeit der 
Methode überzeugt hatte. Zuerst war ich bei meinem 
Patienten mit dem Erfolge nicht zufrieden, konnte dann 
aber durch eine Nachoperation ein Resultat erzielen, das 
mich beim Vergleich mit den Sa u e r b r u c h sehen Fällen, 
die ich in Berlin zu sehen Gelegenheit hatte, dazu ver¬ 
anlaßt, die Methode auch meinerseits weiter anzuwenden 
und für geeignete Fälle allgemein zu empfehlen. Nach 
Besprechung mit dem beratenden Orthopäden unseres 
Bezirks, Herrn Kollegen Bien cke, habe ich vor kurzem 
den Patienten dem Herrn Stellvertretenden Korpsarzt 
vorgeführt mit der Bitte, mir weiter geeignete Fälle zu 
überweisen, und bin von ihm beauftragt worden, Ihnen 
heute hier meinen Kranken vorzustellen. 

Der 32 jährige Feldwebel W. H. ist am 6. VII 15 da¬ 
durch verwundet worden, dass ihm eine Handgranate 
in der rechten Hand explodierte, während eines Hamlgranaten- 
kampfes. Dadurch wurde ihm die rechte Hand abgerissen. 
Der Stumpf wurde nach Blutstillung verbunden, Bei der 
Aufnahme des H. in das Vereinslazarett des 
Kreiskran kenliauses zu Salzwedel am 4. VI11 
15 fehlte die rechte Hand und das distale Viertel des Vorder¬ 
arms. Aus dem granulierenden Stumpf ragte das in 
Sequestrierung begriffene distale Radiusende um mehr als 
3 cm vor. Keine lokalen oder allgemeinen septischen Er¬ 
scheinungen. Daneben fanden sich multiple oberffiieldich 
Splitterverletzungen an Kopf, Rumpf und unteren Extremitäten. 
Das Muskelspiel am Vorderarmstumpf war noch erhalten 
und wird unter täglicher ärztlicher Kontrolle konsequent 
geübt 

Am 13. IX. 15 habe ich den Patienten operiert: Nach 
Umschneidung der Granulationsfläche und Abtragung des 
sequestrierten Radiusendes 4 Hautlappen mit der Basis 
zeutralwärts gebildet, je einen auf der Beuge- und Streckseite 
und auf der Radial- und Ulnarseite. Die nun Ireiliegenden 
Sehnen- und Muskeln der Hand und Fingerbeuger wurden 
schlingen förmig miteinander vei näht und an dei Innenseite des 
breiten Hautlappens auf der Ulnarseite befestigt, im übrigen 
mit dem Hautlappen umkleidet Dasselbe geschah mit den 
Strecksehnen auf der radialen Seite. Nach Amputation von 
weiteren 2 Centimetern der beiden Vorderarmknochen und 
Resection der Nervenenden wurde der Stumpf durch die beiden 
schmaleren Haut-Fascienlappen von der Beuge- und Streck¬ 
seite gedeckt. Die Umkleidung der Kraftwülste gelang an 
deren Basis wegen der Spannung der Haut nicht vollständig. 
Die Spitzen der Wülste wurden über dem Stumpf miteinander 
vernäht, um ihre Retraction zu verhüten und um damit einen 
Kanal zwischen Stumpf und den vereinigten Kraftwülsten zu 
erhalten. Der Tunnel wurde tamponiert. 

Im weiteren Verlauf gaben die Nähte zwischen den beiden 


Digitized by Google 


Stümpfen nach. Die Stümpfe wichen auseinander und 
relrahierlen sich Ein nun angelegter Heftpiasterzugverband 
hatte nicht die gewünschte Wirkung. Da die aktive Muskel¬ 
tätigkeit in den Kraftwülsten gut erhalten blieb, so wurden 
diese hei einer 2. Operation am 11. 2. IC von dem übrigen 
Stumpf so weit abgelöst, dass sie seitlich isoliert vorragten, soweit 
möglich mit Hautlappen umkleidet und im übrigen mit 
Thiersch’schen Traiispluntationslappen gedeckt. Der Heilver¬ 
lauf war ohne Störung. Durch Massage, passive und aktive 
Muskelübungen haben wir dann eine erhebliche Kraftent- 
entwicklung der Wülste erzielt, von deren Stärke Sie sich durch 
Zug an deu vorragenden Enden der Wülste überzeugen 
wollen. 

Am 3. VI. 16 habe ich das Ende des Streckerwulstes 
mit einem dicken Troikarl durchbohrt, den Kanal also nur 
durch ilie Haut und die Insertion der Sehnen- und 
Muskelenden angelegt, und nach der Durchbohrung das Ende 
einer starken Zinnsomle hindurchgeführt und zu einem Ring 
geschlossen. 4 Tage nach Bildung des Kanals haben wir 
mit den ersten Übungen begonnen, indem wir durch deu Ring 
ein Band führten und an diesem aktiven Zug ausführen liessen. 
Einige Tage darauf halie ich das Stück Zinn¬ 
sonde durch einen zusnmmengeflochtenen starken Silberdraht¬ 
ring ersetzt, den Sie jetzt in dem Kanal sehen. Die Hautaus¬ 
kleidung des Kanals erwarten wir von einer spontanen 
Epithelisierung nach Art der Kanalbildung für die Ohr¬ 
ringe 

Von der Kraftleistung, die der Patient heute sowohl bei 
gebeugtem wie bei gestrecktem Vorderarm mit seinem selb¬ 
ständig arbeitenden Streekerwulst leisten kann, wollen Sie sich 
hier an dem kleinen Apparat überzeugen. Die an den Ring 
augeschlossene Schnur führt über eine kleine Rolle an dem 
Tisch hier. An das Ende der Schnur werde ich Gewichte von 
1 bis 5 Pfund hängen, die der Patient dann durch die 
kräftige Kontraktion seines Streckerwulstes um etws 2 cm 
heraufziehen wird. 

Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, was bei dem 
vorgestellten Verwundeten erreicht ist: Er verfügt an 
dem im übrigen frei beweglichen Vorderarmstumpf 
(Beugung und Streckung, Pro- und Cuprination für die 
willkürliche Bewegung der Prothese sind vollkommen 
erhalten) -- über 2 getrennte Kraftwülste, deren 
Muskulatur, in normaltr Weise innerviert, sich mit er¬ 
heblicher Kraft und Ausdauer kontrahieren kann, ohne 
dabei abhängig zu sein von der besonderen Einstellung 
des Stumpfes in den erhaltenen Gelenken, d. h. die 
Muskulatur der Kraftwülste arbeitet völlig selbständig. 
Die Kraftübertragung von diesen Muskelwülsten auf die 
künstliche Hand der Prothese erfolgt durch künstliche 
Sehnenzüge die an die Ringe in den Durchbohrungs¬ 
kanälen angeschlossen werden. Die Hauptaufgabe für 
die Funktion der natürlichen Hand, ebenso wie der 
willkürlich bewegbaren künstlichen Hand, fällt immer 
der Beugemuskulatur zu. Auch in unserm F'alle arbeitet 
der Beugewulst mit stärkerer Kraft, als der Streckwulst 
Ich habe zunächst nur in dem Streckwulst probeweise 
einen Kanal angelegt und habe Ihnen an diesem schon 
12 Tage nach der Bildung des Kanals eine Kraftleistung 
demonstrieren können, die etwa 4—5 kg —■ Centimeter 
enspricht, d h. es können 2,5 kg durch die selbständige 
Kontraktion des Kraftwulstes um etwa 2 cm erhoben 
werden. Der Patient kann ohne Mülle diese Krattleistung 
ununterbrochen schon jetzt für die Dauer von 5 Minuten 
und länger ausüben. Sie wird sich durch Übung ganz 
beträchtlich erhöhen lassen. Noch wesentlich mehr er¬ 
warte ich von der Kraftentwicklung des Beugerwulstes, 
wozu mich der Vergleich der Zugkraft beider Wülste 
vor der Anlegung des Kanals berechtigt. 

Durch die Kraft des Beugewulstes sollen der 2.—5. 
Finger der künstlichen Hand in die Hohlhand eilige- 
schlagen werden, wodurch das Greifen und Festhalten 
von Gegenständen ermöglicht wird. Für einen voll¬ 
kommenen Faustschluß ist noch die Opposition des 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 33. 


FORTSCHRITTE HER MEDZIIN. 


321 


Daumens erforderlich. Ich glaube, daß es technisch 
nicht allzu schwierig sein wird, durch Zweiteilung des 
an den Beugerwulst angeschlossenen künstlichen Sehnen¬ 
zuges auch dies zu erreichen. Dabei würde allerdings 
Fingerbeugung und Opposition des Daumens stets ab- 
hängig von einander und gleichzeitig erfolgen, was aber 
für den Faustschluß keinen Nachteil bringt. Es erscheint 
mir auch nicht ausgeschlossen, daß wir später bei diesem 
Patienten aus der noch nicht verwandten ßeugemus- 
kulatur eventuell eine dritte Kraftquelle schaffen könnten, 
durch die dann die Opposition des Daumens selbständig 
willkürlich zu bewerkstelligen wäre. Der Kraft des 
Streckerwulstes kommt nur die Aufgabe zu, die Kraft 
des Faustschlusses zu dosieren und zum Loslassen der 
Gegenstände die künstlichen Finger wieder zu strecken. 

Daß sich ein oder mehrere solcher Kraftwülste bei 
der größeren Zahl der Armamputierten, ebenso wie am 
Vorderarm, auch am Oberarm bilden und mit Erfolg 
für die Kraftübertragung auf die Prothese verwenden 
lassen, dafür hat Sauerbruch den Beweis erbracht. 
Auf anatomische und physiologische Einzelheiten für die 
zweckmäßigste Ausnutzung der verfügbaren Muskel¬ 
gruppen je nach der Höhe der Amputationsstelle ein¬ 
zugehen, würde hier zu weit führen. Ich kann dafür 
auf die detaillierten anatomischen Darstellungen in der 
Sa u e r b r u c h sehen Monographie verweisen. Nur einen 
grundsätzlichen Gesichtspunkt möchte ich hervorheben, 
den auch Sauerbruch besonders betont und der bei 
keiner derartigen Operation außer Acht gelassen werden 
darf: Das ist die strikte Forderung, keinesfalls zur 
Bildung der freien Kraftquelle diejenigen Muskeln mit 
zu verwerten oder dabei auch nur ihre normale Insertion 
zu schädigen, durch welche der erhaltene Stumpf selbst 
und damit die Prothese in ihren Armteilen bewegt werden : 
Das sind am Oberarmstumpf der Deltoideus und Coraco 
brachialis und an Stümpfen mit erhaltenen Vorderarm¬ 
teilen der Biceps und Brachialis, der Ansatz desTriceps, 
sowie der Supinator und der Pronator teres, eventuell 
der Brachioradialis und der 'Pronator quadratus. 

Die Sorge darum, daß durch die meist notwendige 
Verkürzung des Knochens die Funktion des Amputations¬ 
stumpfes geschädigt werden kann, wird meines Erachtens 
überschätzt. Gewiß ist ein möglichst langer Hebelarm 
von großem Wert für den Gebrauch der Prothese. Es 
kann aber mit gutem Grund behauptet werden, daß 
wenigstens bei jedem nicht zu kurzen Stumpf das Opfer, 
das durch den Verlust von 1 bis 2, ja auch 3 cm Länge 
gebracht wird, für die spätere Funktion tatsächlich ganz 
zurücktritt hinter dem Vorteil, der durch die Erhaltung 
der Muskelfunktion und durch ihre Wiederverwertung 
als aktive Kraftquelle gewonnen wird. Eine entschiedene 
Bedeutung für die Frage, wieviel von der Länge des 
vorhandenen Knochenstumpfes geopfert werden darf, 
hat die Einteilung der Oberarm- und Vorderarmlängen 
in bestimmte Wertzonen, die ebenfalls auf Grund 
genauer anatomischer und physiologischer Forschungen 
in der S a u e rb r u c h sehen Monographie angegeben und 
schematisch dargestellt sind. Die hier aufgehängten 
Zeichnungen sind dem S a u e r b r u ch sehen Werk ent¬ 
nommen, das sich darin offenbar an den Atlas von 
Spalteholz anlehnt. Es sind auf den Tafeln die 
Ursprünge und Ansätze der Muskeln zu erkennen, durch 
deren Erhaltung für die Funktion des Stumpfes selbst 
der Wert jeder einzelnen Zone bedingt wird. Diese 
Wertzonen geben uns gleichzeitig die Richtlinien zur 
Auswahl der jeweiligen Muskelgruppen für die Schaffung 
der neuen Kraftquellen, sodaß Sauerbruch für die! 
einzelnen Längen der Amputationstümpfe bestimmte 
Operationstypen angeben konnte. Sie im einzelnen hier 
zu besprechen, würde über den Rahmen meiner Demon¬ 
stration hinausführen. Auch hinsichtlich der allgemeinen 
und speziellen Operationstechnik kann ich nur 

Digitized by Google 


auf die Sauerbruch sehen Arbeiten hinweisen. Wie 
weit man sich im Einzelfall daran halten kann und 
will, muß dem Ermessen des Operateurs anheimgestellt 
werden. Die Operationstechnik wird wahrscheinlich im 
Laufe der Zeit noch weiter vereinfacht werden können. 
Auf einen Punkt möchte ich nur noch kurz eingehen: 
das ist die B i 1 d u n g d e s Kanals in dem geschaffenen 
Muskel- oder Sehnenwulst, der zur Aufnahme des Stifts 
oder in meinem F'alle des Ringes dient, durch den die 
Übertragung der Kraft des lebenden Muskels auf den 
künstlichen Sehnenzug erfolgt. Dieser Kanal muß 
natürlich von einer festen Epithelschicht ausgekleidet 
sein. Sauerbruch hält es in jedem Falle für richtiger, 
den Kanal durch die ganze Dicke der Muskulatur hin¬ 
durch anzulegen. Ein solch langer Kanal kann natur¬ 
gemäß nur durch Hautlappen mit der erforderlichen 
Epithelschicht austapeziert werden. Sauerbruch 
bildet dazu entweder aus der Haut des Stumpfes oder 
aus der Bauchhaut einen langen Hautlappen mit schmaler 
Basis, den er dann, mit der epidermalen Seite nach 
innen, zu einem Hautschlauch formt und durch den 
Durchbohrungskanal hindurchzieht. Es liegt auf der 
Hand, daß diese langen schmalen Hautlappen leicht, 
wenigstens an ihrem Ende nekrotisch werden. Ich betrachte 
es in meinem Falle als einen Vorteil, daß die schmalen 
Enden der Kraftwülste nur aus der Haut und den an 
deren Innenfläche inserierenden Muskelsehnen bestehen. 
Dabei kann man meines Erachtens die Hautauskleidung 
des Kanals lediglich von der spontanen Epithelisierung 
von den Rändern der Bohröffnungen aus erwarten, nach 
Art der Kanalbildung für die Ohrringe. 

Ich glaube nicht, daß die Kraftwülste meines Patienten 
deshalb später weniger Arbeit leisten werden, als die 
an entsprechenden Vorderarmstümpfen der Sauer¬ 
bruch sehen Fälle. 

Sodann sei mir gestattet, noch ein paar Worte über 
die Auswahl und die Vorbereitung der 
Patienten für erfolgreiche Anwendung der Methode 
zu sagen, wozu ich Ihnen hier noch zwei Verletzte vor¬ 
stellen möchte, bei denen wir in nächster Zeit gleich¬ 
artige Operationen vornehmen wollen. 

Vorbedingung ist, daß die Patienten die nötige 
Energie und Ausdauer versprechen. Wenn wir sie für 
das interessieren können, was wir erreichen wollen, und 
wenn sie selbst den erforderlichen Willen und der Arzt 
die nötige Geduld aufwendet, so wird es im allgemeinen 
nicht schwer fallen, ihnen das Gefühl für die einzelnen 
Muskelbewegungen in der noch vorhandenen Stumpf¬ 
muskulatur zu erhalten oder wieder zu eigen zu machen. 
So haben wir bei diesen beiden Patienten, neben Massage 
und passiven Bewegungsübungen, systematisch täglich 
üben lassen : einmal die aktive Beugung und Streckung 
des Vorderarmstumpfes, sowie dessen Pronation und 
Supination, dann aber auch die Kontraktion der einzelnen 
Muskeln, welche Hand und Finger beugen und strecken, 
indem wir sie auffordern, die Hand,' zur Faust zu 
schließen und zu strecken, den Daumen, den Zeigefinger 
und die andern Finger einzeln zu bewegen. Sie werden 
bei diesen beiden Patienten erkennen, wie sich, je nach 
der Aufgabe, die Sie ihnen in diesem Sinne stellen, der 
betreffende Muskelbauch bezw. die Muskelgruppe an 
dem Amputationsstumpf einzeln kontrahiert und wieder 
ausdehnt. Je frühzeitiger man mit diesen systematischen 
Übungen beginnt, um so besser bleibt das Muskelgefühl 
für die Einzelleistung erhalten, und um so mehr wird 
einer Atrophie der später zu verwendenden Muskulatur 
vorgebeugt. Das Bedenken, bei granulierenden Stümpfen 
die Verheilung der prominenten Granulationsflächen 
durch zu frühzeitige Bewegungsübungen etwa zu ver¬ 
zögern, trifft m. E. nicht zu. Bei dem einen dieser 
beiden Patienten haben wir sogar eine auffallend schnelle 
Überhäutung der anfangs recht ausgedehnten Granu- 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









322 


Nr. 33. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


lationsoberfläche des Stumpfes beobachten können, so¬ 
bald wir mit den Übungen begannen. Die wiederein- 
setzende Muskeltätigkeit hat hier offenbar bessere 
Zirkulationsverhältnisse in dem Stumpf zustande gebracht 
und dadurch den Heilprozeß wesentlich beschleunigt. 

Eine weitere sehr wichtige Frage endlich für die 
allgemeine praktische Verwertungdieses neuen Operations¬ 
verfahrens ist noch nicht gänzlich gelöst: das ist die 
Beschaffung geeigneter und preiswerter 
Prothesen, die den so Amputierten die volle Aus¬ 
nutzung ihrer wiedergewonnenen Muskelkräfte gestattet. 
Sauerbruch demonstrierte in Berlin eine von den 
Siemens-Schuckert-Werken angefertigte künstliche Hand, 
die hierin viel versprach, aber wohl noch nicht das 
Endergebnis technischer Leistungen auf diesem Gebiet 
darstellt. 

Ich hoffe, durch die heutige Demonstration des Herrn 
B 1 e n c k e und durch Anregungen aus Ihrem Kreise 
für die hier vorgestellten Patienten und für weitere ähn¬ 
liche Fälle nach dieser Richtung unterstützt zu werden. 


Ueber Röntgentiefentherapie. 

Von Dr. Emil Ekstein, Teplitz-Schönau. 

Die Behandlung äusserer Krankheiten mittels Röntgen’ 
strahlen ist fast so alt, wie die Entdeckung dieser Strahlen" 
art. 

Lupus und Krebs der Haut, oberflächlich gelegene Er¬ 
krankungen, welche man früher mit dem Messer, Glüheisen, 
oder mit scharf wirkenden Ätzmitteln behandelte, werden 
heute mit glänzendem Erfolge mittels Röntgenstrahlen be¬ 
handelt. 

Von einer wirksamen Beeinflussung tieferliegender, unter 
der Haut oder in Körperhöhlen befindlicher Erkrankungen 
gewisser Organe durch Röntgenstrahlen wurde der ärztlichen 
Welt erst in den letzten Jahren Kunde, als es durch Filterung 
des Röntgenlichtes und der Isolierung der „harten Strahlen“ 
gelang, dieselben für eine Tiefenwirkung nutzbar zu machen, 
ohne die bedeckende normale Haut zu schädigen. 

Diese neue Richtung in der Verwertung des Röntgen¬ 
lichtes, die intensive Tiefenbcstrahlung ging von den P'rauen- 
kliniken Hamburg, Freiburg i. B., Heidelberg und München 
aus. 

Hier wurden vorerst an vielen Hunderten von leidenden 
Frauen Versuche durch Jahre hindurch angestellt, welche 
von ausgezeichnetem Dauererfolge begleitet waren, und dann 
erst auf der Versammlung der deutschen Gesellschaft für, 
Geburtshilfe und Gynaekologie in Halle a. S. im Mai des 
Jahres 19 j 3 mit voller Bestimmtheit bekannt gegeben 
wurden. 

Ganz bezeichnend ist es, dass gerade die Gynaekologie 
ein unblutiges, schmerzloses Operationsverfahren mit der 
Rötgentiefenbestrahlung zur Heilung von Erkrankungen der 
weiblichen Geschlechtsorgane zeitigte, welche vorher aus¬ 
schliesslich nur mit dem Messer beseitigt zu werden pflegten. 
Die Gynaekologie, welche Weiland Gussenbauer im Jahre 
1890 mir persönlich als einen Appendix der Chirurgie be- 
zeichnete, gelang es, das Ziel zu erreichen, welches Weiland 
Gussenbauer im Jahre 1895 in seiner Abschiedsvorlesung in 
Prag vorschwebte und das er in folgende Worte kleidete: 
„Die Chirurgie wird erst dann ihre Triumpfe feiern, wenn 
sie es Messers entraten können wird“. 

In jener Zeit begann die Gynaekologie ihre Triumpfe 
gerade mit dem Messer zu feiern und dachte damals wohl 
kaum Jemand daran, dass durch dieselbe dieses Ziel 
Gussenbauers jemals erreicht werden würde. Ist es in der 
That gelungen Myome mit ihren oft Leben bedrohenden 
Blutungen unblutig, schmerzlos ohne jede Lebensgefahr 
durch die Röntgentiefentherapie in ihrem Wachstum auf¬ 
zuhalten, zur Verkleinerung resp. zu solcher Schrumpfung 

Digitized by Google 


zu bringen, dass die Blutungen dauernd vollständig sistieren, 
so muss dieser Erfolg, welcher in einer unverhältnismässig 
kurzen Behandlungszeit von 4—6 Wochen erreicht wird als 
bewundernswert bezeichnet werden, umsomehr, wenn man 
dabei noch in Betracht zieh, dass eine derartige Behand¬ 
lung ohne Anstaltsaufenthalt, Berufsstörung und ohne 
Operationsschrecken durchgefuhrt werden kann. Aber noch 
eine ganze Reihe anderer Frauenkrankheiten werden durch 
die Röntgentiefenbestrahlung geheilt, Erkrankungen, welchen 
man sonst weder mit dem Messer, noch mit langsam wirkender 
medikamentöser Therapie schwer oder gar nicht bei¬ 
kommen konnte. In erster Reihe sind es die starren 
Exsudate nach Beckenbauchfellentzündung alte puerperale 
Exsudate, ferner die chronischen Eileiter- Eierstockungs¬ 
entzündungen, welche oft selbst durch jahrelange Kuren 
nicht zum schwinden gebracht werden konnten. Unter der 
Einwirkung des Röntgenlichtes schmelzen Exsudate in ver¬ 
hältnismässig kurzer Zeit vollkommen ein, desgleichen ver¬ 
schwinden die Entzündungsprodukte genannter Organe, so- 
dass diese Erkrankungsformen ihre klinische Dignität vol- 
ständig verlieren. 

Angedeutet sei hier ferner noch, dass die Röntgeri- 
tiefenbestrahlung operable und inoperable maligne Neu¬ 
bildungen zum Schwinden brachte und dese Tiefen¬ 
wirkung der Rontgenstrahlen von massgebenden Au¬ 
toren der Wirkung des Radiums und Mesothoriums 
gleichgestellt wird. Selbstredend müssen gerade hier 
erst Dauererfolge von 6—10 Jahren erreicht werden, 
um abschliessend urteilen zu können 

Es ist ein stolzes Bewusstsein, welches die ärztliche 
Welt erfüllen kann, dass mit der Röntgentiefentherapie 
eine operationssparende Methode herausgearbeitet wurde, 
welche eine mächtige Grenzverschiebung in der operativen 
Gynaekologie zn Gunsten der nichtoperativen Gynaekologie 
gezeitigt hat, die als eine der grössten Wohltaten für unsere 
Frauenwelt bezeichnet werden muss. 

Wie einst der Zahnarzt Morton durch die Entdeckung 
der Narkose den Sieg über den Schmerz erungen hat, so 
heben die Gynaekologen Albers-Schönberg, Krönig, Gauss, 
Menge, Döderlein u. a. m. den Sieg über das Messer er 
rungen und müssen diese Männer zu den hervorragensten 
Wohltätern der Menschheit gezählt werden. 

Die Röntgentiefentherapie, die Radium- und Mesotho¬ 
riumtherapie haben die Möglichkeiten auf unblutigem Wege 
Erkrankungen zu heilen in ungeahnter Weise gefördert; wir 
stehen noch am Anfang dieser Actinotherapie und unbeirrt 
durch den Europa durchtobenden Weltkrieg schafft die 
deutsche Wissenschaft unentwegt weiter, diese neue Therapie 
in die Bahn nach vor- und aufwärts zu leiten, sie zum 
Gemeingut aller Ärzte zu machen. 


Die Durchbruchszeit der ersten Milchzähne 

Von Zahnarzt Alfred Lichtwitz in Guben. 

Die Durchbruchszeiten der Milchzälme werden ver¬ 
schieden angegeben. Gustav Preis werk gibt in seinem 
,,Lehrbuch und Atlas der Zahnheilkunde“ als Norm für 
seine Gegend, die Schweiz, die folgenden Zahlen an: 
Durchbruch der mittleren Schneidezähne im 6 . — 8 . Monat 


11 

11 

seitlichen ,, 

„ 8 . 

12 . 

11 

11 

ersten Milchmolaren 

>5 * 2 . 

-l 6 . 

11 

11 

Eckzähne 

„ 16 . 

2C. «) 

11 

11 

zweiten Milchmolaren 

„ 20 . 

- 30. 


Zuerst erscheinen die mittleren Schneidezähne des Unter¬ 
kiefers, ungefähr im 6 . Monat, bald darauf diejenigen des 
Oberkiefers. Im o. Monat die seitlichen oberen Schneide¬ 
zähne, bald darauf die seitlichen unteren. Darauf treten die 
ersten Backzähne des Unterkiefers im 12 . Monat und ca. 
2—4 Monate später diejenigen des Oberkiefers hervor. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 33 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


323 


S. u. io. 


12 . u. 14 . 
18 . u. 20 . 


24 u. 34 . 


Dann erscheinen im 16 . Monat die Eckzähne und den Schluss 
bilden im 20 . Monat die zweiten Backzähne. 

Genau die gleichen Zahlen gibt Cohn in seinem 
,,Kursus der Zahnheilkunde.“ 

Schenck und G ü r b e r geben in ihrem „Leitfaden 
der Physiologie des Menschen“ die folgende Reihenfolge an: 
Durchbruch der beiden mittleren unteren 

Schneidezähne zwischen dem 7 . u. 8 . Monat 
„ „ 4 oberen Schneidezähne 

zwischen dem 
„ „ 4 kleinau inneren Backzähne 

(l. Molaren) und der beiden 
unteren äusseren Schneide 
zähne zwischen dem 

„ „ 4 Eck zähne „ „ 

„ „ 4 kleinen äusseren Back¬ 

zähne ( 2 . Molaren) 

zwischen dem 

Sei f e r t und Müller bringen in ihrem .Taschen¬ 
buch der medizinisch-klinischen Diagnostik“ die folgenden 
Zahlen: 

Durchbr. d. medianen unteren Schneidezahns im 6 .— 8 . Mon. 
„ der übrigen 6 Schneidezähne „ 7 . - 9 . „ 

„ „ vier ersten Molaren „ 12 . — J 5. ,, 

„ „ „ Eckzahne ,, 16 .— 20 . „ 

„ „ „ zweiten Molaren Ende des 2 . Lebensjahres. 

Alle diese Zahlen stimmen mit meinen Untersuchungen 
nicht mehr uberein und erscheinen, wie weiter hinten an¬ 
geführt werden soll, auch als Durchschnittszahlen als zu 
zeitig angegeben. 

Sch w a 1 b e gibt in seiner Tabelle im Reichs-Medizi- 
nal-Kalender, „Daten und Tabellen für den Praktiker“, als 
die Zeit des Zahndurchbruchs die folgenden Zahlen an, die 
in ihrem Ende der Wirklichkeit schon erheblich näher 
kommen: 

Innere untere Schneidezähne 3 .— 10 . Monat 

(Mittel 7 . Monat) 

Erste Pause 

Obere Schneidezähne (innere) 

(äussere) 

Zweite Pause 

Äussere untere Schneidezähne 
Vordere obere Backenzahne 
,, untere „ 

Dritte Pause 

Eckzähne, obere, sodann untere 
Vierte Pause 

Hintere Backenzähne, obere und untere 23 .— 36 . Monat 

(Mittel 24 .— 30 . Monat.) 
B r ö s i k e scheint in seinem „Lehrbuch der normalen 
Anatomie des menschlichen Körpers“ über diesen Punkt 
keine eigenen Beobachtungen gemacht zu haben, wie aus 
seiner Bemerkung hervorgeht, dass jede einzelne Art am 
Unterkiefer etwas früher als am Oberkiefer zum Vorschein 
komme. 

In sonstigen Weiken, so z. B. im Scheffschen „Hand¬ 
buch der Zahnheilkunde“ finden sich keine wesentlich anderen 
Wahlen, sodass von weiterer Aufführung Abstand genommen 
werden kann. 

Durch verschiedene Fälle nun war ich auf die Unrich¬ 
tigkeit der bisher anerkannten Daten aufmerksam geworden, 
sodass ich die Gelegenheit meiner nebenamtlichen Tätigkeit 
als Schulzahnarzt benutzte, um an einer Reihe von Kindern 
die betreffenden Zahlen zu erhalten. Die dabei erhaltenen 
Ergebnisse, soweit sie sich auf den Durchbruch des 
ersten Zahnes beziehen, seien im folgenden mitgeteilt. 

Die Statistik umfasst 270 Kinder, die ohne jede Aus¬ 
wahl, einfach in der Reihenfolge ihres Erscheinens, notiert 
wurden. 

Der Durchbr.-d. 1 . Zahnes erfolgte im 5 . Monat b. 8 Kindern 


9 . — 16 . 

10 . — 16 . 

‘ 3 - * * 7 - 


| 16 .—2 


Monat 

Monat 

Monat 

Monat 


16 .— 25 . Monat 


6 . 

7- 


>, 15 

» 53 


Digitizeü 


Google 


Der Durchbr. d. I. Zahnes erfolgt im 8 . Monat b. 3 Kindern 


99 

99 

99 

99 

99 

9 - 

99 

99 

81 


99 

99 

99 99 99 

99 

99 

10 . 

99 

»• 

34 

99 

» 

1? 

99 99 99 

99 

99 

11 . 


99 

27 

99 

99 

99 

99 •» 99 

99 

99 

12 . 


99 

7 

99 

99 

99 

99 99 99 

99 

mit 

1 

Jahre 

99 

32 

99 

99 

99 

99 99 99 

99 

99 


9) 

99 

15 



Bei diesen 273 Kindern erfolgte also der erste Zahn¬ 
durchbruch vom 5 . Monate an bis zum 16 . Monat, das 
Mittel muss also aus diesen I z Monaten genommen werden. 
Wir finden die folgenden Zahlen : 

im 5 .— 8 . Monat 79 Kinder 

„ 9 .- 12 . „ 144 „ 

,, 15* 47 » 

Da im 12 . Monat nur 2 Kinder sind, kann dieser wohl 
fortgelassen werden, sodass sich als Durchschnittszeit für 
den Durchbruch des 1 . Zahnes ergibt: 

Der 9.—11. Monat. 

Der Schwächen meiner Statistik bin ich mir wohl be¬ 
wusst. Erstens ist die Zahl der betreffenden Kinder eine 
sehr geringe, sodass schon dadurch Fehlerquellen nicht aus- 
zuschliessen wären. Dann aber, und dies dürfte noch 
wichtiger sein, habe ich meine Feststellungen nur durch Be¬ 
fragen der Mütter der betreffenden Kinder treffen können, 
wobei freilich nur ganz bestimmte Bekundungen notiert 
wurden, während alle unsicheren Angaben fortgelassen 
worden sind. Dadurch wurde die Zahl der statistisch ver¬ 
wertbaren Kinder auf 27 j herabgedrückt. Wenn nun auch 
im allgemeinen gerade über diesen Punkt eine Mutter auch 
noch längere Zeit später, es handelt sich um Kinder von 
meistens 6 bis zu 9 Jahren, ungefähr 50 unter 6 Jahren, eine 
genaue Erinnerung zu haben pflegt, sei doch das unsichere 
einer derartigen Feststellung zugegeben. 

Trotzdem dürfte die Mitteilung meiner Ergebnisse von 
Interesse und angebracht sein, da ja eine richtige Klärung 
dieser ganzen F'rage garnicht im Bereiche von uns Zahn¬ 
ärzten, sondern nur im Bereiche von Kinderärzten resp. 
Instituten, welche die Säuglinge und Kinder selbst in ge¬ 
nügender Zahl beobachten können, liegt. Diese mögen 
veranlasst sein, eingehende Untersuchungen anzustellen, um 
diese F'rage, die ja möglicherweise auch gegen frühere Zeiten 
eine Änderung erfahren hat, zu klären und uns genaue 
Angaben und genaue zuverlässige Zahlen zu bringen, an 
denen es uns heute eben noch mangelt. 

Nur in diesem Sinne verlangen meine Ausführungen 
und Zahlen Beachtung. 


Bisherige Ergebnisse der Kriegsneurologie. 

Sammelbericht von Dr. Paul Horn, Bonn, Oberarzt der intern.- 
neurologischen Abteilung am Krankenliause der Barmherzigen Brüder. 

(Schluss.) 

Gehen wir nun auf die Eigenart der einzelnen Kopf¬ 
schussverletzungen ein, soweit die Art des Schusses (Weich¬ 
teil-, Knochenverletzung; Prell-, Tangential-, Steck- und 
Durchschüsse) in betracht zu ziehen ist, so bieten sich hier 
Gesichtspunkte, die zwar zum grossen Teil in das F'achgc- 
biet des Chirurgen fallen nnd dementsprechend in der Lite¬ 
ratur auch besonders von chirurgischer Seite bearbeitet sind, 
die aber selbstredend auch für die Neurologie erhebliche 
Bedeutung besitzen, wird ja auch in der Praxis bei der 
F'rage der Operation der Chirurg den Rat des Nervenarztes 
nicht stets entbehren können, wenngleich die wesentlichsten 
Indikationen bei den meisten Kopfschussverletzungen zu¬ 
nächst auf chiurgischem Gebiete liegen. Bezüglich der 
einfachen W e i c h t e i 1 s c h ü s s e ist zu bemerken, 
dass trotz Fehlens einer Verletzung der knöchernen Schädel¬ 
kapsel Symptome einer Hirnschädigung hin und wieder zu 
beobachten sind. Enderlen macht darauf aufmerksam, 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS A 
URBANA-CHAMPAIGN 



324 FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. Nr. 33. 


dass durch vorübergehende Einbuchtung des Schädelge¬ 
wölbes epi- oder subdurale Hämatome entstehen können, 
die zu Hirnsymptomen führen und bei stationärem oder 
progressivem Verhalten zur Trepanation Veranlassung geben. 
Auch die Prellschüsse erfordern häufig ein Eingreifen 
des Chirurgen, da gerade sie, selbst bei äusserlich intakt 
erscheinendem Schädelknochen, sehr leicht und relativ oft 
eine Splitterung der inneren Knochenlamelle im Gefolge 
haben. Zuweilen besteht) auch eine leichte Knochendepres¬ 
sion, die Hirnreizerscheinungen bedingt. Interessant und 
lehrreich ist beispielsweise der vonReichard und Moses 
veröffentlichte Fall: Schädelstreifschuss mit fünfpfenniggrosser 
Depression, zunächst keinerlei Symptome, nach einigen 
Tagen epileptiforme Krämpfe, bei Trepanation epi- und 
subdurales Hämatom. Im übrigen wird von allen Autoren 
darauf hingewiesen, dass jeder Kopfschuss selbst beim 
Fehlen jedweder Hirnsymptome und selbst bei anscheinend 
intaktem Schädelknochen sorgfältigster Revision der Wunde 
und Beobachtung bedarf. Insbesondere ist eine Rönt¬ 
genuntersuchung nicht zu unterlassen. Bei Splitte¬ 
rung ist zu trepanieren, ebenso bei Abszessbildung sowie 
beim Auftreten von Jackson’scher Epilepsie oder sonstigen 
schwereren Reizsymptomen, Lähmungen oder Druckerschei¬ 
nungen, die auf das Bestehen eines Hämatoms oder einer 
Splitterung hinweisen, und zwar ist durchweg in solchen 
Fällen frühzeitiger Eingriff zu empfehlen. Ganz be¬ 
sonderes Interesse und eine ausgedehnte Literatur haben die 
Tangentialschüsse hervorgerufen. Gerade bei 
diesen Streifschüssen des Schädelknochens finden sich mit 
die stärksten Zersplitterungen und Zerstörungen fast unter 
sämtlichen Schädelschüssen. Nur bei den „Tunnelschüssen“ 
(G u 1 e k e), die den Übergang zu den segmentalen Durch¬ 
schüssen bilden, sind die Zerstörungen zuweilen ebenso gross 
oder selbst noch stärker. In den meisten Fällen von Tan¬ 
gentialschuss ist auch die Dura verletzt, sei es durch das strei¬ 
fende Geschoss oder durch Knochensplitter derTebala interna. 
Ebenso bestehen als Folge einer epi- oder subduralen Hä¬ 
matombildung oder einer durch dynamische Seitenwirkung 
oder durch Knochensplitter zustandegekommenen Zertrüm¬ 
merung von Hirnsubstanz fast regelmässig Symptome von 
seiten des Zerebrums, teils allgemeiner Natur, wie Benom¬ 
menheit, Unruhe, Delirien, Kopfschmerzen usw., teils lokaler 
Art wie Hemiplegien, Monoplegien, Aphasien, kortikale 
Sensibilitätsstörungen, epileptiforme Reizerscheinungen usw. 
Zuweilen sind bei der Operation auch Verletzungen der 
grossen Blutleiter festzustellen. Brandes sah unter 105 
Operierten 5 Sinusverletzungen, vier bei Tangen¬ 
tialschüssen, einen bei einem Segmentalschuss, ohne dass 
hierauf hinweisende klinische Erscheinungen vorher bestan¬ 
den hätten. Die hauptsächlichste Gefahr bei Tangential¬ 
schüssen des Schädels droht aber, wie übereinstimmend 
alle Autoren berichten, von seiten der Meningitis, des Hirn¬ 
abszesses und zum Teil auch des Hirnprolapses. Kliene- 
berger hebt hervor, dass, soweit nicht die Verletzung 
an sich schon zum Tode führe, die Meningitis die 
häufigste Todesursache bilde. Dabei ist es bemerkenswert, 
dass ziemlich unabhängig von dem Sitz cer Verletzung 
die Meningitis sich am stärksten an der Basis des Gehirns 
entwickelte, dass die meningitischen Infiltrationen sich viel¬ 
fach die ganze Medulla hinunter erstreckten und dass die 
Lumbalpunktion, bei der zumeist Drucksteigerung und mehr 
oder minder getrübter Lipuor festzustellen war, ohne Ein¬ 
fluss auf den Endausgang verblieb. Bei diesen Gefahren 
und speziell der Schwervermeidlichkeit von sekundärer 
Infektion ist die möglichst baldige Operation 
(Freilegung der Knochenwunde, Entfernung der erreichbaren 
Splitter und etwaiger Hämatome) bei allen Tangential¬ 
schüssen dringend angezeigt, darin stimmen die namhaftesten 
Autoren, Chirurgen wie Neurologen, überein (Perthes, 
Guleke, Wilma, v. Eiseisberg, Hancken und 
Rotte r, Donath, Klieneberger, Marburg und 
Ranzi). Auch bei den Steckschüssen des Gehirns 

Digitized by Google 


wird im allgemeinen ein anaktives Vorgehen geraten, aller¬ 
dings mit der Einschränkung, dass allzu tief sitzende Pro¬ 
jektile nur in Ausnahmefällen, z. B. bei Abszessbildung, 
angegangen werden sollen. Ein .Suchen“ nach dem Pro¬ 
jektil ist zu vermeiden, Röntgenbilder zur Lagebestimmung 
sind unerlässlich, v. Eiseisberg empfiehlt, die Ent¬ 
fernung der Steckschüsse nur in Heimatlazaretten vorzu¬ 
nehmen und nur bei oberflächlicher Lage oder beim Auf¬ 
treten schwerer Symptome. Zu berücksichtigen ist der 
Umstand, dass Steckgeschosse ihre Lage im Gehirn ver¬ 
ändern können infolge Erweichung der durchwanderten 
Hirnsubstanz (M att i, Enderlen u. a.). Brandes macht 
darauf aufmerksam, dass bei der Indikation zum operativen 
Eingriff bei Hirnsteckschüssen scharf zu unterscheiden sei 
zwischen Mantelgeschossen und Artilleriegeschossen ; erstere 
empfiehlt er nur dann zu operieren, wenn drohende oder 
begonnene Infektion oder zunehmende Hindrucksymptome 
einen Eingriff erfordern; letztere sollen in jedem Fall sofort 
operativ angegriffen werden, selbst wenn keine Aussicht zur 
sofortigen Geschossentfernung vorhanden sei — ein Stand¬ 
punkt, der von dem der übrigen Autoren nicht unerheblich 
abweicht. — Bei den Durchschüssen des Gehirns, 
die nicht sofort zum Tode führen, empfiehlt sich im all 
gemeinen abwartendes Verhalten (Guleke, Payr. 
Perthe s). Operation kommt nur ausnahmsweise (bei 
Abszessbildung oder zur Splitterentfernung) inbetracht. Zu¬ 
weilen fehlen nennenswerte klininische Symptome voll¬ 
kommen, in anderen Fällen, wo wichtige Zentren getroffen 
sind, sind entsprechende Herdsymptome anzutreffen. 

Die Prognose der Schädelschüssc 
ist im allgemeinen stets als zweifelhaft zu betrachten. 
Oppenheim hält sie für einen grossen Teil der Hirn¬ 
schüsse für verhältnismässig günstig. Klienebe rger 
bezeichnet sie als schlecht und hebt wohl nicht mit 
Unrecht hervor, dass eine grosse Zahl aller Schädel 
verletzter gar nicht bis in die Heimatlazarette gelangt. Auch 
sind bei den anscheinend günstig verlaufenden Fällen 
Spätfolgen nicht ausgeschlossen. Hier kommen vor 
allem in Frage: Epilepsie, Späterweichungen, Zystenbildung 
und Spätabszesse. Nach Hotz wurde E p i 1 e p s i e unter 
120 Fällen 11 mal beobachtet. Abszesse traten bei den Früh¬ 
operierten sehr viel seltener auf als bei den Nichtoperierten 
(Perthes). Marburg und Ranzi sind der An¬ 
sicht, dass Schädelverletzte wegen der Möglichkeit von 
Spätabszessen viele Monate unter Beobachtung bleiben 
müssen, eine F'orderung, die zweifellos berechtigt und not¬ 
wendig ist. „Es ist noch nicht allgemein genug bekannt, 
dass das plötzliche Auftreten von starken Kopfschmerzen, 
Erbrechen und leichter Benommenheit bei vor längerer Zeit 
Gehirn verletzten, auch wenn kein Fieber besteht, fast immer 
das Zeichen eines Gehirnabszesses ist, der der sofortigen 
operativen Freilegung bedarf.“ (L e w a n d o w s k y). 
Dabei füge ich bezüglich der Spätepilepsie nach 
Hirnverletzungen hinzu, dass nach meinen Be¬ 
obachtungen der Friedenspraxis Epilepsie nach Kopfver¬ 
letzung in der Regel innerhalb des ersten Jahres in Er¬ 
scheinung tritt; es kommen aber zweifellos, wenn auch 
nur vereinzelt, Fälle vor, in denen noch nach mehreren Jahren 
epileptische Zustände klinisch sich zeigen. Therapeutisch 
empfiehlt Spielmeyer bei traumatischer Epilepsie nach 
Hirnschussverletzung, sofern die Ursache der Anfälle in 
Narbenbildung zu suchen ist, lange Zeit fortgesetzte tägliche 
Kühlung der Verletzungsstelle mit Eisbeutel oder 
kalt angefeuchteten Tüchern (1 bis 2 mal l / t Stunde). Bei 
2 Kriegsverletzten hatte „die Abkühlungsbehandlung einen 
eklatanten Erfolg“. Als operative Behandlung empfiehlt 
Spielmeyer die Trendelenburg’sche Rin¬ 
denunterschneidung. Weitere Erfahrungen 
mit diesen Methoden müssen abgewartet werden; bei Ope¬ 
rationsverweigerung bezw. in hartnäckigen Fällen sind sie 
jedenfalls zu versuchen. T i 1 m a n n glaubt, „dass es 
möglich ist, durch die Lumbalpunktion fest- 

Original frorn 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 




Nr. 33. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


325 


zustellen, ob die Reaktionserscheinungen des Gehirns auf 
eine Verletzung abgelaufen sind oder nicht. Vorläufig scheint 
erhöhter Druck mit normalem Eiweissgehalt der Hirnfliissig- 
keit auf eine einfache arachnoidale Retentionszyste infolge 
Narbenbildung hinzuweisen. Besteht bei hohem Druck ge¬ 
ringer Eiweissgehalt, dann handelt es sich oft um eine ent¬ 
zündliche Zyste; ist der Eiweissgehalt hoch, sodass es in 
Flocken ausfällt, dann liegt bei gleichzeitig hohem Druck 
meist ein Abszess vor. Eiweissgehalt bei normalem Druck 
deutet auf rein meningeale Vorgänge." Mit Recht betont 
aber Tilmann, dass nach dieser Richtung hin noch 
weitere Erfahrungen zu sammeln sind. 

Was die-Nachbehandlung der Hirnschüsse und ihrer 
Folgeerscheinungen anbetrilTt, so kommen natürlich alle 
diejenigen Massnahmen inbetracht, die eine Rückbildung 
etwaiger Reiz- und Lähmungserscheinungen sowie störender 
Allgemeinsymptome zum Ziele haben. Uber die Behand¬ 
lung der Sprachstörungen habe ich oben schon berichtet. 
Allgemeinsymptome erfordern Ruhe, Bäderbehandlung, 
gelegentlich auch Medikamente . Motilitätsstörungen müssen 
durch Massage, Elektrizität, aktive und passive Übungen 
beeinflusst werden. Die Heilungsresultate sind, wie Sänger 
hervorhebt, oft überraschend günstig. Bemerkenswert ist, 
dass die Restitution der kontralateralen Beinlähmung oft 
kürzere Zeit braucht als die Armlähmung. Von S ä n g e r ’ s 
Material wurde ein kleinerer Teil ganz geheilt und be¬ 
schwerdefrei, nahezu die Hälfte sehr gebessert. Einer seiner 
Patienten ist trotz homonymer lateraler Hemianopsie in 
seinem Berufe mit 40 ''/o Erwerbsbeeinträchtigung wieder 
tätig. 

Hinsichtlich der militärischen Wieder¬ 
verwendbarkeit Schädelverletzter ge¬ 
hen die Ansichten der Autoren nicht unerheblich ausein¬ 
ander. Aschaffenburg hält Kriegs- und Garnison¬ 
verwendungsfähigkeit für ausgeschlossen, ebenso Perthes 
und G u 1 e k e. Dagegen glauben Bonhöffer, 
Oppenheim, Moeli und Kausch, ebenso 
Klieneberger, dass Felddienstfähigkeit in Frage 
kommen kann, eventuell erst nach vorübergehender mehr¬ 
monatiger Verwendung in Garnison oder Etappe (Kliene¬ 
berger). J o 1 1 y nimmt Felddienstfähigkeit nur in Aus¬ 
nahmefällen an, „dagegen dürfte leichter Garnison- und 
leichter Arbeitsdienst vielen dieser Patienten als Beschäf¬ 
tigungstherapie dienen. Sind die Erscheinungen jedoch sehr 
ausgesprochen, so wird die Entlassung aus dem Militär¬ 
verband erfolgen müssen. Die Renten können nicht 
zu gering gehalten werden, weil die geklagten Beschwerden, 
trotz des oft geringen objektiven Befundes glaubhaft sind.“ 
Jedenfalls ist im Auge zu behalten, dass es sich zumeist 
um Schwerverletzte gehandelt hat. Bei der Verschieden¬ 
heit der einzelnen Fälle wird man im übrigen selbstredend 
nur ganz individuell entscheiden können, wird auch die 
Möglichkeit des Auftretens etwaiger Spätfolgen nicht ver¬ 
gessen dürfen. Vor allem erscheint bei infiziert gewesenen 
Fällen grösste Vorsicht am Platze. 

Wie die Schutzverletzungen des Gehirns, so haben auch 
diejenigen des Rückenmarks eine ausgedehnte 
Literatur, sowohl von chirurgischer als neurologischer Seite 
hervorgerufen. Allerdings gehen die Ansichten der Autoren 
im Gegensatz zu der wenigstens annähernd übereinstimmen¬ 
den Beurteilung von Gehirnschüssen bei den Schussver¬ 
letzungen des Rückenmarks nicht unerheblich auseinander. 
Was zunächst die Art der Rückenmarks¬ 
läsionen anbetrifft, so kann die Medull. spinalis durch 
die Geschosswirkung entweder indirekt betroffen sein 
und zwar dadurch, dass das Projektil die Wirbelsäule 
streift, erschüttert oder frakturiert und lediglich durch 
Erschütterung und Fernwirkung die 
Medulla schädigt, ohne Rückenmarkshäute und Rückenmark 
selbst direkt zu berühren, oder das Geschoss kann direkt 
die Medulla, evtl, ohne Verletzung der Wirbel¬ 
säule, als Durchschuss oder Steckschuss 

Digitized by Google 


treflen. Die Schädigung des Rückenmarks kann sowohl 
bei indirekter wie direkter Einwirkung eine mannigfaltige 
sein, wobei der Umstand von ganz erheblicher Bedeutung 
ist, dass die anatomische Läsion nicht 
stets und vorbehaltlos bestimmten 
klinischen Bildern entspricht. Wenn 
auch die Lehre von den Rückenmarkserkrankungen durch 
die Beobachtung bei Schussverletzten eine erneute Bestätigung, 
ja sogar Vertiefung und Erweiterung erfahren hat, so bietet 
sich doch allzuoft der Fall, dass aus dem klinischen Be¬ 
funde allein kein völlig sicherer Rückschluss auf Art und 
Schwere der Rückenmarksschädigung zu gewinnen ist. 
Gerade aus dieser Schwierigkeit heraus sind auch die hin¬ 
sichtlich der chirurgischen Indikation so weit auseinander¬ 
gehenden Anschauungen erwachsen und zu erklären. 

Beachtenswert unter den Arbeiten, die sich mit der Phy¬ 
siologie und Lokalisationslehre des 
Rückenmarks beschäftigen, ist diejenige von Petren 
über den Verlauf der sensorischen Bahnen 
im Rückenmark, die allerdings nicht von Schuss¬ 
sondern von Stichverletzungen des Rückenmarks ausgeht. 
Die Bahnen des Schmerz- und Temperatursinnes verlaufen 
gekreuzt und sind lateralwärtsgelegen, während der Tastsinn 
über 2 Bahnen verfügt, von denen die eine im gleich¬ 
seitigen Hinterstrang, die andere im gekreuzten Seitenstrang 
verläuft. Ebenso stehen für den Muskelsinn 2 Bahnen zur 
Verfügung, die eine im gleichseitigen Kleinhirnseitenstrang, 
die andere im gleichseitigen Hinterstrang. 

Klinisch pflegt die Mehrzahl der Autoren im wesent¬ 
lichen zu unterscheiden i) das Bild der Quer¬ 
schnittsläsion, 2 ) das Bild der partiellen 
Markläsion mit dem Sondertyp der Brown 
Söquard’ sehen Halbseitenlähmung, 

3 ) das Bild der disseminierten Mark¬ 
läsion. Allerdings sind im Einzelnen die Bezeichnungen 
sowohl hinsichtlich der anatomischen wie klinischen Diag¬ 
nose bei den verschiedenen Autoren durchaus nicht einheit¬ 
lich, wenn auch einzelne Sondertypen stets hervorgehoben 
werden. Eis ist auch sehr beachtenswert, dass nach den An¬ 
gaben von Leva u. a. im Einzelfalle das Symptomenbild 
gelegentlich Änderungen unterworfen ist und beispielsweise 
das anfängliche Bild einer totalen Querschnitts¬ 
läsion nach einigen Wochen oder Monaten in den 
Typus der partiellen oder disseminierten Läsion übergehen 
kann —selbstredend nur dann, wenn keine totale Marktrennung 
oder -Abquetschung, sondern lediglich etwa eine schwere 
lokale oder allgemeine Erschütterung des Rückenmarks 
mit disseminierten Blutungen oder myelitischen Herden, 
also eine trotz ihrer Schwere mehr oder weniger weit 
rückbild ungsfähige Schädigung Vorgelegen hatte. 
Zweifellos weisen derartige Erfahrungen, die keineswegs 
vereinzelt stehen, darauf hin, dass mit der klinischen Diag¬ 
nose „Querschnittsläsion“ über die tatsächliche an.ato- 
t o m i s c h e Schädigung noch nichts ausgesagt ist. Auch 
das Bastian’ sehe Gesetz gibt nach dieser Richtung hin 
keinen zuverlässigen Aufschluss; denn nicht nur ist der 
Verlust der Tiefenreflexe, wie auch Tobias hervorhebt, 
nicht ohne weiteres als Beweis einer kompletten Querver¬ 
letzung anzusprechen, sondern es ist auch durch Beobach¬ 
tungen von Kausch, Schulze und Brauer bekannt, 
dass umgekehrt selbst bei anatomisch sichergestellter völ¬ 
liger Querschnittsdurchtrennung die Kniesehnenreflexe noch 
Monate lang sich erhalten können. Immerhin weist das 
dauernde Fehlen der Tiefenreflexe auf eine schwerwiegende 
Schädigung, zumeist tatsächlich auf eine vollkommene Mark- 
durchtrennung hin. Aber auch Kompressionen des 
Marks durch Knochensplitter und Projektile können vor¬ 
handen sein, ohne dass dabei das Röntgenbild stets völlige 
Klärung gibt. So ausschlaggebend und beweisend der posi¬ 
tive Röntgenbefund auch ist, so vorsichtig muss doch ge¬ 
rade bei derartigen Fallen ein negatives Ergebnis bewertet 
werden. Hierin ist Rumpel durchaus beizustimmen. Oft 

, Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



\'r. 33 


326 


FORTSCHRITT!-: DER MEDIZIN. 


finden sich bei einem operativen Eingriff doch noch 
Splitter, die sich zuvor dem Nachweis entzogen. Was die 
etwaige Kompression durch Ha e m a to m e betrifft, so 
sche-nt sie eine unbedeutende Rolle zu spielen; jedenfalls 
hebt Frangenheim hervor, dass er unter 25 Rücken¬ 
marksoperierten niemals ein Hämatom als Ursache der 
Markschädigung antraf. Dagegen liegen multiple punkt¬ 
förmige Blutungen neben Frweichungsherden und Faser- 
degeneratioenen als Ausdruck einer Erschiitterun g 
des Rückenmarks vermutlich in solchen Fällen 
vielfach vor, in denen lediglich die Wirbelsäule von 
dem Projektilgetroffen war. Derartige Fälle von indi¬ 
rekter Markschädigung können, wie auch die wertvolle 
F i 11 k e 1 n b u r g'sche Mitteilung beweist, ebenfalls ge¬ 
legentlich das Bild der Querschnittsläsion zeigen, wenn sie 
auch vielfach nur zu partieller, mitunter zu Brown-Sequard- 
scher Halbseitenlähmung oder zu isolierten Einzelsymptomen 
führen. Oppenheim nennt als Zustandsbilder, die 
durch indirekte Rückenmarksschädigung entstanden, 
die Haematomyelie, die Myelom alacie 
und Nekrose, die Arachnitis circum¬ 
scripta serofibrosa, die d i sseminierte 
M y e 1 i t i s und Myeloencephalitis, die wieder 
nahe Beziehungen zur multiplen Sklerose hat. Wir 
sehen also eine Mannigfaltigkeit von Erkrankungsformen, die 
noch dadurch vermehrt wird, dass in gleicher Weise die 
direkte Rückenmarksverletzung durch Steck- und Durch¬ 
schuss verschiedene Formen aufweist. Nicht nur kann sie zu 
einer totalen Querdurchtrennung führen, 
sondern auch zu den verschiedensten Schädigungen 
partieller Natur des Rückenmarks 
und der Meningen. 

Auf die Symptomatologie im Einzelnen einzugehen, 
würde mich hier zu weit führen, zumal sie mit den Er¬ 
fahrungen der Friedenspraxis im wesentlichen übereinstimmt. 
Nur möchte ich die von mehreren Autoren hervorge¬ 
hobene Schockwirkung noch erwähnen, die Leva 
als initiale Begleiterscheinung aller Rückenmarksschüsse be¬ 
trachtet. 2 Formen kann man nach Leva unterscheiden 
1 ) motorische Sc h o c k w i r k ungen, die zu 
objektiv nachweisbaren, in Minuten, Stunden oder spätestens 
Tagen wieder zurückgehenden Lähmungserscheinungen 
führen und 2 ) sensible Schockwirkungen, 
bei denen die Patienten mannigfache Gefühlsempfindungen 
haben. Bei Schussverletzungen der Halswirbelsäule war der 
Schock auch mit Bewusstseinsstörungen verknüpft. In ähn¬ 
licher W’eise berichtet R o s e n 1 e 1 d . dass namentlich 
nach Verletzung des oberen Halsmarks die Schockwirkungen 
zunächst sehr intensiv und ausgedehnt hervortreten: Be¬ 
wusstlosigkeit, Pupillenstarre, Aufhebung der Haut-, Sehnen- 
und Pyramidenbahnreflexe; weiterhin fielen vorübergehende 
bulbäre Symptome auf. Erst nach Rückgang der Schock¬ 
symptome lässt sich auf die Ausdehnung der Rückenmarks¬ 
schädigung schliessen, wenn auch, wie bereits oben erwähnt, 
über die Art der Läsion vielfach ein sicheres Urteil zu¬ 
nächst nicht zu gewinnen ist und für das therapeutische Vor¬ 
gehen speziell hinsichtlich der Frage der Operation 
oft erhebliche Schwierigkeiten gegeben sind. 

Dementsprechend werden auch von den einzelnen Au¬ 
toren recht abweichende Indikationen zum 
operativen Handeln gestellt. Ebenso warmen Befür¬ 
wortern einer rechtzeitigen Operation stehen andere Autoren ge¬ 
genüber, die sich für grösste Vorsicht und Zurückhaltung bei allen 
Schussverletzungen des Rückenmarkesaussprechen. Lewa n- 
d o w s k y , Oppenheim, Rothmann vertreten 
den letzteren Standpunkt und gehen von der Ansicht aus, 
dass beim Vorliegen einer totalen anatomischen Querläsion 
der Fall ohne wie mit Operation in gleicher W T eise verlaufe, 
während bei nur partieller Rückenmarksschädigung auch ohne 
chirurgischen Eingriff häufig eine Besserung oder Heilung 
erfolge. Dabei betont Lewandowsky mit Recht, dass 
die Erfolge der konservativen Behandlung bei partieller 


Rückenmarksläsion durch reichlichere Verwendung von 
Dauerbädern, die vor allem eine bessere Bekämpfung 
des Dekubitus gestatten, gehoben werden können. Auch 
Finkelnburg mahnt zur Vorsicht, zumal bei einzelnen 
Formen, z. B. den Erschutterungsschüdigungen des Rücken¬ 
marks mit dem klinischen Bilde der Querläsirn, eine Ope 
ration nicht nur zwecklos sei , sondern sogar schaden 
könne. Ei-en etwas aktiveren Standpunkt vertreten G o Id¬ 
stein, Rumpf, Sänger, Marburg und Ranzi. Gold 
stein rät, überall dort, wo nach einigen Wochen bei Quer¬ 
schnittsläsionen oberhalb der Kerngegend der betreffenden ge¬ 
lähmten Muskulatur die anfänglich schlaffe Lähmung mit 
Fehlen der Reflexe weiterbesieht, die Operation vorzu- 
nehmen. Rumpf hält Operation für angezeigt beim Nach¬ 
weis von Geschossteilen im Wirbelkanal , bei heftigen 
Schmerzen durch eingedrungene Knochensplitter und bei 
Wirbelläsionen. Sänger lässt beim Symptomenkomplex 
der totalen Querdurchtrennung dann operieren , falls die 
Röntgenaufnahme Knochenfragmente oder ein Geschoss im 
W T irbelkanal nachweist, zumal wenn die Verletzung frischen 
Datums ist. Marburg und Ranzi raten zu 4—5 
wöchigen. Zuwarten und halten dann, falls inzwischen keine 
Änderung des Zustandes cingetreten. die Laminektomic für 
indiziert. Als Kontraindikationen sehen sie an pulmonale 
und abdominale Komplikationen, schwerere Enterungen in 
der Nähe des Operationsfeldes (einschliesslich schwerem, eitri¬ 
gem progredienten Dekubitus),eitrige Cystitis und Nierenbecken 
entzündung. Keine Gegenanzeige bilden leie hte Infektion 
der Harnwege und granulierender Dekubitus. Für noch 
rascheres und frühzeitigeres Eingreifen sprechen sich aus 
Frangenheim, Guleke, Noethe, Rum¬ 
pel, von Tappeiner. Frangenheim empfiehlt 
möglichst frühzeitige Operationschon ausdem Grunde, weil nach 
seinen Erfahrungen die Zertrümmerung des Markes, d. h. die 
irreparable Schädigung nicht so häufig vorkommt wie Kon; 
pression und Kontusion des Rückenmarkes durch Geschosse 
oder Knochensplitter. Guleke hat von 26 Rückenmarks¬ 
schüssen 17 operiert und sah bei 4 Fällen Heilung, N o e t h e 
rät. die Laminektomie bereits am 3 . Tage im Feldlazarett 
auszuführen, sofern Cystitis oder Dekubitus droht; bei er¬ 
haltener Sensibilität der Kreuzbeingegend (geringere Dcku 
bitusgefahr) kann bis zu 8 Tagen gewartet werden. R u ni- 
p e 1 , der über 48 von ihm behandelte Rückenmarks¬ 
schüsse berichtet, empfiehlt, „gerade weil wir aus den 
Symptomen allein uns keine genaue Vorstellung von der 
Art der Verletzung des Rückenmarks machen können,* 
die Freilegung und befürwortet möglichst früh¬ 
zeitigen Eingriff, da bei den Nichtoperierten meist 
schon vom 2 . oder 3 . Tage ab Steigerung der Temperatur 
und schnell zunehmende Verschlechterung des Allgemein¬ 
befindens zu beobachten war. v. Tappeiner waren 
als Grund für frühzeitiges Eingreifen massgebend: die Mög¬ 
lichkeit einer sekundären Schädigung des Rückenmarks bei 
längerem Abwarten sowie das Bestehen von Schmerzen 
Von operierten Fällen starben drei, zwei wurden ge¬ 
bessert weitertransportiert und einer, bei dem ein kleiner 
Granatsplitter im Duralsack sass, wurde völlig geheilt 
M a t t i , der die klinischen und chirurgisch-anatomischen 
Gesichtspunkte eingehend darlegt, kommt zu dem Er 
gebnis, dass bei Rückenmarksschüssen mit dem Bilde der 
Querläsion massgebender Einblick in die Verhältnisse nur 
durch operative Revision zu erhalten sei. Auch er stimmt 
Guleke und Rumpel zu und empfiehlt, „bei den 
frühzeitig in geeignete Verhältnisse gelangten Rückenmarks¬ 
verletzten mit l’araplegie und Aufhebung der Sehnenretl- 
lexe grundsätzlich die Laminektomic 
v o r z u nehmen“. Nur bei un vollständigen 
Läsionen, die ja an ihren Symptomen erkennbar, sei 
zuwartendes Verhalten angebracht (in letzterer Hinsicht 
stimmen auch die übrigen Autoren im wesentlichen über¬ 
ein, sofern nicht Knochensplitter und Geschossteile 
eine baldige Entfernung erfordern); bleibe der Zustand je- 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 33. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


327 


doch stationä" oder verschlimmere er sich, so könne eine 
vorsichtig ausgeführte Laminektomie nur nutzen. Bei 
wochenlang zurückliegenden Fällen, bei denen die Sehnen¬ 
reflexe nicht zurückgekehrt, könne von Operation abge¬ 
sehen werden (vergl. demgegenüber G o ! d s t ei n , 
Marburg und Ranz i), weil hier mit vollständigen 
und nicht reparablen Querläsionen des Markes gerechnet 
werden müsse. 

Bei diesem Widerstreit der Meinungen scheint es mir 
von Wert, hinsichtlich der chirurgischen Indikationsstellung 
bei Rückenmarksschüssen mit dem klinischen Bilde der 
Querläsion auf folgende Perspektiven hinzuweisen : l) liegt 
eine anatomische Querdurchtrennung des Markes vor, so 
ist eine Laminektomie selbstreoend zwecklos, sie kann aber 
bei der ohnehin absolut infausten Prognose des Falles 
keinen wesentlichen Schaden mehr bringen, 2 ) handelt es 
sich um eine Kompression des Rückenmarkes durch Ge¬ 
schoss, Knochensplitter oder Grnaulations- und Kallus¬ 
bildung, so wird eine Operation, sofern nach der Schwere 
der Rückenmarksschädigung überhaupt noch eine Besserung 
möglich ist, meist nur Nutzen stiften, ihre Unterlassung oder 
Verschleppung dagegen mit Bestimmtheit zu einem un¬ 
günstigen Ausgange führen, 3 ) besteht nur eine Erschütte¬ 
rungsschädigung, die zu totaler Leitungsunterbrechung ge¬ 
führt, so ist natürlich eine Operation vollkommen über¬ 
flüssig, wesentlichen Schaden wird sie aber bei sorgfältiger 
Technik und beim Fehlen örtlicher Infektionen zumeist 
kaum anrichten, um so weniger, wenn sie frühzeitig, 
bei Abwesenheit von Dekubitus oder zystitischer Erschei¬ 
nungen, die auch in derartigen Fällen von Erschütterungs- 
lähmung nicht ausgeschlossen sind, erfolgt. Nach alledem 
scheint mir in Übereinstimmung mit Matt i ein allzuzögerndes 
Verhallen beim Svmptomenkomplex der Querschnittsläsion 
(motorische und sensible Paraplegie, incontinentia urinae 
et alvi, Reflexlosigkeit) nicht am Platze. Selbst auf die 
Möglichkeit hin, bei Fällen der III. Gruppe gelegentlich 
eine überflüssige Operation vorzunehmen, neige ich doch 
der Meinung zu, dies Risiko in Kauf zu nehmen, als bei 
Fällen der II. Gruppe durch Unterlassung oder Verschlep- 1 
pung jedwede Heilungs- bezw. Besserungsaussichten zu ver¬ 
nichten. Der Nutzen der rechtz eitigen Operation 
dürfte bei sorgfältiger Abwägung aller Momente m. E. den 
etwaigen Schaden übe r w i e g e n. 

Die Prognose der Schussverletzungen des Rücken¬ 
marks ist natürlich stets sehr ernst, bei totaler Markdurch- 
trennung selbstredend ausnahmslos infaust. Aber auch in 
den übrigen Fällen droht, abgesehen von m e n i n g i t i - 
sehen Erscheinungen, vor allem die Gefahr 
der Cystitis, der Cystopyelitis und 
Urosepsis. Auch sekundäre degenera- 
tive Prozesse, auf die M a t t i hinweist, sind in 
Rücksicht zu ziehen Prophylaktische Gaben von Urotro¬ 
pin, Salol oder drgl. (G o 1 d b e r g) sind vom ersten 
Verwundungstage an zu empfehlen. Das Anlegen einer Blasen¬ 
fistel (Schum) zur Bekämpfung der Harnverhaltung und 
Infektion wird von chirurgischer Seite (M a 11 i) — wohl 
mit Recht — abgelehnt. Dagegen ist Dauerdrainage 
geeignet, die Gefahren des häufigen Katheterisierens 
herabzumindern. Bei postoperativer Meningitis 
empfiehlt Klapp die Halsstauung nach Bier und wieder¬ 
holte Lumbalpunktion. — Eine bessere Prognose als die 
Rückenmarksläsionen geben die Verletzungen der C a u d a 
equina (Sänger) — 

„Als Nachbehandlung kommen bei Rücken¬ 
marksläsionen natürlich die gleichen Massnahmen (Elektri¬ 
zität. Massage, Heissluft, aktive und passive Bewegungsubungen) 
inbetracht wie bei den zentral bedingten Lähmungen. Mitunter 
tritt, wie J o 1 1 y erwähnt, eine auffallende Besserung erst 
nach längerem Bestehen der Lähmungserscheinungen ein. 

„Die Dienstfähigkeit, auch für Arbeitsver- 
wendung, wird man fast immer, selbst wenn kaum mehr j 
etwas nachzuweisen ist, als aufgehoben ansehen. Bei der 

Digitized by Google 


Kentenfrage ist zu berücksichtigen, dass die Leute 
sich sehr schonen müssen, um Verschlimmerung zu ver¬ 
meiden“ (J o 1 1 y). Wir wissen ja auch aus der Friedens¬ 
praxis, dass Rückenmarksverletzte meist nur langsam sich 
erholen und oft dauernd in ihrer Erwerbsfähigkeit geschädigt 
bleiben. In anderen Fällen können sich d e Erscheinungen 
aber soweit zurückbilden, dass die Patienten einem regel¬ 
mässigen Berufe doch wieder nachgehen können. Jeden¬ 
falls sind sie ebenso wie die Kopfverletzten keineswegs von 
vornherein als für das soziale Leben verloren anzusehen. 
Erfreulicherweise steht die medizinische Wissenschaft den 
Schussverletzungen des zentralen Nervensystems doch nicht 
machtlos gegenüber. Wenn auch sowohl den Kopf- wie 
Rückenmarksschüssen immer noch eine grosse Reihe von Ver¬ 
letzten zum Opfer fallen, so hat doch nach allen literarischen 
Mitteilungen die rege Zusammenarbeit von Chirurgie und Neu¬ 
rologie hinsichtlich der Heilungsergebnisse zweifellos erhebliche 
Fortschritte gezeitigt; genauere, zahlenmässige Angaben werden 
selbstredend erst nach Beendigung der Krieges zu erhalten sein. 

Literatur. 

1. Aschaffen bürg, Bedeutung der lokalisierten und all¬ 
gemeinen Ausfallserscheinungen nach Hirnverletzungen für 
die soziale Brauchbarkeit der Geschädigten: Vonrag; ref. 
D. m. W. 191b, 7. 

2. Brandes, Zur Behandlung der Steckschüsse des Gehirns. 
D. 111 . W. 1916, 23. 

3. Brandes, Über Sinnsverletzungen bei Schädelschüssen 
1). m. W. 1916, 13. 

4. Donath, Beiträge zu den Kriegsverletzungen und -Er¬ 
krankungen des Nervensystems. Wien, kl W. 1915, 28. 

5. v. Eiseisberg, Gehirn-und Nervenschiisse, Vortrag; ref. 
D. m. W. 1916, 19. 

6. Enderlen, Biuns Beitr. 96. Heft 4. 

7. Finkelnburg, Beitrag zur Klinik und Anatomie der 
Schußverletzung, des Kückenmarks. D. m. W. 1914, 50. 

8. Frangenheim, Schußverletzung, des Rückenmarks und 
der Wirbelsäule, M. in. W. 1915, 43. 

9. Frösch eis, Zur Behandlung der motorischen Aphasie. 
Arch. f. Psych. ti. Nervenkr. Bd. 56, H. 1. 

10. Gerstmann, Über Sensibililätsstörg.von spino-segmental. 
Typus bei Hirnrindenläsionen nach Scliädelschußverl., Wien, 
m. W. 1915, 20 _ 

11. Goldstein, Überden zerebellaren Symplomenkomplex ins 
Bedeutg. f. d Beurtlg. v. Schädelveri. M.m. W. 1915, 42. 

12. G o I d s t e i n , Beobachtung an Schußvcrletzungen des 
Gehirns und Rückenmarks. D. m. W. 1015, 8 u. 9. 

13. G u 1 e k e , Kopfschüsse. Vortrag; ref D. m. W. 1916, 6. 

14. „ Über Therapie und Prognose der Schädelschüsse. 
M. m. W 1915, 29. 

16. Hancken und R o t t e r , Zur Prognose und Behandlg. 
der Schädelschüsse, M. m. W. 1914, 51. 

16. Hartman n, Übungsschulen für „Gehirnkrüppel". Milt, 
des Vereins d. Ärzte in Steiermark. Juli 1915. 

17. H a r t m a n n , Übungsschulen für „Gehirnkrüppel". II. 
Mitteilung. 

18. J o 1 1 y , Über die Dienstfähigkeit und Rentenfrage bei 
nervenkranken Soldaten. M. m W. 1915, 50. 

19. Klapp, Rückenmarksschüsse und Behandlung der im Ge¬ 
folge der Laminektomie auftretenden Meningitis. M. m. W. 

1915, 5. 

20. Klieneberger, Über Schädelschüsse. D. m. W. 

1916, 11. 

21. L e v a, Über Verletzungen des Rückenmarks im Kriege. 
M nt. W. 1915, 27. 

22. Lew an dowsky, Die Kriegsverletzungen des Nerven¬ 
systems Berl klin. W. 1914, 51. 

22. Lewandowsky, Erfahrungen über die Behandlung 
nervenkranker und nervenverletzter Soldaten. D. m.W 1915,53. 
24. Marburg und R a n z i, Erfahrung, über die Behandlg. 

von Hirnschüssen. W. kl. W. 1914, 46. 

25 Marburg und K a n z i, Zur Frage der Rückenmarks¬ 
schüsse. Neurol. Zentr. 1915, 6 

26. M a t t i, Schußverletzungen des Gehirns und Rückenmarks. 
D. m. W. 1916, 22 u, 23. 

27. M u s k e n s , Operationsbefund bei anscheinend kompl. 
Riickenmarksquerläsion durch Schußwunden. Neurol. Zentr, 
1915, 1. 

28. N o e I he. Über die operative Behandlung der Riicken- 
marksverl. im Feldlazarett. D m. W 1915, 1. 

29 Oppenheim, Berlin, klin. W. 1914, 48 11 1915, 2. 

30. „ Über Kriegsverl. d. periph. u zentr. 

Nervensystems. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 1915, 4. 

31. Payr, Schädelschüsse. Vortrag; ref. D m. W. 1916, 16. 
32 Perthes, Über Hirnschüsse. Vortrag;ref. D. m. W. 1196, 1. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



328 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


33. Petren, Verlauf der sensorischen Bahnen im Rücken¬ 
marke. Neur. Zentr. 1916, 1. 

34. Poppelreuter, Über psych. Ausfallserscheinungen 
nach Hirnverletzungen. M. m. W. 1915, 14 

35. Poppelreuter, Erfahr, u. Anregungen zu einer Kopf- 
schuß-lnvalidenfiirsorge Neuwied u Leipzig 1915. 

36. Reichard und Moses, Interessanter Eall von Kopf¬ 
schuß. M. in. W. 1915, 52. 

37. Rosenfeld, Symptomat der Schußverl. des Rücken¬ 
marks. Vortrag; ref. D. m. W. 1916, 7 

38. R o t h m a n n , Die Hirnphysiologie im Dienste des Krieges- 
Berl. kl W. 1915, 14. 

39. Kumpel, Über Rückenmarksschiisse. M. m. W. 1915, 19 

40. Rumpf, Über einige Schußverletzungen des Rückenmarks 
und Gehirns... Med. Klin. 1915, 4. 

41. Sänger, Über die durch den Krieg bedingten Folgezu- 
stände im Nervensystem. M. m W. 1915, 15. 


Nr. 33. 


42. Säuger, Über die Arbeitsfähigkeit nach Schußverletzungen 
des Gehirns. Vortrag; ref. Neur. Zentr. 1916, 2. 

43. Spielmeyer, Zur Behandlung „traumatischer Epilepsie* 
nach Hirnschußverletzung. M. m. W. 1915, 10. 

44 v Tappeiner, Lamineklomie im Feldlazarett. M in. 
W 1916, 5. 

45. T i I m a ii n , Zur Erkennung von Spätfolgen nach Schädel- 
Schüssen. D. m W 1916, 12. 

46. Tobias, Ergeb d bisher Kriegserf. auf d. Gebiete des 
Nervensystems D. m. W. 1916, 4 u. 5. 

47. Wi I ms, Behandlung der Schädeltangentialscluisse M. m. 
W. 1915, 42. 

48. Zange, Hyster. Funktionsstörg. des nerv. Ohrapparates im 
Kriege. M m. W. 1915, 28. 

49. Zange, Organ Schädigung des nerv. Ohrapparates im 
Kriege. M m. W. 1915, 32. 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Untersuchungen über den Mechanismus der Amboceptor- 
und Komplemententwicklung. Von Stabsarzt Di. Schlemmer 
z. Zt, im Felde, früher kommandiert zum Kaiserl. Gesundheit- 
amte. „Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundlieitsanite“, 
Band 50, Heft 3, 1916 

Der Verfasser stellte sich die Aufgabe, die Beobachtungen 
von Scheller, Ungermanu und Ivandiba und Neufeld und 
Handel über die Wirkung vou Ambozeptor und Komplement 
nachzuprüfen Er suchte folgende Fragen zu beantworten: 
1 . Wirkt das bakteriolytische Komplement nach der absoluten 
Menge oder nach dem Grade seiner Verdünnung? 2 Be¬ 
stellen Beziehungen zwischen der Menge des Antigens und der 
zu einer kompletten Reaktion nötigen Komplementdosis? 3. Be¬ 
stellt im bakteriziden Plattenversuch eine Abhängigkeit der 
wirksamen Ainboceptormenge von der Autigenmenge ? 4. Wirkt 
der Amboceptor im baktericiden Plattenversuch nach einer 
absoluten Menge oder nach dem Grade seiner Verdünnung? 
Darauf ergibt sich als Antwort die Zusammenfassung Schlem¬ 
mers: 1. Das bakteriolytische Komplement wirkt wie das hämo¬ 
lytische nicht nach seinen absoluten Mengen, sondern annähernd 
nach dem Grade seiner Verdünnung, 2. Zwischen der Antigen¬ 
menge uud der zur Lösung notwendigen Komplementinenge 
bestehen im baktericiden Plattenversuch gewisse quantitative 
Beziehungen, die aber nur bei grösseren Antigenmengen deut¬ 
lich in die Erscheinung treten 3. Zwischen der Amboceptor- 
raenge und der Antigenmenge treten dagegen ira baktericiden 
Versuch sehr enge Abhängigkeitsverhältnisse zutage, die im 
grossen ganzeu, wenn auch nicht genau, dem Gesetz der Mul- 
tipla folgen. 4. Im baktericiden Plattenversuch wirkt der 
Amboceptor nicht nach seiner absoluten Menge, sondern an¬ 
nähernd nach dem Grade seiner Verdünnung. 5. Dieser 
Unterschied im Verhalten des bakteriolytischen und hämoly¬ 
tischen Amboceptors, der im wesentlichen nach seiner absoluten 
Menge wirkt, ist bedingt einerseits durch die Vermehrung der 
Bakterien während des Versuches, anderseits durch die geringere 
Bindungsgeschwindigkeit der Aboceptoren im grösseren Flüssig¬ 
keitsvolumen. 6. Auch hei der Komplementwirkung spielt die 
Bindungsgeschwingdigkeit eine Rolle in Verbindung mit der 
die Hämolyse bezw. Bakteriolyse begleitenden komplementbin- 
denden Nebenreaktion. 7. Die Ehrlichsche Auffassung einer 
chemischen Bindung der Komplemente an den Amboceptor bei 
den Immunitätsreaktionea besteht zu Recht Die scheinbare 
Abweichung im Verhalten des Komplements von den Gesetzen 
der chemischen Bindung kommt dadurch zustande, dass bei 
den lytischen Immunitätsreaktionen gleichzeitig und nachein¬ 
ander mehrere Komplementverbrauchende Prozesse sich ab¬ 
spielen, die sich gegenseitig stören. Einzelheiten sind im Ori¬ 
ginal nachzuleseu. 

H. Gräf-Hamburg. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Müller, Kopfstreifschuss. Motorisch-amnestische Aphasie 
Trepanation. Heilung, Münchener medizinische Wochenschrift., 
No. 10, Feldärztliche Beilage, 1916. 

Ein günstig verlaufener Fall eines 21 jährigen Infanteristen, 
der am 18. Juli 1915 verletzt, am 14. August 1915 ins 
Reservelazarelt II in Nürnberg »ufgeuomtnen, nach einer 
gründlichen Untersuchung durch einen Nervenspezinlisten zur 
Operation vorgeschlagen, am 8. September trepaniert wurde. 
Entnahme eine 3’s : 2 cm grossen Schädeletttcks und einer stark 
verdickten Knochenspange Es trat dann völlige Heilung ein 
Wern. H. Becker- Herborn. 

Alter, Irrtiimer hei Geisteskrankheiten, Psychiatrisch- 
Neurologische Wochenschrift, 7. Jahrgang, No. 47 48 und 
49/50, 1915/16. 

Verfasser unterscheidet 3 Faktoren, die die Psychose be¬ 
dingen; Kran kheitsursaclie (Alkoholismus, Morphinismus, 
Syphilis und dergl.), Kraukheitsbedingungen (Heredität, Lebens¬ 
alter, konstitutionelle Veränderung u. a. mehr) uml Krankheits¬ 
anlässe. Letztere würden zu wenig beachtet zugunsten der 
weniger wichtigen Kranklieitsbedingungen und dadurch würde 
oft der Zeitpunkt, wo die Psychose noch heilbar sei, verpasst. 
Eine Wiedergabe von zwei Fällen — in einem wurde einer 
„Typhusbazillen in Reinkultur“ im Coecum beherbergenden 
Frau der Blinddarm exstirpiert, in einem anderen die bestehende 
Septikopyaernie durch grosse intravenöse Kollargolgaben ver¬ 
trieben — soll die Behauptung beweisen. Verfasser geht dann 
zu den diagnostischen Irrtümern über. Hysterie werde viel zu 
oft diagnostiziert, hinter ihr verberge sich meist eine beginnende 
endogene Verblödung vom schizophrenen Typ oder eine 
manisch-depressive Veranlagung Melancholie werde oft ange¬ 
nommen, wo es sich um schizophrene, präsenile oder arterio¬ 
sklerotische Erkrankungen handle. Es folgen dann einige 
Fingerzeige, wie man, insbesondere durch Prüfung des geistigen 
Besitzstandes und Associacitionsprufung diese Irrtiimer aufdecken 
könnte Paranoia werde viel zu oft für vorliegend erachtet, 
insbesondere paranoide Schwachsinusform oder paranoide 
Schizophrenie statt deren übersehen; hingegen die bei Epilepsie 
vorkommende Paranoia meist nicht erkannt. Besonders schwer¬ 
wiegend seien die Verkennungen luetischer Geistesstörungen. 
Es gäbe fast keine Psychose, die nicht durch eine zentrale 
Lokalisation der Lues vorgetäuscht werden könne. Man solle 
beachteu, was hier in therapeutischer Hinsicht für grosse Unter¬ 
lassungssünden begangen werden könnten. 

Der Vortrag ist anregend und fesselnd, auch für solche 
Irrenärzte lehrreich und lesenswert, die in vielen Punkten dem 
bekannten lippischeu Psychiater nicht beizustimmeu vermögen 
Wern. H. Becker - Herhorn. 


Digitized by 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza 




JNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






33. Jahrgang 


1915/16. 


?ort$cbrim der Medizin. 


L Brauer, 

Hamburg. 


V 


Unter Mitwirkung hervorragender facbtnänner 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden, 

erant wörtliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig 


Nr. 34. 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


10. September 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Lieber die Behandlung geschlechtskranker 
Soldaten in den Reservelazaretten und über die 
spätere Fürsorge für dieselben. 

Von Professor Dr. Galewsky, Dresden, Oberstabsarzt d. R. a D., 
z. Zt. ordin. San. Offiz, im Reservelazarett I Dresden. (Chefarzt : 

Ober-Stabsarzt Dr. Voigt.) 

Wenn man früher von Kriegsseuchen sprach, so 
verstand man im Volke darunter im allgemeinen die 
von Alters her bekannten großen epidemischen Er¬ 
krankungsformen der Cholera, des Typhus, der Pocken, 
der Dysenterie und vielleicht des Fleckfiebers, die als 
Geiseln dem Heere folgten und sehr oft durch das 
Heer in die Heimat gelangten. Noch in den letzten 
Kriegen spielten Cholera (1866) und Typhus (1870) 
eine derartige Rolle, daß andere Krankheiten völlig 
zurücktraten. Umso dankbarer müssen wir sein, daß es 
in diesem Kriege der Fürsorge der Heeresverwaltung 
gelungen ist, alle diese Seuchen auf ein Minimum 
zurückzuführen, daß wir, trotzdem wir in völlig ver¬ 
seuchten Gegenden Krieg führen, bisher von Seuchen 
verschont geblieben sind, und daß der Prozentsatz der 
erkrankten Soldaten auch ein verhältnismäßig geringer 
geblieben ist. 

Seit wir Statistik treiben, wissen wir ja aber auch, 
daß die Geschlechtskrankheiten zu den Kriegsseuchen 
gehören und eine viel bedeutendere Rolle spielen, als 
man im Volke geahnt hat und als wir uns selbst dessen 
bewußt waren. Erst in den letzten großen Kriegen hat 
man auch dieser Seuche die entsprechende Fürsorge 
gewidmet, und es ist vielleicht interessant, einmal zu 
verfolgen, wie unser Sanitätswesen dieser P'rage 
gegenübergestanden hat, und uns ein Bild zu machen 
von den außerordentlich großen Aufgaben, die die 
Medizinalabteilung des Kriegsministeriums auch auf 
diesem Gebiete zu lösen hatte. Hat sich doch gerade 
in den letzten Jahrzehnten in unseren Fachkreisen, dank 
den epochemachenden Entdeckungen eines Neißer, 
Schaudin, Ehrlich, eine Umwälzung auf dem Gebiete 
der Geschlechtskrankheiten vollzogen, die das Sanitäts¬ 
wesen vor ganz neue Aufgaben stellte. 

Wie zu erwarten war, ist die Zahl der geschlechts- 
kranken Soldaten an der Front selbst, im Schützen¬ 
graben und direkt hinter der Front eine auffallend ge¬ 
ringe gewesen. Bedeutender war nur, wie das auch 
selbstverständlich ist, die Zahl der Geschlechtskranken 
hinter der Front, in der Etappe und in der Heimat. 
Die Heeresverwaltung hat, um diesen Verhältnissen 
Rechnung zu tragen, folgende Einrichtungen getroffen, 
diesich auch im allgemeinen außerordentlich bewährt haben. 

Digitized by Google 


Wie bekannt, sind im deutschen Heere bei allen 
Truppen Gesundheitsbesichtigungen üblich, die dazu 
dienen, die sich nicht freiwillig meldenden Geschlechts¬ 
kranken zu ermitteln und dem Lazarett zuzuführen. 
Die bei diesen Gesundheitsbesichtigungen krank be¬ 
fundenen Soldaten und die sich freiwillig meldenden 
kommen im Felde in die hinter der Front befindliche 
Sammelstelle und von dort in das nächstliegende Kriegs¬ 
lazarett, in der Heimat in das entsprechende Reserve¬ 
oder Festungslazarett. Alle diese Formen der Lazarette 
sind im allgemeinen jetzt überall mit Spezialisten 
besetzt; in allen geht das Bestreben der Militärver¬ 
waltung dahin, die Kranken möglichst schnell wieder 
felddienstfähig oder sie in der Heimat für die 
Ausbildung verwendbar zu machen. Es stehen sich 
da selbstverständlich zwei Pole gegenüber: auf der 
einen Seite soll die Heilung möglichst schnell er¬ 
folgen, auf der andern soll sie möglichst gründlich 
sein, um späteren Rückfällen und Ansteckungen in der 
Familie vorzubeugen. Es war bei Beginn des Krieges für 
die Verwaltung nicht leicht, diese Lazarette unter speziali- 
stischer Leitung einzurichten. Es fehlte selbstverständlich 
im Anfang an allem Nötigen. Es ist aber dankbar an¬ 
zuerkennen, in wie kurzer Zeit es unserer Heeresver¬ 
waltung geglückt ist, diese Lücken auszumerzen und 
überall für eine ausreichende spezialistische Behandlung 
zu sorgen, 

Der Gang der Versorgung ist im allgemeinen der, 
daß im Felde der Soldat durch Belehrung und Merk¬ 
blätter auf die Bedeutung der Geschlechtskrankheiten 
aufmerksam gemacht wird, daß die bei der Gesunds- 
heitsbesichtigung krank Befundenen oder sich freiwillig 
Meldenden in das nächste, unter spezialärztlicher 
Leitung stehende Kriegs- oder Etappenlazarett kommen 
und dort eine Zeit lang behandelt werden. Kompli¬ 
ziertere und langsam heilende Fälle gelangen nach 
einigen Woehen von dort in die weiter zurückliegenden 
nächsten Kriegs-, Reserve- oder Festungslazarette, da 
natürlich die der Front zunächstliegenden Lazarette für 
frische Fälle immer frei bleiben müssen. 

In der Heimat ist das Verfahren dadurch einfacher, 
daß die vom Truppenarzt krank Befundenen sofort 
dem nächsten Reserve- (Garnison-) lazarett überwiesen 
werden. Es hat sich als absolut nötig erwiesen, die 
Kranken bis zur defenetiven Heilung in den Lazaretten und 
nicht ambulant zu behandeln, da nur in den Lazaretten die 
Kranken die nötige Ruhe und Pflege haben, und die ärzt¬ 
lichen Anforderungen sehr oft mit denen des Dienstes nicht 
zu vereinbaren waren. Es ist dies schon deshalb nötig, da 
erfahrungsgemäß die Zahl der geschlechtskranken Ver. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






330 


Nr. 34 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


heirateten eine außerordentlich große ist (in unserem 
Lazarett waren durchschnittlich *40—30 % der Syphi¬ 
litiker, 30 —40 “/o der Gonorrhoiker verheiratet) und 
man unbedingt dafür sorgen muß, daß dieselben, halb 
geheilt, nicht Gelegenheit haben, sich ihrer Familie zu 
nähern. Denn darin besteht ja die große Gefahr der 
Geschlechtskranken in diesem Kriege, daß dieselben, 
wenn sie ungenügend geheilt werden, teils auf Urlaub, 
teils nach dem Kriege, in ihre Familien zurückkehren, 
nicht nur selbst h dbgeheilte Kranke sind, die später 
infolgedessen an schweren Komplikationen erkranken 
können (Tabes, Paralyse, gonorrhoische Arthritiden), 
sondern daß sie auch eine stete Gefahr für die Familie 
sind, die Frau infizieren und eine kranke Nachkommen¬ 
schaft hervorrufen können. 

Verhältnismäßig einfach liegen die Verhältnisse bei 
der Frage der Behandlung der Gonorrhoe. Im all¬ 
gemeinen wird die Gonorrhoe in den Militärlazaretten 
planmäßig im Sinne der Neißer’schen Anforderungen 
behandelt. Die Kranken erhalten Bettruhe, Diät, 'Fee, 
Balsamica oder Urotropin etc. und injizieren allmählich stei¬ 
gende Lösungen von Silbersalzen. In unserem Lazarett ver¬ 
wenden die Kranken dreimal am Tage schwache Albargin- 
Lösungen *) und abends eine starke 2“/« Verweilinjektion 
von Protargol. Die Kranken treten dazu gliederweise an, 
injizieren auf Kommando, um eine Überwachung zu er¬ 
möglichen. Zum Schluß der Injektion werden sie kon¬ 
trolliert, ob die Einspritzung richtig gemacht worden 
ist. Das Resultat dieser Injektionen wird jede Woche 
durch zwei Gonokokkenuntersuchnugen kontrolliert, und 
ebenso wird zweimal wöchentlich bei der Visite im 
Behandlungszimmer der Zustand des Urins und even¬ 
tuelle Komplikationen festgestellt. Alles Übrige wird 
bei der täglichen Visite in den Krankenzimmern be¬ 
sprochen. 

Den Komplikationen, die erfahrungsgemäß in der 
dritten Woche auftreten (Fortschreiten der Gonorrhoe 
auf die hintere Harnröhre, Prostatitis, Epididymitis) 
muß selbstverständlich besondere Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt werden, um gleich energisch einzugreifen. 
Wird mit Hülfe der Zweigläserprobe oder der Jadas- 
sohnschen Spülmethode eine Erkrankung der hinteren 
Harnröhre festgestellt, so erfolgt die Behandlung mit 
Suppositorien (mit Morphium oder Atropin usw.), mit 
sehr heißen Bädern, Guyonschen Instillationen oder 
Katheterspülungen resp. Janetschen Spülungen. Die 
Erkrankungen der Prostata, durch LTntersuchung per 
anum festgestellt, werden mit Sitzbädern, Massage und 
Suppositorien behandelt. Epididymitiden erhalten bei 
starker Schmerzhaftigkeit Eis, oder bei Fehlen der 
Schmerzhaftigkeit feuchte Spiritusverbände mit Wärm¬ 
flasche darüber, zum Schluß Jod, Ichthyol oder graue Salbe 
mit Wärmflasche und warme Bäder. Als ein ganz be¬ 
sonderes Unterstützungsmittel hat sich bei den Kompli¬ 
kationen der Gonorrhoe (Epididymitis und Prostatitis 
sowie den später zu besprechenden Gelenkerkrankungen) 
die Behandlung mit Gonokokkenvakzine (Arthigon usw.) 2 ) 
erwiesen, die entweder jeden 3. oder 4. Tag intramus¬ 
kulär in steigenden Dosen, oder, wenn genügendes 
Überwachungspersonal zum Messen der Temperatur zur 
Verfügung steht, intravenös gegeben wird. Gewöhnlich 
genügen 4—5 Injektionen, um die akuten Erscheinungen 
zum Rückgang zu bringen. In einer großen Anzahl 
von Fällen heilt die Gonorrhoe mit ihren Komplikationen 
ganz ab. Es bleiben aber immer einige besonders hart¬ 
näckige Fälle zurück , die große Anforderungen an die Ge¬ 
duld desPatienten und die des Arztes stellen. Die Patienten 

’) Ebenso können schwache Hegonon-, Protargol- Novorgan usw. 
Lösungen angewendet werden. 

2 j Herr Geheimrat Neißer war so liebenswürdig, uns jederzeit 
reichlich mit Gonokokken-Vakzine aus der Kgl. Hautklinik in Breslau 
zu versorgen. 


Digitized by 


Google 


erhalten also ihre Silberlösungen vom ersten Tage an 
und steigen z. B. bei uns von Albargin 1 :2000 auf 
1 : 1000 und dann auf Protargol ’/s—2 0 /,„ bis nach zwei¬ 
maliger oder dreimaliger Untersuchung keine Gonokokken 
im Präparat mehr vorhanden sind. Ist das Sekret 
gonokokkenfrej und besteht keine starke eitrige Ent¬ 
zündung mehr, so erhält der Patient Zinklösung zum 
Injizieren oder eine schwache übermangansaure Kali¬ 
lösung. Bleibt auch hierbei das Präparat gonokokken¬ 
frei, wird der Urin ganz klar, so steht der Patient vor 
der Entlassung. Um zu sehen, ob ein Rückfall zu er¬ 
warten ist, provozieren wir dann gewöhnlieh, indem wir 
mit einem Bougie <i boule die Harnröhre reizen, oder 
indem wir dem Kranken eine intravenöse Injektion mit 
Genokokkenvakzine machen, um dadurch latente Go¬ 
nokokken noch einmal hervorrufen. Gerade dieses 
letztere Verfahren hat sich in einer Reihe zweifelhafter 
Fälle außerordentlich bewährt. Wir haben bei ver¬ 
schiedenen Kranken, bei denen eine Infektion geleugnet 
wurde und zuerst Gonokokken nicht nachweisbar waren, 
weil die Kranken sich schon lange selbst behandelt 
hatten, auf diese Weise die Gonokokken wieder hervor¬ 
gerufen. Aber vor allen für die Entlassung ist diese Provo¬ 
kation außerordentlich wichtig. Steigt die Tetnperatur- 
kurve (die Kranken müssen alle Stunden gemessen 
werden) um 1,5° ungefähr an, zeigt sich wieder Aus¬ 
fluß, so ist es wahrscheinlich, daß noch irgendwo Go¬ 
nokokken sitzen, und gewöhnlich tritt dann am nächsten 
bis zum vierten Tage ein gonokokkenhaltiger Aus¬ 
fluß auf, oder es zeigen sich Schmerzen und Schwellungen 
in den erkrankten Partien, die ein Beweis dafür sind, 
daß auch dort der gonorrhoische Prozeß noch nicht ab¬ 
geheilt ist. Nach der Provokation werden die Kianken 
noch nach 2—4 Tagen zweimal mikroskopisch untersucht 
und dann entlassen. Es hat sich für uns aber als unbedingt 
nötig erwiesen, den Kranken dann noch eine 8—14 tägige 
Schonung im Revier und eine eventuelle Nachbehand¬ 
lung mit Zink zu verschreiben, falls noch schleimiger 
Ausfluss da ist, dabei dem anstrengenden Dienst zu leicht 
Rückfälle auftreten. 

Eine glücklicherweise nicht zu häufige, aber sehr 
unangenehme Komplikation der Gonorrhoe sind die 
gonorrhoischen Gelenkerkrankungen ’) sie bedürfen ganz 
besonderer Pflege und werden bei uns ebenfalls mit 
feuchten Packungen, Wärme (Föhn, usw.) und 
zum Schluß mit Massage behandelt. In der letzten Zeit 
haben wir mit besonderem Erfolg die von Käst aus 
der Arning’schen Abteilung in Hamburg emp¬ 
fohlene Behandlung mit heißen Bädern und Massage 
angewendet (Dermatol. Wochenschrift Nr. 21). 
Es ist ganz zweifellos, daß die heißen Bäder von 
40 — 42 0 C. sehr gut wirken und, verbunden mit Massage, 
mit aktiven und passiven Bewegungen, außerordentliche 
Erfolge zeitigen. Überhaupt wirken sehr heiße Sitz¬ 
bäder, wie wir sie auf Empfehlung von Weiß (Feld- 
ärztl. Wochenschridt 1915, Nr. 44) verabreichen, außer¬ 
ordentlich gut auf den schnellen Ablauf der Gonorrhoe 
und ihrer Komplikationen ein, und sind namentlich in 
hartnäckigen Fällen, die der Therapie Widerstand leister, 
besonders zu empfehlen. Daß selbstverständlich auch 
hier Gonokokkenvakzine-Injektionen zu therapeutischen 
Zwecken angewendet werden, ist bereits erwähnt worden. 
Unangenehme Komplikationen infolge der Vakzinebe¬ 
handlung haben wir nicht gesehen; die Gonokokken¬ 
vakzine wirkt auch hier außerordentlich günstig. 

’) Auch hier ist die Gonokokkenvakzine in diagnostischer Hin¬ 
sicht außerordentlich wertvoll, besonders zur Diagnosenstellung go¬ 
norrhoischer Rheumatitiden und Arthritiden, bei denen von den 
Kranken die frühere Gonorrhoe geleugnet wird. Für die Feststellung 
der Dienstbeschädigung ist es selbstverständlich wichtig, zu kon¬ 
statieren, ob es sich um einen Trinperrheumatismus oder um eine im 
Feld erworbene Schädigung handelt. 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 34. 


FORTSCHRITTE DER MEDZIIN. 


Sehr oft findet man kleine para- und periurethrale 
Drüsengänge, die die Heilung der Gonorrhoe erschweren. 
Auch diese müssen lokal ausgebrannt werden. Ebenso 
findet man gelegentlich periurethrale oder cavernöse Ab¬ 
szesse, die nach chirurgischen Prinzipien behandelt 
werden. 

Handelt es sich um ältere gonorrhoische Prozesse, 
die mit Infiltrationen einhergehen, oder um frische 
Gonorrhoe auf alter gonorrhoischer Basis, so müssen die 
frischen oder alten Infiltrate gedehnt werden. In diesem 
Falle werden die Kranken ein bis zweimal die Woche mit 
Stahlsonden oder Dilatatoren gedehnt und unmittelbar 
hinterher heiß gespült (mit Argentum nitricum 1 :3000 
oder Kalium permanganat 1 : 2000). Diese Spülungen 
gehören ebenso zur Behandlung der Prostata und sollen 
auf jede Massage folgen. 

Wir haben es auf diese Weise erreicht, daß wir 
eine durchschnittliche Dauer der Gonorrhoebehandlung 
bei unkomplizierten Fällen in 27 Tagen erreichen 
konnten, mit Komplikationen durchschnittlich von 
47 Tagen, und einen Gesamtdurchschnitt von 35 Tagen. 
Bei 20 —30 Entlassungen pro Woche kamen höchstens 
1—2 Kranke mit Rückfällen wieder 1 ); es ist also auch 
dieser Prozentsatz kein zu großer. Gennerich in Kiel 
hat im Marinelazarett ebenfalls eine Behandlungsdauer 
von 37 Tagen erreicht. Wir sehen also, daß man mit 
energischer Behandlung bei der Gonorrhoe in verhältnis¬ 
mäßig kurzer Zeit eine Heilung erreichen kann. 

Im Anfang hatten wir den Versuch gemacht, die 
Kranken sobald keine Gonokokken vorhanden waren, 
zur ambulanten Behandlung ins Revier zu entlassen. 
Diese Maßregel hat sich aber nicht bewährt, da die 
Kranken doch zum Dienst herangezogen wurden, und 
ein großer Prozentsatz von ihnen dann bald mit Rück¬ 
fällen wieder ins Lazarett kam, oder sie uns mit den 
die Heilung erschwerenden Komplitationen aufs neue 
aufsuchten. 

Die Behandlung des Ulcus m o 1 1 e ist selbst¬ 
verständlich wesentlich einfacher. Hier genügt es, mit 
Karbolsäure die Falten gründlich auszuwischen und mit 
Jodoform, dessen Geruch ja im Militärlazarett keine 
störende Rolle spielt, zu bestreuen. Vereiterung der 
Leistendrüsen wird am einfachsten mit heißen Um¬ 
schlägen und Stichinzision behandelt. In den eröffneten 
Bubo kommen mehrfach die Woche Injektionen von 
Jodoformglycerin oder Jodoformparaffin, und darüber 
ein feuchter Verband. Der Kranke soll möglichst dabei 
herumgehen, da dadurch der Abfluß des Sekretes er¬ 
leichtert wird und die Stauungen vermieden werden. 
Derartig inzidierte Bubonen heilen in unverhältnismäßig 
schnellerer Zeit als nach der früheren Ausräumung; 
nur sehr tief sitzende, umfangreiche Bubonen bedürfen 
unter Umständen der Ausräumung, da sich sonst leicht 
schwer heilende Prozesse mit Fistelbildung einstellen. 

Wesentlich komplizierter ist die Behandlung der 
Syphilis.') Hier kommt es darauf an, möglichst 
b rühdiagnose zu stellen und entweder durch Tusche 
oder Giemsasche Färbung oder im Dunkelfeld Spiro¬ 
chäten nachzuweisen 3 ), ehe die Wassermannsche Probe 
positiv ausfällt. Ist die klinische und mikroskopische 
Diagnose der Lues im Primärstadium gestellt, so wird 
der Schanker ausgebrannt oder exzidiert und sofort 
möglichst bei negativem Wassermann, die erste 
energische Kur begonnen. Wir geben den Kran- 


’) Seit der Anwendung der Gonokokken Vakcine ist die Behand- 
lungsdauer etwas länger geworden, dafür sind Rückfälle fast ganz ent¬ 
schwunden. 

! ) Die Syphiliskranken unterstehen auf der Abteilung dem ordin. 
Arzt, Vertragsarzt Dr. G. Winkler. 

c . *) Ir > der letzten Zeit verwerden wir mit Erfolg die Tontan’sche 
Süberungsmethode (Miincli. Med. Woch. 1916 Nr. 20. Mitteilung von 
Manne Ob. Stabsarzt Dr. Hage) als einfache und bequeme Schnell- 


Digitized by 


Google 


331 


ken durchschnitllich 10—15 Quecksilber - Injektionen 
und 3=5 Salvarsan-Injektionen, und zwar am besten 
entweder Salicyl-Quecksilber (Emulsion 1 : 9 Paraffinum 
liquidum) oder das stärkere, aber schmerzhaftere Kalomel 
(in derselben Konzentration). Bei guter Überwachung 
der Patienten und guter Mundpflege empfiehlt es sich, 
graues Öl zu injizieren (Merzinol), und zwar in der 
Form, daß die Kur mit 2 Salicyl-Quecksilberinjektionen 
begonnen wird, und später jeden 8. bis 10. Tag (am 
selben Tagewie das Salvarsan) 7 Teilstriche derZielerschen 
Rekordspritze Merzinol injiziert werden. Das Merzinol, 
als ein stärkeres Präparat, ist bei geschwächten Patienten 
und Nierenkranken nicht anzuwenden, ebensowenig 
wenn man die Kranken nicht in genügender Über¬ 
wachung hat Die Fortsetzung der Kur mit Merzinol 
ist zu widerraten, sowie sich Infiltrate in den Nates 
bilden. Während der kombinierten Quecksilber-Sal- 
varsankur und etwa 2-4 Wochen nach Beendigung 
derselben soll auf gute Mundpflege geachtet werden. 
Zwischen diese Quecksilberbehandlung hinein erfolgen 
eine Reihe von Neosalvarsan-Injektionen, die man 
sich auf die denkbar einfachste Weise herstellt. Es 
genügt bei Neosalvarsan, die nötige Wassermenge in 
einem Reagenzglase gründlich auszukochen, oder sterili¬ 
siertes destilliertes Wasser aus der Apotheke zu be¬ 
ziehen. Die gebrauchsfertige Lösung wird entweder in 
einem kleinen Glase oder in der Rekordspritze selbst 
hergestellt, die Kanüle in einem zweiten Reagenzglase 
ausgekocht. Unmittelbar nach dem Öffnen der Ampulle 
muß das Pulver gelöst und sofort, um die Oxydation 
an der Luft zu vermeiden, verwendet werden. Die 
Lösungen sollen jedesmal frisch vor der Einspritzung zu¬ 
bereitet werden. Die Einspritzung witd mit einer 5— 10 ccm 
haltigen Rekordspritze gemacht. Die Anfangsdosis beim 
erwachsenen Mann beträgt 0,3—0,45 Neosalvarsan (Dosis 

2 und 3). Wird die Injektion gut vertragen (ohne Fieber, 
Magenbeschwerden und dergl.), so steigt man auf Dosis 
4 oder höchstens Dosis 5. Gesamtdosis: 2 bis höchstens 

3 Gramm. Die Intervalle zwischen den Injektionen be¬ 
tragen bei den ersten Injektionen 8—■ 10 Tage, später 
14 Tage. Es ist selbstverständlich, daß die Neosalversan- 
injektionen mit einer gewissen Vorsicht gemacht werden 
müssen. Bei Kranken mit frischen Infektionskrankheiten 
(Bronchitis, Influenza) warte man ab, bis die Erkrankung 
abgelaufen ist. Schwere Komplikationen der inneren 
Organe, namentlich Herz-, Nieren- und Gehirn¬ 
erkrankungen (Epileptiker), ebenso vorgeschrittener Dia¬ 
betes und Alkolismus mahnen zur Vorsicht und dürfen nur 
mit kleinen Dosen behandelt werden. Diese kombinierte 
Neosalvarsan-Quechsilberkur geschieht dann am besten 
in folgender Weise: 

1. Behandlungstag: tief intraglutäal Salicyl-Hg. (0,1 pro 
dosi) d. h. eine Pravaz - Spritze 
einer öligen Suspension 3:27 pa¬ 
raffinum liquidum. 


4. Behandlungstag: do. 

6 . Behandlungstag: Neosalvarsan 0,3 j 
8 . „ : Salicyl-Hg. j 

12. „ : Salicyl-Hg. 

14. „ : Neosalvarsan 0,45 

16. „ : Salicyl-Hg. 


oder beide an 
einem Tage 

j oder beide an 
j einem Tage 


usw. 

Nach Beendigung der Kur soll tunlichst nach 2 oder 
3 Monaten die zweite Kur folgen, die in ungefähr 
6 —9 Quecksilber- und 2—3 Salvarsan-Injektionen be¬ 
stehen soll. Sollte dies durch die Anforderungen des 
Feldes nicht möglich sein, so empfiehlt es sich, die 
zweite Kur in leichterer Form wenigstens zu wieder¬ 
holen; auch eine dritte Kur soll nach Möglichkeit im 
ersten Jahre angeschlossen werden. Anstatt der Kur mit 
unlöslichen Salzen können selbstverständlich auch lösliche 
Salze gegeben werden, bei denen aber die Ausscheidung 


UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







332 


Nr. 34 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


eine schnellere und die Dauerwirkung nicht so groß ist, 
ganz abgesehen davon, daß auf einer großen Station es 
außerordentliche Mühe macht, anstatt 10—12 unlöslichen 
30—40 Injektionen löslicher Salze zu geben. 

Ebenso können, falls Quecksilber-Injektionen nicht 
gemacht werden können, die Kranken bei sehr guter 
Überwachung eine Einreibekur von 30—40 Einreibungen 
zu 3—5 Gramm machen. Nur hat die Erfahrung gelehrt, 
daß diese Kuren selten gründlich gemacht werden, daß 
sehr oft, falls Quecksilbergeguer unter der Mannschaft 
sind, die Leute absichtlich schlecht einreiben oder die 
Kügelchen zum Fenster hinauswerfen. Aus diesem 
Grunde sind wir — ganz abgesehen von unserer wissen¬ 
schaftlichen Überzeugung — zur Einspritzungsbehand¬ 
lung übergegangen. 

Seit wir das Salvarsan als eine unschätzbare Be¬ 
reicherung unseres Arzneischatzes regelmäßig angewendet 
haben, hat sich dasselbe als ein unentbehrliches Heil¬ 
mittel der Syphilis bewährt, dem wir die größten Fort¬ 
schritte in der Bchandluug verdanken. Aber, wie jedes 
wirksame Heilmittel, kann es gelegentlich unangenehme, 
in äußerst seltenen Fällen sogar zum Tode führende 
Nebenwirkungen zeigen. Anfangs häufiger, sind diese 
jetzt wesentlich geringer geworden, seit wir die Art der 
Anwendung und die Art der Dosierung genauer kennen 
gelernt haben. Unter diesen Nebenwirkungen waren 
es vor allen die sogen. Neurorezidive, die namentlich 
im Anfang eine außerordentliche Rolle spielten. 

Diese Neurorezidive, d. h. Erkrankungen bestimmter 
Ilirnnerven, sind glücklicherweise äußerst selten geworden, 
seitdem wir in den Fällen von sekundärer Syphilis, in 
welchen manifeste Symptome vorhanden sind, die Salvar- 
sankur mit Quecksilber umkleiden, und seitdem wir 
energisch behandeln und nicht mehr glauben, daß die 
Heilung der Syphilis mit ein oder zwei Salvarsan-Injek- 
tionen zu erzielen sei. Generich hat ganz besonders 
darauf aufmerksam gemacht und hat die Frage ange¬ 
schnitten, ob nicht in Anbetracht der Schwierigkeiten 
und der Möglichkeit der Neurorezidive diese sekundären 
floriden Fälle nur mit Quecksilber behandelt werden 
sollen. Es hat sich aber bei uns in unserem Reserve¬ 
lazarett auch herausgestellt, daß diese Fälle sehr gut 
behandelt werden können, wenn sie energisch und lang- 
dauernd behandelt werden. Bei uns erfolgt die Be¬ 
handlung der Syphilis sofort, sowie die Diagnose Sy¬ 
philis durch klinische Zeichen oder Spirochätennachweis 
oder Blutentnahme sichergestellt ist. Wir warten nicht, 
bis die Syphilis bereits konstitutionell geworden ist und 
die Spirochäten den ganzen Körper durchseucht haben 
Gerade darin besteht ja der Vorzug der Salvarsanbe- 
handlung, daß wir sofort nach Feststellung der Diagnose 
energisch behandeln und, wenn möglich, die Erkrankung 
abortiv zu beeinflussen suchen. Generich hat im Marine¬ 
lazarett in Kiel auf diesem Gebiete zweifellos die 
glänzendsten Erfahrungen gemacht. Er hat bei fünfjähriger 
Dauerbeobachtung frische primäre Syphilisfälle in 93 bis 
94 "/„ rezidivfrei erhalten. Nach seiner Statistik sind 
von 92 Fällen primärer Syphilis alle 92 ohne Rückfälle 
geblieben, von 72 Fällen des frischen Sekundärstadiums 65, 
und von 5 Fällen des älteren Sekundärstadiums 4 gleich¬ 
falls ohne Rückfälle geblieben. 

Auch ich habe in meiner Praxis eine ganze Reihe 
von Fällen, die ich jahrelang beobachtet habe und die 
nach den ersten gründlichen Kuren stets frei von Er¬ 
scheinungen geblieben sind und negativen Wassermann 
behalten haben. Als ein Beweis für die Möglichkeit der 
Sterilisation der Syphilis bei dieser energischen, im 
ersten Stadium durchgeführten mehrmonatigen Behand¬ 
lung mit mindestens drei Kuren können die bisher ver¬ 
öffentlichten zahlreichen Reinfektionen gelten, von denen 
ich auch in der letzten Zeit zwei sichere wieder erlebt 
habe. 

Digitized by Google 


Die Schwierigkeit der Syphilisbehandlung im Laza¬ 
rett und beim Heere liegt nun aber darin , daß der 
Patient nach der ersten Kur wieder dem Feldheer 
überwiesen wird und damit die Möglichkeit der Über¬ 
wachung erlischt. Aus diesem Grunde erhalten die Sol¬ 
daten bei ihrer Entlassung eine Belehrung, durch welche 
sie darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie das 
Blut regelmäßig wieder unterrsuchen lassen (auch ohne 
klinische Erscheinungen) und daß sie, wenn sie irgend 
Gelegenheit haben, in den hinter der Front befindlichen 
Lazaretten gelegentlich wieder Kuren machen sollen 
Dazu dienen die Belehrungen und Merkblätter, die wir 
den Soldaten gegeben. 

Sehr einfach ist selbstverständlich die Behandlung 
der tertiären Syphilis in den Lazaretten. Dieselbe wird 
nach dem bekannten Schema mit Quecksilber und Jod 
durchgeführt. Hier kann Salvarsan gegeben werden, 
es ist aber nicht unbedingt nötig. 

Damit wäre die Heilung der Syphilis in den Re¬ 
servelazaretten und Kriegslazaretten erledigt, wenn bei 
ihr nicht leider die Gefahr der Ansteckungsfähigkeit 
weiter bestünde, die Gefahr, daß später wieder Rück¬ 
fälle auftreten, die Gefahr der schweren Späterschei¬ 
nungen von seiten des Gefäß- und Nervensystems, und 
die Gefahr der Übertragung auf die Familie. Während 
bei der Gonorrhoe ja im allgemeinen außer der gonorr¬ 
hoischen Arthritis nur die Möglichkeit der Infektion der 
Frau, die Sterilität und die Blennorrhoe der Neuge¬ 
borenen in Frage kommt, spielt hier die Durchseuchung 
der ganzen Frau, die Frage der Nachkommenschaft 
und die Gefahr, die der Träger der Syphilis für sich 
selbst birgt, eine große Rolle. Aus diesem Grunde hat 
die Heeresverwaltung auf Anregnng der Deutschen Ge 
Seilschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, 
die in Gemeinschaft mit den Landesversicherungsan¬ 
stalten und dem Reichsversicherungsamt dieser Frage 
näher getreten ist, beschlossen, sich an der Für¬ 
sorge für die Geschlechtskranken zu beteiligen. Es ist 
ganz klar, daß der Soldat, sobald er Urlaub erhält, den 
Wunsch haben wird, — ganz gleichgültig ob er eine 
Geschlechtskrankheit hat oder nicht —, in seine Heimat 
und zu seiner Familie zu kommen. Ebenso wird er 
nach Schluß des Krieges, ebenfalls gleichgültig, ob er 
infektiös ist oder nicht, sofort seinen heimischen Penaten 
wieder zustreben. Aus dieser Erkenntnis heraus sind 
bereits folgende Bestimmungen getroffen worden: Alle 
Kriegsteilnehmer, die venerisch eVkrankt gewesen sind, 
sollen vom Feld aus nicht nach der Heimat befördert 
werden, sondern in den nächsten Kriegslazaretten behan¬ 
delt werden und keinen Urlaub nach der Heimat erhalten. 
Ebenso erhalten die in den Garnisonen befindlichen 
Mannschaften, sofern sie geschlechtskrank waren, auch 
nach der Entlassung aus dem Lazarett oder der Revier¬ 
stube, keinen Urlaub in die Familie. Nach dem Frieden¬ 
schluß sollen alle aus dem Felde zurückkehrenden, 
früher geschlechtskranken Soldaten — so lautet die 
Forderung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten — besonderen Fürsorge¬ 
stellen überwiesen werden, die im Anschluß an die 
Landesversicherungsanstalten oder an die Krankenhäuser 
errichtet werden, und in denen eine unentgeltliche Be¬ 
ratung durch Ärzte für die Geschlechtskranken stattfinder. 
soll. Jeder Kranke, der vom Militär aus gemeldet wird, 
hat diese Beratungsstelle aufzusuchen, wird dort unent¬ 
geltlich untersucht und den Ärzten überwiesen, die sich 
bereit erklärt haben, diese Kranken weiter zu behandeln 
Die Kosten für diese Behandlung tragen die Kranken¬ 
kassen und die Landesversicherungsanstalten. Der unter¬ 
suchende Arzt in der Beratungsstelle selbst darf keinen 
der Kranken behandeln; er soll nur gewissermaßen als 
väterlicher Freund die Kranken beraten und ihnen vor¬ 
stellen, welchen Gefahren sie und ihre Familie entgegen- 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 34. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


3 33 


gehen, wenn sie sich nicht behandeln lassen. Die Kranken 
werden so lange in den Listen der Beratungsstelle ge¬ 
führt, bis sie für gesund erklärt und aus der Fürsorge 
entlassen werden können. Diese Fürsorgestellen, die 
nach dem Muster der Lungenfürsorgestellen eingerichtet 
worden sind, haben sich bereits in den Hansastädten 
außerordentlich bewährt und es steht zu hoffen, daß sie 
auch hier ihre segensreiche Tätigkeit ausüben werden. 
Bis jetzt steht nur noch die Schwierigkeit entgegen, daß 
die Militärbehörde vorläufig nicht jeden Soldaten, der 
krank gewesen ist, glatt überweisen will, sondern daß 
sie erst das Einverständnis des Kranken einholen will. 
Es ist klar, daß dadurch die ganze Frage sehr erschwert 
wird, und es ist für uns als Fachmänner eigentlich 
unverständlich, warum man die Typhus- Cholera- und 
Pockenimpfung'zwangsweise einführt und bei dieser ge¬ 
fährlichen Erkrankung auf einmal vorsichtig wird, 
namentlich da sich diese neue Einrichtung ja in den 
Hansastädten bereits gut bewährt hat und außerordent¬ 
lich frequentiert wird. 

Eine andere Frage ist, ob die behandelnden Ärzte, 
die sich zur Verfügung stellen werden, genügende Fach¬ 
kenntnis besitzen und die Kranken entsprechend gleich¬ 
mäßig zu behandeln in der Lage sein werden. Aber 
auch hier ist bereits vorgesorgt, indem für diese be¬ 
handelnden Arzte Fortbildungskurse in gleichmäßiger 
Weise eingerichtet werden. Hoffen wir also, daß mit 
dieser Maßregel die Fürsorge für die Geschlechtskranken 
in neue Bahnen gelenkt werde, und daß es dadurch 
gelinge, die große Gefahr, die aus der hohen Anzahl 
der Geschlechtskrankheiten dem deutschen Volke er¬ 
wächst, zu beseitigen. 

Hat doch nicht nur die Fürsorge für die Kranken, 
sondern auch die Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten 
seit Beginn dieses Feldzuges Außerordentliches erreicht. 
Ich habe bereits erwähnt, daß die oberste Heeresver¬ 
waltung, sobald sie die Gefahr der Geschlechtskrank¬ 
heiten erkannt hatte, sofort mit außerordentlichem Ge¬ 
schick die nötigen Abwehnnaßregeln ergriffen hat, um 
die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten zu verhindern. 
Es sind zahlreiche Merkblätter und Flugschriften ver¬ 
teilt worden. Ganz besonders hat der Soldatenbrief 
der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten 1 ) günstig auf die Soldaten einge¬ 
wirkt. Die Organisation der Arbeiter hat auf Veran¬ 
lassung der Landesversicherungsanstalt ein ausgezeich¬ 
netes Merkblatt verfaßt, welches in Arbeiterkreisen große 
Verbreitung gefunden hat, und man hat versucht, durch 
mündliche Belehrung, insbesondere bei |den Gesundheitsbe¬ 
sichtigungen der Soldaten aufklärend zu wirken. Ebenso 
finden Belehrungen im Lazarett, Unterweisungen für die 
Krankenwärter usw. bei uns im Lazarett ständig statt. Die 
Bearbeitung wichtiger Fragen beim Heere ist beratenden 
Dermatologen und Venersologen anvertraut worden. 
Die Einschränkung und die Kontrolle der Prostitution 
ist nicht nur in der Heimat, sondern auch in Belgien, 

') Diese ,,Soldatenbriefe“ und alle Merkblätter werden unent¬ 
geltlich von der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten, Berlin, Wilhelmstr. 48, überall hin abgegeben. 


Frankreich und Polen, ganz besonders ins Auge gefaßt 
worden. Exzellenz von Bissing in Brüssel hat dieser 
Frage seine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt 
und durch seine Verfügungen erreicht, daß die Zahl der 
Geschlechtskrankheiten beim Heere in Belgien wesent¬ 
lich in der Abnahme begriffen ist. Die Überwachung 
der Prostituierten durch deutsche Arzte, die Internierung, 
die Abschiebung der Prostituierten und die regelmäßige 
Behandlung derselben mit Salvarsaninjektionen ist in 
einigen Gegenden von außerordentlichem Vorteil gewesen. 
Ebenso hat in der Heimat die Schließung der Lokale mit 
weiblicher Bedienung, der Animierkneipen, in Belgien der 
Estaminets, der Zigarrenläden und Bars, besonders günstig 
gewirkt. Die Abkürzung der Polizeistunde in den Garni¬ 
sonen, die Einschränkung des Abendurlaubes,das Alkohol¬ 
verbot, die Einrichtung von Soldaten- und Eisenbahner¬ 
heimen in den okkupierten Ländern und in der Heimat, 
in gleicher Weise das Kurpfuscherverbot, wie es von 
einzelnen Generalkommandos bereits erlassen worden ist, 
sind ebenfalls von sehr gutem Einfluß auf die Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten gewesen. Ebenso 
ist in den okkupierten Ländern namentlich der Fürsorge 
für die weibliche Bevölkerung, Arbeitsvermittelung usw., 
ganz besonderes Augenmerk geschenkt worden. 

Nun steht und fällt der Kampf gegen die Geschlechts¬ 
krankheiten mit der persönlichen Prophylaxe. Wenn 
auch überall Versuche gemacht worden sind, diese 
persönliche Prophylaxe noch weiter auszudehnen, wenn 
auch bereits sehr viel erreicht worden ist, so vermissen 
wir Fachärzte doch noch den Zwang der Verteilung 
von Schutzmitteln in den Revierstuben und öffentlichen 
Häusern, die zwangsweise Untersuchung der Männer 
vor und nach dem Verkehr, die Meldepflicht und die 
prophylaktische Behandlung in der Revierstube nach 
dem Verkehr. Wenn auch hier schon bei einzelnen 
Korps und Regimentern viel erreicht worden ist, so fehlt 
doch noch die allgemeine Verfügung. Denn, darüber 
kann kein Zweifel herrschen, viel segensreicher als die 
Behandlung, viel billiger und viel wichtiger ist die 
Prophylaxe, und die große Sorge und Mühe, die die 
Behandlung der Geschlechtskrankheiten erfordert, würde 
sich wesentlich verringern, wenn wir die Prophylaxe 
energischer betreiben wollten, und wenn wir die 
religiösen, ästhetischen und sentimentalen Rücksichten, 
für die ich selbstverständlich ein volles Verständnis habe 
und deren Berechtigung ich bis zu einem gewissen 
Grade anerkenne, fallen lassen würden. Es ist gewiß, 
daß, ebenso wie es England nicht gelingen wird, eine 
effektive Blockade gegen uns durchzuführeu, es auch 
uns nicht gelingen wird, die Geschlechtskrankheiten zu 
beseitigen. Aber wir werden doch, wenn wir die 
Prophylaxe noch weiter ausbauen, und wenn wir auf 
dem Boden, den die Heeresverwaltung jetzt bereits ge¬ 
schaffen hat, Weiterarbeiten, erreichen können, daß die 
Geschlechtskrankheiten im Heere noch weiter abnehmen, 
daß die Resultate der Heilung noch bessere werden, 
und daß wir damit für die Friedensjahre eine Ver¬ 
mehrung der Volkskraft und der Volksgesundheit er¬ 
warten dürfen. 


Digitized by 


Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





334 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 34 


Mitteilungen aus der Praxis und Autoreferate. 


Anwendung eines Gummizugverbandes bei 
großen Hautwunden. 

Von F. R. M ü li I h a u s. 

Auch oberflächliche Wunden mit ausgedehnteren Haut¬ 
sudstanzverlust können, wenn sie ohne Eingriff sich selbst 
der Überhäutung überlassen bleiben und namentlich, wenn 
sie in der Nähe von Gelenken liegen, abgesehen von dem 
kosmetischen Defekt infolge Narbencontraktur eine Gefahr 
für die vollwertige funktionelle Bewegung des betreffenden 
Gliedes bilden. Da Naht bei den fast regelmässig infizierten 
Schusswunden kontraindiziert ist, hat M. zur Methode der 
allmählichen, konstant wirkenden Annäherung der Wund¬ 
ränder gegriffen und damit gute Resultate erzielt. 


Die Technik ist einfach und überall herzustellen. 
Breitere Heftpflasterstreifen werden den beiderseitigen Wund¬ 
rändern gut angelegt und mit sterilen Sicherheitsnadeln durch¬ 
bohrt. Um die Nadeln werden gegenseitig Gummischnüre 
gelegt, wodurch man die Intrusitat der Zugwirkung je nach 
Anzahl der Gummibänder regulieren kann. Der Verband 
ist leicht, bei Verabreichung von Bädern abgenommen und 
erneuert. Bei stärker sezernierenedn Wunden empfiehlt sich 
Touchieren der Heftpflaster mit Mastix. 

Auch breiteste Wunden in Gegenden mit reichlicherem 
Fettpolster heilten mit fast linearer Narbe. 

(M. m. W. 17 . 15 ). Autoreferat. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Z. v. D a 1 m a d y, (Budapest) Neue Magenunter- 
suchungsmethoden. (Zeitschr. f. physikal. u diätet. Therapie 
XX. 1916, 2. Heft, S. 54—58.) 

I. Zur Bestimmung des Zeitpunktes, an welchem die 
Verdauung eines bekannten Stoffes erfolgt, lässt Verf. eine 
bohneugrosse Hartgummiolive mit breiter Querößhung schlucken. 
Durch diese laufen 2 gutisolierte Leitungsschnüre zu 2 kleinen 
Platinplatten im Inneren der Olive. Die Olive wird in ein 
Blatt feinste Fischblase eingewickelt, und diese an der Quer- 
öffnung hermetisch abgeschlossen. Man lässt sie verschlucken 
und registriert den Moment, an welchem ein Signal ertönt, 
als Zeichen, dass die Fischblase verdaut ist Das erfolgt nor- 
maliter in 50 -55 Minuten. 

II. Zur Bestimmung des tiefsten Punktes des Magens 
führt v. D. eine Magensonde ein, die an ihrem Ende in einer 
4 cm langen, 8 mm dicken Hartgummikapsel einen kleinen 
Elektromagneten trägt Durch Verbindung der Leitungs- 
schniire mit einem Element entsteht im Magen ein magnetisches 
Feld, welches einen Kompass vor dem Bauch deutlich 
ablenkt. 

Geliefert werden die Apparate sr. Zt. von der Fabrik 
elektromedizinischer Apparate „Ericsson“ in Budapest. 

Buttersack. 

H. St r a u j s, (Berlin). Zur Methodik der Tropf¬ 
klistiere. (Ztschr. f. physikal und diätet. Therapie XX. 1916, 
Heft 2, 8 . 33 - 36.) 

Auf der Platte eines Stativs ist eine elektrische Heizplatte 
montiert, welche die fürs Klistier bestimmte Flüssigkeit dauernd 
auf ca. 80 0 C. hält. Auf dem Weg durch den Schlauch 
sinkt dann ihre Temperatur auf 38—40° ab. — Statt der 
elektrischen Heizplatte kann man auch eine Heizpatrone aus 
Holzkohle verwenden. 

Strauss benützt die Tropfklistiere mit grossem Erfolg bei 
toxischen Zuständen, Darmstenosen, Magen- und Duodenalge¬ 
schwüren, unstillbarem Erbrechen. 

Buttersack. 

E. Des ch k e. Erfahrungen über die Behandlung der 
Krlegtseuchen. (Berliner Klinische Wochenschrift 19 L5, 
Nr. 24. 

Oberarzt Dr. L. hält die physikalisch wirkende Adsorptions¬ 
therapie für die wirksamste Behandlung der Ruhr, ruhrähn- 

Digitized by Google 


liehen Erkrankungen, wie aller infektiöser lokalen Darmer- 
krankungen überhaupt, besonders mit Bolusal und Bolusal mit 
Tierkohle, da bei diesen Präparaten eine Verbindung der 
adsorbierenden Wirkung der Bolus mit Tierkohle mit der 
adstringierenden und desinfizierenden des Tonerdehydrats 

geschaffen ist. 

Von anderer massgebender Seite wird über einen sofortigen 
manifesten Erfolg mit „Bolusal und Tierkohle“ hei einer, 
wahrscheinlich seit Jahrzehnten bestehenden Achylia gastrica 
mit einem (wohl konstruktiven) chron. Darmkatarrh, der mit 
lebhaften Zersetzungsvorgängen des Darminhaltes einherging, 

berichtet. Weiter: 

„Bei einem 15 Wochen lang bestehenden vergeblich be¬ 
handelten „Durchfall“, wodurch das Allgemeinbefinden sehr 
gelitten, das Körpergewicht erheblich zurückgegangen war, 
wurde auf Grund der Anamnese, des Status praesens, und 

der Diagnose (Paratyphus ?) „Bolusal mit Tierkohle“ mit 
überraschendem Erfolg verabreicht. Der Durchfall stand, der 
Stuhl regelte sich von selbst, und bei gutem Befinden und 

guter Ernährung war eine erhebliche Körpergewichtszunahme 
zu konstatieren.“ 

Auch septische Durchfälle, tuberkulöse Darmkntarrhe, 
seihst ein schwerer Cholerafall wurden durch „Bolusal mit 
Tierkohle“ ausserordentlich günstig beeinflusst. 

Bolusal rein, wurde mit bestem Erfolg auch bei hart¬ 
näckiger Ftatulenz und Hyperacidität angewandt. 

Neuerdings berichtet Dr. Oppenheim in der Berl. Klin. 
Wochenschrift 1916, Nr. 22 über seine überraschenden Er¬ 
folge durch Aufpudern mit Bolusal bei stark secerniereuden 
Wunden und Fisteln aller Art, und empfiehlt „Bolusal mit 
Tierkolile“ infolge seiner energisch bakterienfixierenden Wirkung 
bei infizierten Wunder, mit schlaflen Granulationen, infiltierter 
Umgebung und stark eitriger Sekretion. 

Hersteller: Rheumasan- & Lenicet - Fabriken Dr. Rudoll 
Reiss, Chorlottenburg und Wien VI/2. R 


Psychiatrie und Neurologie. 

W e y g a n d t, Psychiatrische Aufgaben nach dem 
Kriege. (Jahreskurse für ärztl. Fortbildung, Maiheft 1916. 

W. vertritt mit Nachdruck die Forderung einer ausgiebigen 
Psychohygiene, die gegenüber der Körper- 
h y g i e u e bisher zu kurz kam. Auch die Vorbeugung gei- 
B Drüirarfrcm 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 34 


Fortschritte der Medizin. 


335 


stiger Erkrankung ist möglich und notwendig, was bisher 
noch viel zu wenig berücksichtigt wurde. U. a. führt 
W. aus: 

,,Die zwei wesentlichsten und nächsten Hebelansatzpunkte 
bleiben immer der Alkoholismus und die S y p h i 1 i s. 
Das Wichtigste hierüber ist ja in medizinischem Kreise schon 
so oft betont worden, dass man es geradezu nur mit Überwin¬ 
dung immer wieder aufs neue Vorbringen mag. Aber trotz aller 
Selbstverständlichkeit ist die praktische Vertretung der Lehren 
vonseiten der somatischen Medizin noch durchaus ungenügend. 
Der Kampf gegen den Alkohol wird von den meisten Ärzten 
noch in recht lauer Weise betrieben, von manchen sogar noch 
erschwert. Es ist nicht zu leugnen, dass im Feldzug die Ab¬ 
wehr von den strengen, höchst segensreichen Abstinenzvor¬ 
schriften, die bei der Mobilmachung galten, später manche 
Schäden gezeitigt hat, die sich in militärischen Vergehen, in 
Diensterschwerung und auch in Verleitung zu Sexualinfektionen 
geltend machten. Die gutgemeinten Empfehlungen von alko¬ 
holischen Liebesgaben für die Kämpfer im Schützengraben 
waren wissenschaftlich keineswegs zu befürworten ; übrigens hat 
der unmässige Alkoholgenuss mehrfach auch hinter der Front 
und in der Etappe eine Rolle gespielt. Mit Unrecht wurde 
das russische Alkoholverbot verspottet, das bei richtiger Hand¬ 
habung eine bedeutsame Erhöhung des Gefechtswertes der 
russischen Truppen darstellt; wie ich im vorigen Herbst durch 
Rundfragen in Lemberg erhoben, haben die Russen während 
der fast dreivierteljährigen Okkupation das Alkoholverbot dort 
sehr wohl eingehalten. Durch Abgaben von anregenden warmen 
Getränken, Kaffee, Tee, Herba mate, schliesslich auch von Rauch¬ 
material, sollte den Truppen im Feldzug sowohl, wie auch in 
den folgenden Friedensjahren, in noch viel reichlicherer Weise 
geistige Anregung geboten werden. Die Kriegsbüchereien, die 
in unseren den besten Boden finden, verdienen alle 
Unterstützung und sollten auch in Friedenszeiten als 
eine Art geistiger Kantine jeder Truppe zur Verfügung 
stehen. “ 

Beachtenswert ist weiterhin auch, was W. über das Jugend- 
lichen-Problem sagt: „Leiderist noch nicht einmal das Rauch¬ 
verbot gegen Jugendliche allgemein eingeführt und wirksam 
durchgeführt worden, das keineswegs die Versagung eines harm¬ 
losen Vergnügens bedeutet, sondern eine beachtenswerte Waffe 
gegen die Jugeuddegeneration darstellt, denn mit der ersten 
Zigarette wird gewöhnlich die unbefangene Kindersyche abge¬ 
streift und in dem Verlangen des Jugendlichen, es dem Er¬ 
wachsenen gleich zu tun, folgt dem Rauchen bald der regel¬ 
mässige Alkoholgenuss und der verfrühte Geschlechtsverkehr. 

Hervorgehoben sei schliesslich auch noch die Forderung 
nach einer gründlichen psychologischen und psychiatritischen 
Schulung jedes Arztes Unter den erwünschten Vorlesuugsge- 
genständen wird dabei auch die Alkoholirage genannt. 

R, 

W. Mayer, Alkohologene reflektorische Pupillenstarre. 

Journ. f. Psych. u. Neurol. XXI. 1910, H. 5/6. 

Bei einem seit mehreren Jahrzehnten starken Alkoholiker, 
der an einer schweren Polyneuritis erkrankte, wurde eine voll¬ 
ständige linksseitige und eine unvollständige rechtsseitige Pu¬ 
pillenstarre festgestellt, ohne dass sich mit allen zur Verfügung 
stehenden Methoden eine Lues nachweisen liess. Es handelte 
sich keineswegs um einen akuten Rauschzustand. Die Neuritis 
ging auf die Behandlung zurück, während sich der Pupillenbe¬ 
fund nicht änderte. Bei näherer Prüfung liess sich jedoch die 
Pupillenstarre auf eine Störung im peripheren, zentripetalen 
optischen Apparat zurückführen, indem sich ein Defekt des 
zentralen Farbensehens nachweisen liess, so dass höchstwahr¬ 
scheinlich eine retrobulbäre neuritische Opticusschädigung Vor¬ 
tag- Die bei chronischem Alkoholismus vorkommende und 
schon früher beschriebene reflektorische Pupillenstarre ist also 
wahrscheinlich durch Sehnervenschädigung bedingt. Um bei 
dieser Frage zu einem endgiltigen Ergebnis zu kommen, muss 
m solchen Fällen jede Lues und jede Schädigung des peripheren 
optischen Apparates ausgeschlossen werden, was bisher nur in 
dem von Nonne mitgeteilten Fall geschehen ist. 

R 

Digitized by Google 


R. Weichbrodt Psychosen nach Erysipel. (Arch 
f. Psych , Bd. 56, H. 3, S. 826. 1916). 

Abgesehen von 11 Fällen, die als Delirium tremens an¬ 
zusprechen waren, wurden 12 Fälle von Psychosen nach Ery¬ 
sipel, und zwar an 7 Frauen und 5 Männern, beobachtet. Aus 
der Beobachtung derselben ergaben sich folgende Schlussfolge¬ 
rungen : Die Psychose tritt nicht nur nach Kopf- und Gesichts¬ 
erysipel auf, sondern auch wenn das Erysipel an einer anderen 
Stelle sich zeigt, wie zwei Fälle von Erysipel am Kniegelenk 
bzw. Oberschenkel zeigen. Der Beginn der Psychose liegt sehr 
verschieden, hald im Anfänge, bald auf der Höhe, bald nach 
dem Abheilen des Erysipels. Die Dauer der Psychose zeigt 
grosse Unterschiede, sie schwankt von mehreren Tagen bis 
mehrere Wochen. Bei allen Fällen ist zum Schluss Krank¬ 
heitseinsicht und Erinnerung für die krankhaften Ideen vor¬ 
handen. Das Verhalten der Kranken bietet kein einheitliches 
Bild, die einen sind manisch, die anderen sind deprimiert; die 
meisten zeigen Verfolgungs- oder Versündigungsideen, auch 
Vergif'tungsideen kommen vor; manche verweigern die Nahrung, 
manche haben Gehörs- oder Gesichtshalluzinationen ; 4 von den' 
12 Fällen zeigen ausgesprochene Grössenideeu nnd sind ge¬ 
hobener Stimmung, allerdings schlägt diese Stimmung bei 2 
Fällen nach einiger Zeit um. Bei diesen Fällen könnte man, 
besonders im Hinblick auf die Grössenideen, an Paralyse den¬ 
ken. Die Psychosen gehen alle in Heilung über, und die 
Sterblichkeit ist ziemlich gering, wenn man bedenkt, dass das 
Erysipel selbst eine Moralität von 3 bis 11 °/ 0 haben soll; auf 
12 Erkrankungen wurde hier nur 1 Todesfall beobachtet,' wo¬ 
bei von den Deliranten abgesehen wurde. 

W. Misch-Berl in. 

Frlderici, Über Dipsomanie, (Archiv für Psychiatrie 
56. Band, 2. Heft, 1916.) 

Nach einem geschichtlichen Rückblick gibt Verfasser di« 
Auflassungen der verschiedenenen psychiatrischen Schulen wieder 
und greift dann nach Wiedergabe von 7 Krankengeschichten, 
die der Kieler Irrenklinik und den letzten Jahren entstammen, 
selber in die Polemik ein. Der Standpunkt der Kraepelinschen 
Schule, dass die Dipsomanie ein« epileptische Erkrankung, 
einer Art von larvierter Epilepsie sei, sei völlig unhaltbar, Fr. 
neigt mehr der Higierschen Ansicht zu, dass die Dipsomanie 
eine Psychose sui generis sei und, was die Verstimmungen der 
Dipaomanen beträfe, der von Pappenheim vertretenen Behauptung, 
dass dieselben teils reaktiv, teils primär wären. 

Wern. H. Becker - Herborn. 

Hilger, Uber Suggestion. — Beeinträchtigte die Sug¬ 
gestion die Freiheit des Urteils und des Willens? (Zeitschrift 
für Psycho therapie und medizinische Psychologie, Bd VI 
Heft 2, 1914. 

Erinnerungsbilder beeinflussen sichtlich die Tätigkeit unserer 
Organe. Die Wirkung wird hauptsächlich zu stände gebracht 
durch Gewohnheit (Uebung), Vorbild und Erwartung. Recht 
hübsche Beispiele illustrieren diese seelischen Vorgänge, die sich 
tatsächlich in Bewegungen, Sekretionen u. a. widerspiegelu. 
Auch unser Urteil wird dadurch beeinflusst und ist oft nur mit 
Aufbietung eines kraftvollen vom Verstände gelenkten WillenB 
zu rektifizieren. Wo dieser Wille aus Indolenz, aus Bequem¬ 
lichkeit oder aus Müdigkeit nicht Platz greift, da nimmt die 
Suggestion von uns Besitz. Die Kunst des Arztes besteht da¬ 
rin, von dieser Suggestion in für den Kranken günstigem Sinne 
Gebrauch zu machen, teils, indem er die nützlichen Vorstellungen 
des Patienten stärkt, teils indem er den schädlichen entgegen¬ 
zuwirken strebt. 

Der Aufsatz ist flott und unter möglichster Vermeidung 
von abstrakten Begriffen und Fremdwörtern geschrieben, auch 
dem gebildeten Laien verständlich, er ist deshalb nicht nur 
dem für philosophische Themata Interessierten sondern auch 
dem Real-Praktiker, d. h. dem Arzte, der lediglich der Therapie 
zugeneigt und jeglicher Philosophie abhold ist, zur Lektüre zu 
empfehlen. Wern. H. B e c k e r - Herborn. 

Raecke, Zur forensen Beurteilung der katatonischen 
Demenz (ein Entmündungsgutachten), (Archiv für Psychiatrie, 

56. Band, 2. Heft, 1916.) 

Verfasser bringt die Krankengeschichte und in toto sein 
Gutachten über eine Frau, die an Dementia praecox leidet 

Origirai frem 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Nr. ,U 


.136 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


jenem Sammelbegriff von Krankheitseinheiten, die bekanntlich 
R. seinerseits als Dementia katatonica zusammentasst. Nur 
der Name ist hier vom Verfasser anders gewählt, was ich für 
den Nichtpsychiater vorausschicken muss; sonst ist dus Gut¬ 
achten seht instruktiv und lehrreich könnte und ohne Weiteres 
in jedes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie übernommen 
werden. R. stellt sich in Gegensatz zu einem Vorgutachler, 
der auf Grund guter Rechenfähigkeit, Orientiertheit über 
Lehensmittelpreise, Verständnis für Geldeswert und sonstige 
ihrem Stande und ihrer Bildung entsprechende Kenntnisse 
sich ablehnend gegen die Notwendigkeit einer Entmündigung 
verhalten hatte, und gelangt genau zum gegenteiligen Schluss. 
Hierbei dociert R., wie man es anfangen müsse, die typischen 
Krankheitssymptome aufzudecken. „Völlig verkehrt wäre es. 
vor allem das erhaltene Schulwissen als Massstab anzusehen. 
Sein Bestand hängt meist vom Gedächtnis ab, das so gut wie 
unversehrt sein kann. Die Rechenfähigkeit mancher Katatonisch- 
Schwachsinniger bleibt in überraschendem Umfange erhalten 
Vielmehr muss sich die Prüfung auf alle Gebiete 
des geistigen Lebens erstrecken und doch iiusserlioh die 
Form der Unterhaltung der des Examens nach Möglichkeit 
vorziehen. Nur dann geht auch der misstrauische Kranke wirklich 
aus sich heraus. Je mehr er aber redet, desto leichter wird 
die Beurteilung sich gestalten, und desto grösser ist das für 
die Begründung der gewonnenen Ansicht zur Verfügung stehende 
Material. Daher möglichst nie unterbrechen! Daher möglichst 
alles wörtlich mitschreiben! Je zerfahrener und unverständ¬ 
licher der Redestrom sich ergiesst, desto reicher gestaltet sich 

die Ausbeute.“ So finden wir denn auch in Raeckes 

Aufsatz bezw. Gutachten ein weitläufiges aber recht instruktives 
Stenogramm von dem echt schizophrenen Redestrom 
der Entmündigenden. 

Wern. H. Becker- Herhorn. 


Medikamentöse Therapie. 

lluccosperin in der Urologie und Gynaekologle. Internes 
hervorragendes Antigonorrhoicum, Harnnntisepticum von diure- 
tischer, harnsäurelösender — daher auch bei Gicht — gleich¬ 
zeitig die Darmperistaltik anregender Wirkung, auf Grund 
jahrelanger Untersuchungen geschaffen. Die Erfahrungen Ehr- 
licli’s und Bürgi’s waren die leitenden Gedanken. 

Durch Gebrauch der Buccosperin-Kapseln bei entzünd¬ 
lichen Erkrankungen der Harnorgane wird das schmerzhafte 
Brennen beim Urinieren in den akuten Entzündungsstadien 
rasch beseitigt, der häufig auftretende Harndrang sehr schnell 
vermindert, der Harn wird bald klar und bekommt saure Re¬ 
aktion, ferner werden die eitrige Serektion und die Eutziindungs- 
erscheinungen der Harnröhre beschränkt; die bei akuter Go¬ 
norrhoe 'so häufigen schmerzhaften Erectionen hören hei Buc- 
cosperin-Medication rasch auf. 

Auch in der Frauenpraxis hat sich Buccosperin bei akuter 
und chrou. Gnorrhoe und Gystitiden bestens bewährt (ef. auch 
Lenicet-Bouls etc. und Ester-Dermasan-Ovula). 

Jede Kapsel von 0,3 Inhalt besteht aus Bals. Copaivae 
Maturin 0,2 sowie aus Extrakt. Bucco aethereum (Diuretikum) 
und den Harnantiseplicis Salol Salizyl-, Benzoe-, Camphersäure, 
Hexamethylentetramin ad 0,3. Exantheme, Magenstörungen, 
Nieren, oder Darmreizungeu sind dank des verwendeten Bals. 
Copaiv. Maturin und infolge der übrigen Stoffe ausgeschlossen, 
dazu kommt, dass die Kapseln sich erst im Dünndarm lösen 
und dort langsam zur Resorption gelangen. — Dosis: 2-3 stünd¬ 
lich eine Kapses. 

Preis: Schachtel mit 60 Kapseln M. 4,50; 

Kassenpackung M. 2,— (30 Stück.) Behörden Sonderpreise. 

Literatur: 1. Prof. Dr. Max Joseph, Lehrbuch der 
Geschlechtskrankheiten, VII. Aufl. (neueste) S. 411. 2. F r a n k 1, 
B. kl. W. 1911, Nr, 13.-3. Gr ave, Fol. urol. 1911, Bd. 6. 
— 4. Karo, D. in. W. 1911, Nr. 14. 

Holste. Ute combtnlerte Digitallstherapie. D. Med. 
W. Nr. 25. 

Da das Adrenalin genau wie Digitalis den Herzmuskel 
selbst angreift (daneben hat es auch eine Verengerung der 

Digitized by Google 


Kapillaren zur Folge), so beschäftigte sich der Autor 
mit der Frage, wie die beiden Mittel zusammen gegeben 
wirken, und er fand, dass diese sich „in energischer 
Weise potenzierten“. Da das Adrenalin im kreisenden Blut 
sehr „labil“ ist, so muss man die beiden Mittel synchron geben, 
wenn man ein Optimum der Wirkung erzielen will. Es wird 
nicht nur die Systole voller, sondern die Diastole wird eben¬ 
falls grösser. Auf Grund seiner Experimente kommt H. zur 
Empfehlung der „Kombination eines Herzmittels mit dem 
Suprarenin zur intravenösen Anwendung in der ärztlichen 
Praxis“. B o e n h e i nt. 

Boas. Über „Glycerinersatz“ bei Obstipationszu¬ 
ständen. D. Med. W. Nr. 2. 

Das von Prof. N e u b e r g hergestellte Perglycerin ist 
ein vollwertiger Ersatz des alten Glycerins und wird von 
B sehr gelobt 

Medikamentöse Therapie. Unter der Bezeichnung Antiar- 
thryl findet eine 50 prozentige Melubrinlösung neuerdings bei 
der intravenösen Behandlung des akuten und chronischen Ge¬ 
lenkrheumatismus und verwandter Zustände erfolgreiche An¬ 
wendung. Dr. Kurt Habbey-Kiel-Wik berichtet hierüber in 
der Therapeut. Monatschrift 1916, S. 230. Es beeinflusst bei 
frühzeitiger Anwendung den Gelenkrheumatismus schnell und 
sicher; bei chronischen Zuständen kommt es darauf an, ob 
bereits destruktive Gelenkveränderungen vorliegen oder nicht. 
Irgend welche schädigenden Eigenschaften können dem Autiar- 
thryl nicht zugeschrieben werden. Die wirksamste Anwendungs¬ 
weise ist die intravenöre Injektion. 

Über Arsen-Hämatose, besonders bei Operierten berichtet 
Dr. W. Hertel, München in „Die Heilkunde“ XX. Jahrgang, 
Nr. 1. Er wendete es in einer grossen Zahl von Fällen und 
zwar ausschliesslich bei Frauen an, die grössere Eingriffe 
hinter sich hatten und zwar schon am 2, nach Laparatomien 
am 3. Tage, beginnend mit kleinen Dosen, die er nach und 
nach steigerte. Der Appetit nahm nach der Darreichung zu. 
die Nahrungsaufnahme wurde reichlicher uud leichter verdaut. 
Die Alkoholmeng» ist gering, da das Präparat aus abgelager¬ 
tem Dalniatinervvein besteht, dem organisches Eisen und 
Sol fowl. zugesetzt ist. Die Veröffentlichungen gründen sich 
auf die Erfahrungen, die mit dem Präparat in der pädiatrischen 
und psychiatrischen Klinik-Müuchen sowie iu dem Wilhelminen- 
Krankenhause in Wien gemacht wurden. Arsen-Hämatose 
kommt auch in Verbindung mit Gnajakol in den Handel. 

Von dem von Schnirer herausgegebenen Taschenbuch der 
Therapie (Verlag Kurt Kabitzsch, Würzburg) ist die 12. Aus¬ 
gabe erschienen. Sie briugt verschiedene Neuerungen, unter 
anderen den vielen Militäräzten sicherlich besonders erwünschten 
Abschnitt: Feldärztliche Erfahrungen, der kurz aber vollkom¬ 
men genügend das Wichtigste aus der Kriegschirurgie bringt. 
Der therapeutische Jahresbericht ist zwar weniger gross als 
gewöhnlich ausgefallen infolge des Fehlens der Mitteilungen 
aus dem feindlichen Ausland Immerhin bringt er über 100 
neue therapeutische Vorschläge mit genauer Litteraturangabe. 
Das neue Taschenbuch der Therapie wird sich einer ebenso 
grossen Verbreitung erfreuen wie seine Vorgänger. 

Myokardol in Verbindung mit Ergotin und Koffein 
bringt die Firma Dr. R. & Dr. O. Weil, Fabrik chem. pharm. 
Präparate, Frankfurt a. M. in Form von Tabletten und iu 
Lösung in Ampullen in den Handel. Dr. Weile veröffentlicht 
in der Münchener nted. Wochenschrift seine Erfolge mit dem 
neuen Präparate, das er als einen Fortschritt für die Therapie 
der Myokarditis, Arteriosclerose und Herzneurose bezeichnet 
Durch die kräftige Kombinationswirkung des Ergotin-Koffeini 
auf die unwillkürlichen Muskelfasern wirkt das Myokardol 
auch noch in den Fällen, wo Digitalis und dessen Derivate 
versagten. Das Herz kann, nach den Mitteilungen des Ver¬ 
fassers, durch eine Myokardolkur bei Zeichen von Herzbe¬ 
schwerden, Intermittenz des Pulses usw. infolge von einer De¬ 
generation des Herzmuskels oder eines schweren Klappenfehlers 
wieder nach kurzer Zeit reguliert werden ; es tritt wieder nor¬ 
male Herzaktion ein falls nicht schon extreme Zustände vor¬ 
handen sind. 

Die Dosierung ist zweckmässig 3—4 Tabletten pro Tag 
in der ersten Woche täglich, in der zweiten einen Tag um den 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









Nr. 34 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


337 


andern, in der dritten Woche alle 3 Tage bei 6—8 wöchiger 
Dauer der Verabreichung wenn nötig alternierend mit der In¬ 
jektion von >/, bis 1 / 1 Ampulle jeden zweiten Tag. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

K. Haitbroek. (Hamburg). Der Tonvibrator. 
(Zeitschr. f. physik. u. diätet. Therapie XX. 1916, Heft 2, 
Seite 5l — 53. 

Die InstrumenteDbaufirma G. A. Buschmann in Hamburg 22 
hat ein lyraförmiges Instrument zusammengesetzt, mit dessen 
Hilfe man durch Drehen einer Kurbel beliebig getormte An¬ 
satzstücke in Vibrationen versetzen kann. Die Schwingungen 
zeichnen sich durch eine gewisse Weichheit aus, weil fast alle 
Teile des kleinen Apparates aus Holz gefertigt sind. Je nach 
den Ansatzstücken kann Pat. sich selbst Ohr, Hals, Kehlkopf, 
Stirn, Scheitel, sogar den Brustkorb vibrieren lassen. Erprobt 
ist das handliche Instrument noch nicht. Aber die In¬ 
dikationen lassen sich unschwer ableiten. 

Buttersack. 


Bücherschau. 

Stern, Über die traumatische Entstehung innerer Krank¬ 
heiten. (2. neubearbeitete Aufl. 3. Heft.) 

Mit der vorliegenden Lieferung ist das für jeden gutacht¬ 
lich tätigen Arzt unentbehrliche, grundlegende Werk von Stern 
in seiner zweiten Auflage fertig bearbeitet. Der Herausgeber 
Schmitt-Breslau hat es verstanden, die neue Auflage ganz im 
Sinne des Autors auf Grund der neueren Forschungen umzu¬ 
arbeiten. Gerade die vorliegende Lieferung, „in der die Krank¬ 
heiten der Bauchorgane, des Stoffwechsels und des Blutes“ be¬ 
arbeitet sind, musste eine erhebliche Erweiterung erfahren, da 
die Fortschritte der Bauchchirurgie die Kasuistik und damit 
unsere Erfahrungen über diese Verletzungen in sehr wertvoller 
Weise bereichert haben. 

Dieser einfache Hinweis auf das Buch genügt. Vieler 
empfehlender Worte bedarf das Buch von Stern nicht. 

Dr. E. M. K r o n f e 1 d. Krieg und Soldat ln der 
Spruchweisheit. Sentenzen aus 3 Jahrtausenden von Heraklit 
bis Hindenburg. Hugo Schmidt Verlag, München. 

Gerade zur Jetztzeit eine ausserordentlich interessante 
chronologisch geordnete Zusammenstellung : Aussprüche von Philo¬ 
sophen, Staatsmännern, Heerführern, kurz von allen hervor¬ 
ragenden Führern und Leitern der Menschheit, Volks- und 
Kunstlieder und Waffeninschriften. Das dauernd sehr wert¬ 
volle Werk ist in jeder Beziehung der weitesten Verbreitung 
würdig, namentlich an der Front. v. S c h n i z e r. 

Taschenkalender für Aerzte. Begründet von Stabsarzt 
a. D. Lorenz. Herausgegeben von Sanitätsrat Dr. Paul 
Rosenberg, Berlin. — 29. Jahrg. 1916. Verlag für 
Fachliteratur, Berlin-Wien. Preis inkl. 4 Quartals-Kalender¬ 
hefte 2,50 Mk. 

Der vorliegende Aerztekalender von Lorenz-Rosenberg ge¬ 
hört zu den ältesten seiner Art in Deutschland und hat da¬ 
durch seine Güte von selbst erwiesen. Der neue Jahrgang 
hat das alte bewährte System beibehalten und das tägliche 
Rüstzeug des Arztes, das er nach allen Seiten der Praxis bie¬ 
tet, revidiert und den neuen Forschungen entsprechend ergänzt 
und erweitert. Im besouderen ist das der Fall bei dem thera¬ 
peutischen und Krankheitsregister, bei den Calorieen-Tafeln 
und den wissenschaftlichen Abhandlungen von Blaschko, Herz¬ 
feld und Lachmann. Die formulae magistrales sind nach der 
neuesten Ausgabe ergänzt und auch die Anleitung für die 
Untersuchungen von Blut, Harn und Sputum usw. aufs neue 
erweitert. Der gut eingeführte Kalender wird sich sicher bei 
jedem Praktiker aufs neue bewähren, und wir empfehlen seine 
Verwendung wie in früheren Jahren so auch jetzt, angelegent¬ 
lichst. R. 

Digitized by Google 


S o b o 11 a, Atlas der deskriptiven Anatomie des Men-> 
sehen. Band 4, III. Abteilung, Das Nerven- und Gefässystem 
und die Sinnesorgane des Menschen. Nebst Auhang: das 
Lymphsystem des Menschen. II. vermehrte und verbesserte 
Auflage. Preis gut gebunden Mk. 20,—. Lehtuann’s Verlag 
München. 

Nach Inhalt und Bildschmuck reiht sich dieser Band des 
Sobotta’shcen Atlas würdig seinen Vorgängern an. Der Text 
ist sehr sorgfältig redigiert, klar, und hebt überall das wissens¬ 
werteste prägnant hervor. Beim Betrachten der geradezu 
plastisch wirkenden, ausgezeichneten Abbildungen kommt man 
nicht umhin, immer wieder den Fortschritt der Technik zu be¬ 
wundern, wenn man z. B. den alten Heitzmaun’schen Atlas 
zum Vergleiche heranzieht, der uns Älteren beim Studium 
Führer und Berater war. 

Übrigens ist die Anschaffung vom Sobotta’schen Atlas 
nicht nur den Studenten, sondern auch dem praktischen Arzt 
sehr zu empfehlen. Er wird in ihm eineu zuverlässigen 
und wertvollen Helfer haben. In dieser Beziehung sei beson¬ 
ders auch auf die Beschreibung des Lymphgefässsystems hin¬ 
gewiesen, das von so hoher klinischer Bedeutung, in den 
anatomischen Lehrbüchern meist reichlich zu kurz kommt. 

R. 

Dr. med. Eisenstadt (Berlin), Beiträge zu den 
Krankheiten der Postbeamten. Fünfter Teil. Berlin 1916. 
Verlag: Deutscher PoBtverband, Berlin NO 18, Gr. Frank¬ 
furter Str. 53. 

Die vorliegende Arbeit veröffentlicht die statistischen Er¬ 
gebnisse der Sterbekarten des Verbandes mittlerer Reichs-, Post- 
und Telegraphenbeamten aus den Jahren 1909 — 1913 und 
führt damit die wissenschaftliche Ausnutzung der Sterbekarten 
von 1903 — 1908 weiter. Der Schluss bringt die bereits in der 
Deutschen Postzeitung erschienenen Abhandlungen über die 
zeitgemässe Frage „Kinderarmut und Beamtenstand“, sowie ein 
vollständiges Literaturverzeichnis. Besonders ist aus dem In¬ 
halt hervorzuheben die steigende Sterblichkeit der mittleren 
Postbeamten, der ein sichtlicher Rückgang der Tuberkulose 
gegenübersteht. Das Buch zeigt, welchen Wert für die wirt¬ 
schaftliche Lage der Beamten wahrheitsgemässe Aufzeichnungen 
besitzen. DieBe Erkenntnis hatten bereits die ersten Führer 
der Verbandsbewegung, wie aus Winters Geschichte des Ver¬ 
bandes hervorgeht. Immer mehr muss auch jeder einzelne Be¬ 
amte zur Würdigung der Statistik uud namentlich der Krank¬ 
heitsstatistik gelangen. Die genaue Ausfüllung der Sterbe¬ 
karten ermöglicht, den Krankheitsursachen nachzuforschen und 
Wege zur Krankheitsverhütung zu findeu. Die schon früher 
vom Verfasser nachdrücklich betonte Forderung der Frühehe 
wird auch an dem Material des Zeitabschnittes 1909 — 1913, 
sowohl vom individuell-, als auch sozialhygienischen Standpunkt 
aus als richtig erwiesen. Für Ärzte und Bevclkerungspolitiker, 
für Versicherungsmedizin und soziale Hygiene bringt die Ar¬ 
beit zahlreiche Lehren und Anregungen. Auch den Beamten, 
Lehrern, Privatbeamten, kurz der geistigen Arbeiterschaft wird 
es die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Zusammenschlusses, 
die Abhängigkeit der Krankheiten der Postbeamten von deren 
sozialen Lage — Spätehe und Gehaltsregelung — klar vor 
Augen führen. R. 

Kaufmann, Handbuch der Unfallmedlzln, mit Be¬ 
rücksichtigung der deutschen,österreichischen, schweizerischen, 
französischen Arbeiter-, der Privat- und Unfallversicherung. 

II. Band. Unfallerkrankungen, Unfalltodesfälle. Stuttgart, 
Verlag von Ferdinand Enke, 1915. Preis Mk. 24,—. 

Mit Ungeduld haben schon lange alle Besitzer des I. 
Bandes des Kaufniann’schen Werkes das Erscheinen des II. 
Bandes erwartet. Wer gutachtlich tätig ist, weiss das Kauf- 
mann’sche Buch neben den landläufigen Handbüchern sehr 
wohl zu schätzen, und wird den hier geholten Rat gern in der 
Praxis zur Anwendung bringen. 

Mit Rücksicht auf die Zeilverhältnisse musste sich Refe¬ 
rent einstweilen mit einer eingehenderen Durchsicht und der Lek¬ 
türe einzelner Abschnitte des Buches begnügen. Danach lässt sich 
aber schon sagen, dass auch der II. Teil des Werkes als sehr 
wohl gelungen bezeichnet werden kann, und es ist zu begrüssen, 
dass Kaufmann selbst das Gebiet der iuneren Erkrankungen be- 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





338 


FORTSCHRITTE DERMEDIZIN. 


Nr. 34. 


arbeitet hat. Verfügt er doch nicht nur über eine ausgedehnte 
praktische Erfahrung, sondern auch über eine sehr genaue Ge¬ 
setzes- und Literaturkenntnis. 

Der Verlagsbuchhandlung gebührt unser Dank, dass sie 
trotz des augenblicklich wenig günstigen Zeitpunktes den um¬ 
fassenden II. Band des Kaufmaun’schen Werkes hat erscheinen 
lassen. — R. 

He ndel-Peters, Die neusten Arzneimittel und ihre 
Dosierung, einschliesslich Serum und Organtherapie. VII. 
Auflage, Leipzig und Wien, Franz Deutike, 1915. 

Nachdem der verdiente Verfasser der früheren Auflage 
dieses Buches — San -Rat I)r. Hermann Peters, Bad Elster — 
mitten unter der Vorbereitung für eine neue Auflage im Mai 
1915 vom Tode ereilt ist, hat es Hendel unternommen, das 
vorhandene Material zur neuen Auflage zu bearbeiten und zu 
ergänzen. Die Notizen über die einzelnen aufgeführten Heil¬ 
mittel sind kurz, klar und das Praktische hervorhebend. Auch 
scheint das Buch, wie Stichproben ergeben, ziemlich lückenlos 
fast alle neueren Medikamente zu berücksichtigen. Besonders 
verdienen die genauen Dosierungsangaben hervorgehoben zu 
werden, da man diese bei ähnlichen Sammlungen öfters ver¬ 
misst. — R. 

Adam, Prof. Dr. C. Die Behandlung von Kriegsver¬ 
letzungen und Kriegskrankheiten in den Heimatlaza¬ 
retten. 2. Teil. Vierzehn Vorträge in Berlin während 
des Krieges 1915 gehalten. Mit 10 Abbildungen im 
Text. Seitenzahl 240. Verlag von Gustav Fischer in 
Jena, 1916. Preis brosch. Mk. 4, geb. Mk. 5. 

Der Fortbildungskursus für Aerzte in der sozialen Medizin 
vom 1.—13. Dezember 1913 in Berlin. Aus den „Ver¬ 
öffentlichungen „aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung. 
Im Aufträge Seiner Exzellenz des Herrn Ministers des 
Inneren herausgegeben von der Medizinalabteilung des 
Ministeriums. V. Band. 3. Heft. Verlag von Richard 
Schoetz — Berlin 1915. Seitenzahl 150. Preis 

Mk. 4,50. 

Joachim-Korn. Die preussische Gebührenordnung für 
approbierte Aerzte und Zahnärzte, vom 15. Mai 1896. 
Für die Bedürfnisse der ärztlichen und zahnärztlichen 
Praxis erläutert. Dritte giinzlich umgearbeitete Auflage. 
Seitenzahl 246. Verlag von Oskar Coblenz — Berlin. 
Preis geh. Mk. 10, geb. Mk. 11. 

N e u k a m p , Dr. Ernst. Die Rechtsstellung der Verfasser 
von Beiträgen zu Sammelwerken. Johannes Wörner’s 
Verlag — Leipzig 1913. Seitenzahl 36. 

S p i e s s , Dr. Gustav. Kurze Anleitung zur Erlernung 

einer richtigen Tonbildung in Sprache und Gesang. Dritte 
erweiterte Auflage. Verlag 7on Johannes Alt - Frankfurt 
a. M. 1916. Seitenzahl 21. 

T h i e m , Dr. Ing. G. Keimfreies Wasser fürs Heer. Mit 
9 Abbildungen. Verlag der Internationalen Zeitschrift 
für Wasser - Versorgung, Leipzig, Plagwitzerstrasse 9. 
Seitenzahl 64. 

Weber, Dr. Hans. Ansiedelung von Kriegsinvaliden. Aus 
den „Politischen Flugschriften“. Herausgegeben von 
Ernst Jäckh. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart —- Berlin 
1916. Seitenzahl 36. Preis 50 Pfg. 

Wolffheim, Nelly. Die Beeinflussung und Beschäftigung 
kranker Kinder, (unter besonderer Berücksichtigung 
Nervöser). Anregungen für Krankenschwestern, Kinder¬ 
pflegerinnen und Mütter. Verlag von L. Oehmigke — 
Berlin. Seitenzahl 140. Preis geb. Mk. 2. 

W e y e r t, Stabsarzt Dr. Militär - Psychiatrische Beobach¬ 
tungen und Erfahrungen. Aus der Sammlung zwangloser 
Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geistes¬ 
krankheiten. Verlag Karl Marhold — Halle a./Saale. 
Seitenzahl 145. Einzelpreis des Heftes Mk. 3,60. 


Wichtige gerichtliche Entscheitungen. 

(N achdruck verboten.) 
Prozessneurose und Unfallhaftung. 

Der Kläger behauptet, am 29. November 1911 während 
einer Eisenbabnfahrt von Nakel nach Tempelburg durch das 


plötzliche Bremsen des Zuges und den dadurch verursachten Ruck 
mit dem Kopfe so heftig gegen die Wand des Abteils geschlagen 
zu sein, dass er Verletzungen des Hinterkoptes und der 
Schulter, vor allem aber einen heftigen Nervenchok erlitten 
habe, der dauernd seine Erwerbsfähigkeit erheblich beeinträchtige. 
Er verlange vom Beklagten Ersatz der Heilungskosten sowie 
Zahlung einer einmaligen Abfindung von 7UO00 Mark Das 
Landgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach festge¬ 
stellt, das Oberlandesgericht dagegen nur die Heilungskosten 
und den Erwerbsverlust bis zum 29. November 1912 zuge¬ 
billigt Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision wurde 
vom Reichsgericht zurückgewiesen mit folgender 
Begründung: 

Der Streit der Parteien bewegt sich für die vom Kläger 
beschrittene Revisionsinstanz allein darum, ob das Berufungs¬ 
gericht mit Recht die Folgen des Unfalls für die Gesundheit 
und für die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf die Zeit eines 
Jahres beschränkt und die Nervenkrankheit, an der der 
Kläger nach seiner Behauptung fortdauernd leidet, aus dem 
ursächlichen Zusammenhänge mit dem Unfall ausgeschaltet 
hat. Es ist Frage der Feststellung des einzelnen Falles, ob 
zwischen einem Unfälle und einer zeitlich nach diesem ent¬ 
standenen Erkrankung des Verletzten ein ursächlicher Zu¬ 
sammenhang im Rechtssinne besteht oder nicht Die rechtliche 
Voraussetzung für die Annahme eines solchen ist nach der 
Entscheidung des erkennenden Senats, dass der Unfall nicht 
nur die äussere Veranlassung für die Erkrankung bildete, 
sondern einen Körperzustand selbst ursächlich herbeiführte, 
aus dem dann die spätere Erkrankung sich entwickelte. Für 
die sogen. Prozessneurose, die Nervenerkrankung, die die 
dauernde und eindringliche Beschäftung mit dem Entschädigungs¬ 
anspruch im Verletzten hervorruft, ist ein ursächlicher Zusammen¬ 
hang mit dem Unfall, der eine Körperverletzung zur Folge 
hatte, überall da anzunehmen, wo die Körperverletzung selbst 
nervöse Krankheitserscheinungeu hervorgerufeu hat, die durch 
die Prozessaufregung dann verschlimmert wurden, oder wo 
zwar eine nervöse Erkrankung zunächst nicht hervortrat, der 
allgemeine Krankheitszustand aber dann eine nervöse Er¬ 
schöpfung herausbildete; er besteht nicht, wenn die durch die 
Verletzung verursachte Krankheit geheilt oder geschwunden 
war, und später allein der Prozess auf Grund einer vor¬ 
handenen, aber nicht durch den Unfall erzeugten oder ver¬ 
schlimmerten nervösen Anlage die Nervenaufregung erzeugte. 
Im gegebenen Falle hat der Unfall zwar vorübergehende ner¬ 
vöse Erscheinungen geringerer Art bei dem Kläger unmittelbar 
hervorgerufen; er war aufgeregt und in trüber weinerlicher 
Stimmung. Das Berufungsgericht nimmt aber an, dass nach 
dem Befunde der Verletzung und der Krankheitserscheinungen, 
die sie erzeugte, der Unfall das gegenwärtige nervöse Leiden 
des Klägers nicht hervorgerufen haben könne und nicht liervor- 
gerufen habe, der Zustand vielmehr allein durch die Prozessauf¬ 
regung als die alleinige selbständige Ursache, wahrscheinlich auf 
Grund einer schon vor dem Unfälle vorhanden gewesenen 
neurasthenischen Veranlagung, entstanden sei. Der Revision 
ist darin beizustimmen, dass für die Frage des ursächlichen 
Zusammenhanges die weitere Frage, ob der Verletzte in die 
Zwangslage versetzt war, seinen Schadensersatzauspruch im 
Rechtswege zu verfolgen, oder ob er selbst die Aufregungen 
des Prozesses schuldhaft durch Eigensinn oder durch Ueber- 
spannung seiner Forderungen herbeigeführt hat, zunächst ohne 
Bedeutung ist. Erat wenn tatsächlich festgestellt ist, dass der 
Unfall und die von ihm bewirkte Körperverletzung auch nervöse 
Krankheitserscheinungen hervorgerufen hat, aus denen sieb 
möglicherweise die „Prozessneurose“ entwickeln konnte, 
kommt als weiteres Mittelglied die Zwangslage der Rechtever¬ 
folgung in Betracht, um tatsächlich den Zusammenhang 
herzustellen. Und dann erst ist auch für den Einwand des 
mitwirkenden eignen Verschuldens des Verletzten durch Er¬ 
hebung übertriebener Ansprüche Raum. Da im gegebenen 
Falle jene Möglichkeit in tatsächlicher Würdigung unanfecht¬ 
bar verneint ist, kommt es auf die Richtigkeit und die prozess- 
gerechte oder prozesswidrige Feststellung der Umstände, ob eine 
Zwangslage für den Kläger bestand, nicht weiter an. 

Urteil des RG. vom 7. Okt. 1915. VI. 176. 1915. 

(Mitgeteilt von Dr. Hans Berthold, Leipzig.) 


Digiti. 


zed by (jO( '^lC 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 

URBANA-CHAMPAIGN 




33. Jahrgdrtg 


Tortscbrim der IHcdizin. 


1915/lS. 


L. Brauer, 

Hamburg 


Unter mitwirkung hervorragender Tachmänner 

herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M Darmstadt 


C. L. Rehn, H. Vogt* 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darttistadt. 


G. Köster, 

Leipzig 


Nr. 35. 


Erscheint am 10.. 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H , Berlin NW. 87. Alieinige Inseratenannahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m. b H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


20. September 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Strahlenbehandlung der Myome des Uterus. 

Von Dr. Sieden topf - Magdeburg 

Die Strahlenbehandlung der Myome setzt sich heute 
zusammen aus der Behandlung mit Röntgenstrahlen und 
uu3 der Behandlung mit Strahlen radioaktiver Sub¬ 
stanzen. 

Nachdem zuerst Albers-Schönberg im Jahre 1903 
die Wirkung der Strahlen auf die männliche Keimdrüse 
und nach ihm zahlreiche Forscher dieselbe auf die weib¬ 
liche Keimdrüse festgestellt hatten und nachdem die histo¬ 
logischen Veränderungen im Ovarium von Reifferscheidt 
und anderen Forschern untersucht waren, lag die Rönt- 
genstrahlen-Beliandlung derjenigen Affektionen der weib¬ 
lichen Genitalien, deren Heilung mit der Atrophie der 
Ovarien herbeigeführt werden kann, auf der Hand, also 
vor allem der klimakterischen Blutungen und Myome. 
Hatte man doch schon früher aus gleichen Überlegun¬ 
gen bei diesen kranken Frauen die Ovarien entfernt. 
(Hegar.) Myombestrahlungen wurden schon von 1902 ab in 
Deutschland von Deutsch, in Amerika von William James 
Morton und in Frankreich von Foveau de Courmelles 
ausgeführt. Die Erfolge waren aber so wenig ermuti¬ 
gend, daß eine weitere Verbreitung der Methode aus¬ 
blieb. Es fehlte noch ein System, in der Tiefe der 
Ovarien oder des Tumors so große Röntgenenergien 
wirksam werden zu lassen, daß die Atrophie der Ovarien 
oder die Zerstörung des Myomgewebes sicher damit er¬ 
reicht worden wäre. Erst die Resultate, welche im 
Jahre 1 DOS Albers Schönberg mitteilte und die genaue 
Schilderung seiner Methode, dann vor allem die im 
Jahre 1909 veröffentlichten Erfolge der Freiburger Kli¬ 
nik durch Gauß, verschafften der Strahlenbehandlung 
in der Gynäkologie zahlreiche Anhänger und verursach¬ 
ten eine "sehr schnelle Entwicklung und Vervollkommung 
der Technik. 

Die besten Erfolge hat bisher*) die Freiburger Klinik 
erreicht, denn bei 300 Myomen, die sie der Strahlenbe¬ 
handlung unterzog, war sie nicht einmal gezwungen, 
zur Operation zu schreiten und nur in 3 Fällen bestand 
noch nach Abschluß der Behandlung eine geringe blu¬ 
tige Sekretion. Dieses glänzende Resultat wurde durch 
die Intensivbestrahlung nach Gauß in der letzten Zeit 
innerhalb l 1 /., Monaten bereits erreicht. Schneller hat 
auch eine weitere Steigerung der Strahlenmengen, wie 
sie jüngst in der Wertheim’schen Klinik versucht ist, 
nicht zum Ziele geführt. Wesentliche Nachteile hat 
Gauß bei seiner Methode nicht beobachtet. Bis auf 
gewisse Schädigungen des Allgemeinbefindens, die in 

•) Die Zusammenstellung stammt aus der Zeit vor Februar 1914 

Digitized by Google 


Kopf-, Kreuzschmerzen, Brechreiz und Erbrechen be¬ 
standen, sind weder nennenswerte Schädigungen der 
Haut, noch der gesunden inneren Organe, noch die 
von verschiedenen französischen Forschern mitge¬ 
teilten Spätreaktionen beobachtet worden. Der ein¬ 
zige Nachteil der Gauß’schen Methode besteht in der 
außerordentlichen Verschwendung von Strahlenenergie 
Nach Lazarus werden durch 3 mm starke Alumium- 
Filter bereits 99"/„ der erzeugten Strahlenenergie ver¬ 
nichtet. Dazu kommt, daß von den vielen kleinen Ein¬ 
gangspforten aus große Strahlenmengen in den Körper 
hinein gesandt werden, die die Ovarien überhaupt nicht 
treffen. 

Andere Forscher haben zwar viel geringere Ener¬ 
giemengen zu fast gleich guten Resultaten gebraucht 
wie Gauß, so : 

W e i t z e 1-Dresden unter 21 Myomen 20 Amenorr¬ 
hoe, 5 — 600 xs; 

Klein: 35 Fälle, alle geheilt, 5 100 xs; 

Albers-Schönberg: 73 "/„ Heilung, 60 bis 
100 xs; höchste Dosis 390 xs, niedrigste 17 xs; 

Reifferscheidt: von 38 Fällen 31 geheilt, 
3 operiert, im Mittel 430 xs, höchste Dosis 640 xs; 

Gauß dagegen im Durchschnitt 1480 xs, 
doch sind sie, in so kurzer Zeit wie Gauß, nicht zum Ziele 
gelangt, und ferner läßt sich bei der Verschiedenheit 
der Technik — die einen benutzen F'elder von 3 4, 

die andern von 6 cm Durchmesser und darüber — x 
durchaus nicht gleich x setzen, sodaß die angegebenen 
Zahlen nicht ohne weiteres einen Rückschluß auf die 
dem Körper einverleibteu Strahlenmengen gestatten. 
Trotzdem bleibt die große Verschwendung von Strahlen- 
I energie der schwächste Punkt der Gauß’schen Methode 
und macht sie, was für viele Kliniken von großer Be¬ 
deutung ist, in hohem Maße unwirtschaftlich. Die 
Mittel, die man bisher angegeben hat, die Gauß’sche 
Technik abzuändern, wie die schwingende Röhre nach 
Meier oder die wandernde Röhre nach Müller und Janus, 
müssen noch weiter ausprobiert werden und ebenso 
leisten bis jetzt die unterstützenden Methoden: durch Dia¬ 
thermie zur Sensibilisierung der zu bestrahlenden Or¬ 
gane und die Desensibilisierung der Haut durch Kom¬ 
pression und Anwendung von Adrenalin zu wenig, um 
die Bestrahlung selber wesentlich zu entlasten. 

Es lag daher auf der Hand, zur Bestrahlung der 
Myome jene zweite Strahlenarl heranzuziehen, die durch 
radioaktive Substanzen erzeugt wird. Schon Oudin und 
Verchere hatten in Frankreich Myome mit Radium¬ 
strahlen erfolgreich behandelt. In Deutschland war 
ihnen zuerst Eriedländer, später Nahmmacher gefolgt, 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





340 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr; 35 


der 14 Myome bestrahlte und in 10 Fällen Amenorrhoe, 
in 2 Fällen Oligomenorrhoe erreichte und 2 Mal ope¬ 
rieren mußte. Noch bessere Erfolge hatte in Frankreich 
Beclere, der unter 60 Fällen 58 mal Amenorrhoe und 
2 mal Oligomenorrhoe erreichte. Dieser legte mehr 
Wert auf die Bestrahlung des Myoms als auf die der 
Ovarien. 

In Deutschland ist außer dem Radium auch das 
Mesothorium zur Myombestrahlung verwandt worden 
und so besonders wieder von der Freiburger Klinik, 
welche die Behandlung von 102 Myomen und Metropa- 
thien veröffentlicht hat. Sie erzielte dabei in 100 Fällen 
Heilung, in 2 Fällen blieben die Patientinnen während der 
Behandlung fort. Durchschnittlich wurde bei der Kom¬ 
bination von Röntgen- und Mesothorium-Strahlen die 
Heilung nach 3 Röntgensitzungen und 2 Mesothorium- 
Applikationen erreicht. Es wurde ein Mesorthorium- 
Präparat von 50 mgr Radiumbromid-Aktivität anfangs 
in die Cervix, später nur noch in die Scheide eingelegt. 
Die Applikation wurde in der Weise ausgeführt, daß 
das Präparat in einem Gold-P'ilter von 1—2 mm Durch¬ 
messer 2—3 mal 24 Stunden in die Scheide eingelegt 
wurde, dann wurde eine Pause von 2 1 / 2 — 3 Wochen 
gemacht, Behandelt wurden alle Fälle ohne Rücksicht 
auf Komplikationen, so z. B. eine Patientin mit einem 
Haemoglobin-Gehalt von 18 “/„. Nachteilige P'olgen 
wurden in Störungen des Allgemeinbefindens gesehen: 
Uebelkeit, Brechreiz und F'rbrechen. Temperatursteige¬ 
rungen in 7%, Blasenstörungen in 2 Ferner Ery¬ 

theme der Scheidenschleimhaut bis zur Nekrose und 
zwar traten diese Erytheme erst am 10. Tage bei reiner 
G-Strahlung ein und waren nach 3—4 Wochen wieder 
verschwunden. Gauß hat bei der kombinierten Behand¬ 
lung schnellere Blutstillung gesehen, wie bei der Rönt¬ 
genbestrahlung allein. 

Gleichfalls berichtet Voigt-Dresden über Kombina¬ 
tion von Röntgen- und Mesothoriumstrahlen bei Myomen. 
Derselbe sah dabei vielfach böse Folgen : Verbrennungen 
der Vaginalschleimhaut, Exsudate im Douglas, Entzün¬ 
dungen der Rectumschleimhaut. 

Da die Technik der Bestrahlung mit Mesothorium 
bei gutartigen Tumoren noch nicht so Allgemeingut ist 
wie die mit Röntgenstrahlen, so ist es notwendig, auf 
diese näher einzugehen. Die Strahlenwirkung ist 
abhängig 

1. von der Menge der radioaktiven Substanz, 

2. von der Applikationsdauer und 

3. von dem Filter. 

Zunächst die radioaktive Substanz: Gauß wandte 
50 mgr an und hält diese Menge für durchaus genügend, 
was bei dem hohen Preise des Mesothoriums von Ge¬ 
wicht ist. 

Zweitens hängt die Strahlenwirkung natürlich von der 
Applikationsdauer ab und es ist von größter Bedeutung, die 
Zeitdauer zu bestimmen, die eine genügende Wirkung 
ermöglicht, andererseits aber noch nicht zu lang ist, um 
die gesunden Gewebe der Nachbarschaft in Gefahr zu 
bringen, 

Drittens ist die Wirkung abhängig von der Be¬ 
schaffenheit des Filters. Die Filterfrage steht nach den 
Untersuchungen von Keetmann & Meier noch sehr leb¬ 
haft zur Diskussion. Wenn die physikalischen Unter¬ 
suchungen dieser Forscher bei der Anwendung der 
Strahlen im Körper sich bestätigen, so ist es leicht, 
bei der Myombestrahlung, bei der wir nur F-Strahlung 
gebrauchen können, das richtige Filter zu wählen. Wir 
haben dann nur die Aufgabe, die a- und ^-Strahlung 
abzufiltrieren und eine möglichst homogene T-Slrahlung 
in die Ovarien und das Myomgewebe zu senden. Dieses 
würde man nach den beiden Forschern durch Filter von 
Leichtmetallen erreichen und zwar genügte ein Messing¬ 
filter von 1 mm oder ein Aluminium-Filter von 3 mm 

Digitized by Google 


Durchmesser. Die Strahlen, die hier noch hindurch¬ 
treten, sollen nach Keetmann & Meier dem Gewebe 
gegenüber homogen sein und zwar werden in jedem 
Centimeter Gewebsschicht ca. 10 der noch vorhan¬ 
denen T-Strahlen absorbiert. Je näher wir also mit 
unserem Präparat an die Ovarien lind den Tumor her- 
angehen, umso größere Mengen der T-Strahlung werden 
für unsere Zwecke wirsam werden. 

Die Lokalisation der Strahlenquelle würde, wenn 
wir den Hauptwert auf die Zerstörung des Ovarialge- 
webes legen, das Scheidengewölbe sein. Die Nachteile, 
welche die Mesothorium-Strahlen bei dem Ausgang vom 
Scheidengewölbe besonders in der Rectumschleimhaut, 
dann aber auch in der Scheide und in der Blase hervor- 
rufen können, werden sich nach Abfiltrierung der 
schwachen Sekundärstrahlen, welche das Messing- oder 
Aluminium-Filter erzeugt, nur dadurch verhüten lassen, 
daß man die Zeitdauer der Applikation niemals über die 
Grenze der Unschädlichkeit oder geringen Schädlichkeit 
ausdehnt Bestimmte Werte lassen sich zunächst dafür 
garnicht angeben, sondern der einzelne ist darauf an¬ 
gewiesen, die Wirkungen seines Präparates zu beobachten. 


Nummer I 

*- 

Lichtminuten 

(m.Rythmeur) 

Oberflächen- 

Dosis 

Mgrstd. 

1 

Mesothorium 

Verhalten des Tumors 

1. 

o, 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 
9. 

10. 

1 

37 

43 

40 
25 

39 

32 

22 

44 
34 

41 

| 755 
135 

04 

1 407 

430 

! 135 
250 
030 
180 

70 

499 xs 
43 xs 

60 xs 
201 xs 

305 xs 

48 xs 
75 xs 
252 xs 
112 xs 

90 xs 



Myom kleiner, Oligomenorrhoe 
Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 
i effugit 

Myom unverändert, Oligome¬ 
norrhoe 

Myom verschwunden, Oligo¬ 
menorrhoe 

Myom kleiner, Oligomenorrhoe 
effugit 

Myom kleiner, Oligomenorrhoe 
Myom verschwunden, Oligome¬ 
norrhoe 

Blutung stärker, Operation 

11. 

39 

875 

302 xs 

10 lIS'/s 

60 mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 

12. 

44 

275 

154 xs 

846 % 

60 mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 

13. 

40 

1981 

957 XS 

5 541 >/, 

00 mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 

14. 

40 

770 

29o xs 

1 787 Vs 

60 mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 

15. 

27 

1030 

411 XS 

2 392 

00 mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 

IG. 

44 

720 

310 xs 

990 

oo mg 

Myom kleiner, Oligomenorrhoe 

17. 

42 

300 

100 xs 

5 4901/ 4 

60 mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 

Myom verschwuuden, Amenor¬ 
rhoe 

Myom kleiner, Amenorrhoe 

18. 

43 

1210 

554 xs 

13 394»/« 

60 mg 

19. 

40 

635 

414 xs 

5 250 ’/j 

6o mg 

20. 

45 

210 

110 xs 

2 084 Vs 

6o mg 

Myom kleiner, Oligomenorrhoe 

21. 

47 

415 

245 xs 

2 004®/ 4 

6o mg 

Uterus myomat. kleiner, Oligo¬ 
menorrhoe 

22. 

43 

395 

180 xs 

1 500 

60 mg 

Uterus myomat. kleiner, Ame¬ 
norrhoe 

23. 

44 

580 

258 xs 

18 788»/, 

60 mg 

Uterus myomat. Amenorrhoe 

24. 

48 

320 

160 xs 

11 233»/, 

Oo mg 

Myom kleiner, Oligomenorrhoe 

25. 

48 

460 

•243 xs 

7 590 

6o mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 

26. 

40 

300 

108 xs 

2 268»/« 

60 mg 

Myom verschwunden, Amenor¬ 
rhoe 


Ich habe nun in den letzten ■'/, Jahren bis März 
1914 26 Myome der kombinierten Bestrahlung unter¬ 
worfen und dabei folgende Technik angewendet. 

1. Röntgen-Strahlen: ich bestrahlte nur von den 
Bauchdecken aus. Fokushaut-Abstand anfangs 26 cm, 
jetzt 18 cm, 3 mm Aluminium-Filter, 10—II Wehnelt 
harte Röhren, Zahl der Felder 8—12, Durchmesser 6 cm 
Dosis pro Feld anfangs 10 xs, später 15—20 xs, jetzt 
25—30 xs. Die gesamte Dosis wurde innerhalb 2 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr 35. 


FORTSCHRITTE DER MEDZ1IN. 


341 


Tagen gegeben, dann 3 Wochen Pause. In dieser Zeit 
wurde ein Mesothorium-Präparat von 60 mgr Radium¬ 
bromid-Aktivität jeden 2—3. Tag 12 Stunden lang in 
das hintere Scheidengewölbe eingelegt. Dasselbe war 
anfangs in ein 2 mm, später in ein 1 mm dickes Blei¬ 
filter eingeschlossen. Die Sekundärstrahlen wurden durch 
eine 3 mm dicke Mullschicht, Fließpapier und Gummi- 
kordom abfiltriert. In letzter Zeit ist ein 1 mm dickes 
Messingfilter verwendet worden, über welches nur ein 
Gummikondom herübergezogen wird. Die Resultate 
gehen aus der aufgestellten Tabelle genau hervor. 

Die Prinzipien, nach denen die Bestrahlung der 
Myome vorgenommen wurde, ergaben sich aus den 
eigenen Erfahrungen, welche wir mit der Strahlenbe¬ 
handlung klimakterischer Blutungen zuvor gemacht hat¬ 
ten und aus den Erfahrungen anderer, die in der Lite¬ 
ratur niedergelegt waren. Eine große Anzahl von 
Myomen treten in unsere Behandlung erst dann, wenn 
die Anaemie einen erschreckend hohen Grad erreicht 
hat. Da es nun im Anfang der Strahlenbehandlung 
in meiner Klinik selten gelang, gleich die erste Men¬ 
struation abzuschwächen, so mußten von der Behandlung 
alle diejenigen Fälle ausgeschlossen werden, die einen 
nochmaligen stärkeren Blutverlust nach unserer Ansicht 
nicht vertragen konnten. Ferner mußten alle diejenigen 
Fälle operiert werden, wo soziale oder rein äußere Rück¬ 
sichten ein wiederholtes Behandeln unmöglich machten 
und schließlich noch einige, wo eine gewisse Scheu vor 
dem Unbekannten nicht zu überwänden war. 

Von den 26 bestrahlten Fällen haben sich 2 vor¬ 
zeitig der Behandlung entzogen, 1 Fall ist operiert, die 
übrigen sind geheilt. Unter Heilung verstehe ich aller¬ 
dings im Gegensatz zu Gauß auch das Eintreten von 
Oligomenorrhoe. Ich bin der Ansicht, daß es bei jün¬ 
geren Individuen von Wert ist, geringe menstruelle 
Blutungen auch bei der Strahlenbehandlung wenn irgend 
möglich zu erhalten. Besonders soll man diese gerin¬ 
gen Blutungen dann nicht unterdrücken, wenn sich zu- 

g leich ein Kleinerw'erden des Myoms festellen läßt. 

>ie einzige Gefahr, die in diesem Falle dann noch be¬ 
steht ist, das von Neuem beginnende Wachstum des 
Myoms und die Wiederkehr der Blutungen. Bisher 
haben wir dies bei den kombiniert bestrahlten Frauen 
niemals beobachtet. Im Gegenteil hat sich bei mehreren 
Kranken, die mit Oligomenorrhoe aus der Behandlung ent¬ 
lassen waren, später Amenorrhoe eingestellt. Es läßt 
sich diese Erscheinung vielleicht so erklären, wie es ja 
auch von verschiedenen Seiten in letzter Zeit bereits 
geschehen ist, daß durch die Strahlen zuerst das Tei¬ 
lungsvermögen, d. h. also die Generationskraft der Zelle 
geschädigt wird, während die reine Vitalität sich wider¬ 
standsfähiger erweist. Mit der Zeit sterben dann die 
sterilen Zellen ab und da keine neuen Zellen mehr ent¬ 
stehen, kommt es jetzt zur nachträglichen Schrumpfung 
und funktionellen Zerstörung des Ovariums. Durch¬ 
schnittlich habe ich, wie aus der Tabelle hervorgeht, 
für die Heilung meiner Myome 273 xs gebraucht. Die 
geringste Menge betrug 43 xs, die höchste 957 xs. An 
Milligrammstunden betrug der Durchschnitt 5750'/., 
die geringste Menge 864 1 /,, die höchste 18 788 3 / 4 . Die 
Größe der Myome schwankte zwischen Kastanien- bis 
Kopfgröße. Einen ausschlagebenden Einfluß bedeutet 
die Größe für das mehr oder weniger refraktäre Ver¬ 
halten des Tumors nicht. Ebensowenig konnte ich 
keinen wesentlichen Einfluß des Alters auf den Verlauf 
der Behandlung feststellen. Dabei ist es allerdings wohl 
nicht ohne Bedeutung, daß die älteste der behandelten 
Kranken erst 48 Jahre alt war. Besondere Erwähnung 
verdient noch Fall 2: 

Die 43 jährige Patientin litt infolge eines kleinen 
wallnußgroßen Myoms der vorderen Uteruswand an un¬ 
regelmäßigen starken Blutungen. Bei ihr wurden 9 Fel- 

Digitized by Google 


der, jedes mit 5 xs, bestrahlt. Die Patientin sollte nach 
den folgenden Menses zur 2. Bestrahlung kommen, kam 
aber erst nach 6 Wochen. Die Menses waren nicht 
eingetreten, der Uterus war klein, das Myom verschwun¬ 
den. Es ist dieses einer der radiosensibelen Fälle, von 
denen fast jede Statistik einen oder mehrere aufweist. 
Da sie jedoch Ausnahmefälle bilden, so können sie un¬ 
sere Methode nicht beeinflussen. 

Die nachteiligen Folgen betanden in Reizzuständen 
der Scheidenschleimhaut, die in einigen Fallen nach Ab¬ 
heilung zu leichten Strikturen im Scheidengewölbe ge¬ 
führt haben, ferner in vorübergehenden Reizzuständen 
der Blase und in solchen der Rectumschleimhaut. Hier 
beobachtete ich häufig erst nach Monaten stärkere 
Schleimabgänge, zuweilen mit Blut gemischt. Dieselben 
heilten in allen Fällen bis auf einen in kurzer Zeit ab, 
in diesem besteht noch heute ein Dickdarmkatarrh und 
eine fühlbare Verdickung der Rectumwand in der 
Höhe des hinteren Scheidengewölbes. Solche Erfahrun¬ 
gen haben uns veranlaßt, mit der Anwendung des Me¬ 
sothorium-Präparates auszusetzen, sob.dd sich die ge¬ 
ringsten Reizerscheinungen seitens der Vaginalschleim¬ 
haut einstellen. Die Erfolge sind sonst im Laufe der 
Zeit so günstige geworden, daß wir von einer kritischen 
Auswahl der Fälle immer mehr und mehr haben ab¬ 
gehen und in letzter Zeit die meisten Myome mit der 
Strahlenbehandlung haben heilen können. 


Lieber Werkstättenlazarette. 

Von Dr. R i g I e r - Darmstadt. 

In dem dem Reservelazarett I in Darmstadt unter¬ 
stellten Vereinslazarett Landheim Eberstadt wurde be¬ 
reits im Herbst 1914 damit begonnen, geeignete Kriegs¬ 
beschädigte in Werkstätten zu beschäftigen. Diese 
Einrichtung war dadurch erleichtert, daß schon im 
Frieden bei den, dem Landheim Eberstadt überwiesenen 
Unfallverletzten der industriellen Betriebe, ein Haupt¬ 
gewicht darauf gelegt worden war, die funktionelle 
I Heilung durch abgestufte, allmählich zunehmende Arbeit 
in den zu diesem Zweck eingerichteten Werkstätten zu 
vervollkommen. Es war hierbei bereits im Frieden der 
Grundsatz maßgeblich gewesen, wenn irgend möglich, 
den betreffenden Verletzten bei seinem alten Handwerk 
anzustellen, und nur wenn dies nicht möglich war, ihm 
ein neues beizubringen. 

In dieser Beziehung waren z. Bsp. besonders gute Er¬ 
fahrungen mit dem Erlernen der Arbeit auf der Strick¬ 
maschine gemacht worden. 

Das gleiche Prinzip ist auch bei der Beschäftigung 
der Kriegsbeschädigten zur Durchführung gekommen. 

Von vornherein wurde auf alles das verzichtet, was 
mehr der Beschäftigungstherapie zugerechnet werden 
muß, wie sie in andern Lazaretten vielfach geübt wird. 
Solche Beschäftigung wie Deckenknüpfen und Flecht¬ 
arbeiten hersteilen, kann zwar über manche Stunden des 
Müßigganges hinweghelfen, es ist aber doch nicht ein¬ 
zusehen, wie etwas derartiges später dem Kriegsbeschä¬ 
digten praktisch nützen kann. 

Im Vereinslazarett Landheim Eberstadt wurde aber 
gerade auf diesen Punkt besondere Rücksicht genommen 
und stets die Kriegsbeschädigten nur in solchen Hand¬ 
fertigkeitsarbeiten oder Werkstättenbeschäftigungen un¬ 
terwiesen, welche ihnen ev. später noch von Nutzen 
sein könnten. 

Hierher kann in erster Linie gerechnet werden: 
das Flechten von Stühlen, das Herstellen von Korb¬ 
waren, die Bürstenmacherei, die Fertigstellung von 
Papparbeiten, Tütenkleben, leichte Holzarbeiten, 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






342 


Nr. 35 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Spielzeugfabrikation und anderes mehr. Für Kriegs¬ 
beschädigte, die noch etwas mehr leisten konnten, kam 
dann in erster Linie die Beschäftigung in der Schreinerei, 
in der Schuhmacherei und an der Strickmaschine in 
F rage. 

Im letzten Sommer wurde neu eingeführt die Seiden¬ 
raupenzucht, die ein recht gutes Resultat zeitigte, und 
die wohl dazu geeignet erscheint, einer Reihe von 
schwerer Kriegsbeschädigten späterhin einen guten 
Nebenerwerb zu schaffen. Allerdings ist hierzu not¬ 
wendig, daß sehr sorgfältige Anleitung der betreffenden 
Kriegsbeschädigten vorhergeht, da sonst Fehlschläge 
unausbleiblich sind. Dafür Vorsorge zu treffen, daß 
nur gesunde Seidenraupenstämme gezüchtet werden, 
wird Aufgabe der zu diesem Zweck gegründeten Orga¬ 
nisationen sein. 

Die Zucht von Seidenraupen würde sich später 
wohl in erster Linie für solche Kriegsbeschädigte eignen, 
die in Heimstätten angesiedelt werden. Von der 
Kleintierzucht, vom Gartenbau, auch unter Zuluilfenahme 
der Kriegsrente wird die Familie des Kriegsbeschädig¬ 
ten niemals leben können. Dazu wird immer ein Neben¬ 
erwerb notwendig sein. Neben dem Seidenbau eignet 
sich hierzu sehr gut die Bienenzucht, welche gleichfalls 
im „Landheim Eberstadt ‘ jetzt eingerichtet werden soll. 

Ganz fortgelassen wurde im „Landheim Eberstadt“ 
die Beschäftigung der Kriegsbeschädigten an kompli¬ 
zierten Maschinen, erstens, weil die Mittel zur An¬ 
schaffung solcher nicht vorhanden waren, und zweitens, 
weil die Kriegsbeschädigten doch später derartige Ma¬ 
schinen meist nicht zur Verfügung haben. 

Es schien uns dies auch aus dem Rahmen der 
Lazarettbehandlung herauszufallen. Man muß doch 
hier Verschiedenes unterscheiden. Zunächst die reine 
Beschäftigungstherapie, wie sie in vielen Lazaretten 
geübt wird, die aber, wie bereits oben erwähnt wurde, 
für das spätere Leben des Kriegsbeschädigten wenig 
Zweck hat. Zweitens kommt die praktische Werkstätten¬ 
arbeit in Betracht, wie sie bei uns zur Durchführung 
kam und wie sie mehr oder weniger später für jeden 
Kriegsbeschädigten von Nutzen ist. Es sei hier noch ein¬ 
geschaltet, daß wir natürlich auch Gartenbau und 
Geflügelzucht betrieben haben. 

Neben dem praktischen Nutzen für später, den 
eine derartige Anleitung den Kriegsbeschädigten ge¬ 
währt. ist aber in erster Linie Zweck der Lazarett¬ 
beschäftigung doch der. das Selbstvertrauen der Kriegs¬ 
beschädigten zu heben und die Freude an der Arbeit 
zu erwecken, sowie dem einzelnen einen höheren Be¬ 
griff von dem ihm verbliebenen Rest seiner Arbeits¬ 
fähigkeit zu geben. 

Es kann sich bei der Lazarettbehandlung stets nur 
darum handeln, entweder einen Nebenerwerb des be¬ 
treffenden Mannes herauszufinden und ihm hierin einige 
Fertigkeit beizubringen, oder die Grundlage für einen 
späteren Beruf zu geben. — Nicht die Aufgabe des 
Lazarettes kann es aber doch sein, die vollständige 
Durchbildung eines gelernten Arbeiters herbeizuführen, 
hierzu ist in fast allen Fällen längere Zeit erforderlich, 
als wie die Mannschaften in den Lazaretten bleiben 
können, und hierfür müßten noch mehr, wie es bisher 
geschehen ist, Fabrikbetriebe gewonnen werden. Diese 
sollten sich bereit erklären, die aus den Werkstätten¬ 
lazaretten Entlassenen aufzunehmen, und. wenn auch 
zunächst gegen geringe Vergütung, ebenso wie die 
andern Arbeiter voll zu beschäftigen. 

Sehr schön würde es im sozialen Sinne zweifellos 
sein, wenn die zu entlassenden Mannschaften aus einem 
bestimmten Rezirk sämtlich vor ihrer definitiven Ent¬ 
lassung einem Werkstättenlazarett für kurze Zeit zuge¬ 
führt werden könnten, damit hier mit ihnen durch den 
Leiter des Werkstättenlazarettes ihre Zukunft eingehend 

Digitized by Google 


besprochen werden könnte, und nun von hier aus die 
Fühlungnahme mit den in Frige kommenden Behörden, 
Organisationen und Fabrikbetrieben ertolgte. In enger 
persönlicher Fühlungsnahme mit dem Kriegsbeschädigten 
würde sich sicher hier manches Ersprießliche an prak¬ 
tischer sozialer Arbeit erzielen lassen. 

Auf eine weitere spätere Bedeutung der Werk¬ 
stättenlazarette darf auch vielleicht auch an dieser Stelle 
noch kurz hingewiesen werden. — Soweit die äußeren 
Verhältnisse im gegebenen Fall hierfür geeignet wären, 
würden diese Lazarette zweifellos ausgezeichnete Mittel¬ 
punkte abgeben für die in Kolonien anzusiedelnden 
Kriegsbeschädigten. Eine derartige Kolonie braucht 
sich, worauf bereits lange vor Ausbruch des Krieges 
von hier aus hingewiesen werden konnte, — als es sich 
um die Ansiedelung von im Frieden Verunglückten 
handelte, — einen Mittelpunkt mit Werkstätten der ver¬ 
schiedensten Art, wo einmal die angesiedelten Kriegs¬ 
beschädigten Reparaturarbeiten für ihre eigene Heim¬ 
stätte ausführen können, andererseits aber auch in 
ihrer freien Zeit lohnende Beschäftigung finden. Diese 
Zentralstelle müßte je nach den vorhandenen Umständen 
an die ihr angegliederten Kolonisten Arbeit ausgeben. 
Sei es nun, daß Gartenbau iin größerem Maßstab zu 
betreiben wäre, oder daß leichte industrielle Tätigkeiten 
in Frage kämen. 

Durch eine solche Zentralstelle würde sich auch die 
Einführung von Hausindustrien bei den Kolonisten 
wesentlich erleichtern lassen, wie z. Bsp. die oben 
erwähnte Spielzeugindustrie, Seidenraupenzucht. Bürsten¬ 
fabrikation und anderes mehr. — 


Zur Behandlung verunreinigter Wunden mit 
chlorhaltigen Wundpulvern, insbesondere dem 
Vulnussan. 

Von Dr. W. Münch, Oberarzt d. R., in Frankfurt a. 51. 

ln einer kleinen Arbeit, die ich vor einem Jahre 
in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift ver¬ 
öffentlichte, wies ich darauf hin, daß die erste Ver¬ 
sorgung der Wunden mit einem Notverba n d 
durch das keimfreie Verbandpäckchen in recht erfreu¬ 
licher Weise ermöglicht sei, daß aber das Auftreten 
zahlreicher Starrkrampffälle immerhin eine gewisse 
Verbesserungsbedürftigkeit unseresHeilVerfahrensanzeige. 
Die jüngsten Auslassungen namhafter Chirurgen zeigen 
klar die Aenderung unserer früheren Ansichten über 
Wu nd Versorgung. 

So meint von Bruns, daß sich beim Übergang des 
Bewegungs- in den Stellungskrieg ein völliger Um¬ 
schwung in der Art vollzogen habe, daß die Zahl der 
keimhaltigen Schusswunden enorm überwiegt und dem¬ 
entsprechend auch die Wundbehandlung eine völlig 
andere geworden ist. An Stelle des einfachen Schema¬ 
tismus ist die individuelle Behandlung nach allen Regeln 
der Friedensantiseptik getreten Man teilt die Wunden 
vom praktischen Gesichtspunkte aus in zwei Haupt¬ 
gruppen ein. 

Die glatten Schußwunden der Kleinkalibergewehre 
gelten im praktischen Sinne als n i c h t infiziert. 
Sie werden mittelst der durch die Verbandpäckchen 
vorbereiteten A s e p t i k rasch geteilt. 

Schußwunden durch Gewehrgeschosse aus der Nähe 
und durch Artilleriegeschosse weisen immer mehr oder 
weniger schwere Infektionen auf. Sie sind das Feld der 
Antiseptik. Die meisten andern Autoren äußern sich 
in ähnlichem Sinne. 

Um eine wirksame Methode der Behandlung in- 

Origiral from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 35 


FORTSCHRITTE DERMEDIZIN. 


343 


fizierter Wunden zu erhalten, muß man sich vor allem 
die Entstehungsbedingungen der Infektion klar machen 
Durch jede Verwundung kommt es zu einer Schädigung 
der Gewebe und Herabsetzung ihrer Widerstandskraft 
(Faihrt). Der Blutumlauf hört mehr oder weniger auf. 
Es kommen weder weiße Blutkörperchen noch gelöste 
Schutzstoffe an die Bakterien heran oder, wenn dies 
wirklich der Fall sein sollte, dann oft in ungenügendem 
Maße. Auch die so ungemein wichtige Zufuhr des 
arteriellen und atmosphärischen Sauerstoffs schwindet. 
Weiterhin verbraucht das absterbende Gewebe den bei 
ungestörtem Kreislauf zugeleiteten Sauerstoff. So ent¬ 
stehn trotz arterieller Zufuhr die Wachstumsbedingungen 
für anaerobe (z. B. Tetanus-, Gasbrand) und aerobe 
Bakterien. Wir können das Fortschreiten der Infektion 
auf zweierlei Weise bekämpfen: Einmal, indem wir 
die Kampfmittel des Organismus gegen die Erreger in 
jeder Beziehung unterstützen, zum andern, indem wir 
die Wunden selbst mit solchen chemischen Stoffen be¬ 
handeln, die die Keime töten, ohne die Zellen zu 
schädigen, und gleichzeitig eine bessere Durchblutung 
der verletzten Stelle bewirken. Es gibt mancherlei 
Momente, an die man bei schlechter Heilungsneigung 
von Wunden denken muß. ganz abgesehn von etwaigem 
Zuckergehalt des Blutes. Bergel hat erst vor kurzer 
Zeit auf die Bedeutung des Blutfaserstoffgehaltes der 
Lymphe und des Blutes für die Auslösung natürlicher 
Wundheilungsvorgänge aufmerksam gemacht In einer 
kurzen Mitteilung, die vor nahezu einem Jahr in der 
Münch-ner Medizinischen Wochenschrift erschien, wies 
ich auf den günstigen Einfluß erhöhter Kieselsäurezufuhr 
auf die Heilungsneigung der Wunden hin. H. Schulz, 
Greifswald, war der erste, der den Kieselsäuregehalt 
des Bindegewebes berücksichtigte. Störungen in der 
Kieselsäurebilanz scheinen für die Widerstandskraft 
des Stützgewebes und der Oberhaut nicht unwichtig zu 
sein. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß durch 
Einnahme stark kieselsäurehaltiger Wässer eine Erhöhung 
der weißen Blutköi perchenzahl und eine vermehrte 
Fibroblastentätigkeit zu beobachten ist. Ich lasse die 
Patienten gern den kieselsäurereichen Schachtelhalmtee 
an Stelle anderer Flüssigkeiten wie Kaffee oder Tee 
trinken Um den bei gewissen Infektionen, besonders 
den anaeroben, durch Reduktion Vorgänge des ab¬ 
sterbenden Gewebes gesteigerten Sauerstoffbedarf des 
Blutes zu befriedigen und die im Plasma kreisenden, 
sich stets durch fermentative Vorgänge erneuernden 
Reduktionsgifte einem ständigen, erhöhten Gasdruck 
auszusetzen, läßt man längere Zeit reinen Sauerstoff 
einatmen. Die durch die Bakterien gebildeten Gift¬ 
stoffe suchen wir durch Einspritzung von Antitoxinen 
zu, binden z. B. bei Tetanus. Infizierte Teile lassen sich 
manchmal durch radikales Ausschneiden entfernen. 
Gewisse mechanische Maßnahmen sind Gemeingut der 
Arzte. Ich erinnere nur an die Ruhigstellung des 
verwundeten Gliedes durch Schienen, die frühzeitige 
Spaltung der infizierten Wunden bis auf den Knochenherd, 
um das geschädigte Gewebe von Druck und Spannung 
zu entlasten und dadurch dem Fortschreiten der In¬ 
filtration in aufsteigender Richtung Einhalt zu tun, die 
Entfernung von Fremdkörpern und Knochensplittern, 
um den Erregern den günstigen Nährboden zu entziehen, 
endlich die Schaffung günstiger Abflussbedingungen 
des Wundsekrets (Einlegen von Drains, Drainage am 
tiefsten Punkt). Solche Vorkehrungen dienen gleich¬ 
falls dazu, die Widerstandsfähigkeit des Gewebes zu 
heben und seine Erholung zu beschleunigen. 

Von den chemischen Stoffen, die die Wundheilung 
an Ort und Stelle beeinflussen sollen, sind diejenigen 
zu meiden, welche sowohl die Mikroben als die lebenden 
Zellen töten, oder auch solche, welche die lebenden 
Zellen vernichten, ohne die Mikroben zu töten. Neuer- 

Digitized by Google 


dings erfreuen sich unter aller Antisepticis, die die Ab¬ 
tötung der eingedrungenen Keime erreichen sollen, die 
chlorhaltigen der meisten Beachtung. Sie wirken auch 
in Verbindung mit Proteinkörpern noch aktiv antisep¬ 
tisch und töten die Mikroben, ohne die Zellen der 
Wunde wesentlich zu beeinträchtigen, auch wirken sie 
weder so reizend wie Carbolsäure noch eiweißfällend 
wie Sublimat Die bakterizide Kraft wird also bei 
Gegenwart von Serum und anderen Proteinsubstanzen 
nicht viel abgeschwächt. 

Die unterchlorigsauren Salze (Natriumhypochlorid) 
sind kräftig antiseptisch. Wegen der unbeständigen 
Zusammensetzung des Eau de Javel, das außerdem 
durch das freie Alkali und Chlor reizend wirken soll, 
schlug Dakin folgende Mischung vor, die sich angeblich 
ausgezeichnet bewährt hat: 2Ö0 Gr. Chlorkalk werden 
mit 10 Liter Wasser und 140 Gramm Natriumkarbonat 
gemischt, die Mischung geschüttelt und nach 30 Minuten 
filtriert. Man fügt Borsäure in Substanz zu, um die 
Lösung zu neutralisieren (im allgemeinen genügen 
25 40 Gramm). Die Titrierung erfolgt mit Phenol- 

phtalein (kein Alkoholzusatz, keine Erwärmung ge¬ 
stattet). Die Dakinlösung enthält (nach Wislicenus) 
0.5 -.0.7% Natriumhypochlorit und 0.4 0 5% Kochsalz, 
je nachdem der Chlorkalk frisch (mit 35"/, wirksamem 
Chlor oder mit dem vom Arzneibuch zugelassenen 
Mindestgehalt (von 25%) verwendet wird. Die Hypo¬ 
chloritlösung tötet Staphylococcen innerhalb 2 Stunden 
in Konzentration von I /500 000 bei Gegenwart von 
Blutserum erst bei I /1000 1 '2500. 

Da ö Stunden nach einer schweren Verletzung eine 
verschiedenartige Flora von Aeroben und einigen Ana¬ 
eroben in der Umgebung von Geschossen und Kleider¬ 
fetzen gefunden wurde, forderte Dakin eine möglichst 
frühzeitige Desinfektion der Wunde. Er ließ die Ränder 
mit Jod bestreichen, die engen Schußkanäle mit 
Hypochloritlösung ausspritzen und mit Gaze locker 
tamponieren unter Vermeidung eines wasserdichten Ver¬ 
bandes. Die gebräuchlichen, mit Wundsekret durch- 
tränkten Verbände wirken geradezu wie septisch 
infizierte Umschläge. 

Ich selbst bediene mich, wie in den oben angeführten 
Arbeiten erwähnt, seit einer Reihe von Jahren des 
Chlorkalks und bin stets dabei gut gefahren. Irre ich 
nicht, so heben französische Autoren den Wert 
der starken Alkaleszenz dies s Mittels hervor Be¬ 
sonders auffällig ist die Heilwirkung bei Zuckerkranken, 
die ja oft reichlich Säuren im Blute haben. Das freie 
Alkali bindet vermutlich rasch diese Säuren. Aber 
auch deutsche Nachprüfer z B. Tliöle haben keine be¬ 
sonderen Vorzüge der Dakinlösung entdecken können. 
Bei der Anwendung von Chlorkalk muß man in erster 
Linie darauf achten, daß das Pulver frisch ist und noch 
nicht an der Luft gelegen hat. Aufsehen erregt hat auch 
die Wrightsche „lymph lavage“. die durch eine mittelst 
hypertonischer Salzlösung zu erregende, durch Exosmose 
erfolgende Lymphorrhoe Keime sow’ie giftige Abbau¬ 
produkte der Wunde aus der Tiefe herauszuspülen 
sucht. Wright verwendet eine 5" , Nac-Lösung mit 
Zusatz von ■/*% zitronensauren Natron, um die Ge 
rinnung der Lymphe zu verhindern. In ähnlicher Weise 
wirkt wohl die Biersche Stauung, nach deren An¬ 
wendung man ei e äußerst starke Wundsekretion be¬ 
obachten kann. 

Um die Schwierigkeiten die einer Wundspülung in 
der vorderen Stellung entgegenstehn, zu vermeiden, 
habe ich die Anwendung eines Wundpulvers vorge¬ 
schlagen, das die meisten Bedingungen, die man an 
ein Wundheilmittel stellen soll, erfüllen dürfte. Ich 
habe seine Zusammensetzung in der schon angeführten 
Veröffentlichung der D. M. W. genauer beschrieben 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








344 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


Nr. 35 


und möchte heute noch einmal kurz auf die Wirkung 
der einzelnen Bestandteile hinweisen : 

Der Chlorkalk ist stark alkalisch und wirkt, da er 
bei Gegenwart von Wasser, Serum usw. Chlor in statu 
nascendi abspaltet, energisch antiseptisch. 

Weiterhin baut er viele organische Verbindungen 
intensiv ab und ist gut desodorierend. Endlich zerstört 
er Kobragift in vitro sowie im lebenden Gewebe. 
Nach seinen chemischen Eigenschaften scheint er im¬ 
stande zu sein, das Wachstum der eingeführten Tetanus- 
bazillen zu hindern und der Entstehung der Toxine 
vorzubeugen. Einen ähnlichen Einfluß hat er möglicher¬ 
weise gegenüber den Gasbranderregern. 

Die Tierkohle besitzt nach Klapp ebenso wie Zucker 
und Bolus durch ihre Kapillarräume eine starke Attrak¬ 
tionsfähigkeit. Sie hat eine hohe entgiftende Wirkung 
gegenüber dem Tetanus-, Botulismus- und Diphtherie¬ 
gift. Durch die Bindung an die Tierkohle wird das 
Gift sehr langsam ausgeschieden und erreicht nicht jene 
Konzentration, die zur Vergiftung nötig wäre. Kürz¬ 
lich hat Wassermann auf die hohe Bedeutung der 
Tierkohle für die Bekämpfung des Gasbrandes hin¬ 
gewiesen, durch deren Anwendung eine Grenzschicht 
und damit eine richtige „Brandmauer“ gegen das 
gesunde Gewebe geschaffen wird. Ein kleiner Zusatz 
von Magnesiumersatz erhöht die Adsorptionskraft 
bedeutend (VViechowski) und der Magnesiumanteil 
wirkt außerdem cytophylaktisch. 

Der Zucker reinigt die jauchigen Wunden und be¬ 
dingt einen starken Strom von Wundsekret. Nach 
Whilehouse gehört er zu den Mitteln von stärkerer 
osmotischer Kraft. Wahrscheinlich spielen auch die in 
statu nascendi sich abspalteuden Säuren eine wesentliche 
Rolle. 

Das Wundpulver kann von jedem Soldaten ohne 
weiteres auf die Wunde oder in die Höhlen geschüttet 
werden. Gröbere Verunreinigungen der Wunde werden 
selbstverständlich am besten erst beseitigt (z. B. mit 
Wasserstoffsuperoxvd im Sanitätsunterstand). Auf die 
so vorbehandelte Wunde kommt dann der Notverband, 
der bis zum nächsten Lazarett liegen bleiben kann. 
Ich stelle mir die Gesamtwirkung des Wundpulvers, 
kurz gesagt, etwa folgendermaßen vor: 

Aus der Mischung spaltet sich bei der Berührung 
mit dem Wundsekret Chlor ab, das die Atome des H 
in der N II-Gruppe der Proteinsubstanzen ersetzt und 
Substanzen der Chloramine bildet. Durch Entstehen 
dieser Verbindung wird den eingedrungenen Keimen 
der Nährboden entzogen. Die giftigen Produkte 
werden vermutlich - analog der Chlorkalkwirkung gegen 
Kobragift — unschädlich gemacht. Gegen das gesunde 
Gewebe wird eine aufsaugende Grenzschicht errichtet, 
indem die Tierkohle die Keime ebenso fest bindet wie 
die Zerfallstoffe der Wunde. Tierkohle, Zucker und 
Bolus haben den Zweck, der infizierten Wunde und 
dem ödematösen Gewebe möglichst viel Flüssigkeit zu 
entziehen. Durch Absaugen und Austrocknung an der 
Oberfläche muß eine Saftströmung aus der Tiefe nach 
der Wunde erfolgen. Der vermehrte Sekretsstrom kann 
die Keime und Toxine in energischerer Form mit sich 
reißen und einen besseren Stoffwechsel des verletzten 
Gewebes bewirken. Nach der Einlieferung in ein Kriegs¬ 
lazarett kann sich eine mehrmalige, tägliche Ausspülung 
bzw. Baden der Wunden mit körperarmen Chlorkalk¬ 
wasser anschließen (auf 1 Schüssel Wasser 1 /s—1 Kaffee¬ 
löffel Chlorkalk, am besten im Leinwandsäckchen zer¬ 
drücken!). Bei tiefliegenden Wunden dürfte sich die 
Weilersche Heberdrainage empfehlen. Auch die 
Biersche Stauung läßt sich mit dem Heilverfahren ver¬ 
binden. 

Das Wundpulver wird hergestellt und unter dem 

Digitized by Google 


Namen „Vulnussan“ vertrieben von der Engelapotheke. 

Frankfurt a. M. 

Literatur. 

Münch. Eine einfache, wirksame Behandlungsmethode bei infizierten 
Wunden. M M W. 1915 Nr. 20 (Feldärztl. Beilage Nr. 26) 

Die Verwendung von Tierkohle-, Ton- und Chlorkalkpulver beim ersten 
Verbände im Felde. D. M. W. 1915, Nr. 22. 

von Brun s. Zur Wundbehandlung im Kriege. Bruns Beiträge, 
Band 97. Kriegschir. Heit 6, Band 9s, Kriegschr. Heft 10. 

Klapp. Über physikalische Wundbehandlung M. M. W. 1916, 
Nr. 12 (Feldärztl. Beilage Nr. 12). 

von Wassermann Experimentell-therapeutische Studien aus der 
Gruppe der Gasbranderreger. Medizinische Klinik 1916, 
Nr. 17. 


Ärztliche Technik. 

Gehörorganschützer für Peldtruppen. 

Im Verlaufe des gegenwärtigen Krieges sind Ver¬ 
letzungen des Gehörorganes in sehr großer Menge auf¬ 
getreten. Sie sind zurückzuführen auf den Luftüber- 
druck, der durch krepierende feindliche Geschosse, 
Wurfminen, Handgranaten und auch durch Abschuß der 
eigenen Geschütze entsteht. 

Die Schädigungen des Gehörorgans bestehen meist 
in Trommelfellzerreissungen, die unter Umständen durch 
nachfolgende Eiterungen zum Tode führen können, häufig 
entstehen auch ohne Trommelfellzerreissungen Laby¬ 
rintherschütterungen. 

Es ist während des jetzigen Krieges vielfach vorgekom¬ 
men, daß durch krepierende Granaten die in der Nähe des 
Einschlages Stehenden Gehörschädigungen davontrugen, 
aber sonst unverletzt geblieben sind. 

Die in unmittelbarer Nähe der Geschütze Stehenden 
schützen sich wirksam gegen die Einwirkung des Luft¬ 
überdruckes beim Abschuß durch Zuhalten der Ohren 
bei geöffnetem Munde oder suchen durch Verstopfen 
der Ohren mittels Watte Gehörschädigungen vorzu¬ 
beugen. Der Wattepfropf ist indessen ein sehr unzu¬ 
verlässiges Vorbeugungsmittel, wie sich experimentell leicht 
und einwandfrei nachweisen läßt. Ein Zuhalten der 
Ohren ist ausgeschlossen, wenn der Luftüberdruck un¬ 
erwartet kommt, wie dies bei Explosionen der feind¬ 
lichen Geschosse der Fall ist. Für Infanteristen, die 
meist beide Hände nicht frei haben, kommt dieser Schutz 
überhaupt nicht in Frage. 

Es erschien daher geboten, eine Schutzvorrichtung 
gegen solche Gehörschädigungen für unsere Krieger zu 
schaffen. Geh. San.-Rat Dr. Evsell in Cassel hat auf 
Anregung der dortigen Firma Martin Wallach Nach¬ 
folger dieser Angaben und Zeichnungen gemacht, auf 
Grund deren die Firma nunmehr eine sehr einfache 
und wirkungsvolle Schutzvorrichtung des Gehörorganes 
gegen Luftüberdruck herstellt, 

Der Gehörorganschützer muß drei Anforderungen 
entsprechen: 

1. er mußte klein, leicht und unauffällig sein, mußte 
viele Stunden, ja, wenn erforderlich, tagelang ge¬ 
tragen werden können, ohne unbequem zu werden, 
den Gehörgang zu reizen oder gar Schmerz hervor¬ 
zurufen, 

2. er mußte gutes Hören ermöglichen und durfte keine 
Eigengeräusche hervorbringen, 

3. er mußte den Gehörgang bei plötzlichen, starken 
Luftverdichtungen sicher und vollkommen abschließen. 

Diesen Forderungen entspricht der Gehörorganschützer, 
der von Herrn Geh. Rat Eysell in der Miiachener Me¬ 
dizinischen Wochenschrift Nr. 14 vom 4. April ds. Js. 
eingehender beschrieben wird. 

Der „Ortau“- Schützer besteht aus einem Paar 
Doppeloliven, die durchbohrt und im Innern mit einer, 
durch ein eigenartiges Metallventil ausgestatteten Kam- 

Origirtal ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nfr. 35. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


345 


mer versehen sind. Dieses Ventil schließt beim Auf¬ 
treten äußeren Luftüberdruckes die in den Gehörgang 
führende Durchbohrung und hebt den Ueberdruck auf 
oder vermindert ihn wenigstens in solcher Weise, daß 
er den schallleitenden und schallempfindenden Teilen 
des Ohres nicht mehr zu schaden vermag 


Da der Preis eines Paares des Gehörorganschützers, 
über den schon eine Reihe günstiger Urteile aus dem 
Felde vorliegen, ein sehr mäßiger (Mark 2./Ö) ist, so 
kann jeder Kriegsteilnehmer sich die Schutzvorrichtung 
anschaffen und sich so vor Gefahren, die dauernde 
Schädigungen des Gehörs zurücklassen können, schützen. 


Referate und Besprechungen. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Hirsch. Ober die Behandlung der Amenorrhoe mit 
Olanduovin Extraktum ovariale) unter gleichzeitiger Arsen- 
behandlung. (Reichs-Medizinalanzeiger No. 5 [859], 1916.) 

Verfasser hat nach seiner Angabe ein Eierstockpräparat 
herstellen lassen, des sich unter dem Namen Glanduovin in 
dem Handel befindet. Hiermit hat er 4 Gruppen von 
Patientinnen behandelt; 1. solche mit infantilem Uterus, wo 
die erste Menstruation abnorm lange auf sich warten lässt. 

2. solche, die zwar rechtzeitig erstmalig menstruiert waren, 
dann aber nur schwache und unregelmässige Blutungen hatten, 

3. solche, bei denen in reifem Alter infolge von Trauma, 
Operation od. dergl. die Menstruation zu vollständigen oder 
unvollständigen Erlöschen kam, 4. Fälle von unaufgeklärter 
Klimax praecox. — Der Erfolg war nicht immer sicher, aber 
in einigen Fällen eklatant. In 71 Fällen sah II 50mal 
Erfolg. Neuerdings kombiniert Verfasser die intramuskuläre 
Glanduovin-Therapie mit gleichzeitiger Arsen therapie „und zwar 
in der Form, dass 6 Glanduovin-Gaben 6 Gaben von Natrium 
arsenikosum beigeben werden (0,006 — 0,008 — 0.01 in 
auf- und absteigender Richtung).“ 

Wern H. Becker Herbon. 

Ph. J o 1 1 y, Menstruation und Psychose. (Archiv für 
Psych. LV. 1915. Heft 3. Seite 637.) 

Es wird einmal der Einfluss der Menses auf Entstehung 
und Verlauf der Psychosen und anderseits der Einfluss der 
Psychosen auf die Menstruation untersucht. Es ergibt sich 
daraus, dass es eine eigene Menstruationspsychose als klinische 
Einheit ebensowenio wie eine eigene Graviditäls-, Puerperal¬ 
oder Laktationspsychose gibt. Dagegen gibt es Fälle, die 
eigenartige Beziehungen zur Menstruation darbieten, indem sie 
in ursächlichem Zusammenhang mit der Menstruation und zwar 
meist prämenstruell auftreten. Manchmal handelt es sich nur 
um einen Anfall einer geistigen Störung, manchmal um mehrere; 
der Zusammenhang mit den Menses ist in der Regel wechselnd, 
in der grossen Mehrzahl der Fälle verliert sieh derselbe später. 
In seltenen Fällen finden sich derartige Psychosen schon vor 
der ersten Menstruation. Sie scheinen an vierwöchentliche 
Termine gebunden zu sein und endigen meist mit Eintritt der 
ersten Menses. Die mit Eintritt der ersten Menses beginnenden 
Psychosen bieten deu auch sonst in der Pubertätszeit vor- 
kommenden Geistesstörungen gegenüber nichts Besonderes. 
Auch nach Eintritt des Klimakteriums sind einige wenige den 
Menstrualionspsychosen an die Seite gestellte Fälle be¬ 
schrieben worden, doch kann ihre Analogie zu diesen 
nicht anerkannt werden. Es hundelt sich bei den 
Menstruationspsychosen um die auch sonst vorkommenden 
geistigen Störungen und zwar häufig um Manien, um in einzelnen 
Anfällen verlaufende hebephrenische und katatonische Psychosen 
um Fälle von Amentia, von Hysterie, seltener um melancholische 
Geistesstörungen ; auch die Dipsomanie kann deutliche Be¬ 
ziehungen zu den Menses zeigen. Die Häufigkeit der Menstru¬ 
ationspsychosen wird oft übertrieben. Bei genauerem Zusehen, 
ist in vielen der mitgeteilten Fälle der Zusammenhang mit 
der Menstruation ziemlich gesucht, besonders da auch oft nur 
die Angaben der Angehörigen oder der Patientinnen selbst 
dem angenommenen Zusammenhang zugrunde liegeu; vor allem 

Digitized by Google 


ist deshalb bei forensischen Füllen Vorsicht geboten. Die als 
sogenannte epochale Menstruationspsychose beschriebenen Be¬ 
obachtungen können als besondere Form nicht anerkannt 
werden. In Uebereiiistimmung mit Burger wird vorgeschlagen, 
nicht von Menstruationspsychosen schlechthin zu sprechen, 
sondern zu der Grunddiagnose in den betreffenden Fällen die 
Angabe hinzuzusetzen, dass es sich um einen menstruellen 
Typus handele. In Fällen, in denen die Psychose einen Zu¬ 
sammenhang mit den Menses zeigt, erscheint es wünschens¬ 
wert, Untersuchungen auf Abwehrfermente vorzunehmen 

Der Einfluss von Geisteskrankheiten auf die Menstruation 
zeigt sich im wesentlichen in Amenorrhoe. Ein mindestens 
zweimaliges Ausbleiben der Menses fand sich besonders hei 
akuten bezw. akut beginnenden Psychosen, kommt aber auch 
im Beginn und späteren Verlauf chronischer Psychosen vor. 
Wenn auch in prognostischer Beziehung die alte Erfahrung 
bestätigt werden kann, dass im allgemeineu Wiederein tritt der Menses 
mit gleichzeitiger psychischer Besserung günstig ist, dagegen ohne 
Besserung einen ungünstigen Ausgang befürchten lässt, muss 
man im einzelnen Fall doch vorsichtig sein, da die Menses 
sich sehr verschieden verhalten können, z B. der Wiederein¬ 
tritt der Menses der Besserung um mehrere Monate voraus¬ 
gehen kann. Häufig fand sich Amenorrhoe, in Ueberein- 
stimmung mit den spärlichen Literaturangaben, bei Paralyse 
und besonders bei Taboparalyse; sehr häufig (in 4/5 der 
Fälle) fand sich Amenorrhoe bei Amentia, ein Umstand, der 
bei dem akuten, oft stürmischen Verlauf dieser Psychosen 
und der häufig schweren Beeinträchtigung des Organismus 
nicht auffällig ist; nächst häufig, etwa in der Hälfte der Be¬ 
obachtungen, wurde das Zessieren der Menses bei den katatonen 
und hebephrenen Psychosen beobachtet; selten dagegen war 
dasselbe bei deu paranoiden Psychosen und trat überhaupt 
nicht ein bei der chronischen Paranoia; bei der Melancholie 
fand sich Amenorrhoe etwa in der Hälfte, bei Manie etwa in 
einem Drittel der Fälle; Imbezillität, Hysterie und Epilepsie 
zeigten garnicht oder sehr selten Zessieren der Menses. Be¬ 
merkenswert ist, dass das Symptom der Amenorrhoe nicht nur 
bei solchen Psychosen beobachtet wird, die wie Paralyse auf 
einer schweren Vergiftung des Körpers beruhen, oder wie die 
katatonen und hebephrenen Geistesstörungen, mit Störungen 
der inneren Sekretion in Zusammenhang stehen oder wie 
Amentia meist auf eingreifende Stoflwechselstörungen zurück¬ 
zuführen sind, sondern auch bei Manie und Melancholie, die 
doch als reiu funktionelle Psychosen betrachtet zu werden 
pflegen. Da eine länger dauernde Amenorrhoe bei vorher 
regelmässig Menstruierten wohl als auf irgend einer direkten 
oder indirekten Störung der Funktion der Ovarien und der 
in denselben erzeugten Hormone beruhend anzusehen ist, auf 
jeden Fall Veränderungen deB inneren Chemismus anzeigt, so 
sind auch in den Fällen von Manie und Melancholie, in denen 
Amenorrhoe eintritt, derartige Veränderungen anzunehmen. 
Es ist das Symptom der Amenorrhoe anzureihen deu auch bei 
diesen Psychosen häufig sehr weitgehenden Störungen der Er¬ 
nährung, des Schlafs etc. und unterstützt im Verein mit den¬ 
selben die Annahme, dass auch bei diesen Geisteskrankheiten 
einmal eine organische Grundlage sich festeilen lassen wird. 
Warum und zwar bei allen davon betroffenen Psychosen, nur 
in einem Teil der Fälle die Menses ausbleiben, darüber lässt 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN - 






346 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 35 


sich zur Zeit, abgesehen davon, dass vorwiegend akute Fälle 
arnenonhoiscli weidtn, noch nichts aussagen; es ist zu erwarten 
dass spätere Untersuchungen und zwar besonders der inneren 
Drüsensekretiou darüber Aufschluss geben werden. 

W. Misch- Berlin. 


Psychiatrie und Neurologie. 

P. Prengowski. Über das hereditäre Auftreten 
der spastischen vasomotorischen Neurose (mit psychischen 
Erscheinungen). (Arch. f. Psych., Bd. 56, H 3, S. 836. 
1916). 

Es wird ein Fall mit,geteilt, in dem die spastische vaso¬ 
motorische Neurose hereditär ist; die Erkrankung wurde näm¬ 
lich bei einem siebenmonaligen Kinde und seinen beiden Eltern 
festgestellt. Bei dem 39jährigen Vater ergaben mehrfache 
Untersuchungen, dass eine typische Form der Erkrankung vor¬ 
lag: Die Abkühlung des Körpers des Pat. hatte zur Folge 
die Abblassung der ganzen Haut, die leicht schon durch Be¬ 
rührung mit der Hand festzustellende Abkühlung derselben, die 
deutliche Verminderung des Umfanges und der Elastizität so¬ 
wie die Trockenheit der Haut, in kurzer Zeit darauf die Bil¬ 
dung von Häutchen auf den Hippen und des Zungenbelages, 
einen unangenehmen Geruch aus dem Munde, leicht blaue 
Farbe auf den Lippen, kleinen Puls, 90 in der Minute, einen 
harten Strang in der Gegend des Dickdarms (eine die Obstipa- 
tio spaslica bedingende Zusammenziehung des Dickdarmes), 
erweiterte Pupillen, bedeutend erhöhte Sehnenreflexe, einen 
stärkeren Muskeltremor der ausgestreckten Hände, einen starken 
roten Dermographismus (Rötung bis zu 30 Minuten), deutliche 
Muskelspannung, Neigung zu unnatürlichen Posen, rasche 
blitzartige Bewegungen, Aufregung im Benehmen, lautes und 
akzentuiertes Sprechen, grosse Gestikulation und Mimik. Durch 
Einführung des Patienten in den Zustand Her normalen Er¬ 
weiterung der Hautgefässe wurde das Verschwinden der meisten 
dieser Erscheinungen bewirkt. Ähnliche Erscheinungen wurden 
bei der Mutter beobachtet; sie bemerkte, dass wenn sie bei 
kalter Temperatur im Zimmer aus dem warmen Bette aufsteht 
und sich rasch aufdeckt, ihr Gesicht und ihre Hände eingefallen 
und hlass aussehen, was nicht der Fall ist, wenn Pat. nicht 
rasch abgekühlt wird; ebenso tritt bei vorhergehender rascher 
Abkühlung eine Veränderung ihrer Stimmung in der Weise 
ein, dass sie besonders empfindlich, arbeitsunlustig, geneigt zu 
Schwärmerei und zur Verstimmung ist. Mehrfache Unter¬ 
suchungen an der Frau ergaben, dass die Abkühlung tatsäch¬ 
lich die angegebenen Veränderungen an Gesicht und Händen 
hervorrief und dass diese letzteren zu dem allgemeinen Zu¬ 
stande der Patientin in Beziehung standen. Bei dem Kinde 
trat ebenfalls, wenn es rasch aufgedeckt wurde, eine rasche 
Veränderung des ganzen Zustandes ein ; Die Hautdecke am 
ganzen Körper blasste deutlich ab, [die Wangen verloren ihre 
rötliche Farbe und waren nicht mehr so rund und voll wie 
vorher, Hände und Finger waren nicht mehr so voll und dick 
wie früher, die Haut an den Händen liess sich leicht in Falten 
lassen, es entstand der Eindruck, als ob eine Eintrocknung 
der Haut eingetreten sei; beim Betasten nahm mau eine Ab¬ 
kühlung der Haut deutlich wahr, besonders an der Aussenfläche 
der Oberschenkel; die Haut verlor ihre Elastizität und wurde 
trocken, nach einiger Zeit traten trockene Lippen auf, beson¬ 
ders an der Oberlippe konnte man das sieb bildende Häut¬ 
chen feststellen; die Pupillen wurden weiter; der Puls in der 
Radialarterie wurde deutlich kleiner und um 10 bis 15 Schläge 
in der Minute schneller. Wurde das Kind längere Zeit in 
diesem Zustande gehalten, so gab es während dieser ganzen 
Zeit keinen Stuhlgang ab, und der nächste Stuhl nach Auf¬ 
hebung des abnormen Zustandes war hart und schleimhaltig 
Es fand sich auffallender Dermographismus, der bis zu 3/4 
Stunden anhielt Auch psychisch war das Kind während des 
abnormen Zustandes so verändert, dass man den Eindruck 
hatte, es wäre nicht dasselbe Kind wie früher: es war lau¬ 
nisch in der Nahrungsaufnahme und wimmerte ständig. 

Verf. kommt zu der Auffassung, dass die vasomotorische 
Störung den Ausgangspunkt für alle übrigen Erscheinungen 
und das Wesen der ganzen Erkrankung bildet, welche deshalb 

Digitized by Google 


auch als spastische Angioneurose bezeichnet wird. Als ätio¬ 
logische Momente der Neurose kommen vor allem in Betracht: 
übermässige geistige Tätigkeit, Gemülserschiilterungen, bei un¬ 
genügendem Ausruhen, geringem Schlafe, schlechter Ernährung 
usw., vor allem aber bei langdauerndem, ständigem, grossem 
Gebrauch der Koffeinpräparate. Diese Momente führen zu 
der Neurose, wenn sie viele Jahre, sogar Jahrzehnte hindurch, 
und oft sogar auf einige Generationen wirken. Hinsichtlich 
des Überganges der Erkrankung auf das Kind kommt Verf. 
zu der Annahme, dass die Erkrankung der Eltern Ursache 
der Veränderungen ist, mit denen der kindliche Keim gebildet 
wurde, d. h. dass es sich hier um Vererbung, im echten Sinne 
des Wortes, der Krankhaften Eigenschaften handelt. 

W. Misch, Berlin. 

J. R ü 1 f. Intermittierende Gangstörung auf angloneu- 
rotiseher Grundlage, kombiniert mit Raynaudscher Krank¬ 
heit an den Fingern und anderen Angioneurosen. (Arch. für 
Psych., Bd. 56, H. 3, S. 899. 19161. 

Der hier mitgeteilte Fall ist deshalb von Bedeutung, weil 
er durch die Kombination mit verschiedenartigen Angioneu¬ 
rosen den Nachweis erbringt, dass die äusserst seltene und von 
zahlreichen Autoren abgeleugnete, angioneurotische Form des 
intermittierenden Hinkens tatsächlich existiert und weil die 
Gangsstörung in sehr eigenartiger Weise mit einer Fülle 
anderer Angioneurosen kompliziert war. Es handelte sich 
nämlich um ein neuropathisch stark belastetes Individuum 
weiblichen Geschlechts, das schon in der Kindheit eigenartige 
Tics gezeigt hatte und später an einer Reihe von Angioneu¬ 
rosen erkrankte, deren etwa folgende gesondert werden können: 
1. Migräne, 2. Raynaudsche Krankheit, 3. intermittierende 
Gangsstörung, 4. Stenokardie, 5. Erythroruelie der Nasenspitze 
Im Vordergründe standen die intermittierende Gaugsstörung 
und die Raynaudsche Krankheit. Die ersiere zeigte das Bild, 
das für das als intermittierendes Hinken bezeichnete Krank- 
heitsbild äusserst charakteristisch war; dass aber hier ein 
vasokonstrikforischer Vorgang die Gangsstörung verursachte, 
zeigten schon die subjektiven Sensationen, die Pat. beim Aus¬ 
rollen des Beines nach etwa 10 Minuten langem Gehen hatte, 
nähmlich ein Gefühl des Tickens und des Warmwerdens im 
Beine. Diese Sensationen sind offenbar das subjektive An¬ 
zeichen für die Lösung des während der vorhergehenden 
Gangbewegung aufgetretenen Gefässkrampfes und des Wieder- 
einströmensdes Blutes in das durch vorhergehend) Vasokonstriktion 
anämisierte Bein; dass dieses durch das Gehen tatsächlich 
anämisiert wurde, liess sich objektiv feststellen durch die 
pnlpatorisch leicht wahrnehmbare Herabsetzung der Haut- 
teinperatur Die Gangsstörung setzte zu einer Zeit ein, in der 
die Herzbeschwerden der Patientin stark Zunahmen, so dass 
anzunehmen ist, dass beide in ursächlichem Zusammenhang 
stehen, dass sie vielleicht als gemeinsame Wirkung der Ver¬ 
schlimmerung des allgemeinen neurovaskulären Leidens zu be¬ 
trachten sind. Ebenfalls äusserst typisch war die Raynaudsche 
Krankheit an den Fingern der Patientin; es bestand zuerst 
nur Synkope, erst nach einem Vierteljahr schlossen sich Er¬ 
scheinungen von Asphyxie an, zur Gangrän ist es nie gekom¬ 
men. Ebenso typisch waren die übrigen oben erwähnten an- 
gioneurotischen Erscheinungen. Als Ursache für die Gang¬ 
störungen ist ein intermittierend eintretender Spasnus der Ge- 
fässkapillaren anzuseheu. Auf einer Reizung der Vasokon¬ 
striktoren beruhen ausser der Gangstörung auch die Raynaud- 
schen und die stenokardischen Anfälle, sowie die Migräne, 
während die erythromeliseheu Erscheinungen an der Nasen¬ 
spitze vielmehr auf eine Reizung der Vasodilatatoren, und 
zwar der arteriellen Kapillaren zu beziehen sind. Es handelt 
sich also bei der Patientin um eine ausserordentlich ausgedehnte 
Angioneurose, die sich auf dem Grund einer exquisiten ueuro- 
pathischen Diathese entwickelt hat. Bei der Auslösung der 
Attacken spielen zwar psychogene Momente eine Rolle, aber 
es scheinen doch rein körperliche Momente, wie Anstrengungen, 
dabei sehr wesentlich mitzuwirken. W. Misch, Berlin. 

J. Gerstmann. Beiträge zur Pathologie des 
Rückenmarks. Zur Frage der Meningitis serosa und serofi- 
brosa circumscripta spinalis. (Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u 
Psych. XXIX, 1915, Heft 2). 

Es werden 6 Fälle von Meningitis serosa circumscripta 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 







Nr. 35. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


347 


spinalis mitgeleilt. In dem ersten Falle sass der Prozess am 
untersten Dorsal mark. Im zweiten wurde eine Liquorabsackung, 
die mit lokal begrenzten, zwischen der Durainnenseite und 
der Rückenmarksoberfläche ausgespannten, narbigen Ver- 
waelismigostr,Ingen einherging, int Bereiche tler mittleren 
Brusuuarks9egementc gefunden. Im dritten handelte es sich 
uni mehrere kleinere, mit einem serösen Exsudat gefüllte ge¬ 
schlossene Cysten in der Cauda equina, mit den Nerveuwurzeln 
einerseits, mit der Durarinnenfläche anderseits vielfach ver¬ 
wachsen. Im vierten Fall lag eine lokalisierte Liquoran¬ 
sammlung nebst einer umschriebenen Pachymeningitis tuber¬ 
kulös« interna an der Cauda equina vor. Im fünften Fall 
fand sich eine Meningitis serosa circumscripta adhaesiva im 
mittleren Dorsalmark im Anschluss an einen anatomisch fest¬ 
gestellten neoplastischen Herd an einer mit jener genau 
korrespondierenden Stelle der Brustwirbelsäule Im sechsten 
Fall endlich handelte es sich um eine mit starker Trübung 
und Verdickung der Meningen einhergehendo, mit klarer 
Flüssigkeit gefüllte, stark gespannte Arachnoidealzyste nebst 
beträchtlicher Liquoranhäufung unterhalb derselben im Bereiche 
des vierten und bis sechsten Burstmarksegmentes. 

Aus den Beobachtungen an den gut durchgearbeiteten 
Fällen, die sämtlich durch Operation, in einem Falle durch 
Autopsie klar gelegt wurden, sowie der Betrachtung der heran¬ 
gezogenen Literatur kommt Verf. zu dem Ergebnis, dass es 
keine für Meningitis serosa circumscripta spinalis absolut 
charakteristischen Merkmale gibt, dass vielmehr sämtliche 
Krankheitsbilder dem Symptomeukomplex einer extramedullären, 
komprimierenden Geschwulst in mehr oder weniger ausge¬ 
sprochener Weise entsprachen. Zwar ist in dem einen oder 
anderen Falle ein wechselnder Verlauf zu beobachten, doch 
fehlt dies Merkmal in einer so grossen Mehrzahl der Fälle, 
dass es diagnostisch nicht verwendet werden kann. Überhaupt 
haben die beschriebenen Fälle keine Erscheinung gezeigt, die 
nicht auch im Bereiche der Symptome einer komprimierenden 
Geschwulstbildung Vorkommen könnten. Trotzdem manche 
Erfahrungen dafür sprechen, dass die Cystenbildung einer 
spontanen Rückbildung fähig ist, so ist doch mit Rücksicht 
auf die mangelnde Diflerenlialdiagnose gegen Rückenmarks¬ 
tumor die Laminektomie von selbst indiziert. Über die 
Aetiologie der Erkrankung hat die Betrachtung der Fälle nichts ' 
Sicheres ergeben. W. Misch - Berlin 

F. E. B a 11 e n. Family cerebral degeneration wlth 
macular change (so-called juvenile form of familiy amaurotic 
idiocy). Quart. Journ. of Medic. VII, 1914 Nr 28.) 

Es wird eine Familie von fünf Kindern beschrieben, 
von denen drei an einer progredienten Erkrankung litten, die 
zu Demenz, Blindheit und Lähmungen führte; eiues vou den 
Kindern zeigte Veränderungen in der Maculagegend der Augen. 
Die Kinder waren bei der Geburt vollkommen gesund und 
entwickelten sich bis zum Alter von 3 1 /, Jahren ganz normal. 
Dann stellten sich epileptische Anfälle ein, und sie begannen 
zu degenerieren. Sie machten viel Lärin, schmutzten sich 
ständig ein und bekamen Spasmen an den Extremitäten. 
Alle drei Kinder kamen zum Exitus, eins mit 8 Jahren, eins 
mit 4 und eins mit 6 Jahren; bei zweien wurde eine Obduktion 
vorgenommen. Makroskopisch fänden sich bei dem einen 
Kind gar keine, hei dem anderen fast gar keine Veränderungen 
des Zentralnervensystems; mikroskoipsch dagegen fanden sich 
diffuse degenerative Veränderungen in den Ganglienzellen des 
Gehirns, Kleinhirns und Rückenmarks. In beiden Fällen war 
der Wassermann in Blut und Liquor negativ, und am Gehirn 
und seinen Häuten waren keine Anzeichen einer kongenitalen 
Syphilis wahrnehmbar. Auch einige Mitglieder einer zweiten 
Familie mit derselben Erkrankung wurden von dem Autor 
beobachtet 

Es liegt also hier eine Form von familiärer zerebraler 
Degeneration vor, die in späterem Alter beginnt, keine be¬ 
sondere Rassenspezifität aufweist und in einigen klinischen 
Aeusserungen von der Waren Tay-Sachssihen ,,Familiären 
amaurotischen Idiotie“ abweicht Die typischen Erscheinungen 
bei dieser Erkrankung sind Verlust der intellektuellen Fähig¬ 
keiten, Verlust des Sehvermögens und Verlust der Motilität. 
Alle drei Symptome beginnen und verlaufen gleichzeitig; 

Digitized by Google 


bei manchen Fällen tritt auch der lutelligeuzdefekt zuerst 
hervor, bei anderen der Gesichtsdefekt. Der Beginn der Er¬ 
krankung liegt bei den Fällen in der frühesten Jugend, bei 
anderen in der späteren Kindheit, bei noch anderen im ersten 
Maimesalter Während manche Fälle rasch zum Exitus 
kommen, verläuft bei anderen das Leiden mehr chronisch 
progredient Zuweilen finden sich ausgesprochene Veränderungen 
der Macula, zuweilen Pigmentveränderungen der Retina, die 
nicht auf die Macula beschränkt bleiben, bei anderen ist der 
Augenhindergrund ganz unverändert. Klinisch sind die Er¬ 
scheinungen bei diesen Fällen ausserordentlich wechselnd, 
und das ist gerade charakteristisch für diese Erkrankung, 
dagegen sind die Zellveränderungen in allen Fällen die 
gleichen. 

Ref.: W. Misch. 


Physikalisch-diätetische Heilmethoden und 
Röntgenologie. 

Krebs (Aachen), Die neue städtische Bäderanlage in 
Aachen. Zeitschr. f. physikal. und diätet. Ther. XX. 1916. 

6. Heft, S. 175—177. 

Wenn nach dem Krieg an einen Kollegen die Frage 
herantritt, wohin er eine Erholungsreise machen soll, so bietet 
sich statt eines übelgesinnten Auslandes die alte Kaiserstadt 
Aachen als zweckmässiges Reiseziel. Die für jeden Geschmack 
und für jeden Geldbeutel berechneten Badeeinrichtungen stellen 
Sehenswürdigkeiten dar, und der Arzt kann sich an Ort und 
Stelle überzeugen, dass die berühmten Quellen nicht aus¬ 
schliesslich für Luiker indiziert Bind, sondern womöglich noch 
mehr für alle gichtischen und rheumatischen Affektionen, Neu¬ 
ralgien und Neuritiden, Erkrankungen des Zentralnerven¬ 
systems, der Haut und der Atmungsorgane, und sogar für 
Magen- und Duodenalgeschwüre. 

Mögen die bewährten Quellen ihre Heilkraft recht vielen 
Kriegsteilnehmern spenden ! 

Buttersack. 

B o f i n g e r, A. (Mergentheim), Bedeutung und Durch¬ 
führung einer rationellen Krankendiät in Kurorten. Zeitschr. 
f. physikal. und diätet. Ther. XX. 1916. 6. Heft, S. 161 

bis 175. 

Verf. vertritt den Gedanken, es sollten in jedem Kurorte 
womöglich in sämtlichen Kurorten übereinstimmend — 
bestimmte Diätformen unter zuverlässiger Konirolle bereitge¬ 
stellt werden Die Ärzte brauchen dann ihre Klienten nur 
auf diese oder jene Form zu verweisen. 

Komplizierte Fälle und technisch schwierige Diätlormeii 
gehören ins Krankenhaus. 

Bofinger hat 3 solcher Formen vorgeschlagen; 

1. laktovegetabile; 2. Schonungsdiät für Mageu-Darmkranke: 

3. kohlehydratarme, eiweissreiche Diät. Sie interessieren gewiss 
die Diätotherapeuten. 

Ich persönlich bin im Verlauf des Feldzugs dazu gekom¬ 
men, an der diätetischen Therapie etwas zu zweifeln. Denn 
ich sah genug Leute mit schwachem Magen, die zuvor nichts 
ertragen konnten und sehr diät leben mussten, und die nun 
zu ihrer grössten Überraschung alles asseu, was ihnen früher Tabu 
gewesen war, und die sich prachtvoll dabei befanden. Über der 
Betrachtung der chemischen Konstitution der einzelnen Speisen 
hat man m. E. die physiologische Konstitution des Verdauuugs- 
apparates zu sehr in den Hintergrund treten lassen. Jeder 
einzelne Pat. ist in dieser Beziehung, wie mein Chef Leyden 
zu sagen pflegte, „ein Problem“. Darin mag z. T. mit ein 
Grund liegen für den gewiss richtigen Satz B o f i n g e r ’s, 
dass die Ernährungstherapie noch lange nicht als abgeschlosse¬ 
nes Lehrgebiet vor uns liegt. 

Wenn es zutrifft, dass die Menschen im allgemeinen zu 
viel essen, dann spielt bei der diätetischen Therapie neben der 
chemischen Zusammensetzung auch eine gewisse Disziplin im 
Essen, Regelmässigkeit und Masshalten, eine Rolle. In diesem 
Zusammenhang kann man es bedauern, dass das Fasten, wel¬ 
ches früher so ausgiebig verordnet wurde, kaum noch erwähnt 

Original ftom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 









348 


FORTSCHRITTE OER MEDIZIN. 


Nr. 35 


wird. Vielleicht lenkt dieser Krieg die allgemeine Aufmerk¬ 
samkeit wieder nach dieser Richtung. 

Buttersack. 


Bücherschau. 

Dr. M. Heindhede, Moderne Ernährung Deutsche 
Ausgabe bearbeitet und mit einen Vorwort versehen von Prof. 
Dr. med. von Düring. Teil i : Theoretischer Teil (Verlag 
von W. Vobach Co, Berlin, Leipzig, Wien, Zürich,) 

Zur Zeit da die Ernährungsfrage durch den Weltkrieg 
in den Vordergrund des Interesses getreten ist und »Ile Kultur¬ 
völker ihre erhöhte Aufmerksamkeit zuweuden, gewinnt das 
Buch von Hindhede an aktueller Bedeutung. Die im 
gegenwärtigen Kriege gemachten Erfahrungen sprechen 
zu Gunsten einer geminderten Nahrungsaufnahme, denn es 
zeigte sich, dass die Menschen trotz der grossen Strapazen des 
Krieges mit viel weniger Nahrung das Auslangen finden als 
früher, dabei sich sehr wohl fühlen, ja nicht nur gesünder 
sondern leistungsfähiger sind. Die Befürchtung, dass die 
Menschen bei einer geminderten Nahrungsaufnahme von ihrem 
Körper zehren müssen, dass sie insbesondere sich im Stick¬ 
stoffgleichgewicht nicht erhalten können, trifft nicht zu Diese 
auf breitester Basis aufgebaute Erfahrungstatsache wird nicht 
alleiu während des Krieges, wo die Beschränkung jenen Mässig- 
keitszwaug auferlegt sondern auch spälerhin im Frieden ihre 
wohltätige Wirkung äussern und grosse national ökonomische 
Bedeutung gewinnen. Millionen von MenBchen werden vom 
Kriegsschauplatz die wichtige Erfahrung mit nach Hause 
nehmen und aus ihr praktische Konsequenzen ziehen, dass 
viele, früher als unentbehrlich geltenden Nahrungsmittel unbe¬ 
denklich entbehrt werden können, ohne dass man dabei ver¬ 
hungert oder von seinem Körper zehrt. Wenn dieser Grund - 
Batz einmal die grossen Massen durchdrungen und zum Ge¬ 
meingut der Kulturwelt geworden ist, so werden daraus nicht 
nur nationalökonomisch grosse Vorteile für den Einzelnen wie 
für die Gesamtheit erwachsen, sondern auch der allgemeine 
Gesundheitszustand der Menschen wird sich heben und eine 
kräftigere Generation erblüheu. Denn in dem Masse, als die 
Menschen sich an Mässigkeit gewöhnen und die Nahrungsauf¬ 
nahme vermindern werden, wird sich ein gesünderer und 
leistungsfähigerer Menschenschlag entwickeln, der von mancherlei 
Krankheiten bewahrt wird, die durch eine unmüssige Lebens¬ 
weise entstehen. 

Zu diesen ausgreifenden Bemerkungen veranlasst mich die 
Lektüre des vorliegenden Buches, dessen Autor seit Jahren die 
Wohltaten einer massigen, insbesondere einer eiweissarmen Er¬ 
nährung in zahlreichen Schriften propagiert und nicht allein 
unter den Laien sondern auch in wissenschaftlichen Kreisen, 
namentlich unter den Ärzten, Nationalökonomen und Sozial¬ 
politikern getreue Anhänger fand. 

Die bislang Jahrzehnte hindurch die wissenschaftliche Welt 
beherrschende Formel Voit’s von dem täglichen Bedürfnis des 
Normalmenschen an den drei wichtigsten Nahrungsmitteln: 
„Eiweiss, Fett und Kohlenhydrate“ erscheinen nach der Ansicht 
Hindhede’s physiologisch nicht begründet. — Seine Ansicht 
geht vielmehr dahin, dass man mit eiuer viel eiweissärmeren 
Kost schadlos das Auslangen findet, wofür der gegenwärtige 
Krieg unzählige Beweise liefert. An der Hand einwandfreier 
Versuche stellt nun der Autor die Beweise zusammen, die die 
Vorzüge einer ei weissärmeren Kost vor einer ei weissreichen 
dartuu. Wenn wir auch den weitgehenden Schlussfolgerungen 
Hindhede’s nicht rückhaltlos beipHichten können, so werden 
wir doch unter der drückenden Beweislast seiner Argumente 
unsere bisherige Ansicht von der unumstösslichen Bedeutung 
der Voigt’schen Formel unbedingt revidieren und den Eiweiss¬ 
kanon des Organismus erheblich tiefer stellen müssen. 

Die Kostform, die H. wirtschaftlich und gesundheitsfördernd 
vorschlägt, ist im Grunde keine neue. 

Die allgemein verbreitete Ansicht, „das System Hindhede’s 
bestehe darin, dass man nichts anderes als Kartoffeln mit Brot 
6Bse“, ist durchaus irrig. Seine Reform besteht im wesent¬ 
lichen in der Rückkehr zu der einfachen, fleischarmen Kost, 


in der die Cerealien, Kartoffeln, Gemüse, Milch, Butter, Käse 
usw. die Hauptrolle spielen — eine Kostform, die bei der 
Landbevölkerung, seit jeher üblich war. Seinen Ruhm hat 
Hindhede mit dem Schlagwort begründet, dass mau in Däne¬ 
mark um 28 Pfennige täglich ausreichend 
sich ernähren und dabei vollkommen ge¬ 
sund und arbeitsfähig bleiben könne Die um 
diesen Preis zu beschaffenden Nahrungsmittel genügen voll¬ 
kommen, um den Kalorienbedarf eines normalen Menschen 
zu decken — ein Grundsatz, der unsere ganze bisherige wissen¬ 
schaftliche Anschauung über den Nahrungsbedarf eines arbeiten¬ 
den Menschen auf den Kopf stellt. 

Im Gegensatz zu Chittenden tritt H. für eine 
reichliche Ernährung ein. Seine Kalorienzahlen sind 
sogar recht hoch, sie bewegen sich um 3000 im Tag, wobei 
das Eiweiss in der Menge von 60- 80 g zahlenmässig hinter 
dem Fett und den Kohlenhydraten zurücksteht. Von Be¬ 
deutung is. die Ansicht Hs, dass das Eiweiss nicht unbedingt 
animalischen Ursprungs sein muss und dass das vegetabilische 
den gleichen Dienst leistet. Das ist sicher uicht richtig, weil 
die vegetabilischen Eiweisskörper erst abgebaut werden müssen, 
bevor sie assimiliert werdet', was den Stoffwechsel erheblich 
belastet; während die animalischen Eiweisskörper als solche 
vom Organismus aufgenomraen uud assimiliert werden. Was 
aber das ll’sche Eiweissminimum von 60 g im Tage betrifft, 
so wird diese Ansicht des Autors durch die gegenwärtigen 
Kriegserfahrungen vollkommen ratifiziert, so zwar, dass die 
wissenschaftliche Welt, der bis nun die Voit’sche Formel mass¬ 
gebend war, dieser Ansicht allmählich beizupflichten beginnt 

So hat z. B. der berühmte Hygieniker Gruber in den 
„Süddeutschen Monatsheften“ in Hinblick auf die schweren 
Zeiten, die wir jetzt durchmachen, darauf hingewiesen, dass wir 
mit weniger tierischem Eiweiss, dass wir mit Vegetabilien besser 
und billiger leben können, als wenn wir für dasselbe Geld 
Fleisch uns kaufen. Den gleichen Standpunkt vertraten auch 
andere Autoren, die im verflosseneu Jahr in einer Serie von 
Artikeln in der Münchner Medizin. Wochenschrift die Voit’sche 
Formel bekämpften. Nach den jetzigen Kriegserfahrungen 
kann man also sehr billig leben, wenn man die richtige Aus¬ 
wahl der Nahrungsmittel trifft. So ist aus der Not der Zeit 
eine grosse Tugend, die Tugend des Sparens mit Lebensmitteln 
entstanden, woraus die Menschheit — der Einzelne sowohl wie 
die Gesamtheit — auch in Friedenszeiten grossen Nutzen ziehen 
wird. 

Das vorliegende Buch behandelt in klarer, gemeinverständ¬ 
licher Darstellung die bahnbrechenden Untersuchungen H’s, 
die seit Jahr und Tag das grösste Aufsehen nicht allein in 
Dänemark — seinem engeren Vaterlande — sondern in der 
ganzen wissenschaftlichen Welt ebenso wie in Laienkreisen 
erregt haben. Mit Eifer, Energie und geradezu fanatischer 
Überzeugungstreue verficht H. in diesem Buche seine, die bis¬ 
herigen Grundlagen unserer Ernährung umstürzende Theorie. 
Es war daher unvermeidlich, dass er mit der zünftigen Wissen¬ 
schaft in Konflikt geriet H. führt eine feine Klinge gegen 
eine Welt von Widersachern und insbesondere nimmt er den 
Gebeirarat Prof. Max R u b n e r in Berlin aufs Korn, 
der in seiner neuesten Arbeit: „Über moderne Ernährungs- 
formen“ die alten Ernährungsgrundsätze, die seit Voit all 
massgebende Form in der Wissenschaft galten, aufrecht zu 
erhalten sucht und H. als Quantite uegligeable abtun will, 
ohne ihn jedoch meritorisch zu widerlegen. 

Zumindest geben die neuesten Erfahrungen nicht Rubner, 
sondern H. Recht 

Wie immer wir Ärzte über die Theorie H’s urteilen mögen 
—- dem vorliegenden Buche werden wir unter allen Umständen 
grosses Interesse entgegenbringen. Wenn auch die in demselben 
entwickelte Theorie sich mit unseren wissenschaftlichen An¬ 
schauungen nicht deckt, wird es jeder Arzt mit Gewinn und 
Interesse lesen. Die Lektüre desselben sei daher jedem Arzte 
wärmstens empfohlen. Dr. A 1 1 e r t. 


Digitizedby 


Google 


Druck von Julius Beltz, Hofbuclidrucker, Langensalza. 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





1915/16. 


33. Jahrgang 


fortsdirim der Medizin. 


L. Brauer, 

Hamburg. 


Unter Mitwirkung hervorragender facbmänner 

herausgegeben von 

L. von Criegem, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 


C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schrittleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig 


j| Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr 
Nr. 36. Verlag Johndorff & Co., 0. m. b. H , Berlin NW. 87. — Alleinige inseratenamiahme durch 
Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswalde bei Berlin. 


30. September 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Der Krebs.*) 

Von Dr. Fischer-Defoy in Dresden. 

Noch fehlt eine einheitliche Statistik über den 
Krebs. Es ist aber dringend notwendig, dass alle 
Länder ihre Zählungen nach den gleichen Leitsätzen 
vornehmen. Sehr ungenau sind z. R., worauf B a s h - 
ford (6) hinweist, die amerikanischen Krebsstatistiken. 
So beruht denn auch die kürzlich von jenseits des 
Oceans auftauchende Alarmnachricht von einem riesigen 
Anwachsen der Häufigkeit des Karzinoms nicht auf Tat¬ 
sachen, sondern auf einer nicht einwandfreien Zählung. 

Mit der weiteren Ausdehnung der Unfalls - Gesetz¬ 
gebung nehmen auch die Entscheidungen darüber zu, 
ob ein Krebs in Fogleeines Unfalls 
auftreten kann. Allgemeine Regeln lassen sich natür¬ 
lich nicht aufstellen. Es wäre auch unangebracht, von 
vorneherein die Möglichkeit eines Zusammenhangs 
strikt abzulehnen. Es muß eben von Fall zu Fall ge¬ 
urteilt werden. Jungmann (46) verneinte den Zu¬ 
sammenhang eines Speiseröhrenkrebses mit einem Lhi- 
fall aus dem Grunde, weil weder eine direkte noch eine 
indirekte Beeinflussung des Oesophagus stattgefunden 
hatte, wie denn überhaupt eine Verletzung wegen seiner 
geschützten Lage nur sehr selten stattfindet. Anders 
ist die Sachlage in einem von Frank (27) mitge¬ 
teilten Falle. Es bestanden Brückenerscheinungen, die 
von dem Unfall direkt auf die ersten Symptome des 
Krebses hinleiteten. Der Insult hatte Frakturen der 
linken 6. und 7-, sowie eine Quetschung der 5.—8. Rippe 
zur F'olge; von dem Unfall her datierte fortschreitende 
Abmagerung und beständige Schmerzhaftigkeit, bis ein 
Magenkrebs diagnostiziert werden konnte. Immerhin 
ist es natürlich auch hier möglich, dass das Karzinom 
schon vor dem Unfall bestanden hat. 

Röntgenkrebse sind zweifellos nicht so häufig, 
als man zuerst angenommen hatte. B i c h 1 e r (8 be¬ 
richtet über drei Fälle, in denen sich die Kazinom- 
bildung an eine 8—18 Jahre lang bestehende Dermatitis 
anschloss. Charakteristisch für den Röntgenkrebs ist 
seine große Schmerzhaftigkeit. 

Das Radium macht Lazarus-Barlow (61) 
für die Aetiologie des Krebses verantwortlich. Er fand, 
dass normales Gewebe viel weniger Radium enthält als 
krebsiges. Z. B. enthalten Gallensteine für gewöhnlich 
kein Radium, wohl aber, wenn gleichzeitig ein Karzinom 
der Gallenblase besteht. Er hält es nicht für ausgeschlossen, 
dass man, ebenso wie es durch Röntgenstrahlen mög- 

*) Infolge des Krieges hat sich die Drucklegung dieser Arbeit 
verzögert. D. R. 

Digitized by Google 


lieh ist, auch durch Radium künstlich Krebs hervor- 
rufen kann. Radium ist in der ganzen Natur weit ver¬ 
breitet, und es hat auch die Fähigkeit eine beschleunigte 
Teilung der Zellen herbeizuführen, alles Gründe, die L. 
zur Unterstützung seiner Theorie, die zunächst nichts 
weiter ist als eben eine Theorie, herbeizieht. 

Im Uebrigen treten zur Zeit die Arbeiten über die 
Aetiologie des Krebses ziemlich zurück. Ein anderes 
Gebiet steht jetzt im Vordergründe des Interesses. Nur 
Theilhaber (97) kommt auf seine Theorie zurück; der 
lokalen Prädisposition folgt nach seiner Meinung eine 
humorale Disposition, bei der eine Störung der hämo- 
poetischen Organe eine besondere Rolle spielt. 

B o v e r i (13) dagegen glaubt, daß das abnorme 
Wachstum der Zellen auf einem Defekt der Zellenkerne 
beruht und daß der erste Anlaß zur Entstehung des 
Krebses in einer abnormen Chromosomenkombination 
zu suchen ist. 

Von dem Micrococcus neoformans Doyen hört man 
nach langer Zeit wieder durch Yamanouchi und 
Lytch kowsky (109), die ihn aus 20 Krebsfällen 
dargestellt zu haben glauben. 

Seine Versuche, krebsähnliche Geschwülste 
künstlich zu erzeugen, setzte K e 1 I i n g (48) fort. Er 
behandelte Hühner mit artfremdem Blut und artfremdem 
Eiweiß und sensibilisierte dadurch die embryonalen Zell¬ 
anlagen im Eierstock für geschwulstmäßiges Wachstum. 

ln der experimentellen Krebs¬ 
forschung spielt nach wie vor das Mäuse- 
k a r z i n o m eine große Rolle. Besonders sind es 
Transplantationsversuche, die in den verschiedensten 
Modifikationen angestellt werden. Von einem sehr 
virulenten Mäusekarzinom stellten Henke und 
Schwarz (40) eine Emulsion mit physiologischer 
Kochsalzlösung her, die dann filtriert wurde. Trotz¬ 
dem im Filtrat keine Tumorzellen mehr nachzuweisen 
waren, gelang es doch, durch Impfung bei drei von 
acht Mäusen künstlich Krebs zu erzeugen. Die Ver¬ 
suche von S t r a u ß, der Mäusekrebs auf Kaninchen 
mit Erfolg übertragen und dann weiter auf Kaninchen 
weitergezüchtet hatte, ohne daß eine Zurückimpfung 
auf Mäuse gelang, konnten A p o 1 a n t und Bi er • 
bäum (3) nicht bestätigen. Trotzdem die Transplanta¬ 
tionsfähigkeit der Mäusekrebse eine sehr weitgehende 
ist, sind auch ihr Grenzen gesetzt. Sie erlischt, wenn 
die Zellen 8 Stunden lang einer Temperatur von 
37 Grad ausgesetzt werden (Rüssel und B u 1 - 
lock [83]). 

Im Uebrigen sucht man durch Experimente an 
Mäusen allen Fragen näberzukommen, die den mensch- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





350 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 36 


liehen Krebs betreffen. Immunisierungsver¬ 
suche stellte Königsfeld (54) an, der die Tiere 
mit einem Tumortrockenpulver vorbehandelte und da¬ 
durch unempfänglich gegen eine darauf folgende Im- 
pfungmit frischem Tumormaterial machte. DasTrocken- 
pulver wurde so hergestellt, daß der betreffende Tumor 
auf einer Platte ausgequetscht und diese Platte 
im Vacuumapparat, getrocknet wurde, Beim Abschaben 
bildete sich dann ein feines Pulver, das keine lebenden 
Tumorzellen mehr enthielt. 

Auch therapeutische Versuche werden an 
Mäusekarzinomen angestellt, in der Hoffnung, dabei 
erhaltene Resultate auf den Menschen übertragen zu 
können. Eosinsalbe, Glycocollkupfer und Cholin- 
Selenvanadium erwiesen sich als unwirksam gegen 
Mäusekrebs (Keysser [50]), ebenso Fluorescin, 
Saponin, Chlorkalzium und Selenverbindungen (P e n t i - 
malli [74]). Gleichstrom von 15 - 20 M. A. Stärke 
vernichtete bei täglicher Einwirkung von 15—30 Mi¬ 
nuten Dauer subkutane Mäusekarzinome, während ein 
solcher von nur 2—5 M. A.dass Wachstum beschleunigte 
(Seyderhelm [04]. Radioaktive Substanzen 
haben nach v. W a s s e r m a n n (100) einen direkten 
Einfluß auf die Mäusekrebszellen. Sie töten sie aber 
nicht direkt, sondern schädigen den Fortpflanzungs¬ 
apparat, der Vermehrung, Proliferation und Teilung der 
Zelle vermittelt. Der Tod der Zelle erfolgt dann durch 
Altern sowie durch Einwirkung der zelltötenden Kräfte 
des Organismus. 

Weiteren Ausbau hat die serologische 
Diagnostik des Krebses erfahren, und es erscheint 
nach den neusten Arbeiten nicht unwahrscheinlich zu 
sein, daß in der Zukunft doch noch eine Methode der¬ 
artig ausgebaut wird, daß sie unbedingt zuverlässig ist, 
wenn auch der Gedanke, dem praktischen Arzte, der 
kein kompliziert eingerichtetes Laboratorium zur Ver¬ 
fügung hat, eine Handhabe für den täglichen Gebrauch 
zu geben, vorläufig zurücktreten muß. Ueber die 
gangbarsten serologischen Methoden gibt Ila Ipern 
(34, 35) eine Uebersicht. Nach seinen Untersuchungen 
schalten als nicht spezifisch die Kellingsche auf Hühner- 
bluthaemolvse beruhende Methode aus, als unsicher die 
Neubauer-Fischersche Fermentreaktion, die Freund- 
Kaminersche und die Grafer-Römersche Heterolysin- 
methode. Zuverlässig sind die Glyzyltryptophanreaktion, 
die aber leicht zu Fehlern führt, die Meiostagminreaktion 
und das v. Dungernsche Komplementbindungsverfahren, 
das in 71 von 70 Krebsfällen positiv war, während das 
Abderhaldensche Dialysierverfahren sich nicht so be¬ 
währt hat. 

Ueber den Wert der Abderhaldensch en, 
auf dem Nachweis der Abwehrfermente beruhenden 
Krebsreaktion sind die Meinungen geteilt. Für unzu¬ 
verlässig halten sie Oeller und Stephan (71), 
ferner E. F r ä n k e 1 (28) und Allmann(l), während 
H e i in a n n und F ritsch (39) die Versager auf 
mangelnde Uebung zurückführen; wenn man die 
Technik durch monatelange Arbeit ganz beherrscht, 
findet man, daß die Methode besonders für die Früh¬ 
diagnose sehr wertvoll ist. Auch F a s i a n i (24), Ball 
(4) und Schawlow (87) sprechen sich für die Brauch¬ 
barkeit des Verfahrens aus. Aus den Berichten geht 
aber hervor, daß ein negatives Resultat wertvoller ist 
als ein positives. Abwehrfermente werden nicht selten 
bei Nichtkrebskranken produziert, z. B. bei Luetikern, 
Cirrhotikern. Von F a s i a n i’s (24) Patienten mit Krebs 
reagierten 96 % positiv, von denen ohne Karzinom da¬ 
gegen nur 65 % negativ. 

Für die von Dungernsche Komplement¬ 
bildungsreaktion, die sich bewährt hat, ohne 
daß man sagen kann, daß sie unbedingt zuverlässig 
wäre, schlägt Hara (37) vor, als Ersatzmittel des Blut¬ 


extraktes (Antigen!) Maltose und Phenolphthalein zu 
benutzen. Yamanouchi und Lytchkowsky 
(109) gebrauchen als Antigen für Komplementbindungs¬ 
reaktion den von ihnen isolierten Micrococcus neofor- 
mans Doyen. 

Bei der Meiostagminreaktion liegen die 
Verhältnisse ähnlich wie bei der Abderhaldenschen: 
ein positiver Ausfall beweist nicht das Vorhandensein 
eines Krebses, denn auch Gravide und Tuberkulöse 
reagieren ; ein negativer dagegen schließt Krebs mit ge¬ 
wisser Wahrscheinlichkeit aus. Als Antigen hat sich 
nach Roosen und Blumenthal (81) sowie nach 
v. Zubrzycki (110) ein Linol-Rizinolsäuregemisch 
bewährt. Ilara (38) verdünnt das Serum mit alkoho¬ 
lischer Traubenzuckerlösung. 

Auf dem Nachweis der Präcipitine beruht ein 
von Piorkowski (78) angegebenes Verfahren ; Krebs¬ 
stücke werden zerkleinert, in Wärme mit alkoholischer 
Kalilösung verseift und dann ausgeschüttelt; die er¬ 
haltene Enzymlösung wird mit Serum von Krebsver¬ 
dächtigen zusammengebracht. Die Reaktion ist positiv, 
wenn nach 10—20 Stunden an der Berührungsstelle 
der beiden Flüssigkeiten ein grauweißer Ring erscheint. 
Die Methode verlangt zunächst noch eine Nachprüfung 
an großem Material, ehe man über ihre Zuverlässigkeit 
urteilen kann. 

K e 1 1 i n g (49) hat gefunden, daß das Serum 
Karzinomatöser Ilühnerblutkörperchen besonders lebhaft 
löst, zumal wenn man es mit Kochsalzlösung ver¬ 
dünnt und 24 Stunden lang bei Körperwärme stehen 
läßt. Er hat in 90% seiner Fälle postive Resultate 
erhalten, empfiehlt aber doch zur Sicherheit eine gleich¬ 
zeitige Benutzung der Meiostagminprobe. 

Weniger günstig sind die Erfolge der Epiphanin- 
reaktion, die auf der Veränderung des Phenolphthalein¬ 
umschlagspunktes beruht; nach J o z s a und T o k e o k a 
(45) ist sie in 81,5% der Krebsfälle positiv. Die von 
Wiener und v. Torday (10b) angegebene Kalzium- 
goldcyanatreaktion ist nicht spezifisch für Krebs, 
sondern tritt auch bei Syphilis ein. 

Auf eine Eigentümlichkeit desKörpers von 
Krebskranken macht Jozsa aufmerksam er scheidet 
nämlich viel weniger Kieselsäure als der normale 
Körper aus. Ob aber dieser Umstand zu einer Karzinom¬ 
reaktion verwertet werden kann, steht dahin. 

Auch an der speziellen Diagnostik, von 
der die Aufmerksamkeit durch das Suchen nach einer 
Allgemeinreaktion leicht abgelenkt werden kann, auf 
die aber der Hauptwert im Kampfe gegen den Krebs 
liegt und auch liegen bleiben wird, wird weiter ge¬ 
arbeitet. Auf die praekanzerösen Laesionen und ihre 
Bedeutung für die Entstehung des Unterlippenkrebses 
macht Bloodgood (11) aufmerksam. Kleine 
Lippendefekte zumal bei Rauchern sind immer ver¬ 
dächtig, beginnende Krebse zu sein. Thomson (98) 
hat als erstes Symptom eines inneren Larynxkarzinoms 
stets eine Stimmveränderung, die in beständige Heiserkeit 
übergeht, feststellen können. 

Die Ausdehnnng eines Brustkrebses kann man 
nach M oskowicz (68) daran erkennen, wie weit die 
beim Reiben (z. B. zwecks Desinfektion) über dem 
Tumor entstehende anaemische Zone, die von einem 
hyperaemischen Gürtel umgeben ist, reicht. Sie ist ein 
direktes Zeichen für Malignität, da sie bei Adenomen 
nie auftritt. In zwei Fällen beobachtete Hohlweg (42) 
bei Brustkrebs Polyurie; eine Erklärung dieses 
Phaenomens war aber nicht möglich. Pa u Isen (72) 
glaubte, bei einem Mammakarzinom Nematodeneier ge¬ 
funden zu hab**n, doch ist immerhin eine Verwechs¬ 
lung mit Paraffintropfen, herrührend von dem Einlegen 
des Präparates in Paraffinum liquidum, nicht ausge¬ 
schlossen. Ein Brustkarziuom mit Drüsenmetastasen 


Digitized by 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






Nr. 36. 


FORTSGHR1TTEDE DER MEDIZIN 


351 


bei einem männlichen Neger beschreibt Welch (105). 
Noch immer ist die Frage des Zusammenhanges 
von Magenkrebs und Ulcus rotundum ungeklärt. 
Nach den Angaben von R i I 1 e t e r (9) und K o n j e t z - 
ny (55) ist man geneigt, die sog. Ulcuskarzinome für 
selten zu halten; ersterer stellte unter 116 Ulcuställen 
nur einmal einen sekundären Krebs fest. McGarty 
und Broders (17) weisen jedoch darauf hin, daß ein 
Teil der als Ulcus rotundum imponierenden Geschwüre 
in Wahrheit schon kazinomatös ist, was man aus den 
am Rande befindlichen ausgesprochenen Krebszellen 
schliessen kann. Differentialdiagnostisch ist zu be¬ 
merken, daß beim Ulcus ausgesprochene Gastrektase be¬ 
steht, die schon äußerlich durch Peristaltik und Ver¬ 
steifung wahrzunehmen ist, während beim Krebs nur 
eine mäßige Dilatation mit geringen Bewegungen be¬ 
merkt wird (Groß und Held [311). 

Auf Grund von 83 Resektionspräparaten kommt 
Konjetzny (55) zu der Festellung. daß in 90 °/ 0 der 
Fälle enge Beziehungen zwischen Magenkrebs 
und chronischer Gastritis bestehen. Schleimhauthyper¬ 
plasien bilden den ersten Schritt von der Gastritis zum 
Krebs hin. Den gleichen Zusammenhang bestätigen 
Gregorie und Masson (30), die den Hauptwert 
auf die interstitiellen Prozesse und die Bildung 
heterotopischer Inseln von intestinalem Bau im 
Magen legen. 

Einige Aussicht eröffnen die vorläufig erst in 
kleinem Umfange angestellten Versuche von Weiß 
(104), der nachwieß daß der normale Organismus auf 
parenteral eingeführte Magenschleimhaut mit der 
Produktion von Abwehrfermenten reagiert, dagegen 
der Organismus des Magenkranken hierzu nicht 
fähig ist. Sollte sich dieses Verhalten an einem größeren 
Materiale bewähren, so sind damit besonders in 
differentialdiagnostischer Beziehung Perspektiven er¬ 
öffnet. Die Wichtigkeit des Röntgenver¬ 
fahrens für die Diagnose des Magenkrebses betont 
Schüller (89); er rät aber dringend dazu, es stets 
nur in Verbindung mit anderen Untersuchungsmethoden 
zu verwenden. Die Grenzen des Röntgens sind darin 
zu suchen, daß es keine Auskunft über Metastasen und 
Verwachsungen gibt (Reichel [80]). Daß man aber 
mit großer Geduld — es ist oft eine vergleichende Be¬ 
trachtung von 40, ja oft von 70-80 Aufnahmen nötig 
— auch kleinere Ulcera diagnosticieren kann, betont 
C o 1 e (19), der in 616 Fällen fast stets Ueberein- 
stimmung zwischen Röntgen- und Operationsbefund 
feststellen konnte. 

Für die Frühdiagnose des Magenkrebses wertvoll 
ist nach Bardachzi (5) das Boassche Probeabend¬ 
essen ; tritt danach keine Retention ein, dann ist Krebs 
unwahrscheinlich. 

In seltenen Fällen kann ein Magenkarzinom sich 
gleichmäßig in der Submucosa ausbreiten ; wie Bland- 
Sutton (10) schildert, war in einem solchen Falle die 
Magenwand lederartig bis zu einer Stärke von 2,5 cm 
verdickt, ohne daß eine Ulceration bemerkbar war. 

Je drei Fälle von Appendixkrebsen haben 
Schwa rz (90) und H a da (32) beobachtet; jener 
leitet sie von den Liebschen Krypten ab; dieser sah 
sie stets in Verbindung mit Entzündung und Divertikel¬ 
bildung auftreten. 

Die Diagnose des Mastdarmkrebses wird 
von Lindner (63) behandelt 

Einen Gallertkrebs der Harnblase, der in alle 
Feile des Harnapparates Metastasen gesetzt hatte und 
im miroskopischen Bilde alle Stadien der Cystenbildung 
zeigte, beschreibt Blum (12). Sehr selten ist das 
primäre Nebenhoden karzinom, das auf Grund 
einer eigenen Beobachtung Sakguchi (85) behandelt. 
Das Wesen des sog. Schornsteinfegerkrebses 

Digitized by Google 


beleuchtet ein Blick auf eine Familiengeschichte, die 
G r o w (20) mitteilt. Ein 57 jähriger Schornsteinfeger 
litt seit 5 Jahren an Hodenkrebs. Sein Vater hatte 
ebenfalls einen solchen gehabt; seine beiden, als Schorn¬ 
steinfeger tätigen Brüder sowie eine Schwester waren 
ebenfalls krebskrank, und zwar war der Sitz des 
Karzimons bei jenen an der Wange, woraus geschlossen 
werden kann, daß der Schornsteinfegerkrebs auch dort 
lokalisiert vorkommt. 

Auf ungewöhnliche Weise entstand ein Genital- 
krebs beim Weibe nach der Schilderung von 
E d e 1 b e r g (22). Fine 68 jährige Frau die 12 Jahre 
lang ein Pessar getragen hatte, ohne es einmal zu 
wechseln, bekam an einer Druckstelle einen Platten¬ 
epithelkrebs der Scheide. Bei einem 7 jährigen Kinde, 
das bereits mit 4 Jahren an genitalen Blutungen ge¬ 
litten hatte, sah Mergelsbe rg (67) ein Gebär¬ 
mutterkarzinom. 

Die Diagnose auf Uteruskarzinom ist nach 
Schottländer (88) entgegen anderen Ansichten stets 
aus einem Curettement zu stellen, vorausgesetzt, daß 
dasselbe gründlich ausgeführt ist. Nicht alltäglich ist 
es, wenn bei einer Entbindung ein tasehenurgroßes 
Portiokarzinom, das mikroskopisch untersucht wurde, 

| mit der Hand entfernt wird (S a 1 t y k o w [86]); die 
Patientin wurde mehrfach untersucht, jedoch trat bis 
jetzt (über 2 Jahre nach der Entbindung) kein Recidiv 
auf. Oft ist ein Uteruskarzinom mit einem Tubenkarzi¬ 
nom verbunden ; vier derartige Fälle erwähnt Werner 
(106). Lippschütz (64) hat ein primäres Tuben¬ 
karzinom sich auf einer alten Tuberkulose entwickeln 
sehen. 

Hinsichtlich der Therapie des Krebses 
drängt zurZeit die Bestrahlung alles andere in den Hinter¬ 
grund. Über die operative Behandlung 
liegen nur wenige erwähnenswerte Abhandlungen vor. 
Die Dauerheilung des Mammakarzinoms behandeln 
Uindenberg (62), der über 1823 Fälle verfügt und 28% 
Dauerfolge 5 Jahre nach der Operation verzeichnet, 
wobei zu bemerken ist, daß die Zahl in allen Fällen 
ohne Erkrankung der Achseldrüsen 68,5 % beträgt, 
und Lazarevic (59), der in der I Wiener Universitäts¬ 
klinik 30,4 % Erfolge zählt. 

In Jena waren die Resultate der R e c i d i v - 
Operationen beim Uteruskarzinom besonders gut. 
Durch die Praxis, daß alle Operierten sich jeden dritten 
Monat zur Untersuchung vorstellen müssen, ist die 
frühzeitige Entdeckung der Recidive gewährleistet. 
Die Recidivoperationen ergaben nach Zw e i fei (111) 
ein Dauerresultat in 25 % der Fälle, ln der Wert- 
heimschen Klinik waren die Operationen wegen Corpus- 
karzinom, wenn man die rein operative Sterblichkeit 
abzieht, in 60 % von dauerndem Erfolg begleitet 
(länger als 5 Jahr nach der Operation) (W eib e I 
[ 102 ]). 

Sehr ungünstig ist das Ergebnis der operativen Be¬ 
handlung der massiven Blasenkrebse. Von 23, die 
S w a n (96) beobachtet, waren nur 7 operationsfähig, 
aber nur in zwei Fällen gelang eine Entfernung der 
Geschwulst; beide Operierte erlagen 18 bz. 24 Monate 
nach der Operation Recidiven. Bessere Erfolge wurden bei 
der Operation der Zottenkrebse erreicht; von 21 konnten 
10 ausgiebig operiert werden, und von diesen 4 mit 
Dauererfolg über mindestens 2% Jahre hinaus. 

Biologisch versuchen dem Krebs Berkeley 
(7) und Lu n c k e n b e i n (65) entgegenzutreten. 
Ersterer injiciert ein Tumorbreiserum, über dessen Zu¬ 
bereitung er nichts mitteilt und das auch keine nennens¬ 
werte Erfolge gehabt hat. Lunckenbein geht von 
dem Gedanken aus, den Körper des Karzimentösen 
zur Produktion von Abwehrfermenlen gegen den Krebs 
anznregen; er verleibt zu diesem Zwecke dem Organis- 

Origiral frcm 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





352 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 36 


mus die aus Krebsstückeu isolierten Eiweißkörper ein, 
die Tumorstücke werden maschinell verarbeitet, die 
Extrakte in Phiolen gebracht, nach deren Zuschmelzen 
sie im Eisschrank 4 — 5 Wochen haltbar sind. Um nun 
Erfolge Zu erzielen, ist Ausdauer nötig; nach L. s. Er¬ 
fahrungen hat sich seine Methode bereits bewährt, 
während P f 1 a u in e r s (75) Versuche mit ihr negativ 
verlaufen sind. 

Mit der Enzytoltherapie hat, allerdings in 
Kombination mit Bestrahlungen, Rapp (79) Erfolge 
gehabt. Durch anhaltende Arsen-, Jod- und Cholin¬ 
kuren sucht Allmann (2) die Radiotherapie zu 
unterstützen. Diathermie haben I r e d e 1 1 und 
Thompson (44) bei blutenden Blasenkrebsen versucht 
und zwar mit guten Erfolgsn; dagegen trotzte ein 
Adenokarzinom der Blase nach Pedersen (73) der 
Behandlung mit hochfrequenten Strömen glänzlich. Bei 
kleinen Ilautkrebsen leistet nach Weinbrenner 
(103) zwanzigprozentiger Salizylsäure-Pflastermull gute 
Dienste. 

Um zunächst auf die Erfolge der Radio- 
therapie an der Hand einiger Zahlen einzugehen, so 
wiid aus der Münchner Frauenklinik (D ö d e r 1 e i n 
und v. Seuffert [21]) berichtet, daß dort im Jahre 
1913 153 Frauen mit Üteruskarzinom bestrahlt wurden. 
Von ihnen sind zu Beginn des Jahres 1914 31 ohne, 
augenblickliche Krebserscheinungen gewesen. P i n k u ß 
(77) hat 38 sehr schwere, durchweg inoperale Gebär¬ 
mutter-, Brust-, Mastdarm-, Prostata- und Zungenkrelbse 
ausschließlich mit Bestrahlung behandelt; in neun Fäleen 
ist ihm völlige Beseitigung des Tumors gelungen. 
Günstig sind die Ergebnisse mit Hautkrebsen: nach 
Kuznitzki (57) verhielten sich von 40 Fällen 
4 refraktär, die übrigen wurden geheilt, davon drei 
nach Auftreten eines Recidivs. 

I n d i c i e r t ist die Strahlenbehandlung zunächst in 
inoperablen Fällen. Auch in solchen gelingt es 
zuweilen, durch Bestrahlung die Tumoren operabel zu 
machen (Klein [51]). Man muß bedenken, daß die Be¬ 
strahlung ein mächtiger örtlich wirkender Heilfaktor ist 
(Pinkuß [76]). An Stelle der Operation tritt die Be¬ 
strahlung, wenn jene z. B. verweigert wird, wenn eine 
körperliche Schwäche davon abrät, wenn eine starke 
Entstellung damit verbunden ist (W ickham und 
Degrais [108]). Sehr günstig ist ferner die prophy¬ 
laktische Bestrahlung nach der Operation. Als weitere 
Indikation gibt Nahmmacher (70) die Behandlung 
oberflächlicher Metastasen an, die zunächst zu operieren 
sind; die Operationsflächen sind dann radiotherapeutisch 
zu behandeln. Auch F o w 1 e r (26) hat gute Erfolge 
bei der Bestrahlung von sekundär erkrankten Drüsen 
gesehen. Sind von Genitalkrebsen schon in der Bauch¬ 
höhle Metastasen vorhanden, dann ist Besserung durch 
die Radiotherapie nicht mehr zu erhoffen, wohl aber, 
wenn z. B. das Karzinom sich breit über das Parametrium 
ausgereitet hat (K r ö n i g [55]). 

Eine unausbleibliche Bedingung bei der Bestrahlung 
ist Geduld. Besonders ist diese bei den Nachbe¬ 
strahlungen post Operationen! nötig. Nach Lazarus 
(60) sind sie jahrelang fortzusetzen und zwar in 2 —10 
wöchigen Etappen, wobei nicht nur das Operationsfeld, 
sondern auch das ganze zugehörige Lymphdrüsengebiet 
zu berücksichtigen ist. 

Sehr wichtig ist aber die Auswahl der 
Individuen zur Radiotherapie; es gibt, wie 
Weckowski (101) sich ausdrückt, bestrahlungsge¬ 
eignete und bestrahlungsungeeignete Individuen. Ferner 
ist auch die Art der Strahlen und die Dosierung streng 
zu individualisieren. 

Während früher Radium bz. Mesothorium und 
Röntgenstrahlen zwar nicht regellos, aber doch in wenig 
bestimmtem Sinne therapeutisch verwandt wurden, tritt 

Digitized by Google 


jetzt immer mehr eine in der Indikations- 
ste 1 1 u ng zum Ausdruck kommende strenge Scheidung 
zu Tage. Die Röntgenstrahlenwirkung hängt nach 
Chr. Müller (69) dessen Schrift gut zur Orientierung 
über das ganze Gebiet sich eignet, mit der Cholin¬ 
wirkung zusammen. Durch die Bestrahlung wird das 
Cholin in der Zelle abgespalten, wodurch dann der 
Zerfall eingeleitet wird. Die Röntgenbestrahlung ist 
vorzuziehen, wenn nur tiefer gelegene Tumorschichten 
getroffen werden sollen, Radium dagegen, wenn das 
unmittelbar anliegende Gewebe zu zerstören ist. 
B u m m (15) schreibt den Röntgenstrahlen 
den Hauptanteil bei der Zerstörung des karzinomatösen 
Gewebes zu; nach seinen Erfahrungen dienen die 
radioaktiven Substanzen nur dazu, die primären Krebs¬ 
herde örtlich zu beeinflussen. 

B u m m (15) und K r ö n i g (55) kombinieren 
bei der Behandlung der Uteruskrebse Röntgenstrahlen und 
radioaktive Substanzen. Sachs (84), der nur die ersteren 
verwendet, macht auf zwei Gefahren aufmerksam: 
erstens ist eine Unterdosierung gefährlich; sie kann ein- 
treten, wenn einzelne Teile des Krebses für die Strahlen 
ungünstig liegen und daher nicht intensiv genug ge¬ 
troffen werden. Dann ist enormes Wachstum das Er¬ 
gebnis. Die zweite Gefahr besteht darin, daß durch 
die Bestrahlung Zellen aus dem Verbände losgelöst und 
Veranlassung zu Metastasen geben können, Sachs 
wie auch Streb el (95) betonen, daß bei Verwendung 
der Röntgenstrahlen man bestrebt sein muß, möglichst 
radiumähnliche zu erzielen. Man nimmt daher gern 
die sog. äußeren Kathodenstrahlen, d. h. ein Gemisch 
von primären und sekundären y- Strahlen und primären 
und sekundären äußeren /?-Strahlen. Rosen thal (S2) 
erzeugt mit Röntgenröhren, die besonders große parallele 
Funkenstrecken besitzen, ultrapenetrierende Strahlen von 
großer Intensität. Auch Krönig, Gauß, Krinski, 
Lembcke, Wätjen, Königsberger (56) halten 
die Erzielung einer möglichst großen Penetranz bei der 
Röntgenbestrahlung für die erste Forderung. 

In histologischer Beziehung ist 
zwischen der biologischen Wirkung der Röntgenstrahlen 
und der radioaktiven Substanzen auf die Gewebe kein 
Unterschied nachzuweisen (Krönig, Gauß usw. 
[65]). Das Krebsstroma wird in jugendliches Nabenge¬ 
webe umgewandelt. Zunächst tritt Schwellung der Zelle 
ein, Hvperchromatose, Riesenwachstuin der Kerne 
dann Vakuolisierung des Plasmas, Degeneration, Nek¬ 
rose, und infolge der toxischen Wirkung der absterbenden 
Zelle verwandelt sich das Stroma in Organisationsge¬ 
webe. Nach v. Hansemann (36) löst die Radio¬ 
therapie Cyto- und Karyolyse aus; die geschädigten 
Krebszellen können sich aber wieder erholen, weshalb 
die Gefahr der Recidive nie von der Hand zu weisen 
ist. Die Tiefenwirkung der Strahlen gibt Bumm (16) 
auf 3- 4 cm an. In der Tiefe von 5—9 cm fand man 
stets ungeschädigtes Karzinomgewebe. Haendly (33) 
konnte an fünf Präparaten von bestrahlten Üterus- 
karzinomen eine ungleichmässige, nicht genügende tiefe 
Wirkung der Me sothorium strahlen feststellen. — 
In einer Vertilgung der geschädigten Krebszellen durch 
die Phagocyten sieht Lahm (58) die Wirkung der 
Radiotherapie. 

Von schädlichen Nebenwirkungen 
der Radiotherapie erwähnt v. Eiseisberg (23) Ge- 
websnekrosen ferner die Möglichkeit, daß Gefäße, die 
durch das Operationsgebiet ziehen, arrodiert werden, 
D ö d e r 1 e i n und v. Seuff ert (21) haben, aller¬ 
dings nur in an und für sich ungünstigen Fällen, 
schmerzhafte Stuhlentleerungen, Tenesmen, Strikturen. 
Fisteln u. ä gesehen. Nach B u in m (15) sind alle 
Nebenwirkungen nur auf quantitative, nie auf qualitative 
Verschiedenheiten der Strahlen zurückzuführen. Seil- 

Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








353 


Nr 36. 


FORTSCHRITTE DER MEDZIIN. 


heim (92) glaubt, daß sie durch Verbesserung 
der Technik mit der Zeit auf ein Minimum einzu¬ 
schränken sind. 

Wirke n können Bestrahlungen nur, wenn 
reichlich regenerationsfähiges Gewebe vorhanden ist 
(K o b 1 a n c k [53]). Veit (99) hält es übrigens für 
nicht unwahrscheinlich, daß durch die Bestrahlung des 
Primärherdes auch die erste Stufe der Lymphdrüsen- 
metastasen noch zurückzubilden ist. 

Krönig, Gauß usw. (56) arbeiten mit 
möglichst großen Dosen und Dosen in möglichst 
kurzen Intervallen. Ein Messen der Stärke der Strahlen 
ist aber unbedingt erforderlich (Holding [43]). Eine 
einheitliche Maßbezeichnung für Radium und Mesothorium 
schlägt Klein (52) vor; zuerst sollen die Serien mit S 
angegeben werden, dann die Milligrammzahl des ver¬ 
wendeten Radiums (Ra) oder Mesothoriums (Me) und 
die Stundenzahl der einzelnen Anwendung (hs), also 
z. B. 3 Serien zu 3X50 Ra X lOhs. Krönig und 
Gauß (56) gehen über Mengen von 200 mmg Meso¬ 
thorium unbesorgt hinaus. Sie kombinieren stets Röntgen¬ 
strahlen und radioaktive Substanzen. Sehr wichtig ist 
auch die richtige Einteilung der Pausen, die dem Ge¬ 
schwulstgewebe Zeit zum fortschreitenden Untergang 
und dem Organismus für Mobilisierung seiner Wehr¬ 
kräfte lassen müssen (S e 1 1 h e i m [92]). 

Die Kombinationstherapie bietet für die Bestrahlung 
den Vorteil, daß weniger hohe Dosen von y-Strahlen 
nötig sind, um zum Ziele zu kommen (N ahmmach er 
[70]); gewöhnlich zieht man die Chemotherapie heran ; 
Klein (51) richtet die postoperative Behandlung so ein, 
daß er Röntgenstrahlen, Radium und intravenöse Injek¬ 
tionen von Baryum-Selenat verwendet. 

Die Technik der Bestrahlung ist naturgemäß bei 
der Jugend des Verfahrens mannigfachen Wandlungen 
unterworfen. Von den Bleifiltern ist man vielfach abge¬ 
kommen, weil sie einen hohen Prozentsatz der harten 
Strahlen absorbieren und infolgedessen starke Sekundär¬ 
strahlung erzeugen, die das Gewebe leicht schädigt 
(B u m m [15]). Krönig, Gauß usw. (156) schieben 
allerdings diese Nebenwirkungen auf eine Überdosierung. 
Bumm (15) empfiehlt Aluminium- oder Messingfilter, 
ebenso Dö der lein und v. Seuffert (21) und 
P i n k u ß (76). B r a u d e (14) benutzt zur Isolierung der 
radioaktiven Substanzen ein Hartgummischeidenpessar 
mit Metalleinlage. Henkel (41) fixiert in der ersten 
Zeit der Bestrahlung das Präparat nur durch Gaze 
und filtert erst später durch Messing und Gummi. 
Freund (29) hat in einem Falle Radium, durch eine 
in Gaze eingewickelte Messinghülse isoliert, in die Bursa 
omentalis versenkt und dadurch Besserung der durch 
eine Krebsmetastase der Wirbelsäule bedingten Be¬ 
schwerden erzielt. Sog. Emanationsnadeln benutzt 
Stevenson (93); er sticht sie in die zu bestrahlende 
Gegend ein und erzielt so eine möglichste Annährung. 

Alles in Allem sind wir in der Radiotherapie noch 
weit entfernt vor einem Abschluß; was aber 
bisher geleistet ist, läßt günstige Ausblicke in die Zu¬ 
kunft tun. Naturgemäß erfordert die Radiotherapie 
noch manches Opfer; ohne ein solches ist aber ein 
Fortschritt ausgeschlossen Wie Seil heim (92) 
sich ausdrückt, stehen wir im Stadium des berechtigten 
Versuchs. Die Dauerresultate kann man erst nach 
Jahren beurteilen, worauf D ö d e r 1 e i n und v. Seuf¬ 
fert (21) besonders hinweisen. 

1 A 11 m a n n , D. Med. Woch. j> 271 1914. — 2. Ders, 
Ibidem p. 1004. — 3. A p o 1 a n t und B i e r b a u m, 
D. Med. Woch. p. 528. — 4. Ball, Journ. of Am. Assoc 
21 2. — - 6. B a r d a c h z i , Prag Med. Woch. Nr. 10. — 
6. Bashford, Lancet 7. 2. — 7. Berkeley, Med. 

Digitized by Google 


Rekord. 25. 4. — 8. B i c h 1 e r , Wien. kl. Woch. Nr. 26. — 

9. B i 1 1 e t e r , Bruns Beitr XO. H. 2. — lO.Bland- 

S u t t o n , Brit. Med. J. 31. 1. — 11 Bloodgood, 

lb. 8 1. — 12. Blum, Wien. Med Woch. Nr. 13. — 
13. B o v er i , zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. 
Jena 1914. — 14. B raude, Ztrbl f Gyn p. 09. — 

15. Bumm, Berl. kl. Woch. p. 193 — 10. Ders, Ztrbl. f. 
Gyn Nr. 5. - 17. M c C a r t y au B r o d e r s , Arch, 

of Int. Med. p 208. — 18. C h i 1 d e , Br. Med. J. p. 043. 

— 19. C o 1 e , New York Med. J. p. 305. — 20. C r o w , 

Br Med. J. p. 413. — 21. D 5 d e r 1 e i n u. v. Seuffert, 
Münclin. Med W. p. 225. p. 313. — 22. Edelberg, 

Ztrbl. f. Gyu. Nr. 7. — 23. v. Eiseisberg, D. Med. W. 

p. 934 — 24. F a s i a n i, Wien kl Woch. Nr. 11 — 

25. F o r g u o , Presse Med. Nr 35 — 26. F o w 1 e r , ßr. 
Med. J. p 1284. — 27 F r a n c k , D. Med. Woch p. 956. 

— 28 Frankel, lb p. 589. — 29. Freund, lb 

1252. — Grfigoire et Masson, Presse Med Nr. 19. — 

31. Gross and Held, Arcli. of Int Med. p 426. — 

32. H a d a , Prag. Med. W. Nr 22. — 33. H aen d ly , Arch. 
f. Gyn B C. H. 1. — 34. Halpern, Zschr. f. pliys. und 
diät. Tlier. H 1. — 35. Ders., Mitl. a. d. Grenzgeb. H. 2.— 
36. v. Hanse mann, Berl. Kl W. Nr. 13 — 37. Hara, 
D. Med. Woch. p 484. — 38. Ders, 1 b p 1258. — 39. 

H e i m a n n u Flitsch, Arcli. f. kl. Cliir. Rd. CI1I. H. 3. 

— 40 Henke u. Schwarz. D Med. W. p. 267. — 41. 

Henkel, Münclin M W p. 227. — 42. Hohlweg, lb. p. 
927.— 43. Holding, Med. Rekord p. 335.—44. Iredell 
and Thompson. Lancet p 1745 — 45. J o z s a und 

T o k e o k a, D. Med. W. p 590. — 46. Jungnunn, 
Ärztl Sachv. — Zt 1913. Nr. 23 — 47. Kable, Münchn. 
med. W. p. 752. — 48. K el 1 i n g, D. Med. Woch. p. 935. 

— 49. Ders, Wien. kl. W. Nr. 26. — 50. Keysser, 
Zschr. f. Chemoth, Bd. 2. H. 2—4. — 51. Klein, Münch. 

M W. p 115 — 52. Ders. Ib. p. 661. — 53. Koblanck, 
Berl. Kl W. Nr. 17. — 54. Koenigsfeld, Ctrbl. f. Bakt. I. 
Abt. H. 4/5. — 55 Konjetzny, D. Med. W. p. 1144. — 
55. Krönig, Med. Klin p. 192. — 56. Krönig, Gams, 
Krinski, Lembcke. Wätjen, Königsberger, 

D. Med. W p. 740 p. 798. — 57. Kuznitzki, Berl. kl. 
W. p 60 — 58 Lahm, Mon. f Geb. u Gyn. H. 3. — 
59. Lazarevic, Wien. Kl. W. Nr. 15. — 60. Lazarus, 

B. Kl. W. Nr 5—6. — 61. Lazarus- Ba r 1 o w , Br. 
Med J. p. 1001 -— 62. Li ndenberg, D. Zschr. f. Cliir. 
H. 12. Bd. CXXVIII. — 63 Lind n er, Münch Med. W. 
p. 31. — 64 L i p p s c h ütz, Mon f Geb u Gyn. H. 1. — 
65. Lunckenbein, Münchn. M W p 18. — 66. Der s, 
Ib. p. 1047. — 67 Mergels berg, Diss. Berlin 1913. — 
68. Moskowicz, Münchn. M. W p. 263 69 Müller, 

die Krebsbehandlung, München ! 914 (Lehmann) — 70. 
Nahmmacher, StrahlentlialerIV. H 1. — 71. Oeller 
u. Steph a n , Münchn. M. W. p 579. — 72. P au Isen. 
Ib. p. 385. — 73. Pederscn, New York Med. J. p. 
255. - 74. P e n t i m a 1 1 i, I). Med. W. p 1468 — 

75. Pflaumer, lb. p. 935 — 76 Pin küss, Cancer p. 1, 

— 77 Ders., Berl. Kl. W. p 207. 78 Piorkowski, 

D. Med. W. p 305 — 79. Rapp, Münclin. M W. p. 1112. 

— 80. Reichel, lb. p 64. — 81. Roosen und 

Blumenthal D. M. W. p 588 82. Rosenthal Münch. 

M. W. p. 1059. — 83. Rüssel und B ul lock, B. Kl. W. 
Nr '6. — 84. Sach 8, Cancer p 59 — 85. Sakguchi, 
Frkf. Zschr. f Path. H. 1. Bd XV. — 86. Saltykow, D. 
M. W. p 1316. — 87. Schawlow, Münchn. M. W. p. 1386. 

— 88. S c h o 11 1 ä n d e r , Arch. f. Gyn. Bd. C. H 1. — 

89. Sch iil 1er, Zschr f. kl. Med. Bd. LXXVIII. H. 3/4. — 

90. Schwarz. I). Z f. Cliir Bd. CXXIV. H. 5/6. — 

91. Schweninger, zur Krebsfrage, Berlin 1914. — 

92. S e 1 I h e i m , D Med. W. p 22. — 93. Stevenson, 

Br Med .1. 4. 7. 1914. — 94 S e y d e r h e 1 in . D M W. 

p 583. — 95 Strebei, Münchn. M W. p 133. — 
96. S w a n , Lancet p 1309. — 97. Teilhaber, Berl. Kl, 
W. Nr. 13. — 98.T h o in snn, Lancet p 1523. 99 Veit, 

Prakt Erg. d. Geb.B d. VI. H. 1. — lOu. v. Wassermann. 
D. M. W. p. 524. — 101. Weckowski, Berl Kl W, 
p. 54. — 102. Weibel, Arch f Gyn Bd. C. H. I. — 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 








354 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


103 Weinbrenner, M. M. W. p. 127. — 104 Weis« 
D. M W. p 06. - 10.0. Welch. Lancet p. 1319. — 

100. Werner, Arcli. f. Gyn. Bd CI. H. 3. — 107. Wiek- 
harn u. Degrais. Fortschr. der Röntgenstr Bd. XXI. H. 3. 
— 108. Wiener u. Tordav, D. M. W. p. 429. — 


Nr. 36 


09 „ Y ,?, ma " ouchi u ' Tj y * chkowsky, Zschr. f. Immunit. 
- 20 - H 4 - — HO. v. Zubrz ycki, Arch. f. Gyn. 

Bd CH. H. 1. — 111. Zweifel, Arch. f Gyn. Bd. CIL 
Heft. 3- 


Referate und 


Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie und pathoi. Anatomie 

L u b 1 i n s k i, AV„ Gaumenhochstand und adenoide 
Vegetationen. — Berl Klin. W.-Sch. 1916/4. 

Eie Unwegsamkeit der Nasenrachenwege mit ihren mannig¬ 
fachen Schäden (Ohr, Mund, Hals, Luftröhre, geistiges Zurück¬ 
bleiben) ist wohl zumeist durch adenoide Vegetationen verur¬ 
sacht und schwindet mit ihren Begleiterscheinungen nach 
deren operativen Entfernung Bleibt die Behinderung der 
freien Nasenatmuug jedoch bestehen, so ist ein abnorm eneer, 
hoher Gaumen vorhanden, der in frühester Jugend dadurch 
zustande kommt, dass stark entwickelte Zahnfortsätze des Ober¬ 
kiefers von besonderer Länge nahe aneinanderrüeken und durch 
steile Wölbung des Gaumendaches den lichten Raum des 
Nasenboden beeinträchtigen. Es ist unentschieden, ob dieser 
Zustand durch deu Zug der Wangenmuskulatur sich ergibt 
oder, was wahrscheinlicher ist, schon auf embryonaler Anlage 
einer abnormalen Zahnkeimlage beruht, wobei die Lage des 
Zahnkeimes sehr tief zu denken wäre mit konsekutiver Ver¬ 
längerung der Zahnfortsätze des Oberkiefers. 

Therapeutisch kommt nach Verfasser mit Erfolg eine 
kieferorthopädische Dehnung des Gaumens mittels eines federn¬ 
den, mindestens 2 Jahre zu tragenden Apparates in Frage 
Die Therapie nützt auch in späteren Jugendjahren noch und 
ist von der deutschen, nicht amerikanischen. Zahntechuik er¬ 
sonnen worden. 

(Refer. möchte darauf aufmerksam machen, dass dieser 
enge, steile, oft geradezu gotisch-spitze Gaumen ein nicht selte¬ 
ner Befund bei degenerierten Verbrechern ist.. 

V ieru stei n-Strau bi n g. 

Schanz, Die Wirkung des Lichtes auf die lebende 
Substanz. Reichs-Medizinal-Anzeiger, Nr. 14. 19 lß. 

Verfasser hat sich viel mit der Wirkung der ultravioletten 
Strahlen sowohl als auch der Wirkung der Strahlen, welche 
zwischen den genannten und den sichtbaren liegen, beschäftigt 
und erklärt sich die Wirkung mit der Umwandlung der Eiweiss¬ 
körper. Aus den Albuminen werden Globuline, und daraus 
schliesslich koaguliertes Eiweiss Aus dieser Theorie heraus 
lassen sich die allmähliche Umwandlung der beim Kinde ganz 
klaren Linse in eine mehr und mehr gelblich gefärbte, die 
Erscheinungen des grauenStars und andererseits auch die deletären 
Wirkungen des Sonnenstichs erklären Der Fundalmentalsatz 
der Schanz'schen Ausführungen ist: Das Licht verändert die 
Struktur der Eiweisskörper. 

Wern, H. Becker-Herborn. 


Innere Medizin. 

Moszkowski: Ein Mittel zur Bekämpfung der blu¬ 
tigen Stühle. _ Berl Kl. W.-Schr. 1916/5. 

Verf. hat auf Reisen in Niederl.-Indieu ein dort bei 
Amöben-Dysenterie bewährtes Hämoslyptikum mit bestem Er¬ 
folg bei profusen, unstillbaren, blutigen Diarrhoen typhöser oder 
paratpyhöser Natur an Soldaten erprobt. Es besteht in der 
— nach Bedarf wiederholten — rektalen Eingiessung von 


45—50 ccm der folgenden Rezeptur mittels weichen, hochge¬ 
führten Darmschlauches: 

Jodoform 80,0. 

Gummiarahic 100,0. 

Ag. dest. 180,0, 

Reinigungsklistier vorher ist unnötig. Die Blutungen 
standen selbst dann, wenn Adrenalin nichts wirkte. Störungen 
infolge der kolossalen Jodoformgaben sind nie aufgetreten. 
Dagegen liess der Teuesmus sehr bald nach und die durch 
Wasserverluste bedingte Schwäche schwand. 

Das Gummi arabic. dürfte blutstillend wirken, das Jodoform 
beruhigend auf den Darm, und gleichzeitig desinfizierend 
Aebnlich wirkt Dermatol. 

Verf. empfiehlt das Verfahren dringenst, einerlei, ob die 
Blutungen infolge von Ruhr oder Typhus auftreten. 

Viernstein-Straubing. 


Digitized by 


Google 


Psychiatrie und Neurologie. 

K. Pearson und G. A Jaederbol ni. Men 
delism and the problem of mental defeef. (On tli econtinuily 
of mental defect) (London, Dulau and Co., 19141. 

Mittels der Binet-Simonschen Methode der Intelligenz¬ 
prüfung wurde eine Gruppe von intelligenzdefekten Kindern 
aus Spezialschulen (Hilfsschulkindern) und eine andere Gruppe 
von normalen Kindern untersucht. Es ergab sich dabei 
folgendes: Es besteht eine absolute Kontinuität der Intelligenz 
in der Gruppe der Schwachsinnigen, mit allerdings grösseren 
Variationen als bei den Normalen. Die Intelligenzgrade der 
intelligenzdefekten Kinder der Hilfsschulen geben ohne Grenze 
in die der geistig normalen Kinder über, und dabei reichen 
die der normalen Kinder noch ein ganzes Stück in die Zone der In- 
telligenzgradederintelligenzdefektenHilfsschulkinderhinüber. Es 
ist also garnicht ohne weiteres zu sagen, wo der Schwachsinn beginnt, 
vielmehr ist es die Sache einer rein praktischen Uebereinkunft, 
wo die Tennung zwischen normalen und intelligenzdefekten 
Kindern zu setzen ist; es ist anzunehmen, dass diese Scheidung 
bei 3 bis 4 Jahren Intelligenzdefekt gemacht wird. Aber da 
der Intelligenzdefekt mit dem Alter des intelligenzdefekten 
Kindes wächst, so ist diese Trennung tatsächlich eine Funktion 
des Alters des Kindes. Da nun die Klassifizierung der 
intelligenzdefekten Kinder nach persönlicher Schätzung des 
Lehrers und des Arztes vorgenommen wird, so ist damit die 
Gefahr einer grossen Ungerechtigkeit verbunden. Aus der 
Intelligenzverteilung lässt sich ferner schliessen, dass die Hilfs¬ 
schulkinder nicht, nur nach dem Intelligenzdefekt allein 
ausgewählt wurden; diese Kinder bilden zwar eine Gruppe 
in denen der Intelligenzdefekt sehr häufig vorhanden ist, die 
aber wahrscheinlich auch andere Typen von sozialer oder 
Schulinsutfizienz enthält, infolge von Zügen, die fälschlich 
unter Intellekt gruppiert wurden, obwohl sie psychische 
Charakteristika gewesen sein mögen. Für diese Kinder sollte 
statt des Ausdrucks „Intelligenzdefekt etc“ die Bezeichnung 
,,Sozialinsuffiziente“ gebraucht werden. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



Nr. 36. 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


355 


Zum Schluss wendet sich Verf. sehr heftig gegen alle 
wissenschaftlichen Bestrebungen, die Vererbung der Intelligenz 
nach den Mendelechen Regeln zu bestimmen, und gegen die 
Anschauung, dass ein kontinuierlich variierendes, wie es der 
Intelligenzdefekt nun nachgewiesenermassen ist, bedingt sein 
solle durch das Fehlen eines Determinanten im Keimplasma: 
eine solche Anschauung müsste die Hypothese zur Folge haben, 
dass es eine biologisch bestimmte Linie gibt, die Intelligenz 
und Intelligenzdefekt scheidet Es gibt keine solche Greuz- 
linie: Extreme Fälle von Intelligenzdefekt sind sozial völlig 
unbrauchbar, mildere Fälle sind unerwünschte Mitglieder der 
Gesellschaft, aber von diesen geht der Weg kontinuierlich auf¬ 
wärts zu allen Phasen, von dem, was man als normale 
Intelligenz bezeichnet Wo es wünschenswert ist, die Grenze 
zu ziehen und zu sagen, dass hier die soziale Unbrauchbar¬ 
keit so gross ist, dass eine Scheidung wünschenswert ist, ist 
lediglich eine Sache sozialer Uebereinkunft; der Eugeniker 
und der Pädagoge werden geneigt sein, eine höhere Grenze 
anzunehmen als „gewisse Politiker, die erst an dem Irrenhaus 
die Grenze ziehen.“ W. Mise h-Berlin 

W. M. van der 8 c h e e r. Ein Fall von Zwergwuchs 
und Idiotie nebst Bemerkungen über die Klassifikation der 
Zwerge. (Zeitschr. f. d. ges Neeuol. und Psych, XXXII 
H. 2/3, S 107. 1916). 

Es wird darauf hingewiesen, dass es neben den essentiellen 
und den ateleiotischen Zwergen noch eine grosse Anzahl von 
Fällen gibt, in denen der Zwergwuchs als Symptom aufzu¬ 
fassen ist. Zu diesen Fällen von symptomatischem Zwerg¬ 
wuchs gehört eiumal eine Gruppe vou Fällen, in denen der 
Zwergwuchs Folge einer sich hauptsächlich im Skelett abspielen¬ 
den krankhaften Störung ist, wie z. B. die rachitischen, osteo¬ 
malazischen, tuberkulösen und achondroplastischen Skelettdefor¬ 
mitäten, anderseits die überwiegende Mehrzahl der Fälle, in 
denen der Zwergwuchs als der Ausdruck einer allgemeinen 
Entwicklungsstörung aller Organe aufzufassen ist Bei der 
letzteren Gruppe spielen neben toxischen Einwirkungen, ganz 
besonders endokrine Drüsenstörungen eine Rolle. Bei allen 
diesen Formen des Zwergwuchses lässt sich im Gegensatz zu 
den essentielle l und ateleiotischen Zwergen ein schädlicher 
Einfluss uachweisen ; diese Individuen zeigen irgend ein Zeichen 
einer Erkrankung oder Schwäche, oder jedenfalls datiert die 
Entwicklungsstöruug von einer Erkrankung oder einem Vor¬ 
kommnis, dem offensichtlich eine grosse Bedeutung im Leben 
des Individuums zukommt. 

Es wird anschliessend der Fall einer Zwergin mit folgen¬ 
den auffallenden Erscheinungen ausführlich mitgeteilt: Akro- 
megaler Gesichtsausdruck, grosse Zunge und kolossale Unter- 
kiefer: mikromele Verkürzung der Extremitäten mit normalem 
Längen Verhältnis von Hand, Unter- und Oberarm resp. Fuss, 
Unter- und Oberschenkel; alabasterfarbene Haut, die auf Hand- 
und Fussrücken eigentümliche Störungen zeigt; sehr wechselnde 
Obesitas mit Prädilektion für die Nates und die Mammae; 
geringe Entwicklung der Genitalia interna, verspätetes Auf¬ 
treten der Menstruation, die zuletzt regelmässig war, dagegen 
stark ausgebildete sekundäre Geschlechtscharaktere; sehr schlaffe 
und wenig kräftige Muskeln mit äusserst schlaffen Gelenk¬ 
bändern, erhöhte Sehnenreflexe und ungeachtet der Schlaffheit 
gpastische Erscheinungen. Babinski, Klonus; Kopfschmerzen, 
häufiges Erbrechen; am Knochensystem (röntgenologisch) keine 
ausgesprochenen Verkrümmungen, geschlossene Epiphysenschei¬ 
ben, Auftreibung des Periosts am Radius und unregelmässige 
Verdickung der Fibula mit unerheblicher Verkrümmung, Gra¬ 
zilität aller Knochen, flache Sella turcica von wahrscheinlich 
normaler Grösse ; positive Wassermannsche Reaktion. Maculae 
-corneae, Narben am Anus und auf den Nates; versatile Idio¬ 
tie. Besonders genau untersucht wurden die Grössen Verhält¬ 
nisse der Extremitäten und dabei eine deutlich ausgesprochene 
Mikromelie der Extremitäten gefunden, wobei, was von beson¬ 
derem Interesse war, das Verhältnis zwischen den verschiede¬ 
nen Extremitätensegmenten dasselbe wie bei den erwachsenen 
uormalen Geschwistern der Patientin ist. Ein grosser Teil der 
Erscheinungen wies auf eine Funktionsstörung der Hypophyse 
bin, und zwar der Zwergwuchs und die starke Obesitas, die 
alahagterfarbene trockene Haut, das verspätete Auftreten der 
Menstruation, die infantile Entwicklung der Genitalia interna, 


die Form der Idilotie, die sogen, heitere Form, wie sie u. a. 
von Sprinzel in einem Fall von Hypophysistumor beobachtet 
wurde. Während alle diese Erscheinungen auf einen Ilypopi- 
tuitarismus zurückzuführeu waren, zeigten sich anderseits in der 
vorhandenen Adrenalinglykosurie, den akromegalen Symptomen 
und der kolossalen Entwicklung der sekundären Geschlechts¬ 
charaktere Erscheinungen, die auf gegensätzliche Funktions¬ 
störungen hinwiesen, so dass anzunehmen ist, dass mehrere 
endokrine Organe befallen waren. Es bestehen also zahlreiche 
Hinweise auf den Zusammenhang der Erkrankung mit der 
Hypophysis, ohne dass dieser bewiesen werden könnte Die 
heredoluetisehe Aetiologie ist nicht von der Hand zu weisen. 

W. Misch, Berlin. 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten 
der Harn- und Geschlechtsorgane. 

von Zeissl-Wien, Die SIphllisbehandlung zur Kriegs- 
zeit, und was soll nach Friedensschluss geschehen, die Zivil¬ 
bevölkerung vor der Infektion durch venerisch krank tieim- 
kehrende zu schützen. Berl. Kl W-Sch, 1916/2. 

Die kurze Arbeit ist wesentlich unter dem Gesichtspunkt 
Österreicher Verhältnisse entstanden. Verf bekennt sich als 
reinen bekehrten Anhänger der Präventivbehandlung der Siphi- 
lis, die, wie ein dargeslellter Fall zeigt, sehr wohl gestattet, 
mittels Salvarsan und grosser Dosen Hg. einem Kranken in 
wenigen Tagen wieder kampffähig zu machen. Vert. verbreitet 
sich sodann über die Anwendungsweise und Dosierung hoch¬ 
prozentiger Jodpräparate, unter denen das Klysma mit 4,0 
Jodsalz und 10—io gutt. Opiumtinktur in 2U—30 gr Wasser 
wohl als die schonendste anzuseheu sein dürfte. In diesem 
Falle ist nach 15 Minuten schon das resorbierte Jod auf der 
Zunge mit dem Lapis als Jodsilber nachweisbar. — Nach dem 
Kriege obliegt die Aufgabe, die Bevölkerung vor der Infektion 
durch die Heimkehrenden zu sichern. Neben Aufklärung der 
Bevölkerung erscheint notwendig, die Krieger mit Wassermann 
zu untersuchen und eine Reinkultur ihres Harnröhreusekretes 
herzustellen. Viernstein-Straubing. 

F r ü h w a 1 d und Zalozieck i, Ober die Infektiosi¬ 
tät des Liquor cerebrospinalis bei Syphilis. — Berl. Kl. IV.- 
Schr. 1916/1. 

Die Verfasser, deren einer (Z ) sich in russischer Kriegs¬ 
gefangenschaft befindet, geheu zunächst unter kritischen Litera¬ 
nachweisen auf die Entwickelung der Liquor-Forschung ein 
(Pleocytose, Eiweissvermehrung, Wassermannsche Reaktion. 
Spirochätenauffindung und geben dann eigene Versuche, bei 
denen sie den Liquor cerebrospinalis von Luetikern aller Sta¬ 
dien auf Spirochäten untersuchten und auf Kaninchen subskro- 
tal bezw. intratestikulär verimpften, um die Infektiosi¬ 
tät des liquor festzustellen. Es zeigte sich, 
dass nur in einem Teil der Fälle eine solche Infektiosität ge¬ 
geben war, indes liess sich hierbei keine Gesetzmässigkeit er¬ 
mitteln. Hinsichtlich der Spirochätenfunde selber erwies sich, 
dass im primären Stadium der Syphilis der Liquor frei war. 
Doch glauben die Verfasser, dass weitere Forschungen diese 
Feststellung umstossen dürften, da ja die Spirochäten schon 
in der 5. Woche post infectionem im Blute zu finden sind und 
sonstige Liquor-Veränderungen, wenn auch selten, in dieser 
ersten Zeit Vorkommen 

Mit dem Eintritt der Krankheit ins sekundäre Stadium 
enthält der Liquor Spirochäten, und zwar sowohl im frühen, 
wie besonders im späten Sekundärstadium. 

Verhältnismässig gross sind die Befunde bei Metasyphilis. 
Auch bei juveniler, herditärer Paralyse gelang der Fund im 
Liquor, nicht minder bei hereditär-luetischen Neugeborenen, 
deren Organismus durch das Nabelvenenblut mit Spirochäten 
übersät wird. 

Zusammenfassend ergab sich eine verhältnismässige Selten¬ 
heit der Spirochäteubefunde im Liquor. Hinsichtlich des Inipf- 
erfolges war es gleichgültig, ob der verimpfte Liquor normal 
oder verändert war, ob die Seroeaktion positiv oder negativ 
war, ob nervöse Symptome bestanden hatten oder nicht I ler 


Digitized by Google 


Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 






356 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 35 


Liquor konnte endlich schon bald oder erst sehr spät nach der 
Infektion Spirochäten enthalten. Kur/.: eine Gesetzmässigkeit 
liess sich nicht herausßnden, ebensowenig wurde klar, unter 
welchen Umstünden die Infektiosität des Liquor zustandekommt. 

Viernstei n-Straubing. 


Medikamentöse Therapie. 

Blumenthal, Prof., Ultraflltrate, eine neue Arznei¬ 
form. — Berl Kl. W.-Schr. 191Ü/2. 

Bei der neuen Methode der Ultrafiltration werden durch 
den erfolgenden Durchgang von Flüssigkeiten durch gallert¬ 
artige Membranen unter Druck auf der einen Seite des Fil¬ 
trates die sämtlichen in der Flüssigkeit enthaltenen Colloid- 
stoffe zurückgehalten, während .jenseits“ sich die Kristalloide 
sammeln, wobei — im Gegensatz zur Dialyse — eine Ver¬ 
dünnung der zu dialysierenden Flüssigkeit nicht stattfindet. 

Die medizinisch-pharmazeutische Bedeutung dieser Neuerung 
erhellt sofort, wenn man als Beispiel das Opium heranzieht, 
dessen ursprüngliche Form einerseits die Summe der therapeu¬ 
tisch erwünschten Alkaloide (Morphin, Codein, Papaverin, Nar¬ 
kotin, Thebain usw.) enthält, gleichzeitig aber auch — und 
zwar das Pulver sowohl wie die oftizinelle Tinktur und das 
Extrakt — die wertlosen colloiden Ballaststoffe, nämlich Harz, 
Fett, Wachs, Eiweissstoffe usw. Es gelang, auf oben bezeich- 
netem Wege in der Tat ein ideales Opiumpräparat mit Voll¬ 
wirkung zu erzielen, das unter dem Namen „Holopon“ im 
Handel ist (älo? ganz, vollständig). Die klare, braune Flüssig¬ 
keit ist genau auf die Stärke der tinet. opi. simpl. eingestellt 
Die Aufmachung besteht in sterilen Ampullen zur subkutanen. 
Injektion, in Supposilorien und in Tabletten zur stomachnlen 
Darreichung. Die Abwesenheit aller die Vollwirkung verzögern¬ 
den Ballaste gewährleistet nach Verf. eine „ausserordentlich 
rasche und ausgiebige“ Opiumwirkung. 

Eine Reihe anderer bisher dargestellter Ultrafiltrate, so von 
Digitalis u. Convallaria, sind von Verf. ebenfalls geprüft 
worden. 

(Referent hat im letzten Halbjahr mit Holopon (Firma 
Dr. H. Bück, cheni. Werke, Oranienburg) ausgiebige klinische 
Versuche an Krankenhauspatienten selbst angestellt und sich 
vorurteilsfrei von der Brauchbarkeit und sicheren, prompten 
Wirkung des Präparates in verschiedensten Fällen, in denen 
eine Opiummedikation angezeigt war, überzeugt). 

Viernstein-Straubing 

J. M a n 1 i n - Berlin, Optochin bei Pneumonie. _ Berl. 
Klin. W.-Schr. 1916/3. 

Optochin-Versuche an 12 im Alter von 14-63 Jahren 
stehenden, durchweg schweren Pueumonikern ergaben bei durch- I 
schnittlicker Gabe von 0,25 gr, 4stündig, bis zur Entfieberung, | 
das Folgende: zeitig eintreffende Entfieberung, deutliche Beru¬ 
higung des Kranken, abwesende Dyspnoe. Dagegen ist spezi¬ 
fisch antitoxische Wirkung nicht anzunehmen, da die Benom¬ 
menheit noch 3 — 4 Tage nach Entfieberung anhielt. Der phy¬ 
sikalische Lungenbefund wurde nicht beeinflusst. Nebenwir¬ 
kungen waren gering und nur vorübergehend (Sehstörungen, 
Ohrensausen, Pupillendilatation). Optochin. basic. scheint 
schonender zu sein als Optoch. hydrochlor. Zur Optochiu- 
Medikation ist Milchdiät zu geben. Hyperacidität des Magens 
ist mit Natr. bic. auszugleichen, da sie Neigung zu Sehstörungen 
zu zeitigen scheint. Optochin ist peroral, subkutan, intramus¬ 
kulär, intravenös und eudolumbal zu geben Diese Darrei¬ 
chungsformen, von denen freilich bisher fast ausschliesslich die 
erste in Übung ist, werden kritisch besprochen. 

V iernstein-Straubing. 

Rosenbaum, Erfahrungen über die Morphin- 
dersatz-Präparate Dihydromorphin und Diacetylihydro- 
morphin (Paralaupin). (Aus d. I. inneren Abtlg. d. 
Städt. Krankenhauses im Friedrichshain, Berlin. Direktor: 
Prof. Dr. Stadel mann). (Berliner Klin, Wochenschrift, 1916, 
No. 22). 

Die Versuche des Verfassers lieferten das Ergebnis, dass 
das salzsaure Dihydromorphin (welches von der Firma Knoll 
& Co., Ludwigshafen a. Rh. jetzt als Paramorfan bezeichnet 
wird) bei subkutaner Verwendung als ein vollwertiger Ersatz 


für Morphin, dem es durch anscheinend ausbleihende Gewöh- 
nung überlegen ist, angesehen werden darf. Die Dosis von 
0,015 g entspricht ungefähr der von 0,01 g Morphium kydro- 
chloricum. ln dieser Menge wurue es meist gut vertragen. 

Das salzsaure Diacetyldihydromorphin (Pnralaudin) eignete 
sich für subkutanen wie für innerlichen Gebrauch. Gewöhnung 
schien ebenfalls nicht einzutreteu. In der Wirksamkeit stand 
es hinter dem Morphin und dem Dihydromorphin zurück, und 
dürfte deshalb hauptsächlich bei leichteren Fällen in Betracht 
kommen. Besonders intern genommen glich es, da es nur in 
geringeren Gaben ohne Beschwerden vertragen wurde, eher dem 
Kodein. Subkutan verabfolgt entsprach es in der Dosierung 
annähernd dem Morphin. Bei innerlicher Darreichung haben 
sich 15 -20 Tropfen der 1 "/„igen Lösung als Einzeldosis 
bewährt. 

Die Präparate befinden sich noch nicht im Handel. 

Neumann. 

Stabsarzt Dr. med. R e i s s, Erfahrungen mit Granuge- 
nof. (Aus dem Reserve-Lazarett II, Zweibrückern. (Berliner 
Klinische Wochenschrift, 1916, No. 19 ). 

Verlasser batte Gelegenheit, das Granugenol etwa 3 / t Julire 
bei den verschiedensten Wunden und hei sehr wechselndem 
Material auszuprobieren. Es handelte sich fast ausschliesslich 
um schwere Verletzungen mit ausgedehnten Substanzverlusten 
oder frische, grössere Operationswundeu, später aber auch um 
Knochenfisteln und kleinere Wunden. Um einen annähernden 
V ergleich mit underen Behandlungsarten zu bekommen, wurde 
entweder von verschiedenen Wunden bei ein und demselben 
Patienten oder von Wunden verschiedener Patienten unter sonst 
ziemlich gleichen Verhältnissen, die eine Wunde mit Granu¬ 
genol, die andere nach den bisher üblichen allgemein chirur¬ 
gischen Grundsätzen behandelt 

Unter Vernicklung von Spülungen oder Reinigungen mit 
antiseptischen Flüssigkeiten wurde die Wunde mit steriler 
trockener Gaze so gut als möglich gereinigt und getrocknet, 
mit einer einfachen Lage Jodoforingaze bedeckt und das Gra- 
nugenol mittels einer langen Glaspipette darauf geträufelt, ein 
Vorgehen, das hei äusserster Sparsamkeit im Verbrauch grösste 
Asepsis bei dem \ erhande ermöglichte. Bei tiefen Buchten 
oder Fisteln wurde das Oel direkt in diese eingeträufelt und 
die Wunde mit einer dicken Lage steriler Gaze verbunden Je 
nach der Stärke der Sekretion fand jeden Tag oder jeden 2. 
Tag Erneuerung des \ erbau des statt; nur hei ganz wenig ab- 
sondernden, kleineren und zum grossen Teil schon überhäuteten 
Wunden blieb der Verband 3—4 Tage liegen. 

Wie aus der ausführlichen Kasuistik hervorgeht, kamen 
Weiehteilschussivundeu, Amputationswumlen, komplizierte 
Knochenschussfrakturen, Fisteln, kleinere alte Wunden und 
Fülle von Dekubitus zur Behandlung. 

Verfasser kann die von anderen Seiten hervorgehobenen 
guten Eigenschaften des Granugenols — reinigende Wirkung, 
rasche, gesunde und feste Granulationsbildung, des öfteren auch 
Epithelialisierung, kein Festkleben und daher auch leichte und 
schmerzlose Verhandsei neuerung— nur bestätigen. Granugenol 
stellt ein unschädliches Mittel vor, das als Ersatz des Perubal¬ 
sams gelten kann. Auch ist es viel billiger als dieser und 
sparsamer im Gebrauch. Es verdient also die Fähigkeit des 
Präparates, kernige und gesunde Granulationen einzuleiten, 
dieselben weiter zu entwickeln und einer zufriedenstellenden 
Vernarbung entgegenzuführen, besonders hervorgehoben zu 
werden. Neuniaun. 


Einbanddecken 

für den Jahrgang 1915/16 

der Fortschritte Der (Tledizin 

in Ganzleinen mil Golddruck auf Rücken und Vorder¬ 
seite sind zum Preise von 2,25 Mk. durch jede Buch¬ 
handlung oder den Unterzeichneten Verlage zu beziehen. 

Johndurtf u. Co. C. m. b. H- Berlin N W. 87. Jagowstr. 44. 


Digitized b> 


Google 


Druck von Julius Beltz. Hofbuchdrucker, Langensalza. 


Original fJom 

ERSITY OF ILLINOIS 
^BANA-CHAMPAIGN 


AT 




33. Jahrgan g \ 

Torisd) 


AUQ 13 ip-m 


1915/16. 


ritte der Medizin. 


Unter mitwirkung hervorragender fachmänner 


L. Brauer, 

Hamburg 


Nr. 36. 


herausgegeben von 

L. von Criegern, L. Edinger, L. Hauser, 

Hildesheim. Frankfurt a/M. Darmstadt. 

C. L. Rehn, H. Vogt, 

Frankfurt a/M. Wiesbaden. 

Verantwortliche Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt. 


G. Köster, 

Leipzig. 


Erscheint am 10., 20. und 30. jeden Monats zum Preise von 8 Mk. für das Halbjahr | 

Verlag Johndorff & Co., G. m. b. H., Berlin NW. 87. - Alleinige Inseratenannahme durch , 30. September 
Gelsdorf & Co., G. m. b. H., Annoncenbureau, Eberswaide bei Berlin. 


ßknm 

|| Tube M 3.100.1,30 Influenza, Pleuritis, I | (Ka»Mnpac*unf m. 1.10) 

(Kassen- tlydropa artikul., XJ wie KUeutnasun bei benonders hart- j 

packung 90 PI.) Gicht. Feruer bei n ;tckipen Fällen, cliron. Lumbago, Axthri- I 
Frost, harter Haut, ti» deiorra.. tabischen Scluner/en. Sebnen- 
Sohlenbrannen, IanekteuBticlie scheiden - Entzündung, Furunkeln, ferner 
,, 1 bei Psoriasis, Pityriasis und ca.!).0(oder als 

Tube Id 9,—u. 1,S0. logen. 


m 


-Trocken' 

Behandlung 


und Wund- 



Fluor alb., 
Gonorrhoe, 
Cervix Kat; 
Wunden aller 
Art. 


Verhüten Kelmverschleppung! „ 

Lenicet-Bolua 20% • ■ • • L, 

Lenioet-Bolus m. Peroxyd (5%) 2 . 
Lenicet-Bolu« m. Argt. (0,5%) . 

Lenicet-Bolus m. Jod |1%). . « 

Peru-Lenicet-Pulver (syn. Peru- 1 
Lenicet-Bolus) ' 


Petu-Lenlcet-Puderi:“........... 

Sllber-Lenicet-Puder m. 0.90 K«*,enp»ckm»i- j Ekzeme. 

Lenicet-Salbe, Peru-Lenicet-Salbe, Lenicet-Haut-Krem. 
Dr. Rudolf Rein, Rheumasan- und Lcnicet-Fabrikoa 

_ -J Herlin-Cbarlottenbnrg 4 und Wien V12. 


M. 0,75 u. M. 1.90 
» 1,25 u. » 2.00 
» 1,50 u. » 3,00 
» 1,50 u. » 2,25 
. 1,00 u. » 1,50 

I Zur_ Granulation 
u. Überhäufung. 
Sekretionsbe¬ 
schränkend. — 
Ekzeme. 


haltbares altbewährtes Trocken* 
hefe-Prä parat 

hat sich in mehr als 15 jähriger Praxis bestens bewährt 

bei Furunkulose, Follikulitis, Akne, Impetigo, Urti¬ 
karia, Anthrax, Ekzem. 

Levurinose findet mit Erfolg Anwendung bei: habi¬ 
tueller Obstipation, Diabetes, vaginaler und zervikaler 
Leukorrhoe sowie ähnlichen Erscheinungen. 

Ausführliche Literatur und Proben den Herren Aerzten 
gratis und franko durch 

Chemische Fabrik J. Blaes & Co., Lindau (Bayern) 


Bei nervösen Erregungszuständen 


als kräftiges Sedativum und 
unschädliches Einschläferungsmittel 


Bromural-Tabletten 


Rp. Bromural - Tabletten zu 0,3 g 
Nr. XX (M. 2.—); Nr. X (M. 1.10) 
Originalpackung Knoll. 


Als Sedativum 3—4 mal täglich 
1—2 Tabl., zur Einschläferung abends 
vor dem Schlafengehen 3—5 Tabletten. 


Knoll i Co., Ludwigshafen a. Rh. 

















Nr. 3b 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Zusammengesetzte Blutelsenpräparate 

in Pillenlorm. 

Sansulnal und Sansulnalkomposltlonen 

in Originalgläsern * 100 g 

Singuinil besteht aus 10" 0 Haemo,lobin. *6», Blutsalien. 45,9». Irisch 
bereitetem, pepIonisiertem Muskelalbumin und 0,1®» Minimum chloratum. 

Pilulae Sanguinal is Krewel 

n 0,12 e Sanguinal. 

Indikation: Anaamle, Chloroie und 
•arwandta Krankholfeariehelnunian, 
lehwatheruiianda. 

Pilulae SimguInalisKrewel 

c. 0.05 e Chinlno hydroehlorleo. 
Warm empfohlen als Tonlaum und Ho- 
borans, besonders in der Rakonealaaaana. 

Pilnlae San gninalisKrewel 

c. 0.05 e und 0.1 g Quojacol. earbonle. 
Empfohlen bei Skrophulosa und Phthls«, 
insbesondere bei Phlhlse mit Mspen- 
* Störungen. 

Pilnlae San gninalisKrewel 

c. 0,0000 r Asldo •rienisosa. 
Warm empfohlen bei nerfdsan Be¬ 
schwerden Anaemischer, Ohloretlsiher 
und Hysterischer, ferner bei Ekzemen, 
Skrophulose, Bhorea. 

Pilulae SanguinalisKrewel 

c. 0,05 g Eatr. Rhel. 

5ehr zu empfehlen bei allen fällen von 
Chloroat und Blutarmul, die mit Darm 
träghait einhergehsn. 

Pilulae Sangninalis Krewel 

c. 0,05 g und 0,1 g Kraoaot. 
Indikation: PMhlaia iaaiplens, tkro- 
phulaie. 

Literatur und Proben den Herren Ärzten gratis und franko 

Krewel & Co.,»%". (MFalril, KÖLHo.Rh.8. 

Vertreter für Berlin und Umgegend: A. Rosenberger, Arkona-Apotheke, 
Berlin N 28, Arkonaplatz 5. Fernsprechamt Norden Nr. 8711. — Vertreter 
für Hamburg: Apotheke E. Niemitz, Georgsplatz gegenüber Hiuptbahnbof 
in Hamburg. 


i mm 


= Nervösen Zuständen 


aller Art 


Valbromid 

Sal. bromatum. efferv. c. Valerian „STEIN" 


Kein Bromismus 


Kein Bromismus 


Kombinierte Baldrian- n. Bronwirhuu 

Indiziert bei Erregungszuständen, nervöser Schlaflosigkeit, Herz¬ 
neurosen, psychischer Depression 

Wurde in Vereins- und Reservelazaretten mit bestem 
Erfolg angewendet 

Literatur und Gratisproben von der 

Pharmazeutischen Fabrik „Stein“ 

Alfred Sobel, Durladi (Baden) 


KACEPE-BALSAM 

ordinierte Dr. A. F r ä n k e 1 (Berlin) bei Migräne, Nerven- und Muskelschmerzen, Gelenkrheumatismus und gegen Schmerzen nach 
Knochenbrüchen und Verstauchungen Der Verfasser führt zahlreiche Fälle an, bei denen die Wirkung eine frappante war. Von 
allen Patienten wurde hervorgehoben, dass Kacepe-Baisam sich angenehm, kühlend und lindernd über die Haut verbreite. Der Verfasser 

empfiehlt daher diesen Balsam als Ersatzfür die inneren Mittel. Am d«r Poliklinik fst innere Krmkh.itei. Kiidorf; P:»n 

Erfahrungen mit Kacepe-Baisam ton Dr. m«d. 1. Fräuke'. 
Berlin (KliniBch-therapentifiebc Wochenschrift Nr. 31. 1911t, 

D. H. Gutowitz hat im Krankenhause Oberbühlerthal in Baden bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus, ebenso bei 
akuten Neuralgien, bei Muskelrheumatismus, Lumbago, rheumatischen Pleuritiden sehr günstige Resultate erzielt und führte zum Beweise 
eine Reihe von Krankengeschichten an. Auch in einigen Lallen von Gicht hat der Kacepe-Baisam gute Ans dem Knnk.nhan.e oberbew.r- 

ö - thal in Baden* „Veber Kacepe-Bcl- 

Dienste geleistet. SM 0 - tob Dr. n«d. B. GutowiU. 

Ausführliche Literatur und Versuchsmuster gratis und franko zu Diensten. / Preis per Vi Tube: Mk, 2.00. Vt Tube: Wk. 1.20. 

Fabrik: Kontor chemischer Präparate ERNST ALEXANDER, Berlin SO. 16. 


„Praevalidin“ 

Campher-Wollfettsalbe mit Wasserstoffsuperoxyd zur 

perkutanen Einverleibung von Campher und Jialsam 
pemvian. 

Bestandteile: Campher, Balsam peruvian. u. Ol. Eucalypt. Jede Dosis 
enthält 0,4 g Campher. Wegen der herzroborierenden, expek- 
torierenden und Appetitanregenden Wirkung indiziert bei Lungen¬ 
tuberkulose, Emphysem, Asthma nervosum, Bronchitis chronic, 
Influenza, Anämie, Skrofulöse und Herzschwächezuständen. 

Jede Tube enthält 5 Dosen. Genaue Gebrauchsanweisung liegt 
jeder Tube bei. Preis der Tube für Erwachsene M. 2. —, für 
Kinder (halbe Dosis) M. 1,20. 

Literatur und Proben dureh 

die Woll-Wäsctoi i Kämmerei in Döhren bei Hannover 

(Abt. Chem Fabrik). 


Wichtig! 




Der beste Schutz 

gegen Übertragung von 
Geschlechtskrankheit ist: 


Schütze Dich 

patentamtlich angemeldet. Schachtel 5 St. 
3 Mark. 

Ärztemuster gratis durch 

Dr. 4. Mann, Mainz. 


H 11 1 1 11111 111111 n ~f 













































FORTSCHRITTE DER M EDIZ IN 


Nr 36 



INHALT. 

Originalarbeiten und Sammelberichte. 

Fischer, Der Krebs, 349. 

Referate und Besprechungen. 

Allgemeine Pathologie und pattiol. Anatomie: Lublinski, Gaumen 
nochstund und adenoide Vegetation, 854. Schanz, Die Wirkung 
des Lichtes auf die lebende Substanz, 354. 

Innere Medizin : Moszkowski, Ein Mittel zur Bekämpfung der 
blutigen Stühle, 354 „ 

Psychiatrie und Neurologie: Pearson u Ja ed er ho im, Men 
delisrn and the problem of mental defect. 3)4 S c licet. Ein rall 
von Zwergwuchs und Idiotie nebst Bemerkungen über die Klassifi¬ 
kation der Zwerge, 355. , . 

Hautkrankheiten und Syphilis und Krankheit der Harn- und Geschlechts¬ 
organe : Z e i s s I , Die Siphiiisbehandlung zur Kriegszeit, und was 
Voll nach Friedensschluss geschehen, usw., 355 b r ü n w a 1 d und 
Z a 1 o z i e c k i , Über die Infekiiosiiat des Liquor cerebrospinalis 
bei Syphilis. 355. 

Medikamentöse Therapie : lilumenthal, Lltrafiltrate, eine neue 
Arzneiform, :>56 M a n 1 i n , Optochm bei Pneumonie, 3ob. K o » e n- 
b a II Dl, Erfahrungen über die ilorphinersatz-Piapurate Dihydro- 
oiurphin und Diacetyldihydromorphin, 35ü K e i s s, Erfahrungen mit 
Granugenol, 3.Vj 


Bonaromat 

Anerkannt hervorragendes Mittel in capsulis duratis 

gegen Gonorrhoe, Cystltls, Urethritis 


und ähnliche Erkrankungen. 



Erfolg 


Nierenreizungen 
Literatur). 

Letzte Literatur: Sanitätsrat 
Di. M. Eriedländer, Chefarzt 
der vormals Lassarschen Klinik 
zu Berlin, Therapie der Gegen¬ 
wart, Eebruar 1914. 


Jede Magenstörung 
sowie das lästige Auf- 
stossen ausgeschlos¬ 
sen, da Lösung der 
Kapseln erst im Duo¬ 
denum erfolgt. Keine 
kürzester Zeit. (Siehe 



1 _ 


E. Taeschner, 

chemisch-pharmaceutische Fabrik, 
Aktiengesellschaft, 

Berlin C. 19, Neue Grünstrasse 4 


JJogäl-Jäb letten ä % 9 

Acid. acet. salic. Chinin. Mg. LI. 
prompt wirkendes und vollkommen unschädliches 


Hervorragend bewährt bei: 

Gicht, Ischias, Hexenschuss, bei allen For¬ 
men von Neuralgie, jeder Art von Nerven¬ 
schmerzen, bei Influenza und Erkältungs¬ 
krankheiten. 

Togal-Tabletten wurden klinisch erprobt und 
von zahlreichen Ärzten glänzend begutachtet. 

Togal-Tabletten sind stark harnsäure¬ 
lösend. 

Literatur und Proben stehen den Herren Ärzten 
auf Verlangen gerne kostenlos zur Verfügung. 

Kontor Pharmacia München, Schillers r sse 17. 

Fabrik pharmazeutischer Präparale. 


Zur Behandlung und Nachbehandlung Verwundeter! 


Medico^mech. Apparate 

System „Emwe“ 

zur Behandlung von Stoffwechselkrankheiten, für Atmungs-Gym¬ 
nastik, kompens. Übungstherapie der tabischen Ataxie, Gelenk- 
Übungsapparate. 

Passive Gymnastik, motorisch betriebene Apparate. 
Widerstands-Apparate für aktive Gymnastik. 
Pendelapparate, bewährtes ,,Emwe"-System. 

Verlangen Sie unsere mit. zahlreichen Abbildungen versehene, im Druck 
befindliche Litte IIS. 



Elektrische Arbeitsmethoden mit 
dem Myoroborator 

nach Dp. Hergens. 

Unter anderem angewendet bei: 

Inaktivitätsatrophien der Muskulatur. 

Literatur un< Freltllife kastanlai. 


Literatur und Preisli&te kastenloi. 


Meöicinisches Waarenhaus, 

Actien-Gesellschaft, 

Berlin NW. 6, Karlstrasse 31. 


Lieferanten tUr Heer an« Marine. 


Lieferanten tilr Meer an« Marine. 


Digitized b; 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS Al 
URBANA-CHAMPAIGN 

















Nr. 36 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


1 




CHOLOGEN 


NÜCLEOGEN 


. ' CHININ- 

NUCLEOGEN 


EUSEMIN 


UROSEMIN 


KAKODYL 


PHAGOCYTIN 


FULM ARGIN 


NAHMATERIAL 


Physiolog. - chemisches Laboratorium 

Brrlin - Charlottenburg 2 • Hugo Rosenberg G. m. b. H. • Berlin-Charlotlrnliu» • 2 


(Tabl.Hydrargyri chlor, comp. Glaser) 
Hervorragende langjlhrige Erfolge 
bei der Behandlung der Chole- 
lithiasia nach Dr. Robert Glaser 


Eisen - Nucleinat mit Arsen 
Jede Tabletts enthalt Fe. 0,006, 

P. (organisch gebunden) 0,004, As. 0,0019 


Eisennudeinat mit Arsen und Chinin 
Jede Tablette enthalt Fe. 0,008, 

P. (org. geb.) 0.004. As. 0.0019 Chinin 0,01 


Im Autoclaven sterilisierte 
Cocain - Adrenalin - Lösung. 
Ideales Localanftsthetikum 


Im Autoclaven sterilisierte 
Harnsäure - Eusemin - Anreibung 
nach Geheimrat Dr. Falkenstein, 
Gross - Lichterfelde 


Injektionen Marke Ha*eR (HR). 
Absolut chemisch rein. 

Im Autoclaven sterilisiert 


Im Autoclaven sterilisierte Lösung 
von nuclcinsaurem Natrium 


Durch elektrische Zerstäubung 
hergestellte sterilisierte 
colloidale Silberlösung 


nach Prof. Dr. Karewski. Ständige 
Kontrolle durch Prof. Dr. Leonor 
Michaelis. Aseptisch, dauernd steril 
und gebrauchsfertig 


VESicAESANlLecithin-Pillen 


Enthält sämtliche, durch fraktionierte Extraktion (D.R.P.) 
gewonnenen Extraktstoffe der Folia uvae ursi. 

Unschädliches 

Blasenantiseptikum 

auch bei 

alkalischem Harne. 

Da die Anwendung gefahrlos und angenehm und 
die Pillen besonders in den neuen Originalschachteln 


zu 50 Stück leicht auch für eine langanhaltende Kur 
in genügender Zahl bequem mitgeführt werden können, 
ist die Verwendung des Vesicaesan 

für Heeresangehörige 

bei akuter und chronischer Gonorrhoe zur Verhütung 
von Urethritis posterior usw. und bei katarrhalischen 
Blasenleiden besonders angezeigt. 

Proben und Literatur den Herren Aerzten zu Diensten. 

Chemische Fabrik Reisholz, mli, 

Reisholz 39 bei Düsseldorf. 


„Agfa“ 

zuckerdragiert oder versilbert, 
a 0 05 und 01g Lecithin „Agfa * 

in Packungen ä 50 bis 1000 Stü.k 

besonders vorteilhafte Notie¬ 
rungen für die Packungen 
a 250, 500 und 1000 Stück 


Actlen-Gßsellschaft für Anilin-Fabrikation 

Pharmaz. Abteilg. Berlin SO 36. 




Fieb 


Blutverlust 


Schwächezusländen ist 

vuistfuN 

4 ' ein vorzügliches; 

Herztomcum 
ROBORANS 
Stimulans für 
den Appefif 

Viali Uhlmann.JnhApoth.FMIH Frankfurt a.N 


URBANA-CHAMPAIGN 








































FORTSCHRITTE DER MEDIZIN. 


Nr. 36 


Perrheumal 

Anfirheumatische Salbe 


(10% der tert. 

Trichlorbutylester der Salizylsäure und Azetylsalizylsäure) 

völlig reizlos, gut resorbierbar, günstige 
Erfolge sind erzielt bei Ischias, akutem, 
chronischem und gonorrhoischem Gelenk¬ 
rheumatismus, Nervenschmerzen, Gicht. 

Originaltuben zu M. 1.80 und M. 1.—. 

Proben stehen den Herren Aerzten kostenfrei zur Verfügung- 

Athenstaedt & Redeker, 

Chemische Fabrik, Hemelingen 

bei Bremen. 


JPinofluoL^ 


Fichtennadel-Mter-Bfider 

■F in Tabletten 'S! 

Glänzend begutachtet und erfolgreich bei 

Nervosität 
Rekonvaleszenz 

Bequeme Dosierung! Kein Beschädigen der Wannen! 

12 Bäder Mk. 3. - 

Muster und Literatur stehen den Herren Aerzten 
kostenlos zur Verfügung durch die 

Pharmakon-Gesellschaft, Chem. Fabrik, 

Frankfurt a. M. 



''Diabetes mell. 


- — • - !. • 


0 


ANTI-EPILEPTtKIIM 


kl 


nach Or. Munch 

zur intravenösen lnjeküon in Ampullen ä 10 ccm 

• • • Karton mit 10 Ampullen 8,00 Mk. O O O 


Anti-Epileptikum in Perlen 

zum innerlichen Gebrauch. 

Literatur gratis Glas 4,00 Mk. 

Zu beziehen durch die 

Engel Apotheke, Fr ankfurt a. m . 


Statt Eisen! Statt Lebertran! 


HAENIATOGEN HOMMEL 

Frei ron Borilire, tnlicjlsinra oder Irgsndwtkhsn sonstigen antlbakteri- 
eilen Zusätzen. enthält ausBer dem völlig reinen Haemoglobm noch saroll. 
Salze des frischen Hintes, insbesondere auch die withflgnn Phosphorialte (Na¬ 
trium, Kalium und Lacithini sowie die nicht minder bedeutenden Eiweiss- 
stoffe des Serams, welche dnreh die Forschungen Prof. Carreis neuerdings 
grosse Bedeutung erlangt Haben, in konzentrierter gereinigter und nninr- 
Utiter Form. AU blatbildinde«, arfanniienhaltiges, diittlisohei KräMi|an|tmiHel 
für Kinder vnd Erwechieat bei Schwächezoständen irgendwelcher Art von 
hohem Werte. 

- Besonders wertvoll in der fiinderpraxts. = 

Kann ala diätetisches,.die tägliche Nahrune ergänzendes Mittel jahraus, 
jahrein ohne Unterbrechung genommen werden. Da es ein mtörliche« 
organisches Produkt ist, treten niemals irgendwelche Störungen auf. 

Grosse Erfolge bei Rachitis, Skrofulöse. Anemle, Frauenkrank¬ 
heiten, Neurasthenie, Herzschwäche, Malaria, Rekonvaleszenz 
(Pneumonie, Influenza etc. etc.) 

rf- vorzüglich wirksam bei Lungenerkrankungen als Kräftigungskur. 
Sehr angenehmer Geschmack. Wird selbst von Kindern ausser¬ 
ordentlich gern genommen. Stark appetitanregend. 

Haematogen Hommel gewährleistet __ . „ . .. 

unbegrenzte Haltbarkeit In vieljahrig erprobter,Tropenfestlgkeil 
und Frostsicherheit, absolute Sicherheit’ vor Tuberkelbazillen 

durch das mehrfach von nnn veröffentlichte, bei höchst zuverlässiger Tem¬ 
peratur zur Anwendung kommende Verfahren. 

I Wir warnen vor Fälschungen, die mit dem Namen 
llinmiinö Hommel oder Dr. Hommel Missbrauch treiben. Wir 


" w»*» w., j bitten naher ausdrücklich riza rriitn Dr. Hsmmsrs 
Heemitegen zu ordinieren! 

■ Tanoc rtneon. Kleine Kinder 1—2 Teelöffel mit der Milch gemischt 
| lages-uosen. nvinktemnerntur’l, grbiwrs Kinder 1-2 Kindarlöffel 

J- (rein!!). Erwachsend 1—2 Esslöffel täglich vor dem 

Essen, wegen seiner eigentümlich stark appetitan¬ 
regenden Wirkung. 

— Verkant in Originaiflaachen ä 260 gr. — Prein Mk. 3.30 =^== 

Vernnehsqnanta stellen wir den Herren Aerzten gerne frei und kostenlos 
zur Verfügung. 

Aktiengesellschaft Hommel’s Haematogen 
Zürich (Schmelz). 

Generalvertreter für Deutschland 
Gerth van Wyk & Co., Hanau a. M. 


Dosen: 





































UiAfli 


Digitlzed by 


m of Illinois at 

NA-CHAMPAIGN 


FORTSCHRITTE DER MEDIZIN 


^er Krieg ifit in ein entfcbeibeube« Stabium getreten. ®ie l 21nfitrengungen ber geinbe ßaben i(>r Höcßfhnaß 
erreicht. 31>re 3aßl ift nccf) größer geworben. TBeniger al« je bürfen ‘Seutfcßlanb« Kämpfer, braunen wie brinnen, 
je$f nacf)lajfen. ‘iftod) muffen alle Kräfte, angefpannt bi« auf« ^iußerfte, eingefe^t werben, um unerfdjüttert feftju- 
fteben, wie bisher, fo auch im §oben be« naßenben (Enbfampfe«. Ungeheuer finb bie Qlnfprücfye, bie an 5)eutfd>lanb 
gefteHt werben, in jeglicher Hinjidit, aber ifmen muß genügt werben, < 2öir muffen Sieger bleiben, ftf)lecht()in, nuf 
jebem ©i'bict, mit ben ‘Jßaffen, mit ber ?ed)nif, mit ber Organifation, nid>t juleßt aud> mit bem Selbe I 

©arutn barf hinter bem gewaltigen (Erfolg ber früheren Kriegsanleihen ber ber fünften nicht jurücfbleiben- 
xOieljr al« bie bisherigen wirb fte maßgebenb werben für bie fernere ®auer be« Kriege«; auf ein fmanjielle« (Erraffen 
©eutfc^lanb« feßt ber geinb große (Erwartungen. 3ebe« 3eid)en ber (Erfcf)öpfung bei un« würbe feinen rDJut beleben, 
ben Krieg oerlängern. 3eigen wir ihm unfere unoerminberte Starte unb (Entfdjloffenheit, an ihr müffen feine Hoffnungen 
jufebanben werben. 

< 3D [ tit kanten unb Kniffen, mit 9?ecf>tSbrücben unb ^larfereien führt ber geint ben Krieg, Heuchelei unb Cüge 
ftnb feine ^Baffen. SDtit harten Schlägen antwortet ber ®eutfd>e. $>ie 3rit ift wieber ba ju neuer ^at, ju neuem 
Schlag. ‘Jßieber wirb ganj ®eutfchlanb« Kraft unb 'JßiUe aufgeboten. Keiner barf fehlen, jeber muß beitragen mit 
allem, wa« er hat unb geben tann, baß bie neue Kriegsanleihe werbe, wa« fie unbebingt werben muß: 

gitr uit« ein glorreicher Sieg, fiir ben geiitb ein ueruichtenber Schlag I 


mit H o c h g e b i pg s-So n n e 
ähnlichem Strahlengemisch 


Ein neues Lichtbad 


Geringer Stromverbrauch! 
Hoher Nutzeffekt! 


1. Eine grosse Lichtfülle strahlender Energie. 

2. Ideales Strahlengemisch (rot-gelbe und blau¬ 
violette Strahlen in zweckmässiger Verteilung). 

3. Ganz geringe Leitungswärme, langsam an- 
J steigende Temperatur, welche grosse Höhe 

auch bei langer Dauer nicht erreicht. 

4. Starker Schweissausbruch meist schon bei 
einer Temperatur, die unter der normalen 
Körpertemperatur liegt. 

5. Keine Erhöhung der Blutwärme, «vielmehr Ver¬ 
meidung jeder Wärmestauung im Körperinnem. 
Trotz grosser Lichtfülle und vervielfachter 
Strahlungsenergie grosse Ersparnis im Strom¬ 
verbrauch, zirka Sfache Stromaus¬ 
nutzung. 

Man verlange ausführlichen Prospekt! 
Alleinfabrikation: 


ElektrfzitOtsgeselischnEt „Snnltos“ Benin n 


Friedrichstr. 131, Ecke Karlstr, 


































Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 





Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN